spontan hilflos
Transcription
spontan hilflos
Spontan hilflos Andreas Loos SPONTAN __________________________ HILFLOS EIN GESUNDER SCHUß LEGASTHENIE MACHT LEICHTFÜßIG UND UNGEMEIN FLEXIBEL 2 SPONTAN __________________________ HILFLOS INHALTSVERZEICHNIS Übrigens und außerdem 12 Meine zweite Garnitur 15 Paris - Rom - Erkner 18 Vornehmlich Marmelade 20 Nun aber 22 Fünf Ringe und kein Halleluja 27 Der Tag danach 29 Lieber ‘ne Bockwurst als ‘ne Speisekarte 35 Was hatte das nun mit ‘ner Bockwurst und ‘ner Speisekarte zu tun? 40 3 SPONTAN __________________________ HILFLOS Frankstoß für Freifurt 50 Typisch! 60 Das Surren 62 HARMONIE ? 69 Ziellos 70 Mausii gegen Mausiii 78 Zusammen geht es sich doch besser ein 78 Kochlöffel gegen Lippenstift 81 Stiefmütterchen und Tränen 85 Der liebe Gott in der S-Bahn 89 LEERE 94 4 SPONTAN __________________________ HILFLOS Es entschuldigt nur der persönliche Tod 95 Hollys Wald 101 Nicht ganz Venedig 104 Weißt du ... 112 Auf den Spuren der Kleinanzeigen I. Teil 124 Auf den Spuren der Kleinanzeigen II. Teil LEIDENSCHAFT 128 UND TÜCKE 130 Auf Olympiakurs 131 Können Fische ertrinken? 133 5 SPONTAN __________________________ HILFLOS Außer Tante keine Mausis 136 Der zweite Tag 139 Die Bündelung 144 ALKOHOL 150 Die Fütterung 150 Weich, weicher, aufgeweicht 153 Schluß mit lustig! 156 Haltlos 160 Was ich liebe ... 165 AMERIKA 170 Luxus ... 171 6 SPONTAN __________________________ HILFLOS SPANNUNG 172 MEDIENBUMMEL 174 Peinlich 176 Das Gemüse 178 Peter K. aus H. 180 FÜR ZUPPI 187 TRAUMHAFT 188 Interpunktionsregeln Sadismus des Lebens 189 Wiedersehen mit Blondi 192 Die wahre Utopie 197 7 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der gestiefelte Vater EMPFEHLUNG FÜR EINEN 198 RENTENANTRAG! Vorurteile 200 201 Wem ich schon immer einmal die Meinung sagen wollte und dann zu früh ging, zu spät kam, gerade den Mund voll hatte ... 202 LEGALE WEGBEGLEITER 204 Warum immer ich? 205 Zahlt sich Armut aus? 207 Tränen im Regen 209 ICH? 213 KASSENKAMPF 214 8 SPONTAN __________________________ HILFLOS Geblieben ... 214 Atze Schenk 215 „SPRUCH DER WOCHE„ 217 Ode an eine Betonwüste 218 Der kleine Duft 223 Rote Tropfen 232 Pinkeln Sie unter der Dusche ...? 236 Das Fußvolk 238 Mit starrem Blick 240 2000 242 Nur für Jule! 243 9 SPONTAN __________________________ HILFLOS OHNE TITEL 245 Das verflixte „i„ 246 ENDE 248 10 SPONTAN __________________________ HILFLOS FÜR MAUSI, BLONDI, JULE, ELISE UND ... - ... VIEL SPAß BEIM LESEN. SIE DÜRFEN JETZT UMBLÄTTERN. 11 SPONTAN __________________________ HILFLOS Übrigens und außerdem Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Gestern war es wieder soweit - Protokollstrecke in der Shoppingerlebniswelt Berlin. Ich und mein Kleiderschrank waren wiederholt der Meinung, ein bißchen zweiter Frühling täte mir ganz gut. Zwar habe ich meinen ersten noch nicht bis zum bitteren Erwachen ausgelebt, aber wenn man mit seiner Garderobe als Pathologe oder bestenfalls als gescheiterter Rockmusiker verkannt wird, gibt einem das zu denken. In Berlin bei einem Schaufensterbummel das Heißersehnte herauszufiltern ist mit vielen Hürden und Hindernissen verbunden. Jeder Boulevard ist mit Baustellen derart bestückt, so daß man sich auf ihm überhaupt nicht mehr zurechtfindet oder ihn als gänzlich neu einstuft. Völlig entnervt von Lärm, Dreck und nichtssagenden Werbetafeln, machte ich Rast an der erstbesten Imbißbude. Zwar steckte mein Ausflug zeitlich betrachtet noch in seinen Kinderschuhen, jedoch war ich nicht fähig, diesen Palast, gesegnet mit allen Gerüchen und Kalorien, 12 SPONTAN __________________________ HILFLOS einfach zu ignorieren. Erschrocken über meine mangelnde Körperbeherrschung, machte ich mir zumindest kurzzeitig Gedanken über Salmonellen, wieder aufbereitetes Hackfleisch und ungewaschene Hände. Dennoch zog es mich an den braungebrannten Nirosta-Tresen. Hinter mir unterhielten sich zwei Omis über die letzten Todesfälle aus der Lebensmittelbranche, vor mir regte sich ein 14jähriger Rotzlümmel über die beschissene Musik des netten, durchgeschwitzten Grillprofis auf, es wehte ein unchristlich-kalter Wind ... doch ich ließ mich nicht beirren. Ich habe es mir einfach abgewöhnt zu überlegen, ob es denn richtig und gesund sei, gedankenlos zu essen. Wenn in mir das Verlangen hochkommt, bauen sich Mauern, meterhoch und breit wie Bäckereiverkaufstische auf. Und sie lassen nur den einen Weg zu: Den der satt macht! Meine Stippvisite nahm indes mehr Zeit in Anspruch, als mein Ziel, mich neu einzukleiden. Egal. Mit dem sicheren Gefühl im Bauch, schon etwas gegessen zu haben, ließ sich der Spießrutenlauf entlang an allen in dieser Gegend vorhandenen Gaumenfreuden schon leichter 13 SPONTAN __________________________ HILFLOS ertragen. Die Versuchung war dennoch mein ständiger Begleiter! Vor mir lief eine „Persona homo weibens„, eine ganz besondere Gattung Mensch. Aber nichts Blickkontakt, kein Gedanke! Das einzige, was mir förmlich entgengengesprungen kam, war verdächtig viel Platz auf dem Gehsteig; Pathologen und gescheiterte Rockmusiker verliehen mir weiterhin den Charme einer Eintagsfliege. 14 SPONTAN __________________________ HILFLOS Meine zweite Garnitur Es vergingen gut zwei Wochen, bevor es mir zwischen Arbeit und „Privatleben„ gelang, eine kleine Scheibe meiner Zeit abzuschneiden, um mich wieder meiner Garderobe zu widmen. Das Wetter war gut, mein Zwiebelleder in der Winterjacke vergraben, ich voller Tatendrang und satt. Es lag schon ein leichtes Grau in meinen Augen, nahe den Tränen, und mit Sicherheit bin ich meinem Ableben ein gewaltiges Stück entgegengekrochen. Ich kannte sie alle: die Prachtstraßen, die versteckten Schnäppchenzentren ... Ich hatte gut zwanzig heiße Tips in meinem Hinterkopf, aber keinen Erfolg. Ich sage nur 36/36. Kenner der Inch-Szene (30/28er) werden wissen, wie es einem 36/36er geht. Es ist so, als ob man ständig nur Kündigungen erhalten oder das dritte Mal abgemahnt werden würde. Und, und, und (Und auch noch Farbwünsche, und passen soll es, und ich will noch ‘ne Jacke.). Man! 15 SPONTAN __________________________ HILFLOS Gemeine Mitmenschen aus ‘ner Modeboutique sagten einmal zu mir, ich hätte ein zu breites Becken. Jedenfalls sei ich einer Frau ähnlicher, als einer ‘68er Röhre. Wie auch immer. Ich habe ein großes Herz und lange Beine. Meine Augen sahen Seitengassen, die jeder Regisseur, der ein Endzeitdrama hätte drehen wollen, blind als Spielfilmkulisse übernehmen würde. Mir begegneten Menschen, die in diesem Film ohne langes Nachdenken mit der Hauptrolle besetzt worden wären. Jede Figur ein Drama für sich! Ich war auf dem Kurfürstendamm. Nischt von wejen Eenkoofsbumml uffn tolln Bullewa. „Haste ma ne Maak?„ - „Oh guck ma Pabbi, dees isch scheen, ne woar?„ - „Schau nur die Leute hier, Erna. Alles Personen, ,Personen’ sag ich dir. Nur Müll und arbeitsfaul!„ - „Unser Pils ist unübertroffen. Schaunse und staunse! Der halbe Liter heute für lächerliche acht Mark.„ - „Gänse mior mol sogen wo ...?„ „Nee„, entgegnete ich. Und der Höflichkeit und der Berliner Luft wegen: „Ick such ‘ne Hose.„ Noch Minuten später klirrte mir das extraübertrieben-hochdeutsch ausgesprochene „Ihr Problem!„ in den Ohren. Ein waschechter Berliner 16 SPONTAN __________________________ HILFLOS ist eben schon etwas besonderes mitten in der City. Ich hatte schon richtige Angst davor, mich könnte jemand ob meines ziellosen Fußmarsches dumm von der Seite ansprechen. Jeder Passant würde in mir in Windeseile einen verwirrten Touristen ausmachen. Jedoch besann ich mich kurzerhand auf die Dinge im Leben, die ich wirklich beherrsche. Ich winselte die Barfrau eines armseligen City-Schlemmi-Inhabers an, mir die Spezialität des Hauses zuerst in Flüssig und dann in Fest zu reichen. Ich muß grauenvoll gefaselt haben, denn nach einer kurzen Pause fragte sie mich: „Wo kommstn heja? Bist nich von hija, wa?„ Und für wahr, ich hatte eine leidende Aussprache an mir, einem Loser-Dialekt ähnlich, so daß gleich jeder andere Gast das Gefühl bekommen mußte, der arme Kerl hat es auch nicht geschafft. 17 SPONTAN __________________________ HILFLOS Paris - Rom - Erkner Nun kam was kommen mußte - mein Erfolgserlebnis. Es ist ein kurioses Verhalten aller Leute die beschenkt werden, circa fünf bis zehn Minuten alles abzulehnen, danach ins Stammeln zu geraten, sich dann doch überreden zu lassen und erst nach widersprüchlichen Dankesgesten auch anzunehmen. In meiner Situation hätte ich jedes Geschenk angenommen, ausnahmslos alles. Mein Mund stand weit offen, meine Lider streiften meine Brauen, die Beine ignorierten das Rotlicht der Fußgängerampel, und beide Hände fuhren gleichzeitig in meine Innentasche Richtung Geldbörse. Keine zwanzig Meter weiter: „Größen aller Art - Alle Sorten„. Und ein Gefühl von Nächstenliebe, mütterlicher Wärme und Geld-ausgeben-dürfen machte sich in mir breit. Keine Frage, das Mekka der Erfolgserlebnisse lag mir zu Füßen und lockte. Eine melierte Dame, kurz vor der sechsten Null, erklärte mir gerade die Vorzüge von „StoneWashed„ (hochdeutsch washed out) und 18 SPONTAN __________________________ HILFLOS zerfetztem Beinkleid (angeblich Designerjeans), daß blau out und „blue„ in sei, eng verwerflich wäre und Karotte nur Bauern trügen. Doch anstelle von Überzeugung und Kaufbegehren machten sich bei mir Zweifel breit, ob jene Endfünfzigerin überhaupt etwas von Mode verstünde. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und grub nach ihren inneren Werten. Als ich so beim Buddeln bin, trat sie aus der Versenkung hervor und sagte: „Lila-Punkte sind alle. Nur noch Inblue, Mega-washed und Classic-junior.„ ... Mir fiel die Schippe aus der Hand. 19 SPONTAN __________________________ HILFLOS Vornehmlich Marmelade Ohne Zweifel ist mir Konfitüre in meiner SingleKühlbox lieber und wichtiger, als die sprichwörtliche Marmelade für Fruchthasser. Dennoch, klebrig sind sie beide! Ist die eine Version noch billig und streichfähig, purzeln mir bei der Angetrauten die Fruchtstücke gleich reihenweise vonna Bemme. Kleine Kirschen und Johannas tangieren mich peripher ... Die Vorzüge von Brombeergelee und Pflaumenmus möchte ich Ihnen im Anschluß erläutern. Sonntag ist für jeden Alltagstrottel - also auch für mich - der Tag, an dem Krümel im Bett nicht wegzudenken sind. Nichts ist schöner, als sich den Hintern an verhärteten Überresten von Bäckerschrippen rot zu reiben. Und auch wenn uns allen sehr wohl bewußt ist, daß jeder Bäcker bei seinem eigens benutzten Begriff „Bäckerschrippe„ ebenso rot werden müßte, schmecken tut es dann doch irgendwie. Ein Gefühl von sechs-Tagen-entzogenerBefriedigung macht sich beim Öffnen des Kühlschrankes breit. Der übersichtliche Anblick 20 SPONTAN __________________________ HILFLOS fordert zwar noch die sorgende Hausfrau, jedoch das Mus in der hintersten Ecke entschädigt für alle Entbehrungen der letzten Woche. Mein Vermieter machte mir seiner Zeit ein unwiderstehliches Angebot: EinraumwohnungSeitenflügel-Außenwand. Manch’ Frau entschloß sich dennoch dazu, mein Angebot zum Kaffeetrinken vom Abend in die Morgenstunden zu verzögern. Ob ihres insgesamt kurzen Durchhaltevermögens seien sie jedoch alle durchweg mit „Mausi„ benannt, mein Erfolgsrezept hingegen ... Eine Einraumwohung hat aber auch ihren ganz speziellen Reiz: 3,42 Meter von der Küche zum Schlummerviereck. Und man verläuft sich selten! 21 SPONTAN __________________________ HILFLOS Nun aber Es war angerichtet: „Mausi, reichst du mir mal bitte die Sahne?„ „Mach’ ich doch gerne, du Armloser. Die Angefangene oder lieber ‘ne Volle?„ „Wir haben keine Volle mehr, glaube ich.„ „Warum nicht?„ Mit dieser Frage wurde ich schamlos in die Ecke getrieben. Der wöchentliche Einkaufszettel befand sich in meinem Portemonnaie. Unangesehen! „Ich nehme dann doch lieber die fettarme Trinkmilch, Mausi.„ „Ich werd’ gleich sauer!„ „Was können denn ich und unsere Milch dafür?„ fragte ich zu naiv für einen Mitzwanziger. „Die ist es schon.„ „Sauer?„ „Duhuu!„ „Dann trinke ich meinen Kaffee eben schwarz.„ „Mach’ das. Schönen Gruß an deine Magenschleimhautentzündung!„ 22 SPONTAN __________________________ HILFLOS Na nett. „Ich bin Kaffeesachse. Das einzige was mir jetzt noch fehlt, ist das Weiße im Pott.„ „Dann kann ich dir also doch die Angefangene geben? Sahne versteht sich!„ „Aber sicher. Brauchst du noch ‘n Tablett dazu?„ „Du bist mürrisch, ungekämmt und nicht einmal mit dem ‘linken’ Bein aufgestanden! Dabei hätte ich dich doch so gerne gefragt, was du am nächsten Sonntag machst. Eben so, wie in der Büchsenbrötchenwerbung.„ Jetzt hatte sie mich wieder soweit. Ich saß halbscheu auf der Bettkannte, öffnete meine blauen Augen soweit ich nur konnte und sah mit meinem liebevollsten Blick zu ihr herauf. „Guck’ nicht so wie ‘ne olle Miezekatze!„ zischte sie mir entgegen. „Dein Blick erinnert mich immer an den völlig verlausten Stinkpelz von unserem Gartennachbarn. Wenn ich ihm als kleines Mädchen eines von meinen Lakritzschnecken hingeworfen habe, hat er mich auch immer so blöd angeglotzt.„ „Aber ich wollte doch nur ...„ „Schnauze, jetzt rede ich! Außerdem finde ich, ist dies ein guter Zeitpunkt, um sich zu streiten. 23 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich bin hier die Frau im Haus und dulde keine Widerrede! Hast du mich verstanden?!„ „Äh, ich ...„ „Gut so. Ich bring’ dir jetzt deine verschissene Sahne an den Tisch, und dann fliegen hier die Fetzen. Und dein Hin und her zwischen proletarischem Macho und Mutti-Mämme bin ich eh leid.„ Guter Gott! Woher bezieht meine Mausi denn all diese Fachausdrücke? Hier herrscht ja das reinste Reality-Frühstück! Wo ist die versteckte Kamera? „So!„ begann mein Hase. „Hier, deine Plärre!„ Sie wurde immer freundlicher. „Nun werd’ ich dir mal etwas sagen.„ Und spannend wurde es auch noch. „Du mißachtest mich! Ich bin schließlich deine Frau und in dieser verlotterten Gesellschaft schon fast bis zum Ausreizen emanzipiert. Und ...„ Wenn Mausi rasend vor Wut lange Sätze bilden will, kommt sie immer vom Hundertsten ins Tausendste. Das find’ ich süß. „... dann bin ich sowieso das Beste für dich Halunken. Also, ... DU WEISST SCHON.„ „Ursprünglich war es lediglich mein Ziel zu scherzen„, betonte ich ohne Gewissen. 24 SPONTAN __________________________ HILFLOS Völlig verdutzt sah mich mein Mausezahn an. Ein Scherz? Sie ging nochmals in die Küche und holte sich einen Napf Brombeergelee. Ihr Blick strahlte schon wieder ein für mich ungesundes Maß an Selbstbewußtsein aus, als sie zurückkam. Noch war ich im Hintertreffen. „Schön, daß du mir überraschenderweise etwas übrig gelassen hast. Dies Zeug versetzt mich nämlich immer ganz fix in Frühstückslaune.„ Hm. Watt nu? „Willst du deiner Mausi nicht das Brötchen schmieren, so als Ausgleich für deinen Ausrutscher heute morgen? Vielleicht werden deine Ärmchen dabei etwas länger?„ Das war meine Chance. Ich könnte alle Utensilien zum Schrippen schmieren an mich reißen, gekonnt loslegen, mit unserem äußerst scharfen Küchenmesser über das glatte Gelee streichen, völlig unschuldig abrutschen und alles nur vorhandene Mitleid aus ihr herauszutschen (Was für ein widerliches Wort.). „Meine begabten Hände werden dein Brötchen verzieren!„ schwor ich ihr. Die Begeisterung über meine Idee ließ mich förmlich in die Küche zum Besteckkasten fliegen. Ich nahm mir das erstbeste Brötchen: „AUTSCH!„ stieß ich heraus ... zweimal, dreimal, 25 SPONTAN __________________________ HILFLOS vierm... Das war weder gekonnt, noch sachte. Und wenn es geplant war, verrate ich es besser keinem. „Du Dummerle.„ Bitte noch lieber Mausi. „Hat sich mein Hasi wehgetan? Soll dein Mausi puste-puste machen?„ „Hmhm.„ Das mit dem Küchenmesser ging ja tüchtig daneben. Blutstropfen gegen Küßchen Rosenkrieg für Arme. Deshalb habe ich es auch vermieden, näher auf das Pflaumenmus einzugehen. Und fortan bringe ich jetzt die Sahne an den Tisch. Scheiße! 26 SPONTAN __________________________ HILFLOS Fünf Ringe und kein Halleluja Ich frage Sie, Sie ganz persönlich, warum tragen Sie immer noch keinen Pin ... den Pin mit dem Butterfly-Verschluß, 15 Millimeter Durchmesser und dem Bärchi-Gesicht? Weswegen? Ja aber ... der kleine Plastik-Trabbi - das Schnäpp/Schnippchen der Olympia Marketing GmbH mit dem „Ich bin dafür!„-Aufkleber - ist doch noch in Ihrem Besitz, oder?! Kein T-Shirt? Kein Schlüsselanhänger? Seit 1896 fanden die Olympischen Spiele nicht mehr zu Ehren des Zeus, sondern zu Ehren der Sportler, ihrer Anstrengungen - ihres Schweißes statt. Schirmmützchen hin oder her, die Bereitschaft, eine Stadt in eine Mondlandschaft zu verwandeln, wird nur dann belohnt, wenn man mondsüchtig ist ...! Ich treibe Sport. Freiwillig! Meine Begeisterung für Orientierungslaufen hält sich zwar in Grenzen, jedoch beim Torminator Lothar, den schwarz/gelben Glücksjägern aus’m Pott oder den „Eisernen„, schlägt mein Herz hörbar Lautern. 