spontan hilflos

Transcription

spontan hilflos
Spontan
hilflos
Andreas Loos
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
EIN GESUNDER SCHUß LEGASTHENIE
MACHT LEICHTFÜßIG UND UNGEMEIN FLEXIBEL
2
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
INHALTSVERZEICHNIS
Übrigens und außerdem
12
Meine zweite Garnitur
15
Paris - Rom - Erkner
18
Vornehmlich Marmelade
20
Nun aber
22
Fünf Ringe und kein Halleluja
27
Der Tag danach
29
Lieber ‘ne Bockwurst als ‘ne Speisekarte
35
Was hatte das nun mit ‘ner Bockwurst und ‘ner
Speisekarte zu tun?
40
3
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Frankstoß für Freifurt
50
Typisch!
60
Das Surren
62
HARMONIE ?
69
Ziellos
70
Mausii gegen Mausiii
78
Zusammen geht es sich doch besser ein
78
Kochlöffel gegen Lippenstift
81
Stiefmütterchen und Tränen
85
Der liebe Gott in der S-Bahn
89
LEERE
94
4
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Es entschuldigt nur der persönliche Tod
95
Hollys Wald
101
Nicht ganz Venedig
104
Weißt du ...
112
Auf den Spuren der Kleinanzeigen I. Teil
124
Auf den Spuren der Kleinanzeigen II. Teil
LEIDENSCHAFT
128
UND
TÜCKE
130
Auf Olympiakurs
131
Können Fische ertrinken?
133
5
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Außer Tante keine Mausis
136
Der zweite Tag
139
Die Bündelung
144
ALKOHOL
150
Die Fütterung
150
Weich, weicher, aufgeweicht
153
Schluß mit lustig!
156
Haltlos
160
Was ich liebe ...
165
AMERIKA
170
Luxus ...
171
6
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
SPANNUNG
172
MEDIENBUMMEL
174
Peinlich
176
Das Gemüse
178
Peter K. aus H.
180
FÜR ZUPPI
187
TRAUMHAFT
188
Interpunktionsregeln Sadismus des Lebens
189
Wiedersehen mit Blondi
192
Die wahre Utopie
197
7
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der gestiefelte Vater
EMPFEHLUNG
FÜR EINEN
198
RENTENANTRAG!
Vorurteile
200
201
Wem ich schon immer einmal die Meinung
sagen wollte und dann zu früh ging, zu spät
kam, gerade den Mund voll hatte ...
202
LEGALE WEGBEGLEITER
204
Warum immer ich?
205
Zahlt sich Armut aus?
207
Tränen im Regen
209
ICH?
213
KASSENKAMPF
214
8
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Geblieben ...
214
Atze Schenk
215
„SPRUCH
DER
WOCHE„
217
Ode an eine Betonwüste
218
Der kleine Duft
223
Rote Tropfen
232
Pinkeln Sie unter der Dusche ...?
236
Das Fußvolk
238
Mit starrem Blick
240
2000
242
Nur für Jule!
243
9
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
OHNE TITEL
245
Das verflixte „i„
246
ENDE
248
10
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
FÜR MAUSI, BLONDI, JULE, ELISE UND ...
-
... VIEL SPAß BEIM LESEN.
SIE DÜRFEN JETZT UMBLÄTTERN.
11
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Übrigens und außerdem
Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Gestern
war es wieder soweit - Protokollstrecke in der
Shoppingerlebniswelt Berlin. Ich und mein
Kleiderschrank waren wiederholt der Meinung,
ein bißchen zweiter Frühling täte mir ganz gut.
Zwar habe ich meinen ersten noch nicht bis zum
bitteren Erwachen ausgelebt, aber wenn man mit
seiner Garderobe als Pathologe oder bestenfalls
als gescheiterter Rockmusiker verkannt wird,
gibt einem das zu denken.
In Berlin bei einem Schaufensterbummel
das Heißersehnte herauszufiltern ist mit vielen
Hürden und Hindernissen verbunden. Jeder
Boulevard ist mit Baustellen derart bestückt, so
daß man sich auf ihm überhaupt nicht mehr
zurechtfindet oder ihn als gänzlich neu einstuft.
Völlig entnervt von Lärm, Dreck und
nichtssagenden Werbetafeln, machte ich Rast an
der erstbesten Imbißbude. Zwar steckte mein
Ausflug zeitlich betrachtet noch in seinen
Kinderschuhen, jedoch war ich nicht fähig, diesen
Palast, gesegnet mit allen Gerüchen und Kalorien,
12
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
einfach zu ignorieren. Erschrocken über meine
mangelnde Körperbeherrschung, machte ich mir
zumindest kurzzeitig Gedanken über Salmonellen,
wieder
aufbereitetes
Hackfleisch
und
ungewaschene Hände. Dennoch zog es mich an
den braungebrannten Nirosta-Tresen.
Hinter mir unterhielten sich zwei Omis über
die letzten Todesfälle aus der Lebensmittelbranche, vor mir regte sich ein 14jähriger
Rotzlümmel über die beschissene Musik des
netten, durchgeschwitzten Grillprofis auf, es
wehte ein unchristlich-kalter Wind ... doch ich
ließ mich nicht beirren. Ich habe es mir einfach
abgewöhnt zu überlegen, ob es denn richtig und
gesund sei, gedankenlos zu essen. Wenn in mir
das Verlangen hochkommt, bauen sich Mauern,
meterhoch und breit wie Bäckereiverkaufstische
auf. Und sie lassen nur den einen Weg zu: Den
der satt macht!
Meine Stippvisite nahm indes mehr Zeit in
Anspruch, als mein Ziel, mich neu einzukleiden.
Egal. Mit dem sicheren Gefühl im Bauch, schon
etwas gegessen zu haben, ließ sich der
Spießrutenlauf entlang an allen in dieser Gegend
vorhandenen Gaumenfreuden schon leichter
13
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ertragen. Die Versuchung war dennoch mein
ständiger Begleiter!
Vor mir lief eine „Persona homo weibens„,
eine ganz besondere Gattung Mensch. Aber
nichts Blickkontakt, kein Gedanke! Das einzige,
was mir förmlich entgengengesprungen kam, war
verdächtig viel Platz auf dem Gehsteig;
Pathologen
und
gescheiterte
Rockmusiker
verliehen mir weiterhin den Charme einer
Eintagsfliege.
14
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Meine zweite Garnitur
Es vergingen gut zwei Wochen, bevor es mir
zwischen Arbeit und „Privatleben„ gelang, eine
kleine Scheibe meiner Zeit abzuschneiden, um
mich wieder meiner Garderobe zu widmen. Das
Wetter war gut, mein Zwiebelleder in der
Winterjacke vergraben, ich voller Tatendrang
und satt.
Es lag schon ein leichtes Grau in meinen
Augen, nahe den Tränen, und mit Sicherheit bin
ich meinem Ableben ein gewaltiges Stück
entgegengekrochen.
Ich kannte sie alle: die Prachtstraßen, die
versteckten Schnäppchenzentren ... Ich hatte
gut zwanzig heiße Tips in meinem Hinterkopf,
aber keinen Erfolg. Ich sage nur 36/36. Kenner
der Inch-Szene (30/28er) werden wissen, wie es
einem 36/36er geht. Es ist so, als ob man ständig
nur Kündigungen erhalten oder das dritte Mal
abgemahnt werden würde. Und, und, und (Und
auch noch Farbwünsche, und passen soll es, und
ich will noch ‘ne Jacke.). Man!
15
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Gemeine Mitmenschen aus ‘ner Modeboutique
sagten einmal zu mir, ich hätte ein zu breites
Becken. Jedenfalls sei ich einer Frau ähnlicher,
als einer ‘68er Röhre.
Wie auch immer. Ich habe ein großes Herz
und
lange
Beine.
Meine
Augen
sahen
Seitengassen, die jeder Regisseur, der ein
Endzeitdrama hätte drehen wollen, blind als
Spielfilmkulisse
übernehmen
würde.
Mir
begegneten Menschen, die in diesem Film ohne
langes Nachdenken mit der Hauptrolle besetzt
worden wären. Jede Figur ein Drama für sich! Ich war auf dem Kurfürstendamm. Nischt von
wejen Eenkoofsbumml uffn tolln Bullewa. „Haste
ma ne Maak?„ - „Oh guck ma Pabbi, dees isch
scheen, ne woar?„ - „Schau nur die Leute hier,
Erna. Alles Personen, ,Personen’ sag ich dir. Nur
Müll und arbeitsfaul!„ - „Unser Pils ist
unübertroffen. Schaunse und staunse! Der halbe
Liter heute für lächerliche acht Mark.„ - „Gänse
mior mol sogen wo ...?„
„Nee„, entgegnete ich. Und der Höflichkeit
und der Berliner Luft wegen: „Ick such ‘ne Hose.„
Noch Minuten später klirrte mir das extraübertrieben-hochdeutsch ausgesprochene „Ihr
Problem!„ in den Ohren. Ein waschechter Berliner
16
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ist eben schon etwas besonderes mitten in der
City.
Ich hatte schon richtige Angst davor, mich
könnte jemand ob meines ziellosen Fußmarsches
dumm von der Seite ansprechen. Jeder Passant
würde in mir in Windeseile einen verwirrten
Touristen ausmachen. Jedoch besann ich mich
kurzerhand auf die Dinge im Leben, die ich
wirklich beherrsche.
Ich winselte die Barfrau eines armseligen
City-Schlemmi-Inhabers an, mir die Spezialität
des Hauses zuerst in Flüssig und dann in Fest zu
reichen. Ich muß grauenvoll gefaselt haben, denn
nach einer kurzen Pause fragte sie mich: „Wo
kommstn heja? Bist nich von hija, wa?„ Und für
wahr, ich hatte eine leidende Aussprache an mir,
einem Loser-Dialekt ähnlich, so daß gleich jeder
andere Gast das Gefühl bekommen mußte, der
arme Kerl hat es auch nicht geschafft.
17
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Paris - Rom - Erkner
Nun kam was kommen mußte - mein
Erfolgserlebnis. Es ist ein kurioses Verhalten
aller Leute die beschenkt werden, circa fünf bis
zehn Minuten alles abzulehnen, danach ins
Stammeln zu geraten, sich dann doch überreden
zu lassen und erst nach widersprüchlichen
Dankesgesten auch anzunehmen. In meiner
Situation hätte ich jedes Geschenk angenommen,
ausnahmslos alles.
Mein Mund stand weit offen, meine Lider
streiften meine Brauen, die Beine ignorierten das
Rotlicht der Fußgängerampel, und beide Hände
fuhren gleichzeitig in meine Innentasche
Richtung Geldbörse. Keine zwanzig Meter weiter:
„Größen aller Art - Alle Sorten„. Und ein Gefühl
von Nächstenliebe, mütterlicher Wärme und
Geld-ausgeben-dürfen machte sich in mir breit.
Keine Frage, das Mekka der Erfolgserlebnisse lag
mir zu Füßen und lockte.
Eine melierte Dame, kurz vor der sechsten
Null, erklärte mir gerade die Vorzüge von
„StoneWashed„ (hochdeutsch washed out) und
18
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
zerfetztem Beinkleid (angeblich Designerjeans),
daß blau out und „blue„ in sei, eng verwerflich
wäre und Karotte nur Bauern trügen. Doch
anstelle von Überzeugung und Kaufbegehren
machten sich bei mir Zweifel breit, ob jene
Endfünfzigerin überhaupt etwas von Mode
verstünde.
Ich nahm also all meinen Mut zusammen und
grub nach ihren inneren Werten. Als ich so beim
Buddeln bin, trat sie aus der Versenkung hervor
und sagte: „Lila-Punkte sind alle. Nur noch Inblue, Mega-washed und Classic-junior.„ ... Mir fiel
die Schippe aus der Hand.
19
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Vornehmlich Marmelade
Ohne Zweifel ist mir Konfitüre in meiner SingleKühlbox
lieber
und
wichtiger,
als
die
sprichwörtliche Marmelade für Fruchthasser.
Dennoch, klebrig sind sie beide! Ist die eine
Version noch billig und streichfähig, purzeln mir
bei der Angetrauten die Fruchtstücke gleich
reihenweise vonna Bemme. Kleine Kirschen und
Johannas tangieren mich peripher ... Die Vorzüge
von Brombeergelee und Pflaumenmus möchte ich
Ihnen im Anschluß erläutern.
Sonntag ist für jeden Alltagstrottel - also
auch für mich - der Tag, an dem Krümel im Bett
nicht wegzudenken sind. Nichts ist schöner, als
sich den Hintern an verhärteten Überresten von
Bäckerschrippen rot zu reiben. Und auch wenn
uns allen sehr wohl bewußt ist, daß jeder Bäcker
bei
seinem
eigens
benutzten
Begriff
„Bäckerschrippe„ ebenso rot werden müßte,
schmecken tut es dann doch irgendwie.
Ein Gefühl von sechs-Tagen-entzogenerBefriedigung macht sich beim Öffnen des
Kühlschrankes breit. Der übersichtliche Anblick
20
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
fordert zwar noch die sorgende Hausfrau, jedoch
das Mus in der hintersten Ecke entschädigt für
alle Entbehrungen der letzten Woche.
Mein Vermieter machte mir seiner Zeit ein
unwiderstehliches Angebot: EinraumwohnungSeitenflügel-Außenwand. Manch’ Frau entschloß
sich dennoch dazu, mein Angebot zum
Kaffeetrinken vom Abend in die Morgenstunden
zu verzögern. Ob ihres insgesamt kurzen
Durchhaltevermögens seien sie jedoch alle
durchweg
mit
„Mausi„
benannt,
mein
Erfolgsrezept hingegen ...
Eine Einraumwohung hat aber auch ihren
ganz speziellen Reiz: 3,42 Meter von der Küche
zum Schlummerviereck. Und man verläuft sich
selten!
21
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Nun aber
Es war angerichtet: „Mausi, reichst du mir mal
bitte die Sahne?„
„Mach’ ich doch gerne, du Armloser. Die
Angefangene oder lieber ‘ne Volle?„
„Wir haben keine Volle mehr, glaube ich.„
„Warum nicht?„
Mit dieser Frage wurde ich schamlos in die
Ecke getrieben. Der wöchentliche Einkaufszettel
befand
sich
in
meinem
Portemonnaie.
Unangesehen!
„Ich nehme dann doch lieber die fettarme
Trinkmilch, Mausi.„
„Ich werd’ gleich sauer!„
„Was können denn ich und unsere Milch dafür?„
fragte ich zu naiv für einen Mitzwanziger.
„Die ist es schon.„
„Sauer?„
„Duhuu!„
„Dann trinke ich meinen Kaffee eben schwarz.„
„Mach’ das. Schönen Gruß an deine
Magenschleimhautentzündung!„
22
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Na nett. „Ich bin Kaffeesachse. Das einzige
was mir jetzt noch fehlt, ist das Weiße im Pott.„
„Dann kann ich dir also doch die
Angefangene geben? Sahne versteht sich!„
„Aber sicher. Brauchst du noch ‘n Tablett
dazu?„
„Du bist mürrisch, ungekämmt und nicht
einmal mit dem ‘linken’ Bein aufgestanden! Dabei
hätte ich dich doch so gerne gefragt, was du am
nächsten Sonntag machst. Eben so, wie in der
Büchsenbrötchenwerbung.„
Jetzt hatte sie mich wieder soweit. Ich saß
halbscheu auf der Bettkannte, öffnete meine
blauen Augen soweit ich nur konnte und sah mit
meinem liebevollsten Blick zu ihr herauf.
„Guck’ nicht so wie ‘ne olle Miezekatze!„
zischte sie mir entgegen. „Dein Blick erinnert
mich immer an den völlig verlausten Stinkpelz von
unserem Gartennachbarn. Wenn ich ihm als
kleines
Mädchen
eines
von
meinen
Lakritzschnecken hingeworfen habe, hat er mich
auch immer so blöd angeglotzt.„
„Aber ich wollte doch nur ...„
„Schnauze, jetzt rede ich! Außerdem finde ich,
ist dies ein guter Zeitpunkt, um sich zu streiten.
23
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich bin hier die Frau im Haus und dulde keine
Widerrede! Hast du mich verstanden?!„
„Äh, ich ...„
„Gut so. Ich bring’ dir jetzt deine verschissene
Sahne an den Tisch, und dann fliegen hier die
Fetzen. Und dein Hin und her zwischen
proletarischem Macho und Mutti-Mämme bin ich
eh leid.„
Guter Gott! Woher bezieht meine Mausi
denn all diese Fachausdrücke? Hier herrscht ja
das reinste Reality-Frühstück! Wo ist die
versteckte Kamera?
„So!„ begann mein Hase. „Hier, deine Plärre!„
Sie wurde immer freundlicher. „Nun werd’ ich dir
mal etwas sagen.„ Und spannend wurde es auch
noch. „Du mißachtest mich! Ich bin schließlich
deine Frau und in dieser verlotterten
Gesellschaft schon fast bis zum Ausreizen
emanzipiert. Und ...„ Wenn Mausi rasend vor Wut
lange Sätze bilden will, kommt sie immer vom
Hundertsten ins Tausendste. Das find’ ich süß. „...
dann bin ich sowieso das Beste für dich Halunken.
Also, ... DU WEISST SCHON.„
„Ursprünglich war es lediglich mein Ziel zu
scherzen„, betonte ich ohne Gewissen.
24
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Völlig verdutzt sah mich mein Mausezahn an.
Ein Scherz? Sie ging nochmals in die Küche und
holte sich einen Napf Brombeergelee. Ihr Blick
strahlte schon wieder ein für mich ungesundes
Maß an Selbstbewußtsein aus, als sie zurückkam.
Noch war ich im Hintertreffen.
„Schön, daß du mir überraschenderweise
etwas übrig gelassen hast. Dies Zeug versetzt
mich nämlich immer ganz fix in Frühstückslaune.„
Hm. Watt nu? „Willst du deiner Mausi nicht
das Brötchen schmieren, so als Ausgleich für
deinen Ausrutscher heute morgen? Vielleicht
werden deine Ärmchen dabei etwas länger?„
Das war meine Chance. Ich könnte alle
Utensilien zum Schrippen schmieren an mich
reißen, gekonnt loslegen, mit unserem äußerst
scharfen Küchenmesser über das glatte Gelee
streichen, völlig unschuldig abrutschen und alles
nur vorhandene Mitleid aus ihr herauszutschen
(Was für ein widerliches Wort.).
„Meine begabten Hände werden dein
Brötchen verzieren!„ schwor ich ihr. Die
Begeisterung über meine Idee ließ mich förmlich
in die Küche zum Besteckkasten fliegen.
Ich nahm mir das erstbeste Brötchen:
„AUTSCH!„ stieß ich heraus ... zweimal, dreimal,
25
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
vierm... Das war weder gekonnt, noch sachte. Und
wenn es geplant war, verrate ich es besser
keinem.
„Du Dummerle.„ Bitte noch lieber Mausi.
„Hat sich mein Hasi wehgetan? Soll dein Mausi
puste-puste machen?„
„Hmhm.„
Das mit dem Küchenmesser ging ja tüchtig
daneben.
Blutstropfen
gegen
Küßchen
Rosenkrieg für Arme. Deshalb habe ich es auch
vermieden,
näher
auf
das
Pflaumenmus
einzugehen. Und fortan bringe ich jetzt die
Sahne an den Tisch. Scheiße!
26
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Fünf Ringe und kein Halleluja
Ich frage Sie, Sie ganz persönlich, warum tragen
Sie immer noch keinen Pin ... den Pin mit dem
Butterfly-Verschluß, 15 Millimeter Durchmesser
und dem Bärchi-Gesicht? Weswegen? Ja aber ...
der kleine Plastik-Trabbi - das Schnäpp/Schnippchen der Olympia Marketing GmbH mit
dem „Ich bin dafür!„-Aufkleber - ist doch noch in
Ihrem Besitz, oder?! Kein T-Shirt? Kein
Schlüsselanhänger?
Seit 1896 fanden die Olympischen Spiele
nicht mehr zu Ehren des Zeus, sondern zu Ehren
der Sportler, ihrer Anstrengungen - ihres
Schweißes statt. Schirmmützchen hin oder her,
die
Bereitschaft,
eine
Stadt
in
eine
Mondlandschaft zu verwandeln, wird nur dann
belohnt, wenn man mondsüchtig ist ...!
Ich treibe Sport. Freiwillig! Meine Begeisterung
für Orientierungslaufen hält sich zwar in
Grenzen, jedoch beim Torminator Lothar, den
schwarz/gelben Glücksjägern aus’m Pott oder den
„Eisernen„, schlägt mein Herz hörbar Lautern.
27
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Denke ich jedoch an die Bemühungen Berlins
zurück, die schwarzgelbgrünblauroten Taler ins
eigene Stübchen rollen zu lassen, macht sich bei
mir immer noch Bedauern ob ihrer „Künste„ breit.
Nur gut, daß der Lokalsender (gab es mehrere?)
uns jede Woche an die ablaufende Zeit
erinnerte. Wie ein kleines Kind saß ich vor der
Mattscheibe und wartete darauf, daß die SuperLED-Anzeige mit dem Bärchi-Gesicht endlich auf
Nullnullnullnullnullnullnullnull
(Jahr,
Monat,
Woche,
Tag,
Stunde,
Minute,
Sekunde,
Cleverneß) springen mag.
Kürzlich laß ich einen Artikel in einer
Zeitschrift, in dem die Gründlichkeit der
Deutschen aufs Korn genommen wurde. Der
Betrachter war Brite und blickig: „Hätten die
Deutschen den Ärmelkanal untertunneln wollen
oder gar müssen, würden sie wahrscheinlich
immer noch Proben zur Überprüfung der
Wasserreinheit entnehmen.„ Meinte der gute
Mann wirklich den Kanal?
28
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der Tag danach
Keine Ahnung haben viele. Aber wer bastelt sich
daraus gleich eine Weltanschauung? Fragen Sie
den Papst oder Ihren Lieblingsangestellten im
Baumarkt! Sollten Sie allerdings immer noch an
den
erhobenen
Zeigefinger
Ihrer
Packungsbeilage glauben, wünsche ich Ihnen für
Ihr weiteres Leben gutes Gelingen.
Führende
Meinungsforschungsinstitute
haben kürzlich folgenden Beweis erbracht: Die
Witze, auch jene, die leider keine sind, denken
sich nicht etwa die Kabarettisten aus, auch nicht
ihre
Programmoderwasauchimmerdirektoren,
sondern die Meteorologen. Nur ihre Gags sind so
unerreicht, daß man sie blind und ohne jede
Nacharbeit klauen kann.
Ich will hiermit nicht das Bestreben aller
Komiker verfälschen, die sich redlich um ein
geschärftes Bürgerauge bemühen. Aber der Blick
in die unendlichen Welten der Wetterfrösche
reizt mich.
29
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„... Und in Augsburg hat ein als
Verkehrspolizist
verkleideter
Puppenspieler
einen
Radfahrer
vom
Sattel
geschubst.
Glücklicherweise zog sich der Geschädigte keine
ernsthaften Verletzungen zu. Den mutmaßlichen
Täter konnte die Polizei, zwei Stunden nach der
Tat, in einem Drive-in für Radfahrer völlig
betrunken
festnehmen.
Der
Puppenspieler
gestand die Tat. Als Grund für sein irrwitziges
Verhalten gab er an, daß es ihm beim Erwerb
seines eigenen Rades nicht gelungen sei, den
Artikel in der gewünschten Farbe zu erhalten. In
dem Moment, als ihm der Geschädigte entgegen
fuhr, sah er nur noch rot ...„
„Was die heutzutage so alles in den Nachrichten
bringen, einfach irre„, witzelte ich zu Mausi
hinüber, die zurückgelehnt in ihrem Sessel
kauerte.
„Mich interessiert viel mehr, ob mein Kleid
morgen früh im Schrank hängen bleiben muß und
ich mich als Entschädigung dafür über das
beschissene Wetter aufregen darf„, hagelte mir
Mausi ohne Humor entgegen.
30
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Du mußt der Sonne zeigen, daß du sie gerne
hast. Sonst wird das nie etwas mit dir und
Klärchen.„
„Soll ich dich etwa nachäffen? Ich hoffe
nur, daß ich nie erkannt werde, wenn du selbst
bei Regen deine dumme Sonnenbrille trägst!„
„Wäre dir das etwa peinlich?„ fragte ich
rein rhetorisch.
„Ich würde vor Scham tief im Boden
versinken!„
„Wenn das Wetter hört wie du mit mir
redest, wird ihm bestimmt ganz wechselhaft„,
gab ich Mausi lächelnd zu bedenken.
„Neben deinem Buckel trägst du den
Aberglauben wohl gleich mit huckepack, wie?„
„Nein, aber meinen Glauben an den
Weihnachtsmann habe ich noch nicht ganz
aufgegeben.„
„Man nehme einen Mix aus deiner Ignoranz
gegenüber allen unumstößlichen Tatsachen, einer
gehörigen Portion Selbstüberschätzung und
verarsche sich selbst. Nur so kann deine
Lebensphilosophie Bestand haben. Wer gibt mir
eigentlich jeden Tag die Kraft dafür, all diesen
Mumpitz zu verdauen?„ fragte sich Mausi
ihrerseits rein rhetorisch. „Manchmal denke ich„,
31
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
fuhr sie weiter fort, „mein Leben mit dir spielt
sich an einer Bar in einem Shaker ab.„
„... Und nun zum Wetter: Nachts klar, 13 bis 16
Grad Celsius. Am Morgen dann noch sonnig und
trocken. Im Verlaufe des Vormittags vereinzelt
Regen oder Schauer. Am Nachmittag und Abend
in weiten Teilen Deutschlands Gewitterneigung örtlich Sturmböen. Am Alpenrand und in den
Mittelgebirgen Graupelschauer - stellenweise
Schneefall.
In
der
kommenden
Nacht
Temperaturanstieg - angenehm warm. Die
Aussichten für die kommenden Tage: Keine
wesentlichen Änderungen.
Das war die ‘Nachrichtenauslese’ auf
‘Sunrise’. Wir wünschen Ihnen noch einen
angenehmen
April
und
ein
erholsames
Wochenende. Es ist jetzt 22.15 Uhr.„
Ich lag in bestmöglicher Lautsprecherposition und bog mich vor Lachen.
„Scheiße!„
„Wolltest du noch etwas ergänzen, Mausi?„
„Nein, ich werd’ mir jetzt die Nägel feilen.
Das beruhigt und schont die Haut ... Hab’ ich in
der letzten ‘Ines’ gelesen.„
32
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Was für Außenstehende nach Besonnenheit,
maximal nach Körperpflege klingen mag, sagte
mir: Halt! Gewaltneigung! Fingernägel kratzen
nicht nur gut, Mausis stechen auch schmerzhaft
zu.
„Mist!„
„Wwwas dddenn Mmmausi?„
„Mir ist ‘n Fingernagel abgebrochen.„
„Ddder Lllange?„
„Hmhm.„
Glück gehabt, dachte ich bei mir. „Ist dir beim
Wetterbericht nicht übel geworden?„ fragte ich
Mausi nunmehr wieder mit voller Brust.
„Kam mir vor wie ‘ne Wiederholung„,
antwortete Mausi eher gleichgültig.
„Weißt du nun eigentlich, was du morgen
früh anziehen mußt; ob du die Balkonblumen
gießen oder abdecken mußt, auch wenn wir keinen
Balkon haben, nur mal so angenommen? Kannst du
dich überhaupt noch auf irgendeine Vorhersage
verlassen? Merkst du, wie sich dein Oberarm
langsam
aufbläht
und
in
Richtung
Fernsehbildröhre tendiert - wie dir heiß wird?
Vorsicht!
Meteorotropismus
medizinisch
wetter-bedingter Krankheitszustand! Das kann
tragisch enden. Also keine Gewalt gegenüber
33
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
unserem Fernseher, den Erbstücken und an mir!
Du weißt doch, Mausi, das Wetter ist eben auch
nur eine Erfindung der Medien.„
„Merk’ dir mal eines: Die Wettervorhersage
ist für mich pure Unterhaltung ... ein Spiel ohne
eigene Karten. Außerdem: Das einzige, was mich
an diesem Sender permanent krank macht, ist
sein
Teeny-Gedudel.
Also
nicht
Meteorotropismus, sondern Hörsturz!„
„Du bist ja tierisch Mausi!“
„Glaub’ du nur weiter an den Weihnachtsmann.„
34
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Lieber ‘ne Bockwurst als ‘ne Speisekarte
Jedesmal aufs neue darf ich feststellen, wie
rücksichtslos mich ein abendliches Einkaufen
streßt. Ich habe den wohl hindernisreichsten
Weg entlang an Türmen aus Pfirsichdosen und
Milchtüten - alle so kunstvoll aufgebaut, so daß
sie förmlich danach schreien, eingerissen zu
werden - erfolgreich bewältigt, schlage mich
durch den Dickicht von Tiefgefrorenem und halte
gelbe und rote Karten für depressive
Verkäuferinnen und gemeine Hackentricks von
Miteinkäufern in viel zu engen Gängen parat,
philosophiere lautstark, ohne es zu bemerken,
über den Sinn des Lebens und den Zeitgeist mit
seinen
orthodoxen
Sprößlingen
(Gummiüberzieher, Mentos, Tetra Pak), und daß
dank des Fortschritts der Mensch in der
„entwickelten„ Welt zu einer Art Proband der
Lebensmittel-industrie verkommen wurde, und
kollidiere letztlich mit dem einzigen Lichtblick in
meinem Einkaufsparadies, dem Obst- und
Gemüsestand.
35
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Wenn ich sage „fast„, dann meine ich nicht
„fast„, sondern habe nur das Bedürfnis, Ihnen
nicht en détail meinen Traumtanz im Reich der
Könige und Kaiser zu schildern. Ich käme auch
gar nicht dazu. Denn meine Liebe, der ich in
bösen Zeiten nicht selten schon eine SechsKubikmeter-Einraumwohnung gewünscht habe,
fuhr mir wie eine Kettensäge durch meinen
zweiten Frühling.
Ich erinnere mich also eher gezwungen als
freiwillig (Hier kommt auch kein Komma!) an ihre
mahnenden Worte: „Wenn ich das schön höre:
‘Dann werd’ ich mir mal ordentlich was zum
Reinscheffeln holen.’ Daß ich nicht lache. Phäää!
Besorgen. Du gehst jetzt auf dem kürzesten
Wege zum Schmidt oder Meyer oder so - ...„Sie
agitierte mich wie einen Abc-Schützen. „...
Supermarket meine ich ...„ Irre Betonung! „... und
richtest dich strikt nach meiner Skizze! Keine
Abschweifungen
in
Richtung
Obstund
Gemüsestand! Und dein ‘Reinscheffeln’ möchte
ich nunmehr zum letzten Mal gehört haben. Ist
das klar?! Oder muß ich erst noch ein Buch
darüber schreiben, daß ein Scheffel 55 Litern
entspricht, aber 55 Liter nicht unserer
36
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Einkaufstasche,
geschweige
denn
unserer
Haushaltskasse?!„
Dies zum Thema Kettensäge.
Ich genoß den beglückenden Ausblick am Obstund Gemüsestand von diesem Zeitpunkt an auch
ohne ausdrückliche Genehmigung von meinem
Mausi-Monster. Ein wahrhaftig gut besuchter
Pulli frohlockte und fragte mich zugleich: „Darf’s
was sein, junger Mann?„ Das ging herunter wie ‘ne
Flasche Tequila am Strand von Acapulco de
Juárez. „Junger Mann.„
„Ich hätte gerne zwei Birnen, vier Zitronen,
eine halbe Melone, sechs Nektarinen, ... ‘n
Zentner
Bratkartoffeln,
‘n
Blech
Pflaumenkuchen, ‘ne Kiste Sekt und ‘n Witz.„
Ich brachte diesen Satz ohne jedwede
Stotterei heraus und war mächtig stolz auf mich.
Allerdings war mein Stammtisch-Aphorismus
geklaut. Der Vater meiner Spontaneität war ein
alter Freund von mir, also ein ehemaliger
Bekannter. Ich kenne ihn eigentlich gar nicht.
Wir standen im Gedränge eines völlig überfüllten
Personenzuges. Ich sah ihm ins Gesicht und
erkannte, wie sich seine Augen verdrehten. Es
bestand keine unmittelbare Gefahr für sein Leib
und Leben, jedoch für das der anderen
37
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Passagiere. Sein Schließmuskel sollte gleich
versagen, und ich kannte diese ganz persönlichen
Anzeichen nur zu genau. Sein Augendrehen war
ein eindeutiger Beweis für die Aktivierung seines
tödlichen Rückenwindes.
Ich sollte recht behalten. Ein miefiger
Dunst umschlang die Leiber der anderen
Reisenden. Dann erklomm er ihre Hälse und
Nasen. Als erster drehte sich ein Herr mittleren
Jahrgangs unmittelbar neben uns um. Empörung
schlug aus seinem Gesicht. Mir trieb es die
Schweißperlen aus den Poren. Noch bevor der
gute Mann anfangen konnte zu fluchen,
unterbrach ihn mein „Kumpel“ tröstend mit den
Worten: „Machen sie sich nichts daraus,
Alterchen, ist mir auch schon öfters passiert.„
Er tätschelte dabei sanft die Schulter des
überrumpelten Opfers und war damit genial und
frech zugleich.
