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8 Senta Berger »Dass das Leben so unaufhaltsam ist, das habe ich nicht geahnt« 13 Norbert Blüm 18 Barbara Schöneberger 24 Howard und Wayne Carpendale 30 Daniel Brühl 35 Elke Heidenreich »Wodka gut?« 82 »Ein großes Abenteuer« 87 93 40 Reiner Calmund 98 Anke Engelke 103 Frank Schätzing 108 Johannes Rau 114 Sabine Postel »Wenn ich jetzt eine Lebenskrise hätte, müsste ich bescheuert sein« 64 Oliver Pocher 68 Antonia Rados 73 Johann Lafer 77 Götz George »Ich war immer nah dran am Gefeuertwerden« »Schokolade und ein Riesenhandtuch« Peter Ustinov »Ich werde nervös in der Nähe schlechten Geschmacks« 119 Ralph Giordano »Mein Kompass ist Auschwitz« 123 Roland Kaiser »Es ist leichter geworden, mit mir auszukommen« 127 »Erziehung ist Beispiel und Liebe – sonst nichts« 58 Bettina Böttinger »Ich hatte immer eine große Klappe« »Kugelschreiber auf der neuen Wohnzimmertapete« 54 Markus Lanz »Ich habe jeden Satz aus Derrick nachgesprochen« »Humor ist keine schlechte Medizin« 49 Eckart von Hirschhausen »Lache, und die Welt lacht mit dir – schnarche, und du schläfst allein« »Junge Liebe hält frisch« 44 Jessica Schwarz »Ich bin froh darüber, wie es gelaufen ist, mit allem Drum und Dran« »Wir gehörten immer zusammen« »Ein bisschen frech, ein bisschen ruppig – wir passen gut zusammen, Köln und ich« Wolfgang Overath »Wird im Himmel Fußball gespielt?« »Es gibt mehr gute Frauen als gute Männer« »Ich weiß, wie man unter Druck funktioniert« Carol und Peter Kloeppel Ulrich Wickert »Politiker spielen auch nur ihre Spielchen« 132 Hella von Sinnen »Kastanien-Gefühle« 136 Bernd Stelter »Auftritte sind wie guter Sex« 142 Mariele Millowitsch »Ich habe es geschafft, mich auf eigene Beine zu stellen« 146 Christine Westermann »Die Liebe geht, die Briefe bleiben« »Kochen und Genießen, Erotik pur« 152 »Ich wollte nie mehr sein als ein guter Schauspieler« 6 Vertauschte Rollen: Christine Westermann fragt Horst Stellmacher »Ente fahren ist ein Lebensgefühl, mein Lebensgefühl« 7 Senta Berger »Dass das Leben so unaufhaltsam ist, das habe ich nicht geahnt« In der TV-Reihe »Unter Verdacht« spielen Sie seit 2002 eine Kriminalrätin, die in München im Einsatz gegen die Korruption ist. Wenn Sie dort damit durch sind, könnten Sie Ihren Job nach Köln verlegen ... Stimmt, kölscher Klüngel hat einen besonderen Ruf.Aber ich denke, bayerischer Filz hat ebensolche Qualitäten. Und da bleibt noch viel zu tun. In Deutschland gibt es viele aktuelle Beispiele. Sind Korruption, Schiebereien und Klüngel Zeichen der Zeit? Nein, ich bin überzeugt, dass es früher noch schlimmer war. Gerade in der Zeit, in der wir nichts drüber gelesen haben. Damals, in den 50er-Jahren, hat die Wirtschaft viel mehr in die Politik eingegriffen. Wir hatten Hemmungen, etwas Negatives über Politiker zu sagen, sie gar zu kritisieren. Damals gab’s das Gefühl: die da oben, wir da unten. 8 Aber jetzt haben wir Demokratie gelernt ... ... und haben erfahren, dass die Menschen nicht besser werden. Deswegen ist es gut, ihnen weiter auf die Finger zu schauen. Noch immer gibt es wenige, die von vielen verlangen, dass sie auf den Punkt genau Steuern zahlen, während sie selbst gern an der Steuer vorbeiarbeiten. Da hat sich nichts geändert. Es heißt, das Finanzamt zu betuppen, sei ein Volkssport ... Das hat sicher jeder schon mal erlebt. Das fängt mit den gefälschten Taxi-Quittungen an. Wenn der Taxifahrer uns fragt: »Welches Datum soll ich schreiben?