27 SPONTAN __________________________ HILFLOS Denke ich jedoch an die Bemühungen Berlins zurück, die schwarzgelbgrünblauroten Taler ins eigene Stübchen rollen zu lassen, macht sich bei mir immer noch Bedauern ob ihrer „Künste„ breit. Nur gut, daß der Lokalsender (gab es mehrere?) uns jede Woche an die ablaufende Zeit erinnerte. Wie ein kleines Kind saß ich vor der Mattscheibe und wartete darauf, daß die SuperLED-Anzeige mit dem Bärchi-Gesicht endlich auf Nullnullnullnullnullnullnullnull (Jahr, Monat, Woche, Tag, Stunde, Minute, Sekunde, Cleverneß) springen mag. Kürzlich laß ich einen Artikel in einer Zeitschrift, in dem die Gründlichkeit der Deutschen aufs Korn genommen wurde. Der Betrachter war Brite und blickig: „Hätten die Deutschen den Ärmelkanal untertunneln wollen oder gar müssen, würden sie wahrscheinlich immer noch Proben zur Überprüfung der Wasserreinheit entnehmen.„ Meinte der gute Mann wirklich den Kanal? 28 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der Tag danach Keine Ahnung haben viele. Aber wer bastelt sich daraus gleich eine Weltanschauung? Fragen Sie den Papst oder Ihren Lieblingsangestellten im Baumarkt! Sollten Sie allerdings immer noch an den erhobenen Zeigefinger Ihrer Packungsbeilage glauben, wünsche ich Ihnen für Ihr weiteres Leben gutes Gelingen. Führende Meinungsforschungsinstitute haben kürzlich folgenden Beweis erbracht: Die Witze, auch jene, die leider keine sind, denken sich nicht etwa die Kabarettisten aus, auch nicht ihre Programmoderwasauchimmerdirektoren, sondern die Meteorologen. Nur ihre Gags sind so unerreicht, daß man sie blind und ohne jede Nacharbeit klauen kann. Ich will hiermit nicht das Bestreben aller Komiker verfälschen, die sich redlich um ein geschärftes Bürgerauge bemühen. Aber der Blick in die unendlichen Welten der Wetterfrösche reizt mich. 29 SPONTAN __________________________ HILFLOS „... Und in Augsburg hat ein als Verkehrspolizist verkleideter Puppenspieler einen Radfahrer vom Sattel geschubst. Glücklicherweise zog sich der Geschädigte keine ernsthaften Verletzungen zu. Den mutmaßlichen Täter konnte die Polizei, zwei Stunden nach der Tat, in einem Drive-in für Radfahrer völlig betrunken festnehmen. Der Puppenspieler gestand die Tat. Als Grund für sein irrwitziges Verhalten gab er an, daß es ihm beim Erwerb seines eigenen Rades nicht gelungen sei, den Artikel in der gewünschten Farbe zu erhalten. In dem Moment, als ihm der Geschädigte entgegen fuhr, sah er nur noch rot ...„ „Was die heutzutage so alles in den Nachrichten bringen, einfach irre„, witzelte ich zu Mausi hinüber, die zurückgelehnt in ihrem Sessel kauerte. „Mich interessiert viel mehr, ob mein Kleid morgen früh im Schrank hängen bleiben muß und ich mich als Entschädigung dafür über das beschissene Wetter aufregen darf„, hagelte mir Mausi ohne Humor entgegen. 30 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Du mußt der Sonne zeigen, daß du sie gerne hast. Sonst wird das nie etwas mit dir und Klärchen.„ „Soll ich dich etwa nachäffen? Ich hoffe nur, daß ich nie erkannt werde, wenn du selbst bei Regen deine dumme Sonnenbrille trägst!„ „Wäre dir das etwa peinlich?„ fragte ich rein rhetorisch. „Ich würde vor Scham tief im Boden versinken!„ „Wenn das Wetter hört wie du mit mir redest, wird ihm bestimmt ganz wechselhaft„, gab ich Mausi lächelnd zu bedenken. „Neben deinem Buckel trägst du den Aberglauben wohl gleich mit huckepack, wie?„ „Nein, aber meinen Glauben an den Weihnachtsmann habe ich noch nicht ganz aufgegeben.„ „Man nehme einen Mix aus deiner Ignoranz gegenüber allen unumstößlichen Tatsachen, einer gehörigen Portion Selbstüberschätzung und verarsche sich selbst. Nur so kann deine Lebensphilosophie Bestand haben. Wer gibt mir eigentlich jeden Tag die Kraft dafür, all diesen Mumpitz zu verdauen?„ fragte sich Mausi ihrerseits rein rhetorisch. „Manchmal denke ich„, 31 SPONTAN __________________________ HILFLOS fuhr sie weiter fort, „mein Leben mit dir spielt sich an einer Bar in einem Shaker ab.„ „... Und nun zum Wetter: Nachts klar, 13 bis 16 Grad Celsius. Am Morgen dann noch sonnig und trocken. Im Verlaufe des Vormittags vereinzelt Regen oder Schauer. Am Nachmittag und Abend in weiten Teilen Deutschlands Gewitterneigung örtlich Sturmböen. Am Alpenrand und in den Mittelgebirgen Graupelschauer - stellenweise Schneefall. In der kommenden Nacht Temperaturanstieg - angenehm warm. Die Aussichten für die kommenden Tage: Keine wesentlichen Änderungen. Das war die ‘Nachrichtenauslese’ auf ‘Sunrise’. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen April und ein erholsames Wochenende. Es ist jetzt 22.15 Uhr.„ Ich lag in bestmöglicher Lautsprecherposition und bog mich vor Lachen. „Scheiße!„ „Wolltest du noch etwas ergänzen, Mausi?„ „Nein, ich werd’ mir jetzt die Nägel feilen. Das beruhigt und schont die Haut ... Hab’ ich in der letzten ‘Ines’ gelesen.„ 32 SPONTAN __________________________ HILFLOS Was für Außenstehende nach Besonnenheit, maximal nach Körperpflege klingen mag, sagte mir: Halt! Gewaltneigung! Fingernägel kratzen nicht nur gut, Mausis stechen auch schmerzhaft zu. „Mist!„ „Wwwas dddenn Mmmausi?„ „Mir ist ‘n Fingernagel abgebrochen.„ „Ddder Lllange?„ „Hmhm.„ Glück gehabt, dachte ich bei mir. „Ist dir beim Wetterbericht nicht übel geworden?„ fragte ich Mausi nunmehr wieder mit voller Brust. „Kam mir vor wie ‘ne Wiederholung„, antwortete Mausi eher gleichgültig. „Weißt du nun eigentlich, was du morgen früh anziehen mußt; ob du die Balkonblumen gießen oder abdecken mußt, auch wenn wir keinen Balkon haben, nur mal so angenommen? Kannst du dich überhaupt noch auf irgendeine Vorhersage verlassen? Merkst du, wie sich dein Oberarm langsam aufbläht und in Richtung Fernsehbildröhre tendiert - wie dir heiß wird? Vorsicht! Meteorotropismus medizinisch wetter-bedingter Krankheitszustand! Das kann tragisch enden. Also keine Gewalt gegenüber 33 SPONTAN __________________________ HILFLOS unserem Fernseher, den Erbstücken und an mir! Du weißt doch, Mausi, das Wetter ist eben auch nur eine Erfindung der Medien.„ „Merk’ dir mal eines: Die Wettervorhersage ist für mich pure Unterhaltung ... ein Spiel ohne eigene Karten. Außerdem: Das einzige, was mich an diesem Sender permanent krank macht, ist sein Teeny-Gedudel. Also nicht Meteorotropismus, sondern Hörsturz!„ „Du bist ja tierisch Mausi!“ „Glaub’ du nur weiter an den Weihnachtsmann.„ 34 SPONTAN __________________________ HILFLOS Lieber ‘ne Bockwurst als ‘ne Speisekarte Jedesmal aufs neue darf ich feststellen, wie rücksichtslos mich ein abendliches Einkaufen streßt. Ich habe den wohl hindernisreichsten Weg entlang an Türmen aus Pfirsichdosen und Milchtüten - alle so kunstvoll aufgebaut, so daß sie förmlich danach schreien, eingerissen zu werden - erfolgreich bewältigt, schlage mich durch den Dickicht von Tiefgefrorenem und halte gelbe und rote Karten für depressive Verkäuferinnen und gemeine Hackentricks von Miteinkäufern in viel zu engen Gängen parat, philosophiere lautstark, ohne es zu bemerken, über den Sinn des Lebens und den Zeitgeist mit seinen orthodoxen Sprößlingen (Gummiüberzieher, Mentos, Tetra Pak), und daß dank des Fortschritts der Mensch in der „entwickelten„ Welt zu einer Art Proband der Lebensmittel-industrie verkommen wurde, und kollidiere letztlich mit dem einzigen Lichtblick in meinem Einkaufsparadies, dem Obst- und Gemüsestand. 35 SPONTAN __________________________ HILFLOS Wenn ich sage „fast„, dann meine ich nicht „fast„, sondern habe nur das Bedürfnis, Ihnen nicht en détail meinen Traumtanz im Reich der Könige und Kaiser zu schildern. Ich käme auch gar nicht dazu. Denn meine Liebe, der ich in bösen Zeiten nicht selten schon eine SechsKubikmeter-Einraumwohnung gewünscht habe, fuhr mir wie eine Kettensäge durch meinen zweiten Frühling. Ich erinnere mich also eher gezwungen als freiwillig (Hier kommt auch kein Komma!) an ihre mahnenden Worte: „Wenn ich das schön höre: ‘Dann werd’ ich mir mal ordentlich was zum Reinscheffeln holen.’ Daß ich nicht lache. Phäää! Besorgen. Du gehst jetzt auf dem kürzesten Wege zum Schmidt oder Meyer oder so - ...„Sie agitierte mich wie einen Abc-Schützen. „... Supermarket meine ich ...„ Irre Betonung! „... und richtest dich strikt nach meiner Skizze! Keine Abschweifungen in Richtung Obstund Gemüsestand! Und dein ‘Reinscheffeln’ möchte ich nunmehr zum letzten Mal gehört haben. Ist das klar?! Oder muß ich erst noch ein Buch darüber schreiben, daß ein Scheffel 55 Litern entspricht, aber 55 Liter nicht unserer 36 SPONTAN __________________________ HILFLOS Einkaufstasche, geschweige denn unserer Haushaltskasse?!„ Dies zum Thema Kettensäge. Ich genoß den beglückenden Ausblick am Obstund Gemüsestand von diesem Zeitpunkt an auch ohne ausdrückliche Genehmigung von meinem Mausi-Monster. Ein wahrhaftig gut besuchter Pulli frohlockte und fragte mich zugleich: „Darf’s was sein, junger Mann?„ Das ging herunter wie ‘ne Flasche Tequila am Strand von Acapulco de Juárez. „Junger Mann.„ „Ich hätte gerne zwei Birnen, vier Zitronen, eine halbe Melone, sechs Nektarinen, ... ‘n Zentner Bratkartoffeln, ‘n Blech Pflaumenkuchen, ‘ne Kiste Sekt und ‘n Witz.„ Ich brachte diesen Satz ohne jedwede Stotterei heraus und war mächtig stolz auf mich. Allerdings war mein Stammtisch-Aphorismus geklaut. Der Vater meiner Spontaneität war ein alter Freund von mir, also ein ehemaliger Bekannter. Ich kenne ihn eigentlich gar nicht. Wir standen im Gedränge eines völlig überfüllten Personenzuges. Ich sah ihm ins Gesicht und erkannte, wie sich seine Augen verdrehten. Es bestand keine unmittelbare Gefahr für sein Leib und Leben, jedoch für das der anderen 37 SPONTAN __________________________ HILFLOS Passagiere. Sein Schließmuskel sollte gleich versagen, und ich kannte diese ganz persönlichen Anzeichen nur zu genau. Sein Augendrehen war ein eindeutiger Beweis für die Aktivierung seines tödlichen Rückenwindes. Ich sollte recht behalten. Ein miefiger Dunst umschlang die Leiber der anderen Reisenden. Dann erklomm er ihre Hälse und Nasen. Als erster drehte sich ein Herr mittleren Jahrgangs unmittelbar neben uns um. Empörung schlug aus seinem Gesicht. Mir trieb es die Schweißperlen aus den Poren. Noch bevor der gute Mann anfangen konnte zu fluchen, unterbrach ihn mein „Kumpel“ tröstend mit den Worten: „Machen sie sich nichts daraus, Alterchen, ist mir auch schon öfters passiert.„ Er tätschelte dabei sanft die Schulter des überrumpelten Opfers und war damit genial und frech zugleich. „Bitte schön, junger Mann. Det Obst jeht schnell. Det mit die Bratkartoffeln und dem Sekt machen wa heute Abend bei mir. Den Witz erzähl ick dir morjen früh, und det Blech Pflaumenkuchen schenk ick dir zum Jeburtstach.„ Na hallo! 38 SPONTAN __________________________ HILFLOS „... ich, ... ich nehm’ die Einladung an. Sehr gerne sogar.„ „Nun überleg’ mal nich so lange, meen starker Kämpfer. Is dein Herz ‘n Schwert oder ‘n kümmerlicher Eiswürfel? Du willst doch jetzt meen Prinz sein, nich wahr? Prinzen schmelzen aber nich dahin, sie sind kleene Helden!„ Hoppla, bin ich dieser Frau überhaupt gewachsen? „Na jut, Mädelken. Meine Angst soll die deine werden. Laß uns von nun an gemeinsam die Zähne putzen.„ Es stellte sich sehr schnell heraus, daß sie neuer und größer war. Keiner von uns beiden wurde satter, weil wir uns immer leckerer fanden. Also wollte ich fortan alles und vom Rest noch die Hälfte. Und dank Mausii lebe ich jetzt bewußt, zufrieden und gesund. So hat auch diese Episode meines Privatlebens ihr ganz persönliches Mitbringsel: Die Einkaufsskizzen meiner Heiligen gehören der Vergangenheit an, ich verende nicht als „Homo ketten sägens„, und Mausii ist nunmehr für die Kaffeesahne verantwortlich. Danke Mausii! 39 SPONTAN __________________________ HILFLOS Was hatte das nun mit ‘ner Bockwurst und ‘ner Speisekarte zu tun? Ach ja richtig, unerwähnt blieb mein Drang zur Bockwurst! Die Schlemmertheke an unserer Ecke, avancierte kürzlich in meiner Lebensphilosophie zum Mittelpunkt meines Denken und Handelns. Sie fragen sich soeben zurecht: Will der uns veralbern? Dieser Schreiberling hat uns doch schon in seinen ersten Passagen mit seiner Freßsucht genötigt! Doch glauben Sie mir, Sie werden prompt verstehen, wie sehr ich gelitten habe. Mausi konnte nicht besonders gut köcheln. Burger Schon bei einem aufgewärmten veranstaltete sie einen Freudentanz, ob ihrer Einsatzbereitschaft für das tägliche Miteinander. Kein Indianerstamm hätte da mit ihr mithalten können. Meine Mausii hingegen besitzt ein begnadetes Verhältnis zum Kochgeschirr. Ihr Gaumenschmaus ist schlichtweg unerreicht. Allein wegen ihrem Talent am Herd muß man sie lieben! Nicht umsonst nennt man sie in Fachkreisen auch die 40 SPONTAN __________________________ HILFLOS Gulaschgöttin. Und mit bürgerlichen Namen begeistert sie ihre Mitmenschen immerhin noch mit Christiane Koch. Stark nich? Jedoch nutzen wir unsere Talente nicht gegenseitig aus. Weder ich, ihr Vermögen Speisen zu veredeln, noch sie, meine Gabe der Natur, ständig Hunger zu haben, und wie ein Mähdrescher alle Magenfreuden in Sekundenschnelle zu verdauen und erneut zu jammern. Resultat? Ein Mausii-Andreas-Agreement: Mindestens einmal die Woche gehen wir gemeinsam schön essen. Letztes Mal: Wir schleichen uns ins „Café Romanza„ - sie geduldig, ich ungeduldig. Der Ober empfiehlt uns einen Platz - besser den Platz. Trotz allem Gehabe seitens des Obers gab es von uns kein Trinkgeld im Vorhinein. Die Situation hatte irgendwie etwas von Louis de Funès’ „Brust oder Keule„. Die weißen Tischdeckchen mit den geschmacklosen Kunstblumen oben auf, die liebevoll versuchten den Rotweinfleck unseres Vorgängers zu vertuschen ... Sie erwiesen sich in aller Regel als ungeschicktes Tarnmanöver. Glücklicherweise haben wir mit unseren gemeinsamen Lenzen ganze 40 Jahre Erfahrung mit dem Mitropaambiente. 41 SPONTAN __________________________ HILFLOS Uns kann demzufolge nichts mehr anschocken. Kommen wir aber endlich zum Festessen: „Wder schn gtn Dch. Drfs sch ws s?„ Fragende Blicke. „Entweder habe ich noch die Wattebauschis meiner Karoderma in den Ohren, oder ich bin noch gar nicht von meinem Mittagsschlaf aufgewacht. Kneif mich mal, Mausii! Sprechen sie unsere Sprache?„ „Tut mir unendlich leid„, log unser brav angezogener Kellner, „aber ich muß glattweg vergessen haben, mich von meinem Extrasoftundzuckerfreiem zu trennen. Wunderschönen guten Tag. Darf’s schon etwas sein?„ „Bewundernswertes Hochdeutsch, wirklich„, erkannte Mausii. „War der Softe vielleicht ‘n Jeschenk der Person, die vor uns hier jeplätzelt hatte?„ „Ja, ganz netter Mensch. Der Herr Brause ist nämlich ...„ „Als zahnfreundliches Sorry für den Rotweinfleck auf unserer Tischdecke sicherlich?„ bohrte mein Häschen unnachgiebig immer weiter. (Meine in blau gekleidete Fee kann manchmal recht dickköpfig sein. Kleine Vorwarnung für mich und Sie und den Herrn im schwarzen Jackett.) 42 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Das kann doch wohl nicht wahrsss...„, verfranzte sich unser zappelnder Getränkeguru gerade noch rechtzeitig, „...ssscheinlich kann ich ihren Ärger besänftigen. Vielleicht ein gutes Schlückchen vom Hausgemachten? Fleckenintensives Sorry sozusagen.„ „Ja aber liebend gerne„, griff ich für Mausiis Geschmack etwas zu entgegenkommend und sowieso zu spät ein. Unser Pinguin hoppelte bereits schon leise und unauffällig von dannen. „Er hat zwar schon etwas deutlicher jesprochen, aber die Reste seines rosafarbenen Bubbels haben noch immer scheußliche Fäden in seinen Mundwinkeln hinterlassen. Wo bin ich denn hier?!„ erkundigte sich Mausii ohne Gnade. Eine halbe Stunde später: „Sag’ mal Schnuckel„, Mausiis Mund wurde währenddessen immer größer, „sind die zwei Hennen an unserem Nachbartisch nicht viel später jekommen als wir?„ „Ich glaube schon„, antwortete ich allumfassende Information vortäuschend. „Warum geht der dann an uns vorbei? Mit vollem Tablett! Zu denen!„ Mausiisis Blick gen Drinks spie Funken. „Tja, ich ...„ 43 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Äh ... Herr ... Ooober?!!!„ „Psch!„ Ich formte meine Lippen recht feucht über den zum Glück noch ungedeckten Tisch. „Na ist doch aber wahr„, mahnte mich Mausii. „Der will uns kirre machen„, flüsterte sie voller Überzeugung. „Sorry Mausii, aber dann wärst du mein erster Zuchterfolg.„ „Sorry Schatziii, aber Mann kann mich nicht zähmen.„ Gut, daß ich darauf keine Antwort wußte. Er trabte an. Mausii: „Für mich ‘n Kaffee und ‘n großen Salatteller. Für den Herrn ‘n Pils und frittierte Champis. Ihren Hausjemachten können sie sich in den Arsch schieben!„ Mausii erinnerte mich höllisch an meinen Kumpel mit dem Furz. „Sehr wohl die Dame.„ Er verzog keine Miene. „Den Kaffee schwarz, weiß, weiß mit Zucker oder ohne Zucker?„ Er sprach ohne Luft zu holen. „Weiß ohne!„ erwiderte Mausii mit kontrolliert geballten Fäusten unter dem Tisch. „Den Salatteller mit Joghurt- oder lieber mit Knoblauchdressing?„ 44 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Joghurtdr...„, sagte ich leise. „Demnach auch ohne Zwiebeln, die Dame?„ „Nischt da!„ blinzelte Mausii energisch zu mir hinüber. Und ergänzend: „Jemüse, Jemüsezwiebeln.„ „Schade, wirklich schade„, gab uns unser Kellner zu bedenken, „aber Gemüsezwiebeln nur am Montag. Jedoch die russischen Perlzwiebeln ...„, ihm entglitt seine Zunge auf eine abstoßende Art und Weise, „sind allaeaste Sahne. Wirklich!„ Mausii war verwirrt. Ich auch. Der Kellner ergriff daraufhin die Initiative, in Angst um Mausiis Antwort: „Der Herr das Pils kalt oder mundwarm?