„Bitte schön, junger Mann. Det Obst jeht
schnell. Det mit die Bratkartoffeln und dem Sekt
machen wa heute Abend bei mir. Den Witz erzähl
ick
dir
morjen
früh,
und
det
Blech
Pflaumenkuchen schenk ick dir zum Jeburtstach.„
Na hallo!
38
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„... ich, ... ich nehm’ die Einladung an. Sehr gerne
sogar.„
„Nun überleg’ mal nich so lange, meen
starker Kämpfer. Is dein Herz ‘n Schwert oder ‘n
kümmerlicher Eiswürfel? Du willst doch jetzt
meen Prinz sein, nich wahr? Prinzen schmelzen
aber nich dahin, sie sind kleene Helden!„
Hoppla, bin ich dieser Frau überhaupt
gewachsen? „Na jut, Mädelken. Meine Angst soll
die deine werden. Laß uns von nun an gemeinsam
die Zähne putzen.„
Es stellte sich sehr schnell heraus, daß sie
neuer und größer war. Keiner von uns beiden
wurde satter, weil wir uns immer leckerer
fanden. Also wollte ich fortan alles und vom Rest
noch die Hälfte. Und dank Mausii lebe ich jetzt
bewußt, zufrieden und gesund. So hat auch diese
Episode
meines
Privatlebens
ihr
ganz
persönliches Mitbringsel: Die Einkaufsskizzen
meiner Heiligen gehören der Vergangenheit an,
ich verende nicht als „Homo ketten sägens„, und
Mausii ist nunmehr für die Kaffeesahne
verantwortlich. Danke Mausii!
39
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Was hatte das nun mit ‘ner Bockwurst und ‘ner
Speisekarte zu tun?
Ach ja richtig, unerwähnt blieb mein Drang zur
Bockwurst! Die Schlemmertheke an unserer
Ecke,
avancierte
kürzlich
in
meiner
Lebensphilosophie zum Mittelpunkt meines
Denken und Handelns. Sie fragen sich soeben
zurecht: Will der uns veralbern? Dieser
Schreiberling hat uns doch schon in seinen ersten
Passagen mit seiner Freßsucht genötigt! Doch
glauben Sie mir, Sie werden prompt verstehen,
wie sehr ich gelitten habe.
Mausi konnte nicht besonders gut köcheln.
Burger
Schon
bei
einem
aufgewärmten
veranstaltete sie einen Freudentanz, ob ihrer
Einsatzbereitschaft
für
das
tägliche
Miteinander. Kein Indianerstamm hätte da mit
ihr mithalten können. Meine Mausii hingegen
besitzt
ein
begnadetes
Verhältnis
zum
Kochgeschirr.
Ihr
Gaumenschmaus
ist
schlichtweg unerreicht. Allein wegen ihrem
Talent am Herd muß man sie lieben! Nicht
umsonst nennt man sie in Fachkreisen auch die
40
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Gulaschgöttin. Und mit bürgerlichen Namen
begeistert sie ihre Mitmenschen immerhin noch
mit Christiane Koch. Stark nich?
Jedoch nutzen wir unsere Talente nicht
gegenseitig aus. Weder ich, ihr Vermögen
Speisen zu veredeln, noch sie, meine Gabe der
Natur, ständig Hunger zu haben, und wie ein
Mähdrescher alle Magenfreuden in Sekundenschnelle zu verdauen und erneut zu jammern.
Resultat?
Ein
Mausii-Andreas-Agreement:
Mindestens einmal die Woche gehen wir
gemeinsam schön essen.
Letztes Mal: Wir schleichen uns ins „Café
Romanza„ - sie geduldig, ich ungeduldig. Der Ober
empfiehlt uns einen Platz - besser den Platz.
Trotz allem Gehabe seitens des Obers gab es von
uns kein Trinkgeld im Vorhinein.
Die Situation hatte irgendwie etwas von
Louis de Funès’ „Brust oder Keule„. Die weißen
Tischdeckchen
mit
den
geschmacklosen
Kunstblumen oben auf, die liebevoll versuchten
den Rotweinfleck unseres Vorgängers zu
vertuschen ... Sie erwiesen sich in aller Regel als
ungeschicktes Tarnmanöver. Glücklicherweise
haben wir mit unseren gemeinsamen Lenzen ganze
40 Jahre Erfahrung mit dem Mitropaambiente.
41
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Uns kann demzufolge nichts mehr anschocken.
Kommen wir aber endlich zum Festessen:
„Wder schn gtn Dch. Drfs sch ws s?„
Fragende Blicke. „Entweder habe ich noch die
Wattebauschis meiner Karoderma in den Ohren,
oder ich bin noch gar nicht von meinem
Mittagsschlaf aufgewacht. Kneif mich mal,
Mausii! Sprechen sie unsere Sprache?„
„Tut mir unendlich leid„, log unser brav
angezogener Kellner, „aber ich muß glattweg
vergessen
haben,
mich
von
meinem
Extrasoftundzuckerfreiem zu trennen. Wunderschönen guten Tag. Darf’s schon etwas sein?„
„Bewundernswertes Hochdeutsch, wirklich„,
erkannte Mausii. „War der Softe vielleicht ‘n
Jeschenk der Person, die vor uns hier jeplätzelt
hatte?„
„Ja, ganz netter Mensch. Der Herr Brause
ist nämlich ...„
„Als zahnfreundliches Sorry für den
Rotweinfleck auf unserer Tischdecke sicherlich?„
bohrte mein Häschen unnachgiebig immer weiter.
(Meine in blau gekleidete Fee kann manchmal
recht dickköpfig sein. Kleine Vorwarnung für
mich und Sie und den Herrn im schwarzen
Jackett.)
42
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Das kann doch wohl nicht wahrsss...„,
verfranzte sich unser zappelnder Getränkeguru
gerade noch rechtzeitig, „...ssscheinlich kann ich
ihren Ärger besänftigen. Vielleicht ein gutes
Schlückchen vom Hausgemachten? Fleckenintensives Sorry sozusagen.„
„Ja aber liebend gerne„, griff ich für
Mausiis Geschmack etwas zu entgegenkommend
und sowieso zu spät ein. Unser Pinguin hoppelte
bereits schon leise und unauffällig von dannen.
„Er hat zwar schon etwas deutlicher
jesprochen, aber die Reste seines rosafarbenen
Bubbels haben noch immer scheußliche Fäden in
seinen Mundwinkeln hinterlassen. Wo bin ich denn
hier?!„ erkundigte sich Mausii ohne Gnade.
Eine halbe Stunde später: „Sag’ mal
Schnuckel„, Mausiis Mund wurde währenddessen
immer größer, „sind die zwei Hennen an unserem
Nachbartisch nicht viel später jekommen als
wir?„
„Ich glaube schon„, antwortete ich
allumfassende Information vortäuschend.
„Warum geht der dann an uns vorbei? Mit
vollem Tablett! Zu denen!„ Mausiisis Blick gen
Drinks spie Funken.
„Tja, ich ...„
43
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Äh ... Herr ... Ooober?!!!„
„Psch!„ Ich formte meine Lippen recht
feucht über den zum Glück noch ungedeckten
Tisch.
„Na ist doch aber wahr„, mahnte mich
Mausii. „Der will uns kirre machen„, flüsterte sie
voller Überzeugung.
„Sorry Mausii, aber dann wärst du mein
erster Zuchterfolg.„
„Sorry Schatziii, aber Mann kann mich nicht
zähmen.„ Gut, daß ich darauf keine Antwort
wußte.
Er trabte an. Mausii: „Für mich ‘n Kaffee
und ‘n großen Salatteller. Für den Herrn ‘n Pils
und frittierte Champis. Ihren Hausjemachten
können sie sich in den Arsch schieben!„ Mausii
erinnerte mich höllisch an meinen Kumpel mit dem
Furz.
„Sehr wohl die Dame.„ Er verzog keine
Miene. „Den Kaffee schwarz, weiß, weiß mit
Zucker oder ohne Zucker?„ Er sprach ohne Luft
zu holen.
„Weiß ohne!„ erwiderte Mausii mit kontrolliert
geballten Fäusten unter dem Tisch.
„Den Salatteller mit Joghurt- oder lieber
mit Knoblauchdressing?„
44
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Joghurtdr...„, sagte ich leise.
„Demnach auch ohne Zwiebeln, die Dame?„
„Nischt da!„ blinzelte Mausii energisch zu
mir hinüber. Und ergänzend: „Jemüse, Jemüsezwiebeln.„
„Schade, wirklich schade„, gab uns unser
Kellner zu bedenken, „aber Gemüsezwiebeln nur
am Montag. Jedoch die russischen Perlzwiebeln
...„, ihm entglitt seine Zunge auf eine abstoßende
Art und Weise, „sind allaeaste Sahne. Wirklich!„
Mausii war verwirrt. Ich auch. Der Kellner
ergriff daraufhin die Initiative, in Angst um
Mausiis Antwort: „Der Herr das Pils kalt oder
mundwarm?„
„Kalt.„
„Kalt„, erwiderte er meine fünfzigprozentige
Zustimmung. „Alaska, Polar oder Berghütte?„
„Polar.„
„Kristallin oder lieber mehr Hagel?„
„Wenn sie nichts dagegen haben, würde ich
mein Bier ganz gern trinken und nicht lutschen.
Sollten sie das auch noch heute in die Reihe
bekommen, wäre ich ihnen bis zum Tode ihrer
Mutter zu größtem Dank verpflichtet.„ Meine
Herren!
45
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Also Polar-warm ... Sagen se det doch
gleich!„
Er
ging
unser
Pinguin,
langsamen
Oberschrittes gen Theke und bonte ein. Über
eine Distanz von vier grauhaarigen Gästen, fünf
Tischen und sechs Raumteilern rief er ohne
Blickkontakt besorgt: „Die frittierten Champis
sind heute nur in Öl. Sind sie einverstanden, oder
wollen sie die Dinger so?„
Das hält man ja im Kopf nicht aus, dachte
ich bei mir. Mir springt gleich der Tiger aus dem
Tank! „Lecken sie mich„, antwortete ich
schließlich. Und zu meiner Fee: „Vielleicht fragt
er uns auch noch, ob wir unser Essen selber
zubereiten wollen oder ob es im Zweifelsfall auch
der Italiener aus dem Lokal gegenüber erledigen
dürfe.„
„Hör lieber auf zu unken„, sagte Mausii fast
eingeschüchtert, „oder sind dir die Probleme
einer Auswahl zwischen vierzig verschiedenen
Sorten Hartweizengries so geläufig, daß du ihnen
einfach trotzen könntest?„
Tja, Südhang oder mehr östlich, das war
hier die Frage. Kein irdisches Geschöpf könnte
Mausii hierbei das Wasser reichen. Sekunden
später wurde ich von einem Berg an Realität
46
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
wieder eingeholt. Und wörtlich: „WER hat uns
diesen Laden bloß empfohlen?!„
Ich gab mir Mühe, das Atmen nicht zu
vergessen: „T.Dew, wegen der Auswahl und so.„
„Hatte er dir auch Empfehlungen ob der
tadellosen Behandlung der Gäste übermittelt?„
„Nein, es ist ... Vielleicht sollten wir die
Abwesenheit unseres Herrn Ober als positives
Zeichen deuten und die Flucht ergreifen?„
„Ein schüchterner Fingerzeig in Richtung
Imbiß an unserer Ecke, wie?!„
„Ja?„ - Pause - „Die kennen mich aber
besser als ihren Geldgeber. Gewissermaßen bin
ich’s wohl auch. Ohne mich wären die sicher
schon pleite.„
„Na dann mal flinke Socken!„ befahl mir
Mausii in Manier eines Drillsergants. „Wenn die
dich wirklich so jut kennen, können wir
möglicherweise
‘nen
winzijen
Rabatt
‘rausschlagen. Das heißt, wenn sie dich so jut
kennen wie ich dich kenne, werden sie uns den
Rabatt sicher von janz alleine anbieten.„
„Kennst du eijentlich den Unterschied
zwischen einem x-beliebigen Imbißstand und dem
‘Café-Romanza?’ „ fragte mich Mausii nach einen
kurzen Durchatmen. „Entjejen jedem Fast-food47
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Anbieter„, fuhr sie weiter fort, „ist das nette
Café so orijinell, daß unser Pinguin eh nur mit
Langeweile hätte bestechen können.„
„Das wäre ihm sicher mißlungen.„
„Aber wie der unsere Bestellung hinausjezöjert
hat ... Geradezu vorsätzlich! Wenigstens bei den
Drinks hätte er ‘n paar Punkte jut machen
müssen. Wenigstens ‘n kleinen erkennbaren
Versuch ...„
„Korrekt„, sagte ich sicherheitshalber.
„Und sowieso„, rebellierte Mausii weiter, „meiner
Meinung nach, sollte man ‘ne solche Art des
passiven Trinkens jesetzlich verbieten. Denk’ nur
einmal an die janze Hysterie bei der AntiRaucherkampagne. Egal. Jedenfalls fühle ich ... in
eben diesen Situationen ... nicht zu meisternden
Ängsten, Depressionen ... Entzugserscheinungen
... ausjesetzt.„
„Sorry mein Engel, aber wenn ich mich recht
erinnere, hatte ich das Bier und du den Kaffee.
Fällt ein ‘Weiß-ohne’ auch unter deinen
Kritikpunkt?„
„Ja. Aber jebe dir keine Mühe, mich ...
verstehen. Und im Zweifelsfall ... du ... jewiß mit
mir jetauscht ...?!„
Auweh!
48
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich hoffe es ist mir gelungen, Ihnen meine
Beweggründe ein wenig näher zu bringen, weshalb
ich eine Bockwurst einer Speisekarte vorziehe.
Prüfen Sie jedoch zuvor die Suchtgefährdung
Ihrer
Begleiter,
und
meiden
Sie
kaugummikauende Ober. Alsdann: Guten Appetit!
49
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Frankstoß für Freifurt
Was du morgen kannst besorgen, mußt du nicht
schon heute tun ... Logisch. Alte überlieferte
Weisheit all jener, die keine Zeit hatten, ihrer
jedoch äußerst bedürftig waren. Und was macht
man nicht alles von Zeit zu Zeit für ein bißchen
der selben? Irgendwie muß sie halt beschafft
werden, die Gute. Da hilft dann auch kein Betteln
und kein Flehen, sondern nur ein knallhartes
Planen der Heißbegehrten.
Nehmen wir uns also einen beliebigen
Wochentag - sagen wir Mittwoch - und eilen
großen Schrittes gen Terminplaner. Bevor es
jedoch glaubhaft erscheint, sich über einen
Mangel an Zeit lautstark aufzuregen, benötigen
wir einen triftigen Grund, allgemein vertretbar in
einen Tobsuchtsanfall zu verfallen. Gut, daß wir
heute rein zufällig Mittwoch haben. Unsere
Fernsehzeitschrift schreit uns förmlich ins
Gesicht: „Fußball - Alle Freunde des runden
Leders sind herzlich willkommen, nein geradezu
verpflichtet, an der Mattscheibe zu kleben.
Fußball - Alles auf der Stelle fallen und liegen
50
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
lassen. Fußball - Nach der Arbeit kommt ‘Hör’
auf!’, in der Werbung folgt ‘Hör’ weg!’ und zum
Spiel sei lieb ‘Hör’ zu!’ „
Ich bin willkommen. Toll! Ich soll auf der
Stelle alles fallen und liegen lassen. Toll! Ich bin
dran mit Einkaufen, müßte irgendwie noch
zwischendurch meine Brötchen verdienen gehen
und habe zu guter Letzt einen akuten Mangel an
Erdnüssen und Bier im Hause. Im übrigen, was
sag’ ich Mausii? Meine angestrebten drei
Pluspunkte mit meinen elf Freunden, ließen sich
bei einer angemessenen Zeitverschiebung viel
leichter erringen. Warum empfängt Frankfurt
die Borussia nicht in L.A.?
Die gute kabarettistische Einrichtung „Karton„
witzelte durch meinen Kopf. Die fleißigen
Kartonisten regten an, daß man bei dem ganzen
Durcheinander, welches heutzutage in der
Fernsehwelt herrscht, darüber nachdenken
müsse, den öffentlich/rechtlichen Fernsehanstalten ein wenig mehr unter die Arme zu
greifen, als bisher. In einer einmaligen Form von
Solidarität könnte die ARD das Übertragungsrecht der Fernsehuhr zeitversetzt zugebilligt
bekommen.
51
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Das wär’s doch! Ich scheiß’ auf die
Datenautobahn! Ich fordere, daß es täglich
zweimal 20.15 Uhr wird!
Suche ich nun nach einer zweiten genialen
Idee oder finde ich mich damit ab, daß die ARD
nicht bedacht worden ist, geschweige denn das
Spiel heute abend überhaupt überträgt? Muß ich
nicht zur Arbeit? Brauche ich womöglich Urlaub
auf einer reifen Insel? Bin ich reif?
Ich mußte diese Fragen klären. Ich
entschloß mich dazu, den tieferen Sinn meiner
Problemchen während meiner Arbeit und dem
noch wichtigerem Einkauf fürs abendliche
Hochgefühl zu erforschen. Ein frisch gebügeltes
Taschentuch für die Tränen, die ich beim Grübeln
noch literweise vergießen werde, ein weniger
frisch gebügeltes Hemd, welchem ich an dieser
Stelle noch keine nähere Bedeutung beimessen
möchte und eine tadellos blankgeputzte
Sonnenbrille, die meinen versäumten Schlaf
tarnen müßte, begleiteten mich an diesem
Wintermorgen in den Tag hinein.
Am Arbeitsplatz angelangt: „Morgen.„
„Morgen.„
52
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Und wiederum: „Morgen.„ Dieses Mal
freilich schon mit wesentlich mehr Sehnsucht in
Richtung Feierabend.
„Morgen.„
„Wenn’s doch schon mal soweit wäre.„
„Ich sagte guten Morgen, Andreas.„
„Und wie ich gerade zu bedenken gab, morgen
wäre mir lieber.„
„Morjen.„
„Morgen.„
„Wunderschönen Juten.„
„Ebenfalls.„
An meine ersten unterhaltsamen Gespräche, die
nicht wie Mausi befürchtet hätte auf meine
Sonnenbrille abzielten, schlossen sich ein harter
Kampf mit der Arbeit und circa vier Tassen
Kaffee an. Außerdem war die Kaffeesahne alle!
Es ist 12.30 Uhr. Mittagspause. „Mahlzeit.„
„Mahlzeit.„
„Mahlzeit, Andreas.„
„Mahlzeit, Herr Zeitlos.„
„Na Andreas, sind die Knitterhemden wieder in
Mode gekommen?„ Ich liebe meine weiblichen
Kollegen. Wirklich!
„Mahlzeit.„
„Mahlzeit.„
53
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Mahlzeit mein Freund.„
„Wird ja auch mal Zeit.„
„Hat dir heute noch niemand Mahlzeit
gesagt, Andreas?„
„Gewiß doch. Ich meine ja auch nur,
Mahlzeit wird ja auch mal Zeit.„
„Dein Magen gähnt, wie?„
„Hmhm.„
„Na denn mal Mahlzeit, nich.„
„Mahlzzz...„ Ernstl, der unbescholtene Kollege,
wollte gerade die Flucht ergreifen, als sich uns
drei
Hobbykarrieristen
näherten:
„Na
Berufsgenossen, heute gut drauf wie? Heute
auch Fußballabend? Wird garantiert spannender
als ‘n Krimi.„
Ich liebe hochgeistige Unterhaltungen:
„Seit wann interessiert ihr euch denn für
Fußball?„ fragte ich gelangweilt.
„Seit dem wir wissen, daß Frankfurt heute
die Borussia schlägt.„
„Gesonderte Mahlzeit!!!„
Ernstl, der Tugendhafte war weg. Ich wollte ihm
folgen. Aus dem Hintergrund leierte es: „Du
weißt doch Alter, man muß immer auf’m neuesten
Stand sein. Watt in is, darf man nich versäumen„,
half ihm einer seiner Mitstreiter.
54
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Diese Affen, dachte ich bei mir. Der Lange
hört schwer, sein hilfreicher Kumpel trägt zwei
ausgeschlagene Flaschenböden als Spekuliereisen
und der Dritte im Bunde ... „Es ist eben wichtig,
im Trend zu liegen. Man will ja schließlich
mitreden können. Sonst ist man schon morgens
out. Mahlzeit!„ ... konnte widererwartend reden.
Hätte er jedoch auch Trend und out schreiben
können? Zumindest sollte er sich künftig in
In/out-Manier kleiden und an zeitgemäßer Mode
orientieren! Sandalen im Winter mit ohne
Strümpfe, sind selbst mir eine Spur zu viel. Auf
seine abartige Zusammenstellung am Büfett wider dem Geschmack der Kantinenfrau, der
Spülmaschine und dem mitessenden Auge (Senfeier mit Grünkohl und Spätzle), traue ich
mich somit auch nicht weiter einzugehen.
So bewältigte ich mit mehr Ärger und Ekel
als Essen im Bauch, meinen Arbeitstag
fristgemäß und stolzierte zum Einkauf. „Bier und
Nüsse. Bier und Nüsse.„, stammelte ich vor mir
hin, um ja nichts zu vergessen.
Auf der letzten Etappe dachte ich bei mir:
Bloß nicht nach links oder rechts schauen, keine
Gespräche mit meiner Nachbarin und schnell an
die Fernbedienung!
55
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Es war 20.22 Uhr. Das Spiel Frankfurt
gegen meine Borussia ist sicher schon in vollem
Gange. Klick.
„Abschließend möchte ich für all jene, die
sich uns erst jetzt zuschalten konnten nochmals
betonen, daß es uns ebenso wie dem Veranstalter
wahnsinnig leid tut, daß das Spiel heute abend
leider, leider, leider nicht ausgetragen werden
kann. Die Rasenheizung der Frankfurter kühlt
statt zu heizen. Kurzum, nach dem anhaltenden
Schneefall der letzten Tage, könnte nur noch
Katharina Witt im großen Rund überzeugen.„
„Ich erschieße mich gleich!„ fluchte ich
ohne zu wissen, daß die Vorstellung noch nach
ihrem Höhepunkt suchte und Mausii von meiner
Passion gelangweilt neben mir schlummerte.
„Ich höre gerade, daß mein Reporterkollege
Werner Sonnig einen Gesprächspartner hat.
Werner, können sie uns denn schon etwas Neues
berichten?„
„Ja„, zitterte eine glühweingeprüfte Zunge
von der anderen Seite des Stadions in die
Kamera und befleckte die Mattscheibe, „Neues
und Erfreuliches. Der Umweltbeauftragte der
Frankfurter, Samuel Blümchen, hat sich vor
wenigen Minuten mit dem überregionalen
56
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Energieversorgungsunternehmen
‘Pump-Rhein’
darauf geeinigt, dem Spiel die nötige Priorität
beizumessen. ‘Pump-Rhein’ hat sich dazu bereit
erklärt, die Flutlichtanlage des Waldstadions
dreifach zu speisen. ‘Pump-Rhein’ verspricht sich
von seiner spendablen Geste ein sekundenschnelles Abschmelzen des weißen Unheils. Edwin
Sparsam, Pressesprecher von ‘Pump-Rhein’, ist
sich dem Verständnis der Bevölkerung, ob eines
zwischenzeitlichen
Stromausfalls
im
Versorgungs-gebiet Hessen sicher. Er betonte
ausdrücklich, daß der Ball auch in seinen Augen
rund sei, und daß es immerhin um drei Punkte für
den Gastgeber ginge. Weiterhin könne man ‘PumpMain’ zeigen, was eine Harke ist.
Das war Ihr Werner Sonnig, Talkline, ‘Ein
Sport besiegt die Welt’. Ich übergebe wieder an
Hannes. Hannes, können sie mich hörrrsss...„
„Ja lieber Werner, die Flutlichtanlage
startet gerade durch. Ich befürchte jedoch, daß
unsere Leitung nicht mehr lange steheheh...„
STÖRUNG.
Hoffentlich kann der werte Herr Sparsam seine
Landsleute auch davon überzeugen, daß drei
Punkte - egal ob für den Gastgeber oder den
Gast - ein alternatives Weihnachtsfest mit sich
57
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
bringen könnten. Das Fest im Freien zu
verbringen, im Wald unter verschneiten Tannen,
hätte nicht nur einen lobenswerten ökologischen
Reiz, sondern wäre ganz einfach die unbeirrte
Schlußfolgerung aus dem Chaos, welches er
heraufbeschwört hat. Ohne Strom kann man auch
beschaulich im Freien frieren.
Wenn ich jedoch ehrlich sein darf, regt
mich der Bild- und Tonausfall mehr auf, als Herr
Sparsam mit seinen Wahnvorstellungen oder die
traurige Tatsache, daß ich als Salzhasser
gesalzene Nüsse gekauft habe. Das einzig Gute,
was ich diesem beglückenden Abend abgewinnen
kann
ist,
daß
mir
die
geschulten
Ausweichantworten aller Spieler und Trainer
erspart bleiben dürften und daß Mausii warm ist
wie ein Ofen.
Wenn das Spiel tatsächlich ausgetragen werden
sollte, die Frankfurter Bevölkerung wirklich so
strapazierfähig ist, wie uns Herr Sonnig glauben
machen will, der Umweltbeauftragte der
gastgebenden Rasenkünstler, Blümchen, auch
ohne Ausfall der Stromversorgung den Marsch
der überzeugten Weihnachtsmänner ins Freie
anführt, man daran denkt, daß Frankfurt in
Deutschland liegt und diese ganze Szenerie ohne
58
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Krawall beendet werden sollte, würde ich mich
dazu hinreißen lassen, alle Beteiligten ...
Friedensnobelpreis ...
Ach ja.
Jetzt bin ich mit meinen Gedanken wieder bei
Ihnen/auf dem Teppich. Ich bin weder Physiker
noch Norweger und außerdem: Es gibt
Fußballnationen, die disqualifizieren sich im
nationalen
Bereich
ständig
selber!
Eine
Preisverleihung wäre hier wohl fehl am Platze.
Und Friedensnobelpreise in Form von Babytauben
wären gewiß auch nur die halbe Miete. ... Jetzt
muß ich aber Schluß machen. Mausii ist
aufgewacht.
59
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Typisch!
Irgend etwas fehlt mir. Ich hatte doch gerade
noch so ein vertrautes Surren im Ohr. Wer oder
was unterbindet hier mein Gefühl von
Geborgenheit?
„Schnuckel„, schallte es durch den Raum.
„Schnuckelchen.„
„Was gibt es denn, meine Fee?„
„Schnuuuckel.„
„Hier mein Engel, im Foyer.„
„Bist du auf‘m Hof, oder hast du die Wohnung
ausgebaut?„
„Wie sollte es mir deiner Meinung nach
gelingen, eine Ein-Raum-Wohnung auszubauen?„
„Wer Foyer sagt und Kochnische meint, wird
eben auf janz besonders dumme Art und Weise
jefragt. Und wer nach dem zweiten Mal
‘Schnuckel’ einfach mal ins Bad jekommen wäre,
könnte sich selbst noch bei deinem abjezockten
Sexualleben die Augen verblitzen.„
Hm.
„Ich war janz die Erna„, äh?, „Eva meine ich.„
60
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Ich wollte meinen Lesern just in diesem
Augenblick gestehen, daß ich durchaus schon das
Vergnügen hatte, dich nackelich zu sehen, und
deinen bezaubernden Körper zu streifen. Jetzt
denken die bestimmt, ich wollte ihnen was vom
Himmel des Jahrmarkts palavern. Wahrscheinlich
tendiert ihr Gefühl in Sachen Verehrung für den
Autor nunmehr nur noch gen maßloser
Übertreibung und Protzerei.„
„Talent kann man nicht lernen, Talent hat
man!„
„Aber ich ...„
„Du hast ja Talent, mein Gummibärchen. Ich
hätte mich schon nach den ersten zwei Seiten
verarscht jefühlt. Auf welcher Seite bist du
denn jetzt?„
„Auf der Einundsechzigsten.„
„Warst du nicht schon auf Seite zweiundsiebzig
...?„
Frechheit!
„Ich stelle eben sehr hohe Anforderungen an
mich. - Ich hab’ sie wieder zerrissen.„
„... Die letzten Geschichten waren janz jut.
Was hast du davor jesagt?„
Man muß auch mal verlieren können. Ich
lerne es seit vielen Jahren.
61
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Das Surren
Neben mir lag in Armreichweite ein archiviertes
Modell südostasiatisch erprobter Tabakwaren.
Ich steckte mir eine dieser glücklichen
Glimmstengel ins Gesicht. Mein Blick streifte alle
zwanzig Quadratmeter unseres regenfesten
Appartements. Meine Ohren waren angelegt wie
bei Gegenwind. Woher rührt dieses surrende
Nerven?
„Hast du dich eijentlich dazu entschlossen, die
TAZ zu abonnieren? Du weißt, dies ist das
Aushängeschild eines jeden jesunden Linken!„
„Bis dato habe ich nur schmarotzend
mitgelesen. Ich bin noch nicht ausreichend
gesund link, um sie auch zu bezahlen.„
„Ich glaub’, ich hab’ was an den Ohren!„
„Du bist doch sonst nicht so empfindlich, mein
Engelchen.„
„Nein, nein, es surrt nur das Nerven. Nervt
eben das Surren. Verstehst du?„
„Ich glaube fast, ich hab’ was an den Ohren.
Machst du gerade die Wäsche?„
„Tust du es?„
62
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Sag’ doch mal bitte.„
„Nein, diesmal wirst du dich an den Trog
stellen!„
„Das wollte ich zwar nicht wissen, aber
waren wir nicht im Besitz einer Vollautomatischen?„
„Auch das beste Jerät füllt sich nicht allein
mit Waschmittel. Und Aufhängen mußte ich das
Gespülte bis zum heutijen Tage auch noch immer
ohne maschinelle Hilfe. Im Übrigen: Deine
lumpigen weißen Socken, die jede Frau mit einem
Krümelchen Geschmack nur hassen kann, sind zu
jut für unsere Umweltfreundliche. In denen
würde immer noch der Dreck vom ersten Tragen
stecken, wenn ich nicht alle drei Tage zum
Waschbrett gegriffen hätte. Diese scheußlichen
Dinger hat jarantiert irgendwer aus der
Waschmittelbranche erfunden. Und du bist auch
noch so modebewußt und trägst das Zeug!„
Warum immer ich? Wie reagiert man in
solch einer Situation als Durchschnittsmann? Ein
Königreich für eine Verteidigungsstrategie oder
Antwort!
„Ist es unter Umständen vielleicht denkbar,
daß uns dein krankhafter Hang zum schlechten
63
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
amerikanischen Spielfilm
dieses nervende
Nerven ...„
„Unter welchen Umständen?„ fragte ich
irritiert.
„... beschert?„
„Surren, das surrende Nerven„, ergänzte ich
noch verständnisvoll. Ich befürchte, daß ich
Mausii für ihren Geschmack zu oft in zu kurzer
Zeit im Redeschwall unterbrochen habe.
Dennoch: „Und überhaupt: Kannst du bitte etwas
deutlicher werden?! Wohin führt uns dein Tadeln
konkret?„
„ZUM KÜHLSCHRANK!„ peitschte es aus
Mausiis Mund.
„Was hast du denn plötzlich gegen unseren
Kühlschrank?„
„Mit diesem verkleideten Teil identifiziere
ich mich um nichts auf der Welt!„
„Der ist doch schick, schön bunt meine ich.
Komm’ Mausii, laß uns das Prachtstück gemeinsam
betrachten.„
„Schick?! Bunt?! Dieses Etwas dahinten in
der Ecke ist nur so übersät von anjetitschten
Merkzetteln,
Visitenkarten
und
Kneipenrechnungen, mit denen du von Zeit zu Zeit vor
meiner besten Freundin prahlst, nur weil du
64
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
darauf hoffst, sie würde mal mit dir um die
Wette trinken. Schick?!„
„Ich registriere bei dir ein geringfügiges
Interesse an Streit. Sex wäre aber viel
harmonischer, so am Kühlschrank.„
„Du bist ja krank! Wenn du schon versuchst
mit deinem Unterleib zu denken, dann sei dir
gewiß, daß mir ein verkühlter Piller zweifelsohne
keine Freude bereiten würde. Also: Zuerst einmal
wird jestritten, das jehört sich so in einer juten
Beziehung. Es ist eben eine Frage von Toleranz
und Körperbeherrschung in einem Ritt. Zum
zweiten möchte ich dich an unsere Hausordnung
verweisen,
nach
der
wir
Harmonie
in
Großbuchstaben
schreiben
wollen.
Also
HARMONIE! Wenn du das jefressen hast,
können wir uns selbst über Sex unterhalten,
meinetwegen auch hinter dem Kühlschrank.
Irjendwie mußt du dir dein Taschenjeld für
diesen Monat ohnehin noch verdienen. Ich ...„
„Meine Armut kotzt mich an!„
„... weiß.„
„Du nutzt mich aus!„ jammerte ich.
„Nun mal nich so weich! Noch nie was von
Frauenpower jehört?„
65
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Zwischen eben einmal gehört haben und
plötzlich und unerwartet verspüren, liegen
Welten. Wenn ich schon deinen Liebessklaven
spielen muß, warum dann nicht auch mit
surrendem Nebengeräusch? Andere Pärchen
lauschen halt verträumt ‘Knuddel-Rock-VIII’.„
„Es sind deine Zettelchen an diesem
verwahrlosten Kühldingens, die mich schwerhörig
machen. Mach’ die Dinger ab, poliere die Tür, und
dann darfst du mich mal jerne haben. Alles klar?„
„Wirklich?„ Oh Gott, bin ich von dieser Frau
abhängig. Drei Stunden später:
„Hast du jerade jehört? Eben hat so’n
Dösel doch glattweg die Tusse von ‘Ihre
Probleme sind auch die meinen. AnrufenAusweinen-Bezahlen’
volljequatscht.
