Mt 25,1-13: Zehn Jungfrauen

Transcription

Mt 25,1-13: Zehn Jungfrauen
Den Bräutigam darf man nicht verpassen!
Mt 25,1-13: Zehn Jungfrauen
Übersetzung
(1) Dann wird es sich mit Herrschaft der Himmel ähnlich verhalten wie mit zehn Mädchen, die ihre Fackeln
nahmen und zur Begegnung mit dem Bräutigam hinausgingen: (2) Fünf von ihnen aber waren dumm und
fünf klug. (3) Denn die Dummen nahmen zwar ihre Fackeln, aber sie nahmen kein Öl mit sich. (4) Die Klugen aber nahmen Öl in den Gefäßen mit ihren Fackeln. (5) Als der Bräutigam sich Zeit ließ, nickten sie alle
ein und schliefen. (6) Mitten in der Nacht aber kam ein Geschrei auf: ›Siehe, der Bräutigam! Geht hinaus zur
Begegnung mit ihm!‹ (7) Darauf wachten alle jene Mädchen auf und richteten ihre Fackeln her. (8) Die
Dummen sagten aber zu den Klugen: ›Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Fackeln gehen (dauernd) aus!‹
(9) Die Klugen antworteten: ›Auf keinen Fall, sonst wird es nicht für uns und für euch reichen! Geht lieber
zu den Händlern und kauft für euch selbst!‹ (10) Als sie aber zum Einkaufen weggingen, kam der Bräutigam.
Die Vorbereiteten gingen mit ihm zu den Hochzeitsfeierlichkeiten hinein und die Tür wurde geschlossen.
(11) Später kommen aber auch die übrigen Mädchen und sagen: ›Herr, Herr, mach uns auf!‹ (12) Er aber
antwortete: ›Wahrlich (Amen) ich sage euch: Ich kenne euch nicht!‹ (13) Also: Seid wachsam, denn ihr kennt
weder den Tag noch die Stunde!
Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)
Die Parabel nimmt eine ungewöhnliche Perspektive auf ein Hochzeitsfest ein: Braut, Familie
und Hochzeitsgäste fehlen ebenso wie viele Details der räumlichen, zeitlichen und sozialen
Verortung (Balabanski 2002, 73). Der Bräutigam, die zentrale Figur, ist mehrheitlich abwesend. Die Heldinnen der Geschichte sind vielmehr zehn Mädchen. Damit werden Nebenfiguren eines Hochzeitsfestes ins Zentrum gerückt.
Die narrative Struktur ist vergleichsweise komplex. Die in sich geschlossene Erzählung
wird von einem Vergleichssatz (25,1) und einer Abschlussmahnung (13) gerahmt. Anhand
der temporalen Markierungen in V. 6 (»mitten in der Nacht«) und V. 11 (»später«) lässt sich
eine klassische Dreiteilung vornehmen (ähnlich Davies/Allison 1997, 391): Exposition (2-5),
Komplikation (6-10) und Schluss (11-12). Der Spannungsbogen wird allerdings durch die Polarisierung der Hauptfiguren in V. 2 vorweggenommen. Dadurch tritt die Dramaturgie gegenüber der paränetischen Pragmatik in den Hintergrund. Wie die Wiederaufnahme von 1b in 6
zeigt, hat der einleitende Satz Überschriftcharakter (Luz 1997, 474). Er hebt die beiden wichtigsten Erzählmomente hervor: Die den Erzählfokus dominierenden zehn Mädchen und das
Erzählziel, nämlich die Begegnung mit dem Bräutigam (mit e˙ß eis angezeigt). Als Erwarteter, Kommender und Angekommener kreist die Erzählung um ihn (Weder 31984, 243). Zu
keinem Zeitpunkt weicht jedoch der Fokus von den Mädchen ab.
Die Exposition in VV. 2-5 zeichnet sich dadurch aus, dass die erzählte Zeit anhält. Die
Handlung wird durch kein Ereignis vorangetrieben. Vielmehr setzt der erzählte Erzähler Jesus
mit einer direkten antithetischen Charakterisierung ein (2). Dadurch werden die Hauptfiguren
nicht nur zwei stereotypen Rollen zugeordnet (vgl. Mt 7,24-27), es wird auch eine eindeutige
Lenkung der Identifikationshaltung der Hörer und Hörerinnen vorgenommen. Die Charakteri-
2
sierung der Mädchen wird nur auf eine Handlung zurückgeführt: die Mitnahme bzw. NichtMitnahme von Öl (3-4). Die zu erwartende Komplikation wird in V. 5 vorbereitet. Die Verspätung des Bräutigams dient der narrativen Verzögerung. Im Schlaf bilden die Mädchen
wieder eine Handlungseinheit. Der Hauptteil (6-10) beginnt mit der Ankündigung des kommenden Bräutigams und endet mit seinem Kommen. Die Sprecher des Weckrufs V. 6 werden
nicht genauer identifiziert. Wichtig ist nur die Verwirklichung des narrativen Ziels, was durch
˙dou (idou »siehe«) hervorgehoben wird. Ganz kurz vor dem Ziel werden sich die Dummen
dessen gewahr, was die Hörer und Hörerinnen der Geschichte bereits wissen: Sie haben kein
Öl. Der Vorschlag der Klugen entfernt sie vom Zentrum des Geschehens. Die verschiedenen
Komposita des Verbs »kommen« in V. 10 deuten die Tragödie an: Die Dummen gehen weg
(hapércomai aperchomai), der Bräutigam kommt (‘ercomai erchomai) und die Klugen gehen
mit ihm hinein (e˙sércomai eiserchomai). Am Ende (11f) kommen (‘ercomai erchomai) die
restlichen Mädchen zu spät. Das narrative Ziel ist nach V. 1 die Begegnung mit dem Bräutigam und nicht die Teilnahme am Fest. Während die vorbereiteten Mädchen »mit ihm« (10)
hineingehen, gehören die übrigen nicht mehr zu ihm (12). Die antithetische Charakterisierung
einer äußerlich homogenen Gruppe (zehn Mädchen mit Fackeln, die alle einschlafen) endet
mit einer eindeutigen Scheidung.
Der metaphorische Charakter der Erzählung deutet sich bereits in der Grundstruktur an. In
einer Hochzeit geht es zentral um Braut und Bräutigam. Eine Hochzeitsgeschichte, welche die
Begegnung zwischen Mädchen und dem Bräutigam in den Mittelpunkt rückt, beleuchtet eine
derartig nebensächliche Relation, dass dies nach einer zusätzlichen Interpretationsleistung
verlangt. Die Frage, ob es sich um eine Parabel oder eine Allegorie handelt, ist dabei nebensächlich (vgl. dazu Gnilka 1988, 347). Es würde durchaus nahe liegen, die Mädchen funktional als »Ersatzfigur« für die Braut zu verstehen (Meinertz 1953, 95.101f). Dagegen spricht
jedoch ihre Ausstattung, denn Fackeln gehören nicht zur Braut (Zimmermann 2002, 67f; s.u.).
»Bräutigam« ist bereits in Mt 9,15 als Metapher für Jesus verwendet worden. Die Begegnung
mit ihm wird in Worte gefasst (25,1.6), die eher für die »Einholung« eines Herrschers charakteristisch sind (vgl. 1Thess 4,17; s.u.). Die Erzählebene wird am Ende an zwei Stellen deutlich metaphorisch durchbrochen: Die zweimalige Anrede als »Herr« (25,11; vgl. 7,21f) und
die Antwort des Bräutigams in Form eines Amen-Wortes (typisch für die Rede Jesu; vgl. Mt
5,18.26; 6,2.5.16; 8,10; 10,15.23; usw.). Beide Elemente sind im MtEv einzigartig im Rahmen einer Parabel (einfaches »Herr« in 13,27; 25,20.22.24). Damit sind deutliche Transfersignale gesetzt, um die Parabel in ihrer vorliegenden Gestalt auf den wiederkommenden
Christus zu deuten.
Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich)
Die Geschichte von den zehn jungen Mädchen ist als frühchristliche Allegorie zur Verarbeitung der Parusieverzögerung gedeutet worden (Bornkamm 1968; Donfried 1974). Ein solches
Verständnis geht davon aus, dass viele Details der Erzählung unmöglich einem sozialgeschichtlich plausiblen Hintergrund zugewiesen werden können (Gräßer 21960, 120f). Die
Quellenlage erlaubt jedoch kaum ein derart sicheres Ausschlussverfahren, denn antike Hochzeitsbräuche sind schwer fassbar: Die reichhaltigen griechischen Bildquellen (vgl. zu den Vasendarstellungen Oakley/Sinos 1993) sind mit ihren vielen mythologischen Bezugnahmen
nicht rein dokumentarisch zu deuten. Die textlichen Quellen liegen zum Teil zeitlich weit
auseinander und sind mit Vorsicht auszuwerten (vgl. Satlow 2001, xxiii-xxvi). Innerhalb einer
konkreten Hochzeit mussten nicht alle Abläufe vorkommen (Treggiari 1991, 161). Die meis-
3
ten Quellen geben Auskunft über Hochzeiten im Lebenskontext der städtischen Eliten. Inwiefern solche Angaben auf alle gesellschaftlichen Gruppen ausgeweitet werden dürfen, ist zumindest fraglich.
