Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel
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Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel
Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Perspektiven für den IHK-Bezirk Frankfurt am Main Impressum Herausgegeben von Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main Geschäftsfeld Wirtschaftspolitik und Metropolenentwicklung Dr. Hubertus Hille (verantwortlich) Dr. Martin Debus Börsenplatz 4 60313 Frankfurt am Main Telefon 069 2197-1508 [email protected] Autor Dr. Rainer Behrend Behrend-Institut Wirtschaftsforschung/Politikberatung Hannah-Arendt-Straße 27 60438 Frankfurt am Main Grafik und Layout Sabrina Siegmund April 2011 Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. 2 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel I. Vorwort Der demografische Wandel gehört zweifellos zu den größten Herausforderungen unserer Zeit: Die Bevölkerung sinkt, insbesondere die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, und die Gesellschaft altert. Die demografische Entwicklung birgt jedoch nicht nur Risiken, über die vielfach gesprochen wird. Durch sie bieten sich Unternehmen auch Wachstumschancen. Dieser Aspekt wird in der öffentlichen Diskussion bislang vollkommen vernachlässigt. Die IHK Frankfurt am Main wird daher in einer Reihe von Publikationen eben solche Chancen für Unternehmen aufzeigen, die sich aus den demografischen Veränderungen ergeben. Den Anfang in der Publikationsreihe macht die Gesundheitswirtschaft, denn diese Branche wird in besonderer Weise von der Alterung der Gesellschaft weltweit profitieren. Zudem gehört sie zu den wichtigsten Branchen der Region. Nahezu jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ist in der Gesundheitswirtschaft tätig. Die vorliegende Broschüre liefert Informationen über Wesen und Struktur der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main und zeigt beispielhaft Chancen und Risiken auf, die sich speziell aufgrund des demografischen Wandels für die Branche ergeben. Sie enthält zudem einen Maßnahmenkatalog, der dazu beitragen soll, die Gesundheitswirtschaft in der Region zu stärken und damit langfristig Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Die Untersuchung basiert auf umfassenden Recherchen und Analysen sowie auf Gesprächen mit Vertretern von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft aus der Region. Die Herausforderung des Fachkräftemangels in der Gesundheitswirtschaft wird hier nur am Rande behandelt. Dieses Thema wird explizit in einer weiteren von der IHK Frankfurt am Main initiierten Studie behandelt, die im April 2011 unter dem Titel „Fachkräftebedarf in der Gesundheitswirtschaft in der Region Rhein-Main“ erscheinen wird. Karen Hoyndorf Stv. Präsidentin Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 3 Inhaltsverzeichnis I. II. Vorwort _____________________ 3 Summary ____________________ 6 III. IV. V. Die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft in Deutschland _______ 11 Megatrends der zukünftigen Entwicklung der Gesundheitswirtschaft_______________________ 16 Gesundheitsstandort IHK-Bezirk Frankfurt am Main ____________ 24 1. Gesundheitswirtschaft ≠ Gesundheitswesen _________________ 11 1. Megatrend Demografie ________ 16 1. Frankfurt am Main und Bad Homburg: Gesundheitsstandorte mit Tradition ___________________ 24 2. Medizintechnischer Fortschritt __ 21 2. Gesundheitswirtschaft in Zahlen_ 13 3. Wachstum des Welthandels und Internationalisierung _________ 22 4. Finanzrestriktionen im Gesundheitswesen _________________ 23 4 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel 2. Die wirtschaftliche Bedeutung der Gesundheitswirtschaft im IHKBezirk Frankfurt am Main ______ 25 VI. VII. VIII. Chancen und Risiken für die Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ____________ 28 Chancen nutzen, Risiken vermeiden ___________________ 56 Quellenangaben _______________ 62 1. Krankenhäuser ______________ 28 1. Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ___________ 56 2. Ärzte und Zahnärzte __________ 29 3. Pflegeeinrichtungen __________ 31 4. Pharmaindustrie _____________ 34 5. Die „Rote Biotechnologie“ ______ 39 6. Medizintechnik ______________ 44 7. Telemedizin _________________ 48 8. Pharmagroßhandel und Apotheken_____________________ 50 9. (Medical) Wellness ___________ 54 Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 5 Foto: Fotolia.com/Pixelot II. Summary Gesundheitswirtschaft umfasst mehr als das Gesundheitswesen Zur Gesundheitswirtschaft zählt nicht nur die stationäre und ambulante Gesundheitsversorgung (zum Beispiel Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen), also der Bereich der gemeinhin als Gesundheitswesen bezeichnet wird, sondern ebenso die Pharmaindustrie, die medizinische Biotechnologie, die Medizintechnik, der Handel mit Gesundheitsprodukten sowie die medizinische Forschung und Entwicklung. Ergänzt wird die Gesundheitswirtschaft noch durch Nachbarbranchen und Randbereiche, welche die Gesundheitswirtschaft mit anderen Bereichen verknüpfen. Dazu gehören zum Beispiel der Gesundheitstourismus, gesundheitsbezogene Sport- und Freizeiteinrichtungen oder medizintechnische Anwendungen der Informationstechnologien. Gesundheitsausgaben in Deutschland (2008): 263.216.000.000 Euro In Deutschland beliefen sich die jährlichen Gesundheitsausgaben im Jahr 2008 auf 263,2 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 10,5 Prozent. In Deutschland ist die gesetzliche Krankenversicherung mit einem Anteil von 57,5 Prozent der bedeutendste Ausgabenträger. Die Gesundheitswirtschaft ist Jobmotor – in Deutschland und auch im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Im Jahr 2008 waren deutschlandweit rund 4,6 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft tätig. Dies sind 11,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Auch im IHK-Bezirk Frankfurt am Main gehört die Gesundheitswirtschaft zu den Jobmotoren. Hier sind über 76.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht einem Beschäftigungsanteil von 11,6 Prozent. Die demografische Entwicklung lässt die Gesundheitswirtschaft weiter wachsen Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung von derzeit 6,8 Milliarden auf rund 9,2 Milliarden Menschen anwach- 6 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel sen. Allein in China und Indien werden dann mehr als drei Milliarden Menschen leben. Aus der demografischen Entwicklung und dem wachsenden Wohlstand in den sogenannten Schwellenländern ergeben sich zusätzliche Potenziale für die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen der Gesundheitswirtschaft. In Europa wird die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2050 zurückgehen. In Deutschland ist ein Rückgang auf weniger als 70 Millionen Menschen zu erwarten. Aufgrund der Alterung der Gesellschaft wird die Nachfrage im Gesundheitssektor aber dennoch steigen. Dies ist nicht nur auf die Zunahme spezifischer Erkrankungen, die ab dem 65. Lebensjahr gehäuft auftreten (z. B. Arteriosklerose, Arthritis, Demenz, Altersdiabetes, Osteoporose, Schwerhörigkeit), zurückzuführen, sondern auch auf ein steigendes Gesundheitsbewusstsein in der (alternden) Bevölkerung. Foto: Fotolia.com/Manoj Singh Medizintechnischer Fortschritt, Internationalisierung, Finanzierungsengpässe im System der sozialen Versicherung: Weitere Megatrends prägen die Gesundheitswirtschaft Die Nachfrage nach Gesundheitsprodukten und Dienstleistungen wird durch die Alterung der Gesellschaft in Deutschland grundsätzlich zwar steigen, gleichzeitig wird der drastische Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials aber das soziale Sicherungssystem vor große Herausforderungen stellen. Neue Wege („Gesundheitsreformen“) zur Stabilisierung der Finanzierung des Gesundheitssystems werden auch in den nächsten Jahrzehnten das unternehmerische Umfeld in der Gesundheitswirtschaft prägen. Der technische Fortschritt wird nicht nur ein zusätzlicher „Kostentreiber“ sein. Die zukünftige verstärkte Nutzung moderner Informationstechnologien im Rahmen von E-Health wird langfristig zu einer wichtigen Kostenbremse im Gesundheitswesen werden. Grundlegende Veränderungen im Gesundheitswesen sind von einer zunehmenden Personalisierung der medizinischen Versorgung zu erwarten, die durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor gut zehn Jahren erst ermöglicht wurde. Die größten Wachstumsperspektiven für die Unternehmen ergeben sich aus dem zunehmenden Welthandel im Gesundheitssektor. Allerdings werden aufstrebende Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien nicht nur die Güternachfrage steigern, sondern zugleich auch die internationale Wettbewerbsintensität im Gesundheitssektor erhöhen. Gleichwohl bestehen durch die sehr gute internationale Verkehrsanbindung durch den Flughafen Frankfurt am Main, die Vielzahl global agierender Pharmaunternehmen und die hohe Forschungsdichte Wettbewerbsvorteile für die regionale Wirtschaft. ent wird aufgrund der Alterung der Gesellschaft zunehmen. Bis zum Jahr 2060 werden im IHK-Bezirk Frankfurt am Main voraussichtlich 120.000 Menschen mehr als heute das 75. Lebensjahr erreicht bzw. überschritten haben. Auswirkungen des demografischen Wandels für die regionale Gesundheitswirtschaft • Aber kürzere Verweildauer: Trotz steigender Fallzahlen dürfte es angesichts des Rationalisierungsdrucks und des medizintechnischen Fortschritts auch zukünftig zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer der Patienten in Krankenhäusern kommen. Dies wird einen weiteren Abbau an Krankenhausbetten in der Region ermöglichen. Die ungleiche demografische Entwicklung innerhalb der Metropolregion FrankfurtRheinMain wird jedoch dazu führen, dass die Versorgungsfunktion Frankfurts innerhalb der Gesamtregion gestärkt wird. • Mehr Krankenhausaufenthalte: Die Zahl der Patienten in Krankenhäusern bzw. die Zahl der durchschnittlichen Krankenhausaufenthalte je Pati- • Ärztemangel: Mittelfristig besteht im IHK-Bezirk Frankfurt am Main das Risiko eines Ärztemangels. Einerseits wird angesichts der überdurchschnitt- Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 7 Foto: Fotolia.com/iceteastock lichen Entwicklung der Einwohnerzahl und der stärker werdenden Versorgungsfunktion Frankfurts die Nachfrage nach Ärzten steigen, gleichzeitig führt die demografische Entwicklung zu einem Rückgang des Ärztenachwuchses. • Mehr Gemeinschaftspraxen: Als Reaktion ist mit organisatorischen Anpassungsprozessen zu rechnen. Während die Anzahl der Einzelpraxen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main in Zukunft zurückgehen wird, ist gleichzeitig mit einem stetigen Wachstum von medizinischen Versorgungszentren (großen Gemeinschaftspraxen) zu rechnen. Dies gilt insbesondere in den Gemeinden der beiden Landkreise (Hochtaunus-/Main-Taunus-Kreis) des IHK-Bezirks. • Neue Herausforderungen im Pflegebereich: Einer der Hauptwachstumsmärkte in der Gesundheitswirtschaft wird angesichts eines drastischen Anstiegs der Pflegebedürftigen der Bereich „Pflege und Betreuung“ sein. Dabei werden sich für die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen neue Herausforderungen stellen: höhere qualitative Anforderungen an die Pflege als Folge des Wertewandels, höhere kulturelle Vielfalt in den Pflegeheimen, aber auch eine stark steigende Anzahl Demenzkranker. Die größte Herausforderung wird jedoch die Bewältigung des bereits heute schon bestehenden gravierenden Arbeitskräftemangels im Pflegebereich darstellen. • Veränderte Pharmamärkte: Die Pharmaindustrie zählt zu den Schlüsselbranchen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main. Aufgrund von Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen, die insbesondere die Pharmaproduzenten belasten (2009 sparten die gesetzlichen Krankenkassen allein 935 Millionen Euro bei den Herstellern durch Zwangsrabatte ein), wird sich das zukünftige Wachstum weniger im Inland, sondern vor allem im Ausland vollziehen. Allerdings profitiert die stark exportorientierte regionale Pharmaindustrie vom weltweiten Wachstum der Nachfrage nach Medikamen- 8 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel ten. Bis zum Jahr 2025 dürfte sich der Umsatz auf dem Weltpharmamarkt verdoppeln. • Fachkräftemangel im Pharmabereich: Bislang besteht kein allgemeiner Fachkräftemangel in den im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen der Pharmaindustrie. Neben der leistungsfähigen Hochschullandschaft ist hierfür auch der Trend zur Bildung internationaler Teams in global ausgerichteten Unternehmen verantwortlich. Ein Mangel besteht jedoch derzeit in bestimmten Fachdisziplinen, wie etwa der Bioinformatik. Außerdem fehlen berufserfahrene Kräfte, die sowohl über kaufmännisches wie technisches Know-how verfügen. In den nächsten Jahrzehnten wird sich speziell für die mittelständischen Betriebe der Pharmaindustrie das Arbeitskräfteangebot spürbar verknappen. • Pharmahandel steigt: Der Pharmahandel profitiert von der gesellschaftlichen Alterung. Bereits in den letzten zehn Jahren stieg der jährliche Foto: Fotolia.com/Sven Hoppe Umsatz im Durchschnitt um 4,5 Prozent (im Einzelhandel insgesamt um 1 Prozent). Die überdurchschnittliche Entwicklung im Pharmahandel wird sich in Zukunft fortsetzen, geben doch über 60-Jährige dreimal so viel für Arzneimittel aus wie Personen unter 60 Jahren. Bis zum Jahr 2025 wird bei unverändertem Verordnungsverhalten der Ärzte der Apothekenumsatz real um 30 Prozent steigen. Aufgrund von Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen ist jedoch kein Anstieg der Beschäftigtenzahl im Pharmahandel zu erwarten. Die Zahl der Apotheken im IHK-Bezirk Frankfurt am Main wird langfristig leicht zurückgehen. • Chance für Biotechnologie: Frankfurt gehört zu den führenden Standorten der medizinischen Biotechnologie in Deutschland. Schon heute gehört die Biotechnologie zu den Wachstumstreibern in der Gesundheitswirtschaft – ihre Bedeutung wird in Zukunft zunehmen. Dabei werden altersspezifisch gehäufte Erkrankungen verstärkt in den Mittelpunkt der biotechnologischen Forschung rücken. Besondere Wachstumsmärkte werden unter anderem die humangenetische Diagnostik und die Regenerationstechnologien sein. • Weniger Existenzgründungen: Die noch junge Biotech-Branche ist auf Gründungen (aus der Hochschule heraus) angewiesen. Mit dem zukünftigen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter verringert sich jedoch auch die Zahl der potenziellen Existenzgründer. Bei konstanter Gründungsbereitschaft in den jeweiligen Alterskohorten ist bis zum Jahr 2050 im IHK-Bezirk Frankfurt am Main mit einem Rückgang der Zahl der Existenzgründungen um 30 Prozent zu rechnen. • Wachstumsperspektiven für Medizintechnik: Die Unternehmen der Medizintechnik im IHK-Bezirk Frankfurt am Main werden von einer wachsenden Nachfrage nach medizintechnischen Geräten zur Kompensation von altersbedingten Einschränkungen, wie Hörgeräten und Prothesen, profitieren. Auch die Nachfrage nach medizintechnischen Produkten zur Gesundheitsvorsorge und Überwachung wird steigen. Zudem bietet der starke Zuwachs an älteren Menschen, die weiterhin aktiv und attraktiv bis ins hohe Alter bleiben möchten, besondere Wachstumsperspektiven für die kosmetische Chirurgie in der Region. • Wachsende Bedeutung der Telemedizin: Vor allem die ländlichen Regionen werden in Zukunft überdurchschnittlich an Bevölkerung verlieren. Vor diesem Hintergrund wird es ökonomisch nicht mehr vertretbar sein, sämtliche medizinischen Angebote in einzelnen Teilregionen aufrechtzuerhalten. Die Telemedizin bietet hier eine Lösung, um auch bei räumlicher Trennung von Patienten und medizinischem Fachpersonal eine gute Versorgung zu gewährleisten. Der Gesundheitsstandort Frankfurt wird in besonderer Weise vom Wachstum der Telemedizin profitieren. Zum einen wird der demografische Wandel die Versorgungsfunktion Frankfurts für das Umland und darüber hinaus Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 9 • Hohes Marktpotenzial für Wellness/ Fitness: Das steigende Gesundheitsbewusstsein und der Trend zu einem gesünderen Lebensstil in Teilen der Bevölkerung sind Wachstumstreiber für den Bereich Wellness und Fitness in der Region. Dabei wird das Wellness- und Fitnessangebot in der Zukunft zunehmend differenzierter ausfallen und der medizinische Aspekt im Zuge einer alternden Gesellschaft stärker in den Vordergrund treten als bisher. Mit über 5,2 Millionen Menschen innerhalb der Metropolregion, die über eine insgesamt überdurchschnittliche Kaufkraft verfügen, ergibt sich ein gutes Marktpotenzial für „Medical Wellness“. 