Die
Radioshow für mißbrauchte Männer, weißt du?„
„Ach?„ sprach’s aus mir, voller Interesse
für das, was Mausii wirklich sagen wollte.
„Ja, der hat nur herumjeheult. Seine Frau
würde seine Privatsphäre mutwillig zerstören,
ihm seinen Kejelklub verbieten und ihn im Bett
verwalten.„
„Gott segne die Harmonie„, bemerkte ich
unkonzentriert.
„Wie?!„
66
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„HARMONIE, HARMONIE meine ich.„
„Jenau. HARMONIE in allen Lebenslagen.
Das ist wie die Pille.„
„Könntest du mir, deinem Hausfreund,
Kinderliebhaber und ab und zu auch mal deiner,
erklären, was du gerade damit gemeint hast? Pille
und HARMONIE ... Ich erwerbe gerade mein
Abitur auf der Abendschule - gerade, momentan
... ich hab‘ es noch nicht!„
„Aberaberaber mein Liebesentwöhnter, wer
wird denn gleich verzweifeln. Das ist doch ganz
einfach. Paß’ mal auf: Die Pille wiegt uns Frauen in
Sicherheit nur dann etwas Süßes zu bekommen,
wenn wir es wirklich wollen. Das mit der
Verträglichkeit jeht zwar hin und wieder
daneben, aber wir entscheiden darüber, was
wann, wo und vor allem wie - wenn überhaupt vonstatten jeht. Es liegt also auf der Hand, daß
die Pille Harmonie, sorry HARMONIE ins Häusle
bringt. Vorausjesetzt, man kann damit umjehen.
Mann natürlich nicht, Frau meine ich. Alles
verstanden?„
„Phuuu.„
„Gut, dann wollen wir die HARMONIE mal
praktizieren, mein Wuschibär, mein guter.„
67
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Vier Stunden später vor dem Spiegel mußte
ich feststellen, daß mein Gesicht kein bißchen
Glanz
ausstrahlte.
Meine
Augenränder
verkörperten den Charme einer durchgezechten
Nacht. Ich war wohl nicht zum Spaß auf dieser
Welt. Schlimmer noch: Ich erinnerte mich an den
mißbrauchten Mann aus Mausiis Erzählungen und
ertappte mich überdies bei dem Versuch, die
Rufnummer in meinem Hinterkopf abzuspeichern.
68
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
HARMONIE ?
DIE SONNE BLITZT ÜBER DIE DÄCHER MENSCHEN WERDEN LANGSAM WACH.
VÖGEL ZWITSCHERN LEISE IM PARK,
UND DIE AUTOS MACHEN STETIG MEHR KRACH.
EINE STADT ERWACHT ...
WIND BLÄST DURCH DIE STRAßEN,
DIE GESICHTER SIND GEZEICHNET VOM TAG ...
DIE FAMILIEN FINDEN KAUM NOCH ZUEINANDER,
HÖCHSTENS ABENDS VORM FERNSEHAPPARAT!
EINE STADT ERLAHMT ...
69
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ziellos
„Emigrieren darf man nicht, sonst war der
Protest nicht ernst gemeint!„ (geklaut von Eugen
Drewermann)
Ich benutze dieses Zitat nicht dazu, um
Ihnen das Unheil der Solidar-Anmache aller
Wahl-Zyniker und Amok-Parlamentarier zu
versüßen, wenngleich Herr Drewermann gewiß
auch auf eine andere Epoche abzielte. Unser
Drama auf Raten durchleben wir eh ohne VIPTips!
Ich verschwende mich auch nicht auf einen
bestimmten Lebensabschnitt von mir, in dem man
mich gerne rote Fähnchen winkend in einer
Lehmhütte gesehen hätte. Wer sich zur Schau zu
weit aus dem Fenster hinauslehnt, fällt heraus. Wer dies nicht tut, fällt durch!
Alles wird besser, aber nichts wird gut!
Dieser Zustand wird auch nicht durch die
gemeinsame Liebe aller UNO-Mütter gelindert,
jedoch charakterisiert er sehr eindrucksvoll
meine momentane Verfassung.
70
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich bin Wahlköpenicker und Glaser a.D.
Mein Karten sind somit nicht gerade vom
Propheten persönlich gemischt. Aber beginnen
wir belanglos: Wolle, mein zweitbester Kumpel
Olle Olé und T.Dew standen vom Zeitgeist
inspiriert
vor
meiner
Wohnungstür
und
hämmerten an die selbe. „Hallo Freunde!„
bekundete ich beim Öffnen der Tür. „Hallo Ilja!„
schoß es mir entgegen. (Ich träumte lange Jahre
von einer derart applaudierenden Begrüßung beim
Betreten einer Diskothek. Leider blieb mir dieses
Erlebnis bis zum heutigen Tage versagt.) „Folgst
du der hochgeistigen Aufforderung von T.Dew,
uns ins nächstbeste Musikcafé zu begleiten? Läßt
du uns herein? Gibst du uns ‘n paar Bier? Mußt du
noch duschen? Können wir jetzt gehen?„
„Immer sachte Leute.„
„Willst du dich erst einmal ausschlafen?„ fragte
mich Wolle, nachdem er zwischenzeitlich kurz
Luft geholt hatte.
„Ist schon o.K. Ich muß nur noch einmal
schnell zur Bank.„
„Dann schlage ich vor, daß wir deine Beine in
die Hand nehmen und abhauen. Die Banken
behalten sich nämlich vor, ihre Arbeit an
Automaten zu deligieren.
71
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Und ‘ne unbelastete Plastik ... „, witzelte
T.Dew nach Wolles informativen Statement
verletzend und ohne gefragt zu werden.
In der Bank: „Ich hasse Formulare! Diese
Dinger ausfüllen zu müssen, ist wie die freiwillige
Verpflichtung
zur
Teilnahme
an
einem
Wettbewerb im Unterwasserhäkeln im Freibad.
Jeder schaut dir auf die Finger und hofft
darauf, daß du dich möglichst blöd anstellst. Mir
treiben solche Situationen immer den kalten
Schweiß auf die Stirne.„
Das Fraulein hinter dem Schalter schaute
auf: „Und ich hasse es, wegen Leuten wie ihnen
länger arbeiten zu müssen. Hätten sie also die
Güte ihren Finger aus dem Allerwertesten zu
ziehen?! Ansonsten mache ich die Kasse zu und
genieße meinen wohlverdienten Feierabend.„ Ihre
Augen vereinten Abscheu gegenüber ihrer Arbeit
und Zuneigung zu Kampfhunden.
„Na denn: Name, Datum, Unterschrift,
Kreditinsti...„
„Steht schon da!„ half mir Olle Olé für
meinen Geschmack zu spät und zu laut.
„...tut und Mark in Worten.„
Die Kassiererin tippelte mit ihren Fingern nervös
auf ihrem Schreibpult die Melodie eines
72
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
tumorfördernden Technosounds. Ich hatte den
Eindruck, ihre Finger wären mit kleinen Federn
versehen. - Einen dermaßen schnellen Rhythmus
beherrscht nicht einmal Angus Young. Und der ist
wahrhaftig fix!
Wolle und Olle Olé schwitzten schon
genauso stark wie ich. T.Dew stellte sich neben
mich und mahnte: „Zweihundert-und-fünfzig!„
„Zwei-hun-dert-fünf-zig„, stammelte und
schrieb ich zugleich.
„Ich bin bereits sehr ungehalten!„ jammerte
die Kassiererin und ließ etwas leiser die Säbel
rasseln.
„Ich auch!„ drohte mir eine im Drohen
augenscheinlich noch unerfahrene Reinigungskraft.
Was das ‘und’ angeht muß ich gestehen, daß
ich es einfach ignoriert habe. Der Platz hätte
dafür eh nicht ausgereicht. Und ob es nun
korrekt gewesen wäre, wußte im Saale auch
keiner so richtig.
„Und?„ bohrte die Kassiererin ungebeten
nach. „Wollen sie nun ihr Geld oder lieber ‘n
Deutschkurs?„
„Lieber das Geld ...„
„Hier!„
73
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„... Den Deutschkurs hole ick mir bei ‘ner
Dame anderen Schlages!„
Ohne lange zu betteln, gelangen wir ins
„bullshit„ (nächstbeste Musikcafé) - Vorbei an
der Garderobe, entlang in einem nach Klostein
schnuppernden
Flur
gen
Theke:
„Melde
gehorsamst, Herr Barkeeper, viermal akuten
Alkoholmangel. Bitten um sofortige Abhilfe.
Wenn es sein muß, auch gegen Barzahlung„,
forderte T.Dew, in einem für ihn äußerst
untypisch, hochdeutsch ausgefeilten Slang, unser
Bedürfnis ein.
„Mit oder ohne Ohrfeige?„ fragte uns das
aufgeblasene Monster hinter der Theke, ohne
dabei den kleinen, zarten Bubikopf der grazilen
Schönheit aus den Augen zu verlieren, welche mit
einem einzigen Wimpernschlag selbst den Tresen
hätte zum Schmelzen bringen können.
„Die macht das beruflich„, stieß es aus Olle
Olé heraus.
„Die ist einfach nur zu gut„, stöhnte Wolle
leise.
„Kein Nasenring!„ stellte T.Dew geradlinig
fest.
„In jedem Fall hat sie bei der Verteilung von
weiblichem Antlitz gleich dreimal ‘Hier!’
74
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
geschrien„, gab ich noch voller Überzeugung zu
bedenken.
Es stand außer Frage, unsere Pikdame
konnte unmöglich unser Geschwafel überhört
haben. Ein geübt anmutendes Lächeln sprang uns
kalt entgegen, und wir standen wie zur
Vergatterung bereit und machten Männchen.
„Wollt ihr nun die Drinks oder lieber ein
Nacktfoto von der Kleinen, ihr Pappnasen?„
forschte uns das Monster mit unappetitlich weit
aufgerissenen Mund an und aus, so daß man
unfreiwillig seine letzte Mahlzeit am Geruch
ausmachen konnte. Mit abgewandter Nase und
einem
kurzen
Blick
gen
vierfacher
Selbstverteidigung,
schrubbte
ihn
T.Dew
herunter: „Wir haben das Problem für deine
Lösung!„ begann er fürsorglich. „Du hast genau
drei Sekunden Zeit, um deinen Arsch noch
kurzfristig aus der Schlinge zu ziehen, du Mixtur
aus einem mißlungenen Wiederbelebungsversuch
und zwanzig Kilo Fett! Entweder du läßt jetzt in
Windeseile vier Kirsch-Wodka-Tonic herüberwachsen, oder wir binden dich mit einer Hälfte
deiner Gesichtslähmung an den Turbo-Baß. Wir
verpassen dir auch gerne die Handschrift einer
75
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Aushilfsautopsie? Oder hast du Bock auf `ne
dritte Alternative?„
„Sorry, ihr Oldies„, nahm der schwarze
Bubikopf dem Monster die Chance, unmittelbar
zu reagieren, „aber Schönheit geht nun einmal
vor Alter. Auch in diesem Laden hier!„
Die Kollegin des Monsters - eine Kreuzung
zwischen Sonnenstudio und Lippenstift - war
fashionable hörig und servierte unserer
Wohlgestalt zwei Glas Sekt. Erst danach
schickte sie uns vier Gläser ohne Luft in
Westernmanier über den Tresen.
Frauen haben entgegen den Lügen nicht nur
die längeren und schöneren Beine, nein, sie haben
auch den längeren Arm. Als angehender Mann
kann man selbst in vorderster Reihe verdursten,
wenn Wimpernschlag und betörender Duft, BWLStudenten oder andere angehende Akrobaten auf
630,- DM-Basis einweben.
Die Lösung dieses in Untergangsstimmung
gestarteten Abends, stand unverblümt auf
meinem Bierdeckel gepinselt. Es war die Adresse
der Dame, welche täglich für fünf Mark ihren
Teint aufpoliert, ohne Puder oder Creme zu
benutzen. Die Holde blinzelte mir auch noch ganz
unmißverständlich zu, so daß ich mir sicher sein
76
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
konnte, daß sie wirklich mich meinte und nicht
Wolle oder so. Und mit Stolz möchte ich noch
hinzufügen, daß ich ihre Adresse an diesem
Abend nicht mehr aufgesucht habe. Hinter dem
Tresen war es viel aufschlußreicher! Am nächsten
Tag war ich jedoch noch vor der Tagesschau
schnell bei ihr. Auf ihrem Namensschild an ihrer
Wohnungstür stand Julia Tannenzweig. Als ich
ihre Wohnung am nächsten Morgen wieder
verlassen habe, konnte ich deutlich Mausiii lesen.
77
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Mausii gegen Mausiii
Wenn sich zwei Frauen streiten, freut sich der
Dritte. Aber glauben Sie mir, liebe Leser, das
kann dauern.
Zusammen geht es sich doch besser ein
Bitte kommen Sie jetzt nicht in die Versuchung,
„Mausii gegen Mausiii„ in diesen Titel zu leiden.
Es würde zwar ganz nett passen, jedoch hat
meine Definition des tragischen Superlativs einen
wesentlich wohlgezielteren Namen: Das A-Amt.
Schon eine kurze Begegnung mit einem solch
regungslosen Organismus, läßt einen die eisige
Kälte aller Polarstürme gemeinsam erfahren.
Mein potentieller Gegner saß in aller Regel
hinter
einem
Schreibtisch.
Nur
in
Ausnahmefällen bequemte er sich dazu, mir die
Tür zu öffnen, oder sich bei der Begrüßung zu
erheben. Sofort war jedwede Möglichkeit von
78
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Sympathie schneller eingefroren, als ich
auftauen konnte. Mein Gegenüber verkaufte sich
als idealer Herzspender. - Sein Kardia war derart
unbenutzt, geradezu jungfräulich!
Ich kannte bereits seine Ausreden und
hatte sie mehrfach unter Schmerzen entlarvt.
Er war nie dafür zuständig! Es tat ihm immer
aufrichtig leid, aber heute nicht mehr. Ich hätte
schon wissen müssen, daß ... Sein Telefonhörer
hatte nur aus Versehen keinen Kontakt mit dem
Sockel. Er hatte da eben seine Regeln, fern der
Realität aber geregelt. Wir konnten nie
abschließend klären, ob er nun für mich oder ich
für ihn den Arbeitsplatz beschaffen/sichern
solle.
Ich mußte erkennen: Nicht mein Problem ist
berücksichtigt
worden,
auch
nicht
mein
wohlerzogenes Auftreten. Viel mehr war es eine
Fußnote, mitunter in den Socken, ein weniger
wichtiges Telefonat, der kalt gewordene Kaffee
auf einem behäbig geschwungenem Holzmöbel,
die Statistik der Gescheiterten, die Ängste vor
meinen Sorgen, eine Frist von sechs Wochen, die
momentanen Umstände, mein Pulli aus der
Krabbelkiste oder gar das Deodorant meines
Vorgängers aus irgendeinem Billigdrugstore, das
79
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Lispeln der Kantinenfrau, sein Schwitzen und
seine nach innen abgetretenen Absätze, meine
Haarpracht, das fehlende Kind, der fehlende
Ehepartner, die potentielle Ehefrau ... Soll ich
weiter aus dem Nähkästchen plaudern? War ich
jetzt zu ernst für dieses Buch? Unterhaltung
kann eben nicht immer komisch sein. Es tut mir
aufrichtig leid, aber Sie müssen schon verstehen,
dafür war ich nicht zustä...
80
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Kochlöffel gegen Lippenstift
Es läutet: „Gong.„ Es tönt bei mir nämlich nicht
Ging-Gong, sondern nur Gong. Das kommt von dem
Saft, der zwar in den Hausflur, nicht aber bis in
die zweite Etage gelangt, sagt mein Nachbar,
seines Zeichens Elektronikdingens oder so. Also
Gong.
„Guten Tag„, mäht eine äußerst präzise
Aussprache meinen Flurteppich, so daß seine
Flocken durch das Schlüsselloch meiner
geschlossenen Wohnzimmertür wirbeln. Eine
nicht ganz alltägliche Situation, jedoch steht
Mausiii in der Tür, und sie hat Übung im Umgang
mit durstigen Mäulern. „Mein Name ist Christiane
Koch.„
Ich
zuckte
zusammen
und
bekam
schweißnasse
Hände
und
unkontrolliertes
Achselzucken. - Akutes Sprechversagen kündigte
sich an. - Mausii! ... Und Mausiii wußte nicht
einmal etwas von ihrem Glück.
„Sie
sind
also
das
braunjebrannte
Kunstobjekt, welches den kurzsichtijen Männern
die Kohlen aus den Taschen leiert und dafür ‘nen
81
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Drink spendiert?! Mußte es denn unbedingt auch
mein Dummerle sein, sie herzloses Scheißstück
sie?„
„Ich empfinde nur Mitleid für sie„,
erwiderte Mausiii abgeklärt. „Es ist besser, du
machst gleich wieder kehrt, Schnegge„, fügte sie
noch etwas persönlicher hinzu.
„WO IST ER?!„
„In Sicherheit!„
„Demzufolge ist er also nicht bei ihnen!„
stellte Mausii mit pubertärem Selbstbewußtsein
fest.
„Oh doch. Er hat seine Strampelhöschen an,
‘n dickes Bussi bekommen und schläft zufrieden.
Solltest du ihn jedoch durch deine anwachsende
Hysterie wecken, bekommt er Schreikrämpfe,
und ich werd‘ zum Tier!„
„Als er noch bei mir war, hatte er jedenfalls
nichts mit einem Baby gemein, auch wenn seine
Liebesbedürftigkeit die eines kleinen Stramplers
um ein Vielfaches übertraf. Und deswejen werde
ich ihn jetzt zur Rede stellen, unseren
Dreijährigen.„
„Du willst es wohl nicht verstehen,
Schnegge.„
„Nenn’ mich nicht Schnegge!„
82
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Du bist doch ‘n Weichtier.„
„Über dem Bauchnabel ja und jerne und
mehr als Sie„, verteidigte sich Mausii tapfer.
„Fragt sich nur, ob du mit sechzig immer
noch stolz ... „
Wer entschärft mir diese Stammtischposse?
„Also, ...„, wollte Mausii etwas sanfter
einleiten.
„Also gut„, vervollständigte Mausiii mit
hellseherischer Eingabe.
„Bekomm’ ick ihn nu zu sehen oder nich?!„
schrie
Mausii
diesmal
das
Treppenhaus
zusammen.
„Ich kann nur hoffen, daß sich deine
Aussprache nicht negativ auf die Entwicklung der
Rechtschreibung meines Göttlichen auswirkt„,
gab Mausiii unter einem vorgespielten Anfall von
Verstörtheit und Angst zu verstehen, wendete
sich kurz ab, griff hinter sich und hob das Knäuel
aus der weichen Matte, welches die Freundin vom
Elektronikdingens, also meinem Nachbar, also
meine
Nachbarin,
uns
circa
vor
einer
Viertelstunde unter Trauer ihrer mütterlichen
Pflichten übergeben hat, weil sie auch einmal
tanzen gehen will und ihr Freund gerade auf
83
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Montage ist. Sie hielt Mausii den süßen Strolch
unter die Augen und fragte: „Erkennst du ihn
wieder?„
Mausii wußte wohl nicht mehr was sie sagen
sollte, jedenfalls war es totenstill. Und die
Flocken von meinem Flurteppich unterbrachen
ihren Schauer unter dem Schlüsselloch meiner
Wohnzimmertür.
Es vergingen gut zwei Minuten des
Schweigens, und dann konnte ich das leise
Schließen der Wohnungstür vernehmen. Entgegen
meiner Vermutung, gab es keinen Satz von
Mausiii über Mausii. Abends im Bett fragte ich
sie: „Wie hast du es geschafft?„ Mausiii
antwortete trocken: „Sie hat den Kleenen
anjeglotzt und dann stille vor sich hinjeflennt.
Jut Nacht Alta.„
Langsam kroch in mir der unheimliche
Gedanke hoch, daß es mir eigentlich scheißegal
sein könnte, ob mir Mausii oder Mausiii die
Rechtschreibung versaut. Letztlich hätten es
wohl beide geschafft. Dennoch brachte mich
Mausiiis kalte Abgeklärtheit an den Rand der
Tränen. Welch Wärme brachte mir da doch
Mausii entgegen ...
84
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Stiefmütterchen und Tränen
Aller Anfang ist schwer. Was aber ist ein Anfang
gegenüber einem Neuanfang mit Mausii(ii)? Ich
wollte einen Plan entwerfen, so mit richtig
Präzision, Bleistift und Lineal und so. Sie wissen
schon. Leider fand ich für jeden Ansatz von mir
auch schon die passende Antwort, die mir Mausiiii
entgegenschmettern würde. Würde sie mir
überhaupt zuhören?
Ich ging in einen Blumenladen - richtig
abgedroschen - und kaufte Stiefmütterchen. Sie
sind die Lieblingsblumen von Mausiiii hoffentlich nicht abgedroschen. Ich bahnte mir
den Weg durch die immer voller werdenden
Bürgersteige und rauchte Ein, Zwei, Sieben. An
ihrer Wohnung angelangt, schob ich mir zwei
Minz in den Rachen. Sie schmeckten grauenvoll.
„Ging.„
„ ... „
„ ... „
„Es wäre eijentlich deine Aufgabe, die Stille
zwischen uns beiden zu unterbrechen, ...„
85
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Deine Klingel ist kaputt. Sie macht nur
‘Ging’. Wir haben doch noch etwas Gemeinsames.
Meine macht nur ...„
„... aber ein Jespräch käme mir jetzt eh
unjelejen. Achim, der Neue vom Fleischstand ist
bei mir, und ich wollte ihn jerade vernaschen.
Wiedersehen.„
„... Gong.„
Konnte ich die Tatsache, daß sie Wiedersehen
und nicht Tschüs gesagt hatte, wörtlich nehmen?
Meine Wenigkeit mußte es wohl. Ich stellte ihr
die Stiefmütterchen auf die Fußmatte, genau auf
den Kußmund von Schweinchen Dick und
verabschiedete mich vor der bereits wieder
geschlossenen Tür gesenkten Hauptes.
Christiane Koch ist eine starke Frau,
stärker als ich es ihr je zugetraut hatte. Die
Süße vom Gemüsestand hat es faustdick hinter
den Ohren. Nicht daß ich geglaubt hätte, sie
würde sich vor der Welt verstecken ... Nein. Ihr
selbstbewußtes Auftreten war mir bekannt, und
ich liebte es. Auch daß sie mich nicht gleich
wieder in die Arme geschlossen hatte, so mit
`nem dicken Schmatzer und „Ich bin ja auch
schuld.„, unterstreicht nur ihre Klasse. Aber daß
sie
ihren
neuen
Fleischer-Achim
gleich
86
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
verspachteln wollte, ohne sich damit auch nur ein
Stück anders animalisch zu gebaren, wie ich es
tat, hat mich förmlich niedergewalzt.
Ich schwebte dem Entree entgegen und
fand den Ausgang. Mir ging die schöne Zeit mit
Christiane durch den Kopf, ihre Kochkunst und
zahlreiche Würstchenstände. Ich mußte etwas
essen, das stand fest.
„Na Andreas, Hunger oder Kummer. Du
siehst ja aus wie ‘ne Leiche.„
„Ach Schenki„, sagte ich zu meinem
spendablen
Stammwürstchenbudenbetreiber,
„beides. Und ich fühle mich auch so.„
„Tja Alter, Glück ist eben Frauensache.
Unser Glück liegt im Verlust.„
„Das meinst du hoffentlich nicht ernst,
Schenki!„
„Antworte nie, wenn du dir nicht sicher
bist!„ hielt mir Lutze Schenk entgegen und
machte mich nachdenklich. Ich aß zwei
Kräuterschlangen, trank eine Cola-Zitrone-Eis
und ging ohne ein weiteres Wort.
Auf dem Heimweg kam ich unweigerlich an
Christianes
Wohnung
vorbei.
Ob
die
Stiefmütterchen noch im Hausflur dursten?
87
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Zwei schnelle Schritte über die drei
Stockwerke, und husch war ich da. Na bitte, hat
mein Mausiiiischwänzchen also doch noch ein
warmes Herz. Die Blümchen standen jedenfalls
nicht mehr im Gesicht von Schweinchen Dick.
Ich wollte gerade den Deckel vom
Müllschlucker hochheben, als sich plötzlich die
Wohnungstür
öffnete.
Drei
Zentner
Lebendgewicht
schwankten
durch
den
Türrahmen.
Klar,
mit
Christianes
Geschmacksverfehlung konnte und wollte ich
mich nicht messen. Und ob ich Mausiiii damit
beeindruckt hätte, bliebe auch sehr zweifelhaft.
„Sorry Achim, aber mehr als Kaffeetrinken
ist nich!„
Achim erwiderte kein Wort. Bleibt mir also
doch noch Hoffnung? Der Tag konnte jedenfalls
ohne mich beginnen.
Ich verließ ihr Haus und tappte durch die
Nacht. Ich konnte wieder tief durchatmen und
genoß die frische Luft, die einen Regenschauer
ankündigte. Eine Verjüngungskur mit leichten
Schmerzen - Spannung und Niederlage reichten
sich die Hand. Mit schweren Beinen schleppte ich
mich schließlich durch den Regen. Ich war müde.
88
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der liebe Gott in der S-Bahn
Allmorgentlich beschreite ich mit halboffenen
Augen und drei bis vier Löffeln Müsli im Bauch,
meinen Weg in den Dienst meines Chefs. Auf
halber Strecke stolpere ich die Bahnhofstreppe
hinauf, drängele mich an den Wohlbeleibten auf
einen günstigen Platz am Bahnsteig vorbei und
hoffe auf den glückseligen Moment, daß sich eine
Tür meines Zuges unmittelbar vor mir zum Halt
bequemt. Aber Fortuna läßt sich nicht überlisten.
Leider!
Somit begeistern mich die naheliegenden
Türen jeweils drei Meter links und rechts
entfernt von mir. Wer aussteigen will muß sich
beeilen. Wer einsteigen will, gibt sich Mühe noch
schneller zu sein. - Morgens bin ich langsam.
Welch Wunder, daß ich im Schnitt zwei, drei
Stationen ausharren muß, bevor ich meinen
schlaffen Körper auf einer Sitzbank niederlassen
darf. Glaubt der Unbedarfte noch an einen
prüfenden Blick gen lediger Blondine oder
schattigen Platz mit Aussicht, kann er hier und
jetzt dazulernen.
89
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Gar niemand interessiert sich am frühen
Morgen
für
diese
Nebensächlichkeiten!
Entscheidend sind einzig und allein zwei
möglichst
ausgestreckte
Beine,
keine
Morgenzeitung vom wissenshungrigen Nachbarn
um die Nase gewedelt zu bekommen, dem
versagendem Deo anderer standzuhalten, und vor
allem die Augen zu schließen. Wenn man nunmehr
nicht unverhofft von einem Bekannten, Kollegen
oder seiner Ex-Partnerin erkannt wird, kann man
ungestört seine Stationen abschlafen.
Am heutigen Morgen mußte ich im Stehen
schlafen. Es war kein wonniges Gefühl, den
Türgriff einer S-Bahn aus den Vorkriegsjahren
im Rücken zu spüren.
Der riesige Hund einer älteren Dame - in
Berlin steht man nicht darauf, für Bedürftige
aufzustehen - wackelte unaufhörlich mit seiner
Mähne und gab mir den Rest. Da helfen nur
Walkman oder offene Augen. Jedoch hätten
meine Kopfhörer dem Sound der anderen
Musikfreaks nicht standgehalten. Daß offene
Augen sehr viel mehr vermitteln können, als Licht
und Schatten, sollte ich spätestens an diesem
Morgen erfahren.
90
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich ließ meinen Blick schweifen. Ich fing
ganz hinten im Zugabteil an, da, wo
Sonntagnachmittag immer unzählige Fahrräder
ineinander verkeilt sind.
Als erstes sah ich die Konturen eines
Stadtstreichers, der sein Nachtquartier noch ein
wenig auszureizen versuchte. Sein Umriß war
auch
mit
halboffenem
Augenlicht
gut
auszumachen, denn die Sitzplätze um ihn herum
waren
leer.
Er
kauerte
entgegen
der
Fahrtrichtung und besetzte eine graffitiunterversorgte Bankreihe. Seine Schuhe standen
beinahe ordentlich unter der Sitzbank, gleich
neben einer großen Plastiktüte aus der einige
leere Flaschen und ein Strauß Löwenzahn lugte.
Er war gekämmt und unrasiert. Die ihm
nahesitzenden Fahrgäste starrten ihn an, so als
ob er sie gerade der Reihe nach angepißt hätte.
Ob sie ihm wohl ihr Bad anbieten würden?
Mein Sehvermögen wanderte weiter. Da war
er, der Mitmensch mit der übergroßen
Morgenzeitung. In ihrer Schlagzeile konnte man
den hilflosen Versuch der BVG ausmachen, für
ihre erneute Tariferhöhung zu werben. Die
Gestalt kannte anscheinend nur sich und seine
Morgenzeitung, so wie in Udo Lindenbergs „Sie
91
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ist 40„. Und so konnte er weder seinen
Nebenmann ausmachen, der parasitär mit las,
geschweige denn die junge Frau ihm gegenüber.
Diese versuchte schon seit wenigstens fünf
Minuten einen ihrer Schuhe, den sie wohl beim
gähnenden Ausstrecken ihres zierlichen Körpers
abgestreift hatte, beharrlich und rücksichtsvoll
hinter seinen Füßen Größe 46 ½ hervorzuziehen.
Sie war rot im Gesicht. Offensichtlich empfand
sie Unbehagen in dieser Situation die verfänglich
wirkte. Die roten Wangen standen ihr.
Unweit dieser Szenerie begeisterten
farbenprächtige Kleider meine Augen. Eine junge
Sinti-Familie. In meinen Augen eine moderne
Form von Leben leben. Dauerrcamper sind auch
nicht besser! Der kleinste Sproß begeisterte die
nächsten
zwei
Bankreihen
mit
seinem
unbekümmerten Lächeln. Sie waren zu sechst und
besetzten vier Plätze. Das gefiel nicht allen.
An der folgenden Station stiegen zwei Punks
ein. Nach längerer Betrachtung konnte man unter
ihrer munteren Verkleidung ein Pärchen
ausmachen. Der Junge hatte eine Selbstgedrehte
hinter seinem rechten Ohr. - Sie konnte nicht
herunterfallen, sein Ohrschmuck hielt sie fest an
der Schläfe. Das Mädchen schnipste mit dem
92
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Zeigefinger die Glut von ihrer Kippe ab. Sie
rauchten nicht im Zug. Um sie herum war man
enttäuscht.
Die Bahn verringerte die Geschwindigkeit.
Alexanderplatz, ich mußte aussteigen. Ich ging
langsam
zur
Tür
und
betrachtete
die
Werbeanzeigen
auf
den
Oberlichtern:
Versicherungen, Tierschutzverbände, Umschulungsangebote, Freizeitparks ... eine Kirchenwerbung: „Ich bin der Gott der Randalierer,
Skinheads, Penner, Punks, Junkies, Nutten und
Terroristen.„
Würden die Bedürftigen wissen, daß Gott
nur Teil einer Werbeanzeige ist, die man schnell
übersehen kann, die nicht spricht und erst recht
nicht zuhört, würden sie ihm jemals Glauben
schenken können, ihm vertrauen? Oder würden
sie ihren letzten Glauben verlieren? Denn der
Gott der Nächstenliebe war nicht in dieser SBahn, das habe ich heute morgen entdecken
müssen. Aber einmal wird der Tag kommen, und
es wird Montag sein.
93
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
LEERE
LEERE ...
LEERE TASCHEN, LEERE GEFÜHLE,
LEERE GEDANKEN, QUÄLENDE PHANTASIEN ...
MITTERNACHTSNAIVITÄT, REICHLICH FEHLER,
DREI JAHRE ALPTRAUM ...
WOHIN? LEBEN AUS DEM VOLLEN,
NUR MIT KINOPERSPEKTIVEN?
94
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Es entschuldigt nur der persönliche Tod
Eine Geste, die bereits mein Mathematiklehrer
von mir eingelöst sehen wollte. Aber er hatte
keinen Erfolg. Heute abend gab es für mich
allerdings keine Entschuldigung, nicht einmal
diese! Es mußte mir unbedingt gelingen, Mausiiii
davon zu überzeugen, daß ich ihren neuen
Stiefmütterchentopf täglich gießen müsse, daß
es dafür keinen besseren gibt, und daß ich ein
Arschloch war. War! Also Flucht nach vorn.
Ich stellte mich in die Küche und zauberte.
Nebenbei hörte ich interessiert den Nachrichten
zu: „Heute nacht nahm die berauschende
Geburtstagsfeier von Otto Ohnesorge ein
bedauerliches Ende. Das 115jährige Geburtstagskind starb auf der Heimfahrt in einem Taxi,
welches einen Hydranten rammte. Auf seinem
Schoß lag das Szenemagazin ‘Trip’. In seiner
Headline stand: Keine Panik ohne mich. Seine 91
Jahre jüngere Frau äußerte unter Tränen, daß
sein Leben erst mit dem 114. Geburtstag
lebenswert wurde. Sein Lebenslauf glich dem
95
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Spannungsverlauf einer Zahnpastatube - Erst
nichts und dann alles.„
Er war also entschuldigt, dachte ich bei mir.