„ „Kalt.„ „Kalt„, erwiderte er meine fünfzigprozentige Zustimmung. „Alaska, Polar oder Berghütte?„ „Polar.„ „Kristallin oder lieber mehr Hagel?„ „Wenn sie nichts dagegen haben, würde ich mein Bier ganz gern trinken und nicht lutschen. Sollten sie das auch noch heute in die Reihe bekommen, wäre ich ihnen bis zum Tode ihrer Mutter zu größtem Dank verpflichtet.„ Meine Herren! 45 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Also Polar-warm ... Sagen se det doch gleich!„ Er ging unser Pinguin, langsamen Oberschrittes gen Theke und bonte ein. Über eine Distanz von vier grauhaarigen Gästen, fünf Tischen und sechs Raumteilern rief er ohne Blickkontakt besorgt: „Die frittierten Champis sind heute nur in Öl. Sind sie einverstanden, oder wollen sie die Dinger so?„ Das hält man ja im Kopf nicht aus, dachte ich bei mir. Mir springt gleich der Tiger aus dem Tank! „Lecken sie mich„, antwortete ich schließlich. Und zu meiner Fee: „Vielleicht fragt er uns auch noch, ob wir unser Essen selber zubereiten wollen oder ob es im Zweifelsfall auch der Italiener aus dem Lokal gegenüber erledigen dürfe.„ „Hör lieber auf zu unken„, sagte Mausii fast eingeschüchtert, „oder sind dir die Probleme einer Auswahl zwischen vierzig verschiedenen Sorten Hartweizengries so geläufig, daß du ihnen einfach trotzen könntest?„ Tja, Südhang oder mehr östlich, das war hier die Frage. Kein irdisches Geschöpf könnte Mausii hierbei das Wasser reichen. Sekunden später wurde ich von einem Berg an Realität 46 SPONTAN __________________________ HILFLOS wieder eingeholt. Und wörtlich: „WER hat uns diesen Laden bloß empfohlen?!„ Ich gab mir Mühe, das Atmen nicht zu vergessen: „T.Dew, wegen der Auswahl und so.„ „Hatte er dir auch Empfehlungen ob der tadellosen Behandlung der Gäste übermittelt?„ „Nein, es ist ... Vielleicht sollten wir die Abwesenheit unseres Herrn Ober als positives Zeichen deuten und die Flucht ergreifen?„ „Ein schüchterner Fingerzeig in Richtung Imbiß an unserer Ecke, wie?!„ „Ja?„ - Pause - „Die kennen mich aber besser als ihren Geldgeber. Gewissermaßen bin ich’s wohl auch. Ohne mich wären die sicher schon pleite.„ „Na dann mal flinke Socken!„ befahl mir Mausii in Manier eines Drillsergants. „Wenn die dich wirklich so jut kennen, können wir möglicherweise ‘nen winzijen Rabatt ‘rausschlagen. Das heißt, wenn sie dich so jut kennen wie ich dich kenne, werden sie uns den Rabatt sicher von janz alleine anbieten.„ „Kennst du eijentlich den Unterschied zwischen einem x-beliebigen Imbißstand und dem ‘Café-Romanza?’ „ fragte mich Mausii nach einen kurzen Durchatmen. „Entjejen jedem Fast-food47 SPONTAN __________________________ HILFLOS Anbieter„, fuhr sie weiter fort, „ist das nette Café so orijinell, daß unser Pinguin eh nur mit Langeweile hätte bestechen können.„ „Das wäre ihm sicher mißlungen.„ „Aber wie der unsere Bestellung hinausjezöjert hat ... Geradezu vorsätzlich! Wenigstens bei den Drinks hätte er ‘n paar Punkte jut machen müssen. Wenigstens ‘n kleinen erkennbaren Versuch ...„ „Korrekt„, sagte ich sicherheitshalber. „Und sowieso„, rebellierte Mausii weiter, „meiner Meinung nach, sollte man ‘ne solche Art des passiven Trinkens jesetzlich verbieten. Denk’ nur einmal an die janze Hysterie bei der AntiRaucherkampagne. Egal. Jedenfalls fühle ich ... in eben diesen Situationen ... nicht zu meisternden Ängsten, Depressionen ... Entzugserscheinungen ... ausjesetzt.„ „Sorry mein Engel, aber wenn ich mich recht erinnere, hatte ich das Bier und du den Kaffee. Fällt ein ‘Weiß-ohne’ auch unter deinen Kritikpunkt?„ „Ja. Aber jebe dir keine Mühe, mich ... verstehen. Und im Zweifelsfall ... du ... jewiß mit mir jetauscht ...?!„ Auweh! 48 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich hoffe es ist mir gelungen, Ihnen meine Beweggründe ein wenig näher zu bringen, weshalb ich eine Bockwurst einer Speisekarte vorziehe. Prüfen Sie jedoch zuvor die Suchtgefährdung Ihrer Begleiter, und meiden Sie kaugummikauende Ober. Alsdann: Guten Appetit! 49 SPONTAN __________________________ HILFLOS Frankstoß für Freifurt Was du morgen kannst besorgen, mußt du nicht schon heute tun ... Logisch. Alte überlieferte Weisheit all jener, die keine Zeit hatten, ihrer jedoch äußerst bedürftig waren. Und was macht man nicht alles von Zeit zu Zeit für ein bißchen der selben? Irgendwie muß sie halt beschafft werden, die Gute. Da hilft dann auch kein Betteln und kein Flehen, sondern nur ein knallhartes Planen der Heißbegehrten. Nehmen wir uns also einen beliebigen Wochentag - sagen wir Mittwoch - und eilen großen Schrittes gen Terminplaner. Bevor es jedoch glaubhaft erscheint, sich über einen Mangel an Zeit lautstark aufzuregen, benötigen wir einen triftigen Grund, allgemein vertretbar in einen Tobsuchtsanfall zu verfallen. Gut, daß wir heute rein zufällig Mittwoch haben. Unsere Fernsehzeitschrift schreit uns förmlich ins Gesicht: „Fußball - Alle Freunde des runden Leders sind herzlich willkommen, nein geradezu verpflichtet, an der Mattscheibe zu kleben. Fußball - Alles auf der Stelle fallen und liegen 50 SPONTAN __________________________ HILFLOS lassen. Fußball - Nach der Arbeit kommt ‘Hör’ auf!’, in der Werbung folgt ‘Hör’ weg!’ und zum Spiel sei lieb ‘Hör’ zu!’ „ Ich bin willkommen. Toll! Ich soll auf der Stelle alles fallen und liegen lassen. Toll! Ich bin dran mit Einkaufen, müßte irgendwie noch zwischendurch meine Brötchen verdienen gehen und habe zu guter Letzt einen akuten Mangel an Erdnüssen und Bier im Hause. Im übrigen, was sag’ ich Mausii? Meine angestrebten drei Pluspunkte mit meinen elf Freunden, ließen sich bei einer angemessenen Zeitverschiebung viel leichter erringen. Warum empfängt Frankfurt die Borussia nicht in L.A.? Die gute kabarettistische Einrichtung „Karton„ witzelte durch meinen Kopf. Die fleißigen Kartonisten regten an, daß man bei dem ganzen Durcheinander, welches heutzutage in der Fernsehwelt herrscht, darüber nachdenken müsse, den öffentlich/rechtlichen Fernsehanstalten ein wenig mehr unter die Arme zu greifen, als bisher. In einer einmaligen Form von Solidarität könnte die ARD das Übertragungsrecht der Fernsehuhr zeitversetzt zugebilligt bekommen. 51 SPONTAN __________________________ HILFLOS Das wär’s doch! Ich scheiß’ auf die Datenautobahn! Ich fordere, daß es täglich zweimal 20.15 Uhr wird! Suche ich nun nach einer zweiten genialen Idee oder finde ich mich damit ab, daß die ARD nicht bedacht worden ist, geschweige denn das Spiel heute abend überhaupt überträgt? Muß ich nicht zur Arbeit? Brauche ich womöglich Urlaub auf einer reifen Insel? Bin ich reif? Ich mußte diese Fragen klären. Ich entschloß mich dazu, den tieferen Sinn meiner Problemchen während meiner Arbeit und dem noch wichtigerem Einkauf fürs abendliche Hochgefühl zu erforschen. Ein frisch gebügeltes Taschentuch für die Tränen, die ich beim Grübeln noch literweise vergießen werde, ein weniger frisch gebügeltes Hemd, welchem ich an dieser Stelle noch keine nähere Bedeutung beimessen möchte und eine tadellos blankgeputzte Sonnenbrille, die meinen versäumten Schlaf tarnen müßte, begleiteten mich an diesem Wintermorgen in den Tag hinein. Am Arbeitsplatz angelangt: „Morgen.„ „Morgen.„ 52 SPONTAN __________________________ HILFLOS Und wiederum: „Morgen.„ Dieses Mal freilich schon mit wesentlich mehr Sehnsucht in Richtung Feierabend. „Morgen.„ „Wenn’s doch schon mal soweit wäre.„ „Ich sagte guten Morgen, Andreas.„ „Und wie ich gerade zu bedenken gab, morgen wäre mir lieber.„ „Morjen.„ „Morgen.„ „Wunderschönen Juten.„ „Ebenfalls.„ An meine ersten unterhaltsamen Gespräche, die nicht wie Mausi befürchtet hätte auf meine Sonnenbrille abzielten, schlossen sich ein harter Kampf mit der Arbeit und circa vier Tassen Kaffee an. Außerdem war die Kaffeesahne alle! Es ist 12.30 Uhr. Mittagspause. „Mahlzeit.„ „Mahlzeit.„ „Mahlzeit, Andreas.„ „Mahlzeit, Herr Zeitlos.„ „Na Andreas, sind die Knitterhemden wieder in Mode gekommen?„ Ich liebe meine weiblichen Kollegen. Wirklich! „Mahlzeit.„ „Mahlzeit.„ 53 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Mahlzeit mein Freund.„ „Wird ja auch mal Zeit.„ „Hat dir heute noch niemand Mahlzeit gesagt, Andreas?„ „Gewiß doch. Ich meine ja auch nur, Mahlzeit wird ja auch mal Zeit.„ „Dein Magen gähnt, wie?„ „Hmhm.„ „Na denn mal Mahlzeit, nich.„ „Mahlzzz...„ Ernstl, der unbescholtene Kollege, wollte gerade die Flucht ergreifen, als sich uns drei Hobbykarrieristen näherten: „Na Berufsgenossen, heute gut drauf wie? Heute auch Fußballabend? Wird garantiert spannender als ‘n Krimi.„ Ich liebe hochgeistige Unterhaltungen: „Seit wann interessiert ihr euch denn für Fußball?„ fragte ich gelangweilt. „Seit dem wir wissen, daß Frankfurt heute die Borussia schlägt.„ „Gesonderte Mahlzeit!!!„ Ernstl, der Tugendhafte war weg. Ich wollte ihm folgen. Aus dem Hintergrund leierte es: „Du weißt doch Alter, man muß immer auf’m neuesten Stand sein. Watt in is, darf man nich versäumen„, half ihm einer seiner Mitstreiter. 54 SPONTAN __________________________ HILFLOS Diese Affen, dachte ich bei mir. Der Lange hört schwer, sein hilfreicher Kumpel trägt zwei ausgeschlagene Flaschenböden als Spekuliereisen und der Dritte im Bunde ... „Es ist eben wichtig, im Trend zu liegen. Man will ja schließlich mitreden können. Sonst ist man schon morgens out. Mahlzeit!„ ... konnte widererwartend reden. Hätte er jedoch auch Trend und out schreiben können? Zumindest sollte er sich künftig in In/out-Manier kleiden und an zeitgemäßer Mode orientieren! Sandalen im Winter mit ohne Strümpfe, sind selbst mir eine Spur zu viel. Auf seine abartige Zusammenstellung am Büfett wider dem Geschmack der Kantinenfrau, der Spülmaschine und dem mitessenden Auge (Senfeier mit Grünkohl und Spätzle), traue ich mich somit auch nicht weiter einzugehen. So bewältigte ich mit mehr Ärger und Ekel als Essen im Bauch, meinen Arbeitstag fristgemäß und stolzierte zum Einkauf. „Bier und Nüsse. Bier und Nüsse.„, stammelte ich vor mir hin, um ja nichts zu vergessen. Auf der letzten Etappe dachte ich bei mir: Bloß nicht nach links oder rechts schauen, keine Gespräche mit meiner Nachbarin und schnell an die Fernbedienung! 55 SPONTAN __________________________ HILFLOS Es war 20.22 Uhr. Das Spiel Frankfurt gegen meine Borussia ist sicher schon in vollem Gange. Klick. „Abschließend möchte ich für all jene, die sich uns erst jetzt zuschalten konnten nochmals betonen, daß es uns ebenso wie dem Veranstalter wahnsinnig leid tut, daß das Spiel heute abend leider, leider, leider nicht ausgetragen werden kann. Die Rasenheizung der Frankfurter kühlt statt zu heizen. Kurzum, nach dem anhaltenden Schneefall der letzten Tage, könnte nur noch Katharina Witt im großen Rund überzeugen.„ „Ich erschieße mich gleich!„ fluchte ich ohne zu wissen, daß die Vorstellung noch nach ihrem Höhepunkt suchte und Mausii von meiner Passion gelangweilt neben mir schlummerte. „Ich höre gerade, daß mein Reporterkollege Werner Sonnig einen Gesprächspartner hat. Werner, können sie uns denn schon etwas Neues berichten?„ „Ja„, zitterte eine glühweingeprüfte Zunge von der anderen Seite des Stadions in die Kamera und befleckte die Mattscheibe, „Neues und Erfreuliches. Der Umweltbeauftragte der Frankfurter, Samuel Blümchen, hat sich vor wenigen Minuten mit dem überregionalen 56 SPONTAN __________________________ HILFLOS Energieversorgungsunternehmen ‘Pump-Rhein’ darauf geeinigt, dem Spiel die nötige Priorität beizumessen. ‘Pump-Rhein’ hat sich dazu bereit erklärt, die Flutlichtanlage des Waldstadions dreifach zu speisen. ‘Pump-Rhein’ verspricht sich von seiner spendablen Geste ein sekundenschnelles Abschmelzen des weißen Unheils. Edwin Sparsam, Pressesprecher von ‘Pump-Rhein’, ist sich dem Verständnis der Bevölkerung, ob eines zwischenzeitlichen Stromausfalls im Versorgungs-gebiet Hessen sicher. Er betonte ausdrücklich, daß der Ball auch in seinen Augen rund sei, und daß es immerhin um drei Punkte für den Gastgeber ginge. Weiterhin könne man ‘PumpMain’ zeigen, was eine Harke ist. Das war Ihr Werner Sonnig, Talkline, ‘Ein Sport besiegt die Welt’. Ich übergebe wieder an Hannes. Hannes, können sie mich hörrrsss...„ „Ja lieber Werner, die Flutlichtanlage startet gerade durch. Ich befürchte jedoch, daß unsere Leitung nicht mehr lange steheheh...„ STÖRUNG. Hoffentlich kann der werte Herr Sparsam seine Landsleute auch davon überzeugen, daß drei Punkte - egal ob für den Gastgeber oder den Gast - ein alternatives Weihnachtsfest mit sich 57 SPONTAN __________________________ HILFLOS bringen könnten. Das Fest im Freien zu verbringen, im Wald unter verschneiten Tannen, hätte nicht nur einen lobenswerten ökologischen Reiz, sondern wäre ganz einfach die unbeirrte Schlußfolgerung aus dem Chaos, welches er heraufbeschwört hat. Ohne Strom kann man auch beschaulich im Freien frieren. Wenn ich jedoch ehrlich sein darf, regt mich der Bild- und Tonausfall mehr auf, als Herr Sparsam mit seinen Wahnvorstellungen oder die traurige Tatsache, daß ich als Salzhasser gesalzene Nüsse gekauft habe. Das einzig Gute, was ich diesem beglückenden Abend abgewinnen kann ist, daß mir die geschulten Ausweichantworten aller Spieler und Trainer erspart bleiben dürften und daß Mausii warm ist wie ein Ofen. Wenn das Spiel tatsächlich ausgetragen werden sollte, die Frankfurter Bevölkerung wirklich so strapazierfähig ist, wie uns Herr Sonnig glauben machen will, der Umweltbeauftragte der gastgebenden Rasenkünstler, Blümchen, auch ohne Ausfall der Stromversorgung den Marsch der überzeugten Weihnachtsmänner ins Freie anführt, man daran denkt, daß Frankfurt in Deutschland liegt und diese ganze Szenerie ohne 58 SPONTAN __________________________ HILFLOS Krawall beendet werden sollte, würde ich mich dazu hinreißen lassen, alle Beteiligten ... Friedensnobelpreis ... Ach ja. Jetzt bin ich mit meinen Gedanken wieder bei Ihnen/auf dem Teppich. Ich bin weder Physiker noch Norweger und außerdem: Es gibt Fußballnationen, die disqualifizieren sich im nationalen Bereich ständig selber! Eine Preisverleihung wäre hier wohl fehl am Platze. Und Friedensnobelpreise in Form von Babytauben wären gewiß auch nur die halbe Miete. ... Jetzt muß ich aber Schluß machen. Mausii ist aufgewacht. 59 SPONTAN __________________________ HILFLOS Typisch! Irgend etwas fehlt mir. Ich hatte doch gerade noch so ein vertrautes Surren im Ohr. Wer oder was unterbindet hier mein Gefühl von Geborgenheit? „Schnuckel„, schallte es durch den Raum. „Schnuckelchen.„ „Was gibt es denn, meine Fee?„ „Schnuuuckel.„ „Hier mein Engel, im Foyer.„ „Bist du auf‘m Hof, oder hast du die Wohnung ausgebaut?„ „Wie sollte es mir deiner Meinung nach gelingen, eine Ein-Raum-Wohnung auszubauen?„ „Wer Foyer sagt und Kochnische meint, wird eben auf janz besonders dumme Art und Weise jefragt. Und wer nach dem zweiten Mal ‘Schnuckel’ einfach mal ins Bad jekommen wäre, könnte sich selbst noch bei deinem abjezockten Sexualleben die Augen verblitzen.„ Hm. „Ich war janz die Erna„, äh?, „Eva meine ich.„ 60 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Ich wollte meinen Lesern just in diesem Augenblick gestehen, daß ich durchaus schon das Vergnügen hatte, dich nackelich zu sehen, und deinen bezaubernden Körper zu streifen. Jetzt denken die bestimmt, ich wollte ihnen was vom Himmel des Jahrmarkts palavern. Wahrscheinlich tendiert ihr Gefühl in Sachen Verehrung für den Autor nunmehr nur noch gen maßloser Übertreibung und Protzerei.„ „Talent kann man nicht lernen, Talent hat man!„ „Aber ich ...„ „Du hast ja Talent, mein Gummibärchen. Ich hätte mich schon nach den ersten zwei Seiten verarscht jefühlt. Auf welcher Seite bist du denn jetzt?„ „Auf der Einundsechzigsten.„ „Warst du nicht schon auf Seite zweiundsiebzig ...?„ Frechheit! „Ich stelle eben sehr hohe Anforderungen an mich. - Ich hab’ sie wieder zerrissen.„ „... Die letzten Geschichten waren janz jut. Was hast du davor jesagt?„ Man muß auch mal verlieren können. Ich lerne es seit vielen Jahren. 61 SPONTAN __________________________ HILFLOS Das Surren Neben mir lag in Armreichweite ein archiviertes Modell südostasiatisch erprobter Tabakwaren. Ich steckte mir eine dieser glücklichen Glimmstengel ins Gesicht. Mein Blick streifte alle zwanzig Quadratmeter unseres regenfesten Appartements. Meine Ohren waren angelegt wie bei Gegenwind. Woher rührt dieses surrende Nerven? „Hast du dich eijentlich dazu entschlossen, die TAZ zu abonnieren? Du weißt, dies ist das Aushängeschild eines jeden jesunden Linken!„ „Bis dato habe ich nur schmarotzend mitgelesen. Ich bin noch nicht ausreichend gesund link, um sie auch zu bezahlen.„ „Ich glaub’, ich hab’ was an den Ohren!„ „Du bist doch sonst nicht so empfindlich, mein Engelchen.„ „Nein, nein, es surrt nur das Nerven. Nervt eben das Surren. Verstehst du?„ „Ich glaube fast, ich hab’ was an den Ohren. Machst du gerade die Wäsche?„ „Tust du es?„ 62 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Sag’ doch mal bitte.„ „Nein, diesmal wirst du dich an den Trog stellen!„ „Das wollte ich zwar nicht wissen, aber waren wir nicht im Besitz einer Vollautomatischen?