10 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Foto: Fotolia.com/jamstockfoto stärken. Zum anderen bietet die gesamte Region FrankfurtRheinMain das dichteste Netzwerk von Unternehmen aus den Bereichen Softwareentwicklung, IT-Beratung, IT-Services und Systemintegration in Deutschland. Für diese I&K-Unternehmen ergeben sich im Gesundheitssektor ganz neue Marktfelder und Wachstumschancen. Chancen nutzen – Risiken vermeiden: Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Die IHK Frankfurt am Main hat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft in der Region entwickelt. Vorrangige Aufgaben sind: • die bessere Positionierung und Vermarktung des Gesundheitsstandortes Frankfurt am Main, • die nachhaltige Verminderung des Fachkräftemangels und • die Stärkung der Innovationsfähigkeit der Unternehmen. III. Die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft in Deutschland 1. Gesundheitswirtschaft ≠ Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen bildet den Kern der Gesundheitswirtschaft Wenn wir von „Gesundheitswirtschaft“ sprechen, so denken wir zuallererst an die stationäre und ambulante Gesundheitsversorgung mit den personalintensiven Dienstleistungsbereichen der Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Arztpraxen sowie der stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Dieser Bereich wird gemeinhin als Gesundheitswesen bezeichnet und bildet den Kern der Gesundheitswirtschaft. Health Care Industries, medizinische Forschung und Pharmahandel bilden einen weiteren Schwerpunkt der Gesundheitswirtschaft Die Gesundheitswirtschaft umfasst jedoch mehr als das Gesundheitswesen. Hierzu zählen auch die Herstellung und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen, die a) der Vorbeugung, b) der Gesunderhaltung und c) der Gesundwerdung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Daher gehören Pharmazie, medizinische Biotechnologie sowie Medizin- und Gerontotechnik (die sogenannten Health Care Industries) ebenso zur Gesundheitswirtschaft wie der Handel mit Gesundheitsprodukten sowie die medizinische Forschung und Entwicklung. Der „zweite Gesundheitsmarkt“ Darüber hinaus gibt es Nachbarbranchen und Randbereiche, welche die Gesundheitswirtschaft mit anderen Segmenten verknüpfen. Dazu gehören zum Beispiel Teilbereiche des Tourismus (Gesundheitstourismus, Medical Wellness), gesundheitsbezogene Sportund Freizeiteinrichtungen, Ernährung (Ernährungsberatung, Functional Food), Informations- und Kommunikationstechnologien (medizintechnische Anwendungen, Sicherheitstechniken u. a.) und Wohnen (etwa altersgerechte Wohnformen). Der Übergang zur Gesundheitswirtschaft und anderen Bereichen ist fließend – eine eindeutige Abgrenzung gibt es bislang nicht. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 11 Das Schichtenmodell der Gesundheitswirtschaft Das Schichtenmodell der Gesundheitswirtschaft Die Struktur der Gesundheitswirtschaft lässt sich in Anlehnung an das Standardmodell des Instituts Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, anhand eines Schichtenmodells darstellen. Sport und Freizeit nversicherung Kranke c Pharm aze uti s ik te ch n liche Verwaltu Öffent ng Wohnen Ge olog ie i diz Me Wellness g und Entwicklung rk dwe an und Fa ch -, s n schu tsh Bio- Gesundheitswesen und Pflegeeinrichtungen nt ec hn To ur ism u For it Gesundheitsp del m rod uk han ß ten o Gr e i G r e t s sun u d dh In ei he n e n) thek del (inkl. Apo aft Or g sch g t r anis i t sw ation run der Gesundhei äh n r E Einz elhan Quelle: Institut Arbeit und Technik 12 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel 2. Gesundheitswirtschaft in Zahlen Gesundheitsausgaben in Deutschland: 263,2 Milliarden Euro pro Jahr = 10,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes In der öffentlichen Diskussion wird die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft in der Regel ausschließlich über die Gesundheitsausgaben im Gesundheitswesen betrachtet. Tatsächlich erscheint die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen auf den ersten Blick beängstigend. Im Jahr 2008 gaben jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland durchschnittlich 3.210 Euro für die Gesundheit aus. Das waren 130 Euro pro Person mehr als noch im Jahr zuvor. Insgesamt beliefen sich die Gesundheitsausgaben auf 263,2 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 10,5 Prozent. Damit ist Deutschland in Bezug auf die Gesundheitsausgaben jedoch längst nicht Spitzenreiter. So liegt der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten zum Beispiel bei 16 Prozent. Gesundheitsausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (2008), ausgewählte Länder 16,0 USA 11,1 Frankreich 10,8 Schweiz 10,5 Deutschland 9,9 Dänemark 9,5 EU-15 8,4 Großbritannien 8,2 Finnland 0 5 10 15 20 Prozent Quellen: Statista, Behrend-Institut Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 13 Anders als etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika ist in Deutschland die gesetzliche Krankenversicherung der bedeutendste Ausgabenträger, mit 151,5 Milliarden Euro bzw. 57,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Lediglich 9,5 Prozent entfielen auf die privaten Krankenversicherungen. Dabei sind die ärztlichen Leistungen mit 71,5 Milliarden Euro und die Arznei- und Hilfsmittel mit 56,0 Milliarden Euro die bedeutsamsten Leistungsarten. Gesundheitsausgaben nach Leistungsarten Verwaltungsleistungen: 5 % Sonstiger medizinischer Bedarf: 4 % Prävention/Gesundheitsschutz: 4 % Zahnersatz: 3 % Ärztliche Leistungen: 28 % Arznei- und Hilfsmittel: 22 % Pflege/therapeutische Leistungen: 25 % Unterkunft, Verpflegung, Transporte: 9 % Quellen: Statistisches Bundesamt, Gesundheitsausgabenrechnung 2009, Behrend-Institut 14 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Gesundheitswirtschaft ist Jobmotor Die wirkliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gesundheitswirtschaft lässt sich mit ausschließlicher Betrachtung der Gesundheitsausgaben nicht erfassen. Sie vernachlässigt die besondere Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. So waren im Jahr 2008 rund 4,6 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft tätig. Das sind immerhin 11,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Berücksichtigt man zusätzlich noch den „zweiten Gesundheitsmarkt“, dann arbeiten insgesamt sogar rund 5,4 Millionen Menschen in der Gesundheitswirtschaft. Das heißt: Jeder siebte Erwerbstätige in Deutschland ist in dieser Branche tätig. Es gibt in Deutschland: 2.080 160 45 Krankenhäuser (2009) gesetzliche Krankenkassen (Oktober 2010) Unternehmen der privaten Krankenversicherung (2009) 90.176 Arztpraxen (März 2010) 21.548 Apotheken (2009) 11.029 stationäre Pflegeeinrichtungen (2008) 11.529 ambulante Pflegeeinrichtungen (2008) 11.250 Medizintechnikunternehmen (2008) 975 pharmazeutische Unternehmen (2008) 531 Biotech-Kernunternehmen (2009) Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, März 2011. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 15 IV. Megatrends der zukünftigen Entwicklung der Gesundheitswirtschaft Die Gesundheitswirtschaft – in Deutschland wie im IHK-Bezirk Frankfurt am Main – wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägenden Trends ausgesetzt sein: dem demografischen Wandel, dem medizintechnischen Fortschritt, einer fortschreitenden Internationalisierung und schließlich einer weiteren Zunahme des Dienstleistungssektors im Vergleich zum Produzierenden Gewerbe (Prozess der Tertiarisierung). 1. Megatrend Demografie Daten und Fakten zur demografischen Entwicklung1 Wachsende Weltbevölkerung – Bevölkerungsabnahme in Europa • Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung von derzeit 6,8 Milliarden auf rund 9,2 Milliarden Menschen wachsen. • Selbst wenn man eine jährliche Nettozuwanderung von 100.000 Menschen bis zum Jahr 2050 unterstellt, wird die Einwohnerzahl in Deutschland auf unter 70 Millionen sinken. 100 80 • Das stärkste Bevölkerungswachstum wird sich in Afrika, südlich der Sahara, vollziehen. Bis zum Jahr 2050 werden voraussichtlich über zwei Milliarden Menschen den afrikanischen Kontinent bevölkern. 40 1 • Das Phänomen alternder Gesellschaften ist nicht nur ein deutsches oder Verschiebung der Altersstruktur 2005—2050 weltweit • Im Jahr 2050 werden allein in den Schwellenländern China und Indien mehr als 3 Milliarden Menschen leben. • Europa wird der einzige Kontinent sein, in dem die Bevölkerung zurückgeht. Im Jahr 2050 werden es weniger als 700 Millionen Einwohner sein. Die Alterung der Gesellschaft: ein weltweites Phänomen 60 20 0 Afrika 2005 2050 2005 Asien 2050 Europa 2005 2050 Nordamerika 2050 2005 80 Jahre u. älter 0,4 1,1 1,0 4,4 3,5 9,6 3,6 8,0 65—79 Jahre 2,9 6,0 5,2 12,9 12,4 17,8 8,9 14,0 15—64 Jahre 55,5 65,6 65,6 64,8 68,2 57,6 67,0 61,1 0—14 Jahre 41,2 27,3 28,2 17,9 15,9 15,0 20,5 16,9 Vgl. IHK Frankfurt am Main (Hrsg.): Demografischer Wandel – Wirtschaftsstruktur – Wirtschaftswachstum, Frankfurt 2011. 16 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Quellen: Vereinte Nationen, Behrend-Institut europäisches Phänomen. Es vollzieht sich überall auf der Welt. Altersstruktur Deutschland 2008—2060 • Während die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener im Jahr 1950 weltweit noch bei 46 Jahren lag, sind es heute bereits 68. Bis zum Jahr 2050 wird die durchschnittliche Lebenserwartung voraussichtlich auf über 75 Jahre ansteigen. • In Deutschland wird eine überdurchschnittliche Alterung der Bevölkerung zu verzeichnen sein. Die Wirtschaft wird einen drastischen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials zu verkraften haben. Heute leben 50 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 65 Jahren in Deutschland. Im Jahr 2060 werden es voraussichtlich weniger als 34 Millionen sein. 5,0 7,5 8,3 11,0 14,7 14,1 18,4 20,0 19,7 19,7 18,4 24,4 22,5 22,0 22,5 10,7 9,7 9,7 9,8 9,4 19,0 17,0 16,7 16,0 15,4 15,6 2008 2020 2030 2040 2050 2060 15,5 15,8 20,5 80 21,1 18,9 24,2 Prozent • Die Geburtenrate sinkt weiter. Während weltweit im Jahr 1950 noch jede Frau durchschnittlich 5 Kinder zur Welt brachte, sind es heute nur noch 2,5 und im Jahr 2050 werden es voraussichtlich nur noch 2,0 Kinder sein. 100 20,4 60 29,6 24,8 40 12,0 20 0 Jahr unter 20-Jährige 20 bis unter 30 Jahre 30 bis unter 50 Jahre 50 bis unter 65 Jahre 65 bis unter 80 Jahre 80 Jahre und älter Quellen: Statistisches Bundesamt, Behrend-Institut Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 17 Foto: Fotolia.com/Yuri Arcurs Frankfurt am Main: wachsende und alternde Stadt • Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten zwanzig Jahren die Einwohnerzahl in der Stadt Frankfurt weiter zunehmen und dann bis zum Jahr 2050 stabil bleiben wird. Doch auch wenn Frankfurt am Main in Zukunft eine vergleichsweise junge Stadt bleiben wird: In den nächsten 50 Jahren wird sich die Zahl der Senioren über 75 Jahre mehr als verdoppeln. • Im Hochtaunus- und Main-TaunusKreis wird im Jahr 2060 jeder fünfte Einwohner älter als 75 Jahre sein. Zunahme altersbedingter Krankheiten Die Alterung der Gesellschaft führt zu einer Zunahme spezifischer Erkrankungen. Vor allem folgende Erkrankungen treten nach dem 65. Lebensjahr gehäuft auf: Angina Pectoris, Arteriosklerose („Arterienverkalkung“), Arthritis (Gelenkentzündung), chronische Bronchitis, Demenz (insbesondere Alzheimer-Demenz), Depression, Diabetes II (Altersdiabetes), Durchblutungsstörungen des Gehirns, Herzinfarkt, Katarakt (grauer Star), Osteoporose (Knochenbrüchigkeit), Parkinson (Schüttellähmung), Schwerhörigkeit, Tumore (Brustkrebs, Prostatakrebs), Venenschwäche.2 Steigendes Gesundheitsbewusstsein einer alternden Gesellschaft Wann ist man alt? „Alle wünschen, dass sie das Alter erreichen, doch wenn es erreicht ist, klagen sie es an“ (Cicero: Über das Alter, „De senectute“). Diese Beschreibung Ciceros gilt auch für die Moderne. Sie hängt mit einem grundsätzlichen Pessimismus gegen2 Die Ableitung medizinischer Trends war wesentlicher Bestandteil von Interviews mit Unternehmensvertretern aus der Region (siehe Quellenangaben). Einen guten Überblick liefert zudem: Gassmann, O./Reepmeyer, G.: Wachstumsmarkt Alter – Innovationen für die Zielgruppe 50+, München/Wien 2006. 18 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel über dem Alter und dem Älterwerden zusammen. Das Alter wird verbunden mit Krankheit, Verfall und schließlich dem Tod. Doch wann ist der Mensch überhaupt „alt“ und wie verhält sich der Gesundheitszustand in Relation zum Alter? Es gibt keine einheitliche Definition, ab wann ein Mensch zu den „Alten“ gehört – in Deutschland wird in der Regel mit Eintritt des gesetzlichen Renteneintrittsalters (zurzeit 65 Jahre) die Grenze zum Beginn des Seniorenalters gezogen. Wenn man jedoch die Lebensphase mit einbezieht, in der eine aktive Auseinandersetzung mit dem beruflichen Ruhestand einsetzt, so ist die Grenze eher bei 55 Jahren zu ziehen. Die vier Lebensphasen des Alters In Anlehnung an den Genfer Altersforscher Christian Lalive d´Epinay erkennt man bei älteren Menschen grundsätzlich vier typologisierte Lebensphasen: Foto: Fotolia.com/falkjohann 1. Phase: Nahender Renteneintritt – die Personen in dieser Lebensphase sind zwar noch erwerbstätig, der Übergang in die nachberufliche Phase zeichnet sich jedoch ab. 2. Phase: Autonomes Rentenalter – diese an die Erwerbsarbeit anschließende Phase ist durch eine hohe soziale und persönliche Autonomie gekennzeichnet. Der Gesundheitszustand und die vorhandenen Kompetenzen erlauben es, das Rentenalter nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten und zu genießen. 3. Phase: Verstärkte Gebrechlichkeit – Behinderungen und funktionale Einschränkungen wie etwa Gehschwierigkeiten und Hörprobleme erschweren das eigenständige Leben und führen zu Anpassungen der Aktivitäten. 4. Phase: Abhängigkeit – diese Lebensphase ist durch gesundheitlich bedingte Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit charakterisiert. Starke physische und/oder kognitive Einschränkungen führen dazu, dass ein selbstständiges Leben kaum mehr möglich ist. Es ist vor allem dieser letzte Lebensabschnitt, der das negative Bild vom Alter in unserer Gesellschaft prägt.3 Wachsendes Gesundheitsbewusstsein einer alternden Gesellschaft Für den Einzelnen ist es offensichtlich erstrebenswert, die zweite Lebensphase des Alters, das autonome Rentenalter, möglichst lange zu erhalten. Daher steigt im Durchschnitt spätestens in dieser Phase auch das grundsätzliche Gesundheitsbewusstsein. Waren und Dienstleistungen, die der Gesundheitsprävention dienen, werden in diesem Lebensabschnitt verstärkt nachgefragt. 