Dennoch mußte ich nun zum wesentlichen Teil des
Abends übergehen. Ich schnappte mir einen
Schluck guter Laune und ging zur Telefonzelle.
Mein Heimanschluß war derzeit unterfinanziert. Bedauerlicherweise war das Telefonhäuschen
unbesetzt, keiner stand an, und es war auch nicht
defekt. Also keine Ausreden!
„Vier-fünf,
sechs-drei,
sieben-sieben-s...„,
stammelte ich unter hektischer Atmung. Es
klingelte, einmal, zweimal, dreim...
„Ja bitte? Hier ist Koch. Mit wem spreche
ich?„
„Hallo Christiane. Ich wollte mich mit dir
über die Pflege deines neuen Stiefmütterchentopfes unterhalten. Darf ich dich zu diesem
Zwecke in mein holdes Heim zum Abendessen
einladen? Ich habe selber geko...„
„Sorry, ich muß mich derzeit von meinem
Anrufbeantworter vertreten lassen. Wenn sie
Spaß verstehen, hinterlassen sie bitte ihren
Namen und ihre Rufnummer. Ich melde mich
umjehend zurück. Und danke fürs Anbimmeln.„
96
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Was sagt man denn dazu? Humor hat sie ja,
meine Fee. Nun denn, mir lief ja die Zeit davon,
und somit wiederholte ich mein Anliegen in voller
Erwartung.
Kurze Zeit danach stand ich wieder in
meiner Küche und beschwörte den Rest meiner
Offensive.
„Gong.„ (Sie wissen ja, ohne „Ging„.)
„Christianchen, schön, daß du gekommen bist.
Hast du meine Nachricht per Flugpost erhalten?„
fragte ich nervös und überrascht zugleich.
„Sozusagen. Aber bitte keine voreilijen
Zärtlichkeiten!„
PAUSE
„Du hast jekocht, Andreas?„
„Ja, dein Lieblingsessen: Gulasch mit Erbsen
und Klößen.„
„Mit Semmelbröseln?„
„Hmhm.„
„Du weißt, Kochen ist keine Kunst - essen
muß man’s können.„
„Nun komm’ erst mal herein und lasse dich
überraschen.„ Ich machte das Radio leiser.
„Oh, P. Werner, ‘Das Lebkuchenherz’ ... Find‘
ich gut ... Mach’ mal lauter bitte.„
97
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Dies war die optimalste Konstellation für
einen Kniefall (meinerseits) vor dem Herrn
(Christiane).
„Christianchen: Ich bin mittlerweile schon
wieder solange Single, so daß ich es täglich mit
der Angst zu tun bekomme, ich müßte mich
sicherheitshalber als Hetero outen. Bitte
verzeihe mir. Bitte, bitte.„
„Jehe ich recht in der Annahme, daß du mir
indirekt damit zu drohen versuchst, alle sechs
Stunden ein Mitglied deiner Familie zu erlejen,
wenn ich nicht akzeptiere?„
„Ganz so hart würde ich das nicht
ausdrücken, Mausiiii.„
„Aha„, stellte sie fordernd fest. „Wenn es
dir jelingt, mir die Sexkartons von Rolf
Kutschera
des
nächtens
fehlerfrei
zu
übersetzen, will ich mich mit deinem Boy-needsgirl-Gehabe noch einmal anfreunden und dir ein
allerletztes Mal verzeihen.„
Dazu fiel mir nichts mehr ein. Sollte den
alles so einfach gewesen sein?
Just wollte ich mich zu einem Ausbruch der
Freude hinreißen lassen, als Christiane eine
schwere Salve abfeuerte. Gerade als sich mein
Gesicht auf Lächeln einstellte und wohl noch die
98
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
letzten Züge von Entsetzen ausstrahlte. „Glotz
mich nicht so an, sonst scanne ich dir eine rein!„
„Wwwie?!„
fragte
ich
einigermaßen
jugendlich in den Tag hinein. „Hast du ‘nen
Sprachfehler oder ‘nen Pickel auf der Zunge?„
Toller Anfang.
„Ich bezwinge jerade einen Computerkurs auf
der Abendschule„, fuhr sie schließlich wieder
fort. „Einer Frau wird heutzutage Flexibilität bis
zum Umkippen abverlangt. Da muß ich auch mit
‘ner Maus umgehen können.„
„Manch andere Frau ist bereits mit drei
possierlichen Tieren zufrieden: Einem Nerz,
einem Jaguar und einem dummen Hund, der dies
alles bezahlt. Hast du es schon einmal mit ihnen
versucht?„ kämpfte ich angehend intellektuell um
meine Rechte, die ich nicht mehr hatte.
„Nein!„ sagte Mausiiii entschieden.
„Ich wäre auch nicht der Richtige, Hund meine
ich.„
„Schon klar, ich weiß.„
„Hm„, bemerkte ich tiefsinnig und versuchte Zeit
zu gewinnen. „So ist das Leben, mein Engel. Wir
sind eben füreinander bestimmt.„
„Was weißt du schon vom Leben?! Weißt du,
wie das Leben tatsächlich ist? ... es ist wie
99
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Schinken mit Eiskrem (Lou Reed, sehr
intellektuell)!„
„Wenn ich den Sinn deiner Lebensweisheit
auch nicht vollständig verstanden habe, dürfte
ich trotzallem dein Schinken sein?„
„Solange du mich nicht wieder wie Eiskrem
in der Sonne abtropfen läßt, gebe ich dir die
Chance deines Lebens.„
Daß wir uns nicht gerade zugrunde loben,
haben Sie gewiß auch schon bemerkt. Wenn
jedoch die Frauen das Salz in der Suppe sein
wollen, muß auch jemand den Part der Brühe
übernehmen. Gleichwohl läge es mir viel näher die
Zugabe zu sein, anstatt immerfort nur aufgelöst
in den Seilen zu hängen. Insgeheim baue ich dann
mein Ego an einer Weisheit eines russischen
Soldaten auf, der unmittelbar seinen Wehrdienst
beendet hatte: „Um Frau zu werden, benötigt
man eine Nacht - um Mann zu werden zwei Jahre.
Ich überlasse Ihnen, liebe Leser, ob Sie darüber
lachen können oder nicht.
100
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Hollys Wald
Die Guten sterben immer zuerst. Siehe TanteEmma-Laden Kontra Burgerking. Ist Burgerking
Ihr way ? ... Sie können es mir ja auch leise ins
Ohr flüstern. In jedem Fall führt uns dieser way
direkt zu Hollys Wald.
In jedem Spielfilm, für den eine
Flugzeugentführung oder eine andere alltägliche
Katastrophe inszeniert wird, taucht ganz
unverhofft ein Arzt auf. Garantiert! Ich finde
dieses „Lassen sie mich mal ran, ich bin Arzt.„
langsam zum Kotzen! Wer zu viele Filme dieses
Genres in sich hineinfrißt läuft schnell Gefahr,
sich in reellen Situationen auf jene Heilsbringer
zu verlassen. Und dies kann im schlimmsten Falle
mit dem Tod enden. Tragischer ist jedoch die
Tatsache, daß man im kommenden Jahr nicht
mehr im Telefonbuch stünde. Ebenso hätte man
vollkommen umsonst renoviert oder sich von
seinen Schulden verabschiedet.
Lieben Sie Crash-Szenen in einem heißen
Krimi? - Ich fahre mal eben mit meinem frisch
polierten Cabriolet mit hundertfünfzig Sachen in
101
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
die Kurve, denn ich werde soeben verfolgt,
verliere die Kontrolle und fliege in hohem Bogen
über die Klippen der Westküste von Kalifornien. Haben Sie sich in solchen Fällen schon einmal den
Kopf darüber zerbrochen, wer um Himmels
Willen
die
ganzen
zerschellten
Autos,
Hubschrauber
und
Stuntpuppen
wieder
wegräumt? ... wie gefährlich das sein kann, und ob
dieser Job gut bezahlt wird, wenn es ihn
überhaupt gibt?
Wissen Sie in welcher Ecke dieser Welt
durchtriebene Geister herausgefunden haben,
daß es wichtig sein kann, seine Stimme in einem
Interview nicht einmal am Satzende zu senken,
weil unvereinbarte Abbruchgefahr für den Star
besteht und der nette Kollege vom TV in seinem
stillen Kämmerlein die Restwürze für seinen
Redakteur (Zuschauer) zusammenbraut? ... daß
daran nicht alle denken und fürchterlich auf die
Schnauze fallen?
Können Sie sich im entferntesten vorstellen,
wer die Dreistigkeit besessen hat und noch
immer besitzt, das good old Schulenglisch zu
einem unverständlichen Überseemurmeln zu
verun-glimpfen?
102
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Glauben Sie immer noch, daß der
Hobbywandel unserer Kinder - vom Plüschbär zum
Gameboy - in Bochum, Ravensburg, Karstadt oder
gar in der Augsburger Puppenkiste geprägt
wurde?
Begreifen Sie endlich, daß sich diese
Menschen nie die Mühe machen würden, ihre
Stars neben ihren Stripes in alten Filmen
nachzuzählen, ob der Gefahr, daß Neuzeitfahnen
in neuen Altzeitfilmen (Western) verwendet
wurden? ... daß diese Menschen aber ganz genau
wissen, daß Sie auch mal ganz gerne vom Empire
State Building hinunterspucken würden, aber es
sich nie trauten? ... daß jene Menschen ganz
ungeniert auf den Buchstaben von Hollys Wald
herumtanzen, wenn es das Drehbuch erlaubt?
Haben Sie auch immer daran geglaubt, daß
„wood„ im englischen Holz heißt? Wissen Sie
jetzt, daß ich die ganze Zeit vom Wald der
Stechpinien gesprochen habe? Wenn ja, grüßen
Sie mir Holly!
103
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Nicht ganz Venedig
Vertraue deinen Nächsten, auch wenn es
Freunde sind. Eine bewährte Kartenrunde muß
sich - Beziehung hin oder her - auch die Freiheit
erkaufen dürfen, sieben Tage Urlaub bewilligt zu
bekommen. Also Freifahrt gen Italia!
Schon beim ersten Abdrücken der MautGebühr stellten wir geschlossen fest, daß Geld
eine sehr unnahbare Erfindung ist. Doch nicht
nur verknöcherte Inlandzölle, nein auch die
Grundnahrungsmittel eines beliebigen Deutschen
- Urlaub hin oder her - fressen einem die Haare
vom Kopf. Wissen Sie, was Kartoffeln, Bier und
Benzin heutzutage kosten? Unser Entschluß, auf
die Kartoffeln zu verzichten, kam von daher
mehr als spontan. Und es war ein wirklich kluger
Schachzug im Lande der Pizzen; Nudeln hin oder
her. Aber wie macht man sich einem Italiener
gegenüber verständlich, wenn man lediglich von
einen Sprachwortschatz begleitet wird, der
Schokoladenbrösel mit Sahne und Kaffee unten
drunter, in ein zusammenhängendes Wort
vereinigt? Ich kann Ihnen sagen!
104
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Auf der anderen Seite kann man beim
ersten Ansatz von Unverständnis auch nicht
gleich aus der Haut fahren. Getreu dem Motto,
wer gern reisen mag, sollte darauf bedacht sein,
auch weiterhin willkommen geheißen zu werden.
Das Beste ist es demzufolge, gut gelaunt den Tag
zu beginnen, damit er auch so enden kann.
Grundvoraussetzung hierfür ist, bis in die
Fingerspitzen ausgeschlafen zu sein.
Am Morgen nach unserer nächtlichen
Ankunft: „Wolle, du hast heute Nacht so abartig
geschnarcht, daß es mir sehr schwerfallen
dürfte, die paar Minuten Dunkelheit die ich
hatte, zu einer halben Stunde zu addieren!„
„Andreas, deine Nachtwanderungen zum Klo
im Kindergartenstil, Marke Taschenlampe und
dennoch stolpern, gaben mir, dem guten Olé, auch
den Rest. Also sachte!„
Wolle schnarchte schon wieder. „Könntest
du, Olé aller Olés, so fair sein, und unserem
Holzfäller mal den Riecher stopfen? Es wundert
mich, daß sich T.Dew noch nicht gemeldet hat. Er
hat übrigens geschmatzt. Widerwärtig! Im
Schlaf!„
„Ich schmatze nicht, ich lutsche Schlaftablette, verstehst du?„ T.Dew zog bei
105
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„lutsche„ das „u„ unangenehm in die Länge. Es war
so eklig! Seine Stimmbänder vibrierten wie eine
Stimmgabel, so daß sich Wolle gleich wieder
räusperte. T.Dew wollte aber noch etwas sagen:
„Es ist bereits schon meine Zweite! Habt ihr
Nachtschwärmer schon einmal auf die Uhr
geschaut? Es ist 8.35 Uhr! Alles was vor Neune
auf den Beinen steht ist nichts, und es wird auch
nichts daraus. Ich brau...„
„Liegen meine Haare?„ fegte Olle Olé
dazwischen.
„Wie gemauert. Willste jetzt schon uff
Pirsch?„ erkundigte sich Wolle, ohne die Augen
zu öffnen.
„Ist nur aus Rücksicht auf euch. T.Dew,
mach hinne, der Planet drückt!„
„Habt ihr Angst davor, daß euch ein
Kokosläufer beim Gang zum Frühstücksbüffet
überholt, oder glaubt ihr an die Sage vom
Zitronenfalter, der euch die Garnitur auf eurem
Teller versaut?„
„Haben sie dir etwas in den Kaffee getan,
Andreas?„ fragte Olé in Sorge um mich. „Steh’
auf und reck’ dich. Ersetzt ‘ne Viertelstunde
Schlaf. Dir wächst sonst noch das Gras aus den
106
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Taschen. Und zur Beerdigung in Schwarz bei der
Flut von Pigmenten ...„
Als Olé das Wort Pigmente in den Mund
nahm, stand Wolle wie eine Kerze im Bett und
befragte uns besorgt um sein Sonnenöl. Wolle ist
in dieser Beziehung der am meisten Geschädigte
von uns. Er wird eigentlich schon braun vom
Wegsehen. Aber eine Macke ist eine Macke ist
eine ...
Das Frühstück lief wie gewohnt ab. T.Dew,
der uns noch vor einer Dreiviertelstunde in
Sachen Benimm unterweisen wollte, war wie in
jeder Situation des Sattessenkönnens der erste
mit seinen Fingern. Er aß gierig, fast unanständig
und in rauhen Mengen. Seine Spezialität sind
ansonsten Melonen. Nach seiner Philosophie ißt
man Melonen maximal aus einer Hälfte. Man beißt
einfach mitten hinein. Kerne werden gespuckt egal wie feucht -, und der Oberlippenbart färbt
sich rosa.
Wolle glänzte zum Morgenmenü wie eine
Schwarte. Im Ernährungsverhalten ist er jedoch
ein Minimalist. Die Ursache dafür könnte man in
seinem Körpergewicht vermuten, aber weit
gefehlt. Es ist mehr seine Jonglage der
107
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Frühstückshäppchen an seinem üppigen Mundhaar
vorbei.
Olé würde gern essen, verschwafelt aber
die halbe Zeit. Er hat abgenommen durch Reden.
Demnach könnte er Wolles Bauch auch als Hexe
besprechen.
Warten Sie jetzt auf meine Fehler? Beim
Dinieren bin ich jedenfalls fast fehlerfrei. Mein
Ziel besteht einfach nur darin, meine Batterie
aufzuladen. Dies ist im Zweifelsfall höchstens
kostspielig.
Am Beach: Wir haschen Pigmente und
brutzeln. Zwischendurch wird abgetaucht, nach
Bier angestanden, über den heißen Sand
gemeckert, nach Bier angestanden, Bademode
gelobt, Bier getrunken, an die Mausis gedacht,
Bier getrunken, Kartenspielen kategorisch
abgelehnt und dann doch vollzogen, Bier
getrunken, nach Pizzen angestanden, Bier
getrunken, nach Eis angestanden, Bier getrunk...,
krampfhaft versucht, WC ins Italienische zu
übersetzen ...
Am Abend: Tanzen, Musik, Trinken Schwärmen, Loben, Winken - glücklich sein oder
Trauer tragen - daran denken, daß wir morgen
noch ins Museum wollen und so.
108
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Hauptsache nicht jeder Tag wird so
anspruchsvoll! Am Strand bin ich kein guter
Kartenspieler. Wenn ich den ganzen Vormittag in
der Sonne liege und mich von Bier und Eis
ernähre, muß ich in allen entscheidenden
Momenten - Kohletabletten hin oder her - eh
immer aufs Klo oder klage jämmerlich über die
Schmerzen meines Sonnenbrandes. Wenn ich aus
den Ferien zurückkomme, benötige ich erst
einmal dringend Urlaub. Hat es demzufolge einen
Sinn, sich für die Erholung geistlos zu stressen?
Diese Form des Urlaubes, eine Mischung
zwischen Bierklinik und der Gaukelei, an der
Kultur des Gastgeberlandes interessiert zu sein,
laugt aus und ist zutiefst verdorben! Warum also,
werden Sie sich zurecht fragen, ist der blöde
Kerl dann nicht einfach wieder abgereist? Eine
gute Frage. Wirklich. Es gibt eben Momente im
Leben, da kann man (ich) eben nicht anders
handeln, als halt nicht zu handeln. Reicht Ihnen
diese ausführliche Antwort?
Naja, da waren natürlich auch noch unsere
Mausis. Sie hatten beschlossen, uns Mannsbildern
einen Gefallen zu tun, und uns einmal alleine in
den sonnigen Süden reisen zu lassen. So eine Art
fortschrittliches Entgegenkommen der Frau von
109
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
heute. - Laßt die Sonne in ihr Herz. - Ihrerseits
beabsichtigten die Holden, Amsterdam unsicher
zu machen. Eine Idee, die uns Herrn zwar zuerst
durch den Geist zuckte ... Aber an diesem Punkt
scheiterte das fortschrittliche Denken unserer
Schönen. Nie und nimmer hätte es jedoch am
Vertrauen uns gegenüber gelegen, beteuerten sie
im Chor.
Wie hätten wir unseren Urlaub schon
vorzeitig abbrechen können? Denken Sie nur an
den riesigen Triumph, den sich die Damen
rücksichtslos in die Taschen gesteckt hätten.
Auch zu kleinen Teilen wäre er noch beachtlich
gewesen: „Haben wir doch gleich gesagt. Ihr
alleine,
ohne
richtige
Ernährung
und
Streicheleinheiten, daß konnte ja auch nicht gut
gehen. Männer ... Phäää ... Hilflose Geschöpfe, die
ihren Verstand in der Hose mit sich herumtragen
und im Sommer in Panik geraten, sie könnten sich
beim Tragen von Shorts ungünstig verbrennen.
Nicht einmal Pferde haben Angst vor Shorts, und
die hätten wahrhaftig einen Grund. Männer ...
Halbstark mit ‘nem Nulldreiunddreißiger in der
Hand, gaffen sie den Bikinis irgendwelcher
Strandmiezen hinterher und sind dann völlig
verwirrt, wenn tatsächlich mal eine anbeißt.
110
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Männer ... Warum steckt man sie nicht alle in eine
Art Super-WG, verbaut die Fassade mit riesigen
Schaufenstern und läßt uns Frauen von draußen
zusehen, wie dämlich sie sich anstellen? Was
haben diese Dinger nur an sich, daß wir sie nicht
schon längst abgeschafft haben? - Würstchen
mit Senf im Schädel ... Wenn man sie anbeißt,
zappeln sie noch ein wenig herum und fangen dann
an, immer kleiner zu werden.„
Eine Abreise von nur einem von uns käme
einem
kollektiven
Selbstmord
gleich
Gemeinsamkeit hin oder her! Weder 14 Tage
Regen, noch eine Haiwarnung am Strand hätten
uns dazu veranlaßt, weiterhin eine vorzeitige
Heimfahrt in Erwägung zu ziehen. Wolle hatte
diesen Gedanken bereits am nach dem ersten
Bier laut durchgespielt. Einstimmig beschworen
wir, ihn aus unseren Köpfen zu verbannen. Sorry
für meinen Durchhänger.
111
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Weißt du ...
„..., Axel kommt uns am Wochenende besuchen„,
informierte mich Mausiiii. „Freust du dich?„
„Wenn ich mich recht erinnere, ist Axel
mein Cousin, also ein Familienmitglied, eigenes
Blut oder so ähnlich ... Natürlich freue ich mich
auf seinen Besuch.„
„Das klingt aber nicht jerade sehr überzeujend. Du hast wohl schlechte Erinnerungen an
den Juten?„
„Was macht er den so?„ fragte ich
ausweichend.
„Keine Ahnung, am Telefon war er jedenfalls
ganz lustig. Du kannst ihn ja am Freitag
ausquetschen. Wenn du Lust hast, können wir mit
ihm ein wenig durch die City bummeln. Du weißt
schon, ein bis zwölf Boutiquen in meinem
Interesse, ein nettes Café zum Ausruhen plus
Würstchenstand ... Hast du mir denn nicht
zujehört?„
„Doch doch, mein Mauseschwänzchen. Ich
spiele just nur alle Varianten durch, mit denen
112
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Axel herkömmlicherweise seine Lieben um den
Verstand bringt.„
„Du siehst dir für meinen Jeschmack zuviel
Schund im Fernsehen an. Ein netter Besuch aus
der Familie kann unmöglich so schlimm sein, daß
man ihn mit derlei Worten ankündigt. Ich kann
nur hoffen, daß du mir keinen Ärjer bereitest!„
„Mach’ dir mal keine Gedanken, Mausiiii. Ich
werde mich so anständig benehmen, wie zu
meinem ersten Geburtstag.„
So kehrte erst einmal Ruhe in unser
lebendiges Gespräch. Hätte ich Mausiiii
anvertrauen sollen, was mich wirklich bedrückt? Das Axel ein Garant für Ärger war - den ich dann
immer einstecken mußte - jedenfalls in unserer
gemeinsamen pubertären Phase. Weiß ich denn,
ob diese irre Phase bei ihm schon ein Ende
gefunden hat?
In Gedanken erzählte ich Mausiiii von
meinem Horrorverwandten: „Glaube mir bitte,
Mausiiii, ein Einkaufsbummel geht in jedem Fall in
die Hose. Blitzartig! Weißt du, als er uns damals
zum ersten Mal besucht hatte, sagte seine
Mutter ganz einfach, daß er sich schon alleine
zurechtfinden würde. Kurz darauf schrien
diverse Nachbarn das Haus zusammen. Dabei
113
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
hatte Axel gerade einmal vier parkende Autos
zum Dachhüpfen auserlesen. Meine Wenigkeit
spielte indes ganz unverblümt mit einem
Plastikfußball Hauswand-Ball-Andreas. Trotzdem
hätte ich doch besser aufpassen sollen, sagte
meine Mutter zu mir - ihrem Sohn, der fünf
Jahre jünger als Axel und vier war. Soll ich dir
noch die Story aus dem Kaufhaus erzählen?„
In meinen Gedanken antwortete mir
Mausiiii: „Nein, ist schon o.k. Ich verstehe warum
du eine Art Verwandtenphobie entwickelt hast.
Ich werde dir helfen, sie zu bezwingen.„
In Anbetracht der Tatsache, daß mir
Mausiiii so viel Verständnis entgegen brachte,
gab ich meiner inneren Rubrik „Vertrauen„ einen
Ruck, und fütterte Mausiiii mit meinen
Erfahrungen. Die Realität sollte mich nicht
enttäuschen. So konnte der Freitag heraneilen,
ohne daß ich mir weiter den Kopf über meinen
Cousin zerbrechen mußte. Es ging sogar soweit,
daß Mausiiii und ich den angekündigten Besuch
von Axel völlig vergaßen. Freitagabend: „Gong.„
PAUSE
„Gong.„
Entsetzen in Mausiiiis Gesicht.
„Gong.„
114
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Keine Regung in meinem.
„Gong.„
Mausiiii gab sich sichtlich Mühe, mir ihren
verzerrten
Gesichtsausdruck
wortlos
zu
übersetzen.
„Gong.„
Ich ging mit gespielten Augenrändern an die Tür
und öffnete.
„Hallo Andreas, altes Familienfossil. - Haben
uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen Wie geht es dir - Hast ‘ne nette Freundin - Ja,
mir geht es gut - Ja, ich bin schon mächtig
vielversprechend - Brauchst du ‘nen Job - Ich
kenne da Leute, ich kann dir sagen ...?!?
Er redete ohne Kenntnis der Interpunktionsregeln. Antworten kannte er offenbar
nicht. „Komm’ erst einmal herein. Setz‘ dich, und
laß mich dir meine Zauberschnute vorstellen.
Wenn
du
dann
noch
ausreichend
Zeit
mitgebracht hast, würde ich dir ganz gerne
antworten.„
„Meine Vorstellung von Frauen ist soeben
total ins Wanken geraten. Bisher war mir noch
nicht bewußt, daß derart viel Weiblichkeit in
einem solch schönen Körper gebunden sein kann.
Ich bin Axel.„
115
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Christiane„, antwortete Mausiiii nüchtern.
„Andreas„, bemerkte ich überflüssig.
Axel hingegen bemühte sich in bester
Manier eines Schleimbeutels, Mausiiii zu erobern.
Was geschieht hier eigentlich? Habe ich nicht
gerade noch mit meinem Zauberkätzchen
zusammen-gekauert und geschnurrt? Warum
wurde diese filmreife Zweisamkeit so jäh
unterbrochen? Warum hält Axel den Taktstock in
der Hand und dirigiert mein Privatleben? Müßte
ich jetzt nicht platzen und ihn in der Luft
zerreißen? Gibt es noch andere wichtige Fragen,
die ich mir stellen sollte, oder ist es besser
darauf
zu
warten,
daß
Mausiiii
einen
bedingungslosen Kinnhaken ankündigt? Weiß ich
wem?
„Also Leute„, unterbrach Axel mein
Erstauntsein und Mausiiiis Augenflimmern, „nun
werde ich euch erst einmal aufklären.„
Mausiiii und ich waren gespannt wie eine
überforderte Wäscheleine ...
„Der gute Axel ist Student an der
Filmhochschule. Unsere Hauptaufgabe besteht
derzeit darin, ständige Meisterleistungen im
Wortspiel
zu
vollbringen.
Die
mimische
Aussagekraft sollte dabei so überzeugend
116
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
wirken, daß man seinen potentiellen Gegenüber
spielerisch in den Wahnsinn treibt. Eure
Gesichter drücken Beifall aus. Seit ihr mir
böse?„
Ich wußte nicht mehr was ich sagen sollte,
wie mir war. Mausiiii war sichtlich enttäuscht
darüber, daß sie ihre gefürchtete Linke nicht an
den Mann bringen konnte. Ich auch. Axels
Gesicht besaß so etwas Anziehendes ...
„Äääh ...„, begann ich wie ein Erstkläßler,
„ich äh ...„, fand kein passendes Schimpfwort und
mußte dennoch bestimmt antworten, „dachte
immer, daß du Biologie studierst.„
„Hm„, begann er vielsagend, „die Mischung
ist doch gar nicht so schlecht. Den Bock habe ich
doch mit Sicherheit abgeschossen.„
„Und uns zum Affen jemacht!„ ergänzte
Mausiiii mit glanzvollen Schneidezähnen. Sie
waren scharf und zum Biß bereit. Diese
gepflegten
weißen
Dinger
hatten
etwas
grauenvolles an sich. In Mausiiiis Augen konnte
ich ihre uneingeschränkte Bereitschaft zum
Reißen und Blut lecken ausmachen. Ihre Augen
waren starr auf Axel gerichtet. Unter dem
Einfluß einer gewissen Menge Alkohol (wir waren
gerade dabei, einen Kokoslikör on the Rocks zu
117
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
schlabbern), konnte ich das Knirschen ihrer
Backenzähne vernehmen, gleich dem Geräusch
einer abrutschenden Kreide an einer Schultafel,
nur etwas tiefer und stumpfer. Vorübergehend
hatte ich den Eindruck, mir sitzt nicht Mausiiii,
sondern das abartige Vorstellungsvermögen
Steven Kings gegenüber. Ein geballter Haufen
abgrundtiefer Gewaltbereitschaft, mit Haut und
weiß-blitzenden Schneidezähnen. Oh Gott!
Glaubte ich bei medienzerfetzten Familientragödien
immer
noch
an
die
geringe
Wahrscheinlichkeit der Statistik, mußte ich
nunmehr feststellen, wie nah der rohe Wahn sein
Quartier aufgeschlagen hatte. Wie konnte er nur
so unbemerkt bei mir einziehen?
Ich hatte mich dazu entschlossen zu
bleiben. Schon meine Plattensammlung war Grund
genug, das Feld nicht ohne Schlacht zu räumen.
Ich sah mich vorsichtig in der Runde um.
Mausiiiis Haltung war unverändert. Lediglich ein
kleiner herunterrutschender Klumpen Roter
Grütze verfälschte das so makellose Bild weißer
Zahnarztfreude. (Mausiiii hatte eine kleine
Wette in unserem Partnerquiz - welches TVProgramm sendet momentan keine Talkshow gewonnen, die grundsätzlich mit dem letzten
118
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
guten Stück aus unserem Kühlschrank belohnt
wird. Dies ist nicht selten ein Becher Pudding
oder Rote Grütze.)
Axels Bewegungsablauf versetzte mich
hingegen in Erstaunen. Er hob ständig die linke
Hand, streckte den Zeigefinger nach vorn und
hob den Daumen. Sein rechter Zeigefinger zog
am Daumen seiner linken Hand und schnipste dazu
mit Mittelfinger und Daumen im Takt. Aber
wußte Axel denn nicht, daß er lediglich eine
beschissene Finger-schnipp-schnapp-Pistole auf
Mausiiii richtete, die ausnahmslos nur Kleinkinder
innehalten läßt? Entweder ich träume, oder ich
habe
etwas
Entscheidendes
übersehen.
Zumindest mußte es das plötzliche Grienen in
Mausiiiis Gesicht erklären. Hoffentlich wurde ich
gerade verarscht.
Ich formte meine Hoffnung in Worte: „Was
wird hier eigentlich gespielt?!„ fragte ich
einfallsreich in die schmunzelnde Runde. Dieser
Frage mußte eine Antwort folgen. Ich hatte
meine Frage derart laut gestellt, als wäre sie
soeben aus den Lautsprecherboxen des laufenden
Fernseh-gerätes entsprungen. Diese vereinigten
seit
circa
dreißig
Minuten
Maschinengewehrsalven,
Massen-karambolagen
119
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
und Hilfeschreie von angehenden Rentnerinnen
auf etwa 120 Dezibel.
„Weißt du, ...„, nahm Mausiiii mein
verunsichertes Brüllen keineswegs eingeschüchtert zur Kenntnis, „Axel und ich haben uns
bereits schon heute morjen jetroffen. Ich habe
mir erlaubt, ihm von deinem winzijen Vorurteil
ihm jejenüber aus der Buddelkastenzeit zu
berichten. Ich wollte mir auch mein eijenes
Urteil über Axel bilden. Ihm hat übrijens sehr
viel daran jelegen, dich davon zu überzeujen, daß
er mittlerweile weit mehr beherrscht, als das
bloße Zertrampeln von Autodächern.„
„Tja„, setzte Axel schwungvoll und Mausiiii
zur Hilfe eilend ein, „und so haben wir uns dazu
entschlossen, dir ein kleines Schauspiel zu
präsentieren. Mausiiii sagte zu mir, ...„
„Für dich immer noch Mausi!„ betonte ich
kleinlaut.
„... du würdest davon eine Menge verstehen.
Und ich lege großen Wert auf dein Urteil. Denn
die kleine Show, die wir hier gerade abgezogen
haben,
ist
Bestandteil
eines
erfolgversprechenden Stückes, welches einige
meiner Schauspielfreunde mit mir gemeinsam im
120
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
‘Panic’ aufführen dürfen. Hat es dir denn
gefallen, war es überzeugend, war es gut???
Axel
hatte
wieder
vergessen,
zwischendurch zu schlucken, geschweige denn
nach Luft zu schnappen. Wer war dieser Axel
überhaupt? Hatte er womöglich sein ganzes
Leben lang nur unseren Verwandten gespielt?
Warum konnte ich nicht unmittelbar nach der
Auflösung
meiner
Gruselminuten
herzhaft
ablachen, Axel auf die Schulter hauen und
Mausiiii
ein„Du-du-du-du„
mit
meinem
Zeigefinger androhen? Ich bin doch sonst nicht
so wehleidig ...
Ich bin mächtig hereingelegt worden, das
stand fest. Was mich zudem lähmte war die
Tatsache, daß sich mein Schnurrhase mit dem
Objekt verschworen hatte, welches sich als mein
Cousin ausgab. Innerlich war ich ja auch schon
bereit gewesen, Axels Missetaten zu vergessen,
zu verzeihen und zu belächeln. Möglicherweise
war er anständiger als ich? Und er hatte sich ja
auch geändert. Und wie! Heute strapaziert er
keine Autohalter mehr, nein heutzutage killt er
das Selbstbewußtsein seiner potentiellen Fans.
Ich bemerkte gar nicht, daß sich Axel und
Mausiiii aus dem Staub gemacht hatten.
