Blutsbrüderschaft
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Blutsbrüderschaft
Blutsbrüderschaft Ich knallte die Türe zu, schloss die Augen und versuchte - Betonung auf versuchte - tief durchzuatmen und mich zu beruhigen. Vor meiner Zimmertüre spielte sich die Hölle ab. Mein grosser Bruder und meine Eltern schrien sich lauthals an, warfen sich gegenseitig die verletzendsten Dinge an den Kopf. Sie waren völlig verstrickt in ihren Streit, hatten mich nicht mal begrüsst. Aber das kannte ich. Meine Mutter warf meinem Vater zum x-ten Mal vor, dass er sie betrogen hatte, mein Bruder schrie einfach kräftig mit und mein Vater spielte sich zum ach so perfekten Familienoberhaupt auf. Wahrer Grund des emotionalen Massakers: längst in Beleidigungen untergegangen. Ich fühlte mich wie im falschen Film, zur falschen Zeit am falschen Ort, einfach zu früh nach Hause gekommen. In mir baute sich immer mehr Druck auf, dieser Lärm, diese ganzen Emotionen und Verletzungen, ich wollte nichts damit zu tun haben, wollte wegrennen, war aber doch mittendrin. Es war meine Familie, die sich gegenseitig zerstörte und bekanntlich hat man ja nur eine richtige, echte Familie. Ich hielt es einfach nicht mehr aus, dieses ganze Chaos, was von aussen in mich hineinwuchs und sich immer mehr verdichtete, bis es mir keinen Platz mehr zum Atmen liess, das Gefühl von Unfähigkeit irgendetwas zu tun. Die Jüngste, das Töchterchen, nichts zu sagen, aber immer schön brav dazusitzen, das war meine Rolle. Ich wollte meiner Familie nicht noch mehr Stress machen, als sie sowieso schon hatte. Meine Eltern standen kurz vor der Scheidung, mein Bruder kurz vor den Drogen. Und sie rückten sich gegenseitig immer näher an den Abgrund. Mein Herz fühlte sich an, als ob es bald zerplatzen würde. Schreien wollte ich, heulen, aber nichts kam aus meinem Mund. Ich durfte meiner Familie jetzt nicht noch mehr Konfliktsituationen bringen. Stark sein, brav sein und den Mund halten, das war wichtig. Also nahm ich - wie schon so oft zuvor - meine Rasierklinge aus meinem ledernen Portemonnaie und setzte sie an der weichen, hellen Haut meines Unterarms an. Brachte den richtigen Druck auf. Zog die Klinge durch die Haut, bis langsam das Blut hervorquoll. Und nochmals. Und nochmals. Ich hörte auf zu zählen, schnitt nur noch. Spürte den Schmerz, beobachtete wie das Blut langsam meinen Unterarm entlangfloss. Genoss den Anblick. Der Druck verschwand immer mehr, der Lärm und das Chaos auch. Mein Inneres beruhigte sich, ich wurde still. Ich legte die Rasierklinge auf die Seite. Beobachtete das Blut noch eine Weile, wie es immer mehr zum Stillstand kam und trocknete. Dann wischte ich mir das Blut etwas ab, desinfizierte das ganze Massaker und verband es. Nun konnte ich stark sein. C.S.