3 Vgl. Gassmann, O./Reepmeyer, G., a.a.O., S. 9–S. 11, ausführlich: Lehr, U.: Psychologie des Alterns, 11. Auflage, Wiebelsheim 2011. In den letzten Jahrzehnten hat sich der physische und psychische Gesundheitszustand der Menschen über 65 Jahre erheblich verbessert. Inzwischen bezeichnen 92 Prozent der über 65-jährigen Deutschen den eigenen Gesundheitszustand als gut bis befriedigend.4 Der verbesserte und sich weiter verbessernde Gesundheitszustand der Menschen im Alter und die wachsende Lebenserwartung, die für heute Geborene über 15 Jahre höher liegt als im Jahr 1950, führt dazu, dass sich das autonome Rentenalter zunehmend verlängert. Dieser Trend wird sich langfristig auch in Zukunft – trotz Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre – fortsetzen, da die Lebenserwartung stärker steigen wird als die Lebensarbeitszeit. 4 Vgl. Gassmann, O./Reepmeyer, G., a.a.O., S. 43. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 19 Höhere Ansprüche und der Trend zur Individualisierung Ein weiterer wichtiger Trend, den die Gesundheitswirtschaft berücksichtigen muss, ist der gesellschaftliche Wertewandel. Die zukünftigen Senioren haben schon jetzt ganz andere Lebenserfahrungen gemacht und andere Wertvorstellungen entwickelt als die heutigen Rentner und Pensionäre. So unterscheiden sich aktuell diejenigen Ruheständler, die noch die Entbehrungen der Kriegsund Nachkriegszeit miterlebt haben, in ihren Wertvorstellungen und in ihrem Konsumverhalten deutlich von der sogenannten 68er-Generation. In Zukunft wird es zu einem noch stärkeren Wandel der Wertvorstellungen kommen. Die folgende Übersicht gibt in typologisierter Form einen Überblick über Wertvorstellungen der heute alten (Geburtsjahrgänge 1920 bis 1940) und der zukünftig alten Generation (Geburtsjahrgänge 1965 bis 1985). Wertvorstellungen unterschiedlicher Generationen Werte der älteren Generation (Jahrgänge 1920–1940) Werte der jüngeren Generation (Jahrgänge 1965–1985) Arbeitsethos Freizeitorientierung Erfahrung mit politischem und wirtschaftlichen Chaos Wohlstandserfahrung Entbehrungsmentalität Genussorientierung Sparbereitschaft Verschuldungsbereitschaft Zukunftsorientierung Gegenwartsorientierung Prestige des Besitzes Prestige der Verwendung Verpflichtung gegenüber Konventionen Individualisierung Großfamiliensituation Kleinfamiliensituation Bildung als Privileg Bildung als Selbstverständlichkeit Quelle: Gassmann, O./Reepmeyer, G., a.a.O. Letztlich führen die veränderten Wertvorstellungen zu einer stärkeren Individualisierung und einem erhöhten Anspruchsdenken alter Menschen. Diese 20 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Veränderungen werden sich unmittelbar auf die Gesundheitsversorgung und auf die Gesundheitswirtschaft auswirken. 2. Medizintechnischer Fortschritt Personalisierte Versorgung als Folge des medizintechnischen Fortschritts und des Wertewandels Der Trend zur Individualisierung der Gesellschaft wird sich in Verbindung mit dem medizintechnischen Fortschritt in besonderer Weise auf die Gesundheitswirtschaft auswirken. Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor gut zehn Jahren stehen inzwischen zunehmend technische Verfahren zur Verfügung, die eine Personalisierung der medizinischen Versorgung ermöglichen. Im Rahmen des damit ermöglichten Wandels von Diagnose und Therapie von Erkrankungen wird die personalisierte Medizin an Bedeutung gewinnen. Das heißt: Das zu heilende Individuum mit seinen genetischen Eigenschaften wird in den Mittelpunkt gestellt und nicht mehr die zu therapierende Krankheit. Diese Entwicklung wird zu einer grundlegenden Veränderung im Gesundheitswesen bzw. der Gesundheitswirtschaft führen. Nutzung moderner Informationstechnologien gesetzt werden (müssen). Der technische Fortschritt im Rahmen von E-Health wird langfristig zur Kostenbremse im Gesundheitswesen werden (siehe hierzu Seite 48). Informationstechnologien als Kostenbremse Die Entwicklung, Einführung und Verbreitung neuartiger oder wesentlich verbesserter Produkte – der technische Fortschritt – waren in der Vergangenheit die hauptsächlichen Kostentreiber im Gesundheitswesen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben. Der Trend zur personalisierten Medizin wird zunächst ebenfalls zu zusätzlichen Kosten führen, bevor sich gerade hieraus in Zukunft erhebliche Einsparpotenziale ergeben werden. Vor dem Hintergrund der sogenannten Kostenexplosion im Gesundheitswesen wird in Zukunft verstärkt auf die Foto: Fotolia.com/Klaus Eppele Gespräche mit Unternehmensvertretern der Gesundheitswirtschaft (s. Quellenverzeichnis) haben verdeutlicht, dass es vor allem zwei Bereiche des medizintechnischen Fortschritts sind, welche die Branche nachhaltig verändern werden: die neuen Möglichkeiten zur Personalisierung der medizinischen Versorgung und die Weiterentwicklung der Anwendungsmöglichkeiten von Informationstechnologien im Gesundheitssektor. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 21 3. Wachstum des Welthandels und Internationalisierung • Entgrenzung der Wertschöpfungsketten und verstärkte Netzwerkbildung in der Gesundheitswirtschaft, • Anstieg der Direktinvestitionen in der Gesundheitswirtschaft. • Zunahme des Welthandels im Gesundheitsbereich, • Verlagerung der wirtschaftlichen Schwerpunkte und Kapitalströme (insbesondere) nach Asien, • steigende Bedeutung des afrikanischen Marktes für die Gesundheitswirtschaft, • zunehmendes Outsourcing speziell im industriellen Sektor der Gesundheitswirtschaft (Zunahme des Anteils des Dienstleistungsbereichs – Tertiarisierung), 22 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Foto: Fotolia.com/imageteam Bereits heute sind insbesondere die Health Care Industries in starkem Maße international verflochten. In Zukunft wird die Internationalität der Märkte im Gesundheitswesen weiter voranschreiten – auf der Angebotsseite ebenso wie auf der Nachfrageseite. Der Prozess wird insbesondere durch folgende Entwicklungen geprägt werden: 4. Finanzrestriktionen im Gesundheitswesen In Deutschland wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein politisches Thema von hoher Bedeutung bleiben: Wie lässt sich das Gesundheitssystem trotz des Anstiegs der Zahl alter Menschen, des drastischen Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials und der wachsenden medizintechnischen Möglichkeiten finanzieren? Der Anpassungsdruck ist beträchtlich. Die unten stehende Übersicht gibt einen Überblick über die „Gesundheitsreformen“ der letzten dreißig Jahre. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch in Zukunft werden die Rahmenbedingungen der Gesundheitswirtschaft vor dem Hintergrund der Kostendämpfung maßgeblich von den politischen Entscheidungsträgern bestimmt werden. Übersicht Gesundheitsreformen 1982 1983 1984 1989 1993 1996 1997 1998 1999 2000 Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz Haushaltsbegleitgesetz Teil I Haushaltsbegleitgesetz Teil II Gesundheitsreformgesetz Gesundheitsstrukturgesetz 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz Beitragsentlastungsgesetz GKV-Finanzstärkungsgesetz GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz GKV-Gesundheitsreformgesetz 2001 2001 Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleiches Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz Beitragssatzsicherungsgesetz Gesundheitsmodernisierungsgesetz Gesundheitsreformgesetz GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Gesundheitsfonds 2001 Gesetz zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen Krankenversicherung 2010/ 2011 2002 2002 2003 2004 2005 2007 2009 Arzneimittelneuordnungsgesetz Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 23 V. Gesundheitsstandort IHK-Bezirk Frankfurt am Main 1. Frankfurt am Main und Bad Homburg: Gesundheitsstandorte mit Tradition Frankfurt am Main wurde erst spät – zum Ende des 19. Jahrhunderts – zur Industriestadt. Dabei ist die Industrialisierung von Frankfurt am Main und der gesamten Rhein-Main-Region eng mit der Entwicklung der pharmazeutischen Industrie verbunden. Carl Meister, Eugen Lucius und Ludwig Müller gründeten 1863 in Höchst am Main eine Fabrik, zunächst zur Produktion von Teerfarbstoffen. 1883 begann die Herstellung des fiebersenkenden und schmerzstillenden Antipyrin und 1892 schließlich – vier Jahre nachdem die „Farbwerke Höchst AG, vorm. Meister Lucius & Brüning“ an die Börse gegangen waren – folgte das erste Immunpräparat von Hoechst. Frankfurt am Main und die gesamte Rhein-Main-Region entwickelten sich fortan zu einem der führenden Chemieund Pharmastandorte in Europa. 24 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Champagnerluft und Tradition Foto: Fotolia.com/Alexander Raths Carl Meister, Eugen Lucius, Ludwig Müller Nahezu zeitgleich mit der industriellen Entwicklung Frankfurts etablierte sich Bad Homburg als mondäner, internationaler Kurort, was entscheidend durch die Spielbank gefördert wurde. Nach 1888 wurde Bad Homburg Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II. Seitdem haben sich die Zeiten zwar geändert und Bad Homburg ist heute ein moderner Wohnund Wirtschaftsstandort. Aber für die Stadt mit dem wichtigen Standortfaktor „Kur- und Bäderbetrieb“ gilt nach wie vor das Motto „Champagnerluft und Tradition“. 2. Die wirtschaftliche Bedeutung der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Über 76.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Durch die Verbindung von chemischpharmazeutischer Industrie und renommierten Kur- und Rehabilitationseinrichtungen entstand seitdem in der gesamten Metropolregion FrankfurtRheinMain ein leistungsfähiges Gesundheitscluster. Allein im IHK-Bezirk Frankfurt am Main (Stadt Frankfurt am Main, Hochtaunuskreis, Main-Taunus-Kreis) sind rund 76.000 Personen in der Gesundheitswirtschaft sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht einem Anteil an der Gesamtbeschäftigung in Höhe von 11,6 Prozent. Wie überall in Deutschland hat auch im IHK-Bezirk Frankfurt am Main die ambulante und stationäre Versorgung – das Gesundheitswesen – den größten Beschäftigungsanteil. Doch gleichzeitig ist im IHK-Bezirk Frankfurt am Main die Bedeutung der Pharmaindustrie sowie der medizinischen Forschung und Entwicklung überdurchschnittlich groß. Beschäftigungsanteile IHK-Bezirk Frankfurt am Main 2008 Medizintechnik: 6 % Sonst. Gesundheitsund Sozialwesen: 16 % Pharma: 12 % Altenpflege, ambulante soziale Dienste: 7 % Handel (einschl. Apotheken): 7 % Arzt- und Zahnarztpraxen: 11 % Forschung und Entwicklung: 13 % Krankenhäuser: 23 % Gesetzliche Krankenversicherung: 5 % Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt, Berechnungen des Behrend-Instituts Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 25 Führender Forschungs- und Wissenschaftsstandort Frankfurt am Main gehört zu den Zentren der medizinischen/pharmazeutischen Forschung in Deutschland. Nahezu 10.000 Menschen sind in der Stadt Frankfurt am Main, dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis in der medizinischen/pharmazeutischen Forschung sozialversicherungspflichtig beschäftigt. An der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main bestehen mehrere biowissenschaftliche Schwerpunkte, darunter das Exzellenzcluster zur Erforschung makromolekularer Komplexe. Zwei Max-Planck-Institute (für Hirnforschung und für Biophysik) haben im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ebenso ihren Sitz wie das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS). Life-Science-Forschung im IHK-Bezirk Frankfurt am Main, Auswahl wichtiger Institutionen Max-Planck-Institut für Hirnforschung Max-Planck-Institut für Biophysik Zentrum für Arzneimittelforschung, -entwicklung und -sicherheit (ZAFES) Karl-Winnacker-Institut Center for Membrane Proteomics Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) Chemotherapeutisches Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus Mehrere biowissenschaftliche Schwerpunkte an der Universität Frankfurt, u. a. Exzellenzcluster zur Erforschung makromolekularer Komplexe Quelle: Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main 26 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Die hohe Bedeutung Frankfurts als Forschungs- und Wissenschaftsstandort im Bereich Medizin/Pharmazie wird auch daran deutlich, dass allein an der Johann Wolfgang Goethe-Universität im Wintersemester 2010/2011 insgesamt 6.041 Studierende in den Fächern Medizin (2.905), Zahnmedizin (688), Pharmazie (821), Biologie (1.248) und Biochemie (379) eingeschrieben sind. Dies sind über 15 Prozent aller in Frankfurt am Main Studierenden. Hinzu kommen zahlreiche Unternehmen der klinischen Forschung. Die folgende Übersicht zeigt eine Unternehmensauswahl innerhalb des IHK-Bezirks Frankfurt am Main. Unternehmen der klinischen Forschung im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Accovion GmbH, Eschborn Amantec GmbH, Frankfurt am Main Chiltern International GmbH, Bad Homburg v. d. H. C.R.O. Cont(r)acts, Kelkheim Ecron Wiedey GmbH, Frankfurt am Main EPA Euro Pharma Auftragsforschung GmbH, Frankfurt am Main Ergomed GmbH, Frankfurt am Main Omnicare Clinical Research GmbH, Bad Soden a. Ts. PAZ Arzneimittel-Entwicklungsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main PharmaProjekthaus GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main Dr. Riethmüller M/R/S GmbH, Frankfurt am Main SocraTec R&D Concepts in Drug Research and Development GmbH, Oberursel YES Pharmaceutical Development Services GmbH, Friedrichsdorf Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker e.V., Eschborn Quelle: Hessen Agentur GmbH Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 27 VI. Chancen und Risiken für die Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Wie werden sich die zukünftigen Megatrends, speziell der demografische Wandel, auf die Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main auswirken? Welche Chancen, aber auch welche Risiken ergeben sich für die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft? Im Folgenden werden ausgewählte Trends, Chancen und Risiken beispielhaft für die einzelnen Sektoren der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main dargestellt. 