121
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Genaugenommen war ich auch noch nicht ganz
fertig mit mir. Außerdem hatte ich Hunger! In
der Küche sollte ich geheilt werden.
„Liebes Schnuuuuukel! Während deiner
Phase des Abschottens hab‘ ich mir erlaubt, dir
ein paar Stullchen zu schmieren. Ich kenne ja
deine schwache Seite. Iß sie, und beruhige dich.
Wenn du dann wieder Lebensmut jeschöpft hast,
komme uns ins ‘Friendship’ nach. Mausi.„
Lieb von ihr. Gewiß. Auf meine Schnecke ist
eben doch Verlaß. Und daß sie in ihrem Liebesgruß
auf ihr zweites, drittes und viertes „i„
verzichtet, kann ich ihr wohl binnen Minuten
verzeihen. Aber warum ausgerechnet ins
„Friendship„?
Ich zog mich also an, schnell und
schmuddelig, dazu noch ein passendes Eau de
Parfum, Marke „Teu„ von „Er„, und war gerüstet
wie ein modebewußter Twen. Auf der Fußmatte ich hatte bereits die Klinke in der Hand - fand
ich die heutige Tageszeitung, jungfräulich und
ohne Eselsohren. „Vorurteile machen blind!„
titelte sie. Sekundenbruchteile später stolperte
ich über die Türschwelle und landete unsanft auf
der Nase.
122
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Gut durchgeschüttelt erreichte ich das
„Friendship„ und setzte mich verlegen zu meinen
zwei
Lieblingen.
Mit
zitternder
Stimme
berichtete ich von der Tageszeitung auf unserer
Fußmatte. Leise und eingeschüchtert fragte ich
nach der Wahrscheinlichkeit des Zufalls.
123
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Auf den Spuren der Kleinanzeigen - I. Teil
Junges, nettes Team sucht ... Oder: Wer ist
nicht alles zu allem bereit?
Wissen Sie Bescheid, sehen Sie klar, kennen Sie
sich aus???
Nach den allabendlichen Unterhaltungen mit
Ihrer Beziehungskiste oder ihrem plüschigen
Haustier, Ihrem büchsengeruchverbreitenden
Abendessen
oder
dem
wieder
falsch
ausgesuchten Buch, Ihren freitodfördernden
Chemie-hausaufgaben
oder
vielleicht
dem
störenden Klingeln - der nach Backpulver
flehenden Nachbarin - fehlt etwas. Doch nur die
abartigsten Versuche, den Verbraucher mit mintoder lilafarbenen Schokoformen zu verhätscheln,
verhindern das Herunterklappen der Augenlider.
Die
sich
ständig
wiederholende
Vielfalt
überlistet uns mit Snacks.
124
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Wir bieten viel, mehr, alles!
Diese uns bekannte Form im Umgang mit der
Langeweile
zerstört
reichlich
und
ist
gefährlicher als Sie denken! Denn durch
Zahnfäule entstehen nicht nur Arztkosten, es
folgt auch ein katapultartiger Rausschmiß aus der
Gesellschaft.
Naschen kostet. Und wenn’s kostet, wird’s
bald alle das liebe Geld. Ihr häuslicher Überfluß
wird sogleich überflüssig, und Fortpflanzung ohne
Zähne ist genauso verzwickt, wie das
gewerkschaftliche
Dazwischenquatschen
bei
Versammlungen der Personalvertretung. Ihr
Abrutsch in die Gosse wäre sozusagen schon
vorprogrammiert. Und ein Sarg in Form eines
Sahnebissets - als Abschlußgeschenk der
öffentlichen Wohlfahrt - wäre gewiß auch nur ein
Tropfen auf den heißen Stein. Ihr Leben tendiert
unweigerlich zur lückenlosen Zerrissenheit.
Unser Angebot - Ihre Chance!
125
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ein Jahresabonnement von Sahnebonbons hätten
Sie jetzt schon sicher. Aber Sie können noch
verdoppeln! Wollen Sie? Gut!
Wir werden Sie mit Ihren neuen Freunden
des Doktor-Test-Nuß bekannt machen. Man wird
Sie gerne haben, und Sie sorgen bitte dafür, daß
es dabei bleibt! Wenn Sie ein Opfer bringen
müssen ... Lächeln, Zähne zeigen und Kopf hoch,
Sie sind es ja gewohnt.
Ihre wichtigsten Angriffspunkte sind die
Joghurtweichlinge, jeder, der der Light-Masche
zu verfallen droht und vor allem die
Fitneßkriecher auf unseren Straßen. Arbeiten
Sie sorgfältig und sichern Sie sich Ihre
strahlend weiße Zukunft! Wir, die „Zucker-inMassen-vertilgen-und-dick-sein-ist-stark„Selbsthilfe-gruppe, verleihen Ihnen umgehend
den Dienstgrad „Snacktestausbilder„. Aber wir
wissen nur zu gut, daß Mann seinen ach so
geliebten Rang in der Riege nur ungern auf- und
preisgibt.
Deswegen und Ende.
Wenn Sie uns eine gute Bilanz Ihrer Arbeit
vorweisen können, steht Ihrer Karriere nichts
126
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
mehr im Wege. Sie haben es geschafft! Sie sind
derdiedas Größte! Nun ergeben sich aus Ihren
Illusionen eigenes Gebiß, extrem geiles Lächeln,
grenzenlos bezahlter Krankenhausaufenthalt
keine Probleme mehr. Den für Sie saisonal
nötigen Zahnersatz erhalten Sie natürlich
kostenlos. Ihre Magenleiden tragen Sie allerdings
weiterhin mit sich herum.
Apropos und nebenher!
Unsere Organisation ist sicher nicht die Lösung
Ihrer Probleme. Aber sie schafft (Arbeit)! Und
das Naschen und Knabbern ist bei uns auch
außerhalb der Pausen erlaubt.
Wir freuen uns auf ein persönliches
Kennenlernen, Sie armes Würstchen.
127
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Auf den Spuren der Kleinanzeigen - II. Teil
Are you auch immer so hilflos, wenn you in the
Kaufcenter stehst und anschaffen willst, but nix
money have in your bag? Then we have a good
Idee for Dich.
When you very well bist in computer, coffee
cooking und immer schön smiles in your face
trägst, dann you have a good reason to write a
lovely letter to us.
When you are between zwanzig und
achtundzwanzig Jahre old, blond und blauäugig
and a little bit stupid, you get ganz sicher a
Antwort.
Please put in your Briefumschlag your
personal record with a colour from you.
Whenever you Lust hast, sei so nice and put noch
a little Bewerbung mit in. And when you have a
really good day, please put noch some copies
from your schools und so hinein. And schon is
your luck greifbar.
It wäre very nice, when your letter bis next
week bei uns ist. Wenn yes, dann kommt er in a
128
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
great box for the lottery. Wir sind very sure,
daß you dabei bist. Please write to us, please.
Oh, oh, sorry! We have noch was forgotten. You
must be unbedingt zweisprachig. This is our
Aushängeschild. Wir wären very happy, when you
could speak spain/russian oder italy/greak. We
are waiting for you. Bye-bye.
129
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
LEIDENSCHAFT
UND
TÜCKE
DUNKELHEIT UND MENSCHENMASSEN, BÜRGERSTEIGE
REGENNAß,
NEONLICHT FÜR KLEINEN BUMMEL, HERZHAFTES UND
BIER VOM FAß.
RUHEZONE, ROTE WÄRME, TURBAN UND AUCH
SCHOTTENROCK,
SEITENGASSEN, GROßER HANDEL, ALLES GIBT’S IM
ZWEITEN STOCK.
SEHNSUCHT
NACH DEM
UNERFÜLLTEN,
SOFORT UND
AUCH BESTELLT.
SORGEN
NUR DURCH
NOTENHÜRDEN,
ALLEN ES DANN
DOCH GEFÄLLT.
DUNKELMÄNNER, GELDGEKLIMPER,
WAS DRIN.
ANGEFAßT ...
130
WEIßE
TÜTEN
MIT
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Auf Olympiakurs
Hell, dunkel, voll oder halbvoll, reingequält oder
allerletzte Eisenbahn ... Es klingt noch in meinen
Ohren! Und mein Fazit, aus diesem Horror
zwischen
Vorfreude
und
Enttäuschung?
Monatelanges warten im Vorfeld, Unsicherheit,
ob nun alles fertig wird oder nicht und ein
Seiltanz über dem Tal des Pipi.
Kein Stammtischabend hätte spannender
sein können als die Gewißheit darüber, daß der
dritte Starter nicht hellbraun machen kann, und
wer höher springt, langsamer ist als andere.
Trotzdem, ein völlig neues Gefühl zu wissen, daß
Farbe und Menge die Macht über Erfolg und
Mißerfolg besitzen.
Richtig entspannend war dahingegen die
täglich
verschleierte
Umweltreportage.
Allerdings bin ich geradezu erleichtert darüber
gewesen, daß mir diese Gegend bei meinen
Wandlungen als Kulturbarbar (Urlaub) nicht
schon zeitiger über den Weg gestolpert ist. Es
wäre sicherlich auch unendlich deprimierend
gewesen - diese kargen Berge, so ohne einen
131
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Funken Kultur! Meiner Meinung nach, dürfte
heutzutage eh kein Örtchen mehr ohne Fast food
und Autobahn existieren. Mir schwimmen da
jedenfalls alle Felle weg. Und da ich mich weder
als farbenblind einstufe, noch ausgeschlafen
habe, liegen meine Nerven jetzt auf irgendeiner
Abfahrtsstrecke ...
132
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Können Fische ertrinken?
Kleine Hunde können ertrinken - Schiffe
gelegentlich
auch.
Ärger,
Katzen
und
Regenwürmer werden ertränkt! Mitunter kommt
es manch arg gebeuteltem Mitbürger auch
gelegen, wenn eines dieser possierlichen
Nichtschwimmer an Oberwasser verliert. Aber
Fische?
Jeder
hinterhofverwöhnte
Mieter
entwickelt 500 % Autonomiebestreben, wenn
Nachbars kleiner Quälgeist Samstagmorgen die
Treppe heruntergepoltert kommt, und anstatt
auf Muttis kluge Ratschläge zu hören, verfällt er
circa alle 30 Sekunden in eine Art Siegestrauma
beim Einmannfußball. Aber Fische und Fußball?
Nein! Jedoch der Bernhardiner aus dem
Vorderhaus erweist sich als äußerst sportlich.
Sein Erscheinen sorgt für urplötzliche Leere auf
dem Hof. Zuweilen verliert sich diese
trügerische Idylle in ein tierisches Geschrei,
zwischen jenem guten Fußballschiedsrichter, der
133
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
für ausgedehnte Pausen sorgt, und einem Rudel
Katzen, welches sich gerade in den Resten der
Mülltonnen tummelt. Das Übrige wurde bereits
ohne große Sorgfalt verteilt und begrenzt das
Spielfeld. Wenn sich jedoch weder Haustiere,
noch Kinder als prunkvolles Accessoire eines
gepflegten deutschen Hinterhofes erweisen, was
dann? Man könnte dort Fische aussetzen.
Ertrinken würden sie mit Sicherheit nicht!
Dessen ungeachtet delegieren wir unsere
Kleinen in den Wochenendeinkauf. Süßigkeiten
und Babykost ab ins obere Regal, und schon sind
die beliebtesten Einkaufsschlager unserer Gören
unerreichbar. Mutti und Vati beugen somit dem
drohenden Übergewicht vor und sorgen mit
dieser Schlankheitspraktik für die Finanzierung
ihrer Amerika-Rundreise-zu-zweit. Für unsere
Vierbeiner wäre ein oberes Regal allerdings auch
angebracht! Oder benötigen sie allen Ernstes
Katzenfutter in Aspik oder Kleingehacktes für
olympiareife Hunde? Da reißt einem ja die Leine!
Wirklich schade, daß man Fische nicht einkaufen
schicken kann.
134
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Eigentlich haben wir doch alle etwas gegen
Geschrei und halbleere Mülltonnen. Und für
Hinterhoffußball dürften Sie wohl auch nichts
übrig haben. Dreck mit Hundefutter zu
beseitigen erscheint mir genauso sinnlos, wie das
Ansparen
einer
Überseereise
durch
Babykostentzug. Aber können Fische nun
schwimmen?
Es ist wohl mehr so eine Art Tauchen, denn
unter Wasser bekommen sie ja keine Luft. Also
gilt mein Lob allen Anglervereinen und
Fischereiunternehmen, die täglich Millionen
Leben retten. Ja, Fische können ertrinken. So!
135
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Außer Tante keine Mausis
Wir hatten die Pauken und Trompeten im Gepäck
fest verschnürt. Es konnte losgehen.
Auf der Autobahn begegneten uns die
üblichen Nettigkeiten: Stau, Unfälle, Stau, Auto
kaputt, Stau, Rückfahrt, Stau, schnell noch den
Bedarf an Chips, Bier und Partybuletten
auffrischen, Stau.
Es war bereits Mitternacht, der Mond
wurde langsam müde, als wir dem kleinen Wasser
im Norden Deutschlands die Hand reichten. Alle
maritimen Reize lagen uns zu Füßen und lockten,
Koje hin oder her. So durchkämmten wir ein
Nachtlokal nach dem anderen und schlossen die
ersten Kontakte.
„Die Beerdigung meiner Frau war wirklich
phantastisch, aber der Kaffee ...!„ witzelte Oldie
zum Barpersonal. „T. Dew und Logo-man-wirklich
horchen gleich an der Matratze, Wolle und
Bäuchlein versuchen bereits seit vier Stunden die
Spielautomaten zu überlisten, und mir fällt auch
kein Witz mehr ein. Los, laßt uns erst einmal
einen schnabbeln!„ - Wir waren nicht allein.
136
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„’n Schluck Bier und ‘n Kümmerlichen„,
befahl Wolle.
„’ne Brise Irischet„, war von Tante zu
vernehmen.
„Einfach zwei Pilsetten für mich und ihm
hier„, gab Olle Olé noch schnell zum Besten.
„Dein Schenki kann zwar och janz jut
bedieneln,
aber
die
Olle
mit
dem
Zahnpastalächeln mitten im Jesicht, hat och janz
jute Chancen uff Erfolg„, lallte mir Oldie
entgegen.
Die Herrlichkeit hinter der Theke war wohl
schon zwei Stunden vor unserer Ankunft schwer
daran interessiert, daß Oldie endlich ginge.
Telepathisch, wie er nun einmal veranlagt ist,
schickte er ihr ein wenig verspätet ein „Gute
Nacht Schwester!„ über den Tresen und verließ
von seiner Umwelt sichtlich enttäuscht den Saal.
„Stimmt„, flammte es förmlich aus Olle Olés
Mund, „wäre bestimmt ‘ne gute Nachtschwester.„
Wir waren wieder voll in unserem Element.
Leider vermittelte uns keiner der anderen
anwesenden Gäste den Eindruck, daß er an
unseren guten Laune teilhaben möchte. Alle
sahen so glücklich in die mit Spinnweben
verzierten
Ecken,
des
mühselig
auf
137
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Erlebniskneipe getrimmten Nachtlokals, als
hätten sie, einer wie der andere, eine
Einbauküche im Wert von 75.000,- DM gewonnen
und blieben doch nur Untermieter in einer kleinen
Zweizimmerwohnung. Kurzum, nicht unser Laden
und wahrscheinlich auch nicht mehr unsere Zeit.
138
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der zweite Tag
Unser erstes Morgengrauen erlebten wir gegen
zehn
Uhr
vormittags.
Unsere
Wimpern
verschleierten die entgegenkommende Geste von
Klärchen ohne Gnade. Uns fehlte noch der rechte
Durchblick. Somit kümmerten wir uns vorerst
darum, wer uns was an den Frühstückstisch
reichen sollte.
„Oldie„, fragte Logo-man-wirklich, für
Oldies Geschmack viel zu früh am Tage, wie er
denn geschlafen hätte.
„Weiß ich nicht, will ich nicht wissen und
frage mich vor 11.00 Uhr bitte kein Stück mehr
ab!„
Das Gespräch fand keinen Höhepunkt mehr.
Logo-man-wirklich
bestellte
sich
sicherheitshalber gleich zwei Bier und dachte
wahrscheinlich eher gelangweilt an Oldies
Schlafkunst, Oldie selbst gab sich sichtlich Mühe
ob seines angehenden Muskelschwundes, der
seinen Kopf in aller Kürze in seinen Teller Müsli
sacken lassen müßte, Wolle machte seiner Tante
ständig unverständliche Komplimente, Tante
139
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
selbst wahr noch gar nicht richtig wach und T.
Dew aß derweil völlig ungeniert, mit fixiertem
Blick gen Kellnerin, welche ihn bevorzugt bedient
hatte. Daraufhin bestellte ich mir vorzugsweise
ein Glas Euterwarme.
Während es normalen Leuten gewiß
unendlich peinlich gewesen wäre an diesem
Morgenmahl
teilzunehmen,
womöglich
mit
offenen Augen, betrachteten Olle Olé und ich die
mit Schlaftrunkenheit gespickte Szenerie mit
dem hierfür notwendigen Schuß Humor und
gingen auf Erkundungstour.
Wir schlenderten los. Vorbei an rustikalen
Einheitshotels, in deren Nähe uns der Geruch von
Topfspüle und Toilette gleichermaßen umnebelte,
weiter entlang an der Strandpromenade, die mit
Karussellen und Imbißstübchen derart vollgeladen
war, daß uns der Blick aufs Meer versagt blieb
und gelangten schließlich und endlich an eine
Seebrücke. Genaugenommen war es nicht eine
Seebrücke, sondern mehr die Seebrücke. Und um
bei der Wahrheit zu bleiben, war es auch nicht
nur die Seebrücke, sondern die Seebrücke, auf
der ganz zufällig das Brückenfest statt fand.
Welch ein Unglück!
140
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Na wen schnuppert denn da mein fast völlig
stummes Auge?„ fragte Olle Olé eher schreiend
in das Brückenfest hinein. „Wenn das mal nicht
unser Bäuchlich ist? Warst du verschollen, oder
hattest du einfach nur die Schnauze voll von
uns?„ erkundigte er sich weiter, besorgt wie die
Mutti von Bauchi alias Bäuchlein alias ...
„Mir war einfach nur nach Bummeln zumute.
Die Sonne, das Meer, die Möwen - einfach alles
irgendwie tierisch Honig auf der Seele. Versteht
ihr was ich meine?„
Natürlich verstanden wir. Einstimmig hatten
wir uns Kultur und Erholung verschrieben. Wir
erinnerten uns an unsere Losung und waren
schlagartig Tourist Anfang Fünfzig: „Guck’ mal
hier, das Porzellan im Schaufenster„, quälte ich
mir einen ab. „Und da die Blumen am Wegesrand„,
stimmte Olle Olé unter Schmerzen mit ein.
So gingen wir drei über das Brückenfest hin
und her. Circa beim siebenten Mal, gesellten sich
zwei Schaulustige und der Rest unserer
Besatzung zu uns. Gemeinsam bestritten wir das
vierzehnte Mal und bogen an der erstbesten
Nebenstraße ganz unauffällig ab. Weder wollten
wir weiterschlendern, noch hatten wir großartig
Lust darauf, uns eine gewisse Art von Niederlage
141
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
eingestehen zu müssen. Also neuer Weg, neues
Glück!
Am Horizont glitzerte etwas. Der Planet
hatte sich nunmehr auf die Höhe des Asphalts
begeben und blendete somit. Was sprang uns aus
dieser Entfernung so wohltuend in die Augen?
War es der Seitenspiegel eines Autos in dem sich
die letzten Zuckungen der Sonne verfingen?
Eines Autos, daß wir gerne hätten, aber nie haben
werden? Eines Tretautos mit ohne Kupplung?
War es doch nur eine miese kleine Pfütze, als
Delta jener stinkenden Rinnsale, welche man
unschwer zu einem dieser billigen Hotels
zurückverfolgen hätte können? War es eine
Bierwerbung an einer Kneipe, eine verlorene
Sonnenbrille, ein riesiger Berg von Nichts, die
Sonne selbst?
War es vielleicht ein Gesicht, voller Anmut
und Farbe, mit einer Ausstrahlung bis über den
Äquator hinaus und intensiver als Cäsium? Konnte
es etwas anderes sein, als ein Gesicht?
Mit zunehmenden Schritten erblickten wir,
was uns derart geblendet hatte. Es war ein
Gesicht. Nicht ganz so glorreich wie in unserer
Phantasie, aber ein Gesicht. Als wir ihm Auge in
Auge gegenüber standen, erkannten wir trotz
142
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
einer gewissen Form von Ernüchterung Oldies
frisch gepinseltes Äußere.
„Wir machen heute Abend ‘nen Streifzug.
Last uns beim Italiener einkehren und was
knabbern. Und dann ab ins Gewissenlose! Ready?„
Die folgenden Stunden fanden ohne jede
Überlegung statt. Der Morgen darauf ähnelte
teuflisch dem gestrigen, ebenso der Nachmittag.
Gerade ist man von zu Hause abgefahren und
schon naht die Heimfahrt. Dieses häßliche Gefühl
begleitet mich schon bei einem gut gelungenem
Ausflug von zwei Stunden. Um so länger ich dem
Alltag entfliehe, desto schwieriger fällt mir der
Umgang mit diesem Gefühl.
So bündelten wir alle verinnerlichte positive
Energie in den letzten Abend, um sie in
Ausstrahlung und Erfolgserlebnisse umwandeln
zu können. Zu Hause wieder angelangt, kann ich
meinem Christianchen wenigstens vorgaukeln, es
wäre unerträglich gewesen, ohne sie zu verreisen.
143
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Die Bündelung
Wir gingen mit einer gewissen Planung in
eben das Nachtlokal, in dem man uns noch vor
zwei Tagen eher ignorierte als liebte. Eine Art
aufmerksame Studie über das Verhalten von
Dorfbewohnern. Möglicherweise erleben wir aber
auch einen Quantensprung der Einheimischen auf
ein höheres Energieniveau. Sozusagen dem
Verhalten der Touristen Mitte Dreißig angepaßt.
Dies wäre immerhin schon ein beachtlicher
Erfolg. Fraglich bleibt, ob wir bei dieser Art von
Zauber nachhelfen müssen.
„Am Morgen kann ich nichts essen, weil ich
dich liebe. Zum Mittag kann ich nichts essen, weil
ich dich liebe. Am Abend kann ich nichts essen,
weil ich dich liebe. Und in der Nacht kann ich
nicht schlafen, weil ich Hunger habe„, jammerte
Bäuchlein der ersten greifbaren Dame ins Ohr
und ergänzte: „Also lade mich bitte zum Essen
ein.„
„Du liebst mich, du liebst mich nicht. Du
liebst mich, du lieb...„, begann Tante die Perlen in
ihrem Haar abzuzählen, ohne dabei den Blick von
ihrem Wolle abzuwenden.
144
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Du liebst mich, warum auch nicht? Du liebst
mich, ich lieb’ auch dich„, vervollständigte Wolle
die Anbetung seiner Göttin.
„Die Schnecke im polierten Leder ...
Dahinten an der Bar ...„, begann T. Dew zu
träumen, strich sich dabei geübt durch seine
Mähne à la David Lee Roth (Er hatte mal eine.
Wirklich!) und vergaß darüber völlig, seine
Athletik in Unterlippennähe mindestens halb
angespannt zu lassen, so daß ihm ein von ColaWhisky leicht braungefärbter Tropfen seines
Speichels über sein Kinn rann, und auf seine Hose
zu tropfen drohte. „...ist nach meinem Rezept für
Pfeffersteak wirklich die schärfste Nummer im
Ländle!„
Logo-man-wirklich turnte im Kreis umher
und konnte sich immer noch nicht so recht
entscheiden, wohin ihn sein Hintern nun fallen
lassen solle. So gab er uns mit einem leisen,
jedoch ernst gemeinten „Seit ihr irre?!„ sanft zu
verstehen, daß wir uns nicht gerade spontan
beliebt machen würden, wenn wir unsere
Lederjacken allesamt auf die Barhocker
schmeißen, um es uns danach auf ihnen bequem zu
machen. Die „Sache„ gäbe gleich jedem Gast hier
im Lokal genügend Aufschluß darüber, woher wir
145
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
kämen, wie alt wir wären, welches Deo wir
üblicherweise benutzen würden und wie hoch
überzogen unser Dispo-Kredit sei. All dies wäre
ihm bereits als Hirngespinst schon unendlich
peinlich. Bestimmt! Er setzte sich also mit
aufgesetzt angewidertem Blick in unsere Mitte,
rülpste fast vorlaut und entgegnete der sich mit
vorsichtigem Schritt nähernden Kellnerin, daß sie
ihm seinen ausschlagenden Mundgeruch besser
verzeihen möge, weil er sich ansonsten dazu
genötigt ... sich der letzten drei unverdauten
Tage ... mittels Gesäßhusten ...
Ich machte es mir nebst Olle Olé bequem.
Hatten wir anfangs noch ausreichend Spaß daran,
Wolles Bemühungen zu bewundern, die zärtlichen
Attacken von Bauchi abzuwehren, bemerkten wir
fast schon zu spät drei Schalen voll mit
Schokoladenpudding, einem Sahnehäubchen oben
auf und jeweils verziert mit einer Weinbrandkirsche. Schlagartig wurde uns bewußt, daß wir
nie wieder glücklich werden würden, wenn wir ein
solch verführerisches Dessert einfach links
betrocknen ließen. Wir angelten nach einer
Strategie für einen Eroberungsfeldzug. Das
Naschen konnte später geklärt werden.
146
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Wie
verzaubert
man
eine
Weinbrandkirsche? Wie gelingt es einem, eine
Weinbrandkirsche in eine Art Schwebezustand
zu versetzen, so daß sie einem wie von
Geisterhand in den Mund fliegt?
Eine Variante besteht darin, sie einfach
ohne Überlegung in den Mund zu stecken. Der
international erfahrenen Naschkatze erscheint
es
jedoch
klüger,
einfach
über
sie
hinwegzusehen. Denn die Praxis belegt, daß eine
wohlschmeckende Weinbrandkirsche sich ihrer
Anziehungskraft durchaus bewußt ist. Äfft man
ihr ständig hinterher, leckt sich dabei womöglich
auch noch flegelhaft die Lippen, sieht sie über
einen hinweg, so als gäbe es Tausende anderer
Möglichkeiten, verleckert zu werden. Und jeder
kluge Kopf weiß, daß es sie gibt. Man gewinnt eine
Weinbrand-kirsche nur dann für sich, wenn man
sie anfangs völlig ignoriert.
Äh?
Die wohlschmeckende Weinbrandkirsche kennt
ihre Reize und setzt sie keck ein. Denn sie ist es
gewohnt, mit den Augen anderer vernascht zu
werden. Dieser Ablauf wiederholt sich für sie auf
fast jedem Schokoladenpudding. Oftmals bleibt
147
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
sie dann als kümmerlicher Rest in der Schale
liegen. Das will sie nicht!
Die wohlschmeckende Weinbrandkirsche
kann es zwar bald schon nicht mehr vertragen,
nur auf weite Distanz an den Mündern anderer zu
hängen, jedoch bleibt diese für sie so gewohnte
Szenerie auch nur einmal aus, ist es ihr schon
wieder unwohl um den Kern. Anders ausgedrückt:
Man fällt auf.
Sicher ist der erste Moment ein eher böses
und fauchendes Sekündchen, doch schon bald
wächst das Interesse für den verwegenen
Ignoranten. Und mit ein wenig Glück leckt sie
sich jetzt ihre kirschroten Lippen. Der Spieß ist
umgedreht.
Nach geraumer Zeit empfiehlt sich ein
kurzer Blickkontakt, ein weiterer und ein dritter,
tiefer Blick bis unter die Netzhaut... Lächeln
erlaubt!
... Ich gesellte mich auf ihren Pudding und
plauderte nach Lebensart. Es ließ sich gut an. Wir
sprachen über andere Desserts, über den Hang
zum Nachtisch im allgemeinen und waren gerade
beim
Anrühren
von
mit
Fruchtmischung
versetztem Vanillepudding, als sich Olle Olé ganz
unverblümt an unseren voll besetzten Stehtisch
148
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
gesellte und mir mit einem Satz die ganze
Leckerei versaute: „Na, meine mit Alkohol
vertrauten
Liebesperlen,
hat
euch
mein
zweitbester Kumpel schon gestanden, daß er nur
auf Edelstahllöffel beim Verzehr von eingelegten
Früchtchen wie euch steht?„
Was sollte ich noch hinzufügen? Mir fehlte
die Luft zum Atmen und die passenden Worte
ohnehin. Ich wußte nicht einmal, daß es
Edelstahllöffel gibt, geschweige denn, daß man
mit ihnen Leckerlies machen kann. Also versank
ich für kurze Zeit schluchzend in der Ecke und
dachte über mich und Christiane nach. Aber ...
149
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ALKOHOL
ALKOHOL, DIESER GEIST,
DER JEDEN BELÄCHELT UND HEIMLICH BESCHEIßT.
ER WIRD DIR ZUM PARTNER, ZUR WOHNUNG, GENAU!
ER WIRD DIR ZUM KRIEG UND DANN ZUM K.O.!
Die Fütterung
... es klappt gelegentlich auch ohne diesen
ganzen Scheiß von wegen Weinbrandkirsche
ignorieren und so weiter. T.Dews blonder Traum
in Leder saß immer noch ganz alleine inmitten von
nichts. Er selbst war müde.
Ich sprach sie an. Ich roch an ihrem Hals
und wanderte weiter hoch bis zu ihrem
Ohrläppchen und leckte es. Ich warf meine
Philosophie über Weinbrandkirschen über die
Reling, über Bord und über alles. Ich war spitz
auf sie. Sie war für mich der ersehnte Schluck
Wasser nach dem Genuß von drei Kilo
150
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Salzstangen. Ich war Feuer und Flamme. In
meinen Augen war sie nur noch eine
ausgetrocknete
Waldschonung.
Sie
mußte
entflammen!
Ich quatschte bestimmt eine Viertelstunde
auf sie ein. Ich erzählte ihr von meinen Hobbys
(Hund-Katze-Maus), von der U-Bahn und dem
Dreck in Berlin, dem Nachtleben und log, daß es
hier besser sei. Ich ergoß einen Berg an
Komplimenten über ihr Haupt - ob ihres Duftes,
ihrer Haare, Zähne und ihrer Klamotten.
Während dieser Zeit trank ich kein einziges Bier
und
gab
mir
die
größte
Mühe,
den
Zigarettenrauch an ihr vorbeizublasen. Ich
benahm mich wie immer und noch besser. Jede
Möwe hätte sich in mich verliebt.
Ich hob ihre Intelligenz in den Himmel und
wäre dabei um Haaresbreite mit dem DiscoveryProgramm kollidiert. Jede Frau hätte sich
verarscht fühlen müssen oder hätte mir vor
Begeisterung die Fingernägel abgekaut, aber sie
blieb cool und regungslos.
Nach näherem Hinsehen entdeckte ich
enttäuscht ihre verdrehten Augen. Sie hatte
nach Auskunft der Barfrau gut das Dreifache
meiner Rechnung zu begleichen und war einfach
151
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
rattenzu. Ich hätte für sie den Koran und
Schillers „Die Glocke„ auswendig lernen können ...
Da ahmt man David Copperfield und Otto
Waalkes in einem nach, verdurstet fast und wird
dann behandelt, als rieche man wie Henry Maske
in der achten Runde. Ich könnte aus dem Fenster
springen! Einzig ein Werbevertrag mit „
Joghuredde„ oder ‘n Drink könnte mich jetzt
noch aufheitern. Und wenn alles zu spät sein
sollte, lege ich ‘nen Table-dance für ‘ne Runde
eingelegter Gurken hin. Sauer macht lustig!
152
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Weich, weicher, aufgeweicht
Komisch, hört sich an wie der resignierende
Hilferuf einer Hausfrau, die für vier kochen soll,
aber nur zwei Hände hat. Jedoch handelt es sich
hierbei nicht um den zu lang eingetitschten
Lebkuchen im Kaffee, und mit ultraweißgewaschener Buntwäsche hat es ebenso wenig zu
tun. Weich, weicher, aufgeweicht umschreibt
vielmehr das Maskottchen, das sich jeder um den
Hals hängen sollte, um als Deutscher erkannt zu
werden.
Was macht der Deutsche denn so am
liebsten - außer Schnarchen und in den Urlaub
fahren? Was kann er denn so am besten - außer
seine Fußballcracks vorm Fernseher anzufeuern?
Womit spielt der Deutsche jeden Ausländer an
die Wand - abgesehen von seiner Gastfreundlichkeit? ... Er prahlt mit seinem Auto, o.k.
Besser ist er jedoch im Kohle ausgeben! Kohle
ausgeben ist heutzutage ein fester Bestandteil
eines jeden Eitelkeit.
Kopfüber an der Waschmaschine wird
entgegen dem gut gemeinten Rat des Herstellers
153
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
gleich
die
doppelte
Ladung
„uriel-altra„
hineingeschüttet. Das „uriel-altra„ unschlagbar
ist, hat uns gerade die Spielfilmunterbrechung
beigebracht. Und unsere Unterhöschen von Calvin
K. sind sooo soft, da hilft eben nur die doppelte
Ladung. Selbst beim Billigpulli geben wir noch
eine Prise mehr hinzu. Vielleicht wird seine
Herkunft ja gleich mit weggespült?
Unser Kühlschrank ist vollgepfropft mit
Light-Packungen, einschließlich der Zigaretten.