« Können Sie bei der Frage widerstehen? Ich hätte ein ungutes Gefühl, wenn ich’s nicht machen würde, das würde sich nicht lohnen. Schließlich geht’s da nur um zehn Euro. Bei denen da oben geht’s aber um ganz andere 9 Beträge. Ich selbst gehöre zu denen, die kaum ihre Steuererklärung verstehen, und ich verstehe erst recht nicht, wie man was an der Steuer vorbeischwindeln kann. Sie haben als junge Frau viele große Filme gemacht, die oft im Fernsehen wiederholt werden. Was fühlen Sie, wenn Sie sich wiedersehen? Hin und wieder schalte ich mich zufällig in meine alten Filme und sehe dann die junge Frau, die ich mal war. Das ist wie die Entdeckung eines unbekannten Kontinents: »Guck mal! Ach, so war das damals. Das habe ich gar nicht mehr gewusst«. Oder: »So jung war ich damals ...« Kommt Melancholie auf? Die sentimentalen Gefühle sind da. Es wäre ja auch komisch, wenn das nicht so wäre. Es ist, als schaue man ein altes Fotoalbum oder einVideo von damals an.Was haben wir damals Familienfilme gedreht, ganz hingerissen von unseren Kindern! Einer Ihrer großen Fernseherfolge war die Serie »Kir Royal«. Haben Sie heute noch Freude daran? Ich habe mich lange davor gedrückt, »Kir Royal« zu schauen, obwohl ich sie auf DVD geschenkt bekommen habe. Sie lag lange rum, ich hatte nicht den Mut, sie mir anzugucken. Ich war mir unsicher: Ist »Kir Royal« wirklich so gut, wie ich es in Erinnerung habe? Und wie bin ich selbst? Wie haben Sie die Begegnung mit sich selbst bestanden? Ich habe es gewagt und bin glücklich: »Kir Royal« ist fantastisch, ist wirklich gut. Und ich selbst? Ich bin auch gut. Trotz Ihrer großen Erfolge haben Sie sich nie als der große Star oder die Diva feiern lassen. Warum? Ich bin mal mit Whoopi Goldberg durch Los Angeles gefahren. Sie hatte immer Sicherheitsleute dabei, ihr Auto war von innen verschlossen. Ich fand das verrückt. Doch sie musste das machen: »Wenn ich stehen bleibe und die mich erkennen, kriechen sie ins Auto rein.« So etwas hätte ich nie gewollt. Schauen Sie sich die alten Filme an? Die kann ich mir kaum noch angucken, da bricht mir das Herz. Ich kann es nicht aushalten, weil ich es nicht begreife: Ich habe eine Menge gelernt und eine Menge erfahren, aber dass das Leben so schnell geht, dass es so unaufhaltsam ist! Das habe ich nicht geahnt. Was bedeutet Ihnen das Alter? Ich denke nicht dran. Sie können mir noch so oft sagen, wie alt ich bin. Ich glaube es nicht. Sie können mir eine Torte hinstellen mit der Zahl drauf. Ich werde Danke sagen – aber ich habe keine Ahnung, dass das wirklich so ist. Das ist allerdings in Deutschland anders ... Diese Art haben wir nicht.Wenn heute der Ballack oder Grönemeyer vor uns über den Platz gingen, hätten sie vielleicht ihre Schwierigkeiten.Aber die richtige Starverehrung wie einst gibt es nicht mehr. Das muss man sich mal vorstellen: Wenn Maria Schell in den 50er-Jahren zu der Berlinale kam, mussten die Straßen in Berlin gesperrt werden! Diese Naivität haben wir verloren, die gibt es in ganz Europa nicht mehr. Verstecken Sie sich vor Ihren Fans? Nein, aber ich kann absolut unsichtbar werden. Ich gehe 10 11 einkaufen, fahre Straßenbahn und keiner erkennt mich. Und wenn ich mich ein bisschen hübsch mache und meine hohen Schuhe anziehe, kommen die Leute schon und sagen: »Sagen Sie ... sind Sie nicht die ... äh ... die Uschi Glas?