1. Krankenhäuser Der IHK-Bezirk Frankfurt am Main gehört – nicht zuletzt auch aufgrund des Universitätsklinikums – zu den Zentren der medizinischen Versorgung in Deutschland. Insgesamt 32 Krankenhäuser haben in der Stadt Frankfurt am Main, dem Hochtaunuskreis und dem Main-Taunus-Kreis ihren Standort. Rund 8.000 Betten stehen insgesamt zur Verfügung und 2.282 fest angestellte Ärzte und Ärztinnen verrichten dort hauptamtlich ihre Tätigkeit (Stand 31.12.2009). Der demografische Wandel wird den Trend zu privaten Kliniken begünstigen Bereits in der Vergangenheit war ein deutlicher Trend zur Konzentration und Privatisierung von Kliniken als Folge der schwierigen öffentlichen Haushaltslage zu verzeichnen. In den nächsten Jahrzehnten wird sich der deutliche Rückgang der Erwerbspersonen als Hauptsteuerzahler zusätzlich belastend auf die öffentliche Finanzsituation auswirken und den bereits bestehenden Trend zur Privatisierung und Konzentration beschleunigen. Steigende Patientenzahl Im Jahr 2060 werden allein im IHK-Bezirk Frankfurt am Main voraussichtlich rund 210.000 Menschen 75 Jahre und älter sein. Das sind 120.000 mehr als heute. Mit zunehmendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes. Für die Zukunft ist im IHK-Bezirk Frankfurt am Main von einem deutlichen Anstieg der Patientenzahl bzw. der durchschnittlichen Krankenhausaufenthalte je Patient auszugehen. kommen. Dies wird eine weitere Reduzierung von Krankenhausbetten in der Region ermöglichen, der aber deutlich geringer ausfallen dürfte als im Bundesdurchschnitt. Aufgrund der ungünstigeren demografischen Entwicklung in den Randbereichen der Rhein-Main-Region wird es vor allem dort zu einem stärkeren Abbau der Bettenzahl kommen. Hingegen wird die Stadt Frankfurt am Main in ihrer überörtlichen Versorgungsfunktion gestärkt werden. Sinkende Bettenzahl Trotz steigender Fallzahlen ist jedoch nicht von einem Anstieg der Bettenzahl auszugehen. Vielmehr dürfte es angesichts des Rationalisierungsdrucks und des medizintechnischen Fortschritts wie schon in der Vergangenheit auch weiterhin zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer der Patienten 28 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Foto: Fotolia.com/picsfive Hohe Krankenhausdichte im IHKBezirk 2. Ärzte und Zahnärzte Mittelfristig Risiko eines Ärztemangels Angesichts der demografischen Entwicklung wird deutschlandweit auch die Zahl der Ärzte und Zahnärzte – regional stark unterschiedlich – abnehmen. Aufgrund des Rückgangs der Gesamtbevölkerung bedeutet dies jedoch nicht zwingend auch eine Verschlechterung der Versorgungsfunktion. Im IHK-Bezirk Frankfurt am Main werden die überdurchschnittliche Einwohnerentwicklung und die stärker werdende überörtliche Versorgungsfunktion bei zugleich deutlichem Rückgang des Ärztenachwuchses jedoch zu einer Herausforderung werden. Als besonders problematisch erweist sich zudem die zunehmende Bereitschaft ausgebildeter Ärzte, ins Ausland zu gehen. Deutschlandweit betragen die jährlichen Nettowanderungsverluste bei Ärzten über 1.000 Personen. gehen wird, ist gleichzeitig mit einem stetigen Wachstum von medizinischen Versorgungszentren, das heißt großen Gemeinschaftspraxen, zu rechnen. Dies gilt insbesondere in den Gemeinden der beiden Landkreise des IHK-Bezirks. Zahl der Einzelpraxen wird sinken, Zahl der Versorgungszentren steigen Eine Reaktion darauf werden organisatorische Veränderungen sein. Während die Anzahl der Einzelpraxen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main in Zukunft zurück- Anzahl der Ärzte und Zahnärzte im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Stadt Frankfurt am Main Zahl der niedergelassenen Ärzte Zahl der niedergelassenen Zahnärzte Hochtaunuskreis Main-TaunusKreis Insgesamt 1.454 473 254 2.181 593 197 184 974 Stand: 22.11.2010 Quellen: Landesärztekammer Hessen, Landeszahnärztekammer Hessen Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 29 Foto: Fotolia.com/ISO K° – photography Trend zur personalisierten Medizin zwingt zum Umdenken Unternehmen Arzt Die vielfältigen Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen haben in der Vergangenheit zu einem Anstieg des Verwaltungsaufwandes in den Arztund Zahnarztpraxen geführt. Der weiter steigende Kostendruck, aber auch der zunehmende Wettbewerb der Ärzte um Patienten wird betriebswirtschaftliche Fragestellungen in den Arztpraxen stärker in den Vordergrund rücken. Dazu gehören etwa Themenfelder wie Rationalisierung, Outsourcing und Maßnahmen zur Patientenbindung. Foto: Fotolia.com/RB-Pictures Der Trend zur personalisierten Medizin wird auch die ärztliche Praxis entscheidend verändern. Biotechnische Methoden zur Früherkennung von Erkrankungen und Krankheitsrisiken, die Gesundheitsprävention und eine individuelle medizinische Beratung werden stärker in den Mittelpunkt ärztlicher Tätigkeiten rücken. 30 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel 3. Pflegeeinrichtungen Hauptwachstumsmarkt Pflege und Betreuung Anzahl der Pflegeeinrichtungen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Stadt Frankfurt am Main Hochtaunuskreis Main-Taunus-Kreis Insgesamt Anzahl ambulanter Pflegeeinrichtungen 142 26 25 193 Anzahl stationärer Pflegeeinrichtungen 47 27 14 88 Stand: 15.12.2009 Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt Die alternde Gesellschaft wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem drastischen Anstieg der Pflegebedürftigen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main führen. Während heute das Pflegerisiko in der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen weniger als drei Prozent beträgt, liegt es bei den 85- bis 90-Jährigen schon bei 40 Prozent und bei den über 90-Jährigen sogar bei über 60 Prozent. Prozent Pflegerisiko, in Prozent der Bevölkerung 70 60 50 40 30 20 10 0 unter 15 15—60 60—65 65—70 70—75 75—80 80—85 85—90 90—95 Alter Quelle: Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2009 Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 31 Foto: Fotolia.com/Peter Atkins Hoher Fachkräftebedarf beim Pflegepersonal Bereits gegenwärtig besteht auf dem Arbeitsmarkt ein erheblicher Mangel an Pflegepersonal. Angesichts der demografischen Entwicklung wird sich dieser in den nächsten Jahren deutlich verschärfen. Die langfristige Bewältigung des Arbeitskräftemangels ist derzeit die größte Herausforderung im Pflegebereich. Nachfrage nach stationärer oder ambulanter Versorgung steigt trotz sinkenden Pflegerisikos im Alter Der medizintechnische Fortschritt sowie ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein führen dazu, dass sich auch in absehbarer Zukunft der Gesundheitszustand alter Menschen weiter verbessern wird. Das Pflegerisiko je Alterskohorte wird im Seniorenalter zurückgehen. Die Nachfrage nach stationärer und ambulanter Versorgung wird jedoch zunehmen, und zwar nicht nur, weil die Zahl der alten Menschen insgesamt steigt und die Lebenserwartung stetig zunimmt. Auch der Rückgang der Kinderzahl und der Anstieg der Singlehaushalte in der Vergangenheit werden dazu führen, dass der Anteil der Pflegebedürftigen sinkt, die zu Hause von Familienangehörigen versorgt werden (können). Markt für ambulante Versorgung wird stärker wachsen als der für stationäre Versorgung Die sozioökonomischen Veränderungen, in deren Folge sich die traditionellen Familienzusammenhänge zunehmend auflösen, begünstigen zunächst den Markt für die stationäre Versorgung. Dennoch ist davon auszugehen, dass in Zukunft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main die ambulante Versorgung noch stärker wachsen wird als die stationäre. Die ambulante Versorgung kommt stärker dem Bedürfnis (zukünftig) älterer Menschen entgegen, möglichst lange so selbstständig wie möglich leben zu können. Diese Tendenz begünstigt auch das Wachstum angrenzender Bereiche wie „altersgerechtes Wohnen“, „Telemedizin“ oder „häusliche Sicherheit“. Demenz als besondere Herausforderung – und als wirtschaftliche Chance für Pflegeunternehmen Bis zum Jahr 2050 werden nach Prognosen des Behrend-Instituts voraussichtlich über 30.000 Menschen im IHKBezirk Frankfurt am Main demenzkrank und auf Hilfe angewiesen sein.5 Daraus ergeben sich für die Pflegeeinrichtungen besondere Herausforderungen. Es ist davon auszugehen, dass es zu einer zunehmenden Spezialisierung der Pflegeeinrichtungen kommen wird und dabei die Betreuung demenzkranker Menschen eine besonders hohe Bedeutung einnehmen wird. 5 32 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Zur zukünftigen Entwicklung der Demenzerkrankungen in Deutschland vgl. Berlin-Institut (Hrsg.): Demenz-Report, Berlin 2011. Die Regionalisierung der Projektion für das Bundesgebiet erfolgte – unter Berücksichtigung der zu erwartenden Bevölkerungs- und Altersstrukturentwicklung im IHK-Bezirk Frankfurt am Main – durch das Behrend-Institut. Foto: Fotolia.com/Alexander Raths Wertewandel erhöht qualitative Anforderungen an die Pflege Der gesellschaftliche Wertewandel, die wachsende Individualisierung und das gestiegene Selbstbewusstsein alter Menschen verändern die qualitativen Anforderungen an die Pflege. So haben sich zum Beispiel die Ansprüche der Nachkriegsgeneration gegenüber der Entbehrungen gewohnten Vorkriegsund Kriegsgeneration deutlich erhöht. Die Schaffung individueller Freiräume der Pflegebedürftigen, attraktive Freizeitangebote und der Vorrang von Einzelbelegungen zum Beispiel werden in Zukunft in den Pflegeheimen eine stärkere Rolle als bisher spielen. Kulturelle Vielfalt auch in den Pflegeheimen In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund und damit die kulturelle Vielfalt innerhalb des IHK-Bezirks Frankfurt am Main gestiegen. Diese Entwicklung wird sich zunehmend auch auf die Zusammensetzung der Pflegebedürftigen in den Heimen auswirken. Dies erfordert neben der Toleranz der Pflegebedürftigen untereinander auch besondere Anforderungen an das Pflegepersonal, z. B. in Bezug auf Sprachkompetenzen, kulturelles Verständnis und Zubereitung der Speisen. Es ist davon auszugehen, dass es zu einer zunehmenden Spezialisierung des Heimangebotes in Bezug auf Nationalität und/oder Religionszugehörigkeit kommen wird. lung zunehmend in den Ortsmittelpunkt. Beispielhaft für die Region ist die jüngste Entwicklung des neuen Marktplatzes in Kelkheim. Hier sind Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz, soziale Netzbildung, aber auch Nähe zur alten Umgebung für die Bewohner des dortigen Seniorenheims gewährleistet. Pflegeeinrichtungen gewinnen als Teil der Stadtentwicklung an Bedeutung Auch die Anforderungen an den sozialen Raum haben sich verändert. Während früher Pflege- und Betreuungseinrichtungen in den städtischen Randbereichen angesiedelt wurden, rücken sie im Rahmen einer gezielten Stadtentwick- Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 33 4. Pharmaindustrie Pharmaindustrie prägt den regionalen Gesundheitsstandort Die hohe Dichte an medizinischen/pharmazeutischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in der Region ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass eine Vielzahl der Global Players der Pharmaindustrie hier einen Unternehmensstandort haben: Lilly in Bad Homburg, Merz in Frankfurt am Main und Sandoz sowie Sanofi-Aventis im Frankfurter Industriepark Höchst. Größter pharmazeutischer Arbeitgeber in der Region ist Sanofi-Aventis mit rund 8.000 Beschäftigten. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von mittelständischen Pharmaunternehmen im IHK-Bezirk Frankfurt am Main, zum Beispiel Meda Pharma, Hennig Arzneimittel, Taurus Pharma oder Hemopharm. Die Pharmaindustrie gehört nach dem Finanzsektor zu den führenden Leitbranchen der Region. Sie prägt nicht nur maßgeblich die Forschung und Entwicklung in der Region, sondern ist auch eng mit weiten Teilen der regionalen Chemieindustrie sowie mit anderen Wirtschaftszweigen wie Unternehmensberatungsgesellschaften oder der Logistikwirtschaft verflochten. Die Pharmaindustrie ist prägend für das gesamte Gesundheitscluster der Region. Daher wird die Zukunft des Gesundheitsstandortes FrankfurtRheinMain entscheidend von der Entwicklung der Pharmaindustrie abhängen. Wichtige Impulse für den Pharmastandort würden vom geplanten House of Pharma ausgehen, durch das die Bedeutung Frankfurts als Zentrum der Arzneimittelforschung wesentlich gestärkt werden könnte. Viele der im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen sind bereits heute in starkem Maße auf Produkte ausgerichtet, die im Zuge der demografischen Entwicklung zu den „Gewinnern“ zählen werden. So gehört zum Beispiel Merz zu den führenden Pharmaunternehmen bei der medikamentösen Behandlung von Alzheimer. Die gesamte Diabetesmedikamente- Produktion von Sanofi-Aventis erfolgt bislang am Standort Frankfurt-Höchst und Lilly gehört zu den Weltmarktführern unter anderem bei Medikamenten gegen Osteoporose. In den Bereichen nicht verschreibungspflichtige Medikamente (OTC) und Generika6 sind die Unternehmen am Standort ebenfalls gut vertreten; ob Merz, tetesept oder Medikamente von Hennig und Hemopharm, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Trend zur zunehmenden Integration medizintechnischer Produkte in das Angebotsprogramm von pharmazeutischen Unternehmen wird auch von den hier ansässigen Unternehmen aufgenommen – und zwar nicht nur von den großen, global agierenden Unternehmen. So hat beispielsweise Meda Pharma neben einer Reihe verschreibungspflichtiger und nicht verschreibungspflichtiger Medikamente auch einen Pulverinhalator im Produktsortiment. 6 34 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Generika (auch Zweitanmelderpräparate genannt) sind Fertigarzneimittel, die nach Ablauf des Patentschutzes (in der Regel 20 Jahre) für ein Originalpräparat (auch Erstanmelderpräparat genannt) mit dem internationalen Freinamen oder unter einem neuen Handelsnamen auf den Markt gebracht werden. Foto: Fotolia.com/Schlierner Doch es bestehen auch Risiken für die Zukunft. So laufen bestehende Patente für Blockbuster aus der Region in den nächsten Jahren aus. Der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen und damit auch die Beschäftigungssicherheit am Standort wird dann verstärkt davon abhängen, inwieweit neue Produkte am Markt durchgesetzt werden können. Dabei ist der Prozess zur Entwicklung und Etablierung neuer Produkte in der Pharmaindustrie kostenintensiv und langwierig. So dauert die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente im Durchschnitt zehn bis zwölf Jahre und kostet durchschnittlich über 600 Millionen Euro.7 Der Verkauf der Pharma-Sparte des Altana-Konzerns an das dänische Unternehmen Nycomed hat verdeutlicht, welche betriebswirtschaftlichen Konsequenzen sich ergeben können, wenn Patente auslaufen, ohne dass entsprechende (patentgeschützte) Nachfolgeprodukte vorhanden sind.8 7 8 Zudem stellt die nachlassende Akzeptanz der Pharmaindustrie in Teilen der Politik und Öffentlichkeit ein wachsendes Risiko dar. Ihre wichtige Rolle als Treiber von Innovationen im Gesundheitssektor und als Arbeitgeber für eine Vielzahl von Menschen wird oftmals nicht ausreichend wahrgenommen. Dies kann langfristig ein erhebliches Risiko nicht nur für den Pharmastandort, sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Frankfurt am Main bergen. Jahr 2009 allein durch Zwangsrabatte bei den Pharmaproduzenten insgesamt 935 Millionen Euro eingespart. Im generikafähigen Segment haben rabattvertragsgeregelte Medikamente inzwischen einen Anteil von 59 Prozent. Der Marktanteil von Importen hat stark zugenommen. Im sogenannten Markt der gesetzlichen Krankenversicherung betrug der Marktanteil im Jahr 2009 13 Prozent. Das entspricht gegenüber dem Vorjahr einer Steigerung um 26 Prozent. Schwieriges Marktumfeld im Inland belastet Pharmaunternehmen im IHKBezirk Der deutsche Markt wird aus den genannten Gründen im internationalen Vergleich als Absatzmarkt für pharmazeutische Produkte an Bedeutung verlieren. Für die Hersteller von Generika dürften sich zudem fallende Preise negativ auswirken. Überdurchschnittliche Zuwächse sind langfristig auf dem Markt nicht verschreibungspflichtiger Medikamente zu erwarten (OTC). Im Jahr 2009 betrug das Umsatzvolumen der Pharmaindustrie in Deutschland 29,3 Milliarden Euro. In den letzten Jahren hat sich das Umsatzwachstum jedoch deutlich abgeschwächt. Insgesamt ist das Marktumfeld aufgrund der Kostendämpfungsmaßnahmen für die Pharmaindustrie schwierig. So haben die gesetzlichen Krankenversicherungen im Die Ausgestaltung von ArzneimittelFestbeträgen, Richtgrößen für Arznei- Vgl. Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Hrsg.): APO-Fokus, Nr. 5, Jahrgang 2004, S. 12. 2009 lief das Patent für den Hauptumsatzträger der ehemaligen Pharma-Sparte des Altana-Konzerns, das Medikament Pantoprazol, aus. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 35 Exportorientierte Pharmaindustrie im IHK-Bezirk profitiert vom weltweiten Wachstum Angesichts der demografischen Entwicklung und des steigenden wirtschaftlichen Wohlstands speziell in den sogenannten Schwellenländern, der nicht nur die Erhöhung des medizinischen Versorgungsgrades ermöglicht, sondern auch zu einer Zunahme ernährungsbedingter Krankheiten (z. B. Diabetes, Osteoporose) führt, zählt der Welt-Pharmamarkt zu den am stärksten wachsenden. In den letzten zehn Jahren stieg der weltweite Pharmaumsatz jähr- lich um rund drei Prozent stärker als das nominale Welt-Bruttoinlandsprodukt. Im Jahr 2009 belief sich der Gesamtumsatz auf 770 Milliarden US-Dollar. Pharmaumsatz weltweit in Milliarden US-Dollar 770 800 640 700 Milliarden US-Dollar und Verbandsmittel, Nutzenbewertungen von Arzneimitteln sowie die Festsetzung von Zwangsrabatten sind Ergebnisse von „Gesundheitsreformen“ zur Gewährleistung der Aufrechterhaltung des Systems der Gesetzlichen Krankenversicherung vor dem Hintergrund der bestehenden und sich verschärfenden Finanzierungsprobleme. Sie stellen grundsätzlich jedoch auch ein Hemmnis für Innovationen und Investitionen am Standort dar, weil die Ungewissheit wächst, inwieweit auch grundsätzlich erfolgreiche Produktinnovationen in der Pharmaindustrie langfristig über den Markt finanziert werden können. 600 495 500 380 400 300 200 100 0 36 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel 2000 2003 2006 2009 Jahr Quellen: Deutsche Bank Research, IMS Health Nordamerika ist der größte Pharmamarkt der Welt – 42,7 Prozent des weltweiten Umsatzes werden hier erzielt – gefolgt von der Europäischen Union (29,9 Prozent). In der übrigen Welt wird somit weniger als ein Drittel des Umsatzes erzielt. Weltpharmamarkt nach Regionen -UmsatzanteileLateinamerika: 6,0 % Asien, Afrika, Australien: 21,4 % Nordamerika: 42,7 % Europäische Union: 29,9 % Quelle: Deutsche Bank Research, 2008 Doch während das Umsatzwachstum in den Vereinigten Staaten und in Deutschland nur durchschnittlich ist, sind in China und Indien zweistellige Zuwachsraten zu verzeichnen. Auch die Märkte in Brasilien, Mexiko und Südkorea wachsen überproportional. Von dieser Entwicklung profitiert die sehr international aufgestellte Pharmaindustrie im IHK-Bezirk Frankfurt am Main. Der weitaus größte Teil der hier produzierten Pharmazeutika geht bereits heute ins Ausland, so etwa 96 Prozent der Insulin-Produktion von Sanofi-Aventis. Umsatz auf dem Weltpharmamarkt wird sich bis zum Jahr 2025 verdoppeln Die Alterung der Gesellschaft wird zu einer verstärkten Nachfrage nach Medikamenten führen, die gegen gehäuft im Alter (ab 65 Jahren) auftretende Krankheiten eingesetzt werden, insbesondere: Arthrose, Angina Pectoris, chronische Bronchitis, Diabetes, Demenz, Depression und Osteoporose. Außerdem werden Medikamente, die das Wohlbefinden erhöhen – sogenannte Convenience-Drugs – in einer alternden Gesellschaft verstärkt nachgefragt werden. Sie können dabei älteren Menschen helfen, den Prozess des Alterns zu erleichtern und eine höhere Lebensqualität zu erreichen. Parallel zum wachsenden Markt für Convenience Drugs wird auch das Marktvolumen für Nahrungsergänzungsmittel steigen. Alte Menschen, die häufig einen zu geringen Nährstoffgehalt bei der Nahrungsaufnahme erreichen, können in besonderem Maße von gesundheitsunterstützenden Nahrungsergänzungsmitteln profitieren. Hinzu kommt ein weiterhin überdurchschnittliches Wachstum der Pharmamärkte in den Schwellenländern, nicht nur aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl, sondern insbesondere aufgrund des zunehmenden materiellen Wohlstands. Insgesamt ist bis zum Jahr 2025 mit einer Verdoppelung des Umsatzes auf dem Weltpharmamarkt zu rechnen. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 37 Foto: Fotolia.com/Franz Pfluegl Afrika wird für die Pharmaindustrie an Bedeutung gewinnen Das stärkste Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2050 wird in Afrika zu verzeichnen sein. Zudem ist auf diesem Kontinent das Gesundheitswesen am wenigsten entwickelt. Die Pharmaindustrie wird sich in den nächsten Jahrzehnten daher nicht nur aus humanitären Gründen diesem Markt zunehmend öffnen. Dabei werden im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie für Afrika von der Pharmaindustrie zunehmend Preismodelle am Markt etabliert, in denen je nach Kaufkraft der Bevölkerung die Medikamente zu unterschiedlichen Preisen abgegeben werden. Marktzugangsbeschränkungen in anderen Ländern können regionale Standorte gefährden Es ist davon auszugehen, dass die Marktzugangsbeschränkungen in den Schwellenländern wachsen werden. Marktzutritt werden vorrangig jene Pharmaunterneh- men erhalten, die auch in den jeweiligen Ländern produzieren. Die Verlagerung der Produktion in diese wachsenden Absatzmärkte wird zunehmend zur Grundvoraussetzung für die Partizipation am weltwirtschaftlichen Wachstum. Diese Entwicklung könnte sich negativ auf die Produktionsstandorte im IHK-Bezirk Frankfurt am Main auswirken. Generell wird sich das Produktionswachstum primär im Ausland vollziehen. Der Trend zur personalisierten Medizin verändert die Pharmalandschaft Technologische Innovationen wie die Entschlüsselung des menschlichen Genoms und Verhaltensänderungen hin zu einer stärkeren Individualisierung werden die Pharmaindustrie vor neue Herausforderungen stellen. Die wachsende Bedeutung der personalisierten Medizin wird dazu führen, dass weniger sogenannte Blockbuster am Medizinmarkt etabliert werden können. Tendenziell wird die durchschnittliche Losgröße in der Medikamentenproduktion sinken. 38 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Der demografische Wandel führt zu einer Verknappung an Fachkräften Ein allgemeiner Fachkräftemangel wird in den im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen der Pharmaindustrie nicht gesehen. Neben der leistungsfähigen Hochschullandschaft ist hierfür auch der verstärkte Trend zur Bildung internationaler Teams in global ausgerichteten Unternehmen verantwortlich. Ein Mangel besteht jedoch derzeit in bestimmten Fachdisziplinen, wie etwa der Bioinformatik. Außerdem fehlen berufserfahrene Kräfte, die sowohl über kaufmännisches wie auch technisches Know-how verfügen. In den nächsten Jahrzehnten wird sich speziell für die mittelständischen Betriebe der Pharmaindustrie das Arbeitskräfteangebot spürbar verknappen. 5. Die „Rote Biotechnologie“ Biotechnologie – was ist das? Unter „Biotechnologie“ ist eine interdisziplinäre Wissenschaft zu verstehen, die sich mit der Nutzung von Enzymen, Zellen und ganzen Organismen in technischen Anwendungen beschäftigt. Wissenschaftliche Teildisziplinen sind insbesondere die Biochemie, Bioinformatik, Genetik, Ingenieurwissenschaften (Bioverfahrenstechnik), Mikrobiologie und Molekularbiologie. Grundlegende biotechnische Anwendungen sind nicht neu, sondern werden vom Menschen bereits seit Jahrtausenden angewendet, so z. B. die Herstellung von Wein und Bier mit Hefen und die Verarbeitung von Milch zu verschiedenen Lebensmitteln mithilfe bestimmter Mikroorganismen oder Enzyme. Biotechnische Verfahren finden in den unterschiedlichsten Bereichen Anwendung. Der wirtschaftlich bedeutsamste Teilbereich ist die sogenannte „Rote Biotechnologie“, die medizinische Anwendungsfelder umfasst. Sie macht etwa 80 Prozent aller Beschäftigten und Unternehmen aus. Frankfurt am Main – einer der führenden Biotechstandorte in Deutschland Die Unternehmens- und Forschungslandschaft begünstigt die Ansiedlung von Biotechnologieunternehmen. Im Jahr 2009 wurden 38 dedizierte9 und 17 sonstige biotechnologisch aktive Unternehmen in der Region gezählt. Der weitaus größte Teil gehört zur sogenannten „Roten Biotechnologie“, die medizinische Anwendungsfelder umfasst (Quelle: www.biotechnologie.de). Die Zahl der Unternehmen mag auf den ersten Blick sehr niedrig erscheinen, es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Branche noch sehr jung ist und weiter wächst. Mit der Initiative Frankfurt Bio Tech Alliance hat sich zudem inzwischen ein starkes Netzwerk der Biotechnologiebranche entwickelt. 9 Der Frankfurter Riedberg bildet einen räumlichen Schwerpunkt der Branche in der Region. Hier leitet Prof. Hartmut Michel ein Nobelpreisträger das MaxPlanck-Institut für Biophysik. Ebenfalls am Riedberg angesiedelt ist das Frankfurter Innovationszentrum Biotechnologie (FIZ), das 2002 gegründet wurde und rund 15.000 qm Büro- und Laborfläche umfasst. Das FIZ soll Firmengründern wie etablierten Unternehmen im Bereich Life-Science eine maßgeschneiderte Infrastruktur bieten. Ein Unternehmen der „Roten Biotechnologie“, das sich hier angesiedelt hat, ist beispielsweise die bio.logis GmbH, die humangenetische Diagnostik und genetische Beratung anbietet. Sicherlich bildet der Frankfurter Riedberg eines der Zentren der Biotechnologiebranche in der Metropolregion FrankfurtRheinMain. Dass die Branche und die Geschäftsführer zumeist jung sind, zeigt sich aber auch daran, dass das eine oder andere Technologieunternehmen einen etwas ungewöhnlicheren Standort sucht. So befindet sich das gendiagnostische Biotechunternehmen Darin sind ausschließlich in der Biotechnologie tätige Unternehmen erfasst. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 39 humatrix AG, das unter anderem Verwandtschaftstests anbietet, oberhalb des Frankfurter Szene-Clubs Cocoon und in direkter Nachbarschaft zu DJ Sven Väth. Geringe Beschäftigtenzahl – hohe Innovationskraft Die unten stehenden Daten verdeutlichen: Gemessen am Gesamtumsatz und an der Gesamtbeschäftigung in Deutschland ist die Biotechnologie noch eine sehr kleine Branche, sofern man überhaupt von einer eigenständigen Branche sprechen möchte. Sie gehört jedoch zu den Innovationstreibern – insbesondere für die Pharma- und Chemieindustrie. Im Kernsegment der Biotechnologie werden drei Viertel des Umsatzes für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Wirtschaftliche Bedeutung der Biotechnologie in Deutschland 386 387 Veränderung 2008/2009 < 1 Prozent 501 531 6 Prozent 9.794 9.861 1 Prozent 14.450 14.500 < 1 Prozent 960 960 0 Prozent 2.191 2.200 < 1 Prozent 794 746 –6 Prozent 1.061 1.000 –6 Prozent 2008 Anzahl Unternehmen Anzahl Beschäftigte Umsatz in Mio. Euro F&E-Ausgaben (in Mio. Euro) F&E–Ausgaben (in Mio. Euro) Kernsegment erweitertes Segment Kernsegment erweitertes Segment Kernsegment erweitertes Segment Kernsegment erweitertes Segment Quelle: Ernst & Young, Biotechnologie-Report 2010., S. 6 Kernsegment: ohne Tochterunternehmen ausländischer Firmen Erweitertes Segment: dedizierte Biotechunternehmen nach OECD, inklusive Tochterunternehmen 40 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel 2009 Foto: Fotolia.com/rgbspace Pharmaindustrie hat Zukunftsfeld „Biotechnologie“ entdeckt Die Pharmaindustrie hat das Zukunftsfeld „Biotechnologie“ längst entdeckt. So erhoffen sich die großen Pharmakonzerne insbesondere von der Erforschung und Entwicklung neuer Biomarker überdurchschnittliche Wachstumspotenziale. Unter Biomarkern sind charakteristische biologische Merkmale zu verstehen, die objektiv gemessen werden und auf einen normalen biologischen oder krankhaften Prozess im Körper hinweisen können. Maßgebliche Innovationen bei der Entwicklung neuer Medikamente werden sich primär unter Verwendung biotechnischer Verfahren ergeben. Noch ist eine Vielzahl der kleinen, in der Regel eigentümergeführten Biotechunternehmen von der Gewinnschwelle entfernt. Mit steigendem wirtschaftlichem Erfolg werden aber die Übernahmen durch die großen Pharmakonzerne zunehmen, was zu einer wachsenden wirtschaftlichen Konzentration in der „Roten Biotechnologie“ führen wird. Darüber hinaus werden externe Kooperationen zwischen „großen“ Pharmaunternehmen, „kleinen“ Biotechnologieunternehmen sowie den Forschungs- und Hochschuleinrichtungen an Bedeutung gewinnen. Die Fähigkeit zur Kooperation z. B. von Unternehmen und Hochschulen wird zunehmend zum wichtigen Treiber von Innovationen, Wachstum und Beschäftigung in den Regionen. Eine wichtige Rolle beim Wissenstransfer könnte hier das geplante House of Pharma einnehmen. Zulassungs- und Erstattungspraxis als Wachstumshemmnis Die heutige Zulassungs- und Erstattungspraxis des gesetzlichen Gesundheitswesens in Deutschland stellt ein wesentliches Hemmnis für die Entwicklung von regenerativen Therapieverfahren dar. Deutschland ist beispielsweise im Bereich ACT (autologe Chondrozytentransplantation – Knorpelersatz aus dem Reagenzglas) führend, doch der Einsatz wird, anders als in anderen Ländern, vielfach nicht erstattet. Ein Grund ist das Fehlen klinischer Studien, die wegen des hohen Individualisierungsgrades der Anwendung oftmals gar nicht möglich sind. Wachsender Konkurrenzdruck aus Asien Die hohe Wissensintensität der Biotechnologie und die Tatsache, dass zwar Biosimilars produziert werden, aber keine Generika wie in der chemischen Pharmazie möglich sind, bilden im internationalen Wettbewerb Standortvorteile für regionale Unternehmen der Biotechnologiebranche. Dennoch ist angesichts der derzeitigen Forschungs- und Ausbildungsaktivitäten etwa in China und Indien davon auszugehen, dass in den nächsten Jahrzehnten der Konkurrenzdruck aus Asien auch im Bereich der Biotechnologie zunehmen wird. Wandel in der Pharmaindustrie als Wachstumstreiber für die Biotechnologie Im Rahmen des Wandels von Diagnose und Therapie von Erkrankungen wird die personalisierte Medizin an Bedeu- Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 41 Foto: Fotolia.com/Gerhard Seybert tung gewinnen. Die Kostensituation im Gesundheitswesen und das regulatorische Umfeld stehen einer raschen Fortentwicklung dieses Zukunftstrends noch entgegen. Doch der Trend scheint unumkehrbar: Insgesamt hat die Innovationsfähigkeit der Pharmaindustrie – gemessen z. B. an der Zahl neuer Patente – nachgelassen, die Entwicklungszeiten haben sich verlängert und die Ausfallraten sind gestiegen. Immer schwieriger wird es, Blockbuster am Markt durchzusetzen. Zudem hat die Orientierung der Kostenerstattung im Gesundheitssektor am „Zusatznutzen“ zu höheren Anforderungen bei der Zulassung geführt und zur Nachfrage nach effektiveren Medikamenten. Gleichzeitig sind mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms neue molekulare Diagnostikverfahren entstanden, die für eine sicherere und effizientere Anwendung von Medikamenten hilfreich sind. Hierdurch bieten sich neue Geschäftsfelder für junge biotechnische Unternehmen in der Region. Altersspezifisch gehäufte Erkrankungen werden stärker in den Mittelpunkt der Forschung rücken Die Onkologie ist bislang der Schwerpunkt von Biotechnologieunternehmen, wenn es um die Entwicklung neuer Wirkstoffkandidaten geht. Eine gezielte Ausrichtung auf altersspezifisch gehäufte Erkrankungen erfolgte bislang nicht. Im Zuge der gesellschaftlichen Alterung weltweit wird sich dieser Prozess mittelfristig verändern. Gerade der Bereich Alzheimer dürfte in Zukunft sehr viel stärker in den Fokus von Forschung und Entwicklung rücken. Marktreife werden aber die Verfahren – ebenso wie die gegen Arteriosklerose und Diabetes – voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2020 erlangen. Auch zukünftig wichtigstes Anwendungsfeld der „Roten Biotechnologie“ wird die Bekämpfung von Krebserkrankungen bleiben. 