Sieht nach mehr aus! Dickmacher kennen wir
nicht! (Nur zu besonderen Anlässen. Dann aber
richtig!) Vielmehr gehen wir nach unserem
Minimenü einen Frischgepreßten trinken und dann
ab ins Fitneßstudio. Eine dreifache Übung bei
nur zweifacher Verkraftung ist doch immer noch
besser, als nicht beachtet zu werden. Zum
Feierabend brechen wir alle unsere Vorsätze: ...
gehen italienisch Essen, regen uns über den
Geschmack von Peperoni auf, freuen uns über die
billige Rechnung und die tolle Bedienung. Wenn
nunmehr alles nach Wunsch verläuft, schlafen wir
mit einem beliebigen Partner Mit und sind danach
so dermaßen light, daß wir es Ohne auch nicht
mehr
bringen
würden.
Völlig
erschöpft
schlummern wir ein und werden pünktlich um
154
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
sechs Uhr in der Frühe von unserem Alptraum
erlöst,
den
alltäglichen
Einkauf
von
Sahnebonbons in unserem Tante-Emma-Laden zu
versäumen. Wäre ja auch schlimm, wenn wir nach
20 Jahren geschmackstreuer Haltung, den
Ersten
nicht
gleich
am
Ladentisch
hinterschleckern würden. Wir waren weich,
wurden immer weicher ... Wann sind wir
aufgeweicht?
155
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Schluß mit lustig!
Ich hatte die Gurken satt bis oben hin! Ich mußte
nicht einmal dafür tanzen! Sie standen einfach
auf dem Tresen und grinsten mich an. Dieses
Dorf bot in einem Nachtcafé tatsächlich Gurken
an. Umsonst! Entweder ist hier jeder zweite Gast
mit tödlicher Sicherheit alle Tage volltrunken,
oder diese grünen Zwerge dienen als Ersatz für
Brot und Salz.
In meinen Gedanken hämmerte die
Stimme von Elisabeth Volkmann von Trommelfell
zu Trommelfell: „Noch Gürkchen? Noch Leberwuorstschnittchen?„ Daß mich ausgerechnet
Elisabeth in dieser Tristeste mütterlich
umsorgte ... Ich weiß ja auch nicht.
Oldie haute mir auf die Schulter (Er war
mal weg, mal wieder da. Mal weg, mal wieder d...)
und ließ Elisabeth aus meinen Ohren purzeln:
„Hier steppt der Bär, hier bumst der Papst, hier
gibt es Wasser für nix und das bis morgen früh!
Alter, das Leben ist schon irgendwie geil. Der
Abend bietet uns alle Möglichkeiten, und ich will
sie lückenlos nutzen!„
156
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Oldie, du hast deinen Spitznamen nicht
umsonst!„
„Solange die Männerwelt von Typen wie dir
repräsentiert wird, Andreas, hat mein Alter noch
Chancen bis zum Krückstock!„
„Du solltest dir die Schläfen nachgrauen
lassen. Vielleicht folgen deinen Sprüchen dann
auch Erfolge.„
„Glaubst du ehrlich, ich würde prahlen wie
der Kanzler vor der Wahl, wenn ich nicht schon
zwei Fische an der Angel hätte? Du, die sind wild
auf’n Spaziergang am Meer. Es ist zwar
arschkalt, aber du hast ja ‘n Schal, der für euch
beide gleichzeitig Wärme spenden kann. Unter
Umständen besitzt du auch noch einen Funken
mehr Phantasie, wärmetechnisch betrachtet
versteht sich!„
„Sagtest du gerade ‘für euch zwei’?„
„Ich kann zeitweilig mein Herz teilen, nicht aber
meinen Unterleib!„
„Oldie, du bist ja eine tüchtige Drecksau!„
bemerkte ich wie frisch aus dem Mustopf des
Lebens gestiegen. „Du hast eine tadellose Frau
und einen aufstrebenden Jungen zu Hause sitzen.
Bist du so gefühlskalt, oder sind deine Probleme
157
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
größerer Natur?„ fragte ich nunmehr mit
Nachdruck und Erschütterung in einem Ritt.
„Andy, mein junger Kollege, sie sind größer
als du jemals werden wirst. Und du stößt dir
bereits in gebückter Haltung den Kopf!„
Armes Schwein, dachte ich bei mir. Dann
schwenkte ich mein Haupt gen Meeresspaziergangsinteressentinnen.
„Oldie, ich habe auch große Probleme„,
begann ich behutsam. „Sind die beiden echt? Ist
Olle Olé in der Nähe? Welche gefällt dir denn?„
Ich war nervös.
„Beruhige dich, junger Stier.„
„Oldie, ich bin nunmehr achtundzwanzig.„
„Sag’ ich doch.„
„Ich meine, ich ...„
„Du feierst zwar pro Tag mindestens drei
heiße Flirts, aber deine Herzdame lag dir noch
nicht zu Füßen, wie?„
„Deine hellseherischen Fähigkeiten machen
mir Angst, Oldie.„
„Ich habe nur mehr Erfahrung wie du.„
„Wenn ich mal so richtig ehrlich sein soll, Oldie,
dann, ...„
„Sei es in Gottes Namen!„
158
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„... hatte ich schon meine Herzdame. Damals
hatte ich sie noch Blondi getauft und nicht
Mausi.„
„Du hattest sie wohl sehr gerne, wie?„
„Ja, aber ich war zu blöd, es ihr auch zu sagen.
Manchmal denke ich, ich hätte sie damals
schnellstens heiraten sollen. Jedenfalls war sie
bis zum heutigen Zeitpunkt die einzige Frau, die
mich auch während unserer Beziehung geliebt
hatte.„
„Allein deine gesonderte Namenstaufe
spricht Bände für sie.„
„Alles Scheiße, deine Elli.„
„Hmhm.„
159
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Haltlos
Oldie nahm mich behutsam zur Seite und sagte:
„Schau’ sie dir an! Die sind echt! Mir gefällt die
mit den großen Möpsen. Und Olle Olé ist schwer
mit seinem Pils beschäftigt.„
„Oldie!„ murmelte ich interessiert und
gleichermaßen
nachdenklich
durch
meine
halboffenen Lippen, „ich bin zwar nicht
verheiratet, aber ich habe Christiane. Ich habe
sie erst kürzlich mit der Make-up-Lulle
enttäuscht. Eine dritte Chance gibt sie mir
nicht!„
„Du sollst ja auch nur naschen. Essen kannst
du dann wieder ...„
„Zu Hause, ich weiß. Wir sind hier aber
nicht bei Bio im Kochstudio, verstehst du?!„
„Nein.„
„Aber ...„
„Guck’ sie dir an.„
„... ich will glücklich werden und nicht mein ganzes
Leben lang Sturm- und Drangzeit spielen.„
„Guck’ sie dir an!„
160
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Ich seh’ sie ja. Die Möpse sind o.k., aber
Christianes sind irgendwie schöner.„
„Du solltest dir ja auch Gedanken um die
andere Perle machen!„
„Die gefällt mir nicht.„
„Bitte?!„
„Die is’ nicht mein Typ. Außerdem habe ich
...„
„Christiane. Ich weiß!„ Oldie war ungeduldig.
„Mach’ dein Ding, und grüße ihre Mutter von mir.„
„Das würde ich gern tun. Aber ich kann die
andere nicht einfach wegzaubern. Erstens hat
ihre Freundin mit den großen Dingern ganz
deutlich ‘zu zweit’ gesagt, zweitens ist es wohl
besser, wenn ich auf sie höre und drittens steht
ihre Freundin ganz zufällig auf dich. Seit zwei
Stunden übrigens! Du solltest, wenn schon nicht
dir, dann wenigstens ihr den Gefallen tun und sie
zumindest im Vorbeisehen anlächeln.„
Ich ging zuerst einmal aufs Klo. Das war
ganz allein meine Entscheidung! Darüber hinaus
wurde mein Willen jedoch von Oldie dirigiert. Ich
kam mir vor wie eine Triangel in einem riesigen
Orchester. Ich wurde den ganzen Abend
vorgezeigt, um ein einziges mal geschlagen zu
werden. Oder war ich ein ...? Egal. Ich wurde
161
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
langsam wieder nüchtern und fühlte mich
scheußlich. Doch noch beim Zuziehen meines
Reißverschlusses (In Wahrheit waren es Knöpfe
...) nahm ich mir vor: Bloß nicht klemmen!
Im Vorbeisehen orientierte ich mich kurz.
Ich war zwar nicht gefangen von ihrem Blick,
aber irgendwie angestrickt. Oldie mußte
Hellseher sein, zumindest nebenberuflich. Er
hatte meinen Geschmack erahnt, ja geradezu
herbei-gewünschelt. Er war mir unheimlich.
„Und???„ Oldies Augen stellten mir die
wichtigsten Fragen der Zeitgeschichte in einem
Wort. „Was ist nun?!„
„Ja,
o.k.
Aber
nur
einen
Meeresspaziergang!„
„Darüber reden wir noch.„
Wir gingen zu den Damen hin. Oldie stellte
mir beide Herrlichkeiten vor und teilte den Weg
zum Meer vorsichtshalber gleich in zwei
Spielhälften auf. Mir war irgendwie nach
Durchfall zumute.
Wir wanderten auf die Seebrücke hinaus.
Der Wind ließ meinen Schal von ganz alleine um
ihren Hals tänzeln. Wir lagen uns in den Armen
und wärmten uns. Es war klirrend kalt. Und
trotzdem hatte ich ein Gefühl von Weihnachten
162
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
in meinem Herzen. Ihre Augen erinnerten mich
an die von Blondi. Wir küßten uns.
Oldie durchbrach unsere Wärme: „Laßt uns
wieder hinein gehen, hier holt man sich ja den
Tod!„
„Habt ihr keinen Schal?„ entgegnete ihm
meine Sparflamme.
„Hört auf mit den dummen Witzen. Mir ist
kalt, ihr ist kalt und euch bestimmt auch.
Außerdem ist die Erfahrung, beim Schmusen erst
kleine Eiszapfen abknabbern zu müssen, auch
nicht so prickelnd. Also bitte!„
„Ja bitte„, schob Oldies Herzdame zitternd
hinterher.
„Ja, o.k.„, stimmte meine mit ein.
Ich wurde nicht gefragt. So schlenderten wir
gemeinsam langsamen Touristenschrittes wieder
retour. Als wir am Eingang angelangt waren,
wollte keiner mehr so richtig: „Ich bin
hundemüde„, jammerte mir Oldie augenzwinkernd
entgegen.
„Meine Beine tun mir weh„, sagte seine
Prinzessin.
„Na gut„, stimmte ich mit ein und hoffte,
daß meine Perle gleich mit Kopfschmerzen
aufwarten würde.
163
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Ich fahre euch dann noch fix nach Hause„,
sagte sie nach längerem Warten, ohne sich an
den Kopf zu fassen.
Wir gingen also zu ihrem Wagen. Nach einer
kleinen Drängelei fanden wir alle Platz. Zuerst
wurden Oldie und ich nach Hause chauffiert. Als
wir an unserer Pforte standen und nur noch
hätten aussteigen müssen, kam der Moment des
„Wie nun?„. Man kann über diesen Moment ewig
lamentieren oder einfach ...
Es vergingen gut zwei Minuten bis sich
unwiderruflich herausstellte, daß ein Auto zum
Fahren nutzt, nicht aber als Spielwiese für vier.
Oldie ging in Begleitung freiwillig. Daß dieser
Autoflirt alle meine Erfahrungen, versteckten
Träume
und
Wunschvorstellungen
über
zerwühltes Haar und Zärtlichkeit übertreffen
sollte, kann ich bis zum heutigen Zeitpunkt
ausnahmslos bestätigen.
Ich könnte an dieser Stelle noch die Farbe
ihrer Unterdingens loben, ihren zauberhaften
Geruch umschreiben oder ihren geheimnisvollen
Leberfleck. Aber dies bleibt mein Geheimnis! Und
auch wenn ich sie nur einmal wiedersehen durfte,
bleibt sie meine Blondi mit braunem Haar.
164
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Was ich liebe ...
... sind zum Beispiel die Morgenstunden am
Wochenende, an denen man zur leidlich
gewohnten Zeit kurz aufwacht, die Sonne über
den Dächern aufgehen sieht, sich im Gefühl viel
Zeit zu haben, ohne große Überlegung wieder
herumdreht und die Beine wieder mit dem
Schlafbett bedeckt. Man kann sich dann schön
zusammenkauern und die befriedigende Kühle im
Gesicht spüren. Wissen Sie wie schön es ist,
wenn sich angenehm warme Haut aneinander
reibt? Ein gemeinsames Frühstück im Bett ist
dann zweifellos die Krönung.
Ich liebe es, im Straßencafé zu sitzen, und
die flanierenden Herrschaften zu beobachten.
Wie sie eigentlich alle vorbeihetzen, mit ihren
Einkaufstüten unter den Armen! Keiner besitzt
die Muße zum Verweilen. Nur man selbst ist in
dieser gekrönten Position. Es ist so angenehm!
Hören Sie gerne Musik? Freitags bin ich
abhängig von jenen zwei Stunden völliger
Abgeschiedenheit, in denen ich meine Batterie
wieder aufladen kann. Sollte sich ein solcher
165
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Moment
in
Ihren
Ohren
nach
einem
unerreichbaren Privileg anhören, ist es schon
fast zu spät für Sie! Ich kann Ihnen nur dringend
empfehlen, warten Sie nicht zu lange! Genießen
Sie den Moment, erfreuen Sie sich an den
Kleinigkeiten des Lebens - Lassen Sie Ihre
Wünsche zu! Denken Sie an sich selbst, so wie es
die anderen tun!
Ich liebe den Geruch von gebrannten
Mandeln. In diesen Augenblicken werde ich
immer wieder schlagartig zum Kleinkind. Ich
erinnere mich sehr gerne an die nimmer enden
wollenden Ausflüge in Richtung Riesenrad und
Clownerie. Ich hatte große rollende Augen beim
Anblick eines jeden Karussells oder zu
gewinnenden Plüschbären. Entdecke ich heute
diesen verträumten Blick im Gesicht eines Kindes
wieder, kann ich meine Augen nur schwer von ihm
abwenden. Ich sehe mit seinen Augen zurück in
meine Kindheit. Es ist ein wunderbares Gefühl,
und ich rieche die gebrannten Mandeln. Sie auch?
Ich liebe den Winter ... Nein, das ist
gelogen! Aber er kann zumindest appetitlich
wirken. An einem freien Tag zu zweit durch
jungfräulichen Schnee stapfen (die Sonne
scheint natürlich, und die Hände sind warm), den
166
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Blick über den Horizont tippeln lassen und sich in
Vorfreude ob des Geschmacks von Lebkuchen
erfreuen ... Alles Märchenkram! Ich hasse den
Winter!
Ich liebe die Faulheit am Vormittag und
meine Bank, wenn sie sich nicht meldet ... die
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und den
Geruch
von
Pfefferminztee.
Ich
liebe
beschriebenes
Papier
und
dreistellige
Seitenzahlen, den Fußball und seine Tore,
Schiedsrichter in bunten Shorts. Ich liebe den
Mai, habe aber nichts gegen den Juni. Ich mag
keine Nullen und spiele trotzdem Roulette. Auch
nett!
Ich liebe die Mathematik, nicht aber ihre
Lehrer! ... die Bundesbahn und fahre dennoch
schwarz. Ich liebe das Fernsehen und schalte hin
und her und ab. Ich liebte Axel ... Paperlapapp!
Ich liebe die Frauen - auch ohne Verstand. Ich
liebe den Otto-Versand.
Ich liebe Kaugummis statt Plomben,
Fieberthermometer
und
Pfandflaschen,
chinesisches Pfannengemüse statt fruchtige
Zwerge ... den Brockhaus und mein Kochbuch ...
Nicht aber ihre Preise!
167
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich liebe Bier und Wein, liebte Whisky und
Aspirin, Salzstangen ohne Schokoladensoße,
Toilettenpapier mit der Zitrusfrische. Ich liebe
Lederjacken mit Flicken, Strumpfhosen mit
Laufmaschen, Socken mit Löchern, Kragenspeck
und Schmutzränder. Ich liebe Haar in voller
Pracht, alle Düfte und Farben – kleine Kratzer,
keine Narben.
Ich liebe hoffnungsvolle Momente, Verlierer
und Pferdewetten sowie Schachspiel und PunkMusik. Ich liebte Hydrotöpfe und Gießkannen,
Myrrhe und Salbei, Peter Silie und Reiner Zufall.
Ich liebe jede Automarke, den Beifahrer-Airbag
und Aufprallschutz, Spurrillen und Ampeln ...
Fußgänger, Verkehrspolizisten und Schlagsahne.
Ich liebe Fische und Haaken, Schweine und
Pfannen, Seelöwen und Zoos, Schnecken und
unsere französischen Nachbarn. Ich liebe
Wärmflaschen und Kaffeemaschinen, Autowaschanlagen und Einbahnstraßen mit Rauchverbot ...
T-Shirts und Tintenflecken.
Mir ist nach Pausen und Aschenbechern, Krümeln
und Arien, strahlendem Weiß und Bettlaken,
Kürbiskernen und der Alpenmilch.
Ich liebe Kirschen, meinen Nachbarn und
seine Mentalität. Ich liebe den Faustkeil und
168
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
seinen Erfinder - Krawatten, Fliegen und Binder.
Ich liebe Gläser und Porzellan, Handfeger und
Müllschippen, Golf und Käse, Löcher mit
Geschmack. Ich liebe alle Sternzeichen und
Länder, jede Pfütze und jeden Baum, das
Ozonloch und Palmen, Regale und Bücher und
Staubflocken ... einfach jeden Tag.
169
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
AMERIKA
IN GRÜNEN WÄLDERN AUF ‘NEM PFERD SITZEN ...
RAUHE LUFT UND ZIGARILLOQUALM.
WO DIE KÜHE DICH MIT SCHLAMM BESPRITZEN ...
ALS COWBOY MAL IM SATTEL SITZEN.
LAGERFEUER, GOLD IN DEN TASCHEN,
HÄRTE ZEIGEN, SCHIEßEREIEN,
UNGEWASCHEN WHISKY TRINKEN,
FRAU ZU HAUS UND DU ALLEIN.
EIN FIXER TRAUM EINES KLEINEN JUNGEN
UND DEM GROßEN, FREIEN AMERIKA.
DIESE IDYLLE IN DER UNENDLICHEN WEITE,
IMMER FROH UND NIEMALS PLEITE - AMERIKA?
170
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Luxus ...
... ist die mißlungene Mischung zwischen einem
liebevoll garnierten Schälchen Erdbeersorbett
und Raubtierpisse. Wenn man seinem zweitbesten
Kumpel Olle Olé trauen darf, mögen es die
Frauen, wenn der Mann ein wenig nach Tiger
riecht. - Also fortan nur noch eine Unterhose die
Woche und die Fingernägel rot lackiert! Tod allen
Deodorants, Seifen und Frischhaltetüchern!
Keine Macht dem Tanga-Slip - Viva la Feinripp!
Verbannung für alle 5er-Sets Billigunterhosen!
Dieser Fetisch gehört der Vergangenheit an. Nagelersatz für den Bowlingsport!
171
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ANSICHTSSACHE?
SCHÖNE FRAU DER ERSTEN SEITE,
FROMM UMARMT VON ALTEM MANN.
LEIDER WAR ER NIE DABEI ...
WAS IHM KEINER GLAUBEN KANN!
SPANNUNG
ERWARTENDE STILLE IM KLEINEN RUND DIE STÜHLE RUTSCHEN SICH RICHTIG HIN.
TÜTENGEKNISTER UND GUMMI IM MUND.
NUN MACHT SCHON, ICH KOMM’ HIER SO SELTEN HIN!
DER KLEINE MANN MIT ANGST ERFÜLLT ...
DAS LICHT WIRD HELL AM BÜHNENRAND.
OB ER HIER DEN DURST NUN STILLT?
DER VORHANG BEWEGT WIE VON GEISTERHAND.
KURZE PAUSE, GLEICH GEHT’S LOS,
HAT NOCH MAL HOCHGEZOGEN!
ER HAT ES SO VIELEN SO OFT SCHON GEZEIGT,
UND WIRD DOCH IMMER NEU GEBOREN.
172
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
SCHÖNE POSSE, NOCH NICHT GEHÖRT UND DOCH SCHON SELBER ERFAHREN.
ER HAT ES GESCHAFFT, MIT DEM EINEM WORT,
ALLE IN DER RUNDE NUN LACHEN.
REIHENWEISE SCHIEßT ER SIE AB,
GESICHTER DIE GRIMMIG NOCH SCHAUEN.
MACHT SEINE WITZE UND ZEIGT SEINE KLASSE ...
GUMMI IM MUND IST JETZT UNGESUND!
EIN LETZTER SPRUCH FÜR DEN GROßEN IM HEMD,
ALLE ZUR TÜR JETZT SCHON GEHEN.
IHN HAT ER HEUTE NICHT GEWONNEN,
DOCH VIELE VOM WITZBOLD ZEHREN.
173
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
MEDIENBUMMEL
SCHÖNER DIE ZEITUNGEN SCHREIBEN BILDHAFT DAS LEID STEIGT EMPOR MESSER DAS LEBEN BESCHNEIDEN,
LÜGE IST OFT DER TENOR!
WELLEN DER LUFT UNS BESCHENKEN,
MIT TÖNEN WIE COMPUTERMAGIE.
DIE JUGEND VERFECHTETS VERWEGEN.
AUF DER BÜHNE KONNTEN SIE’S NIE!
TRAUMHAFT DIE FARBIGEN BILDER,
MEHRFACH GEZEIGT, NUR FÜR SIE.
PRIVAT ERHITZT DIE GEMÜTER ...
DIE ERSTE REIHE VERSTEHT SICH WIE NIE.
MONDLANDSCHAFT AUF DEN RÄNGEN,
VERGESSEN HATTE MAN SIE!
GELDER DAFÜR HEUT GIGANTISCH STAUBIGE MAUERN - HYSTERIE.
174
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
SELTEN EIN KEIM HOCHGEZOGEN.
UND WENN, NUR GESCHOLTEN, VERLACHT.
ALLE ZUM OZEAN SCHAUEN ZU VIELES DANN HINÜBERSCHWAPPT!
BUNTER DIE BILDER LAUFEN.
BEDRUCKTES PAPIER WEIß WIE NIE.
FILM UND TON LAUFEN ÜBER.
VERSTORBEN DIE BÜHNE, DURCH SIE!
175
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Peinlich
Es ist peinlich, sich in die Hosen zu machen Gerade dann, wenn man beim Smaltalk mit seinem
Chef über eine heißersehnte Gehaltserhöhung
disputiert. Noch peinlicher wäre es allerdings,
wenn Sie zuvor mit der netten Begleitung ihres
Chefs geflirtet hätten und ihr Blick auf Ihrem
Reißverschluß erstarrt bliebe.
Es ist peinlich, bei einer familiären
Geburtstagsparty am von Mutti und Omi liebevoll
gedeckten Mittagstisch nach den ersten drei
Happen zu furzen. Und erfahrungsgemäß werden
Zungenküsse bei jeder Form des Aufstoßens
abrupt mit einer Ohrfeige unterbrochen.
Es ist peinlich, als Redner seine Rede zu
vergessen oder als Busfahrer sein Fahrziel. Ganz
gewiß wäre es auch unendlich peinlich, wenn man
sich aus einer zugesagten Wette - man würde
ohne jedes Problem vom 10-Meter-Brett ins
Schwimmbassin springen - damit herauszureden
versucht, man hätte seine Badekappe vergessen.
Wir müssen essen um zu leben. Das ist eine
Tatsache! Ich lebe um zu essen. Dies ist
176
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ehrensache! Oder Peinlich? Ich mag die Werbung
meiner potentiellen Calgon-Nachbarin, habe aber
keinen Geschirrspüler. - Peinlich? Manchmal
denke ich, ich lebe in einer überteuerten
Dachgeschoß-wohnung. Dabei sind nur die Wände
schief. Das ist peinlich!
Peinlich sind Live-Übertragungen des
Schachsports, verlorene Heimspiele in der
Tischtennis-Bundesliga, geputzte Lackschuhe und
Ringelsöckchen. Peinlich sind die hehren
Ansprüche
einiger
Talkshows
und
ihre
Pinkelpausen. Peinlich sind Umfrageergebnisse
und ihr repräsentatives Niveau (waagerechte
Fläche auf einer „gewissen„ Höhenstufe).
Es ist peinlich mit den Fingern zu essen, aus
der Flasche zu trinken und zu kleckern - ab dem
fünften Lebensjahr versteht sich!
Wenn ein Politiker offenkundig die
Unwahrheit zum Besten hält, lügt er. Die große
Wählermasse ist betroffen und es ist ihr
peinlich, daß es ihm nicht peinlich ist. Sagt ein
Politiker ganz nebenher die Wahrheit, ist es ihm
peinlich. Die große Wählermasse ist betroffen,
weil es weniger peinlich, denn mehr eine gewisse
Art Stilbruch ist!
177
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Das Gemüse
Bekannterweise begann alles mit dem Urknall ...
dann kam Holland, es folgte die Schöpfung und
dann das Gemüse!
Seinerzeit, als der Mensch noch erfunden
werden
wollte,
war
das
Gemüse
die
intelligenteste Lebensform auf der Welt. Damals
eben.
Nach einem riesigen Knall, einem wollüstigem
Getöse und einer typischen Handbewegung
Gottes, flogen dann die ersten Mohrrüben
ungeschält vom Himmel. Ja damals im fernen
Land, waren die Mohrrüben weder extrafein noch
vorgekocht. Nein, zu jener Zeit wollte die
Mohrrübe noch etwas vom Leben haben! Später
hatte sie sich jedoch dazu entschlossen, nach
Holland auszuwandern. Wegens des Klimas
wahrscheinlich. Von dem Tage an schickten uns
ihre Enkel - bis zum heutigen Tage Grußadressen in Büchsen ...
Die Mohrrübe war ja so etwas wie der
Leithammel der Gemüse, denn die meisten
Kameraden folgten ihr unversehens ins gelobte
178
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Land. Aus den wenigen Sorten derer, die heute
noch verzweifelt an die Pforten Hanflands
pochen, hat die Schöpfung dann den Mensch
geformt. Leider hatte sie dabei vergessen, sich
zuvor ausreichend die Hände zu waschen. So
etablierten
sich
Exemplare
mit
bewundernswerter Resistenz. - Vor den Toren
Hollands gewissermaßen.
Heute finden wir sie in allen Gärten. Wer
kennt ihn nicht den Kohl? Er wird ständig
geerntet und kommt doch immer wieder. Dabei
ist er schon seit einer Weile überreif.
Dennoch, der Kohl ist nicht dumm. Er weiß
ganz genau, daß er kein Obst ist, welches an den
Bäumen hängt und herunterfallen kann. Nein, er
ist bereits am Boden und hat nur Glück, daß alle
Bauern danebentrampeln.
179
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Peter K. aus H.
Es ist angenehm, die laue Frühlingsluft auf der
Haut zu spüren. Es ist so schön, ich beneide mich
selbst, denkt Peter. Nach dem Frühstück werde
ich an den Strand gehen und bis um zehn Uhr die
Morgensonne an meiner kostbaren Haut abprallen
lassen. Im Anschluß daran ein kurzer Spaziergang
zum „Real„. Die Croissants zum zweiten
Morgenmahl sind in diesem elitären Strandlokal
unübertroffen. Und vielleicht treffe ich da die
Bärbel von gestern abend.
Es ist ein Privileg auf Las Palmas zu leben,
denkt sich Peter. Es ist nur schade, daß ich hier
keinem von meinem großen Lotto-Glück vom
vergangenen Herbst erzählen kann. Das Gros der
hier lebenden Einwanderer verdient am Tage das
Sümmchen, welches mir die Glücksspirale nach
zwanzigjährigem Kampf an der Lotto-Front
unfreiwillig auszahlen mußte. Mit Geld kann man
hier nicht prahlen. Aber wenn ich in der Heimat
anrufe
und
denen
verklickere,
welche
Temperaturen hier Mitte Februar herrschen ...
180
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Es ist neun Uhr vormittags: Peters Telefon
läutet eindringlich wie ein Wecker - an jenem
Tage ist es gewissermaßen sein Wecker!
„Wer ist da?„ fragt Peter mit noch
geschlossenen Augen und völlig verschlafen in
den Hörer.
„Es ist bereits neun Uhr! Wenn du deinen
Job behalten willst, zieh’ deinen Arsch aus dem
Bett und bewege dich in Windeseile hier her!„
„Bärb..., Bärbel?„ fragte Peter eingeschüchtert wie ein frommes Lamm.
„Was ist los mit dir? Mach’ endlich deine
Augen auf! Du bist schließlich nicht im Urlaub.„
„Komme gleich„, sagte Peter leise und legte
den Fortschritt der letzten IFA knapp neben das
Basisgerät. Peter öffnete die Augen und erblickt
einen tristen Wintermorgen mitten im Herzen
Deutschlands.
„Scheiße!„ fluchte Peter und kroch zunächst
unter die Decke und dann unter die Dusche.
Es ist nunmehr viertel nach zehn. Peter ist
auf seiner Arbeitsstelle angelangt. Er arbeitet
seit zwölf Jahren als Versicherungskaufmann bei
„Böse & Sohn„, einem Familienunternehmen in der
dritten Geschlechterfolge.
181
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Du hast Schwein, daß der Chef mit seinem
Junior heute abgejettet ist! Aber ich kann dich
nicht jeden Tag aus dem Dreck ziehen„, empfängt
ihn Bärbel herzlich.
„Ich habe lediglich verschlafen. Das
passiert der besten Hausfrau„, verteidigt sich
Peter gegenüber Bärbel, der Sekretärin des
Chefs und bis Freitag letzter Woche seine
Geliebte.
„Ich kenne keine Hausfrau, die viermal
hintereinander verschlafen hat!„ mahnt Bärbel
Peter unnachgiebig und beschissen freundlich.
Peter geht in sein Büro. Auf dem Bildschirm
seines PCs erscheint: „Bärbel schnell noch ein
Küßchen geben!!!„ Peter weiß, daß diese peinliche
Gedächtnisstütze
auch
irgendwann
einmal
aufgefrischt werden müßte.
Leider kann Peter seine Gefühle nicht so
einfach abstellen wie einen Wasserhahn. Seit
Bärbel sich von ihm getrennt hatte, schläft er in
jeder freien Minute. Nach kurzer Zeit versinkt
er immer wieder in den selben Traum: LottoGlück auf Gran Canaria. Und immer wieder lernt
er Bärbel im „Real„ kennen. Alles ist so
sorgenfrei. Bärbel hat noch keine Augenränder
und ihr Busen sitzt noch schön straff. Und er ist
182
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
noch der toughe Junge aus dem Ruderverein. So
wie damals eben, auf einer Campingtour.
Zwischen den Erinnerungen und dem grauen
Alltag liegen nunmehr fast 12 Jahre. Heute ist
Peter 42 und Bärbel nullt in drei Jahren zum
fünften Mal.
„Peter, du hast in zwanzig Minuten einen
Termin bei Herrn Leisetreter. Wenn es deine
Zeit erlaubt, stell’ mir vorher noch die
Unterlagen Feuerbach zusammen. Sein Haus ist
angeblich zum zweiten Mal abgebrannt.„
Was sechs Tage alles verändern können,
stellte Peter unter einem Anflug von Midlifecrisis fest. Bis Freitag letzter Woche hätte
Bärbel noch „Peterle„ gerufen. Auch wenn er es
in Gegenwart der anderen Mitarbeiter immer
gehaßt hat, so zitiert zu werden, vermißt er diese
feine Art von verbalem Sex im Büro. Heute ist er
nur noch „Peter„. Und das alles nur wegen Bärbels
Mutter. Nur wegen ihr haben sich die beiden ein
Haus gebaut. Und nur wegen ihr zahlt Peter jetzt
die Raten allein. Bärbels Mutter hat es nie
verwunden, daß die beiden ihr kein Enkelkind ins
Heim trugen. Seitdem hatte sie Bärbel ständig
attackiert und Peter in den Schmutz gezogen.
Irgendwann ist Peter dann der Kragen geplatzt:
183
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Jag’ deine Mutter zum Teufel und laß uns
endlich unser Leben leben!„ forderte er
schließlich. Aber Bärbel war ihrer Mutter
gegenüber ergeben wie ein Verdurstender
gegenüber einer Dachrinne. ... wäre sie jemals am
Ertrinken gewesen, und hätte ihr Mutti-Drachen
am Ufer gestanden, wäre ihr vor lauter
Ehrfurcht nicht einmal ein leises „Hilfe!„ über die
Lippen
gekrochen.
Waltraut
Böse
hätte
regungslos ihren frischrasierten Damenbart
geleckt. Sie war es, die in der Firma das Ruder
fest in der Hand hielt. Ihr Mann und ihr Junior
waren auch nur zwei Lackaffen ohne Rückrad.
Waltraut Böse war das Böse! Seit sechs
Tagen überlegt Peter ob es denn richtig war, in
den Briefkasten von Waltraut und ihrem
Chefchen zu pinkeln. Es wäre ja auch alles gut
gegangen, wenn Peter nicht sturzbetrunken
gewesen und der Sohnemann der beiden heiligen
Gestalten gerade an das Gartentor getreten
wäre ...