Anhand einer Gesamtschau der Quellen werden für den griechischen und römischen Raum
»ideale« Abläufe konstruiert (vgl. z.B. Haase/Oswald 1998; Zimmermann 2002, 56). Die einzelnen Elemente der Vorfeier (Opfer, Weihegeschenke, rituelle Bäder, Kleidung, Schmuck
usw.) und der Nachfeier (Geschenkübergabe, Mahl, weitere Opfergaben) sind für ein Verständnis der Parabel ohne Belang. Interessant ist jener Teil der Hauptfeier, bei dem die Anwesenheit von Mädchen mit Fackeln eine Rolle spielen könnte: die Prozession. Hier erhält die
Hochzeitsfeier ihren stärksten öffentlichen Charakter; hier vollzieht sich auch der Übergang
der jungen Frau vom Haus des Vaters in den Haushalt des Ehemannes. Auf antiken Vasen
wird daher der Brautzug am häufigsten dargestellt (Oakley/Sinos 1993, 28).
Vorher
Prozession
Griechischer Kontext
(Oakley/Sinos 1993, 22-37)
• Festmahl mit Familie und Freunden (Ort
ist variabel, häufig im Haus der Braut)
• Musik, Lieder und Tanz
• bei Anbruch der Dunkelheit: Entschleierung der Braut (anakalypteria) durch ihren Vater
•
•
•
•
•
Nachher
•
•
•
•
Mit dem Ruf »Steh auf! Halt (die Fackel)
hoch!« beginnt die Prozession.
Der nächtliche Brautzug dient der Heimführung der Braut ins Haus des Bräutigams.
Die vorangehende Mutter der Braut und
andere Gäste tragen Fackeln. Diese dienen
nicht nur zur Beleuchtung, sondern auch
zum Schutz vor Schadenzauber.
Unterwegs wird gesungen und getanzt.
Menschen werfen dem Paar Blumen zu.
Die Braut wird gewöhnlich eskortiert vom
Bräutigam und einem seiner Freunde. Der
Bräutigam muss jedoch nicht bei der Prozession anwesend sein
Häufig wird das Paar mit Fackeln von der
Mutter des Bräutigams empfangen und
hineingeführt.
Am Herdfeuer wird das Paar mit Zeichen
für Wohlstand und Fruchtbarkeit beschenkt (Hochzeitskuchen, Datteln, Münzen, Feigen, Nüsse)
Das Brautpaar geht in das reichlich geschmückte Brautgemach (thalamos). Die
Tür wird von einem Freund des Bräutigams (thyroros) verschlossen und bewacht.
Die Gäste singen draußen Hochzeitslieder
(das sog. epithamalion).
Römischer Kontext
(Treggiari 1991, 161-170)
• Festmahl mit Familie und Freunden (Ort ist
variabel, häufig im Haus der Braut)
• Die Braut wird häufig von der pronuba (einer Frau, die in erster Ehe mit einem Mann
verheiratet ist) dem Ehemann übergeben
(Verbindung der rechten Hand von Braut
und Bräutigam).
• Gäste wünschen dem Paar Glück (feliciter),
Übergabe der Geschenke
• Die Braut wird in einem Festzug in das Haus
des Bräutigams geführt (deductio in domum
mariti oder pompa)
• Der Bräutigam geht mit seinen Freunden
dem Festzug voran, um die Braut daheim zu
empfangen.
• Der Zug wird von Flötenspiel und Fackeln
begleitet. Die Braut wird begleitet von drei
Knaben, deren Eltern noch leben; einer davon trägt die besondere Fackel aus Weißdornholz (spina alba).
• Auf dem Weg rufen die Menschen hymen
hymenaee oder Talasio. Dazu gehören auch
obszöne Lieder und Witze.
• Nach röm. Recht kann ein Mann in Abwesenheit eine Frau heiraten.
• Am Haus des Mannes angekommen, salbt
die Braut die Türpfosten mit Öl und
schmückt sie mit Wolle.
• Sie wird von Helfern über die Schwelle getragen. Sie empfängt vom Bräutigam Fackelfeuer und Wasser.
• Das Ehebett (lectus genialis) steht im Atrium. Die Hochzeitsnacht findet im Dunkeln
statt.
4
Eine Amphore (ca. 430 v.Chr.) von Polygnotos (Toronto 929.22.3; aus Oakley/Sinos 1993, 96; s.a. 32). Der
Bräutigam nimmt die Braut mit einer typischen Geste am Unterarm. Die Braut – im Hochzeitskleid und mit
einem Kranz gekrönt – weicht seinem Blick nicht aus. In der linken Hand hält sie einen runden Gegenstand,
wahrscheinlich eine Frucht als Symbol für Fruchtbarkeit. Frauen mit Fackeln sind zu sehen. Hinter der Braut
steht vielleicht die »Brauthelferin« (nympheutria), vor dem Bräutigam wahrscheinlich die Mutter der Braut.
Weitere Frauen mit Fackeln und Geschenken begleiten das Brautpaar.
Der lückenlose Ablauf einer typisch jüdischen Hochzeit im Galiläa des ersten Jahrhunderts
lässt sich (trotz Billerbeck 81982, 504-517) kaum sicher nachzeichnen (vgl. Safrai 1976,
754-760; Satlow 2001, 162-181). In 1Makk 9,37.39 wird eine Hochzeitsprozession erwähnt:
Nach diesen Ereignissen meldete man Jonathan und seinem Bruder Simon, dass die Söhne Jambris eine große Hochzeit veranstalten und die Braut, die Tochter eines angesehenen Grossen Kanaans, mit großem Geleit
von Nadabath abholen. […] Als sie ihre Augen erhoben und ausschauten – siehe, da war Lärm und viel Gerät, und der Bräutigam zog ihnen mit seinen Freunden und seinen Brüdern entgegen mit Pauken, Musikern
und vielen Waffen.
Anscheinend gehen sich hier zwei getrennte Festzüge entgegen, um den Zug der Braut einzuholen. Es ist daher anzunehmen, dass das gemeinsame Festmahl nach der Prozession stattfinden soll. Vor dem Hintergrund griechischer oder römischer Bräuche ist das ungewöhnlich. In
seiner Nacherzählung spricht Josephus daher auch nur von einem Festzug, »wie es bei Hochzeiten üblich ist« (Ant. 13,20). Für die Zeit des zweiten Tempels sind das leider die einzigen
Belege. Die rabbinische Tradition ab dem 2. Jh. n.Chr. setzt voraus, dass die Braut aus dem
Haus ihres Vaters »mit der Brautsänfte und mit ungebunden Haaren« zur Hochzeit gebracht
5
wird (mKet 2,1 = Correns 2005, 328). Eine Liste von »Verboten« belegt, was in solchen Prozessionen als üblich galt:
»Im Krieg des Vespasian (66-70) faßten die [Gelehrten] einen Beschluß über die Kronen der Bräutigame und
über die Hochzeitspauke. Im Krieg des Quietus (117-118) faßten sie einen Beschluß über die Kronen der
Braut und daß niemand seinen Sohn Griechisch lehrt. Im letzten Krieg (132-135) faßten sie den Beschluß,
daß die Braut nicht in einer Sänfte in die Stadt hinausgeht. Aber unsere Rabbinen erlaubten, daß die Braut in
einer Sänfte in die Stadt hinausgeht.« (mSot 9,14 = Correns 2005, 405)
Nach rabbinischer Tradition führt der Festzug zum ersten Teil der Feier und zum Brautgemach, wo wahrscheinlich die Übergabe (‘ekdosiß ekdosis) der Braut mit entsprechenden Segenssprüchen vollzogen wird (Satlow 2001, 173-177; vgl. Tob 7,12-8,9; JosAs 21,2-9). Ein
häufig mehrtägiges Hochzeitsfest nimmt hier seinen Anfang. Die Dauer von (mind.) sieben
Tagen findet sich bereits im Alten Testament (Gen 29,27; Ri 14,12.17; Jos. Ant 5,289-294
nennt in seiner Nacherzählung die Siebenzahl nicht) und ist auch für die Zeit des zweiten
Tempels belegt (Tob 8,20; 10,7; JosAs 21,8). Es wird zwar häufig angenommen, dass die Feierlichkeiten allen offen zugänglich waren (Zimmermann 2002, 59), aber (abgesehen von den
logistischen Schwierigkeiten einer solchen Sitte) setzt Mt 22,1-14 voraus, dass gezielt zur
Hochzeit eingeladen wurde und die Gäste in entsprechender Festkleidung zu erscheinen hatten. Aus den vorhandenen Quellen lässt sich im antik-jüdischen Brauchtum eine besondere
Rolle für Fackeln nirgends ablesen (Jeremias 1942, 1093/29f) – vielleicht weil der Hochzeitszug nicht nachts stattfand?