42 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Wachstumsmarkt humangenetische Diagnostik Die Pharmakogenetik, mit der es möglich ist, Vorhersagen über fallspezifische Wirkungen eines Medikaments zu treffen, wird in den nächsten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen und neue Entwicklungen werden den Trend zur personalisierten Medizin beschleunigen. Wie erwähnt wird die Osteoporose zu den Erkrankungen zählen, die weltweit mit am stärksten wachsen werden. Neben der Alterung der Gesellschaft werden Verhaltensweisen wie extreme Diäten, der übermäßige Verzehr bestimmter Nahrungsmittel oder Rauchen die Entwicklung der Osteoporose begünstigen. Im Zuge der Prävention und Aufdeckung individueller Risiken bei diesem Krankheitsbild wird die Bedeutung der humangenetischen Diagnostik zunehmen. Foto: Fotolia.com/Nerlich Images Wachstumsmarkt Regenerationstechnologien In einer alternden Gesellschaft nehmen die degenerativen Erkrankungen zu, der Bedarf an Organersatz steigt bei gleichzeitigem Mangel an geeigneten Organspendern. Die regenerative Medizin gilt hier als Hoffnungsträger zur Bekämpfung von Volkskrankheiten mit hoher Todesrate, erheblicher Einschränkung der Lebensqualität und hohen Kosten für das Gesundheitssystem. Langfristiges Ziel der regenerativen Medizin ist es, komplette Organe herzustellen, gelähmte Gliedmaßen zu reaktivieren und körperliche wie genetische Ursachen für Erkrankungen zu beseitigen. Dazu sind zwei Ansätze zu unterscheiden: • Aktivierung des körpereigenen Regenerationspotenzials • Herstellung von Geweben und kompletten Organe (Tissueengineering) Dabei erfolgt eine Integration von Entwicklungen auf den Gebieten der Prozesstechnik, Materialwissenschaften und –technologie, der Nano- und Mikroelektronik, der Computerwissenschaften sowie der Informationstechnologie. Die Regenerationstechnologien für die Medizin befinden sich erst im Anfangsstadium. Die Schwerpunkte der Forschung und Entwicklung liegen außerhalb des IHK-Bezirks Frankfurt am Main. Die wichtigsten Forschungszentren sind Berlin, Dresden, Hannover und Leipzig.10 Gründungen (aus der Hochschule heraus) angewiesen. Schon gegenwärtig ist die Gründungsdynamik in Frankfurt am Main geringer als in anderen biotechnischen Zentren wie München und Berlin/ Potsdam. Für die Zukunft könnte dies auch zur Folge haben, dass der Standort Frankfurt am Main im Vergleich zu anderen Regionen zurückfällt. Nachlassende Gründungsdynamik aufgrund des demografischen Wandels Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter verringert auch die Zahl der potenziellen Existenzgründer. Bei konstanter Gründungsbereitschaft in den jeweiligen Alterskohorten ist bis zum Jahr 2050 im IHK-Bezirk Frankfurt am Main mit einem Rückgang der Zahl der Existenzgründungen um 30 Prozent zu rechnen. Die Biotechbranche ist auf 10 Vgl. Lang-Koetz, C./Spath, D. (Hrsg.): Biotechnologie 2021 – Chancen und Herausforderungen, Stuttgart 2007. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 43 6. Medizintechnik Medizintechnikstandort Frankfurt am Main: Weltmarktführer und Mittelstand Fresenius am Standort Bad Homburg ist das größte medizintechnische Unternehmen im IHK-Bezirk. In der gesamten Metropolregion FrankfurtRheinMain sind in den Unternehmensbereichen des Fresenius-Konzerns – Fresenius Medical Care, Fresenius Kabi, Fresenius Helios, Fresenius Vamed, Fresenius Biotech – rund 3.700 Menschen beschäftigt. Das Unternehmen ist längst nicht mehr nur ein Medizintechnikunternehmen, sondern hat sich zu einem Gesundheitskonzern entwickelt, in dem medizintechnische Dienstleistungen einen Umsatzschwerpunkt bilden. Fresenius Medical Care gehört zu den Weltmarktführern in der Dialyse. Die Medizintechnikbranche im IHKBezirk Frankfurt am Main ist jedoch sehr stark mittelständisch geprägt. 73,2 Prozent der Unternehmen der Medizintechnikbranche haben weniger als 20 Beschäftigte, 12,5 Prozent zwischen 20 und 49 Beschäftigte. So sind kleine, hoch spezialisierte Unternehmen wie die Micro-Medical Instrumente GmbH in Königstein oder die Hedent GmbH in Oberursel typisch für die Medizintechnik in der Region. Typisch ist auch die insgesamt starke Exportorientierung der hier ansässigen Unternehmen. Umsatzanteile im Markt für Medizintechnik, 2008 Andere: 38 % USA: 42 % Hohe Bedeutung der deutschen Medizintechnik auf dem Weltmarkt Das Umsatzvolumen in der Medizintechnik beträgt weltweit rund 200 Milliarden Euro – Tendenz weiter steigend. Über 40 Prozent davon entfallen auf den US-amerikanischen Markt. Gemeinsam mit Japan gehört Deutschland zu den weiteren führenden Nationen in der Medizintechnik (Marktanteil jeweils 10 Prozent). Die deutschen Unternehmen profitieren von einem hohen Anteil innovativer Erzeugnisse und einer attraktiven Produktpalette. Heimische Hersteller sind vor allem führend im Segment der bildgebenden Systeme wie Röntgenapparate, Computertomografen und Ultraschallgeräte. 44 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Deutschland: 10 % Japan: 10 % Quelle: Deutsche Bank Research Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Medizintechnik wird entscheidend davon abhängen, inwieweit der Innovationsvorsprung bei deutschen Produkten dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Die Exportschwerpunkte werden sich verlagern Der größte Teil der deutschen medizintechnischen Exporte geht ins EU-Ausland (40 Prozent), gefolgt von den USA (25 Prozent) und asiatischen Staaten (10 Prozent). Da der Weltmarkt deutlich stärker wachsen wird als der Inlandsmarkt wird die Ausfuhr für die Unternehmen aus der Region weiter an Bedeutung gewinnen. Besonders in Schwellenländern ist ein überproportionales Wachstum zu erwarten. Großer Nachholbedarf besteht nach wie vor auch in Osteuropa. am wachsenden Markt zu partizipieren, werden verstärkt branchenfremde Unternehmen, z. B. aus dem Maschinenbau und der Elektrotechnik, ihr Know-how zur Entwicklung und Herstellung medizintechnischer Produkte nutzen. Hier ergeben sich auch Wachstumschancen für in der Region ansässige Unternehmen. Auslandsproduktion von preissensiblen Produkten wird zunehmen Krankenhäuser bleiben wichtigster Abnehmer der Medizintechnik Auch wenn im Bereich der Medizintechnik die Konkurrenz aus Niedriglohnländern noch kein wesentliches Thema ist, so wird sich der Trend zur Verlagerung der Herstellung preissensibler Produkte ohne besonderes Know-how ins Ausland weiter fortsetzen. Über ein Drittel der Inlandsnachfrage nach medizintechnischen Produkten erfolgt von Krankenhäusern. Für die Zukunft ist aber aufgrund von weiteren Schließungen und Fusionen von Krankenhäusern mit einem Rückgang zu rechnen. Dennoch werden auf absehbare Zeit die Kliniken der größte Abnehmerbereich auf dem Inlandsmarkt bleiben. Aufgrund des zunehmenden Trends zu ambulanten Operationen wird die Bedeutung der Arztpraxen wachsen. Zudem profitiert der Fachhandel vom steigenden Gesundheitsbewusstsein und der demografischen Entwicklung. Branchenfremde Unternehmen werden sich zunehmend im Wachstumsmarkt Medizintechnik engagieren Angesichts der weltweiten demografischen Entwicklung und des medizintechnischen Fortschritts gehört die Medizintechnik zu den Branchen mit dem größten Wachstumspotenzial. Um Anteile an der Inlandsnachfrage nach Medizintechnik, 2008 Andere: 14 % Arztpraxen: 12 % Zahnarztpraxen: 20 % Krankenhäuser: 34 % Fachhandel: 20 % Quelle: Deutsche Bank Research Wachsende Nachfrage nach medizintechnischen Geräten zur Kompensation von altersbedingten Einschränkungen Hörgeräteakustik Obwohl sich der Gesundheitszustand älterer Menschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten stetig verbessert hat und die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen ist, ist das Einstiegsalter für Hörbehinderungen weitgehend konstant geblieben. Im Durchschnitt Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 45 Foto: Fotolia.com/Sven_Vietense beginnt eine Hörbehinderung bei älteren Menschen mit 55 Jahren. Höreinbußen stellen die häufigste sensorische Einschränkung im Alter dar. Obwohl eine Hörbehinderung im Alter somit eine Selbstverständlichkeit ist, bestehen bei älteren Menschen starke Vorbehalte: zum einen in Bezug auf kosmetische Aspekte, zum anderen in Bezug auf die Sprachverarbeitungsqualität. Innovations- und Wachstumsbereiche ergeben sich für die Gesundheitswirtschaft insbesondere in Bezug auf die • Entwicklung neuartiger Herstellungsverfahren, die eine individuelle Anpassung an den Hörgeräteträger ermöglichen (Mass-Customization), • Verbindung der Hörgeräte mit anderen Kommunikationssystemen wie Fernseher, Telefon und Handy, • Entwicklung intelligenter Hörhilfen, die zum Beispiel automatisch das Klingeln eines Mobiltelefons erfassen und eine Verbindung aufbauen, • Verbesserung der Sprachverarbeitung im Hörgerät, Aussehen und der Komfort im Vordergrund stehen. • Pflege und Robustheit der Systeme, Wachsende Nachfrage nach medizintechnischen Produkten zur Gesundheitsvorsorge und Überwachung • Entwicklung sogenannter bioelektrischer Hörgeräte, die die Wärme des menschlichen Körpers als Energiequelle nutzen, • designorientierte Produktentwicklung von Hörgeräten. Prothetik Um körperliche Einbußen im Alter kompensieren zu können, sind Prothesen vielfach ein geeignetes Mittel. In Bezug auf Funktionalität, Aussehen und Komfort beim Einsetzen und Anpassen besteht zum Teil noch erheblicher Innovationsbedarf. Großes Potenzial für die Zukunft haben zum Beispiel sogenannte „Intelligente Prothesen“, die durch eine mikrochipbasierte Lokalisierungstechnik ein präzises Einsetzen der Prothese ermöglichen. Wachstumspotenziale bestehen auch bei kosmetischen Prothesen, in denen nicht Funktionalität, sondern das 46 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Hierzu zählen zum Beispiel: digitale Blutdruckmessgeräte, Blutzuckermessgeräte, Medication-Management-Systeme, Körperfettmessgeräte, Sauerstoffgeräte, Inhaliergeräte, Geräte zur Muskel- und Nervenstimulation, medizinisch-diagnostische Geräte, Geräte zur Lichttherapie, Heimtrainer. Verhaltensveränderungen bieten Wachstumsperspektiven in der kosmetischen Chirurgie Der starke Zuwachs an älteren Menschen, die weiterhin aktiv und attraktiv bis ins hohe Alter bleiben möchten, wird in den nächsten Jahrzehnten erheblich zunehmen. Dies wird unter anderem der kosmetischen (plastischen) Chirurgie starke Zuwächse bescheren. Auch in der Zahnmedizin bieten sich aufgrund Foto: Fotolia.com/pressmaster demografischer Einflussfaktoren Wachstumsperspektiven. Bereits heute haben insbesondere in der Altersgruppe der 40bis 60-Jährigen kosmetische Aspekte bei der Zahnbehandlung stark an Bedeutung gewonnen. Dieser Trend bietet für die Zukunft bei der Weiterentwicklung von Zahnersatz/Zahnprothesen Innovationspotenzial und neue Märkte – z. B. bei einer „altersgerechten“ optischen Gestaltung des Zahnersatzes. Aufgrund der weltweit steigenden Nachfrage nach Gold dürfte das Preisniveau für das Edelmetall hoch bleiben. Auch hier bieten sich den Unternehmen Zukunftsfelder, z. B. bei der Fortentwicklung des Einsatzes von Keramik, die nicht nur kostengünstiger, sondern sogar noch verträglicher ist als Gold. Kostendruck im gesetzlichen Gesundheitssystem bremst Wachstum in der Dentaltechnik Lange Zeit gehörte der Markt für Dentaltechnik in Deutschland zu den Hauptwachstumsmärkten in der Gesundheitswirtschaft. Die Probleme der Finanzierung des Gesundheitssystems und die steigende Eigenbeteiligung der Patienten wirken sich jedoch zunehmend wachstumshemmend aus. Durch den wachsenden Kostendruck in der Zahnmedizin hat sich auch die internationale Konkurrenzsituation verstärkt: Immer mehr Laboratorien aus dem Ausland drängen in den Markt. Inzwischen hat sich sogar ein regelrechter Zahnbehandlungstourismus etabliert. Es ist davon auszugehen, dass sich der Kostendruck auf die Unternehmen der Dentaltechnik im IHK-Bezirk Frankfurt am Main in Zukunft noch stärker auswirken wird als heute. Auch ergibt sich aus der Alterung der Gesellschaft nicht zwingend eine steigende Nachfrage nach Zahnersatz. In den letzten Jahrzehnten hat sich die zahnmedizinische Prophylaxe und Mundhygiene in Deutschland erheblich verbessert – mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf die Zahngesundheit der Gesamtbevölkerung. Zudem wird aus Gründen der Kostendämpfung die Reparatur von Zahnprothesen wieder stärker eine Alternative zur Neuanfertigung werden. Für Zulieferbetriebe in der Zahnmedizin dürfte sich das größte Wachstumspotenzial wie auch schon in der Vergangenheit im Ausland ergeben. Im IHK-Bezirk Frankfurt am Main ansässige Unternehmen wie zum Beispiel die Hedent GmbH in Oberursel erzielen bereits heute rund 70 Prozent ihres Umsatzes im Exportgeschäft, vornehmlich durch Ausfuhren ins EU-Ausland. Aber auch Länder wie Südkorea oder Japan fragen in hohem Maße Dentalprodukte „made in Germany“ nach. In Zukunft dürften vor allem Schwellenländer wie Indien und Brasilien für heimische Unternehmen attraktiv werden. In diesen wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig überproportional wachsenden Ländern bieten sich Marktpotenziale, die bei einer entsprechenden strategischen Ausrichtung erschlossen werden können. Allerdings werden die hochwertigen, aber auch relativ hochpreisigen heimischen Produkte und Dienstleistungen wohl nur dort erfolgreich sein können, wo auch eine entsprechende kaufkräftige Nachfrage be- oder entsteht. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 47 7. Telemedizin Telemedizin – was ist das? Die Telemedizin ist ein sehr junges Feld der Gesundheitswirtschaft. Darunter versteht man die Ermöglichung oder Unterstützung medizinischer Dienstleistungen durch die kombinierte Anwendung von Telekommunikation und Informatik (Telematik). Hierdurch wird es zum Beispiel möglich, die medizinische Untersuchung und Überwachung von Patienten durchzuführen, unabhängig davon, wo sich der Patient befindet. Die Telemedizin kann überall dort Anwendung finden, wo bei dem Bezug jeglicher Gesundheitsdienstleistung (z. B. Diagnose, Überwachung, Beratung und Behandlung) die räumliche Distanz zwischen dem medizinischen Fachpersonal und dem Patienten ein Problem darstellt. Die Telemedizin lässt sich in vier Hauptbereiche unterteilen: • Telekonsultation (Ferndiagnose, Telekonferenzen zwischen Ärzten, Einholen von Zweitmeinungen) • Teleteaching (Fernausbildung und –weiterbildung von medizinischem Personal) • Telementoring (Begleitung einer Endoskopie oder Operation in Echtzeit) Telemedizin als Instrument zur Kostendämpfung • Telechirurgie (Fernoperationen oder medizinische Robotik) Die zunehmende Ökonomisierung in Krankenhäusern und Arztpraxen erfordert auch einen verstärkten Einsatz (und Vereinheitlichung) der IT-Infrastruktur. Durch die Verbesserung des Informationsflusses ergeben sich erhebliche Einsparmöglichkeiten im Gesundheitswesen. Ein Mittel hierzu ist die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Gleichzeitig entsteht hierdurch auch zusätzlicher Investitionsbedarf in den Arztpraxen (z. B. elektronische Patientenakte, elektronischer Arztbrief). Demografische Entwicklung stützt Wachstum der Telemedizin Vor allem die ländlichen Regionen werden in Zukunft überdurchschnittlich an Bevölkerung verlieren. Vor diesem Hintergrund wird es ökonomisch nicht mehr vertretbar sein, sämtliche medizinischen Angebote in einzelnen Teilregionen aufrechtzuerhalten. Die Telemedizin bietet hier eine Lösung, um auch bei räumlicher Trennung von Patienten und medizinischem Fachpersonal eine gute Versorgung zu gewährleisten. Eine Voraussetzung dafür ist, dass auch in den ländlichen Regionen eine ausreichende Kommunikationsinfrastruktur (z. B. High-Speed-Internetanschlüsse) vorhanden ist. Dies ist selbst in den beiden Landkreisen des IHK-Bezirks Frankfurt am Main nicht überall der Fall. 48 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel In Frankfurt am Main ermöglicht beispielsweise das OLAP-Health-Projekt von T-Systems die Überwachung medizinischer Geräte innerhalb eines Krankenhauses per Funk, wodurch die Transparenz bezüglich Standort und Nutzbarkeit von medizinischen Geräten verbessert und die Überwachung von Gerätestandorten ermöglicht wird. Foto: Fotolia.com/Petr Kurgan Ambient Assisted Living Neue Möglichkeiten ergeben sich durch die Telemedizin auch im Bereich der Pflege. Das Stichwort lautet: „Ambient Assisted Living“, auch kurz AAL