„ „Auch das beste Jerät füllt sich nicht allein mit Waschmittel. Und Aufhängen mußte ich das Gespülte bis zum heutijen Tage auch noch immer ohne maschinelle Hilfe. Im Übrigen: Deine lumpigen weißen Socken, die jede Frau mit einem Krümelchen Geschmack nur hassen kann, sind zu jut für unsere Umweltfreundliche. In denen würde immer noch der Dreck vom ersten Tragen stecken, wenn ich nicht alle drei Tage zum Waschbrett gegriffen hätte. Diese scheußlichen Dinger hat jarantiert irgendwer aus der Waschmittelbranche erfunden. Und du bist auch noch so modebewußt und trägst das Zeug!„ Warum immer ich? Wie reagiert man in solch einer Situation als Durchschnittsmann? Ein Königreich für eine Verteidigungsstrategie oder Antwort! „Ist es unter Umständen vielleicht denkbar, daß uns dein krankhafter Hang zum schlechten 63 SPONTAN __________________________ HILFLOS amerikanischen Spielfilm dieses nervende Nerven ...„ „Unter welchen Umständen?„ fragte ich irritiert. „... beschert?„ „Surren, das surrende Nerven„, ergänzte ich noch verständnisvoll. Ich befürchte, daß ich Mausii für ihren Geschmack zu oft in zu kurzer Zeit im Redeschwall unterbrochen habe. Dennoch: „Und überhaupt: Kannst du bitte etwas deutlicher werden?! Wohin führt uns dein Tadeln konkret?„ „ZUM KÜHLSCHRANK!„ peitschte es aus Mausiis Mund. „Was hast du denn plötzlich gegen unseren Kühlschrank?„ „Mit diesem verkleideten Teil identifiziere ich mich um nichts auf der Welt!„ „Der ist doch schick, schön bunt meine ich. Komm’ Mausii, laß uns das Prachtstück gemeinsam betrachten.„ „Schick?! Bunt?! Dieses Etwas dahinten in der Ecke ist nur so übersät von anjetitschten Merkzetteln, Visitenkarten und Kneipenrechnungen, mit denen du von Zeit zu Zeit vor meiner besten Freundin prahlst, nur weil du 64 SPONTAN __________________________ HILFLOS darauf hoffst, sie würde mal mit dir um die Wette trinken. Schick?!„ „Ich registriere bei dir ein geringfügiges Interesse an Streit. Sex wäre aber viel harmonischer, so am Kühlschrank.„ „Du bist ja krank! Wenn du schon versuchst mit deinem Unterleib zu denken, dann sei dir gewiß, daß mir ein verkühlter Piller zweifelsohne keine Freude bereiten würde. Also: Zuerst einmal wird jestritten, das jehört sich so in einer juten Beziehung. Es ist eben eine Frage von Toleranz und Körperbeherrschung in einem Ritt. Zum zweiten möchte ich dich an unsere Hausordnung verweisen, nach der wir Harmonie in Großbuchstaben schreiben wollen. Also HARMONIE! Wenn du das jefressen hast, können wir uns selbst über Sex unterhalten, meinetwegen auch hinter dem Kühlschrank. Irjendwie mußt du dir dein Taschenjeld für diesen Monat ohnehin noch verdienen. Ich ...„ „Meine Armut kotzt mich an!„ „... weiß.„ „Du nutzt mich aus!„ jammerte ich. „Nun mal nich so weich! Noch nie was von Frauenpower jehört?„ 65 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Zwischen eben einmal gehört haben und plötzlich und unerwartet verspüren, liegen Welten. Wenn ich schon deinen Liebessklaven spielen muß, warum dann nicht auch mit surrendem Nebengeräusch? Andere Pärchen lauschen halt verträumt ‘Knuddel-Rock-VIII’.„ „Es sind deine Zettelchen an diesem verwahrlosten Kühldingens, die mich schwerhörig machen. Mach’ die Dinger ab, poliere die Tür, und dann darfst du mich mal jerne haben. Alles klar?„ „Wirklich?„ Oh Gott, bin ich von dieser Frau abhängig. Drei Stunden später: „Hast du jerade jehört? Eben hat so’n Dösel doch glattweg die Tusse von ‘Ihre Probleme sind auch die meinen. AnrufenAusweinen-Bezahlen’ volljequatscht. Die Radioshow für mißbrauchte Männer, weißt du?„ „Ach?„ sprach’s aus mir, voller Interesse für das, was Mausii wirklich sagen wollte. „Ja, der hat nur herumjeheult. Seine Frau würde seine Privatsphäre mutwillig zerstören, ihm seinen Kejelklub verbieten und ihn im Bett verwalten.„ „Gott segne die Harmonie„, bemerkte ich unkonzentriert. „Wie?!„ 66 SPONTAN __________________________ HILFLOS „HARMONIE, HARMONIE meine ich.„ „Jenau. HARMONIE in allen Lebenslagen. Das ist wie die Pille.„ „Könntest du mir, deinem Hausfreund, Kinderliebhaber und ab und zu auch mal deiner, erklären, was du gerade damit gemeint hast? Pille und HARMONIE ... Ich erwerbe gerade mein Abitur auf der Abendschule - gerade, momentan ... ich hab‘ es noch nicht!„ „Aberaberaber mein Liebesentwöhnter, wer wird denn gleich verzweifeln. Das ist doch ganz einfach. Paß’ mal auf: Die Pille wiegt uns Frauen in Sicherheit nur dann etwas Süßes zu bekommen, wenn wir es wirklich wollen. Das mit der Verträglichkeit jeht zwar hin und wieder daneben, aber wir entscheiden darüber, was wann, wo und vor allem wie - wenn überhaupt vonstatten jeht. Es liegt also auf der Hand, daß die Pille Harmonie, sorry HARMONIE ins Häusle bringt. Vorausjesetzt, man kann damit umjehen. Mann natürlich nicht, Frau meine ich. Alles verstanden?„ „Phuuu.„ „Gut, dann wollen wir die HARMONIE mal praktizieren, mein Wuschibär, mein guter.„ 67 SPONTAN __________________________ HILFLOS Vier Stunden später vor dem Spiegel mußte ich feststellen, daß mein Gesicht kein bißchen Glanz ausstrahlte. Meine Augenränder verkörperten den Charme einer durchgezechten Nacht. Ich war wohl nicht zum Spaß auf dieser Welt. Schlimmer noch: Ich erinnerte mich an den mißbrauchten Mann aus Mausiis Erzählungen und ertappte mich überdies bei dem Versuch, die Rufnummer in meinem Hinterkopf abzuspeichern. 68 SPONTAN __________________________ HILFLOS HARMONIE ? DIE SONNE BLITZT ÜBER DIE DÄCHER MENSCHEN WERDEN LANGSAM WACH. VÖGEL ZWITSCHERN LEISE IM PARK, UND DIE AUTOS MACHEN STETIG MEHR KRACH. EINE STADT ERWACHT ... WIND BLÄST DURCH DIE STRAßEN, DIE GESICHTER SIND GEZEICHNET VOM TAG ... DIE FAMILIEN FINDEN KAUM NOCH ZUEINANDER, HÖCHSTENS ABENDS VORM FERNSEHAPPARAT! EINE STADT ERLAHMT ... 69 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ziellos „Emigrieren darf man nicht, sonst war der Protest nicht ernst gemeint!„ (geklaut von Eugen Drewermann) Ich benutze dieses Zitat nicht dazu, um Ihnen das Unheil der Solidar-Anmache aller Wahl-Zyniker und Amok-Parlamentarier zu versüßen, wenngleich Herr Drewermann gewiß auch auf eine andere Epoche abzielte. Unser Drama auf Raten durchleben wir eh ohne VIPTips! Ich verschwende mich auch nicht auf einen bestimmten Lebensabschnitt von mir, in dem man mich gerne rote Fähnchen winkend in einer Lehmhütte gesehen hätte. Wer sich zur Schau zu weit aus dem Fenster hinauslehnt, fällt heraus. Wer dies nicht tut, fällt durch! Alles wird besser, aber nichts wird gut! Dieser Zustand wird auch nicht durch die gemeinsame Liebe aller UNO-Mütter gelindert, jedoch charakterisiert er sehr eindrucksvoll meine momentane Verfassung. 70 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich bin Wahlköpenicker und Glaser a.D. Mein Karten sind somit nicht gerade vom Propheten persönlich gemischt. Aber beginnen wir belanglos: Wolle, mein zweitbester Kumpel Olle Olé und T.Dew standen vom Zeitgeist inspiriert vor meiner Wohnungstür und hämmerten an die selbe. „Hallo Freunde!„ bekundete ich beim Öffnen der Tür. „Hallo Ilja!„ schoß es mir entgegen. (Ich träumte lange Jahre von einer derart applaudierenden Begrüßung beim Betreten einer Diskothek. Leider blieb mir dieses Erlebnis bis zum heutigen Tage versagt.) „Folgst du der hochgeistigen Aufforderung von T.Dew, uns ins nächstbeste Musikcafé zu begleiten? Läßt du uns herein? Gibst du uns ‘n paar Bier? Mußt du noch duschen? Können wir jetzt gehen?„ „Immer sachte Leute.„ „Willst du dich erst einmal ausschlafen?„ fragte mich Wolle, nachdem er zwischenzeitlich kurz Luft geholt hatte. „Ist schon o.K. Ich muß nur noch einmal schnell zur Bank.„ „Dann schlage ich vor, daß wir deine Beine in die Hand nehmen und abhauen. Die Banken behalten sich nämlich vor, ihre Arbeit an Automaten zu deligieren. 71 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Und ‘ne unbelastete Plastik ... „, witzelte T.Dew nach Wolles informativen Statement verletzend und ohne gefragt zu werden. In der Bank: „Ich hasse Formulare! Diese Dinger ausfüllen zu müssen, ist wie die freiwillige Verpflichtung zur Teilnahme an einem Wettbewerb im Unterwasserhäkeln im Freibad. Jeder schaut dir auf die Finger und hofft darauf, daß du dich möglichst blöd anstellst. Mir treiben solche Situationen immer den kalten Schweiß auf die Stirne.„ Das Fraulein hinter dem Schalter schaute auf: „Und ich hasse es, wegen Leuten wie ihnen länger arbeiten zu müssen. Hätten sie also die Güte ihren Finger aus dem Allerwertesten zu ziehen?! Ansonsten mache ich die Kasse zu und genieße meinen wohlverdienten Feierabend.„ Ihre Augen vereinten Abscheu gegenüber ihrer Arbeit und Zuneigung zu Kampfhunden. „Na denn: Name, Datum, Unterschrift, Kreditinsti...„ „Steht schon da!„ half mir Olle Olé für meinen Geschmack zu spät und zu laut. „...tut und Mark in Worten.„ Die Kassiererin tippelte mit ihren Fingern nervös auf ihrem Schreibpult die Melodie eines 72 SPONTAN __________________________ HILFLOS tumorfördernden Technosounds. Ich hatte den Eindruck, ihre Finger wären mit kleinen Federn versehen. - Einen dermaßen schnellen Rhythmus beherrscht nicht einmal Angus Young. Und der ist wahrhaftig fix! Wolle und Olle Olé schwitzten schon genauso stark wie ich. T.Dew stellte sich neben mich und mahnte: „Zweihundert-und-fünfzig!„ „Zwei-hun-dert-fünf-zig„, stammelte und schrieb ich zugleich. „Ich bin bereits sehr ungehalten!„ jammerte die Kassiererin und ließ etwas leiser die Säbel rasseln. „Ich auch!„ drohte mir eine im Drohen augenscheinlich noch unerfahrene Reinigungskraft. Was das ‘und’ angeht muß ich gestehen, daß ich es einfach ignoriert habe. Der Platz hätte dafür eh nicht ausgereicht. Und ob es nun korrekt gewesen wäre, wußte im Saale auch keiner so richtig. „Und?„ bohrte die Kassiererin ungebeten nach. „Wollen sie nun ihr Geld oder lieber ‘n Deutschkurs?„ „Lieber das Geld ...„ „Hier!„ 73 SPONTAN __________________________ HILFLOS „... Den Deutschkurs hole ick mir bei ‘ner Dame anderen Schlages!„ Ohne lange zu betteln, gelangen wir ins „bullshit„ (nächstbeste Musikcafé) - Vorbei an der Garderobe, entlang in einem nach Klostein schnuppernden Flur gen Theke: „Melde gehorsamst, Herr Barkeeper, viermal akuten Alkoholmangel. Bitten um sofortige Abhilfe. Wenn es sein muß, auch gegen Barzahlung„, forderte T.Dew, in einem für ihn äußerst untypisch, hochdeutsch ausgefeilten Slang, unser Bedürfnis ein. „Mit oder ohne Ohrfeige?„ fragte uns das aufgeblasene Monster hinter der Theke, ohne dabei den kleinen, zarten Bubikopf der grazilen Schönheit aus den Augen zu verlieren, welche mit einem einzigen Wimpernschlag selbst den Tresen hätte zum Schmelzen bringen können. „Die macht das beruflich„, stieß es aus Olle Olé heraus. „Die ist einfach nur zu gut„, stöhnte Wolle leise. „Kein Nasenring!„ stellte T.Dew geradlinig fest. „In jedem Fall hat sie bei der Verteilung von weiblichem Antlitz gleich dreimal ‘Hier!’ 74 SPONTAN __________________________ HILFLOS geschrien„, gab ich noch voller Überzeugung zu bedenken. Es stand außer Frage, unsere Pikdame konnte unmöglich unser Geschwafel überhört haben. Ein geübt anmutendes Lächeln sprang uns kalt entgegen, und wir standen wie zur Vergatterung bereit und machten Männchen. „Wollt ihr nun die Drinks oder lieber ein Nacktfoto von der Kleinen, ihr Pappnasen?„ forschte uns das Monster mit unappetitlich weit aufgerissenen Mund an und aus, so daß man unfreiwillig seine letzte Mahlzeit am Geruch ausmachen konnte. Mit abgewandter Nase und einem kurzen Blick gen vierfacher Selbstverteidigung, schrubbte ihn T.Dew herunter: „Wir haben das Problem für deine Lösung!„ begann er fürsorglich. „Du hast genau drei Sekunden Zeit, um deinen Arsch noch kurzfristig aus der Schlinge zu ziehen, du Mixtur aus einem mißlungenen Wiederbelebungsversuch und zwanzig Kilo Fett! Entweder du läßt jetzt in Windeseile vier Kirsch-Wodka-Tonic herüberwachsen, oder wir binden dich mit einer Hälfte deiner Gesichtslähmung an den Turbo-Baß. Wir verpassen dir auch gerne die Handschrift einer 75 SPONTAN __________________________ HILFLOS Aushilfsautopsie? Oder hast du Bock auf `ne dritte Alternative?„ „Sorry, ihr Oldies„, nahm der schwarze Bubikopf dem Monster die Chance, unmittelbar zu reagieren, „aber Schönheit geht nun einmal vor Alter. Auch in diesem Laden hier!„ Die Kollegin des Monsters - eine Kreuzung zwischen Sonnenstudio und Lippenstift - war fashionable hörig und servierte unserer Wohlgestalt zwei Glas Sekt. Erst danach schickte sie uns vier Gläser ohne Luft in Westernmanier über den Tresen. Frauen haben entgegen den Lügen nicht nur die längeren und schöneren Beine, nein, sie haben auch den längeren Arm. Als angehender Mann kann man selbst in vorderster Reihe verdursten, wenn Wimpernschlag und betörender Duft, BWLStudenten oder andere angehende Akrobaten auf 630,- DM-Basis einweben. Die Lösung dieses in Untergangsstimmung gestarteten Abends, stand unverblümt auf meinem Bierdeckel gepinselt. Es war die Adresse der Dame, welche täglich für fünf Mark ihren Teint aufpoliert, ohne Puder oder Creme zu benutzen. Die Holde blinzelte mir auch noch ganz unmißverständlich zu, so daß ich mir sicher sein 76 SPONTAN __________________________ HILFLOS konnte, daß sie wirklich mich meinte und nicht Wolle oder so. Und mit Stolz möchte ich noch hinzufügen, daß ich ihre Adresse an diesem Abend nicht mehr aufgesucht habe. Hinter dem Tresen war es viel aufschlußreicher! Am nächsten Tag war ich jedoch noch vor der Tagesschau schnell bei ihr. Auf ihrem Namensschild an ihrer Wohnungstür stand Julia Tannenzweig. Als ich ihre Wohnung am nächsten Morgen wieder verlassen habe, konnte ich deutlich Mausiii lesen. 77 SPONTAN __________________________ HILFLOS Mausii gegen Mausiii Wenn sich zwei Frauen streiten, freut sich der Dritte. Aber glauben Sie mir, liebe Leser, das kann dauern. Zusammen geht es sich doch besser ein Bitte kommen Sie jetzt nicht in die Versuchung, „Mausii gegen Mausiii„ in diesen Titel zu leiden. Es würde zwar ganz nett passen, jedoch hat meine Definition des tragischen Superlativs einen wesentlich wohlgezielteren Namen: Das A-Amt. Schon eine kurze Begegnung mit einem solch regungslosen Organismus, läßt einen die eisige Kälte aller Polarstürme gemeinsam erfahren. Mein potentieller Gegner saß in aller Regel hinter einem Schreibtisch. Nur in Ausnahmefällen bequemte er sich dazu, mir die Tür zu öffnen, oder sich bei der Begrüßung zu erheben. Sofort war jedwede Möglichkeit von 78 SPONTAN __________________________ HILFLOS Sympathie schneller eingefroren, als ich auftauen konnte. Mein Gegenüber verkaufte sich als idealer Herzspender. - Sein Kardia war derart unbenutzt, geradezu jungfräulich! Ich kannte bereits seine Ausreden und hatte sie mehrfach unter Schmerzen entlarvt. Er war nie dafür zuständig! Es tat ihm immer aufrichtig leid, aber heute nicht mehr. Ich hätte schon wissen müssen, daß ... Sein Telefonhörer hatte nur aus Versehen keinen Kontakt mit dem Sockel. Er hatte da eben seine Regeln, fern der Realität aber geregelt. Wir konnten nie abschließend klären, ob er nun für mich oder ich für ihn den Arbeitsplatz beschaffen/sichern solle. Ich mußte erkennen: Nicht mein Problem ist berücksichtigt worden, auch nicht mein wohlerzogenes Auftreten. Viel mehr war es eine Fußnote, mitunter in den Socken, ein weniger wichtiges Telefonat, der kalt gewordene Kaffee auf einem behäbig geschwungenem Holzmöbel, die Statistik der Gescheiterten, die Ängste vor meinen Sorgen, eine Frist von sechs Wochen, die momentanen Umstände, mein Pulli aus der Krabbelkiste oder gar das Deodorant meines Vorgängers aus irgendeinem Billigdrugstore, das 79 SPONTAN __________________________ HILFLOS Lispeln der Kantinenfrau, sein Schwitzen und seine nach innen abgetretenen Absätze, meine Haarpracht, das fehlende Kind, der fehlende Ehepartner, die potentielle Ehefrau ... Soll ich weiter aus dem Nähkästchen plaudern? War ich jetzt zu ernst für dieses Buch? Unterhaltung kann eben nicht immer komisch sein. Es tut mir aufrichtig leid, aber Sie müssen schon verstehen, dafür war ich nicht zustä... 80 SPONTAN __________________________ HILFLOS Kochlöffel gegen Lippenstift Es läutet: „Gong.„ Es tönt bei mir nämlich nicht Ging-Gong, sondern nur Gong. Das kommt von dem Saft, der zwar in den Hausflur, nicht aber bis in die zweite Etage gelangt, sagt mein Nachbar, seines Zeichens Elektronikdingens oder so. Also Gong. „Guten Tag„, mäht eine äußerst präzise Aussprache meinen Flurteppich, so daß seine Flocken durch das Schlüsselloch meiner geschlossenen Wohnzimmertür wirbeln. Eine nicht ganz alltägliche Situation, jedoch steht Mausiii in der Tür, und sie hat Übung im Umgang mit durstigen Mäulern. „Mein Name ist Christiane Koch.„ Ich zuckte zusammen und bekam schweißnasse Hände und unkontrolliertes Achselzucken. - Akutes Sprechversagen kündigte sich an. - Mausii! ... Und Mausiii wußte nicht einmal etwas von ihrem Glück. „Sie sind also das braunjebrannte Kunstobjekt, welches den kurzsichtijen Männern die Kohlen aus den Taschen leiert und dafür ‘nen 81 SPONTAN __________________________ HILFLOS Drink spendiert?! Mußte es denn unbedingt auch mein Dummerle sein, sie herzloses Scheißstück sie?„ „Ich empfinde nur Mitleid für sie„, erwiderte Mausiii abgeklärt. „Es ist besser, du machst gleich wieder kehrt, Schnegge„, fügte sie noch etwas persönlicher hinzu. „WO IST ER?!„ „In Sicherheit!