Insgesamt lassen die Lücken der Quellen ebenso wie die Leerstellen des Textes unterschiedliche Konstruktionen eines möglichen Ablaufs zu:
Jülicher 1910, 449f
Ort: Braut &
Fest
Die Braut ist im Haus der
Feier (wahrscheinlich das
des Bräutigams).
Bräutigam
Der Bräutigam kommt
erst am Abend zur Feier.
Mädchen
die »Gespielinnen der
Braut« (nicht die Braut
selbst) ziehen ihm entgegen. An einem abgemachten Ort treffen sie
auf den Bräutigam mit
seinen Freunden.
In »festlichem Apparat
durch die Strassen« ziehen sie gemeinsam mit
Lampen zum Festsaal.
»Festzug«
Luz 1997, 468f
(jüdischer Kontext)
Die Braut ist in ihrem
Elternhaus, die Feier findet
im Haus des Bräutigams
statt.
Der Bräutigam holt die
Braut von ihrem Haus ab.
Die Mädchen kommen aus
dem Haus der Braut, um
den Bräutigam zu begrüßen.
Sie begleiten im Fackelzug
den Bräutigam und die
Sänfte der Braut bis zum
Haus des Bräutigams. Die
geschlossene Tür ist eine
Extravaganz.
Zimmermann 2002, 69f
(griechischer Kontext)
Die Braut ist in ihrem Elternhaus,
wo sie bereits mit dem Bräutigam
und ihrer Familie das Festmahl
gefeiert hat.
Der Bräutigam kehrt (mit Braut) zu
nächtlicher Stunde in sein Elternhaus zurück, um die Ehe sexuell zu
vollziehen.
Die »Mägde« gehören zum Haushalt des Mannes; sie warten auf
den Bräutigam mit seiner Braut
und gehen bei seinem Erscheinen
hinaus.
Sie begleiten ihn mit Fackeln ins
Brautgemach. Die geschlossene
Tür gehört zur Intimität der Hochzeitsnacht.
Diese Versuche zeigen, dass die Erzählung in einen konventionellen Rahmen eingezeichnet
werden kann – nicht mehr. Die Unklarheiten in Detailfragen machen die Bestimmung von erzählerischen Extravaganzen schwer. Wenn der Festzug direkt zur Hochzeitsfeier führt (so im
jüdischen Kontext), dann ist die geschlossene Tür und v.a. die Abweisung der jungen Mädchen ein unerwarteter Zug der Geschichte. Wenn aber das Brautpaar ins Brautgemach geleitet
wird (so im griechischen Kontext), dann ist die geschlossene Tür ein Gebot der Stunde. Erstaunlich (wenn auch nicht unmöglich) wäre das Hineingehen der fünf klugen Mädchen. Als
6
besonders überraschend müsste jedoch das Anklopfen der verspäteten Mädchen wirken. Immerhin stören sie den Vollzug der Hochzeitsnacht mit dem Wunsch um Einlass und werden
zudem nicht vom Türsteher aufgehalten. Der Rekonstruktion eines stringenten Geschehens
sind also deutlich Grenzen gesetzt.
Die Frage, ob die Mädchen Öllampen oder Fackeln in ihren Händen halten, wird kontrovers diskutiert. In der Auslegungsgeschichte wird die Erzählwelt meist durch Öllampen beleuchtet. Exegetisch könnten zwei Details in VV. 7-8 dafür sprechen: Die Mädchen »schmücken« (so wörtlich kosméw kosmeô) ihre Beleuchtungskörper, was auf besonders schöne und
verzierte Lampen hinweisen könnte. Und die Dummen beklagen (im Präsens), dass diese
»ausgehen«, was eine Folge davon wäre, dass die Öllampen während des Schlafs weiter gebrannt hätten. Dennoch sind die Argumente für die Fackeldeutung gewichtiger (Luz 1997,
469-471; Jeremias 1965): Semantisch referiert lampáß (lampas) auf Fackeln (LXX durchgehend; Joh 18,3; Offb 4,5; 8,10; unsicher: Apg 20,8). Betrachtet man den vorneutestamentlichen Sprachgebrauch, dann müsste man auf die gewagte Annahme kommen, Mt 25 stelle den
ersten Beleg für lampáß (lampas) = »Lampe« dar (das vermutet Gingrich 1954, 194). Die
antike Bildmotivik zeigt, dass Leuchtkörper in Händen von Frauen in einem häuslichen Kontext Öllampen und in der Öffentlichkeit Fackeln waren (Parisinou 2000, 28). Öllampen wären
im Freien auch sehr unpraktisch, weil die Lampe nicht schwanken darf und die Flamme durch
Wind leicht ausgehen kann. Das Tragen einer Fackel (insbes. in rituellen Zusammenhängen)
war ein willkommener Anlass, um als Frau dem häuslichen Raum zu entgehen. Der Rahmen
einer Hochzeitsfeier macht Fackeln m.E. zu einem unverzichtbaren Requisit der Parabel (vgl.
zum Gebrauch von Fackeln in Hochzeiten Gagé 1969, 160-162; Parisinou 2000, 30-34). Viele
der frühen bildlichen Darstellungen dieser Geschichte zeigen die Mädchen mit Fackeln (Luz
1997, 470 Anm. 26; 487f Abb. 2 und 3). Ein antikes Kassenbuch mit Ölrationierungen belegt,
dass Öl für Fackeln in der Antike gebräuchlich war (Westermann 1924, 245f). Die Parabel
verrät jedoch nicht, wie die Mädchen die Fackeln mit Öl zum Brennen bringen. Wickeln sie
ölgetränkte Lappen um den Fackelhals (so häufig seit Jeremias 1965, 198, aber ohne Hinweis
auf antike Quellen)? Oder gebrauchen sie »Gefäßfackeln« mit einem aufgesteckten Feuergefäß (Luz 1997, 471)? Der Gebrauch von Stoff als Brennmaterial ist für die Antike nicht belegt
und scheint zudem weder besonders praktisch (abfallende brennende Stoffstücke, Rußentwicklung) noch ökonomisch allzu vernünftig (Stoff war schwer und teuer herzustellen) zu
sein. Die Details in VV. 7-8 wären daher so zu erklären: Die Mädchen bereiten ihre Fackeln
vor (in diesem Sinne kosméw kosmeô), indem sie das mitgebrachte Öl in die Gefäße auf der
Fackel eingießen und vielleicht am Herdfeuer im Haus (der Braut?) anzünden. Die dummen
Mädchen haben kein Öl, so dass ihre Fackeln beim Versuch sie anzuzünden fortwährend ausgehen (iterative Präsensform).
Dieses Detail ist nicht folgenlos für das Verständnis der Parabel: Im Falle von mitgebrachten Öllampen wäre die Dummheit der unvorbereiteten Fünf ohne die Verspätung des Bräutigams gar nicht erkennbar geworden. Das Öl in ihren Lampen wäre erst durch die lange Wartezeit ausgebrannt. Ihre Dummheit bestünde darin, dass sie für den Eventualfall einer Verspätung des Bräutigams kein Ersatzöl mitgenommen haben (Davies/Allison 1997, 397f). Im Falle jedoch von Gefäßfackeln könnte als Zeichen ihrer Dummheit die Tatsache angesehen werden, dass sie überhaupt kein Öl mitgebracht haben und sie ihre Fackeln daher auch zu keinem
Zeitpunkt anzünden können. Die Verspätung des Bräutigams wäre demnach für die Charakterisierung ihrer fehlenden Weitsicht nicht ausschlaggebend. Vielmehr wird dadurch deutlich,
dass sie über genügend Zeit verfügen, um sich Öl zu beschaffen. Ihre Dummheit ist nach diesem Verständnis viel anschaulicher und auch viel näher am Verhalten ihres männlichen Pendants im MtEv: jenem Mann, der sein Haus auf Sand baut (7,26f).