« Norbert Blüm Sie sind Präsidentin der Deutschen Film-Akademie. Warum ist Fernsehen in Deutschland bedeutend erfolgreicher als Kino? Das eine hängt immer mit dem anderen zusammen. Je besser das Kino ist, desto schlechter wird Fernsehen sein. Bei uns ist es anders herum ... Wir haben die allerbesten Filmhochschulen Europas. Doch wenn die Leute fertig sind, gehen sie in die Werbung oder ins Ausland. Und nur zwei, drei bleiben und sagen, ich mache deutsches Kino.Weil man von dem, was man da verdient, kaum eben leben kann, geht’s weiter zum Fernsehen. So kommt’s auch zu den enormen Unterschieden im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie Frankreich oder Italien. Warum sollte man deutsche Filme fördern? Weil Film ein Teil unserer eigenständigen Kultur ist. Und ich möchte Filme, die mir was in meiner Sprache über mein Land erzählen. Es gibt viele gute deutsche Filme ... »Wodka gut?« Es gibt Monate, da ist es ganz still um Sie – dann gibt’s weder Kabarett noch Politik oder Interviews. Wohin tauchen Sie ab? Nach Finnland, in die absolute Funkstille. In ein schönes Haus, das mal ein Heu-Silo war. Der Bauer, dem es gehört, hatte in den 70er-Jahren seine Kühe abgeschafft, seinen HeuSilo auf Kufen gestellt und ihn an den See gezogen. Dort baute er eine Wendeltreppe und schnitt zwei Fenster rein. Jetzt könnten wir vom Bett aus direkt ins Wasser fallen. Es ist die absolute Gegenwelt zu meinem übrigen Jahr. Jenseits aller Zivilisation und jeden Rummels. Natur pur. ... die haben im Gegensatz zu denen aus Hollywood viel zu wenig Öffentlichkeit. Und mir ist vollkommen unverständlich, warum ein einziges Opernhaus in München rund 80 Millionen Euro im Jahr Subventionen bekommt, während man im Vergleich dazu die Kinos nicht als kulturelle Institutionen ansieht und dementsprechend fördert. Unbegreiflich! Das klingt nach reinem Glück ... 12 13 Das ist es. Und dazu kommt der See, der mich nachdenklich macht: Mal ist er wild wie ein Tiger, mal zahm wie eine Katze, mal tanzt das Licht auf ihm, dann lacht er in der Sonne, und hin und wieder schlummert er traurig unter Nebelschwaden – ein Schauspiel ohne Ende. Sie sind Rentner, Sie hätten Zeit. Warum sind Sie nicht öfter in Finnland? Es ist gut, ab und zu mal auszusteigen. Aber für immer? Nein, ich kann nicht nur vor mich hin schlummern. Nur für die Beschäftigung mit der eigenen Seele eigne ich mich nicht – so interessant ist die nicht. Sprechen Sie Finnisch? Wenn ich beim Bauer vorfahre, ist unsere Verständigung sehr einfach. Er fragt: »Wodka gut?« Und ich antworte: »Wodka sehr gut.« Dabei kommt es auf die jeweilige Betonung an. Sie ist das wechselseitige Stimmungsbarometer. Ansonsten hat meine Frau Finnisch gelernt, sie spricht für mich, ich verlass’ mich da ganz auf sie. Interessieren Sie sich noch für Sozialpolitik? Klar, denn wer einmal Sozialpolitiker war, bleibt immer Sozialpolitiker. Doch Sozialpolitik ist nicht mehr im Trend ... Ich sehe schon, wie der Sozialstaat behandelt wird! Als wäre er der Lappen, an dem jeder seinen Fuß abstreift. Ich behaupte, ohne Sozialstaat funktioniert keine Marktwirtschaft. Wer das bestreitet, soll sich mal Russland ansehen. Da haben die Chicago-Boys den Reformern gesagt: »Wettbewerb, Privatisierung, Deregulierung braucht ihr nicht – dann kommt der Wohlstand.« Da haben sie recht gehabt. Es ist Wohlstand entstanden, der ist an der Riviera oder in Zypern zu besichtigen, wo die Mafia ihren Reichtum hingeschafft hat. Das Volk jedoch verarmt. Kann man das noch bremsen? Sie haben immer Ihre Enkel dabei. Wir kommen die Generationen miteinander klar? Die Kleinen entdecken mit mir die Natur neu, Natur ist ein Erziehungsmittel. Kinder kriegen bei uns in Deutschland ja kaum noch mit, dass das Wasser nicht nur aus dem Hahn, sondern auch im Bach fließt. So weit vom Schuss – können Sie da wirklich ruhig bleiben? Früher bin ich