„ „Demzufolge ist er also nicht bei ihnen!„ stellte Mausii mit pubertärem Selbstbewußtsein fest. „Oh doch. Er hat seine Strampelhöschen an, ‘n dickes Bussi bekommen und schläft zufrieden. Solltest du ihn jedoch durch deine anwachsende Hysterie wecken, bekommt er Schreikrämpfe, und ich werd‘ zum Tier!„ „Als er noch bei mir war, hatte er jedenfalls nichts mit einem Baby gemein, auch wenn seine Liebesbedürftigkeit die eines kleinen Stramplers um ein Vielfaches übertraf. Und deswejen werde ich ihn jetzt zur Rede stellen, unseren Dreijährigen.„ „Du willst es wohl nicht verstehen, Schnegge.„ „Nenn’ mich nicht Schnegge!„ 82 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Du bist doch ‘n Weichtier.„ „Über dem Bauchnabel ja und jerne und mehr als Sie„, verteidigte sich Mausii tapfer. „Fragt sich nur, ob du mit sechzig immer noch stolz ... „ Wer entschärft mir diese Stammtischposse? „Also, ...„, wollte Mausii etwas sanfter einleiten. „Also gut„, vervollständigte Mausiii mit hellseherischer Eingabe. „Bekomm’ ick ihn nu zu sehen oder nich?!„ schrie Mausii diesmal das Treppenhaus zusammen. „Ich kann nur hoffen, daß sich deine Aussprache nicht negativ auf die Entwicklung der Rechtschreibung meines Göttlichen auswirkt„, gab Mausiii unter einem vorgespielten Anfall von Verstörtheit und Angst zu verstehen, wendete sich kurz ab, griff hinter sich und hob das Knäuel aus der weichen Matte, welches die Freundin vom Elektronikdingens, also meinem Nachbar, also meine Nachbarin, uns circa vor einer Viertelstunde unter Trauer ihrer mütterlichen Pflichten übergeben hat, weil sie auch einmal tanzen gehen will und ihr Freund gerade auf 83 SPONTAN __________________________ HILFLOS Montage ist. Sie hielt Mausii den süßen Strolch unter die Augen und fragte: „Erkennst du ihn wieder?„ Mausii wußte wohl nicht mehr was sie sagen sollte, jedenfalls war es totenstill. Und die Flocken von meinem Flurteppich unterbrachen ihren Schauer unter dem Schlüsselloch meiner Wohnzimmertür. Es vergingen gut zwei Minuten des Schweigens, und dann konnte ich das leise Schließen der Wohnungstür vernehmen. Entgegen meiner Vermutung, gab es keinen Satz von Mausiii über Mausii. Abends im Bett fragte ich sie: „Wie hast du es geschafft?„ Mausiii antwortete trocken: „Sie hat den Kleenen anjeglotzt und dann stille vor sich hinjeflennt. Jut Nacht Alta.„ Langsam kroch in mir der unheimliche Gedanke hoch, daß es mir eigentlich scheißegal sein könnte, ob mir Mausii oder Mausiii die Rechtschreibung versaut. Letztlich hätten es wohl beide geschafft. Dennoch brachte mich Mausiiis kalte Abgeklärtheit an den Rand der Tränen. Welch Wärme brachte mir da doch Mausii entgegen ... 84 SPONTAN __________________________ HILFLOS Stiefmütterchen und Tränen Aller Anfang ist schwer. Was aber ist ein Anfang gegenüber einem Neuanfang mit Mausii(ii)? Ich wollte einen Plan entwerfen, so mit richtig Präzision, Bleistift und Lineal und so. Sie wissen schon. Leider fand ich für jeden Ansatz von mir auch schon die passende Antwort, die mir Mausiiii entgegenschmettern würde. Würde sie mir überhaupt zuhören? Ich ging in einen Blumenladen - richtig abgedroschen - und kaufte Stiefmütterchen. Sie sind die Lieblingsblumen von Mausiiii hoffentlich nicht abgedroschen. Ich bahnte mir den Weg durch die immer voller werdenden Bürgersteige und rauchte Ein, Zwei, Sieben. An ihrer Wohnung angelangt, schob ich mir zwei Minz in den Rachen. Sie schmeckten grauenvoll. „Ging.„ „ ... „ „ ... „ „Es wäre eijentlich deine Aufgabe, die Stille zwischen uns beiden zu unterbrechen, ...„ 85 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Deine Klingel ist kaputt. Sie macht nur ‘Ging’. Wir haben doch noch etwas Gemeinsames. Meine macht nur ...„ „... aber ein Jespräch käme mir jetzt eh unjelejen. Achim, der Neue vom Fleischstand ist bei mir, und ich wollte ihn jerade vernaschen. Wiedersehen.„ „... Gong.„ Konnte ich die Tatsache, daß sie Wiedersehen und nicht Tschüs gesagt hatte, wörtlich nehmen? Meine Wenigkeit mußte es wohl. Ich stellte ihr die Stiefmütterchen auf die Fußmatte, genau auf den Kußmund von Schweinchen Dick und verabschiedete mich vor der bereits wieder geschlossenen Tür gesenkten Hauptes. Christiane Koch ist eine starke Frau, stärker als ich es ihr je zugetraut hatte. Die Süße vom Gemüsestand hat es faustdick hinter den Ohren. Nicht daß ich geglaubt hätte, sie würde sich vor der Welt verstecken ... Nein. Ihr selbstbewußtes Auftreten war mir bekannt, und ich liebte es. Auch daß sie mich nicht gleich wieder in die Arme geschlossen hatte, so mit `nem dicken Schmatzer und „Ich bin ja auch schuld.„, unterstreicht nur ihre Klasse. Aber daß sie ihren neuen Fleischer-Achim gleich 86 SPONTAN __________________________ HILFLOS verspachteln wollte, ohne sich damit auch nur ein Stück anders animalisch zu gebaren, wie ich es tat, hat mich förmlich niedergewalzt. Ich schwebte dem Entree entgegen und fand den Ausgang. Mir ging die schöne Zeit mit Christiane durch den Kopf, ihre Kochkunst und zahlreiche Würstchenstände. Ich mußte etwas essen, das stand fest. „Na Andreas, Hunger oder Kummer. Du siehst ja aus wie ‘ne Leiche.„ „Ach Schenki„, sagte ich zu meinem spendablen Stammwürstchenbudenbetreiber, „beides. Und ich fühle mich auch so.„ „Tja Alter, Glück ist eben Frauensache. Unser Glück liegt im Verlust.„ „Das meinst du hoffentlich nicht ernst, Schenki!„ „Antworte nie, wenn du dir nicht sicher bist!„ hielt mir Lutze Schenk entgegen und machte mich nachdenklich. Ich aß zwei Kräuterschlangen, trank eine Cola-Zitrone-Eis und ging ohne ein weiteres Wort. Auf dem Heimweg kam ich unweigerlich an Christianes Wohnung vorbei. Ob die Stiefmütterchen noch im Hausflur dursten? 87 SPONTAN __________________________ HILFLOS Zwei schnelle Schritte über die drei Stockwerke, und husch war ich da. Na bitte, hat mein Mausiiiischwänzchen also doch noch ein warmes Herz. Die Blümchen standen jedenfalls nicht mehr im Gesicht von Schweinchen Dick. Ich wollte gerade den Deckel vom Müllschlucker hochheben, als sich plötzlich die Wohnungstür öffnete. Drei Zentner Lebendgewicht schwankten durch den Türrahmen. Klar, mit Christianes Geschmacksverfehlung konnte und wollte ich mich nicht messen. Und ob ich Mausiiii damit beeindruckt hätte, bliebe auch sehr zweifelhaft. „Sorry Achim, aber mehr als Kaffeetrinken ist nich!„ Achim erwiderte kein Wort. Bleibt mir also doch noch Hoffnung? Der Tag konnte jedenfalls ohne mich beginnen. Ich verließ ihr Haus und tappte durch die Nacht. Ich konnte wieder tief durchatmen und genoß die frische Luft, die einen Regenschauer ankündigte. Eine Verjüngungskur mit leichten Schmerzen - Spannung und Niederlage reichten sich die Hand. Mit schweren Beinen schleppte ich mich schließlich durch den Regen. Ich war müde. 88 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der liebe Gott in der S-Bahn Allmorgentlich beschreite ich mit halboffenen Augen und drei bis vier Löffeln Müsli im Bauch, meinen Weg in den Dienst meines Chefs. Auf halber Strecke stolpere ich die Bahnhofstreppe hinauf, drängele mich an den Wohlbeleibten auf einen günstigen Platz am Bahnsteig vorbei und hoffe auf den glückseligen Moment, daß sich eine Tür meines Zuges unmittelbar vor mir zum Halt bequemt. Aber Fortuna läßt sich nicht überlisten. Leider! Somit begeistern mich die naheliegenden Türen jeweils drei Meter links und rechts entfernt von mir. Wer aussteigen will muß sich beeilen. Wer einsteigen will, gibt sich Mühe noch schneller zu sein. - Morgens bin ich langsam. Welch Wunder, daß ich im Schnitt zwei, drei Stationen ausharren muß, bevor ich meinen schlaffen Körper auf einer Sitzbank niederlassen darf. Glaubt der Unbedarfte noch an einen prüfenden Blick gen lediger Blondine oder schattigen Platz mit Aussicht, kann er hier und jetzt dazulernen. 89 SPONTAN __________________________ HILFLOS Gar niemand interessiert sich am frühen Morgen für diese Nebensächlichkeiten! Entscheidend sind einzig und allein zwei möglichst ausgestreckte Beine, keine Morgenzeitung vom wissenshungrigen Nachbarn um die Nase gewedelt zu bekommen, dem versagendem Deo anderer standzuhalten, und vor allem die Augen zu schließen. Wenn man nunmehr nicht unverhofft von einem Bekannten, Kollegen oder seiner Ex-Partnerin erkannt wird, kann man ungestört seine Stationen abschlafen. Am heutigen Morgen mußte ich im Stehen schlafen. Es war kein wonniges Gefühl, den Türgriff einer S-Bahn aus den Vorkriegsjahren im Rücken zu spüren. Der riesige Hund einer älteren Dame - in Berlin steht man nicht darauf, für Bedürftige aufzustehen - wackelte unaufhörlich mit seiner Mähne und gab mir den Rest. Da helfen nur Walkman oder offene Augen. Jedoch hätten meine Kopfhörer dem Sound der anderen Musikfreaks nicht standgehalten. Daß offene Augen sehr viel mehr vermitteln können, als Licht und Schatten, sollte ich spätestens an diesem Morgen erfahren. 90 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich ließ meinen Blick schweifen. Ich fing ganz hinten im Zugabteil an, da, wo Sonntagnachmittag immer unzählige Fahrräder ineinander verkeilt sind. Als erstes sah ich die Konturen eines Stadtstreichers, der sein Nachtquartier noch ein wenig auszureizen versuchte. Sein Umriß war auch mit halboffenem Augenlicht gut auszumachen, denn die Sitzplätze um ihn herum waren leer. Er kauerte entgegen der Fahrtrichtung und besetzte eine graffitiunterversorgte Bankreihe. Seine Schuhe standen beinahe ordentlich unter der Sitzbank, gleich neben einer großen Plastiktüte aus der einige leere Flaschen und ein Strauß Löwenzahn lugte. Er war gekämmt und unrasiert. Die ihm nahesitzenden Fahrgäste starrten ihn an, so als ob er sie gerade der Reihe nach angepißt hätte. Ob sie ihm wohl ihr Bad anbieten würden? Mein Sehvermögen wanderte weiter. Da war er, der Mitmensch mit der übergroßen Morgenzeitung. In ihrer Schlagzeile konnte man den hilflosen Versuch der BVG ausmachen, für ihre erneute Tariferhöhung zu werben. Die Gestalt kannte anscheinend nur sich und seine Morgenzeitung, so wie in Udo Lindenbergs „Sie 91 SPONTAN __________________________ HILFLOS ist 40„. Und so konnte er weder seinen Nebenmann ausmachen, der parasitär mit las, geschweige denn die junge Frau ihm gegenüber. Diese versuchte schon seit wenigstens fünf Minuten einen ihrer Schuhe, den sie wohl beim gähnenden Ausstrecken ihres zierlichen Körpers abgestreift hatte, beharrlich und rücksichtsvoll hinter seinen Füßen Größe 46 ½ hervorzuziehen. Sie war rot im Gesicht. Offensichtlich empfand sie Unbehagen in dieser Situation die verfänglich wirkte. Die roten Wangen standen ihr. Unweit dieser Szenerie begeisterten farbenprächtige Kleider meine Augen. Eine junge Sinti-Familie. In meinen Augen eine moderne Form von Leben leben. Dauerrcamper sind auch nicht besser! Der kleinste Sproß begeisterte die nächsten zwei Bankreihen mit seinem unbekümmerten Lächeln. Sie waren zu sechst und besetzten vier Plätze. Das gefiel nicht allen. An der folgenden Station stiegen zwei Punks ein. Nach längerer Betrachtung konnte man unter ihrer munteren Verkleidung ein Pärchen ausmachen. Der Junge hatte eine Selbstgedrehte hinter seinem rechten Ohr. - Sie konnte nicht herunterfallen, sein Ohrschmuck hielt sie fest an der Schläfe. Das Mädchen schnipste mit dem 92 SPONTAN __________________________ HILFLOS Zeigefinger die Glut von ihrer Kippe ab. Sie rauchten nicht im Zug. Um sie herum war man enttäuscht. Die Bahn verringerte die Geschwindigkeit. Alexanderplatz, ich mußte aussteigen. Ich ging langsam zur Tür und betrachtete die Werbeanzeigen auf den Oberlichtern: Versicherungen, Tierschutzverbände, Umschulungsangebote, Freizeitparks ... eine Kirchenwerbung: „Ich bin der Gott der Randalierer, Skinheads, Penner, Punks, Junkies, Nutten und Terroristen.„ Würden die Bedürftigen wissen, daß Gott nur Teil einer Werbeanzeige ist, die man schnell übersehen kann, die nicht spricht und erst recht nicht zuhört, würden sie ihm jemals Glauben schenken können, ihm vertrauen? Oder würden sie ihren letzten Glauben verlieren? Denn der Gott der Nächstenliebe war nicht in dieser SBahn, das habe ich heute morgen entdecken müssen. Aber einmal wird der Tag kommen, und es wird Montag sein. 93 SPONTAN __________________________ HILFLOS LEERE LEERE ... LEERE TASCHEN, LEERE GEFÜHLE, LEERE GEDANKEN, QUÄLENDE PHANTASIEN ... MITTERNACHTSNAIVITÄT, REICHLICH FEHLER, DREI JAHRE ALPTRAUM ... WOHIN? LEBEN AUS DEM VOLLEN, NUR MIT KINOPERSPEKTIVEN? 94 SPONTAN __________________________ HILFLOS Es entschuldigt nur der persönliche Tod Eine Geste, die bereits mein Mathematiklehrer von mir eingelöst sehen wollte. Aber er hatte keinen Erfolg. Heute abend gab es für mich allerdings keine Entschuldigung, nicht einmal diese! Es mußte mir unbedingt gelingen, Mausiiii davon zu überzeugen, daß ich ihren neuen Stiefmütterchentopf täglich gießen müsse, daß es dafür keinen besseren gibt, und daß ich ein Arschloch war. War! Also Flucht nach vorn. Ich stellte mich in die Küche und zauberte. Nebenbei hörte ich interessiert den Nachrichten zu: „Heute nacht nahm die berauschende Geburtstagsfeier von Otto Ohnesorge ein bedauerliches Ende. Das 115jährige Geburtstagskind starb auf der Heimfahrt in einem Taxi, welches einen Hydranten rammte. Auf seinem Schoß lag das Szenemagazin ‘Trip’. In seiner Headline stand: Keine Panik ohne mich. Seine 91 Jahre jüngere Frau äußerte unter Tränen, daß sein Leben erst mit dem 114. Geburtstag lebenswert wurde. Sein Lebenslauf glich dem 95 SPONTAN __________________________ HILFLOS Spannungsverlauf einer Zahnpastatube - Erst nichts und dann alles.„ Er war also entschuldigt, dachte ich bei mir. Dennoch mußte ich nun zum wesentlichen Teil des Abends übergehen. Ich schnappte mir einen Schluck guter Laune und ging zur Telefonzelle. Mein Heimanschluß war derzeit unterfinanziert. Bedauerlicherweise war das Telefonhäuschen unbesetzt, keiner stand an, und es war auch nicht defekt. Also keine Ausreden! „Vier-fünf, sechs-drei, sieben-sieben-s...„, stammelte ich unter hektischer Atmung. Es klingelte, einmal, zweimal, dreim... „Ja bitte? Hier ist Koch. Mit wem spreche ich?„ „Hallo Christiane. Ich wollte mich mit dir über die Pflege deines neuen Stiefmütterchentopfes unterhalten. Darf ich dich zu diesem Zwecke in mein holdes Heim zum Abendessen einladen? Ich habe selber geko...„ „Sorry, ich muß mich derzeit von meinem Anrufbeantworter vertreten lassen. Wenn sie Spaß verstehen, hinterlassen sie bitte ihren Namen und ihre Rufnummer. Ich melde mich umjehend zurück. Und danke fürs Anbimmeln.„ 96 SPONTAN __________________________ HILFLOS Was sagt man denn dazu? Humor hat sie ja, meine Fee. Nun denn, mir lief ja die Zeit davon, und somit wiederholte ich mein Anliegen in voller Erwartung. Kurze Zeit danach stand ich wieder in meiner Küche und beschwörte den Rest meiner Offensive. „Gong.„ (Sie wissen ja, ohne „Ging„.) „Christianchen, schön, daß du gekommen bist. Hast du meine Nachricht per Flugpost erhalten?„ fragte ich nervös und überrascht zugleich. „Sozusagen. Aber bitte keine voreilijen Zärtlichkeiten!„ PAUSE „Du hast jekocht, Andreas?„ „Ja, dein Lieblingsessen: Gulasch mit Erbsen und Klößen.„ „Mit Semmelbröseln?„ „Hmhm.„ „Du weißt, Kochen ist keine Kunst - essen muß man’s können.„ „Nun komm’ erst mal herein und lasse dich überraschen.„ Ich machte das Radio leiser. „Oh, P. Werner, ‘Das Lebkuchenherz’ ... Find‘ ich gut ... Mach’ mal lauter bitte.„ 97 SPONTAN __________________________ HILFLOS Dies war die optimalste Konstellation für einen Kniefall (meinerseits) vor dem Herrn (Christiane). „Christianchen: Ich bin mittlerweile schon wieder solange Single, so daß ich es täglich mit der Angst zu tun bekomme, ich müßte mich sicherheitshalber als Hetero outen. Bitte verzeihe mir. Bitte, bitte.„ „Jehe ich recht in der Annahme, daß du mir indirekt damit zu drohen versuchst, alle sechs Stunden ein Mitglied deiner Familie zu erlejen, wenn ich nicht akzeptiere?„ „Ganz so hart würde ich das nicht ausdrücken, Mausiiii.„ „Aha„, stellte sie fordernd fest. „Wenn es dir jelingt, mir die Sexkartons von Rolf Kutschera des nächtens fehlerfrei zu übersetzen, will ich mich mit deinem Boy-needsgirl-Gehabe noch einmal anfreunden und dir ein allerletztes Mal verzeihen.„ Dazu fiel mir nichts mehr ein. Sollte den alles so einfach gewesen sein? Just wollte ich mich zu einem Ausbruch der Freude hinreißen lassen, als Christiane eine schwere Salve abfeuerte. Gerade als sich mein Gesicht auf Lächeln einstellte und wohl noch die 98 SPONTAN __________________________ HILFLOS letzten Züge von Entsetzen ausstrahlte. „Glotz mich nicht so an, sonst scanne ich dir eine rein!„ „Wwwie?!„ fragte ich einigermaßen jugendlich in den Tag hinein. „Hast du ‘nen Sprachfehler oder ‘nen Pickel auf der Zunge?„ Toller Anfang. „Ich bezwinge jerade einen Computerkurs auf der Abendschule„, fuhr sie schließlich wieder fort. „Einer Frau wird heutzutage Flexibilität bis zum Umkippen abverlangt. Da muß ich auch mit ‘ner Maus umgehen können.„ „Manch andere Frau ist bereits mit drei possierlichen Tieren zufrieden: Einem Nerz, einem Jaguar und einem dummen Hund, der dies alles bezahlt. Hast du es schon einmal mit ihnen versucht?„ kämpfte ich angehend intellektuell um meine Rechte, die ich nicht mehr hatte. „Nein!