7
Analyse des Bedeutungshintergrundes (Bildfeldtradition)
Die Parabel verbindet mehrere Bildfelder: Die zentralen Metaphern Bräutigam und Hochzeit
schöpfen – wie bereits Mt 22,1-14 – aus dem weitläufigen bildspendenden Bereich von Vermählung und Ehe (vgl. Klauck 21986, 162-164). Das Neue Testament ist auffallend reich im
Gebrauch dieses Bildfeldes (2Kor 11,2f; Eph 5,21-33; Mk 2,18-20 // Mt 9,14f // Lk 5,33-35;
Mt 22,1-14; Joh 2,1-11; 3,22-30; Apk 19,6-9; 21,2.9; 22,17; vgl. dazu Batey 1971; Zimmermann 2001). Das Bildfeld begegnet bei den Propheten in unterschiedlichen übertragenen
Verwendungsweisen: Bund als Verlobung (Hos 2,21f; Jer 2,2) oder Heirat (Jes 62,4-5), Israel
als Braut (Jes 49,18; 61,10; 62,5) oder Ehefrau (Hes 16,32; Jes 54,6), Jahwe als Bräutigam
(Jes 62,5; vgl. 61,10) oder Ehemann/Eheherr (Hos 2,18; Jes 54,5; Jer 3,14; 31,32). Der Bundesgedanke scheint Metaphern aus diesem Bildfeld förmlich anzuziehen. Eine konventionalisierte Metapher, die den Messias als Bräutigam zur Sprache bringt, ist jedoch weder der Hebräischen Bibel noch dem nachexilischen Judentum zu entnehmen (Jeremias 1942, 1094f). Generell geht die Verwendung der Ehemetaphorik in der Zeit des zweiten Tempels spürbar zurück und wird im griechischsprachigen Judentum praktisch nicht mehr für das Verhältnis
Gott-Israel gebraucht (Satlow 2001, 42-67). Der Mensch »vermählt« sich mit der göttlichen
Weisheit (SapSal 8,2-16; vgl. zu Philo Horsley 1979, 32-40) oder – in späten rabbinischen
Texten – Israel mit der Tora (R. Meier in Lev R 20,10). Damit scheint für die Zeit der Entstehung des Christentums das religiöse Bildfeld der Ehe mehr oder weniger offen für neue Verwendungsweisen gewesen zu sein. Es ist deutlich mit dem Gefühl der Freude besetzt und eignet sich dazu, Beziehungsnähe, Bundestreue und Intimität (hier wurde auch häufig die »Gefahr« des Bildes vermutet) zum Ausdruck zu bringen.
Ein zweites Bildfeld ist für das Verständnis der Parabel bedeutsam: Licht und gute Werke.
Natürlich ist die Lichtmetaphorik äußerst reich (vgl. Hahn 2000), doch besteht eine häufige
Nähe zum Bereich der Weisungen Gottes (vgl. Jes 51,4; Hos 6,5; Sach 3,5; Ps 43,3; 119,105;
Spr 6,23; TestLev 14,4; 19,1; vgl. Aalen 1951, 183-195.211-232; Vermes 1958). In diesem
Sinne sind die Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu »Licht der Welt« (Mt 5,14), die ihre
Leuchtkraft nicht unter einem Scheffel verstecken, sondern durch gute Werke diese allen zugute kommen lassen sollen (5,15f; vgl. TestNaph 2,10; TestBenj 5,3: »Denn wo das Licht der
guten Werke in Bezug auf die Gesinnung vorhanden ist, da flieht die Finsternis von ihm.«).
Ebenso erweist sich das Licht des Menschen in seiner Großzügigkeit (Mt 6,22f). In der
Sprachwelt des Mt leuchten die guten Werke. Die Geschichte der zehn Mädchen greift gezielt
Elemente des Sprachfelds Licht-Dunkelheit auf (Fackeln, Öl, Nacht, verlöschen) und gibt
damit der Erzählung einen ethischen Transferimpuls.
Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte)
Die Parabel von den jungen Mädchen gehört zum Sondergut des Evangelisten. Über die vormatthäische Version der Parabel lässt sich wenig Sicheres sagen. Die redaktionelle Hand ist
am deutlichsten in der Einleitung (V. 1) und im Schlussvers (V. 13) erkennbar. Die Verdoppelung der Anrede in V. 11 könnte angesichts von 7,22 auf den Evangelisten zurückgehen,
was auch auf die Amen-Formel zutreffen mag. Die Ähnlichkeiten zwischen Mt 25,10c-12 und
Lk 13,25 sind augenfällig, zumal Matthäus Stoffe aus Q 13,25-27 bereits in Mt 7,22f eingearbeitet hat. Ist aus dieser Ähnlichkeit zu schließen, dass Mt das Q-Wort an eine ursprünglich
anders endende Parabel angehängt hat (Davies/Allison 1997, 393)? Die Rückführung auf den
historischen Jesus ist möglich (Puig i Tàrrech 1983, 123-262). Es ist allerdings m.E. nicht
8
möglich, eine halbwegs sichere Aussage darüber zu treffen, in welcher Gestalt und in welchem Redekontext Jesus diese Parabel hätte sprechen können. Da beides für eine Deutung unerlässlich ist, möchte ich hier die Frage nicht weiter verfolgen.
Die Parabel ist in ihrer jetzigen Gestalt sehr eng in die matthäische Gesamterzählung eingebettet. Zunächst ist sie Teil der Endzeitrede Mt 24–25 (vgl. Luz 1997, 402f): In 24,3-31
zeigen die Zeitindikatoren (8x »dann«) und Futurformen deutlich an, dass hier ein Zeitverlauf
bis zum Kommen des Menschensohns vorausgesagt wird. Diese Form der prophetischen Zukunftsansage wird erst in der Gerichtsszene in 25,31-46 wieder aufgenommen. Im mittleren
Hauptabschnitt der Rede (24,32-25,30; vgl. Davies/Allison 1997, 374-377) dominieren Vergleiche und Parabeln. Der apokalyptische Blick auf die Ereignisse richtet sich nun deutlich
auf die Ebene des konkreten Verhaltens. Leitend dabei ist die Verbindung aus Vergewisserung und Verunsicherung: Der Menschensohn-Richter kommt sicher, doch niemand kennt
den genauen Zeitpunkt (24,36-42.44.50; 25,13). Die ethische Konsequenz daraus lautet:
Wachsamkeit (vgl. die Folgerungspartikel o~un oun in 24,42; 25,13) bzw. Bereitschaft
(24,44). Diese Haltung wird mit vier Parabeln ausgeleuchtet: Hausherr und Dieb (24,43f),
treuer und untreuer Diener (24,45-51), zehn Mädchen (25,1-12) und die anvertrauten Talente
(25,14-30).
Die Querbezüge innerhalb der Rede lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass das
Kommen des Bräutigams auf das zukünftige Kommen des Menschensohns verweist
(24,27.37); eine Deutung, die bereits aufgrund von 9,15 zwingend ist. Das gemeinsame Wortfeld »wachen« (grjgoréw grêgoreô) und »bereit« sein (“etoimoß hetoimos) (vgl. 24,42-44)
wird in 25,10.13 wieder aufgenommen. Die Tatsache, dass fünf aus einer homogenen Gruppe
diese entscheidende Begegnung verpassen, nimmt die vielen Warnungen gegen Verführung,
Abfall und dem Erkalten der Liebe in 24,4-28 auf. Ebenso wie von zwei Arbeitenden einer
bzw. eine genommen und einer bzw. eine zurückgelassen wird (24,40f), gehen in der Parabel
fünf hinein und fünf bleiben draußen. Während in 24,33 das Ende noch »vor der Tür« steht,
hat sich die Tür in 25,10 bereits geschlossen. Vor allem zwischen den drei längeren und
zugleich komplexeren Parabeln bestehen eine Reihe auffälliger Strukturanalogien:
24,43-44
24,45-50
25,1-13
25,14-30
Gottesherrschaft
Polarisierung:
-
-
1 (Futur)
-
klug vs. dumm (2f)
souveräne
Hauptfigur:
abhängige
Hauptfigur:
Aufgabe:
Hausherr
treu und klug vs.
böse (45.48)
Herr
-
2 Knechte (1:1)
Bräutigam, Herr
(11)
10 Jungfrauen (5:5)
14: Anschluss an 25,1 mit
»ebenso« (“wsper hôsper)
gut und treu vs. schlecht und
ängstlich (21.23.26)
Mann, Herr (19ff)
Haus vor
Einbrechern
bewachen
-
Verwaltung und Fürsorge
Fackeln und Öl mitnehmen
Verwaltung und Vermehrung
der anvertrauten Talente
»Mein Herr lässt auf
sich warten« (48b:
cronízei chronizei)
»Nach langer Zeit aber kommt
der Herr…« (19: metà polùn
crónon meta polyn chronon)
44b
50
»Der Bräutigam ließ
auf sich warten...«
(5: cronízontoß
chronizontos)
5f
-
»Glücklich jener
Knecht…« (46)
Verantwortung über
das ganze Eigentum
des Herrn (47b: hepì
päsin epi pasin...)
-
»Sehr schön! Guter und treuer
Knecht…« (21.23)
Verantwortung über Vielem
(hepì poll¨wn epi pollôn) und
Eingehen in die Freude des
Herrn (21.23: e‘iselqe eiselthe)
Verzögerung:
Unerwartetes
Kommen:
Positive Würdigung:
Lohn:
-
Eingehen (mit dem
Bräutigam) in das
Hochzeitsfest (10:
e˙s¨jlqon eisêlthon)
3 Knechte (2:1)
19
9
Fehlverhalten:
-
Strafe:
-
Handlungsanweisung:
Seid bereit!
