Wanzen in der Chefetage
Transcription
Wanzen in der Chefetage
Wirtschaftsspionage Wanzen in der Chefetage Schäden in Milliardenhöhe Experten schlagen Alarm: Jedes Jahr entstehen deutschen Unternehmen Schätzungen zufolge durch Wirtschafts- und Konkurrenzspionage Schäden in Höhe von knapp 20 Milliarden Mark. Die Methoden der Schnüffler werden dabei immer raffinierter. Sicherheits-Dienstleistungen sind deshalb im Kommen. Der Mann im Schlapphut, der sich nachts ins Werk pirscht, um heimlich wichtige Unterlagen zu fotografieren, gehört der Vergangenheit an. Die Späher von heute kommen übers Netz: Sie hacken sich in Datenbanken ein, schalten sich auf Kommunikationsleitungen oder fangen Passwörter im Internet ab. Untersuchungen in Deutschland haben ergeben, dass jeder zweite Industriebetrieb hierzulande bereits ein Opfer von Spionage ist. Was den wenigsten bekannt ist: Längst sind es nicht mehr nur Unternehmen, die ihre Schnüffler in fremde Firmen einschleusen. 62 Prozent aller Spionagemissionen ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland zielen nach Angaben des Verfassungsschutzes auf die Wirtschaft, nur der Rest geht gegen Politik und Militär. Besonders beliebt sind die Branchen Elektronik, Pharma, Chemie, Luft- und Raumfahrt und Autobau. Die ungebetenen Gäste kommen aus aller Herren Länder. Klaus-Dieter Matschke, ExNachrichtendienstler und heute einer der führenden Sicherheitsberater in Deutschland, rechnet damit, dass sich der Schaden durch Wirtschaftsspionage hierzulande binnen fünf Jahren auf jährlich 40 Milliarden Mark verdoppeln wird. Eines der Hauptprobleme ist das Unwissen der potenziellen Opfer: „Vielen Unternehmen“, beklagt Wolfgang Hoffmann, „ist gar nicht bekannt, wo bei ihnen die schützenswerten Informationen versteckt sind.“ Vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben würden Sicherheitsaspekte noch zu sehr vernachlässigt, warnt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft (ASW). „Da gibt es oft Spitzentechnologie, die sich praktisch zum Nulltarif auskundschaften lässt.“ Der ungebetene Gast stehe nicht in der Türe, „der kommt heute durch die Leitung“, so Hoffmann. Als Leiter des Unternehmensschutzes bei der Bayer AG in Leverkusen wird er mit dem Problem regelmäßig konfrontiert. Immer wieder muss der Konzern geheime Informationen zwischen seinen Standorten weltweit austauschen, „ohne unsere ausgefeilten Schutzmaßnahmen“, so Hoffmann, „wären wir den Spionen ausgeliefert“. Dr. Joachim Lindner vom weltweit tätigen Pharma- und Chemieunternehmen Merck in Darmstadt kann dem nur beipflichten. „Der wachsende globale Wettbewerbsdruck verschärft die Situation“, meint der Sicherheitschef. „Jedes High-Tech-Produkt, das entwickelt wird, ist potenziell durch Wirtschaftsspione bedroht.“ Die Darmstädter schwören bei der Abwehr nicht nur auf ihre geschulten Sicherheitsexperten. Lindner: „Jeder Mitarbeiter wird bei uns für das Thema sensibilisiert.“ Effizienter Schutz könne nur durch eine unternehmensweite Strategie gewährleistet werden. „Von der Basis bis zur Unternehmensspitze muss lückenlos geregelt sein, ob und wann wer auf welche Informationen zugreifen darf.“ Der deutsche Markt der Anbieter von Sicherheits-Dienstleistungen ist schier unüberschaubar. Während es sich beim Gros um Firmen handelt, die sich auf den Werkschutz (etwa Wach- und Schließgesellschaften) oder auf Ermittlungen (wie Detekteien) spezialisiert haben, sind Experten für die Wirtschafts- und Konkurrenzspionage noch rar gesät. „Viele Unternehmen denken erst an Schutzmaßnahmen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist", sagt Hannes Katzschmann, Abhörschutzexperte der Deutschen Telekom AG. Nach wie vor besonders beliebt bei den Dunkelmännern ist die gute alte Wanze im Telefonapparat oder dem Inhouse-Leitungsnetz, die sowohl Gespräche im Raum als auch Telefonverbindungen er- 20 Thema Wirtschaft 12/2000 PhotoDisc fasst. Detektiert wird sie anhand der Frequenzen, die sie abstrahlt. In letzter Zeit rücken immer häufiger moderne Telefonanlagen in den Vordergrund des Interesses. Grund sind Leistungsmerkmale wie Babyüberwachung oder Direktansprechen, die aus der Ferne aktiviert und für Abhörzwecke missbraucht werden können. „Bei solchen risikobehafteten Leistungsmerkmalen empfehlen wir, diese nur ausgewählten Personen zur Verfügung zu stellen“, sagt Katzschmann. Kein Wunder, dass die Leute vom Abhörschutz immer wieder in Vorstandszimmer, Hotels und Konferenzräume gerufen werden, um dort nach dem Rechten zu sehen. Manchmal übers Wochenende, „damit in der Firma niemand Verdacht schöpft“, manchmal aber auch bewusst kurz vor Beginn einer Verhandlung. Drei Leute, so lässt sich grob kalkulieren, brauchen knapp zwei Stunden, um 20 Quadratmeter durchzuchecken. Beispiel: Die Nürnberger Versicherungsgruppe. Sie ist erst jüngst in einen Neubau gezogen. „Trotz aller Kontrollmaßnahmen weiß man nicht hundertprozentig, wer sich auf einer Baustelle aufhält“, begründet Birgit Männer, Leiterin des Direktionssekretariats, den Sicherheits-Check. Vorstandszimmer und wichtige Besprechungsräume wurden unter die Lupe genommen. Die Nürnberger ziehen in einem Jahr nochmals um, wenn der zweite Bauabschnitt des Neubaus fertiggestellt ist. „Auch die neuen Räume werden wir prüfen lassen“, so Birgit Männer. Geplant ist, künftig einen SicherheitsCheck turnusmäßig zu absolvieren. Zwei- bis dreimal im Jahr sind Abhörschützer an Standorten von Merck im Einsatz. Wie weit die Spurensuche geht, ist allein Sache des Auftraggebers. „Jedes Unternehmen muss sich über seine Sicherheitsphilosophie im Klaren sein“, meint Hannes Katzschmann. Wie groß ist das Risiko einzuschätzen, wie viel ist die Firma bereit, dafür auszugeben? „Definitiv loswerden“, fügt Katzschmann hinzu, „werden wir die Angreifer nie. „Aber“, meint er, „wir können ihnen das Leben ja so schwer wie möglich ■ machen.“ Autorin: Sabine Flemmig, P.C.N. Profile Contact Network, Austraße 42, 53343 Bonn, Telefon 02 28/9 43 15 00, Fax 9 43 15 01, E-Mail [email protected]