„ sagte Mausiiii entschieden. „Ich wäre auch nicht der Richtige, Hund meine ich.„ „Schon klar, ich weiß.„ „Hm„, bemerkte ich tiefsinnig und versuchte Zeit zu gewinnen. „So ist das Leben, mein Engel. Wir sind eben füreinander bestimmt.„ „Was weißt du schon vom Leben?! Weißt du, wie das Leben tatsächlich ist? ... es ist wie 99 SPONTAN __________________________ HILFLOS Schinken mit Eiskrem (Lou Reed, sehr intellektuell)!„ „Wenn ich den Sinn deiner Lebensweisheit auch nicht vollständig verstanden habe, dürfte ich trotzallem dein Schinken sein?„ „Solange du mich nicht wieder wie Eiskrem in der Sonne abtropfen läßt, gebe ich dir die Chance deines Lebens.„ Daß wir uns nicht gerade zugrunde loben, haben Sie gewiß auch schon bemerkt. Wenn jedoch die Frauen das Salz in der Suppe sein wollen, muß auch jemand den Part der Brühe übernehmen. Gleichwohl läge es mir viel näher die Zugabe zu sein, anstatt immerfort nur aufgelöst in den Seilen zu hängen. Insgeheim baue ich dann mein Ego an einer Weisheit eines russischen Soldaten auf, der unmittelbar seinen Wehrdienst beendet hatte: „Um Frau zu werden, benötigt man eine Nacht - um Mann zu werden zwei Jahre. Ich überlasse Ihnen, liebe Leser, ob Sie darüber lachen können oder nicht. 100 SPONTAN __________________________ HILFLOS Hollys Wald Die Guten sterben immer zuerst. Siehe TanteEmma-Laden Kontra Burgerking. Ist Burgerking Ihr way ? ... Sie können es mir ja auch leise ins Ohr flüstern. In jedem Fall führt uns dieser way direkt zu Hollys Wald. In jedem Spielfilm, für den eine Flugzeugentführung oder eine andere alltägliche Katastrophe inszeniert wird, taucht ganz unverhofft ein Arzt auf. Garantiert! Ich finde dieses „Lassen sie mich mal ran, ich bin Arzt.„ langsam zum Kotzen! Wer zu viele Filme dieses Genres in sich hineinfrißt läuft schnell Gefahr, sich in reellen Situationen auf jene Heilsbringer zu verlassen. Und dies kann im schlimmsten Falle mit dem Tod enden. Tragischer ist jedoch die Tatsache, daß man im kommenden Jahr nicht mehr im Telefonbuch stünde. Ebenso hätte man vollkommen umsonst renoviert oder sich von seinen Schulden verabschiedet. Lieben Sie Crash-Szenen in einem heißen Krimi? - Ich fahre mal eben mit meinem frisch polierten Cabriolet mit hundertfünfzig Sachen in 101 SPONTAN __________________________ HILFLOS die Kurve, denn ich werde soeben verfolgt, verliere die Kontrolle und fliege in hohem Bogen über die Klippen der Westküste von Kalifornien. Haben Sie sich in solchen Fällen schon einmal den Kopf darüber zerbrochen, wer um Himmels Willen die ganzen zerschellten Autos, Hubschrauber und Stuntpuppen wieder wegräumt? ... wie gefährlich das sein kann, und ob dieser Job gut bezahlt wird, wenn es ihn überhaupt gibt? Wissen Sie in welcher Ecke dieser Welt durchtriebene Geister herausgefunden haben, daß es wichtig sein kann, seine Stimme in einem Interview nicht einmal am Satzende zu senken, weil unvereinbarte Abbruchgefahr für den Star besteht und der nette Kollege vom TV in seinem stillen Kämmerlein die Restwürze für seinen Redakteur (Zuschauer) zusammenbraut? ... daß daran nicht alle denken und fürchterlich auf die Schnauze fallen? Können Sie sich im entferntesten vorstellen, wer die Dreistigkeit besessen hat und noch immer besitzt, das good old Schulenglisch zu einem unverständlichen Überseemurmeln zu verun-glimpfen? 102 SPONTAN __________________________ HILFLOS Glauben Sie immer noch, daß der Hobbywandel unserer Kinder - vom Plüschbär zum Gameboy - in Bochum, Ravensburg, Karstadt oder gar in der Augsburger Puppenkiste geprägt wurde? Begreifen Sie endlich, daß sich diese Menschen nie die Mühe machen würden, ihre Stars neben ihren Stripes in alten Filmen nachzuzählen, ob der Gefahr, daß Neuzeitfahnen in neuen Altzeitfilmen (Western) verwendet wurden? ... daß diese Menschen aber ganz genau wissen, daß Sie auch mal ganz gerne vom Empire State Building hinunterspucken würden, aber es sich nie trauten? ... daß jene Menschen ganz ungeniert auf den Buchstaben von Hollys Wald herumtanzen, wenn es das Drehbuch erlaubt? Haben Sie auch immer daran geglaubt, daß „wood„ im englischen Holz heißt? Wissen Sie jetzt, daß ich die ganze Zeit vom Wald der Stechpinien gesprochen habe? Wenn ja, grüßen Sie mir Holly! 103 SPONTAN __________________________ HILFLOS Nicht ganz Venedig Vertraue deinen Nächsten, auch wenn es Freunde sind. Eine bewährte Kartenrunde muß sich - Beziehung hin oder her - auch die Freiheit erkaufen dürfen, sieben Tage Urlaub bewilligt zu bekommen. Also Freifahrt gen Italia! Schon beim ersten Abdrücken der MautGebühr stellten wir geschlossen fest, daß Geld eine sehr unnahbare Erfindung ist. Doch nicht nur verknöcherte Inlandzölle, nein auch die Grundnahrungsmittel eines beliebigen Deutschen - Urlaub hin oder her - fressen einem die Haare vom Kopf. Wissen Sie, was Kartoffeln, Bier und Benzin heutzutage kosten? Unser Entschluß, auf die Kartoffeln zu verzichten, kam von daher mehr als spontan. Und es war ein wirklich kluger Schachzug im Lande der Pizzen; Nudeln hin oder her. Aber wie macht man sich einem Italiener gegenüber verständlich, wenn man lediglich von einen Sprachwortschatz begleitet wird, der Schokoladenbrösel mit Sahne und Kaffee unten drunter, in ein zusammenhängendes Wort vereinigt? Ich kann Ihnen sagen! 104 SPONTAN __________________________ HILFLOS Auf der anderen Seite kann man beim ersten Ansatz von Unverständnis auch nicht gleich aus der Haut fahren. Getreu dem Motto, wer gern reisen mag, sollte darauf bedacht sein, auch weiterhin willkommen geheißen zu werden. Das Beste ist es demzufolge, gut gelaunt den Tag zu beginnen, damit er auch so enden kann. Grundvoraussetzung hierfür ist, bis in die Fingerspitzen ausgeschlafen zu sein. Am Morgen nach unserer nächtlichen Ankunft: „Wolle, du hast heute Nacht so abartig geschnarcht, daß es mir sehr schwerfallen dürfte, die paar Minuten Dunkelheit die ich hatte, zu einer halben Stunde zu addieren!„ „Andreas, deine Nachtwanderungen zum Klo im Kindergartenstil, Marke Taschenlampe und dennoch stolpern, gaben mir, dem guten Olé, auch den Rest. Also sachte!„ Wolle schnarchte schon wieder. „Könntest du, Olé aller Olés, so fair sein, und unserem Holzfäller mal den Riecher stopfen? Es wundert mich, daß sich T.Dew noch nicht gemeldet hat. Er hat übrigens geschmatzt. Widerwärtig! Im Schlaf!„ „Ich schmatze nicht, ich lutsche Schlaftablette, verstehst du?„ T.Dew zog bei 105 SPONTAN __________________________ HILFLOS „lutsche„ das „u„ unangenehm in die Länge. Es war so eklig! Seine Stimmbänder vibrierten wie eine Stimmgabel, so daß sich Wolle gleich wieder räusperte. T.Dew wollte aber noch etwas sagen: „Es ist bereits schon meine Zweite! Habt ihr Nachtschwärmer schon einmal auf die Uhr geschaut? Es ist 8.35 Uhr! Alles was vor Neune auf den Beinen steht ist nichts, und es wird auch nichts daraus. Ich brau...„ „Liegen meine Haare?„ fegte Olle Olé dazwischen. „Wie gemauert. Willste jetzt schon uff Pirsch?„ erkundigte sich Wolle, ohne die Augen zu öffnen. „Ist nur aus Rücksicht auf euch. T.Dew, mach hinne, der Planet drückt!„ „Habt ihr Angst davor, daß euch ein Kokosläufer beim Gang zum Frühstücksbüffet überholt, oder glaubt ihr an die Sage vom Zitronenfalter, der euch die Garnitur auf eurem Teller versaut?„ „Haben sie dir etwas in den Kaffee getan, Andreas?„ fragte Olé in Sorge um mich. „Steh’ auf und reck’ dich. Ersetzt ‘ne Viertelstunde Schlaf. Dir wächst sonst noch das Gras aus den 106 SPONTAN __________________________ HILFLOS Taschen. Und zur Beerdigung in Schwarz bei der Flut von Pigmenten ...„ Als Olé das Wort Pigmente in den Mund nahm, stand Wolle wie eine Kerze im Bett und befragte uns besorgt um sein Sonnenöl. Wolle ist in dieser Beziehung der am meisten Geschädigte von uns. Er wird eigentlich schon braun vom Wegsehen. Aber eine Macke ist eine Macke ist eine ... Das Frühstück lief wie gewohnt ab. T.Dew, der uns noch vor einer Dreiviertelstunde in Sachen Benimm unterweisen wollte, war wie in jeder Situation des Sattessenkönnens der erste mit seinen Fingern. Er aß gierig, fast unanständig und in rauhen Mengen. Seine Spezialität sind ansonsten Melonen. Nach seiner Philosophie ißt man Melonen maximal aus einer Hälfte. Man beißt einfach mitten hinein. Kerne werden gespuckt egal wie feucht -, und der Oberlippenbart färbt sich rosa. Wolle glänzte zum Morgenmenü wie eine Schwarte. Im Ernährungsverhalten ist er jedoch ein Minimalist. Die Ursache dafür könnte man in seinem Körpergewicht vermuten, aber weit gefehlt. Es ist mehr seine Jonglage der 107 SPONTAN __________________________ HILFLOS Frühstückshäppchen an seinem üppigen Mundhaar vorbei. Olé würde gern essen, verschwafelt aber die halbe Zeit. Er hat abgenommen durch Reden. Demnach könnte er Wolles Bauch auch als Hexe besprechen. Warten Sie jetzt auf meine Fehler? Beim Dinieren bin ich jedenfalls fast fehlerfrei. Mein Ziel besteht einfach nur darin, meine Batterie aufzuladen. Dies ist im Zweifelsfall höchstens kostspielig. Am Beach: Wir haschen Pigmente und brutzeln. Zwischendurch wird abgetaucht, nach Bier angestanden, über den heißen Sand gemeckert, nach Bier angestanden, Bademode gelobt, Bier getrunken, an die Mausis gedacht, Bier getrunken, Kartenspielen kategorisch abgelehnt und dann doch vollzogen, Bier getrunken, nach Pizzen angestanden, Bier getrunken, nach Eis angestanden, Bier getrunk..., krampfhaft versucht, WC ins Italienische zu übersetzen ... Am Abend: Tanzen, Musik, Trinken Schwärmen, Loben, Winken - glücklich sein oder Trauer tragen - daran denken, daß wir morgen noch ins Museum wollen und so. 108 SPONTAN __________________________ HILFLOS Hauptsache nicht jeder Tag wird so anspruchsvoll! Am Strand bin ich kein guter Kartenspieler. Wenn ich den ganzen Vormittag in der Sonne liege und mich von Bier und Eis ernähre, muß ich in allen entscheidenden Momenten - Kohletabletten hin oder her - eh immer aufs Klo oder klage jämmerlich über die Schmerzen meines Sonnenbrandes. Wenn ich aus den Ferien zurückkomme, benötige ich erst einmal dringend Urlaub. Hat es demzufolge einen Sinn, sich für die Erholung geistlos zu stressen? Diese Form des Urlaubes, eine Mischung zwischen Bierklinik und der Gaukelei, an der Kultur des Gastgeberlandes interessiert zu sein, laugt aus und ist zutiefst verdorben! Warum also, werden Sie sich zurecht fragen, ist der blöde Kerl dann nicht einfach wieder abgereist? Eine gute Frage. Wirklich. Es gibt eben Momente im Leben, da kann man (ich) eben nicht anders handeln, als halt nicht zu handeln. Reicht Ihnen diese ausführliche Antwort? Naja, da waren natürlich auch noch unsere Mausis. Sie hatten beschlossen, uns Mannsbildern einen Gefallen zu tun, und uns einmal alleine in den sonnigen Süden reisen zu lassen. So eine Art fortschrittliches Entgegenkommen der Frau von 109 SPONTAN __________________________ HILFLOS heute. - Laßt die Sonne in ihr Herz. - Ihrerseits beabsichtigten die Holden, Amsterdam unsicher zu machen. Eine Idee, die uns Herrn zwar zuerst durch den Geist zuckte ... Aber an diesem Punkt scheiterte das fortschrittliche Denken unserer Schönen. Nie und nimmer hätte es jedoch am Vertrauen uns gegenüber gelegen, beteuerten sie im Chor. Wie hätten wir unseren Urlaub schon vorzeitig abbrechen können? Denken Sie nur an den riesigen Triumph, den sich die Damen rücksichtslos in die Taschen gesteckt hätten. Auch zu kleinen Teilen wäre er noch beachtlich gewesen: „Haben wir doch gleich gesagt. Ihr alleine, ohne richtige Ernährung und Streicheleinheiten, daß konnte ja auch nicht gut gehen. Männer ... Phäää ... Hilflose Geschöpfe, die ihren Verstand in der Hose mit sich herumtragen und im Sommer in Panik geraten, sie könnten sich beim Tragen von Shorts ungünstig verbrennen. Nicht einmal Pferde haben Angst vor Shorts, und die hätten wahrhaftig einen Grund. Männer ... Halbstark mit ‘nem Nulldreiunddreißiger in der Hand, gaffen sie den Bikinis irgendwelcher Strandmiezen hinterher und sind dann völlig verwirrt, wenn tatsächlich mal eine anbeißt. 110 SPONTAN __________________________ HILFLOS Männer ... Warum steckt man sie nicht alle in eine Art Super-WG, verbaut die Fassade mit riesigen Schaufenstern und läßt uns Frauen von draußen zusehen, wie dämlich sie sich anstellen? Was haben diese Dinger nur an sich, daß wir sie nicht schon längst abgeschafft haben? - Würstchen mit Senf im Schädel ... Wenn man sie anbeißt, zappeln sie noch ein wenig herum und fangen dann an, immer kleiner zu werden.„ Eine Abreise von nur einem von uns käme einem kollektiven Selbstmord gleich Gemeinsamkeit hin oder her! Weder 14 Tage Regen, noch eine Haiwarnung am Strand hätten uns dazu veranlaßt, weiterhin eine vorzeitige Heimfahrt in Erwägung zu ziehen. Wolle hatte diesen Gedanken bereits am nach dem ersten Bier laut durchgespielt. Einstimmig beschworen wir, ihn aus unseren Köpfen zu verbannen. Sorry für meinen Durchhänger. 111 SPONTAN __________________________ HILFLOS Weißt du ... „..., Axel kommt uns am Wochenende besuchen„, informierte mich Mausiiii. „Freust du dich?„ „Wenn ich mich recht erinnere, ist Axel mein Cousin, also ein Familienmitglied, eigenes Blut oder so ähnlich ... Natürlich freue ich mich auf seinen Besuch.„ „Das klingt aber nicht jerade sehr überzeujend. Du hast wohl schlechte Erinnerungen an den Juten?„ „Was macht er den so?„ fragte ich ausweichend. „Keine Ahnung, am Telefon war er jedenfalls ganz lustig. Du kannst ihn ja am Freitag ausquetschen. Wenn du Lust hast, können wir mit ihm ein wenig durch die City bummeln. Du weißt schon, ein bis zwölf Boutiquen in meinem Interesse, ein nettes Café zum Ausruhen plus Würstchenstand ... Hast du mir denn nicht zujehört?„ „Doch doch, mein Mauseschwänzchen. Ich spiele just nur alle Varianten durch, mit denen 112 SPONTAN __________________________ HILFLOS Axel herkömmlicherweise seine Lieben um den Verstand bringt.„ „Du siehst dir für meinen Jeschmack zuviel Schund im Fernsehen an. Ein netter Besuch aus der Familie kann unmöglich so schlimm sein, daß man ihn mit derlei Worten ankündigt. Ich kann nur hoffen, daß du mir keinen Ärjer bereitest!„ „Mach’ dir mal keine Gedanken, Mausiiii. Ich werde mich so anständig benehmen, wie zu meinem ersten Geburtstag.„ So kehrte erst einmal Ruhe in unser lebendiges Gespräch. Hätte ich Mausiiii anvertrauen sollen, was mich wirklich bedrückt? Das Axel ein Garant für Ärger war - den ich dann immer einstecken mußte - jedenfalls in unserer gemeinsamen pubertären Phase. Weiß ich denn, ob diese irre Phase bei ihm schon ein Ende gefunden hat? In Gedanken erzählte ich Mausiiii von meinem Horrorverwandten: „Glaube mir bitte, Mausiiii, ein Einkaufsbummel geht in jedem Fall in die Hose. Blitzartig! Weißt du, als er uns damals zum ersten Mal besucht hatte, sagte seine Mutter ganz einfach, daß er sich schon alleine zurechtfinden würde. Kurz darauf schrien diverse Nachbarn das Haus zusammen. Dabei 113 SPONTAN __________________________ HILFLOS hatte Axel gerade einmal vier parkende Autos zum Dachhüpfen auserlesen. Meine Wenigkeit spielte indes ganz unverblümt mit einem Plastikfußball Hauswand-Ball-Andreas. Trotzdem hätte ich doch besser aufpassen sollen, sagte meine Mutter zu mir - ihrem Sohn, der fünf Jahre jünger als Axel und vier war. Soll ich dir noch die Story aus dem Kaufhaus erzählen?„ In meinen Gedanken antwortete mir Mausiiii: „Nein, ist schon o.k. Ich verstehe warum du eine Art Verwandtenphobie entwickelt hast. Ich werde dir helfen, sie zu bezwingen.„ In Anbetracht der Tatsache, daß mir Mausiiii so viel Verständnis entgegen brachte, gab ich meiner inneren Rubrik „Vertrauen„ einen Ruck, und fütterte Mausiiii mit meinen Erfahrungen. Die Realität sollte mich nicht enttäuschen. So konnte der Freitag heraneilen, ohne daß ich mir weiter den Kopf über meinen Cousin zerbrechen mußte. Es ging sogar soweit, daß Mausiiii und ich den angekündigten Besuch von Axel völlig vergaßen. Freitagabend: „Gong.„ PAUSE „Gong.„ Entsetzen in Mausiiiis Gesicht. „Gong.„ 114 SPONTAN __________________________ HILFLOS Keine Regung in meinem. „Gong.„ Mausiiii gab sich sichtlich Mühe, mir ihren verzerrten Gesichtsausdruck wortlos zu übersetzen. „Gong.„ Ich ging mit gespielten Augenrändern an die Tür und öffnete. „Hallo Andreas, altes Familienfossil. - Haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen Wie geht es dir - Hast ‘ne nette Freundin - Ja, mir geht es gut - Ja, ich bin schon mächtig vielversprechend - Brauchst du ‘nen Job - Ich kenne da Leute, ich kann dir sagen ...?!? Er redete ohne Kenntnis der Interpunktionsregeln. Antworten kannte er offenbar nicht. „Komm’ erst einmal herein. Setz‘ dich, und laß mich dir meine Zauberschnute vorstellen. Wenn du dann noch ausreichend Zeit mitgebracht hast, würde ich dir ganz gerne antworten.„ „Meine Vorstellung von Frauen ist soeben total ins Wanken geraten. Bisher war mir noch nicht bewußt, daß derart viel Weiblichkeit in einem solch schönen Körper gebunden sein kann. Ich bin Axel.