(44a)
Gewalt und Alkoholrausch (49)
Entzweischneiden,
Los mit Heuchlern,
Heulen und Zähneklappern (51)
-
kein Öl zum Anzünden der Fackeln
Abweisung an der
Tür (11)
Wachet! (13)
keinen Gewinn erzielen
Wegnahme des Talents, Hinauswurf in die Dunkelheit,
Heulen und Zähneklappern
(28-30)
-
Die Betrachtung der drei längeren Parabeln ergibt ein narratives Grundmuster: Eine Gruppe
abhängiger Figuren hat eine Verantwortung, nimmt diese aber unterschiedlich wahr, weil innerhalb der Gruppe charakterliche Gegenpole vertreten sind (treu, klug und gut – böse,
dumm, schlecht und ängstlich). Das unerwartete Kommen des Herrn führt zur definitiven
Trennung innerhalb der Gruppe in Form von Lohn und Strafe (innen/außen). Der Lohn wird
zunächst als Verantwortung über das Eigentum des Herrn (24,37b) gedeutet, dann als Eingehen (25,10) und schließlich als Verantwortung und Eingehen (25,21.23).
Neben dieser engmaschigen Vernetzung im Rahmen der Endzeitrede in Mt 24–25 bestehen
noch eine Reihe wichtiger Bezüge innerhalb der matthäischen Gesamterzählung. Am deutlichsten lenkt die Parabel der zehn Mädchen den Blick auf das Ende der Bergpredigt (Mt
7,21-27): Diejenigen, die Wunderwerke getan aber nicht den ethischen Willen Gottes umgesetzt haben, reden den Richter Jesus wie die dummen Mädchen als »Herr Herr« an (7,21f),
doch wie diese, kennt der Richter sie nicht (7,23) und verweigert ihnen das Eingehen ins
Himmelreich. Die anschließende Parabel vom Hausbau (7,24-27) wird durch zwei im MtEv
singuläre sprachliche Merkmale mit 25,1-13 verbunden: der Gebrauch der Futurform in der
Einleitung und die Polarisierung klug-dumm. Damit gibt Mt seinen idealen Hörern und Hörerinnen bereits sehr früh einen Schlüssel zum Verständnis der Parabel in 25,1-13 an die Hand.
Weniger ausgeprägt sind die Berührungspunkte mit der Hochzeitparabel in Mt 22,1-14. Es
handelt sich zwar in beiden Fällen um ein Himmelreichsgleichnis in einem ähnlichen Setting
(22,2; 25,1), doch ist die Perspektive der Hochzeitsparabel durchgehend die eines Königs, der
ein opulentes Fest für seinen Sohn ausrichtet. Der Bräutigam ist nur eine Nebenfigur (wird
nur als »Sohn« in 22,2 erwähnt), die Braut kommt auch hier nicht vor. Eine gewisse Strukturähnlichkeit ist noch am Ende zu verzeichnen: So wie der Gast ohne passende Garderobe aus
dem Festsaal entfernt wird (22,11-13), bleibt den dummen Mädchen der Eingang verwehrt.
Sind damit die Koordinaten aus dem literarischen Kontext gezeichnet, so sollen nun Einzelheiten der Erzählung exegetisch betrachtet werden. Die Parabel beginnt mit einem zeitlichen Hinweis auf die zukünftigen Ereignisse (tóte tote; vgl. 24,3.27.30.37.39.42.44.50).
»Dann« also, wenn der Menschensohn zum Gericht kommt, wird die Herrschaft der Himmel
der Erzählung von den zehn jungen Mädchen vergleichbar sein. Die Verschränkung der Zeitebenen ist für die Rezeption wichtig: Indem eine Zukunftsaussage mit einer Erzählung in
Vergangenheitsform gemacht wird, kommt es zur Synchronisierung mit der Zeit der Hörer
und Hörerinnen, die selbst auf die Ankunft des Menschensohnes warten. Die Handlungszeit
der jungen Mädchen entspricht daher ihrer eigenen Gegenwart. Dass einige wenige Handschriften (D, Q und einige lateinische und syrische Übersetzungen) an dieser Stelle die Braut
an die Seite des Bräutigams stellen (kaì t¨jß númfjß kai tês nymphês), zeigt nur, dass ihre
Abwesenheit als störend empfunden wurde.
Die Hauptfiguren werden als parqénoi (parthenoi) bezeichnet (vgl. 1,23; Lk 1,27; Apg
21,9). Damit sind junge, unverheiratete Frauen gemeint, die nach antiker Auffassung als Jungfrauen galten. Jungfräulichkeit oder sexuelle Enthaltsamkeit ist jedoch nicht zentral für ihre
Rolle innerhalb der Erzählung. Aufgrund des relativ frühen Alters bei der Eheschließung
(13-16 Jahre) würden wir heute eher von »Mädchen« als von »Frauen« reden. Als parthenoi
sind sie allerdings im heiratsfähigen Alter (also keine kleinen Mädchen). Der Hinweis auf die
10
Mitnahme von Fackeln in der Überschrift betont ihre besondere Funktion im vorausgesetzten
Hochzeitsfest. Die Anzahl von zehn Fackelträgerinnen ist im Rahmen einer realen Hochzeit
allerdings auffallend hoch. Plutarch erwähnt fünf Fackeln bereits als eine hohe Anzahl bei
Hochzeiten von mittleren Beamten, sog. aediles (Quaest. Rom. 263F). Eine symbolische
Kommunikationsabsicht (die zehn Gebote, die zehn Plagen, zehn Männer als Mindestzahl für
eine Synagogengemeinschaft) ist m.E. nicht erkennbar (gegen Ford 1967, 115f). Wichtig ist
lediglich, dass die Zahl durch zwei teilbar ist. Die Frage, ob alle zehn Mädchen oder nur die
fünf Klugen die christliche Gemeinde symbolisieren (Davies/Allison 1997, 392), stellt sich
aus pragmatischer Sicht nicht: Die Mädchen stellen ein Rollenangebot der Annahme und Ablehnung dar. Es geht nicht darum, wem sie repräsentieren, sondern mit wem sich die Hörer
und Hörerinnen identifizieren sollen. Die Erwartungshaltung der christlichen Gemeinde wird
hier im Bild gefasst. Dabei hat die Wendung e˙ß Hupántjsin eis hypantêsin (1c ohne Unterschied zu 6b: e˙ß hapántjsin eis apantêsin) einen deutlich feierlichen Klang (vgl. Ri 11,34
LXX; Tob 11,16; Mt 8,34; Joh 12,13; Apg 28,15). Auf der narrativen Ebene suggeriert der
Begriff, dass der Bräutigam ein hoher Würdenträger ist. Nimmt man noch die zehn Fackelträgerinnen hinzu, dann situiert uns diese kurze Inhaltsangabe – ähnlich wie 22,1-14 – auf der
Hochzeit eines Angehörigen der gesellschaftlichen Eliten. Wichtig für den Sinntransfer ist der
sprachliche Bezug zu 1Thess 4,17:
»…danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem
Herrn entgegen (e˙ß hapántjsin toü kuríou eis apantêsin tou kuriou) in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.«
Ohne eine Abhängigkeit beider Texte annehmen zu wollen, wird hier doch ein ähnlicher
Sprachgebrauch erkennbar. Die Geschichte der Mädchen, die auf dem Bräutigam warten,
wird von vornherein mit Begriffen frühchristlicher Erwartungssprache erzählt.
In VV. 2-4 wird die entscheidende Charakterisierung eingeführt (vgl. 7,24-27). Solche Gegenüberstellungen sind zwar in der Weisheitsliteratur geläufig (Spr 1,7; 3,35; 20,26; 21,22.30;
Sir 20,13.31; 21,18.26; 41,15; auch Dtn 32,6 LXX und das Zwei-Wege-Motiv in Mt 7,13f),
aber das von Mt gebrauchte Gegensatzpaar (phronimos - môros) ist in der griechischen Literatur kaum belegt (im NT neben diesem Text und Mt 7,24.26 nur noch 1Kor 4,10). Im Kontext des MtEvs bezeichnet das Adjektiv phronimos einen vernünftigen, sachverständigen
Mann, der für ein vorgegebenes Ziel (Hausbau) die geeigneten Mittel einzusetzen weiß (Mt
7,24). In der Mission sollen die Jünger ihr Ziel verfolgen und sich dabei »klug« wie Schlangen und einfältig wie Tauben verhalten (Mt 10,16). Schließlich nimmt auch der kluge Knecht
in der Parabel seine Verwaltungsaufgabe treu und zuverlässig wahr, indem er umsichtig zur
rechten Zeit austeilt (Mt 24,45 // Lk 12,42; vgl. auch Lk 16,8). In allen Beispielen handelt es
sich um eine für Mt typische Form »praktischer Vernunft«, die in der Durchführung einer
Aufgabe (Hausbau, Mission, Verwaltung) zum Ausdruck kommt. Es geht um die Angemessenheit der eingesetzten Mittel zur Verwirklichung eines vorgegebenen Ziels. Die Mädchen
sind die einzigen weiblichen Gestalten im MtEv, denen eine solche zweckgerichtete Rationalität zugesprochen wird. Sie sind »klug«, weil sie angesichts ihrer Aufgabe mit den passenden
Mitteln (Fackeln und Öl) ausgestattet sind. Das Gegenteil dieser Haltung ist die Planlosigkeit
der anderen Fünf: Sie haben zwar Fackeln dabei und erwecken den Eindruck, ebenso wie die
Klugen vorbereitet zu sein, aber sie haben keinen passenden Brennstoff. Im Horizont von
Texten wie Mt 5,15f; 7,24-27; 22,11-14 stehen Fackeln mit Öl für das Hören und Tun der
Worte Jesu, wohingegen Fackeln ohne Öl das Hören ohne das Tun, also den Hausbau auf
Sand, veranschaulichen.