Aus einem Jungenstreich wurde bitterer
Ernst. Waltraut Böse stellte ihn zur Rede - nein
besser - an die Wand: „Wir wollen uns ja kein
unsoziales Verhalten gegenüber unseren unteren
Angestellten nachsagen lassen. Deinen Job
184
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
kannst du behalten. Aber Bärbel zieht wieder zu
uns!„
All dies ereignete sich vor genau sechs
Tagen. Seitdem benimmt sich Bärbel Peter
gegenüber wie die verlängerte verknöcherte
Hand von Waltraut.
„Was ist nun mit den Unterlagen zu
Feuerbachs Brandkatastrophe?„ fragte Bärbel
mit herzlos forderndem Unterton.
„Mir gehen diese Unterlagen drei Meter am
Arsch vorbei!„
„Spinnst du jetzt total?„ erkundigte sich
Bärbel nicht gerade sehr ermunternd nach
Peters Wohlbefinden.
„Bärbel, ich kann auf diesen Job hier
spielend verzichten, aber nicht auf dich. Was hat
deine Mutter was ich nicht habe?„
„Sicherheiten en Gros!„ sagte Bärbel so
trocken, als wäre Speichel in ihrem Mund
gänzlich unerforscht. Sie zuckte nicht einmal.
Man hätte denken können, daß sie in ihrem Leben
noch kein einziges Mal rot geworden war. Was
Peter in jenem Augenblick jedoch am meisten
zermürbte war, daß Bärbel während des ganzen
Gesprächs mit Vorliebe den Parkplatz vor dem
185
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Hause mit ihren Augen bewanderte und ihn
keines einzigen Blickes würdigte.
Das Fenster an dem Bärbel stand war weit
geöffnet. Peter trat langsam an sie heran, küßte
sie zärtlich auf die Wange und sprang elf
Stockwerke tiefer.
186
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
FÜR ZUPPI
MEINE AUGEN WEIT WEG, SIE DREHEN SICH IM RAUM
ESSEN KANN ICH NUR MIT WIDERWILLEN.
MUSIK UND QUALM HALTEN FEST MEINEN TRAUM ...
ICH BEGINNE ZU SCHWEBEN,
FÜR MICH, IM STILLEN.
FLIEHENDE GEDANKEN ERFAß‘ ICH NICHT.
ES RAST UND BLITZT, ES ZIEHT MICH NACH INNEN.
ICH SEH’ IN DEN SPIEGEL UND ERKENN’ MICH NICHT.
DER SCHÖNE TRAUM BEGINNT ZU SCHWINDEN.
DIE ZEIT IST HERAN, ZIEHE MICH AN,
GEHE DEN WEG UND STEIG’ IN DIE BAHN.
FAHRE DORTHIN, WO DIE HUNDE BELLEN ...
ICH WILL NICHT!
187
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
TRAUMHAFT
KÖNNTE MAN DURCH GEMÄUER SCHAUEN WÄNDE VON ANDEREN SEITEN SEHEN
OHNE RICHTIG HINZUGEHEN?
TRAUM VON FREIHEIT UND DEM SCHLEMMERMANN DIE GOLDKANTE.
WO MAN ÜBER ALLES MECKERN KANN ...
AUFGEWACHT UND DURCHGESCHAUT WANN BADEN WIR AM SELBEN STRAND?
188
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Interpunktionsregeln - Sadismus des Lebens
Pünktchen Komma Pünktchen Komma Komma
Komma Strich Komma fertig ist das Mondgesicht
Punkt Bindestrich Der Duden ist das reinste
Nagelbrett
Ausrufezeichen
Wie
kleine
Dartspfeile prasselten mir schon seit frühester
Schulzeit diverse Belehrungen der Lehrer Komma
ob korrekter Rechtschreibung Komma Grammatik
und Zeichensetzung auf meine gottverdammt
ungeschickten Pfoten Punkt Was hilft einem da
Sprachrhythmus Komma wenn man Legast
Klammer auf h Klammer zu eniker ist
Fragezeichen Und brauche ich den Infinitiv mit
doppelte Anführungszeichen unten zu doppelte
Ausführungszeichen
oben
Klammer
auf
Gänsefüßchen Klammer zu wirklich dazu Komma
um mich in einem Liebesbrief nicht vollends zu
blamieren Fragezeichen Bindestrich bzw Punkt
Gedankenstrich Daß das wohl so sein muß Komma
empfand ich nach sieben langen Wochen Komma
die ich auf eine beglückende Rückantwort auf
meinen ersten Liebesbrief warten mußte
Doppelpunkt doppelte Anführungszeichen unten
189
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Als Antwort auf dein verlottert beschmiertes
Butterbrotpapier Komma sende ich Dir eine Kopie
des selben Komma weil ich nicht annähernd so
geschmacklos bin wie du Ausrufezeichen
doppelte Ausführungszeichen oben Absatz
Ich wußte zwar Komma daß ich mich mit ihr
mit der Zunge küssen wollte Komma nicht aber
wie man Zungenkuß schreibt Punkt Ich schrieb
ihr Komma daß ich ihr gerne über das Knie
streicheln wolle usw Punkt Komma habe aber Knie
ohne doppelte Anführungszeichen unten ie
doppelte Ausführungszeichen oben Komma dafür
aber mit doppelte Anführungszeichen unten y
doppelte Ausführungszeichen oben geschrieben
Komma weil es besser aussah Punkt Ist dies nun
Pechsache oder Unvermögen Komma Dummheit
oder jugendlicher Leichtsinn Fragezeichen Ich
kenne keinen Klammer auf Und ich kenne viele
Ausrufezeichen Klammer zu Komma der bei den
Worten
vollhydraulische
Kartoffelvollerntemaschine
Komma
vierfach
versaideter
Zwirnsfaden Komma Whisky oder Whiskey
Komma
Psychotherapeutik
Komma
Pfarradministrator Komma Monotheismus Komma
Meteorologie
Komma
Kreppapier
Komma
Intellektualismus oder Chrysantheme nicht ins
190
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Schwitzen geraten würde Punkt Aber die
Enttäuschung meiner ersten Liebe sitzt so tief
Komma daß ich es fortan sehr genau nahm
Auslassungspunkt
Auslassungspunkt
Auslassungspunkt Absatz
Tun Ihnen jetzt die Augen sehr weh
Fragezeichen
191
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Wiedersehen mit Blondi
Ich saß auf einer Parkbank, eingefangen von
unzähligen Mücken und ähnlichen Untieren deren
Namen mir ebenso ungeläufig sind, wie ihr
biologischer Lebensanspruch. Ich haschte mit
meinen Händen nach ihren flinken Körpern, um sie
sorgsam zu zerquetschen. Doch meine Finger
waren viel zu müde, um einem Insekt habhaft
werden zu können. Während dieser sinnlosen
Minuten der Selbstverteidigung ob möglicher
Beulen auf meiner zarten Haut, entging mir
jedwede Attraktion für mein Augenlicht. Ich
jagte und hüpfte, fluchte und schrie ... Ich wurde
verarscht und besiegt.
Zerkratzt und mit
zerzaustem Haar war mir dennoch nach
Intimkommunikation!
Eine Politesse kreuzte meinen Blick. Ihr
strenges Exterieur zog mich magisch an. War ich
krank?
Es war mir gleich. Unverdrossen ging ich auf
sie zu und sprach sie an. Ob sie denn nicht einmal
mit mir um die Wette lachen möchte, fragte ich
sie. Aber sie blieb geradezu leblos. Ob sie es
192
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
verantworten kann, daß ich vor ihren Augen
vereinsame, erkundigte ich mich weiter. Wieder
keine Reaktion. Ob ich erst laut werden müsse
oder sie vielleicht übers Knie legen darf ... Sie riß
mich ins Gebüsch, strauchelte dabei an „meiner„
Parkbank und zog mich in den Dreck. „Sei der
Diener meines Herzens!„ befahl sie mir. „Sei wild
und böse zu mir!„ forderte sie energisch und
machte mich verlegen. „Nimm mich und rede
nicht so viel!„ - Ich kam seit zwei Minuten nicht
mehr zu Wort und rang lediglich nach Luft. War
ich jetzt die Mücke und sie meine Hand? War sie
als Hand einfach mal schneller als die meinen?
Huiii!
„Na Andreas, kennst du mich noch?„ fragte
mich meine uniformierte Wildkatze. „Ich bin’s,
dein Vitaminbonbon aus der Jugendzeit ... Ulrike
Blond ... Wie geht’s dir?„
„Ich bin momentan ein wenig überwältigt ...
Kannst du bitte deinen Notizblock aus meinem
Schritt nehmen, er kneift etwas ungünstig ...
Blondi?„
„Früher hast du nicht solange dazu
gebraucht, um mich wahrzunehmen!„ tadelte sie
mich. „Dabei haben wir uns doch geschworen, in
Freundschaft auseinander zu gehen. Erst machst
193
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
du mich unverhohlen an, dann fängst du an zu
zittern, und zu guter Letzt mußte ich mich fast
noch vorstellen. Was ist los mit dir? Bist du
wirklich schon so alt?„
„Ich bin einsam.„
„Wie?!„
„Solo, verwaist, mutterseelenallein!„
„Du?„
„Jahaaa! Ich habe mich wie ein Arsch
verhalten und die Quittung dafür empfangen.
Jedenfalls
trennen
mich
und
Christiane
vorübergehend Welten. Außerdem sind wir uns
seit bequem vier Jahren nicht mehr begegnet.„
„Und ich hatte schon gehofft, du würdest
mich wiedererkannt haben.„
„Ich fand dich eben sehr reizvoll, so in dem
diktatorischen Outfit und deinen blonden
Strähnen ...„
„Meine Strähnen sind gerade einmal fünf
Zentimeter lang. Bist du kurzsichtig oder neigst
du mittlerweile zu Übertreibungen? - Hallo, ich
rede mit dir!„
„Du hast den Notizblock noch immer da
unten. Bitte!„ Mein Unterschenkel hatte schon
eine tiefe Kerbe. Es war schön, als der Schmerz
194
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
nachließ und mein Lebenssaft wieder in die
Glieder gelang.
„Ich dachte du flirtest mit mir. Ich glaubte
tatsächlich, daß du mir aufgelauert hättest und
dich darauf freuen würdest, mich in die Arme zu
nehmen.„
„Ich hebe deinen Namen noch immer in den
Himmel.„
„So?„
„Ich finde es schade, daß wir uns so lange nicht
mehr gesehen haben. Du weißt ja wie das ist: In
guten Zeiten liegt das kleine Telefonbuch nebst
Namen und Adressen am anderen Ende deiner
Privatspähre. In schlechten Zeiten sehnst du
dich nach dem Klingeln deines Telefons und nach
dem übersättigten Stöhnen deines Anrufbeantworters. Dir ist nach Ablenkung und
Verständnis,
nach
Lachen
und
Streicheleinheiten.„
„Die kann ich dir aber nicht mehr geben. Ich
stehe zu meinem Brautkleid.„
„Ist ja auch o.k., ich habe dich trotzdem
lieb!„
„Ich dich auch. Mich hat schon lange
niemand mehr so frech von der Seite
angequatscht. Tat richtig gut.„
195
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Mag
sein,
daß
Ihnen
derartiger
Gefühlsschmalz zuwider ist. Aber das Leben ist
wie es ist. - Mal vor Glück erstrahlt, mal schwarz
wie die Fingernägel eines Schornsteinfegers. Es
ist herausfordernd und nie Wunschkonzert ...
Eigentlich auch schade.
196
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Die wahre Utopie
Heute morgen bin ich um zehn Uhr auferstanden,
ging in aller Eile duschen, um nach einem
30minütigen
Frühstück
noch
vor
Sonnenuntergang
an
meinem
Arbeitsplatz
vorstellig zu werden.
Die Stechuhr zeigte viertel nach zwölf, viel
zu spät eigentlich. Mein Chef machte gerade
seinen ersten Rundgang und begrüßte mich
kürzlich: „Na junger Mann, die Gleitzeit wieder
voll ausgeschöpft, wie?! Da hab’ ich ja noch Glück,
daß ich sie nicht in einem Schichtbetrieb
beschäftige. Ich sehe sie dann um Drei.
Angenehmen Tag auch.„
„Na klar, und danke, und Glückwunsch Herr
Zeitlos!„
Ab und an macht es sich schon bezahlt, den
Geburtstag seines Chef nicht zu vergessen. Viel
aufschlußreicher war jedoch mein Wissen um sein
Geschenk.
Der
arme
Kerl
erhält
zum
Kaffeeklatsch die erste Armbanduhr seines
Lebens.
197
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der gestiefelte Vater
Auf irgendeinem Schulhof, in irgendeiner Schule,
an irgendeinem lauschigen Plätzchen, welches
sich innerhalb der nächsten vier Jahre mit
tödlichlicher
Sicherheit
zur
Raucherecke
entwickeln wird ...
„Felix, was macht dein Papa denn so beruflich?„
fragt ihn Jan.
„Der ist Busfahrer und fährt den ganzen
Tag Bus.„
„Ohne zu bezahlen?„ hakt Jan nach.
„Logo, der darf das.„
„Und dein Papa, Sascha. Was macht der?„
will Jan weiter wissen.
„Papa baut Tische und Stühle und so. Zum
Geburtstag von Mama hat er ihr ein kleines
Kästchen für ihre Ringe und Ketten gebastelt.
Ich habe auch schon ein Regal konstruiert!„
„Felix, können wir mal bei deinem Papa
mitfahren?„ bohrt Jan weiter nach.
„Aber klar doch. Wenn du willst den ganzen
Tag.„
„In den Ferien?„
198
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Immer!„
Jan seine Augen leuchten hell auf. In
Gedanken steuert er den großen Bus von Felix’
Vater durch die Stadt. An jeder Haltestelle
schauen ihn die Fahrgäste fragend an. Und Jan
entgegnet immer wieder: „Mein Papa ist
Busfahrer. Ich darf das!„
Jan seine Brust ist vor Stolz regelrecht
angeschwollen.
Kein
Wunder,
mit
einem
Busfahrer als Papa. Aber Tischler wäre auch o.k.
Sascha unterbricht die Träumereien von
Jan: „Und dein Papa? Was macht der denn so?„
Jan fängt plötzlich an zu weinen. Aber
Sascha konnte natürlich nicht wissen, daß Jan
sein Vater vor sechs Monaten erschossen worden
ist - als Soldat bei der Bundeswehr, in
irgendeinem Krieg, in irgendeinem Land, in
irgendeiner Stadt, welche sich innerhalb der
nächsten vier Jahre mit tödlicher Sicherheit zum
Mekka der Demokratie entwickeln wird.
199
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
EMPFEHLUNG
FÜR EINEN
RENTENANTRAG!
DA GIBT’S EINEN HERRN, GANZ UNSCHEINBAR,
ER NÄHRT SICH VOM VOLLBRACHTEN.
ER VERGIßT DARÜBER, DAß DURCH SEINE TATEN,
IHN NUR ZU VIELE VERACHTEN.
LEID, DIES IST NUR EIN KLEINER SCHREI,
AUS DEM INFERNO, DEM UNBEWACHTEN.
SEIN NAME IST UNBENANNT UND ANERKANNT!
EIN DUNKLES SPIEL AM TAGESLICHT ...
REGELN FLEXIBEL UND TROTZDEM PFLICHT.
200
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Vorurteile
Lügen haben kurze Beine, Biertrinken macht dick
und Sport hält gesund ... Dennoch sind
Spitzensportler bis hin zu ihren geschmacklosen
Fingernägeln
überversichert,
Alkoholleichen
nicht selten spindeldürr und Eheversprechen
mitunter langbeinig.
Mohnkuchen macht genauso wenig doof, wie die
Goldkante satt. Aber Gardinen gibt’s eh nicht
beim Bäcker!
201
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Wem ich schon immer einmal die Meinung
sagen wollte und dann zu früh ging, zu spät
kam, gerade den Mund voll hatte ...
Dem König von Deutschland und seiner FußballNationalmannschaft ... meinem Chef, der Queen
und ihrem Prinzen ... dem Papst und seiner
Praktikantin, allen Toten Hosen und Chorknaben,
die nicht aus Leipzig stammen ... den Herstellern
von Preisetiketten, dem Uhu und seiner alten
Eule ... allen, die bei MC Donalds arbeiten und nie
mitgegessen haben sowie allen Frauen mit
Pfennigabsätzen, dem Sandmann und seinem
Osterhasi ...
Wichtig wäre mir ein Gespräch mit meinem
Vermieter und all denen die dafür Sorge tragen,
daß die preiswerten Artikel in diversen
Einkaufsmärkten grundsätzlich nur in Bücktiefe
aufzufinden sind. Unumgänglich ist für mich ein
eingehender Dialog mit der Telekom! Ihr habe ich
zu verdanken, daß ich über Gebühr lange nicht zu
erreichen war. - Weder für HollywoodRegisseure, noch für meine Oma. Nie konnte ich
cool meine Nummer hinterlassen, nur meine
202
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Visitenkarten. Diese hatten dann derart große
Lücken, so daß man sie nicht selten mit
Malbüchern Marke Kleinkind verwechselt hat. Ich
war nie inkognito!
Mir liegt eine mit Lachsalven gespickte
Plauderei mit allen Menschen am Herzen, die zu
früh gingen, zu spät kamen oder gerade den
Mund voll hatten. Einfach nur so ...
203
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
LEGALE WEGBEGLEITER
ES IST WOCHENENDE, ES IST NICHT SO SCHÖN,
REGEN UND SO ...
ICH GEBE EIN WINK DEM BUNTEN BILD UND SUCH’
IRGENDWO,
EIN PROGRAMM WAS MICH MORGEN SCHWÄRMEN LÄßT BUNTE BILDER FORMEL-FIX,
SIEG FÜR DAS POSTER ÜBER MEINEM BETT!
ZWEI KAMIKAZE IM VORWÄRTSDRANG,
STEFAN UND BLITZ, STEFAN GEWANN.
ZWEIHUNDERTZEHN WAR SEIN LIMIT,
IN DER TODESKURVE VON GOOD-YEAR-TRAUM ...
REIFEN, FUNKEN UND FEUERWEHRSCHAUM!
WIE EIN COMPUTER, DER STEUERT UND GAS GIBT,
KAM ER MIR VOR, DIESER CASCADEUR DER STRAßE.
GLÜCKSSPIELE HABEN WENIG SIEGER!
STEFAN BELOW, SEPTEMBER ’85 †
204
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Warum immer ich?
Ich bin in Eile! Mir verbleiben wieder einmal nur
noch ganze zwanzig Minuten, um einigermaßen
pünktlich Herrn Zeitlos die Hand zu schütteln.
Ich wollte eigentlich noch meinen Kaffee
austrinken, habe wieder nichts gegessen, meine
Haare sind noch naß und außerdem ... Seit vier
Minuten ist mein Bus überfällig. Genau genommen
sind es schon vierzehn Minuten, denn mein Viervor-halb ist wieder einmal ausgefallen. Zu meinem
Glück fehlt mir nur noch ein kräftiger
Regenschauer. - Meine Morgenmuffellaune wäre
damit endgültig perfekt.
Ich hasse den Öffentlichen Personen- und
Nahverkehr! Dieser ist derart unzuverlässig, so
daß man sich schon wieder auf ihn verlassen kann.
Meine Viertelstunde Weg zur Arbeit wiegt sich
allmählich mit einer Stunde auf. Ich werd’ noch
mal irre!
Mittlerweile stehe ich nicht mehr alleine an
der Haltestelle. Lauthals bekunden meine
Leidensgenossen ihr Unwissen über die ständigen
Komplettausfälle
der
Zuverlässigkeit
und
205
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Fahrgastnähe unserer geliebten Brummifahrer
und fragen sich unaufhörlich ohne jeden Erfolg,
weshalb das alles ausgerechnet ihnen passiert
und vor allem warum. Ich dagegen weiß, daß ich es
nicht weiß und die entsprechenden Umstände
auch nie verstehen werde. Aus diesem Grunde
denke ich, daß ich ganz schön weise bin und fühle
mich den anderen gegenüber überlegen.
Dennoch bin ich nervös. Ich sinniere hier
über meinen Intellekt und müßte in sieben
Minuten Herrn Zeitlos begrüßen. Aus Trotz
stecke ich mir eine Zigarette an. - Ich bin
Raucher aus Überzeugung. Nichtraucher sterben
schließlich gesund! Die These, daß das Rauchen
von den Indianern her abstammt und die
augenscheinlich ausgestorben worden sind, lasse
ich nicht gelten. Vielmehr versuche ich mich zu
beruhigen. Denn in spätestens zwei Stunden
werde ich wohl meinen Job angetreten haben.
Auge in Auge mit meinem Schaffen und Tun,
plagt mich dann wieder diese Gewissensscheiße.
Ich glaube, ich rauche gleich noch eine.
206
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Zahlt sich Armut aus?
Vergessen Sie einmal Ihren ersten Gedanken mit
der Sozialhilfe und so! Hören wir lieber Atze zu.
Atze ist vierunddreißig Jahre alt, wohnt
irgendwo in Berlin, ist zum zweiten Mal
verheiratet und zahlt für eine Tochter aus
erster Ehe monatlich nicht aus Überzeugung,
sondern Kraft Gesetz. Zur Zeit verbringt er mit
Ilse, seiner derzeitigen Liebesschnute, einen
Urlaub auf Bali. Den hat er vor vier Monaten in
einem Preisausschreiben in einer Berliner
Tageszeitung
gewonnen.
„Drei
Wochen
Vollpengsion und fünfdausend Maak Taschenjeld.
Allet umsonst!„ antwortet Atze jedem der ihn
fragt, woher er denn mit seiner Ilse käme, wie
sie denn heißen würden und ob er eben mal Feuer
hat.
Auf einem von hunderttausend Trödelmärkten in einer von Touris übersäten
Fußgängerpassage: „Ditt watt die hier einem am
Tach aus die Tasche leiern, möchte ick ma im
Monat vadien! Ilse, watt machen eijentlich die
armen Leute hija?„
207
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Atze hatte gerade für umgerechnet
fünfundzwanzig Mark zwei tadellose RollexImitate und anderthalb Kilo Bananen erstanden.
„Ick globe, ditt muß man hija allet viel mehr
easy taken, Atzeken. Die stehen den janzen Tach
inne Sonne und machen nebenbei eben noch ‘n
bißchen Kies. Ick sage dir als deine Ilse,
Atzeken, hija würd ick mir och ‘n janzen Tach
vajünstjen können.„
Innerhalb von drei Stunden grasen die
beiden fünfundsiebzig Marktbuden ab, geben
zweihundertneun Mark aus und haben sich für die
nächsten sechs Jahreszeiten voll eingekleidet.
Jeder, der ihnen begegnet war mußte annehmen,
die beiden befinden sich nicht im Urlaub, sondern
auf der Flucht.
„Zum Glück jeht et den Einheimischen hija
bessa als uns, sonst hätt ick een richtich
schlechtet Jewissen!„ bemerkte Atze zu seinem
Ilseken beim bezahlen der Rechnung fürs DreiGänge-Menü zum Mittagstisch. „Die zwölf Mark
ham wa grade noch so inne Tasche. Hier
Dreizehn, stimmt so.„
Je dritter das Gastland, desto erster die
Klasse ...
208
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Tränen im Regen
Mausiiii und ich sind nunmehr trotz einiger Höhen
und Tiefen zwei Jahre vom Glück begünstigt
vereint. Nach meiner Rückkehr vom Tümpel der
Nordlichter erzählte ich ihr von Blondii. Ich
bekam kräftig eine geknallt. Mausiiii sprach vier
Wochen kein überflüssiges Wort mehr mit mir,
und trotzdem wohnten wir gemeinsam in zwei
Wohnungen. Langsam wurde mir bewußt, wie
dumm ich gewesen bin. Sie ließ mich an der langen
Leine zappeln und genoß ihre Position sichtlich. Es
sei ihr gegönnt. Doch allmählich glätteten sich
die Wogen ...
Es war an einem Mittwoch, Herr zeitlos war
mir wieder gewogen, als mich Christiane
telefonisch aus einem Aktenberg herauskatapultierte: „Hallo Schnuckel, ich bin‘s,
Mausiiii.„
„Ciao meine Perle. Alles schön?„ erkundigte
ich mich nach ihrer Frische.
„Na klar. Was hältst du davon, wenn ich dich
heute abhole und zünftig zum Abendessen
einlade? Hast du Lust?„
209
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Immer! Hunger habe ich ja von Hause aus.
Wann und wo?„
„Um sieben Uhr bei dir. Wir schlendern ins
‘Viva la Chaos’. O.k.?„
„Jaha.„
„Bis denn denn, Schnuckel.„
„Küßchen.„
Christiane holte mich fahrplanmäßig ab und
führte mich ins Chaos. Wir hatten den Laden
keine fünf Meter betreten, als ihr zwei smarte
Herren um den Hals fielen: „Na Puppe, wieder
Zeit für uns edlen Geschöpfe?„
Mausiiii war keineswegs überrascht. Sie war
eigentlich eher erfreut über diese Art der
direkten Anfasse. Bevor ich mich wieder richtig
sammeln konnte, saß Mausiiii schon inmitten einer
illustren Runde von vier Lackaffen. Zwei
fummelten wie wild an ihr herum, einer leckte ihr
ständig die rechte Hand ab und wenn ich nicht
schon betriebsblind war schickte sich der vierte
Spinner gerade dazu an, eine Geige in die Hand zu
nehmen.
Mir zuckten Sequenzen diverser schlechter
Spielfilme durchs Hirn. Meine Augen funkelten
voller Wut, aber meine Arme und Beine waren
bleischwer. Ich muß träumen, dachte ich. Ich
210
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
werde eben schulbuchmäßig vorgeführt. Ganz
gewiß! Ich setzte mich an unseren bestellten
Tisch und verlangte eine Flasche Rotwein. Ich
schenkte beiden Gläsern die Chance auf die
Bekanntschaft mit einer Spülmaschine und
wartete ab.
Ich wartete eine Stunde. Die Flasche
Rotwein war leer, ich leicht betäubt und
Christiane unerreichbar. Mit wackeligem Schritt
stolzierte ich zu ihr herüber - zum dritten Mal und bat sie in aller Höflichkeit, mich nach Hause
zu begleiten. Doch Mausiiii war wie abwesend. Sie
reagierte kein Stück. Eher im Wegsehen sagte
sie zu mir: „Du kannst abdampfen. Wir sind
fertig miteinander. Kein Typ ist es wert, sich von
ihm zweimal hintereinander verarschen zu lassen.
Hau bloß ab du Drecksau!„
Ich wollte fluchen, schreien, trampeln. Ich
hätte sie am liebsten übers Knie gelegt und die
vier Kerle gleich hinterher. Aber ich konnte es
nicht. Sie hatte recht gehabt, und das tat mir am
meisten weh ...
Ich verließ das Chaos ohne mich noch einmal
umzudrehen. Es regnete wie aus Kannen. Mein
Gesicht war nicht nur vom Regen naß ...
211
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
... und aus dem Nichts sprach eine Stimme
zu mir und sagte: „Lächle und sei froh. Es könnte
schlimmer kommen!„ Und ich lächelte und war
froh. Und es kam schlimmer ...!
Fleischer-Achim stand grinsend auf der
anderen Straßenseite und lallte fast schreiend:
„Es mußte ja einmal soweit kommen, Andy-Baby.
Ich habe das ja auch irgendwie mitgemacht, mit
Christiane meine ich. Wenn du Hilfe benötigst ...
Hier bin ich!„
Niemand - wirklich niemand - darf mich
Andy-Baby nennen! Ausgenommen Personen, die
mir soeben das Leben gerettet haben oder jene,
die vorzugsweise mit kurzen, schwarzen,
struwweligen Haaren durchs Leben stolpern.
Ich hätte in Flammen stehen können, nach
Achims Mundspucke hätte ich gewiß nicht
geschrien!
Dieser
versabberte
Fettwanst,
hochgekrochen aus der Gosse, will mir, Andreas,
wohl auch noch erklären, wie ich mit Christiane
meine Beziehungen unterhalten darf.
Ich sah ihn verachtend an und ging zu
Schenki. Pitschnaß traf ich an seinem
Bockwurstcontainer ein: „Du siehst aus, Andreas,
als hätten dich fünfhundert Steuerfahnder drei
Tage lang durchs Land verfolgt und nicht
212
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
eingefangen. - Glücklich und doch irgendwie
Scheiße. Hat Christiane mit dir Schluß gemacht
oder bist du pleite?„ sagte, fragte und tröstete
mich mein Schenki in drei Sätzen zeitgleich.
„Ach Atze, wenn du wüßtest ...
ICH?
ICH WÜRDE MANCHES MAL GERN VON MIR BEHAUPTEN
ICH WÄRE DER,
VON DEM ANDERE GLAUBEN, IHN IN MIR ZU SEHEN.
DAGEGEN ZWITSCHERN GRAUE UND GRÜNE STARE
SOWIE ANGESPANNTE MUSKELN BEIM
BAUCHEINZIEHEN.
213
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
KASSENKAMPF
MAN NENNT SIE BOCKWURST,
DIE JEDER KENNT UND HABEN KANN ...
DIE IN ECKEN WEGFLIEGT,
OBWOHL MAN SIE DOCH ESSEN KANN.
SOHLEN TRAGEN SIE VON FLECK ZU FLECK HUNDE SCHNUPPERN KURZ UND DREHEN SICH WEG.
Geblieben ...
Umsteigen, Einsteigen, Hinhören, Wegrutschen ...
Ehe man sich versieht hat man sich verirrt.
Hinter rotem Klebeband blitzt verwaist HeinzHoffmann-Straße. Getuschel ... Kurz vor dem
Abfahrtssignal treffen sich auf einmal zwei
Bundeswehroffiziere. Nur die Aktentaschen mit
dem alten Dekor, verraten ihre Wohnnähe. Keiner, wirklich keiner, bewältigt so schnell wie
wir!
214
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Atze Schenk
Atze ist einer meiner vielen zweitbesten
Kumpels. In Sachen guter Freundschaft bin ich
glücklicherweise überaus verwöhnt. Daher gibt es
in meinem Leben keine besten Freunde. Atze
stand immer noch unter Schock. Ich auch!
„Andreas, wie ist dir das mit Christiane
denn bloß wieder gelungen?„ fragte mich Atze
völlig zurecht.
„Weißt du, mein Bester, wahrscheinlich
steckt irgendein Virus in mir. Vielleicht sollte ich
mich mal um einen Pauschaljob beim Gyn
bewerben. Möglicherweise werde ich dort
geheilt.„
„Schnapp dir meinetwegen eine mit drei
Kindern, eine mit Haaren auf den Zähnen oder so
‘ne arme sächsische Industrieschnecke, aber
erzähl mir nicht so’n Scheiß! Pauschal beim Gyn.
Nee du, also wirklich!„
„Schlafen kann ich noch genug wenn ich tot
bin. Warum um alles auf dieser Welt, sollte ich
mich mit ‘ner Beziehung stressen?„ fragte ich
Atze Hilfe suchend.
215
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Versuche es doch mal mit Enthaltsamkeit ...
mit Ehrlichkeit und so. Die Frauen stehen auf so’n
Zeug.„
„Ja, ja„, begann ich belehrend, „erst fragen
sich dich ganz höflich, ob dir nun die obere oder
die untere Hälfte am Brötchen lieber sei, und
dann ... Ach hör’ doch auf!„
„Bevor du dich ständig nach dem
Wohlbefinden ihrer Mu erkundigst, könntest du
es auch mal damit versuchen, Christiane
platonisch zu lieben. Frauen haben herzlich wenig
Verständnis dafür, wenn du ihnen viermal im Jahr
als großes Sorry Stiefmütterchen schenkst, ohne
auch nur einmal spontan mit dem Herzen reagiert
zu haben!„
Atze wurde mir unheimlich. War er in
Wahrheit eine Frau? ... irgendein geplagtes
Geschöpf mit Kittelschürze? ... nur etwas
kugeliger mit ‘ner Grillzange in der Hand? „Atze!„
„Ja Andreas.„
„Du ... äh ... bist doch Atze?„
„Welche Art von Drogen nimmst du, Andreas?
Vielleicht solltest du dir mal ‘n paar Tage Urlaub
gönnen. Deinem Herrn Zeitlos käme das
möglicherweise auch gelegen. Alles klar mit dir?„
216
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
„Ich mache mich lieber auf die Socken. Ist
schon zu spät für mich. Nichts für ungut! Ciao
Atze!„
„Ja, ciao usw.„
„SPRUCH
DER
WOCHE„
LIEBER KONDOME VON FRIEDRICH HUNDERTWASSER,
ALS RUSSISCHER SQUARE-DANCE!
217
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ode an eine Betonwüste
Ich habe es schon lange aufgegeben, alle
Umleitungen meiner Heimatstadt zu zählen. Und
bei ihren Baustellen täte ich mich gewiß auch
schwer. Aber sie haben etwas ... an sich ...
gekostet!
In südlichen Gefilden legen sich die
Touristen unter eine Palme, wenn sie das
Bedürfnis nach Schatten verspüren. In Berlin
spenden ihnen die Kräne Schatten ... in ZickZack-Form. - Ich kenne keine Pflanze, die dazu
imstande wäre!
Süßholzraspeln ist in etwa dasselbe, wie
Rhabargel
schnitzen
(Kreuzung
zwischen
Rhabarber und Spargel). Fragen Sie nie einen
Berliner Autofahrer im Ampelstau nach seiner
Meinung über den Regierungsumzug! Die
Konsistenz seines vor Entrüstung nach Ihnen
ausgespuckten Kaugummis ist irgendwie holzig
und sie werden sauer.