„ 115 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Christiane„, antwortete Mausiiii nüchtern. „Andreas„, bemerkte ich überflüssig. Axel hingegen bemühte sich in bester Manier eines Schleimbeutels, Mausiiii zu erobern. Was geschieht hier eigentlich? Habe ich nicht gerade noch mit meinem Zauberkätzchen zusammen-gekauert und geschnurrt? Warum wurde diese filmreife Zweisamkeit so jäh unterbrochen? Warum hält Axel den Taktstock in der Hand und dirigiert mein Privatleben? Müßte ich jetzt nicht platzen und ihn in der Luft zerreißen? Gibt es noch andere wichtige Fragen, die ich mir stellen sollte, oder ist es besser darauf zu warten, daß Mausiiii einen bedingungslosen Kinnhaken ankündigt? Weiß ich wem? „Also Leute„, unterbrach Axel mein Erstauntsein und Mausiiiis Augenflimmern, „nun werde ich euch erst einmal aufklären.„ Mausiiii und ich waren gespannt wie eine überforderte Wäscheleine ... „Der gute Axel ist Student an der Filmhochschule. Unsere Hauptaufgabe besteht derzeit darin, ständige Meisterleistungen im Wortspiel zu vollbringen. Die mimische Aussagekraft sollte dabei so überzeugend 116 SPONTAN __________________________ HILFLOS wirken, daß man seinen potentiellen Gegenüber spielerisch in den Wahnsinn treibt. Eure Gesichter drücken Beifall aus. Seit ihr mir böse?„ Ich wußte nicht mehr was ich sagen sollte, wie mir war. Mausiiii war sichtlich enttäuscht darüber, daß sie ihre gefürchtete Linke nicht an den Mann bringen konnte. Ich auch. Axels Gesicht besaß so etwas Anziehendes ... „Äääh ...„, begann ich wie ein Erstkläßler, „ich äh ...„, fand kein passendes Schimpfwort und mußte dennoch bestimmt antworten, „dachte immer, daß du Biologie studierst.„ „Hm„, begann er vielsagend, „die Mischung ist doch gar nicht so schlecht. Den Bock habe ich doch mit Sicherheit abgeschossen.„ „Und uns zum Affen jemacht!„ ergänzte Mausiiii mit glanzvollen Schneidezähnen. Sie waren scharf und zum Biß bereit. Diese gepflegten weißen Dinger hatten etwas grauenvolles an sich. In Mausiiiis Augen konnte ich ihre uneingeschränkte Bereitschaft zum Reißen und Blut lecken ausmachen. Ihre Augen waren starr auf Axel gerichtet. Unter dem Einfluß einer gewissen Menge Alkohol (wir waren gerade dabei, einen Kokoslikör on the Rocks zu 117 SPONTAN __________________________ HILFLOS schlabbern), konnte ich das Knirschen ihrer Backenzähne vernehmen, gleich dem Geräusch einer abrutschenden Kreide an einer Schultafel, nur etwas tiefer und stumpfer. Vorübergehend hatte ich den Eindruck, mir sitzt nicht Mausiiii, sondern das abartige Vorstellungsvermögen Steven Kings gegenüber. Ein geballter Haufen abgrundtiefer Gewaltbereitschaft, mit Haut und weiß-blitzenden Schneidezähnen. Oh Gott! Glaubte ich bei medienzerfetzten Familientragödien immer noch an die geringe Wahrscheinlichkeit der Statistik, mußte ich nunmehr feststellen, wie nah der rohe Wahn sein Quartier aufgeschlagen hatte. Wie konnte er nur so unbemerkt bei mir einziehen? Ich hatte mich dazu entschlossen zu bleiben. Schon meine Plattensammlung war Grund genug, das Feld nicht ohne Schlacht zu räumen. Ich sah mich vorsichtig in der Runde um. Mausiiiis Haltung war unverändert. Lediglich ein kleiner herunterrutschender Klumpen Roter Grütze verfälschte das so makellose Bild weißer Zahnarztfreude. (Mausiiii hatte eine kleine Wette in unserem Partnerquiz - welches TVProgramm sendet momentan keine Talkshow gewonnen, die grundsätzlich mit dem letzten 118 SPONTAN __________________________ HILFLOS guten Stück aus unserem Kühlschrank belohnt wird. Dies ist nicht selten ein Becher Pudding oder Rote Grütze.) Axels Bewegungsablauf versetzte mich hingegen in Erstaunen. Er hob ständig die linke Hand, streckte den Zeigefinger nach vorn und hob den Daumen. Sein rechter Zeigefinger zog am Daumen seiner linken Hand und schnipste dazu mit Mittelfinger und Daumen im Takt. Aber wußte Axel denn nicht, daß er lediglich eine beschissene Finger-schnipp-schnapp-Pistole auf Mausiiii richtete, die ausnahmslos nur Kleinkinder innehalten läßt? Entweder ich träume, oder ich habe etwas Entscheidendes übersehen. Zumindest mußte es das plötzliche Grienen in Mausiiiis Gesicht erklären. Hoffentlich wurde ich gerade verarscht. Ich formte meine Hoffnung in Worte: „Was wird hier eigentlich gespielt?!„ fragte ich einfallsreich in die schmunzelnde Runde. Dieser Frage mußte eine Antwort folgen. Ich hatte meine Frage derart laut gestellt, als wäre sie soeben aus den Lautsprecherboxen des laufenden Fernseh-gerätes entsprungen. Diese vereinigten seit circa dreißig Minuten Maschinengewehrsalven, Massen-karambolagen 119 SPONTAN __________________________ HILFLOS und Hilfeschreie von angehenden Rentnerinnen auf etwa 120 Dezibel. „Weißt du, ...„, nahm Mausiiii mein verunsichertes Brüllen keineswegs eingeschüchtert zur Kenntnis, „Axel und ich haben uns bereits schon heute morjen jetroffen. Ich habe mir erlaubt, ihm von deinem winzijen Vorurteil ihm jejenüber aus der Buddelkastenzeit zu berichten. Ich wollte mir auch mein eijenes Urteil über Axel bilden. Ihm hat übrijens sehr viel daran jelegen, dich davon zu überzeujen, daß er mittlerweile weit mehr beherrscht, als das bloße Zertrampeln von Autodächern.„ „Tja„, setzte Axel schwungvoll und Mausiiii zur Hilfe eilend ein, „und so haben wir uns dazu entschlossen, dir ein kleines Schauspiel zu präsentieren. Mausiiii sagte zu mir, ...„ „Für dich immer noch Mausi!„ betonte ich kleinlaut. „... du würdest davon eine Menge verstehen. Und ich lege großen Wert auf dein Urteil. Denn die kleine Show, die wir hier gerade abgezogen haben, ist Bestandteil eines erfolgversprechenden Stückes, welches einige meiner Schauspielfreunde mit mir gemeinsam im 120 SPONTAN __________________________ HILFLOS ‘Panic’ aufführen dürfen. Hat es dir denn gefallen, war es überzeugend, war es gut??? Axel hatte wieder vergessen, zwischendurch zu schlucken, geschweige denn nach Luft zu schnappen. Wer war dieser Axel überhaupt? Hatte er womöglich sein ganzes Leben lang nur unseren Verwandten gespielt? Warum konnte ich nicht unmittelbar nach der Auflösung meiner Gruselminuten herzhaft ablachen, Axel auf die Schulter hauen und Mausiiii ein„Du-du-du-du„ mit meinem Zeigefinger androhen? Ich bin doch sonst nicht so wehleidig ... Ich bin mächtig hereingelegt worden, das stand fest. Was mich zudem lähmte war die Tatsache, daß sich mein Schnurrhase mit dem Objekt verschworen hatte, welches sich als mein Cousin ausgab. Innerlich war ich ja auch schon bereit gewesen, Axels Missetaten zu vergessen, zu verzeihen und zu belächeln. Möglicherweise war er anständiger als ich? Und er hatte sich ja auch geändert. Und wie! Heute strapaziert er keine Autohalter mehr, nein heutzutage killt er das Selbstbewußtsein seiner potentiellen Fans. Ich bemerkte gar nicht, daß sich Axel und Mausiiii aus dem Staub gemacht hatten. 121 SPONTAN __________________________ HILFLOS Genaugenommen war ich auch noch nicht ganz fertig mit mir. Außerdem hatte ich Hunger! In der Küche sollte ich geheilt werden. „Liebes Schnuuuuukel! Während deiner Phase des Abschottens hab‘ ich mir erlaubt, dir ein paar Stullchen zu schmieren. Ich kenne ja deine schwache Seite. Iß sie, und beruhige dich. Wenn du dann wieder Lebensmut jeschöpft hast, komme uns ins ‘Friendship’ nach. Mausi.„ Lieb von ihr. Gewiß. Auf meine Schnecke ist eben doch Verlaß. Und daß sie in ihrem Liebesgruß auf ihr zweites, drittes und viertes „i„ verzichtet, kann ich ihr wohl binnen Minuten verzeihen. Aber warum ausgerechnet ins „Friendship„? Ich zog mich also an, schnell und schmuddelig, dazu noch ein passendes Eau de Parfum, Marke „Teu„ von „Er„, und war gerüstet wie ein modebewußter Twen. Auf der Fußmatte ich hatte bereits die Klinke in der Hand - fand ich die heutige Tageszeitung, jungfräulich und ohne Eselsohren. „Vorurteile machen blind!„ titelte sie. Sekundenbruchteile später stolperte ich über die Türschwelle und landete unsanft auf der Nase. 122 SPONTAN __________________________ HILFLOS Gut durchgeschüttelt erreichte ich das „Friendship„ und setzte mich verlegen zu meinen zwei Lieblingen. Mit zitternder Stimme berichtete ich von der Tageszeitung auf unserer Fußmatte. Leise und eingeschüchtert fragte ich nach der Wahrscheinlichkeit des Zufalls. 123 SPONTAN __________________________ HILFLOS Auf den Spuren der Kleinanzeigen - I. Teil Junges, nettes Team sucht ... Oder: Wer ist nicht alles zu allem bereit? Wissen Sie Bescheid, sehen Sie klar, kennen Sie sich aus??? Nach den allabendlichen Unterhaltungen mit Ihrer Beziehungskiste oder ihrem plüschigen Haustier, Ihrem büchsengeruchverbreitenden Abendessen oder dem wieder falsch ausgesuchten Buch, Ihren freitodfördernden Chemie-hausaufgaben oder vielleicht dem störenden Klingeln - der nach Backpulver flehenden Nachbarin - fehlt etwas. Doch nur die abartigsten Versuche, den Verbraucher mit mintoder lilafarbenen Schokoformen zu verhätscheln, verhindern das Herunterklappen der Augenlider. Die sich ständig wiederholende Vielfalt überlistet uns mit Snacks. 124 SPONTAN __________________________ HILFLOS Wir bieten viel, mehr, alles! Diese uns bekannte Form im Umgang mit der Langeweile zerstört reichlich und ist gefährlicher als Sie denken! Denn durch Zahnfäule entstehen nicht nur Arztkosten, es folgt auch ein katapultartiger Rausschmiß aus der Gesellschaft. Naschen kostet. Und wenn’s kostet, wird’s bald alle das liebe Geld. Ihr häuslicher Überfluß wird sogleich überflüssig, und Fortpflanzung ohne Zähne ist genauso verzwickt, wie das gewerkschaftliche Dazwischenquatschen bei Versammlungen der Personalvertretung. Ihr Abrutsch in die Gosse wäre sozusagen schon vorprogrammiert. Und ein Sarg in Form eines Sahnebissets - als Abschlußgeschenk der öffentlichen Wohlfahrt - wäre gewiß auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ihr Leben tendiert unweigerlich zur lückenlosen Zerrissenheit. Unser Angebot - Ihre Chance! 125 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ein Jahresabonnement von Sahnebonbons hätten Sie jetzt schon sicher. Aber Sie können noch verdoppeln! Wollen Sie? Gut! Wir werden Sie mit Ihren neuen Freunden des Doktor-Test-Nuß bekannt machen. Man wird Sie gerne haben, und Sie sorgen bitte dafür, daß es dabei bleibt! Wenn Sie ein Opfer bringen müssen ... Lächeln, Zähne zeigen und Kopf hoch, Sie sind es ja gewohnt. Ihre wichtigsten Angriffspunkte sind die Joghurtweichlinge, jeder, der der Light-Masche zu verfallen droht und vor allem die Fitneßkriecher auf unseren Straßen. Arbeiten Sie sorgfältig und sichern Sie sich Ihre strahlend weiße Zukunft! Wir, die „Zucker-inMassen-vertilgen-und-dick-sein-ist-stark„Selbsthilfe-gruppe, verleihen Ihnen umgehend den Dienstgrad „Snacktestausbilder„. Aber wir wissen nur zu gut, daß Mann seinen ach so geliebten Rang in der Riege nur ungern auf- und preisgibt. Deswegen und Ende. Wenn Sie uns eine gute Bilanz Ihrer Arbeit vorweisen können, steht Ihrer Karriere nichts 126 SPONTAN __________________________ HILFLOS mehr im Wege. Sie haben es geschafft! Sie sind derdiedas Größte! Nun ergeben sich aus Ihren Illusionen eigenes Gebiß, extrem geiles Lächeln, grenzenlos bezahlter Krankenhausaufenthalt keine Probleme mehr. Den für Sie saisonal nötigen Zahnersatz erhalten Sie natürlich kostenlos. Ihre Magenleiden tragen Sie allerdings weiterhin mit sich herum. Apropos und nebenher! Unsere Organisation ist sicher nicht die Lösung Ihrer Probleme. Aber sie schafft (Arbeit)! Und das Naschen und Knabbern ist bei uns auch außerhalb der Pausen erlaubt. Wir freuen uns auf ein persönliches Kennenlernen, Sie armes Würstchen. 127 SPONTAN __________________________ HILFLOS Auf den Spuren der Kleinanzeigen - II. Teil Are you auch immer so hilflos, wenn you in the Kaufcenter stehst und anschaffen willst, but nix money have in your bag? Then we have a good Idee for Dich. When you very well bist in computer, coffee cooking und immer schön smiles in your face trägst, dann you have a good reason to write a lovely letter to us. When you are between zwanzig und achtundzwanzig Jahre old, blond und blauäugig and a little bit stupid, you get ganz sicher a Antwort. Please put in your Briefumschlag your personal record with a colour from you. Whenever you Lust hast, sei so nice and put noch a little Bewerbung mit in. And when you have a really good day, please put noch some copies from your schools und so hinein. And schon is your luck greifbar. It wäre very nice, when your letter bis next week bei uns ist. Wenn yes, dann kommt er in a 128 SPONTAN __________________________ HILFLOS great box for the lottery. Wir sind very sure, daß you dabei bist. Please write to us, please. Oh, oh, sorry! We have noch was forgotten. You must be unbedingt zweisprachig. This is our Aushängeschild. Wir wären very happy, when you could speak spain/russian oder italy/greak. We are waiting for you. Bye-bye. 129 SPONTAN __________________________ HILFLOS LEIDENSCHAFT UND TÜCKE DUNKELHEIT UND MENSCHENMASSEN, BÜRGERSTEIGE REGENNAß, NEONLICHT FÜR KLEINEN BUMMEL, HERZHAFTES UND BIER VOM FAß. RUHEZONE, ROTE WÄRME, TURBAN UND AUCH SCHOTTENROCK, SEITENGASSEN, GROßER HANDEL, ALLES GIBT’S IM ZWEITEN STOCK. SEHNSUCHT NACH DEM UNERFÜLLTEN, SOFORT UND AUCH BESTELLT. SORGEN NUR DURCH NOTENHÜRDEN, ALLEN ES DANN DOCH GEFÄLLT. DUNKELMÄNNER, GELDGEKLIMPER, WAS DRIN. ANGEFAßT ... 130 WEIßE TÜTEN MIT SPONTAN __________________________ HILFLOS Auf Olympiakurs Hell, dunkel, voll oder halbvoll, reingequält oder allerletzte Eisenbahn ... Es klingt noch in meinen Ohren! Und mein Fazit, aus diesem Horror zwischen Vorfreude und Enttäuschung? Monatelanges warten im Vorfeld, Unsicherheit, ob nun alles fertig wird oder nicht und ein Seiltanz über dem Tal des Pipi. Kein Stammtischabend hätte spannender sein können als die Gewißheit darüber, daß der dritte Starter nicht hellbraun machen kann, und wer höher springt, langsamer ist als andere. Trotzdem, ein völlig neues Gefühl zu wissen, daß Farbe und Menge die Macht über Erfolg und Mißerfolg besitzen. Richtig entspannend war dahingegen die täglich verschleierte Umweltreportage. Allerdings bin ich geradezu erleichtert darüber gewesen, daß mir diese Gegend bei meinen Wandlungen als Kulturbarbar (Urlaub) nicht schon zeitiger über den Weg gestolpert ist. Es wäre sicherlich auch unendlich deprimierend gewesen - diese kargen Berge, so ohne einen 131 SPONTAN __________________________ HILFLOS Funken Kultur! Meiner Meinung nach, dürfte heutzutage eh kein Örtchen mehr ohne Fast food und Autobahn existieren. Mir schwimmen da jedenfalls alle Felle weg. Und da ich mich weder als farbenblind einstufe, noch ausgeschlafen habe, liegen meine Nerven jetzt auf irgendeiner Abfahrtsstrecke ... 132 SPONTAN __________________________ HILFLOS Können Fische ertrinken? Kleine Hunde können ertrinken - Schiffe gelegentlich auch. Ärger, Katzen und Regenwürmer werden ertränkt! Mitunter kommt es manch arg gebeuteltem Mitbürger auch gelegen, wenn eines dieser possierlichen Nichtschwimmer an Oberwasser verliert. Aber Fische? Jeder hinterhofverwöhnte Mieter entwickelt 500 % Autonomiebestreben, wenn Nachbars kleiner Quälgeist Samstagmorgen die Treppe heruntergepoltert kommt, und anstatt auf Muttis kluge Ratschläge zu hören, verfällt er circa alle 30 Sekunden in eine Art Siegestrauma beim Einmannfußball. Aber Fische und Fußball? Nein! Jedoch der Bernhardiner aus dem Vorderhaus erweist sich als äußerst sportlich. Sein Erscheinen sorgt für urplötzliche Leere auf dem Hof. Zuweilen verliert sich diese trügerische Idylle in ein tierisches Geschrei, zwischen jenem guten Fußballschiedsrichter, der 133 SPONTAN __________________________ HILFLOS für ausgedehnte Pausen sorgt, und einem Rudel Katzen, welches sich gerade in den Resten der Mülltonnen tummelt. Das Übrige wurde bereits ohne große Sorgfalt verteilt und begrenzt das Spielfeld. Wenn sich jedoch weder Haustiere, noch Kinder als prunkvolles Accessoire eines gepflegten deutschen Hinterhofes erweisen, was dann? Man könnte dort Fische aussetzen. Ertrinken würden sie mit Sicherheit nicht! Dessen ungeachtet delegieren wir unsere Kleinen in den Wochenendeinkauf. Süßigkeiten und Babykost ab ins obere Regal, und schon sind die beliebtesten Einkaufsschlager unserer Gören unerreichbar. Mutti und Vati beugen somit dem drohenden Übergewicht vor und sorgen mit dieser Schlankheitspraktik für die Finanzierung ihrer Amerika-Rundreise-zu-zweit. Für unsere Vierbeiner wäre ein oberes Regal allerdings auch angebracht! Oder benötigen sie allen Ernstes Katzenfutter in Aspik oder Kleingehacktes für olympiareife Hunde? Da reißt einem ja die Leine! Wirklich schade, daß man Fische nicht einkaufen schicken kann. 134 SPONTAN __________________________ HILFLOS Eigentlich haben wir doch alle etwas gegen Geschrei und halbleere Mülltonnen. Und für Hinterhoffußball dürften Sie wohl auch nichts übrig haben. Dreck mit Hundefutter zu beseitigen erscheint mir genauso sinnlos, wie das Ansparen einer Überseereise durch Babykostentzug. Aber können Fische nun schwimmen? Es ist wohl mehr so eine Art Tauchen, denn unter Wasser bekommen sie ja keine Luft. Also gilt mein Lob allen Anglervereinen und Fischereiunternehmen, die täglich Millionen Leben retten. Ja, Fische können ertrinken. So! 135 SPONTAN __________________________ HILFLOS Außer Tante keine Mausis Wir hatten die Pauken und Trompeten im Gepäck fest verschnürt. Es konnte losgehen. Auf der Autobahn begegneten uns die üblichen Nettigkeiten: Stau, Unfälle, Stau, Auto kaputt, Stau, Rückfahrt, Stau, schnell noch den Bedarf an Chips, Bier und Partybuletten auffrischen, Stau. Es war bereits Mitternacht, der Mond wurde langsam müde, als wir dem kleinen Wasser im Norden Deutschlands die Hand reichten. Alle maritimen Reize lagen uns zu Füßen und lockten, Koje hin oder her. So durchkämmten wir ein Nachtlokal nach dem anderen und schlossen die ersten Kontakte. „Die Beerdigung meiner Frau war wirklich phantastisch, aber der Kaffee ...!