Das Verzögerungsmotiv in V. 5 ist grammatikalisch nicht besonders hervorgehoben (anders Bornkamm 1968). In 24,48b gehört es zur Gedankenwelt des bösen Knechts. Hier bildet
es den Anlass dafür, dass alle Mädchen einschlafen. Der Schlaf ist jedoch keine notwendige
11
Folge der Verzögerung, sondern betont (wie die Parabeln in 24,45-50 und 25,14-30) das unerwartete und damit auch der Kontrolle der Mädchen entzogene Kommen des Handlungssouveräns. Es geht in der Parabel um das Vorbereitsein der Mädchen und nicht um die Verzögerung des Bräutigams (Meinertz 1953, 103f; Gundry XXX 496f). Die Parabel eignet sich daher
auch kaum dazu, das (vermeintliche?) Problem der Parusieverzögerung zu verarbeiten (vgl.
2Petr 3,1-8).
Mit einer Zeitangabe in V. 6 (exakt um Mitternacht oder ungefähr mitten in der Nacht) gelangt die Erzählung zu ihrem Ziel (vgl. 25,1). Der Weckruf (vgl. Cant 3,11) mit der Hervorhebungspartikel »siehe« unterstreicht die Bedeutung. Das Aufstehen der Mädchen (7) bietet
sich nicht direkt für eine übertragene Deutung (Schlaf = Tod) an (Gundry XXX, 500). Das
griechische Verb hegeírw (egeirô) ist kein technischer Begriff für die Auferstehung von Toten. Es bezeichnet hier einfach das Aufwachen vom Schlaf bzw. das Aufstehen (vgl. Mt 1,24;
2,13f.20f; 8,15.25f; 9,5-7.19.25; 17,7; 26,46). Dass den dummen Mädchen erst jetzt der Mangel an Brennstoff deutlich wird, ist erstaunlich. Wie werden sie dastehen, wenn gleich der Fackelzug durch die Straßen zieht? Sie suchen nach der einfachsten Lösung: Die anderen Mädchen könnten ihr Öl teilen (V. 8). Doch ganz offensichtlich rechnen die Klugen mit einem
längeren Fackelzug und befürchten, dass sie am Ende alle im Dunkeln stehen könnten. Von
den drei ausführlichen Parabeln in Mt 24–25 reden nur hier die antitypischen Figuren miteinander. Die Bitte um Öl erinnert daran, dass es Aufgabe des klugen und treuen Knechtes war,
den Menschen zur rechten Zeit (en kairô) zu geben (24,45; Carter/Heil 1998, 194). Offenbar
ist jetzt aber die rechte Zeit vorbei (ähnlich die Bitte des reichen Mannes in Lk 16,24). In der
Erzählwelt ist damit eine Situation gegeben, in der das Öl schlicht nicht teilbar ist. Ob die Ölhändler in der Nacht noch bereit stehen, interessiert die Parabel nicht. In einem Stadtkontext
scheint das aber nicht unvorstellbar zu sein, zumal es hier um eine große Hochzeit geht. Obwohl die fünf Unvorbereiteten durch die Verzögerung Zeit hatten, um das Versäumnis nachzuholen, müssen sie jetzt übereilt handeln. Sie können auf keinen Fall ohne brennende Fackeln dem Bräutigam entgegenlaufen.
Die Tragödie nimmt in V. 10 ihren Gang. Die futurische Aussage vom Kommen des Menschensohns (24,47.30.37.39.42.44.50) wird jetzt zu einem Ereignis der Vergangenheit
(êlthen). Dadurch nimmt die Parabel innerhalb der Rede einen Zeitsprung vor. Der Wechsel
der Begrifflichkeit von »klug« zu »vorbereitet« macht deutlich, worum es geht: Die Klugheit
der fünf Mädchen besteht präzise darin, dass sie für ihre Aufgabe vorbereitet sind. Mit dem
Bräutigam zusammen (vielleicht eine Reminiszenz an das Immanuel-Motiv in Mt 1,23; 18,20
und 28,20) gehen sie in das Hochzeitsfest (so ist der Plural gamos in V. 10 am ehesten zu deuten) hinein. Die Formulierung erinnert an die Sprüche vom »Eingehen ins Himmelreich«. In
dieser Perspektive bedeutet »Bereitschaft« die Praxis der »größeren Gerechtigkeit« (Mt 5,20),
die Umsetzung des »Willens Gottes« (7,21) oder die »Umkehr zum Kind« (18,3). Die geschlossene Tür am Ende dieser Szene macht die definitive Trennung deutlich. Das verspätete
Kommen der restlichen Fünf wird durch den Gebrauch des Präsens historicum betont (V. 11).
Sie wollen zum Fest, obwohl sie ihre eigentliche Aufgabe nicht wahrgenommen haben. Wie
in 8f wird auch hier ihrer Bitte nicht entsprochen. Der deutliche Bezug zu 7,21-23 macht ihr
Versäumnis in der Übertragung deutlich: Sie haben nicht den Willen des Vaters getan und gehören als solche auch nicht zur Familie Jesu (12,50; vgl. Carter/Heil 1998, 195). Ob die Ablehnung des Bräutigams (vgl. zur Formulierung 7,23; 26,74 und das ähnlich tragische Ende in
22,11-14) auf der Erzählebene so unerwartet und verwunderlich ist, kann kaum mit Sicherheit
gesagt werden. Immerhin haben sie durch ihre Nachlässigkeit dem Fest an Glanz genommen,
vielleicht das Paar in ihrer Ehre gekränkt und ihr Glück gefährdet (vgl. zur magischen Schutzfunktion von Fackeln im Hochzeitszug Oakley/Sinos 1993, 26). Der doppelte Ausgang der
Parabel weist auf die große Endgerichtsszene in 25,31-46 voraus.
12
V. 13 richtet sich nach außen an die Gemeinde (Davies/Allison 1997, 401). Dass die »abschließende Mahnung zum Wachbleiben […] den Sinn des Gleichnisses« verfehle (Jeremias
10
1984, 48), leuchtet nicht ein. Der Aufruf zur Wachsamkeit (grjgoréw grêgoreô; vgl. Mk
13,35) steht nicht im Widerspruch zum Schlaf der Mädchen, denn es bedeutet im übertragenen Sinn »wachsam, bereit sein« und steht im Zusammenhang mit der Bereitschaft in V. 10
(“etoimoß hetoimos). Im Gegensatz zu den anderen, können es sich die Klugen leisten, bis zum
Kommen des Bräutigams zu schlafen. Sie sind bereit, nicht weil sie die Nacht hindurch wach
bleiben, sondern weil sie zur rechten Zeit ihre Fackeln zum Leuchten bringen können.
Im Rahmen einer sequentiellen Lektüre des MtEvs liegt es nahe, die Parabel von den Mädchen als eine Warnung für die Gemeinde angesichts der endgültigen Scheidung im Gericht zu
lesen. Klug, wachsam und vorbereitet sich jene, die den »Willen des Vaters« tun (7,21), bzw.
die Worte der Bergpredigt hören und tun (7,24). Weitere Überlegungen zur möglichen Symbolbedeutung des Öls erübrigen sich: Die Gemeinde erweist sich darin als »wachsam«, dass
sie nach den in der Bergpredigt dargelegten Anweisungen Jesu wie eine Fackel in der Welt
»leuchtet«.
Das moderne Verständnis ringt jedoch mit Schwierigkeiten. Aus feministischer Perspektive gerät der Unwille der Klugen, mit den anderen zu teilen, ins Kreuzfeuer der Kritik (Balabanski 2002, 73): Die Klugheit der Fünf äußert sich in ihrer Konformität zur patriarchalen
Perspektive des Bräutigams und zugleich in der fehlenden Solidarität gegenüber Anderen. Die
Verbindung von Gericht und definitivem Ausschluss wird von vielen als schwere theologische Hypothek empfunden. Die Freude an der Vollendung des Heils – die auch im Bild der
Hochzeit zur Sprache kommt – wird dadurch getrübt, dass die Einheit der Zehn am Ende definitiv auseinandergerissen wird. Schließlich ist innerhalb des MtEvs zu fragen, warum die
Verheißung aus 7,7f in diesem Szenario nicht mehr gültig ist: Die dummen Mädchen bitten,
doch es wird ihnen nicht gegeben; sie klopfen an, doch es wird ihnen nicht aufgetan.