genannt. Darunter sind Methoden, Konzepte, Produkte sowie Dienstleistungen zu verstehen, die den Alltag älterer Menschen situationsabhängig und unaufdringlich unterstützen. Die verwendeten Techniken sind individualisiert, das heißt auf den einzelnen Menschen und dessen unmittelbares Lebensumfeld ausgerichtet. Durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wird somit ermöglicht, dass ältere Menschen länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, dies verringert dadurch die Pflegekosten. Wachsende Akzeptanz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien fördert die Telemedizin Bereits heute verfügt die Altersgruppe der 60- bis 70-jährigen Menschen über relativ gute Kenntnisse moderner Informations- und Kommunikationstechno- logien. Für die Senioren der Zukunft wird der Umgang mit PC und Mobiltelefon eine Selbstverständlichkeit sein. Diese Entwicklung erleichtert die Durchsetzung der Telemedizin in der Gesundheitswirtschaft. Deutschland. Für diese I&K-Unternehmen ergeben sich im Gesundheitssektor ganz neue Marktfelder und Wachstumschancen. Wirtschaftsstandort Frankfurt am Main profitiert überdurchschnittlich von der Entwicklung der Telemedizin Der Gesundheitsstandort Frankfurt am Main wird in besonderer Weise vom Wachstum der Telemedizin profitieren. Zum einen wird der demografische Wandel die Versorgungsfunktion Frankfurts für das Umland und darüber hinaus stärken. Mithilfe der Telemedizin werden sich somit erweiterte Möglichkeiten zur medizinischen Leistungserbringung aus Frankfurt am Main heraus ergeben. Zum anderen ist Frankfurt am Main einer der Schwerpunkte der deutschen Informations- und Kommunikationstechnologie. Die gesamte Region FrankfurtRheinMain bietet das dichteste Netzwerk von Unternehmen aus den Bereichen Softwareentwicklung, IT-Beratung, IT-Services und Systemintegration in Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 49 8. Pharmagroßhandel und Apotheken Pharmazeutischer Handel – eine unterschätzte Größe Im IHK-Bezirk Frankfurt am Main hat unter anderem die ANZAG (Andreae-Noris Zahn AG), eines der größten pharmazeutischen Großhandelsunternehmen in Deutschland, ihren Hauptsitz. Das Unternehmen ging aus dem Zusammenschluss der bereits 1841 in der Stadt Frankfurt am Main gegründeten „J. M. Andreae Material und Farbwaaren Handlung“ und der „Handelsgesellschaft Noris Zahn & Cie“, Nürnberg, im Jahr 1923 hervor. Heute sind deutschlandweit in 24 Niederlassungen mehr als 2.200 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, werden Umsätze in Höhe von mehr als 4 Milliarden Euro weltweit generiert. Der Pharmagroßhandel beliefert nicht nur die Apotheken mit den benötigten Medikamenten, sondern er fungiert durch die Gewährung von Zahlungsfristen auch als Finanzdienstleister für die Apotheken. Auch durch diese Funktion hat der Pharmagroßhandel bislang seine starke Position erhalten können. Im IHK-Bezirk Frankfurt am Main gibt es insgesamt 265 IHK-zugehörige Apotheken. Die Apothekendichte liegt mit 4.240 Einwohnern je Apotheke leicht unterhalb des bundesdeutschen Durchschnitts. Apothekendichte im internationalen Vergleich, Einwohner je Apotheke im Jahr 2009 Dänemark 16.800 Schweden 10.700 Niederlande 9.400 Österreich 6.900 Großbritannien IHK-Bezirk Frankfurt am Main Deutschland 3.900 Polen 3.800 4.900 4.240 Italien 3.300 Frankreich 2.700 Spanien 2.100 Belgien 2.000 Griechenland 1.200 0 5.000 10.000 15.000 20.000 Einwohner je Apotheke Quellen: ABDA, Behrend-Institut 50 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Foto: Fotolia.com/diego cervo Starkes Umsatzwachstum in der Vergangenheit In den letzten zehn Jahren stieg der nominale Umsatz im Einzelhandel jährlich um durchschnittlich 1 Prozent. In den Apotheken waren es hingegen im Durchschnitt 4,5 Prozent. Gleichzeitig liegt die Umsatzrendite bei Apotheken derzeit mit rund 10 Prozent deutlich über dem des übrigen Einzelhandels (3 Prozent). Pharmahandel profitiert von alternder Gesellschaft Der deutliche Anstieg der Zahl der Rentner und Pensionäre im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung wird sich negativ auf das für Konsumzwecke verfügbare Einkommen der privaten Haushalte auswirken. Für den Einzelhandel kommt noch hinzu, dass die Einkaufsfrequenz mit wachsendem Alter abnimmt. Grundsätzlich verringert die Alterung der Gesellschaft somit die Konsumgüternachfrage. Dies gilt jedoch nicht für den Pharmahandel. Pharmagroßhandel und Apothe- ken werden im Zuge der demografischen Entwicklung von einer steigenden Nachfrage nach Pharmazeutika profitieren. Über 60-Jährige geben im Durchschnitt dreimal so viel für Arzneimittel aus wie unter 60-Jährige. Der verstärkte Bedarf bewirkt auch, dass die Einkaufsfrequenz in Apotheken im Alter zunimmt. Bis zum Jahr 2025 wird bei unverändertem Verordnungsverhalten der Umsatz real um rund 30 Prozent zunehmen. Maßnahmen zur Kostendämpfung belasten Pharmagroßhandel und Apotheken Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung des gesetzlichen Gesundheitssystems gehen auch am Pharmahandel nicht spurlos vorüber. So sollen im Zuge der aktuellen „Gesundheitsreform“ über 300 Millionen Euro Kosten bei den Apotheken eingespart werden. In Zukunft ist sicher davon auszugehen, dass im Zuge der Kostendämpfung weitere Belastungen auf die Apotheken und auf den Pharmagroßhandel zukommen werden. Die Wachstumsdynamik der Vergangenheit wird sich abschwächen. Wettbewerbsintensität steigt Auch wenn das deutsche Fremdbesitzverbot seitens des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2009 für rechtmäßig erklärt wurde, ist davon auszugehen, dass der Wettbewerb auf dem Apothekenmarkt im IHK-Bezirk Frankfurt am Main an Intensität gewinnen wird. Dies gilt insbesondere im Bereich rezeptfreier Medikamente, weil diese nicht der Preisbindung unterliegen. Der Marktanteil aller Versandapotheken, der zurzeit bundesweit bei rund 4 Prozent liegt, dürfte in den nächsten zehn Jahren zwar ansteigen. Es ist aber davon auszugehen, dass der Marktanteil im Jahr 2020 unter zehn Prozent liegen wird. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Versand rezeptpflichtiger Arzneimittel aufgrund der Preisfestsetzung für den Kunden keine finanziellen Vorteile gegenüber der Apotheke vor Ort bringt. Allenfalls im ländlichen Raum, wo unter Umständen größere Entfernungen zur örtlichen Apotheke zurückzulegen sind, Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 51 Foto: Fotolia.com/contrastwerkstatt dürfte die Internet-Apotheke auch bei rezeptpflichtigen Medikamenten stärker an Bedeutung gewinnen. Das Umsatzwachstum im Versandhandel wird sich somit primär im Bereich der rezeptfreien Medikamente vollziehen – also stellt das Internet auf absehbare Zeit keine allzu große Bedrohung für die Vor-Ort-Apotheke im IHK-Bezirk Frankfurt am Main dar. Apotheken in Frankfurt am Main profitieren von hoher Ärztedichte und hoher Passantenfrequenz Für die zukünftige Umsatzentwicklung der Apotheken im IHK-Bezirk wird von zentraler Bedeutung sein, wie sich die Ärztedichte und die Passantenfrequenz entwickeln. Vor allem Apotheken im nördlichen Teil des IHK-Bezirks werden unter dem Rückgang der Einwohnerzahl leiden, die auch mit einem Rückgang der Arztpraxen einhergeht. Hier werden sich vor allem jene Apotheken günstiger entwickeln, die in der Nähe medizinischer Versorgungszentren liegen. Die höchsten Umsatzzuwächse sind bei Apotheken in zentraler Lage innerhalb Frankfurts zu erwarten. Allerdings liegen hier auch die Ladenmieten sowie aufgrund der höheren Personalintensität auch die Personalkosten deutlich über dem Durchschnitt. Apotheken, die sich negativ auf die Beschäftigung auswirken. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass die Beschäftigung im Pharmahandel im IHK-Bezirk Frankfurt am Main annähernd konstant bleiben wird. Beschäftigtenzahl bleibt konstant – durchschnittliche Beschäftigtenzahl je Apotheke steigt Eine alternde Gesellschaft fördert die Spezialisierung in der Sortimentsgestaltung Die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in den Apotheken ist in den letzten zehn Jahren von sechs auf sieben Beschäftigte gestiegen. Zum einem ist dies auf eine vermehrte Beschäftigung von Teilzeitkräften zurückzuführen, zum anderen auch auf den gestiegenen Beratungsbedarf. Vor allem durch das zu erwartende überdurchschnittliche Marktwachstum rezeptfreier Medikamente und eine Erweiterung des Produktsortiments ist auch in Zukunft ein steigender Beratungsbedarf in Apotheken zu erwarten. Die Apotheken besitzen vielfältige Möglichkeiten zur Differenzierung ihres Sortiments, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Im Zuge der stark wachsenden Zahl älterer Menschen wird eine Erfolg versprechende Strategie sein, sich beim Sortiment und bei der Beratung gezielt den besonderen Bedürfnissen der älteren Kundschaft zu widmen. Überdurchschnittliche Wachstumspotenziale insbesondere in den bevorzugten Innenstadtlagen Frankfurts, Bad Homburgs und Hofheims sind auch im Verkauf hochpreisiger Kosmetika für die „reife“ Kundschaft zu erwarten. Gegenläufige Tendenzen für die Beschäftigung ergeben sich aus Regulierungen im Zuge der Gesundheitsreformen und der sinkenden Zahl von 52 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Randsortimente werden im Zuge des demografischen Wandels an Bedeutung gewinnen Wertewandel erfordert Neuausrichtung der Apotheken in Bezug auf Kundenbindung Bislang machen das apothekenübliche Ergänzungssortiment (Hygiene, Körperpflege, Kosmetika, Sonnenschutz, Vitamine und Mineralstoffe) sowie Krankenpflegeartikel (Messgeräte, Thermometer, Pflaster, Inkontinenzartikel) rund 10 Prozent des gesamten Umsatzes der Apotheken im IHK-Bezirk Frankfurt am Main aus. Für die Zukunft ist nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung grundsätzlich mit einem Bedeutungsgewinn dieser Artikel zu rechnen.11 Allerdings werden diese Artikel verstärkt auch in Drogeriemärkten und Reformhäusern nachgefragt werden. Der Hauptumsatz der Apotheken wird weiterhin mit verschreibungspflichtigen Medikamenten erzielt werden. Der verstärkte Wettbewerb auf dem Apothekenmarkt hat bereits dazu geführt, dass die überwiegende Mehrzahl der Apotheken im IHK-Bezirk Frankfurt am Main in Netzwerke eingebunden ist, um beim Großhandel günstigere Einkaufspreise und verbesserten Service zu erzielen. Im Zuge des Wertewandels werden aber die Anforderungen an das Erscheinungsbild der Apotheken steigen. Hier besteht vielfach noch Nachholbedarf. Werbemaßnahmen, attraktive Schaufenstergestaltung, Schwerpunktaktionen im Sortiment (z. B. Diabetes-Risikotests) oder die Einführung von Bonussystemen werden verstärkt auch bei den Apotheken im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Einzug halten. Umsatzstruktur der Apotheken Frei verkäufliche Arzneimittel: 1 % Krankenpflege- und medizinischer Bedarf: 4 % apothekenübliche Ergänzungsmittel: 5 % Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (apothekenpflichtig): 11 % Verschreibungspflichtige Arzneimittel: 79 % 11 Vgl. IHK Frankfurt am Main (Hrsg.): Demografischer Wandel – Wirtschaftswachstum – Wirtschaftsstruktur, Frankfurt 2011. Quelle: ABDA Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 53 9. (Medical) Wellness Wellnessmarkt profitiert von hoher Kaufkraft Der sogenannte zweite Gesundheitsmarkt hat im IHK-Bezirk eine starke Funktion. Thermalbäder und vielfältige Formen von Anwendungen finden sich etwa in Bad Homburg (z. B. Kur-Royal, Taunus-Therme), in Hofheim (RheinMain Therme) oder in Königstein (Kurbad). Darüber hinaus gibt es in jedem Ort diverse Fitness- und Sporteinrichtungen. Die Anbieter gesundheitsbezogener Freizeitangebote profitieren von der überdurchschnittlichen Kaufkraft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main. Im Hochtaunus- und Main-Taunus-Kreis liegt sie um rund 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, in der Stadt Frankfurt am Main um knapp 15 Prozent darüber. Das Thema Gesundheitstourismus ist in der Region jedoch gewiss noch ausbaufähig. Alternde Gesellschaft fördert stärkere Einbeziehung von medizinischen Aspekten in Wellness- und Fitnessangebote • Leitung der Wellnessabteilung durch einen Arzt Das steigende Gesundheitsbewusstsein und der Trend zu einem gesünderen Lebensstil in Teilen der Bevölkerung sind Wachstumstreiber für den Bereich Wellness und Fitness in der Region des IHK-Bezirks Frankfurt am Main. Dabei wird das Wellness- und Fitnessangebot in der Zukunft zunehmend differenzierter ausfallen und der medizinische Aspekt im Zuge einer alternden Gesellschaft stärker in den Vordergrund treten als bisher. „Medical Wellness“ wird ein wachsender Trend der Zukunft sein. „Medical Wellness“ beinhaltet gesundheitswissenschaftlich begleitete Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität und des subjektiven Gesundheitsempfindens durch eigenverantwortliche Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Motivation zum gesundheitsbewussten Lebensstil. Vor diesem Hintergrund sind Bestandteile von Medical Wellness: • Medizinische Betreuung durch ausgebildete Fachkräfte 54 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel • Ärztliche Eingangsuntersuchung • Überprüfung des Erfolgs der Anwendungen durch einen Arzt Gerade aus der Verbindung zwischen (privaten) Kliniken und Wellnessanbietern ergeben sich für die Region neue Marktfelder. Auch die klassischen Fitnessstudios werden sich im Zuge der Alterung der Gesellschaft und der sich daraus ergebenden Veränderungen des Anforderungsprofils wandeln. Medizinische Beratung und Betreuung wird stärker als bisher in den Vordergrund rücken. Wachstumsbereiche werden sich unter anderem auch für Studios ergeben, die sich nicht nur in ihrem Leistungsangebot, sondern auch in der räumlichen Gestaltung und Atmosphäre stärker auf eine älter werdende Kundschaft sowie Ausbaufähiges Potenzial im Gesundheitstourismus Die Destination Taunus gehört zu den landschaftlich attraktivsten Mittelgebirgen in Deutschland. Eine sehr gute Verkehrsanbindung, ein vielfältiges gastronomisches Angebot und nicht zuletzt das reichhaltige Angebot sowohl an Wellness- und Freizeiteinrichtungen als auch an medizinischen Einrichtungen bieten gute Voraussetzungen für den Gesundheitstourismus. In einer alternden Gesellschaft wird nicht nur das Thema „Gesundheit im Urlaub“ zukünftig eine stärkere Rolle spielen, sondern auch der Naherholungstourismus. Mit über 5,2 Millionen Menschen allein in der Metropolregion FrankfurtRheinMain, die über eine insgesamt überdurchschnittliche Kaufkraft verfügen, ergibt sich ein gutes Marktpotenzial. Bislang sind die vorhandenen Potenziale, die sich aus dem Gesundheitstourismus in der Region bieten, nicht ausreichend ausgeschöpft worden. Foto: Fotolia.com/Liv Friis-larsen auf einen wachsenden Frauenanteil einstellen. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 55 VII. Chancen nutzen, Risiken vermeiden 1. Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk Frankfurt am Main Gesundheitswirtschaft als wichtigen und besonders zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor begreifen Wo die Probleme liegen Bislang wird das Thema „Gesundheitswirtschaft“ in Politik und Öffentlichkeit zu sehr auf das „Gesundheitswesen“ begrenzt und einseitig unter dem Aspekt Kosten und Finanzierung des gesetzlichen Gesundheitssystems diskutiert. Die Tatsache, dass nahezu jeder siebte Erwerbstätige in Deutschland in der Gesundheitswirtschaft im erweiterten Sinne (einschließlich des „zweiten Gesundheitsmarkts“) tätig ist und die Gesundheitswirtschaft gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels für die Zukunft zu den Hauptwachstumsbranchen zu zählen ist, wird vielfach nicht ausreichend berücksichtigt. Dies gilt zum Teil auch für die regionale Wirtschaftsförderung und das Standortmarketing. Die Stadt Bad Homburg hat sich zwar in der Vergangenheit in besonderer Weise als Gesundheitsstandort positioniert, auch gibt es einige Initiativen und Netzwerke, wie etwa den Verein Gesundheitswirtschaft RheinMain e.V., doch letztlich mangelt es an einer übergreifenden Vernetzung der Branche entlang der Wertschöpfungskette innerhalb der Region und damit an einer eindeutigen Positionierung von FrankfurtRheinMain als Gesundheitsstandort. Die Probleme liegen in: • der fehlenden Kenntnis der Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und in der gesamten Metropolregion FrankfurtRheinMain, • der nicht ausreichenden Berücksichtigung der Bedeutung der Pharmaindustrie für den Wirtschaftsstandort Frankfurt am Main, • der nicht ausreichenden Vernetzung der Gesundheitswirtschaft innerhalb der Gesamtregion. 56 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel Was getan werden sollte Die Kommunen in der Region sollten: • die Positionierung der gesamten Region FrankfurtRheinMain als Gesundheitsstandort als eine besonders wichtige Aufgabe der Wirtschaftsförderung erkennen – der Maßnahmenkatalog reicht hier von der Bereitstellung geeigneter Gewerbeflächen bis hin zu einer gezielten nationalen und internationalen Vermarktung –, • die strategische Fortentwicklung des industriellen Teils der Gesundheitswirtschaft stärker in den Fokus rücken, • speziell in der Stadt Frankfurt am Main als eines der Biotechnologiezentren in Deutschland die Vernetzung von Pharmaindustrie, Finanzsektor und "Roter Biotechnologie" im Rahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung vorantreiben, • bei der Entwicklung und Positionierung der Region für den Gesund- Foto: Fotolia.com/Thomas Graf heitstourismus stärker als bisher kooperieren und dabei dem Wachstumsmarkt „Medical Wellness“ eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Die Landesregierung sollte: • sich bei der Förderung und beim Standortmarketing nicht nur auf einige kleine Teilbereiche der Gesundheitswirtschaft wie Biotechnologie und Medizintechnik fokussieren, sondern auf den Wirtschaftsfaktor „Gesundheit“ in seiner Gesamtheit; dies umfasst ebenso die klassische Pharmaindustrie wie den Gesundheitstourismus – hier sollte die Hessen Agentur ihre Aktivitäten verstärken, • die Vernetzung der Gesundheitswirtschaft über die Landesgrenzen hinweg fördern. So bestehen beispielsweise zwischen den Unternehmen der Gesundheitswirtschaft in der RheinMain-Region und den Unternehmen und Forschungseinrichtungen in der Rhein-Neckar-Region enge Verflechtungen, die es zum Beispiel durch Ländergrenzen überschreitende Clusterinitiativen zu stärken gilt. Die Bundesregierung sollte: • das Thema „Gesundheitswirtschaft“ verstärkt fachübergreifend in den Ministerien für Gesundheit, Wirtschaft, Bildung und Forschung sowie Arbeit und Soziales behandeln (unter Federführung eines Ministeriums), • bei der Ausarbeitung und Verabschiedung neuer Gesetze zur „Gesundheitsreform“ nicht nur die Kosten für das gesetzliche System der Krankenversicherung im Blick haben, sondern auch die Auswirkungen auf die Beschäftigung im Gesundheitssektor in Deutschland und die möglichen gesamtwirtschaftlichen Folgekosten. Dies kann etwa durch umfassende Kosten-Nutzen-Analysen geschehen. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 57 Foto: Fotolia.com/Christian Schwier Fachkräftemangel begegnen • den zu geringen Bildungsanstrengungen, insbesondere im MINT-Bereich, Wo die Probleme liegen Bis zum Jahr 2050 wird es in Deutschland 12 Millionen Erwerbspersonen weniger geben als heute. Bereits gegenwärtig besteht im Pflegebereich ein akuter Arbeitskräftemangel; die Unternehmen der Medizintechnik beklagen das Fehlen geeigneter Kräfte in einzelnen ingenieurwissenschaftlichen Bereichen; in der Pharmaindustrie kann zurzeit der Bedarf an Bioinformatikern nicht gedeckt werden. Zudem wandern gegenwärtig mehr gut ausgebildete Ärzte ins Ausland ab, als aus dem Ausland zu uns kommen. Es ist zu befürchten, dass zukünftig der Fachkräftemangel speziell im Mittelstand zu einem gravierenden Wachstumshemmnis wird und sich die ärztliche und pflegerische Versorgung verschlechtert. Die Probleme liegen in: • der ungenügenden Nutzung des vorhandenen Erwerbspersonenpotenzials, • der nachlassenden Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland für hoch qualifizierte Fachkräfte, • den Erschwernissen für die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Was getan werden sollte Die Hochschulen der Region sollten: • bei der Bildung fachlicher Schwerpunkte noch mehr als bisher kooperieren, um qualifiziertes Forschungspersonal zu gewinnen, • den Ausbau von Bildungskooperationen (duale Studiengänge, akademische Weiterbildung) vorantreiben, • unternehmerische Praxis und wissenschaftliche Lehre besser verzahnen, zum Beispiel durch Ringvorlesungen von Unternehmensvertretern in Universitäten und Fachhochschulen, die verstärkte Einbeziehung betriebs- 58 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel wirtschaftlicher Lehrinhalte in den Naturwissenschaften und die Einrichtung so genannter Existenzgründerwerkstätten. Diese Maßnahmen können einen Beitrag dazu leisten, die Gründungsdynamik speziell in der Biotechnologie zu erhöhen. Die Kommunen in der Region sollten zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Voraussetzung für eine langfristige Erhöhung der Erwerbsquote: • die ab 2013 geltenden gesetzlichen Vorgaben zur Kinderbetreuung möglichst rasch umsetzen, • die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten stärker an den Arbeitszeiten der Eltern ausrichten, • für eine flächendeckende Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter sorgen. Außerdem sollten sich die Kommunen auf organisatorische Veränderungen in der medizinischen Versorgung, Foto: Fotolia.com/Sebastian Wolf unter anderem bedingt durch einen zunehmenden Ärztemangel, einstellen. Langfristig ausgerichtete Stadtentwicklungskonzepte müssen die Integration von medizinischen Versorgungszentren in gut erreichbarer Lage berücksichtigen. Die Landesregierung sollte: • die MINT-Fächer in der Schule stärken, mehr Experimente in die Lehrpläne aufnehmen, ein Fach Naturphänomene in der Grundschule einführen. Auf allen politischen Ebenen sollte: • sich die Bildungs- und Familienpolitik als Bestandteil der langfristigen Innovations- und Wachstumsförderung verstehen. Ziel muss es sein, den Anteil qualifizierter Schulabgänger zu erhöhen, die Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer zu steigern und die Erwerbsquote zu erhöhen. Die Bundesregierung sollte: • die Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EULändern erleichtern, • die Voraussetzungen für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland speziell für die stationäre, ambulante und häusliche Pflege erleichtern, • die Transparenz bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen erhöhen. Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 59 Foto: Fotolia.com/Sebastian Duda Innovationsfähigkeit stärken Wo die Probleme liegen Die Stärke der Gesundheitswirtschaft im IHK-Bezirk liegt vor allem in der Innovationskraft der Unternehmen und der hohen Dichte an Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in der Region. Für die Zukunft des Gesundheitsstandortes Frankfurt am Main wird es entscheidend darauf ankommen, die Innovationsfähigkeit zu erhalten. Die Probleme liegen in: • der innovationsspezifischen Bürokratie im Rahmen von Genehmigungsund Zulassungsverfahren sowie in der Innovationsförderung (z. B. Transparenz bei Fördermöglichkeiten, Antragsformalitäten, restriktive Zulassungs- bzw. Genehmigungspraxis bei neuen Produkten und Verfahren in der Biotechnologie und Pharmaindustrie), • den Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere der Wagniskapitalfinanzierung kleiner Unternehmen, • der noch unzureichenden Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen im Rahmen des Wissensund Technologietransfers. auch als besondere Chance für die Hochschule unter betriebswirtschaftlicher Perspektive sehen. Die Kommunen in der Region sollten: Was getan werden sollte Die Hochschulen der Region sollten: • ihre Bemühungen im Technologietransfer intensivieren und vor allem untereinander verstärkt zusammenarbeiten, • ihre Transferstellen zu fachbereichsübergreifenden Transferdienstleistungen weiterentwickeln, die autonom agieren und strukturell enger in die Arbeit des TechnologieTransferNetzwerkes Hessen eingebunden sind, • stärker noch als bisher EU-Forschungsprojekte nutzen, um sich so an Spitzenforschung zu beteiligen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, • eine engere Kooperation mit den Unternehmen der Gesundheitswirtschaft 60 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel • die hohe Bedeutung des Forschungsund Wissenschaftsstandortes beim Standortmarketing noch stärker als bisher herausstellen. Die Kampagne „Wissensregion FrankfurtRheinMain“ bietet hierfür eine geeignete Plattform, • die Voraussetzungen für die Durchsetzung der Telemedizin in der Region verbessern. Dazu gehört unter anderem eine flächendeckende Versorgung mit High-Speed-Internetanschlüssen. Dies ist bislang nicht überall in der Region gewährleistet. Die hessische Landesregierung sollte: • einen gezielten Ausbau des Technologietransfers an Hochschulen unterstützen, u. a. durch entsprechende Rahmenbedingungen und bessere Anreize für Hochschullehrer, um die Foto: Fotolia.com/Frank Täubel Bereitschaft für Kooperationsprojekte mit der Wirtschaft zu erhöhen, • Fördermaßnahmen des Technologietransfers innerhalb der Hessen Agentur stärker bündeln. • die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft fördern, bspw. durch die Etablierung des „House of Pharma“ in der Region. Es ist zu prüfen, ob dieses Konzept nicht noch auf andere Bereiche der Gesundheitswirtschaft übertragen werden kann. Auf Bundesebene sollte: • ein Wagniskapitalgesetz die notwendige Rechtssicherheit z. B. für Wagniskapitalfonds schaffen, wobei der Nutzerkreis, d. h. die finanzierten Unternehmen, nicht wie beim gescheiterten Wagniskapitalbeteiligungsgesetz (MoRaKG) zu eng begrenzt sein dürfen, sondern Personengesellschaften sowie größere Unternehmen umfassen sollte, • auf die Verbesserung der Projektförderung (z. B. schlanke Antrags- und Abwicklungsverfahren) gesetzt werden, • die steuerliche FuE-Förderung praxisnah ausgestaltet werden. Sie muss sich zugleich in eine umfassende Steuerreform einfügen – allerdings nicht zulasten der bewährten themenoffenen Projektförderung. Innovationen entstehen in erster Linie in Unternehmen. Gerade in der Gesundheitswirtschaft gibt es vielfältige neue Anwendungsgebiete, die sich aus der Alterung der Gesellschaft weltweit ergeben. Die hieraus sich bietenden Marktchancen gilt es für die Unternehmen zu nutzen. Dazu muss stärker noch als bisher das Thema „Demografischer Wandel“ bei der Produktentwicklung in den Fokus rücken. Grundsätzlich müssen sich die Unternehmen in der Region noch intensiver mit den Folgen des demografischen Wandels für ihre Tätigkeit auseinandersetzen. Dazu gehört auch, die Weiterbildung älterer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stärker als bisher in den Fokus zu rücken. Dies ist notwendig, um bei alternden Belegschaften Innovationsfähigkeit und Produktivität zu sichern. Zudem kann eine Erhöhung der Erwerbsquote nur erreicht werden, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert wird. Hier ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, sondern auch die Unternehmen und die Tarifparteien zum Beispiel bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Innovationen fördern wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung. Aus der demografischen Entwicklung ergeben sich vielfältige neue Marktchancen. Die Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen werden sich verändern. Die Unternehmen, die sich frühzeitig auf die sich verändernden Anforderungen einstellen, werden besonders erfolgreich sein. Die IHK Frankfurt am Main unterstützt die Unternehmen mit einer Vielzahl von Informationen rund um das Thema „Demografischer Wandel“. Eine Übersicht der aktuellen Angebote findet sich unter: www.frankfurt-main.ihk.de/demografie Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 61 VIII. Quellenangaben Datenquellen: • Behrend-Institut, Frankfurt am Main • Bundesministerium für Gesundheit, Berlin • Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Berlin • Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main Literatur: • Landesärztekammer Hessen, Frankfurt am Main • Berlin-Institut (Hrsg.): Demenz-Report, Berlin 2011 • Landeszahnärztekammer Hessen, Frankfurt am Main • Brinkhaus, M./Greiling, M.: Marktchancen und -risiken in der Gesundheitswirtschaft, Stuttgart 2010 • Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, Frankfurt am Main • Statistisches Bundesamt, Wiesbaden • Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin • Vereinte Nationen, New York • Hessen Agentur, Wiesbaden Quellen der Titelbilder • Hessisches Statistisches Landesamt, Wiesbaden • Fotolia.com • IHK Frankfurt am Main Von oben links nach unten rechts: Eisenhans, Gernot Krautberger, gornist, iceteastock, Yuri Arcurs, nyul • IMS Health, Frankfurt am Main • Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen • Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 62 | Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel • Bronsema, V., u. a.: Biotechnologie in Deutschland – Argumente für die Stärkung des innovativen Mittelstandes, hrsg. von der Konrad-AdenauerStiftung, Sankt Augustin/Berlin 2009 • Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): BioPharma: Für die Medizin der Zukunft, Bonn 2007 • Deutsche Apotheker und Ärztebank (Hrsg.): APO-Fokus, Nr. 5, Jahrgang 2004 • DIHK (Hrsg.): Wachstumsmarkt Gesundheit, Berlin 2010 • Ernst & Young (Hrsg.): Biotechnologie-Report 2010, Eschborn 2010 • Gassmann, O./Reepmeyer, G.: Wachstumsmarkt Alter – Innovationen für Interviewpartner: die Zielgruppe 50+, München/Wien 2006 • Gauler, A., u. a.: Struktur und Entwicklung der Gesundheitswirtschaft in Hessen, hrsg. von der Hessen Agentur, Wiesbaden 2010 • IHK Frankfurt am Main (Hrsg.): Demografischer Wandel – Wirtschaftswachstum – Wirtschaftsstruktur, Frankfurt 2011 • Kartte, J./Neumann, K.: Der Gesundheitsmarkt – Sicht der Bürger – Strategien der Anbieter, hrsg. von Roland Berger Strategy Consultants, Berlin 2008 • Lang-Koetz, C./Spath, D. (Hrsg.): Biotechnologie 2021 – Chancen und Herausforderungen, Stuttgart 2007 • Lehr, U.: Psychologie des Alterns, 11. 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Geschäftsführer, Arbeiterwohlfahrt Frankfurt am Main • Hug, Ralph, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main • Richter, Jürgen G., Dr., Geschäftsführer, Arbeiterwohlfahrt, Frankfurt am Main • Sauerbrey, Günther, Director Public Affairs, Merz Pharma GmbH & Co. KGaA, Frankfurt am Main • Wolf, Stefan, Leiter der Wirtschaftsförderung Bad Homburg Gesundheitswirtschaft und demografischer Wandel | 63 Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main Börsenplatz 4 60313 Frankfurt am Main IHK-Service-Center Schillerstraße 11 60313 Frankfurt am Main Telefon: +49 69 2197–0 Telefax: +49 69 2197–1548 [email protected] IHK-Geschäftsstelle Bad Homburg Louisenstraße 105 61348 Bad Homburg Telefon: +49 6172 1210–0 Telefax: +49 6172 22612 [email protected] www.frankfurt-main.ihk.de IHK-Geschäftsstelle Hofheim Kirschgartenstraße 6 65719 Hofheim Telefon: +49 6192 9647–0 Telefax: +49 6192 28894 [email protected]