jeden Tag mittags zum Bauern ans Telefon gehetzt und habe gefragt, was im Ministerium in Bonn los ist. Es gab kaum einen Urlaub, der nicht unter- oder abgebrochen werden musste. Nehmen Sie heute alles leichter? Die Generation, die Verantwortung hat, muss die neuen Herausforderungen meistern. Der Sozialstaat braucht internationale Spielregeln. Sonst verkommt Globalisierung zur Olympiade:Wer am billigsten produziert, der gewinnt. Dann müssen wir eines Tages Kinderarbeit einführen, oder die Arbeiter müssen noch Geld mitbringen. Wenn Sie nicht Politikerkarriere gemacht hätten – könnten Sie von einer normalen Rente leben? Ich würde hinkommen, müsste mich allerdings einschränken. Ihr großes Wort war: »Die Rente ist sicher!« Sie sind dafür oft gescholten worden … Das ist heute anders. Ich rege mich zwar immer noch auf, allerdings kann ich mir jetzt die Gegenstände der Aufregung selbst aussuchen. Früher musste ich nehmen, was kommt. Rente ist immer noch sicherer als jede kapitalgedeckte Privatversicherung. Die Pensionsfonds wackeln in der ganzen Welt. Sichere Rente ist allerdings kein Gottesgeschenk. Sie hängt von zwei Sachen ab: von Arbeit und vernünftigen Re- 14 15 formen. Und wie es weitergeht, hängt von der Situation unserer Wirtschaft ab. Denn bezahlt wird die Rente immer vom Geld der nachwachsenden Generation. Die große soziale Frage ist: Haben wir produktive Arbeit für alle? Wohlstand ist auch eine Frage der Bildung. Ihr Urlaubsland Finnland liegt in Sachen Pisa vor uns ... Da ist es ganz einfach: Die Klassen sind klein, die Lehrer gut bezahlt und hochangesehen. Die haben keine unendliche Organisationsdebatte zwischen bildungspolitischen Schwärmern und Ideologen über Schulformen gehabt. Wie war’s während Ihrer Schulzeit? In bin das Produkt einer Zwergschule.Acht Jahrgänge in einer Klasse, ein Lehrer. Wenn die einen rechneten, haben die anderen Gedichte auswendig gelernt. Wenn es Unruhe gab, hat der Lehrer nicht erst beim Schulrat einen neuen Didaktikkurs angefordert. Dann hat er die Geige von der Wand geholt, und wir haben gesungen. Er muss ein Rastelli der Pädagogik gewesen sein. Was bedeutet Ihnen Alter? Ich entdecke am Alter, dass es nicht nur Abbau und Defizit ist, sondern auch Gewinn. Ich nehme nicht mehr alles wichtig. Ich lasse mich nicht mehr so schnell verrückt machen. Ich weiß, was wichtig und was noch wichtiger ist. Haben Sie schon mit Ihren Memoiren begonnen? Ich werde keine schreiben. Ich gehe gern in meine stillen Herzenskämmerlein. Und da gibt es auch Sachen, die andere einen Dreck angehen. Sie haben dafür gesorgt, dass in der Politik mehr auf Senioren und deren Leben geachtet wird. Deswegen die letzte, sehr indiskrete Frage: Haben Sie eine Patientenverfügung unterschrieben? Mir wäre es am liebsten, wenn im entscheidenden Moment meine Frau oder meine Kinder entscheiden, wie es weitergeht. Sie wissen, dass ich in Würde sterben will und nicht als Teil einer Maschine dahindämmern. Wären Sie heute lieber Kind als damals? Wir können den Film nicht zurückdrehen und unter anderen Bedingungen wieder ablaufen lassen. Es gibt keinen Menschen, der nicht von der Kindheit geprägt ist. Das sollte uns dazu bringen, die Kindheit sorgfältig zu hegen und zu pflegen, wobei es nicht ums Betüteln geht. Mich hat geprägt, dass mein Vater im Krieg war und ich als Zehnjähriger die Kohlen von den Güterwagen runtergeholt habe oder in den Wald ging, um Bäume zu hacken, damit wir es im Winter warm hatten. Kindheit ist kein Zuckerschlecken. Aber eine gute Mama und ein guter Papa machen fast alles gut. 16 17