Würdenträger haben in aller Regel bessere
Noten als Maßanzüge. Doch nur weil sie mit
aufgehaltenen Händen zur Welt gekommen sind,
218
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
wird man ihnen in Berlin wohl kaum Brot und Salz
reichen. Und mit Durchschnitts-Inch-Größe
42/28, mutet eine Outfit-Politur eh unmöglich
an!
Anstelle
von
Blattlaub,
wehen
dem
Anrheiner hier im Herbst Transparente und
Bierdosen um die Ohren. Gelegentlich soll
derartiges auch schon Anfang Mai vorgekommen
sein ... So wird der Zugereiste sich alsbald
zurecht fragen: Was ist das hier bloß für ein
Klima? Wird es hier denn nie richtig Sommer?
Tja, liebe Freunde des trockenen Satzbaus,
diese Frage blieb selbst für Rudi Carrell seit
hundert Jahren unbeantwortet! Und dieser hat
sie wirklich äußerst hinreißend gestellt ...
Kann
ein
solches
Chaos
überhaupt
begeistern? Sind die Berliner nun alle krank, oder
nur zu faul umzuziehen? Wiegt der Mangel einer
Sperrstunde, die knapp 1000 km Entfernung von
Mailand wieder auf? ... muß er es überhaupt?
Uni-Zöglingen wird schon im ersten
Semester das Risiko von Vereinsamung durch
Bildung in die linke Gehirnhälfte gehämmert. In
Berlin kann man auch ohne Matura ganz locker
vereinsamen. Diese Bildungsstufe ist hierfür
entbehrlich! Man kann in dieser Metropole
219
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ebenso schnell unter der Brücke landen, wie in
London, New York oder Salzgitter. - Das Leben
ist an jedem Ort dieser Welt ein Glücksspiel,
welches die wenigsten Humanuiden beherrschen
und sich deshalb tagtäglich aufs Neue die Birne
einrennen. Sie prostituieren sich gegenüber ihrer
Chefetage oder ihrem Hauswart - ihrer
Kreditkarte oder ihrer Stammkneipe - ihrem
Klöppelkurs oder dem Trottoire.
Fußball ist, wenn 22 Mann einem Ball
hinterherlaufen
und
am
Ende
gewinnt
Deutschland. (Gary Lineker) - Berlin ist, wenn 3,6
Millionen Spree-Athener zum Feierabend auf
ihren Quadratmeter Privatsphäre pochen und
dann latscht jemand unaufgefordert einfach
mitten hindurch. (Tatsache!)
Berlin ist eng und dreckig, miefig und glatt.
... mit seinen 23 Citys eher beschaulich und
provinziell, denn weltstädtisch und umwerfend.
Berlin ist kalt und windig - sein Klima wird mehr
von
Hauswänden
beeinflußt,
als
von
meteorologischen Triumphzügen. Berlin sagt
„Hallo!„ im Vorbeigehen. Verweilen kostet nur
unnötig Zeit, und die hat man hier nicht! Berlin
bräuchte 30 Stunden täglich - ohne Schlaf!
220
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Aber dies entspricht nur der halben
Wahrheit. Dieser Moloch begeistert nicht nur
mit Beton und Leuchtwerbung, mit Hektik und
Blinklichtern. Berlins Facetten sind ungezählt und
gebären schneller als eine Eintagsfliege! Berlin
ist Bauernhof neben Wölkchenkratzer, grüne
Lunge und Schadstoffausstoß. Es berauscht mit
seinem Lichtermeer und seiner frechen
Schnauze, mit seinen Underground und dem, was
wir Kultur nennen, mit den lautesten Sirenen
Mitteleuropas und den meisten Eckkneipen
östlich von Warschau. Dieses Etwas hat die
besten Currywürste und die jämmerlichsten
Graffitis neben Köln und Buenos Aires, die
schönsten Denkmäler und die betroffensten
Blicke ... Berlin kann gefällig winken und cool
abweisen, Tränen vergießen und höhnisch Lachen,
aufstehen und nachdenken, einladen und
abservieren ... Dir freundschaftlich auf die
Schulter hauen oder kräftig in den Arsch treten!
Berlin ist herzzerreißend und versteinert,
lebensfroh, mutig und phasenweise Glückskind. Es
verschmilzt schneller ineinander als miteinander
und ist dennoch Vorzeigeonkel. Diese meine
Stadt hat Puls und atmet, schwitzt, und versucht
sich zu putzen, nimmt auf und spuckt aus, hustet
221
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
und heilt, tobt und besänftigt, lallt und lehrt,
musiziert und stottert, macht Mut und will
geliebt werden und wird geliebt ... von mir!
222
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der kleine Duft
Es begab sich vor langer Zeit, an einem fernen
Ort, irgendwo am Ende der Welt ... Nein, das ist
kompletter Unsinn! Es war gestern, ganz in der
Nähe und für jedermann ersichtlich.
Zur Vorgeschichte: Würden die Menschen
mehr Phantasie besitzen, hätten sie ihn schon
lange entdeckt - den Himmel der Düfte. Wenn
wir uns ganz viel Mühe geben, uns die Zeit und
die Ruhe gönnen, ist er für jeden von uns
auszumachen. Er versteckt sich hinter den
ersten Wolkenschichten, kurz vor dem Reich der
Bewegung und dem der Klänge, ist unmittelbarer
Nachbar der Farben und gibt sich alltäglich die
Hand mit dem Imperium der Streicheleinheiten.
Er ist ganz in unserer Nähe und dennoch für die
meisten von uns ein Leben lang unerreicht. - Das
ist schade!
Der Himmel der Düfte entspricht nicht
unseren Vorstellungen von Gotteshaus und
Paradies. Er hat weder etwas mit einem unserer
unzähligen Schöpfer gemein, noch erfüllt er ein
anderes Vorurteil von Glauben. Er ist ganz und
223
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
gar nicht Nirwana! Der Himmel der Düfte ist eine
Welt wie die unsere, nur etwas kleiner und
liebevoller.
Schon seit Jahrtausenden berichten die
Düfte ihren Kleinen vom Irdischen Jammertal
der Menschen. Sie lehren sie achtsam zu sein und
sich zu schützen, vor den zahlreichen Attacken
des
chemischen
Miteinander
und
seiner
Verfechter. Sie haben berechtigte Angst vor
feuchtem
Niesel
aus
handlichen
Hochdruckbehältern, diversen Tüpferchen und
Salben, Polituren und Cremes. Viele von ihnen
wurden von monströsen Klimaanlagen weggesaugt
oder
von
nimmersatten
Ausgüssen
samt
kostbarem Naß gierig verschluckt. Sie wurden
einfach abgerubbelt, hinfort gejagt und
verbannt. Stetig feilen sie an ihrer Resistenz
gegenüber Waschmitteln und Aufweichern und
Laugen. Tagtäglich sehen sie sich neuen
Herausforderungen
ausgeliefert.
Tagtäglich
verlieren sie viele ihrer Freunde. - Tagtäglich
lernen sie hinzu und teilen sich am Abend ihren
Freunden im Himmel der Düfte mit.
Es war an einem Oktobermorgen, als sich
der kleine Duft zum Fenster hinauslehnte. Er
betrachtete das Schauspiel der Wolken ...
224
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
reichte dem Wind seine zierliche Hand und
setzte sich auf eine seiner Böen.
Der Wind war der beste Freund des kleines
Duftes. Jeden Tag wehte er zu ihm. Jeden Tag
trug der Wind etwas in seinen Wirbeln an seine
Pforte. Jeden Tag überraschte er den kleinen
Duft mit der Vielfalt des Lebens ...
An diesem Morgen war der Wind in Eile. Er
blies über viele Wälder und Wiesen, fegte das
Laub durch die Straßen der Städte doch ließ es
nicht tänzeln. Der Wind hatte an diesem Tag
keine Zeit zum Verweilen.
„Was ist los mit dir, mein Wind?„ fragte der
kleine Duft.
„Ach weiß du, mein kleiner Freund, ich muß
heute Nacht das Land verlassen. Der Sturm hat
mir aufgetragen überall noch einmal schnell
vorbeizusehen, und dann fix zu verschwinden.„
„Und„, fragte der kleine Duft weiter, „bist
du überall angelangt? Hast du dich von allen
Wäldern und Wiesen, den Städten ... den vielen
Tieren und Menschen ... Hast du dich von allen
verabschiedet?„
„Ja!„ erwiderte der Wind mit brummigen
Pfiff. Scheinbar war er sehr bedrückt, ob der
Zeit, die für ihn gekommen war.
225
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Der kleine Duft überlegte. Er konnte seinen
Freund nicht einfach so weiterziehen lassen. Er
hing an seinem mächtigen Gefährten. Wer sollte
ihm in der Zukunft beschützen? Wer wird ihn
weiter lehren?
Der Wind bemerkte das betrübte Gesicht
des kleinen Dufts. Liebevoll sagte er: „Ich müßte
mich noch bei den Wolken verabschieden.
Möchtest du mich begleiten?„
Dem kleinen Duft schossen vor lauter
Freude Tränen in die Augen. Nun bleibt der Wind
ihm doch noch ein wenig zur Seite. Er umarmte
seinen scheidenden Kumpanen ganz fest und rief:
„Ja lieber Wind, laß uns gemeinsam die Wolken
besuchen!„
Der kleine Duft hat schon viel von den
großen Düften gehört. Jeden Abend, wenn die
großen Düfte wieder nach Hause gerochen
kommen, erzählen sie ihren Familien von den
Ereignissen in der Welt der Menschen. Der kleine
Duft war allerdings noch zu jung, um bei diesen
Gesprächen dabei sein zu dürfen. Mama-Duft und
Papa-Duft hingegen, schnupperten immer bei den
abendlichen Treffs vorbei.
Der kleine Duft war natürlich neugierig. Er
wollte so gerne einmal dabei sein, wenn sich die
226
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Düfte über den heutigen Tag austauschten. Sein
Freund der Wind, wird ihm heute Abend
Lebewohl sagen ... Als Trost versprach er sich
selbst, all seinen Mut zusammenzunehmen, und
des Nachts die Runde der großen Düfte zu
belauschen.
Während der kleine Duft über sein
Vorhaben nachdachte, schlief er vor lauter
Begeisterung
ein.
Der
Wind
stupste
währenddessen all seine Lieblingswolken ein
letztes Mal an. Als er seine Runde beendet hatte
stellte er fest, daß sein kleiner Freund
eingeschlafen war. So wehte er nochmals ein
wenig zurück und machte an der mächtigsten
Wolke halt. Er ließ den kleinen Schnupperl sanft
in die weiße Watte gleiten und zog von dannen.
Einige Zeit später regnete die riesige Wolke
ab und ließ den kleinen Duft einfach in die Tiefe
auf die Erde fallen. Es gab einen mächtigen Rums,
als der kleine Duft unsanft aufschlug. Als er sich
gesammelt hatte, alle Blessuren gezählt und
geleckt hatte, erkannte er langsam wo er sich
befand. Ihm blieben einzig die Märchen des
Windes, während Mama-Duft und Papa-Duft den
Geschichten der tollkühnen Düfte lauschten. Sie
selber waren nie auf die Erde gelangt!
227
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Er erinnerte sich an die vielen Variationen,
mit denen ihm seine Verwandten begegnen
könnten. Vor allem erinnerte er sich an die
Geschichten der Düfte, mit denen keiner etwas
zu tun haben wollte.
Es soll gar Düfte geben, die sich in riesigen
steinernen Röhren ansammeln. Sie alle seien
schwarz und stinken mehr, als daß sie duften.
Einige Verwandte von ihm lassen sich in den
Küchen der Menschen nieder. Nur die wenigsten
dürfen ihre Farben entfalten. Die meisten
muffeln ihr Leben vor sich hin. Sie sind gefangen
im Reich der Ungenießbarkeit und finden keinen
Ausweg. Nein, so wollte der kleine Duft nicht
enden!
Solange sein Freund der Wind auf Reisen
war, mußte er sich bei den Menschen behaupten.
Er wußte von der Beliebtheit der Düfte der
Wälder - des nassen Unterholzes, der frischen
Gräser und der lebensfrohen Blumen. Doch als er
sich den Wäldern näherte wurde er verjagt. Hier
gäbe es keinen Platz für einen unerfahrenen Duft
wie ihn! Er versuchte es auf Jahrmärkten - an
den kandierten Äpfeln, den heißen Weinen und
dem, was die Menschen Zuckerwatte nannten.
Doch auch hier wollte man ihn nicht haben.
228
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Dem kleinen Duft war kalt. Der Sturm hatte
seinen Wind schon längst vergessen gemacht und
schmiß ihn in die Pfützen der Großstadt. - Der
kleine Duft stank erbärmlich. Dennoch stand er
immerfort auf. Schließlich wollte er ein beliebter
und betörender Duft werden. Wenn er
irgendwann wieder seiner Mama und seinem Papa,
den anderen großen und kleinen Düften und
seinem Freund dem Wind gegenübertreten
würde, wollte er zart und belebend wirken. Und
genau dieses Gefühl machte ihn stark!
Der kleine Duft bediente sich der Kraft des
Sturmes. Eine seiner Böen war außer sich. Sie
traute ihrer Windgeschwindigkeit nicht als sie
sah, wie unerschrocken der kleine Duft sie
benutzte. Die Böe war schnell und gewaltig. Sie
verschlang viele hundert Meter in einer Sekunde.
Schließlich wurde ihr der kleine Sproß lästig, und
sie fegte ihn über die Dächer der Stadt.
Wieder landete der kleine Duft unsanft.
Diesmal auf seinem kleinen Hintern! Er
schüttelte sich kurz, betrachtete sein Gesäß und
stolzierte durch ein geöffnetes Fenster eines
alten Mietshauses. Hier konnte er machen, daß es
riecht!
229
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Er legte sich in die Kissen der Liegen und
Betten. Kurze Zeit später standen die bunten
Stoffmehrecke wieder stramm. - Ohne Knick!
Er versuchte sich an den verdorrten
Zimmerpflanzen und den lausig gepflegten
Balkonblumen. Jedoch vermochte er nicht mehr,
als den gruseligen Gestank der Vasen und
Untertöpfe zu verbannen. Den Blumen konnte er
kein neues Leben schenken.
Er schwirrte durch alle Zimmer aller
Wohnungen. Er machte vor keiner Türe halt. Alle
Küchen und Bäder lebten wieder auf. Der kleine
Duft war nimmermüde zu Werke gegangen.
Welch Wunder, daß ihm die Kräfte entwichen und
er schließlich einschlief.
Plötzlich wurde der kleine Duft unsanft aus
dem Schlaf gerissen. Ohne jede Vorwarnung
wirbelte man ihn in einer riesigen Staubwolke
umher. Er mußte schrecklich husten und verlor
vor lauter Schwindel den Halt. In hohem Bogen
flog er durch die Luft. Ohne Hilfe zu erlangen,
landete er in einer Regentonne und zappelte.
Der kleine Duft war inmitten zahlreicher
Bekannter aus der Heimat. Sie alle wurden von
der mächtigen Wolke in die Tiefe gerissen und
auf die Probe gestellt.
230
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Er betrachtete das zarte Spiel der
Morgensonne im Regenwasser. Ihm wurde
behaglich und er fühlte sich geborgen.
Zwei Hände tauchten in die Tiefe,
schöpften sanft die erfrischende Kühle und
ließen ihn in die Höhe schweben. Er platschte
mitten in ein anmutiges Gesicht einer jungen
Frau, rann ihre Wange hinunter und fand
schließlich an ihrem Kinn den rettenden Anker. Er wollte nicht wieder abgeschüttelt werden und
in die Tiefe fallen. Doch die Frau schöpfte
unaufhörlich weiter. Immer wieder wurde er
abgespült. Und immer wieder fingen ihn die
warmen Hände aufs Neue. Schließlich blieb er an
der Rückseite ihres rechten Ohrläppchens
haften und trocknete ab. - Hier war er zu Hause.
Hier wollte er machen, daß es riecht! Hier ist er
glücklich und betört und benebelt, macht sinnlich
und schwach. - Hier können Sie ihn finden, den
kleinen Duft.
231
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Rote Tropfen
Ich laufe aus ... Das dritte Mal innerhalb der
letzten zwei Wochen! Es tropft unaufhörlich,
ohne Respekt gegenüber meinem Schönheitsideal
oder meines Schmerzempfindens. Ich tupfe und
tupfe, aber die kleinen roten Perlen blähen sich
unablässig immer wieder auf. Sie rücken nach, als
wenn ich ihnen gekündigt hätte. Dabei bin ich
doch auf sie angewiesen!
Drei aufgerollte Streifen Klopapier habe ich
schon verbraucht. Sie alle sind triefend naß und
erfreuen sich ihrem Couleur. Sie pappen
aneinander und geben sich nicht mehr frei.
Mein Griff in die Hosentasche ist
vergebens. Nie war ich auf ein gefalteten
Zellstoffetzen mehr angewiesen wie gerade in
diesen klammen Minuten. Warum mußte ich
meinen Letzten auch Christiane anbieten? Die
anderen Herrschaften hätten ihr bestimmt auch
ihr Oberhemd geliehen, so, wie sie bei ihr
katzbuckelten. Aber ein netter Kerl ist ein
netter Kerl ist ein netter ...
232
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Mist! Der Rand an meinem Waschbecken ist
übersät mit roten Klecksen. ... ebenso meine
weißen Unterhosen. Die hatte ich soeben frisch
angezogen und wollte damit heute Abend noch ein
wenig prahlen. Und jetzt?!
Schon wieder schickte sich eine geballte
Ladung Lebenssaft dazu an, direkt auf den Rand
meiner Morgentoilette zu klecksen. Zu spät, mein
Lieblingsslip gehört der Vergangenheit an. - Und
roten
mein
Kleiderschrank
gab
keine
Unterdingens her. Nicht einmal geschenkt ...
Mein ganzes Gesicht ist verschmiert. Ich
sehe aus wie frisch gestorben! Völlig verklebt
lächelt mir mein Mund entgegen. Meinen Lippen
fällt es sichtlich schwer, die Falten zu brechen.
Vereinzelt purzeln mir kleine dunkelrote Krumen
aus den Furchen meiner Lebenserfahrung. Ich
zerfalle! Und niemand erkundigt sich nach
meinem Wohlbefinden ...
Ich bin allein. Mein Leben wird in diesem
meinen Badezimmer enden. Mir entrinnt meine
Jugend und das Alter gleich hinterher. Keine
Chance, ich werde ...
Es klingelt. Ich kann unmöglich so an die Tür
treten. Außerdem lebe ich doch gerade ab! Aber
das scheint hier ja Null zu interessieren. Ich
233
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
schleppe mich samt roter Lache an die Tür und
öffne: „Hey, guten Morgen auch. Ich bin die
Elise„
„Aha„, sabberte ich blutend.
„Die Elise ... Deine neue Postbotin ... Ich komme
jetzt jeden Tag. Schön, daß wir uns mal
kennengelernt haben.„
„Ach du bist die Eliiiiise„, bemerkte ich
schon scharfsinniger. „Hättest du für mich
vielleicht ein ...„
Ich
mußte
gar
nicht
weiterreden.
Fürsorglich zog sie ihr kitschig besticktes
Taschentuch aus dem Nichts und wischte mir den
Schaum vom Mund.
„Es hat aufgehört zu bluten. Ohne deine
Maske siehst du ja ganz passabel aus. Sabberst
du öfters?„ fragte sie lächelnd.
Ich wurde rot. Auch das noch! Hatte ich
denn nicht schon genug Farbe? Habe ich dieses
Talent zum Idioten in den Adern, oder stelle ich
mich einfach nur blöd an? Warum ...?
Sie gab mir einen Klaps auf die Wange und
verabschiedete sich augenzwinkernd.
Ich ging ins Bad zurück und wässerte mich
zur Vollendung. Für mein Alter war ich wirklich
noch ganz passabel, träumte ich mit offenen
234
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Augen. Und die Eliiiiise paßt in diese Zeit. ... und
in mein Leben? - Nur die Rasierapparate sind
nicht mehr das, was sie einmal waren!
235
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Pinkeln Sie unter der Dusche ...?
... auch Badewannen sind sehr begehrt, ich weiß.
Aber mal ehrlich! Tun Sie’s? Hm ... Schön warm
an den Beinen, nicht wahr? Gerade im Winter,
wenn das Badefenster wieder einmal klemmt und
sich nicht richtig schließen läßt, die Heizung die
Straße vor Ihrem Haus mit befeuert ... Da
pinkelt es sich besonders gut unter der Dusche.
Wie?! Sie sind Mieter einer 4-ZimmerWohnung-mit-Dusche-Bad-WC-getrennt?
Sie
Glückspilz! Aber trotzdem, wegen dem bißchen
Pipi morgens extra Klodeckel ‘rauf, Klodeckel
‘runter ... Das kaufe ich Ihnen nicht ab!
Sie haben gar keine Dusche? Ihr Bad ist
dafür groß genug um in aller Gelassenheit alles zu
erledigen, was erledigt werden muß? ...
Genaugenommen befindet sich Ihr Klo doch eine
halbe Treppe tiefer, nich? Dachte ich mir doch!
Und Sie wollen mir immer noch Glauben machen,
daß Sie eigens der Hygiene wegen ... Sie lügen
ausgesprochen schlecht!
236
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Jeder pinkelt unter der Dusche/in der
Wanne - teils aus Neugier, teils aus der Notdurft
heraus, teils ob einer gewissen Art Abhängigkeit.
Männlein und Weiblein verhalten sich da
annähernd gleich, und unsere Kleinen wissen eh
wie’s geht! Derlei lernen sie bereits mit drei
Jahren im Inkontinentel (Kindergarten).
Neben das Lokus gehen ist Kult. Ob der
Herr nun sanft seine Liebesgrüße in den
unberührten Schnee träufeln läßt oder die Dame
... Die Technik ist entscheidend! Trägt der
Besitzer links, sollten Sie sich immer rechts von
ihm plazieren. Und umgekehrt. Die Weiblichkeit
hingegen stützt sich gerne hangabwärts. Alles
klar?
Mann pieselt vorzugsweise gegen Bäume,
aber auch Schlüssellöcher sind ein äußerst
beliebtes Ziel. Mann kann sich der Höhe nach um
die Wette seines Wassers erleichtern oder das
Weite suchen. Man kann sich in die Hosen
machen, das Bett benetzen und den Klorand
ignorieren. Letzteres macht Frauen seit der
Erfindung der Kloschüssel zu tadelnden PipiVerächtern. Zu Recht!
237
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Das Fußvolk
Die Sohlen die uns tragen, sind unser wichtigstes
Gut! Ich laufe gerne auf Götterblumen, wate
gerne um eine Hallig, liebe Fußbäder mit
ätherischer Ölung und bremse mit als Beifahrer.
Mein asiatisch geprägter Glaube an das
Zentrum meiner Nerven will gepflegt werden. Ich
bin stolzer Besitzer von Slippern und Air-Pumps,
von edlen Italo-Stiefeletten und trage Clints
Krokos im Eastwood. Ich schwöre auf dicke
Socken als Ersatz für verlauste Hausschuhe aus
dem
Familientreter
gleich
neben
der
Wohnungstür und schlurfe allerliebst mit meinen
Sandalen. - Aber ich hasse Kork! Dieser Rohstoff
sieht aus wie gepreßte Hundekacke und stinkt
ebenso ... nach dem sommerlichen Tragen ohne
Socken.
Als ich das letzte Mal auf Schuhsuche war,
wurde ich immer Leiser. Nur Bio! Nur Fußgeruch
und Putzmittel oberhalb der preislichen
Schmerzgrenze! Mein kleiner Zeh litt an einer
Blase und machte Tack, Tack, Tack. Lauter
Quadratlatschen ohne Geschmack.
238
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Plötzlich wurde ich Stiller. Fußoptik ohne
Kork und Klett. Fußkultur zum Anfassen. Jedoch
war jeder Schuh links herum. Mit den Teilen
versink’ ich ja im Deichmann.
Ich hatte kein Glück. Keiner wollte mein
Geld und das sollte sich auch nicht ändern. So
entschloß ich mich schließlich dazu, einer Frage
auf den Grund zu gehen, welche mir ebenso
schlaflose Nächte bereitete, wie meine Eliiiiise in
spe:
„Wie
machen
Sie
eigentlich
die
Schnürsenkel in die Laschen, Ösen und Löcher?
Ich meine, wie fädeln Sie die Dinger ein? Ich
meine, ich ... Ich komme mit Ihrem
Knüpfrhythmus nicht klar. Immer wenn ich die
Senkel herausnehme, um Ihr überteuertes
Putzmittel aufzutragen, verzweifle ich an Ihrem
Kreuz-über-Kreuz-und-hinten-herum. Aber was
Görtz mich an?!„
239
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Mit starrem Blick
In liege entspannt in einem leidlich preiswerten
Verkehrsmittel und lasse meine Gedanken über
die Autobahn stolpern. Zwischen den Bildern der
Landschaft und meiner Netzhaut erkenne ich
Sequenzen der vergangenen Monate. Die
Illustration meiner kurzen Vergangenheit. Kleine
Skizzen und vollendete Werke huschen zwischen
den Schildern diverser Autobahnraststätten und
Tankstellen an mir vorbei und lassen sich nicht
konservieren. Aber sie kommen immer wieder.
Glück gehabt!
Ich sehe Orte ohne Namen, Flüsse in Grau Autokennzeichen und stures Glotzen. Das Naß
der Straße wird - Aquaplaning hin oder her hochgewirbelt und verfälscht die Farben.
Hauchen und Reiben nützen da kein Stück!
Ich denke an die vielen Abende, an denen
ich in Geselligkeit einsam war. Meine Tränen
wurden zu einem Teil meiner Persönlichkeit. Mir
wird warm, wenn ich mich an die vielen herzlichen
Gesichter erinnere und mir Geplauder und den
240
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
mir ebenso wichtigen Smaltalk zurückrufe. Kein
Tag verläuft eingleisig!
Ich habe die Sonne gehen sehen und nehme
einen Wintermorgen mit in die Heimat. Ich bin
wehmütig und von Vorfreude erfüllt. ... ein Form
von Kommen und Gehen. ... irgendwie zerrissen.
Ich sitze zwischen zwei Stühlen und habe mich
entschieden. Nur meine Balance ist noch recht
embryonal!
Zu Fuß beschreite ich die letzten Kilometer.
Es regnet immer noch. Mir peitschen die großen
Tropfen ins Antlitz und lassen meine Frisur
lächerlich erscheinen. Meine Schuhriemen sind
seit gut zehn Minuten ungebunden und behindern
meinen Gang. Aber wen interessiert das schon?
Mich lassen diese Stricke der Fußkultur
jedenfalls kalt (Na ja!). Hauptsache nur, ich falle
nicht auf die Nase!
Meine Ohren lauschen den gelungenen
Klängen von Andreas Frege und lassen mich
immer schneller werden. Mit starrem Blick
stampfe ich weiter durch das faulige Laub. Nur
noch wenige Schritte und ich bin zu Hause!
241
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
2000
EINMAL GEBOREN, DOPPELT GESÄUGT DREIMAL GEPUDERT, VIERFACH BEÄUGT.
FÜNFMAL GEWICKELT, SECHS LAGEN VERPACKT SIEBENMAL DANEBEN - EINGEKA...
NEUNMAL BESTANDEN, ZEHNTE VERSCHWITZT ELFMAL ENTSCHULDIGT, ZWÖLFTE GERITZT.
DREIZEHN SEMESTER, VIER BIS ZEHN JOBS FÜNFZEHN BLAMAGEN, SECHS BIS ZEHN FLOPS.
SIEBZEHNMAL TRÄUME, ACHTBAR LEIERT NEUN UND ZEHN JAHRE ... SO WAS PASSIERT!
242
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Nur für Jule!
Du bist ein Woman in chaos ... hin und her
gerissen zwischen den Fragen der mittleren
Lebensblüte: Wer bin ich? Und: Ist das mein
Leben? Du liebst die Kleinigkeiten der täglichen
Eindrücke und Erfahrungen, schätzt sie und
siehst nicht über sie hinweg. Dennoch hast Du
Dich von Zeit zu Zeit verdaddelt. Das ist sehr
schade!
Beispiellos Deine großen Böcke auf Pizza und
Vino, Tee mit Süßstoff, Brötchen mit
Erdbeermarmelade oben auf - verträumte
Spaziergänge durch das bunte Herbstlaub ... Sie
war begeistert von lecker Schoki und
Zauberkünstlern, von weißen Schals und
Kaninchen.
Du bist ein extremer Gefühlsmensch. In
deinem rosaroten Zimmerlein hast du die Zeit
vergessen; deinen Lieblingsaromen bist du in
gleicher Weise ergeben wie deinem kleinen
Dschumm. Aber eben das macht dich wieder fit
für die Familie, die leider nicht in Sibirien,
243
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
sondern ganz in ihrer Nähe weilt. Aber bitte kein
Mitleid! Du bist stolz wie eine Rose, hin und
wieder
verwöhnte
Nudel
und
unbedingt
liebenswert.
Jule haßte banalen Quark und tränennasses
Papier und verschickte trotz allem Sternenpost.
Ihr Ersatz war niemals zweite Wahl! Sie
fütterte ihr Schreibheft unter ihrem Kopfkissen
fürsorglicher, als andere Zeitgenossen ihren
Hamster. Nicht immer behutsam, gleichwohl
unbedingt gütig!
Jule
hatte
begründete
Angst
vor
Mundspülis, Pflastern, Druckerschwärze ... Alles
hat sie nunmehr erfolgreich aus ihrem Leben
verbannt. Bleibe Dir treu Jule, Dein Rosentau
wird so schnell nicht verdunsten, solange die
Augen stimmen!
244
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
OHNE TITEL
OFT
HABE
ICH
MICH
ZURÜCKGELEHNT
UND
MIR
VORGENOMMEN:
MERKE DIR DIESEN AUGENBLICK, VERGIß IHN NICHT.
DENN IN IHM BIST DU GLÜCKLICH UND FROH.
ES WIRD NICHT IMMER SO SEIN, ALSO GENIEßE IHN,
SOLANGE ER DA IST,
ERINNERE DICH SEINER UND SEI DANKBAR.
(RALPH RICHMOND)
245
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Das verflixte „i„
Fünf dieser possierlichen Striche mit Bibi oben
auf haben es geschafft, weißes Papier zu füllen,
und Sie zu ermüden. Nun, liebe Leser, wir
bewegen uns mit großen Schritten dem Ende
meines Werkes entgegen. Sie können sich
nunmehr beruhigt nach hinten lehnen und die
letzten Auswüchse meines Talents an Ihrem
Literaturhorizont untergehen lassen.
Bedurfte es Ihrer Meinung nach mehrerer
„i„? Waren sie auf Jessiiiiiica gespannt? Hatten
Sie allen Ernstes auf Marliiiiiiis gehofft? Wollten
Sie tatsächlich die trüben Seiten meiner
Beziehung mit Jaqueliiiiiiiine kennenlernen?
Wirklich?! Ist Ihnen bewußt, daß sich Mausiiiiiiiii
extrem schlecht schreiben läßt, gerade bei
ständiger Wiederholung des geschätzten Namen?
Trauen Sie Ihren Pupillen ein Dauergespräch
zwischen Mausiiiiiiiiii und mir zu? Sind Sie derart
gut versichert?
Nein, nein, daher rührt Ihr Brennen unter
den Nägeln gewiß nicht.
246
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
Ich darf hoffen, daß es Ihrem geschulten
Auge gelungen ist, die Bedeutung der
zunehmenden oder abnehmenden Buchstabeneinfaltigkeit zu durchblicken. Dem Teil der
geneigten Leserschaft, welche zwar verstanden
haben, jedoch nicht verstehen wollen, sag` ich
leise Servus. (Ein Eintrag ins Mami-Buch scheint
mir unumgänglich!) Machen Sie es gut, aber bitte
woanders. Klar?! Schließlich muß ich mich um
meine wahren Fans kümmern. Die sind mir
wichtiger als Sie. Nur weil Sie bezahlt haben,
müssen Sie sich nicht einbilden, daß ich mit Ihnen
noch lange herumscharwenzle. Eben! Außerdem,
was haben Sie von einem Paperback für
Fünffuffzich anderes erwartet? Etwa einen
Bestseller mit persönlicher Empfehlung von
Herrn Rei-Ra? Sie glauben wohl auch noch an den
Ziegenpeter, wie? Nö, also wirklich! Ciao!
Und nun zu Dir, mein lieber Fan. Ich bin
bewegt von Deinem Durchhaltevermögen. ‘s war
bestimmt nicht immer einfach mit mir. Aber was
soll’s. Dir widme ich mein Buch und meine tauben
Fingerkuppen. Es war schön mit Dir. Ich wünsche
Dir in Zukunft einen besseren Autoren als mich
und verabschiede mich ganz leise. Vielleicht
kreuzen sich einmal unsere Seiten ... Bis die Tage!
247
SPONTAN
__________________________
HILFLOS
ENDE
TUT
MIR JA AUCH LEID, ABER ICH KANN EINFACH
NICHT MEHR.
WENN
MEINE TALENTIERTEN
HÄNDE
WIEDER VERHEILT SIND, WERDE ICH MICH WIEDER
VERTRAUENSVOLL IN
IHR BÜCHERREGAL
BIS DENN DENN.
248
SCHLEICHEN.

Documents pareils