Es gehört zur Freiheit des Lesens, sich den Identifikationsangeboten eines Textes zu verweigern. In diesem Falle können sich moralische Werturteile darin zu erkennen geben, dass
sich moderne Leser und Leserinnen nicht auf Kosten der Dummen mit den Klugen identifizieren wollen. Damit entzieht man sich zwar der Kontrolle des Erzählers, gewinnt aber einen
Standpunkt, der die Parabel neuen Lektüren gegenüber öffnet. Die binäre Opposition klugdumm verliert aus dieser Perspektive ihre scharfen Grenzen. Die Dummen nehmen die Verheißung von Mt 7,7f ernst, die Klugen folgen nicht der Anweisung Jesu in 5,42 und der Bräutigam handelt wie die Heuchler in 23,13: Er verschließt das Himmelreich und lässt die nicht
hinein, die hineingehen wollen. Es stellt sich die Frage, ob die Haltung moralischer Stetsbereitschaft nur durch die Bezeichnung, Inszenierung und Ablehnung von dummen Mädchen
vermittelbar ist. Eine rabbinische Geschichte aus dem 2. Jh. n. Chr. geht von einer ähnlichen
Gegenüberstellung aus:
»Rabbi Eliezer sagt: Bekehre dich einen Tag vor deinem Tode. Da fragten seine Jünger den Rabbi Eliezer:
Weiss denn etwa ein Mensch, an welchem Tage er sterben wird? Da sagte er zu ihnen: umso mehr soll er
heute Busse tun, vielleicht stirbt er morgen. … Rabbi Johanan ben Zakkai [ca. 70 n.Chr.] sagte ein Gleichnis:
Einst lud ein König seine Diener zur Mahlzeit ein und setzte ihnen keine Zeit fest. Die Klugen schmückten
sich und setzten sich vor die Tür des Königs, indem sie sprachen: Fehlt denn etwas im Haus des Königs? Die
Toren dagegen gingen zur Arbeit fort, indem sie sprachen: Gibt es denn eine Mahlzeit ohne Vorbereitung?
Als der König plötzlich nach seinen Dienern verlangte, traten die Klugen geschmückt ein, die Toren dagegen
traten in ihrem Schmutze ein. Da freute sich der König über die Klugen und zürnte über die Toren und
sprach: Diese da, die sich zur Mahlzeit geschmückt haben, mögen sich setzen und essen und trinken; jene aber, die sich zur Mahlzeit nicht geschmückt haben, mögen stehen bleiben und zuschauen.« (babyl. Talmud
Schabbat 153a = Barrett/Thornton 1991, 222)
Eine systematische Weiterarbeit an der Parabel könnte nach Möglichkeiten suchen, diese Opposition aufzuheben. Die »Klugheit« der Mädchen kann als moralische Vernunft verstanden
werden, die aus der Einsicht heraus handelt, dass ein Leben im Sinne der Bergpredigt das an-
13
gemessene Mittel zur Verwirklichung des guten Lebens und Sterbens ist (vgl. z.B. die rationale Begründung des Altruismus durch Nagel 1998/1970). Dass das Leben ein Ziel hat – sei es
die Parusie oder der persönliche Tod –, gibt dieser Form moralischer Rationalität ein Maß.
Dass im Kontext christlichen Glaubens dieses Ziel die Gesichtszüge des gekreuzigten und
auferstandenen Christus trägt, unterlegt eine solche Klugheitshaltung mit Hoffnung und Sehnsucht (vgl. Phil 1,23). Ob ein Mensch weise, klug und umsichtig gelebt hat, kann jedoch erst
am Abschluss eines Lebens gesagt werden (Bricker 1980, 381). Luther hat es in seiner Übersetzung von Ps 90,12 auf den Punkt gebracht: »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.«
Textparallelen und wirkungsgeschichtliche Aspekte
Die Parabel von den zehn Mädchen hat Dramatik (Freude und Trauer), Ethik (Tugend und
Laster), Eschatologie (Aufnahme und Abweisung), schillernde Figuren (Jungfrauen und Bräutigam) und hermeneutisch produktive Zahlen (10 und 5) und Bilder (Licht und Öl). Sie hat
wie kaum eine andere Parabel eine vielschichtige Wirkungsgeschichte in Gang gesetzt (vgl.
Luz 1997, 477-492 mit Bildmaterial), die auch und gerade außerhalb schriftlicher Rezeptionsprozesse deutliche Spuren hinterlassen hat: Auf vielen Kirchenportalen (z.B. Straßburger
Münster, Freiburger Münster, Basler Münster, Magdeburger Dom), in der Kunst und in mittelalterlichen Jungfrauenspielen (vgl. Körkel-Hinkfoth 1994; Sachs 1974) aber auch in der
Musik (z.B. Bachs Kantate »Wachet auf, ruft uns die Stimme«, BWV 140) und im Kirchenlied (z.B. EG 147). Mt 25,1-13 steht in der römisch-katholischen Lesordnung und in der lutherischen Perikopenordnung am letzten Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag) als
Sonntagsevangelium.
Die Parabel eignet sich zur selektiven polemischen Anwendung: So kann Irenäus in Auseinandersetzung mit der gnostischen Geheimlehre eine Analogie aufstellen zwischen dem
Gang zu den Ölverkäufern und jenen törichten Menschen, die zu denen gehen, »die die Parabelauflösungen im Finstern verkaufen« und schließlich »vom Brautgemach ausgeschlossen«
werden (haer. II 27,2 = dt. Brox 1993, II, 221). Sie werden also nicht ausgeschlossen, weil sie
kein Öl haben, sondern weil sie es am falschen Ort zu kaufen suchen. Die Epistola Apostolorum lässt die fünf Klugen gar nicht erst einschlafen und stellt sie als leuchtendes Vorbild für
die Jünger gegen die Gnostiker dar (EpApost 43-45 = NTAp 229-231). Die individualistische
gnostische Deutung der Parabel steht vielleicht hinter EvThom Logion 75: »Jesus sagte: Viele
stehen an der Tür; die Einzelnen jedoch sind es, die in das Brautgemach eingehen werden.«
Die moralische Dimension wird von Johannes Chrysostomus in seiner entsprechenden
Homilie (Hom. 78; dt. Baur 84-88) ausgelotet. Alle vier Gleichnisse in Mt 24,43-25,30 »sollen uns nämlich auf verschiedene Weise zu demselben Ziele anspornen, nämlich zum Eifer im
Almosengeben und zur möglichsten Unterstützung des Nächsten, da wir auf andere Weise
nicht selig werden können« (Baur 84). Jesus wählt Jungfrauen aus Hochschätzung gegenüber
der Tugend der Enthaltsamkeit. Doch selbst wenn man diese hohe Tugend übt, hat man nicht
genug getan, wenn Mildtätigkeit fehlt. »Mit den Lampen bezeichnet er hier die Gnade der
Jungfräulichkeit, die makellose Reinheit, mit dem Öle die Nächstenliebe, das Almosen, die
den Bedürftigen geleistete Hilfe.« (Baur 85) Der Schlaf verweist auf den Tod und das Aufwachen auf die Auferstehung (mit Hinweis auf 1Thess 4,16). Die Ölhändler (V. 9) sind die Armen. Sie geben den Menschen Gelegenheit zur Nächstenliebe, denn es »gibt nichts Düsteres
als die Jungfräulichkeit, der das Öl fehlt. So nennt auch das Volk die Unbarmherzigen ›finstere Menschen‹.« (Baur 88)
14
Die Platzierung der »klugen und törichten Jungfrauen« an Kirchenportalen dient v.a. der
moralischen Mahnung. Die Tür der Parabel wird dadurch zum Tor, das in den Kirchenraum
führt. In einem syrischen Hymnus zur Einweihung der Kathedrale in Edessa (ca. 543-554)
heißt es ausdrücklich: »Fünf Türen öffnen in [die Kirche] wie die fünf Jungfrauen, und die
Treuen treten durch sie ein, herrlich wie die Jungfrauen in das lichtvolle Brautgemach.«
(McVey 1983, 94f Zeile 17)
Basler Münster Galluspforte, ca. 1180 (vgl. Körkel-Hinkfoth, 238f): Im Tympanon thront Christus mit
Buch und Kreuzfahne zwischen Petrus und Paulus. Links bringt der Bildhauer oder Stifter des Portals
das Kirchentor Christus dar und stellt damit eine Beziehung her zwischen dem Tor der Kirche und der
Tür der Parabel, die auf dem Türsturz die »törichten Jungfrauen« von Jesus trennt. Während die Klugen mit brennenden Lampen und verhülltem Haupt von Christus gesegnet werden, stehen die Törichten mit gesenkten Lampen und offenem Haar vor der Tür.
Trauer und Freude werden am eindrücklichsten am nördlichen Querhausportal des Magdeburger Doms, ca. 1250/60 dargestellt (vgl. Körkel-Hinkfoth, 243f). Die beiden Frauengruppen
werden nicht durch Kleidung oder Haartracht voneinander unterschieden, sondern einzig und
alleine durch die lebhafte Darstellung ihrer Gefühle.
15
Ganz eigene Wege geht William Blake
(1757-1827) in seiner Darstellung der
Parabel: Die Szene hat keine Beziehung
zu einer Hochzeit. Sogar der Bräutigam
fehlt. Während ein Engel mit einer Posaune über dem dunklen Raum das
Endgericht ankündigt, stehen die fünf
Klugen mit brennenden Lampen ruhig
in einer Reihe. Die anderen Fünf befinden sich in einem Zustand höchster Erregung: sie heulen, schreien, fallen in
Ohnmacht, ziehen sich am Haar, halten
sich die Ohren und die Augen zu. Vor
allem aber bitten sie die Klugen um
Hilfe. Die Dramatik ihrer Gesten deutet
darauf hin, dass sie nicht nur um Öl bitten, sondern auch um Gnade. Während
sich alle leuchtend klugen Jungfrauen
von den anderen wegwenden, weist eine mit dem Finger in die entgegensetzte
Richtung des Engels.
»The Parable of the Wise and Foolish Virgins«
ca. 1803–1805, 36 x 33.2 cm, Rogers Fund, 1914, 14.81.2
Die Sinnpotentiale und Umsetzungsmöglichkeiten der Parabel sind äußerst reich. Die zehn
Mädchen führen ein Eigenleben, das sich der Kontrolle des Erzählers und der Einschränkung
durch den matthäischen Erzählrahmen entzieht. Es gehört zwar zur Aufgabe der Exegese, an
die Sinnmöglichkeiten des Textes zu erinnern, aber der produktiven Kraft von Erzählungen
und Bildern ist mit keiner Exegese Einhalt zu gebieten.
Literatur
S. Aalen, Die Begriffe ›Licht‹ und ›Finsternis‹ im Alten Testament, im Spätjudentum und im Rabbinismus, Oslo
1951.
V. Balabanski, Opening the closed door: A feminist rereading of the ›wise and foolish virgins‹ (Mt. 25.1-13), in:
M.A. Beavis (Hg.), The lost coin. Parables of women, work and wisdom, The Biblical Seminar 86, Sheffield 2002, 71-97.
C.K. Barrett/C.J. Thornton, Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 1591, Tübingen 21991.
R. Batey, New Testament Nuptial Imagery, Leiden 1971.
P. Billerbeck (/H.L. Strack), Das Evangelium nach Matthäus erläutert aus Talmud und Midrasch, München
8
1982.
G. Bornkamm, Die Verzögerung der Parusie, in: Geschichte und Glaube I (Aufs. III), München 1968, 46-55.
Ph. Bricker, Prudence, Journal of Philosophy 77 (1980), 381-401
D. Correns, Die Mischna, Wiesbaden 2005.
K.P. Donfried, The Allegory of the Ten Virgins (Mt 25,1-13) as a Summary of Matthean Theology, JBL 83
(1974), 415-428.
B. Eltrop, Unbequeme Mädchen. Eine grenzgängerische Lektüre des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen (Mt
25,1-13), in: C. Janssen/U. Ochtendung/B. Wehn (Hg.), GrenzgängerInnen. Unterwegs zu einer anderen
biblischen Theologie. Ein feministisch-theologisches Lesebuch, Mainz 1999, 199-208.
J.M. Ford, The Parable of the Foolish Scholars (Mt 25,1-13), NT 9 (1967), 107-123.
J. Gagé, Art. Fackel (Kerze), RAC 7 (1969), 154-217.
F.W. Gingrich, The Greek New Testament as a Landmark in the Course of Semantic Change, JBL 73 (1954),
189-196.
16
J. Gnilka, Das Matthäusevangelium 2. Teil, HThKNT I/2, Freiburg 1988.
E. Gräßer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte,
BZNW 22, Berlin 31970.
R.H. Gundry, Matthew. A Commentary on his Literary and Theological Art, Grand Rapids 1982. [nach neuer
Auflage zitieren]
M. Haase / R. Oswald, Art. Hochzeitsbräuche und -ritual, DNP 5 (1998), 649-656.
H.C. Hahn, Art. Licht/Finsternis, ThBLNT2 2 (2000), 1300-1318.
J.P. Heil, Final Parables in the Eschatological Discourse in Matthew 24-25, in: W. Carter/J.P. Heil, Matthew’s
Parables. Audience-oriented Perspectives, CBQMS 30. Washington 1997, 177-209.
H. Heyne, Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen. Eine literarisch-ikonographische Studie,
Leipzig 1922.
M. Hornschuh, Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in der Epistula Apostolorum, ZKG 73 (1962), 1-8.
R.A. Horsley, Spiritual Marriage with Sophia, VigChr 33 (1979), 30-54.
J. Jeremias, Art. númfj ktl., ThWNT 4 (1942), 1092-1099.
J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 101984.
J. Jeremias, LAMPADES Mt 25,1.3f.7f, ZNW 56 (1965), 196-201.
Johannes Chrysostomus: J. Baur, Des Heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Kommentar zum Evangelium des Hl. Matthäus, BKV 27, Kempten/München o.J.
I.H. Jones, The Matthean parables. A literary and historical commentary, NT.S 80, Leiden 1995, 443-462.
A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, Teil 2: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien, Tübingen
1910.
H.-J. Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten, NTA N.F. 13, Münster 21986.
R. Körkel-Hinkfoth, Die Parabel von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13) in der bildenden Kunst
und im geistlichen Schauspiel, EHS 28:190, Bern 1994.
S. Legasse, La parabole des dix vierges (Mt 25,1-13). Essai de synthese historico-litteraire, in: J. Delorme (Hg.),
Les paraboles évangéliques. Perspectives nouvelles, Lectio divina 135, Paris 1989, 349-360.
E. Lövestam, Spiritual Wakefulness in the New Testament, AUL.T 55/3, Lund 1963.
M. Marin, Ricerche sull’ esegesi Agostiniana della parabola delle dieci vergini (Mt 25,1-13), Quaderni di Vetera
Christianorum 16, Bari 1981.
C.-P. März, »Wachet also – denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde«. Mt 24,42-25,30 und die matthäische
Rezeption der Gerichtspredigt in Q, in: R. Kampling (Hg.), »Dies ist das Buch …«. Das Matthäusevangelium. Interpretation – Rezeption – Rezeptionsgeschichte (FS H. Frankemölle). Paderborn 2004, 235-254.
K.E. McVey, The Domed Church as Microcosm. Literary Roots of an Architectural Symbol, Dumbarton Oaks
Papers 37 (1983), 91-121.
M. Meinertz, Die Tragweite des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen, in: J. Schmid (Hg.), Synoptische Studien
(FS A. Wikenhauser), München 1953, 94-106.
Th. Nagel, Die Möglichkeit des Altruismus, Bodenheim 1998. [= The Possibility of Altruism, Oxford 1970.]
E. Parisinou, ›Lighting‹ the World of Women. Lamps and Torches in the Hands of Women in the Late Archaic
and Classical Periods, Greece & Rome 47 (2000), 19-43.
A. Puig i Tàrrech, La parabole des dix vierges, AnBib 102, Rom 1983.
Chr. Riniker, Die Gerichtsverkündigung Jesu, EHS.T 653, Bern 1999.
M.-E. Rosenblatt, Got into the party after all. Women’s issues and the five foolish virgins. Continuum 3 (1994),
107-137 = In: A.-J. Levine / M. Blickenstaff (Hg.), A feminist companion to Matthew, Sheffield 2001,
171-195.
H. Sachs, Art. Jungfrauen, kluge und törichte, LCI 2 (1974), 458-463.
S. Safrai, Home and Family, in: S: Safrai/M. Stern (Hg.), The Jewish People in the First Century, CRINT I/2,
Assen/Philadelphia 1976, 2:726-792.
M.L. Satlow, Jewish Marriage in Antiquity, Princeton 2001.
W. Schenk, Auferweckung der Toten oder Gericht nach Werken. Tradition und Redaktion in Mattäus 25,1-13,
NT 20 (1978), 278-299.
J.M. Sherriff, Matthew 25:1-13. A Summary of Matthaean Eschatology? In: E.A. Livingstone (Hg.), Studia
Biblica 1978. II. Papers on the Gospels, JSNT.S 2, Sheffield 1980, 301-305.
R. Staats, Die törichten Jungfrauen von Mt 25 in gnostischer und antignostischer Literatur, in: W. Eltester (Hg.),
Christentum und Gnosis, BZNW 37, Berlin 1969, 98-115.
F.A. Strobel, Zum Verständnis von Mt 25,1-13, NT 2 (1958), 199-227.
G. Vermes, The Torah is a Light, VT 8 (1958), 436-438.
M. Walter, »Wachet auf, ruft uns die Stimme!« Philipp Nicolai und Johann Sebastian Bach als Ausleger des
Gleichnisses von den klugen und törichten Jungfrauen, in: Hof- und Kirchenmusik in der Barockzeit.
Sinzig 1999, 247-267.
H. Weder: Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, FRLANT 120, Göttingen 31984.
W.L. Westermann, Account of Lamp Oil from the Estate of Apollonius, Classical Philology 19 (1924), 229-260.
R. Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT 122, Tübingen 2001.
17
R. Zimmermann, Das Hochzeitsritual im Jungfrauengleichnis. Sozialgeschichtliche Hintergründe zu Mt 25.1-13,
NTS 48 (2002), 48-70.