„ witzelte Oldie zum Barpersonal. „T. Dew und Logo-man-wirklich horchen gleich an der Matratze, Wolle und Bäuchlein versuchen bereits seit vier Stunden die Spielautomaten zu überlisten, und mir fällt auch kein Witz mehr ein. Los, laßt uns erst einmal einen schnabbeln!„ - Wir waren nicht allein. 136 SPONTAN __________________________ HILFLOS „’n Schluck Bier und ‘n Kümmerlichen„, befahl Wolle. „’ne Brise Irischet„, war von Tante zu vernehmen. „Einfach zwei Pilsetten für mich und ihm hier„, gab Olle Olé noch schnell zum Besten. „Dein Schenki kann zwar och janz jut bedieneln, aber die Olle mit dem Zahnpastalächeln mitten im Jesicht, hat och janz jute Chancen uff Erfolg„, lallte mir Oldie entgegen. Die Herrlichkeit hinter der Theke war wohl schon zwei Stunden vor unserer Ankunft schwer daran interessiert, daß Oldie endlich ginge. Telepathisch, wie er nun einmal veranlagt ist, schickte er ihr ein wenig verspätet ein „Gute Nacht Schwester!„ über den Tresen und verließ von seiner Umwelt sichtlich enttäuscht den Saal. „Stimmt„, flammte es förmlich aus Olle Olés Mund, „wäre bestimmt ‘ne gute Nachtschwester.„ Wir waren wieder voll in unserem Element. Leider vermittelte uns keiner der anderen anwesenden Gäste den Eindruck, daß er an unseren guten Laune teilhaben möchte. Alle sahen so glücklich in die mit Spinnweben verzierten Ecken, des mühselig auf 137 SPONTAN __________________________ HILFLOS Erlebniskneipe getrimmten Nachtlokals, als hätten sie, einer wie der andere, eine Einbauküche im Wert von 75.000,- DM gewonnen und blieben doch nur Untermieter in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kurzum, nicht unser Laden und wahrscheinlich auch nicht mehr unsere Zeit. 138 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der zweite Tag Unser erstes Morgengrauen erlebten wir gegen zehn Uhr vormittags. Unsere Wimpern verschleierten die entgegenkommende Geste von Klärchen ohne Gnade. Uns fehlte noch der rechte Durchblick. Somit kümmerten wir uns vorerst darum, wer uns was an den Frühstückstisch reichen sollte. „Oldie„, fragte Logo-man-wirklich, für Oldies Geschmack viel zu früh am Tage, wie er denn geschlafen hätte. „Weiß ich nicht, will ich nicht wissen und frage mich vor 11.00 Uhr bitte kein Stück mehr ab!„ Das Gespräch fand keinen Höhepunkt mehr. Logo-man-wirklich bestellte sich sicherheitshalber gleich zwei Bier und dachte wahrscheinlich eher gelangweilt an Oldies Schlafkunst, Oldie selbst gab sich sichtlich Mühe ob seines angehenden Muskelschwundes, der seinen Kopf in aller Kürze in seinen Teller Müsli sacken lassen müßte, Wolle machte seiner Tante ständig unverständliche Komplimente, Tante 139 SPONTAN __________________________ HILFLOS selbst wahr noch gar nicht richtig wach und T. Dew aß derweil völlig ungeniert, mit fixiertem Blick gen Kellnerin, welche ihn bevorzugt bedient hatte. Daraufhin bestellte ich mir vorzugsweise ein Glas Euterwarme. Während es normalen Leuten gewiß unendlich peinlich gewesen wäre an diesem Morgenmahl teilzunehmen, womöglich mit offenen Augen, betrachteten Olle Olé und ich die mit Schlaftrunkenheit gespickte Szenerie mit dem hierfür notwendigen Schuß Humor und gingen auf Erkundungstour. Wir schlenderten los. Vorbei an rustikalen Einheitshotels, in deren Nähe uns der Geruch von Topfspüle und Toilette gleichermaßen umnebelte, weiter entlang an der Strandpromenade, die mit Karussellen und Imbißstübchen derart vollgeladen war, daß uns der Blick aufs Meer versagt blieb und gelangten schließlich und endlich an eine Seebrücke. Genaugenommen war es nicht eine Seebrücke, sondern mehr die Seebrücke. Und um bei der Wahrheit zu bleiben, war es auch nicht nur die Seebrücke, sondern die Seebrücke, auf der ganz zufällig das Brückenfest statt fand. Welch ein Unglück! 140 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Na wen schnuppert denn da mein fast völlig stummes Auge?„ fragte Olle Olé eher schreiend in das Brückenfest hinein. „Wenn das mal nicht unser Bäuchlich ist? Warst du verschollen, oder hattest du einfach nur die Schnauze voll von uns?„ erkundigte er sich weiter, besorgt wie die Mutti von Bauchi alias Bäuchlein alias ... „Mir war einfach nur nach Bummeln zumute. Die Sonne, das Meer, die Möwen - einfach alles irgendwie tierisch Honig auf der Seele. Versteht ihr was ich meine?„ Natürlich verstanden wir. Einstimmig hatten wir uns Kultur und Erholung verschrieben. Wir erinnerten uns an unsere Losung und waren schlagartig Tourist Anfang Fünfzig: „Guck’ mal hier, das Porzellan im Schaufenster„, quälte ich mir einen ab. „Und da die Blumen am Wegesrand„, stimmte Olle Olé unter Schmerzen mit ein. So gingen wir drei über das Brückenfest hin und her. Circa beim siebenten Mal, gesellten sich zwei Schaulustige und der Rest unserer Besatzung zu uns. Gemeinsam bestritten wir das vierzehnte Mal und bogen an der erstbesten Nebenstraße ganz unauffällig ab. Weder wollten wir weiterschlendern, noch hatten wir großartig Lust darauf, uns eine gewisse Art von Niederlage 141 SPONTAN __________________________ HILFLOS eingestehen zu müssen. Also neuer Weg, neues Glück! Am Horizont glitzerte etwas. Der Planet hatte sich nunmehr auf die Höhe des Asphalts begeben und blendete somit. Was sprang uns aus dieser Entfernung so wohltuend in die Augen? War es der Seitenspiegel eines Autos in dem sich die letzten Zuckungen der Sonne verfingen? Eines Autos, daß wir gerne hätten, aber nie haben werden? Eines Tretautos mit ohne Kupplung? War es doch nur eine miese kleine Pfütze, als Delta jener stinkenden Rinnsale, welche man unschwer zu einem dieser billigen Hotels zurückverfolgen hätte können? War es eine Bierwerbung an einer Kneipe, eine verlorene Sonnenbrille, ein riesiger Berg von Nichts, die Sonne selbst? War es vielleicht ein Gesicht, voller Anmut und Farbe, mit einer Ausstrahlung bis über den Äquator hinaus und intensiver als Cäsium? Konnte es etwas anderes sein, als ein Gesicht? Mit zunehmenden Schritten erblickten wir, was uns derart geblendet hatte. Es war ein Gesicht. Nicht ganz so glorreich wie in unserer Phantasie, aber ein Gesicht. Als wir ihm Auge in Auge gegenüber standen, erkannten wir trotz 142 SPONTAN __________________________ HILFLOS einer gewissen Form von Ernüchterung Oldies frisch gepinseltes Äußere. „Wir machen heute Abend ‘nen Streifzug. Last uns beim Italiener einkehren und was knabbern. Und dann ab ins Gewissenlose! Ready?„ Die folgenden Stunden fanden ohne jede Überlegung statt. Der Morgen darauf ähnelte teuflisch dem gestrigen, ebenso der Nachmittag. Gerade ist man von zu Hause abgefahren und schon naht die Heimfahrt. Dieses häßliche Gefühl begleitet mich schon bei einem gut gelungenem Ausflug von zwei Stunden. Um so länger ich dem Alltag entfliehe, desto schwieriger fällt mir der Umgang mit diesem Gefühl. So bündelten wir alle verinnerlichte positive Energie in den letzten Abend, um sie in Ausstrahlung und Erfolgserlebnisse umwandeln zu können. Zu Hause wieder angelangt, kann ich meinem Christianchen wenigstens vorgaukeln, es wäre unerträglich gewesen, ohne sie zu verreisen. 143 SPONTAN __________________________ HILFLOS Die Bündelung Wir gingen mit einer gewissen Planung in eben das Nachtlokal, in dem man uns noch vor zwei Tagen eher ignorierte als liebte. Eine Art aufmerksame Studie über das Verhalten von Dorfbewohnern. Möglicherweise erleben wir aber auch einen Quantensprung der Einheimischen auf ein höheres Energieniveau. Sozusagen dem Verhalten der Touristen Mitte Dreißig angepaßt. Dies wäre immerhin schon ein beachtlicher Erfolg. Fraglich bleibt, ob wir bei dieser Art von Zauber nachhelfen müssen. „Am Morgen kann ich nichts essen, weil ich dich liebe. Zum Mittag kann ich nichts essen, weil ich dich liebe. Am Abend kann ich nichts essen, weil ich dich liebe. Und in der Nacht kann ich nicht schlafen, weil ich Hunger habe„, jammerte Bäuchlein der ersten greifbaren Dame ins Ohr und ergänzte: „Also lade mich bitte zum Essen ein.„ „Du liebst mich, du liebst mich nicht. Du liebst mich, du lieb...„, begann Tante die Perlen in ihrem Haar abzuzählen, ohne dabei den Blick von ihrem Wolle abzuwenden. 144 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Du liebst mich, warum auch nicht? Du liebst mich, ich lieb’ auch dich„, vervollständigte Wolle die Anbetung seiner Göttin. „Die Schnecke im polierten Leder ... Dahinten an der Bar ...„, begann T. Dew zu träumen, strich sich dabei geübt durch seine Mähne à la David Lee Roth (Er hatte mal eine. Wirklich!) und vergaß darüber völlig, seine Athletik in Unterlippennähe mindestens halb angespannt zu lassen, so daß ihm ein von ColaWhisky leicht braungefärbter Tropfen seines Speichels über sein Kinn rann, und auf seine Hose zu tropfen drohte. „...ist nach meinem Rezept für Pfeffersteak wirklich die schärfste Nummer im Ländle!„ Logo-man-wirklich turnte im Kreis umher und konnte sich immer noch nicht so recht entscheiden, wohin ihn sein Hintern nun fallen lassen solle. So gab er uns mit einem leisen, jedoch ernst gemeinten „Seit ihr irre?!„ sanft zu verstehen, daß wir uns nicht gerade spontan beliebt machen würden, wenn wir unsere Lederjacken allesamt auf die Barhocker schmeißen, um es uns danach auf ihnen bequem zu machen. Die „Sache„ gäbe gleich jedem Gast hier im Lokal genügend Aufschluß darüber, woher wir 145 SPONTAN __________________________ HILFLOS kämen, wie alt wir wären, welches Deo wir üblicherweise benutzen würden und wie hoch überzogen unser Dispo-Kredit sei. All dies wäre ihm bereits als Hirngespinst schon unendlich peinlich. Bestimmt! Er setzte sich also mit aufgesetzt angewidertem Blick in unsere Mitte, rülpste fast vorlaut und entgegnete der sich mit vorsichtigem Schritt nähernden Kellnerin, daß sie ihm seinen ausschlagenden Mundgeruch besser verzeihen möge, weil er sich ansonsten dazu genötigt ... sich der letzten drei unverdauten Tage ... mittels Gesäßhusten ... Ich machte es mir nebst Olle Olé bequem. Hatten wir anfangs noch ausreichend Spaß daran, Wolles Bemühungen zu bewundern, die zärtlichen Attacken von Bauchi abzuwehren, bemerkten wir fast schon zu spät drei Schalen voll mit Schokoladenpudding, einem Sahnehäubchen oben auf und jeweils verziert mit einer Weinbrandkirsche. Schlagartig wurde uns bewußt, daß wir nie wieder glücklich werden würden, wenn wir ein solch verführerisches Dessert einfach links betrocknen ließen. Wir angelten nach einer Strategie für einen Eroberungsfeldzug. Das Naschen konnte später geklärt werden. 146 SPONTAN __________________________ HILFLOS Wie verzaubert man eine Weinbrandkirsche? Wie gelingt es einem, eine Weinbrandkirsche in eine Art Schwebezustand zu versetzen, so daß sie einem wie von Geisterhand in den Mund fliegt? Eine Variante besteht darin, sie einfach ohne Überlegung in den Mund zu stecken. Der international erfahrenen Naschkatze erscheint es jedoch klüger, einfach über sie hinwegzusehen. Denn die Praxis belegt, daß eine wohlschmeckende Weinbrandkirsche sich ihrer Anziehungskraft durchaus bewußt ist. Äfft man ihr ständig hinterher, leckt sich dabei womöglich auch noch flegelhaft die Lippen, sieht sie über einen hinweg, so als gäbe es Tausende anderer Möglichkeiten, verleckert zu werden. Und jeder kluge Kopf weiß, daß es sie gibt. Man gewinnt eine Weinbrand-kirsche nur dann für sich, wenn man sie anfangs völlig ignoriert. Äh? Die wohlschmeckende Weinbrandkirsche kennt ihre Reize und setzt sie keck ein. Denn sie ist es gewohnt, mit den Augen anderer vernascht zu werden. Dieser Ablauf wiederholt sich für sie auf fast jedem Schokoladenpudding. Oftmals bleibt 147 SPONTAN __________________________ HILFLOS sie dann als kümmerlicher Rest in der Schale liegen. Das will sie nicht! Die wohlschmeckende Weinbrandkirsche kann es zwar bald schon nicht mehr vertragen, nur auf weite Distanz an den Mündern anderer zu hängen, jedoch bleibt diese für sie so gewohnte Szenerie auch nur einmal aus, ist es ihr schon wieder unwohl um den Kern. Anders ausgedrückt: Man fällt auf. Sicher ist der erste Moment ein eher böses und fauchendes Sekündchen, doch schon bald wächst das Interesse für den verwegenen Ignoranten. Und mit ein wenig Glück leckt sie sich jetzt ihre kirschroten Lippen. Der Spieß ist umgedreht. Nach geraumer Zeit empfiehlt sich ein kurzer Blickkontakt, ein weiterer und ein dritter, tiefer Blick bis unter die Netzhaut... Lächeln erlaubt! ... Ich gesellte mich auf ihren Pudding und plauderte nach Lebensart. Es ließ sich gut an. Wir sprachen über andere Desserts, über den Hang zum Nachtisch im allgemeinen und waren gerade beim Anrühren von mit Fruchtmischung versetztem Vanillepudding, als sich Olle Olé ganz unverblümt an unseren voll besetzten Stehtisch 148 SPONTAN __________________________ HILFLOS gesellte und mir mit einem Satz die ganze Leckerei versaute: „Na, meine mit Alkohol vertrauten Liebesperlen, hat euch mein zweitbester Kumpel schon gestanden, daß er nur auf Edelstahllöffel beim Verzehr von eingelegten Früchtchen wie euch steht?„ Was sollte ich noch hinzufügen? Mir fehlte die Luft zum Atmen und die passenden Worte ohnehin. Ich wußte nicht einmal, daß es Edelstahllöffel gibt, geschweige denn, daß man mit ihnen Leckerlies machen kann. Also versank ich für kurze Zeit schluchzend in der Ecke und dachte über mich und Christiane nach. Aber ... 149 SPONTAN __________________________ HILFLOS ALKOHOL ALKOHOL, DIESER GEIST, DER JEDEN BELÄCHELT UND HEIMLICH BESCHEIßT. ER WIRD DIR ZUM PARTNER, ZUR WOHNUNG, GENAU! ER WIRD DIR ZUM KRIEG UND DANN ZUM K.O.! Die Fütterung ... es klappt gelegentlich auch ohne diesen ganzen Scheiß von wegen Weinbrandkirsche ignorieren und so weiter. T.Dews blonder Traum in Leder saß immer noch ganz alleine inmitten von nichts. Er selbst war müde. Ich sprach sie an. Ich roch an ihrem Hals und wanderte weiter hoch bis zu ihrem Ohrläppchen und leckte es. Ich warf meine Philosophie über Weinbrandkirschen über die Reling, über Bord und über alles. Ich war spitz auf sie. Sie war für mich der ersehnte Schluck Wasser nach dem Genuß von drei Kilo 150 SPONTAN __________________________ HILFLOS Salzstangen. Ich war Feuer und Flamme. In meinen Augen war sie nur noch eine ausgetrocknete Waldschonung. Sie mußte entflammen! Ich quatschte bestimmt eine Viertelstunde auf sie ein. Ich erzählte ihr von meinen Hobbys (Hund-Katze-Maus), von der U-Bahn und dem Dreck in Berlin, dem Nachtleben und log, daß es hier besser sei. Ich ergoß einen Berg an Komplimenten über ihr Haupt - ob ihres Duftes, ihrer Haare, Zähne und ihrer Klamotten. Während dieser Zeit trank ich kein einziges Bier und gab mir die größte Mühe, den Zigarettenrauch an ihr vorbeizublasen. Ich benahm mich wie immer und noch besser. Jede Möwe hätte sich in mich verliebt. Ich hob ihre Intelligenz in den Himmel und wäre dabei um Haaresbreite mit dem DiscoveryProgramm kollidiert. Jede Frau hätte sich verarscht fühlen müssen oder hätte mir vor Begeisterung die Fingernägel abgekaut, aber sie blieb cool und regungslos. Nach näherem Hinsehen entdeckte ich enttäuscht ihre verdrehten Augen. Sie hatte nach Auskunft der Barfrau gut das Dreifache meiner Rechnung zu begleichen und war einfach 151 SPONTAN __________________________ HILFLOS rattenzu. Ich hätte für sie den Koran und Schillers „Die Glocke„ auswendig lernen können ... Da ahmt man David Copperfield und Otto Waalkes in einem nach, verdurstet fast und wird dann behandelt, als rieche man wie Henry Maske in der achten Runde. Ich könnte aus dem Fenster springen! Einzig ein Werbevertrag mit „ Joghuredde„ oder ‘n Drink könnte mich jetzt noch aufheitern. Und wenn alles zu spät sein sollte, lege ich ‘nen Table-dance für ‘ne Runde eingelegter Gurken hin. Sauer macht lustig! 152 SPONTAN __________________________ HILFLOS Weich, weicher, aufgeweicht Komisch, hört sich an wie der resignierende Hilferuf einer Hausfrau, die für vier kochen soll, aber nur zwei Hände hat. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um den zu lang eingetitschten Lebkuchen im Kaffee, und mit ultraweißgewaschener Buntwäsche hat es ebenso wenig zu tun. Weich, weicher, aufgeweicht umschreibt vielmehr das Maskottchen, das sich jeder um den Hals hängen sollte, um als Deutscher erkannt zu werden. Was macht der Deutsche denn so am liebsten - außer Schnarchen und in den Urlaub fahren? Was kann er denn so am besten - außer seine Fußballcracks vorm Fernseher anzufeuern? Womit spielt der Deutsche jeden Ausländer an die Wand - abgesehen von seiner Gastfreundlichkeit? ... Er prahlt mit seinem Auto, o.k. Besser ist er jedoch im Kohle ausgeben! Kohle ausgeben ist heutzutage ein fester Bestandteil eines jeden Eitelkeit. Kopfüber an der Waschmaschine wird entgegen dem gut gemeinten Rat des Herstellers 153 SPONTAN __________________________ HILFLOS gleich die doppelte Ladung „uriel-altra„ hineingeschüttet. Das „uriel-altra„ unschlagbar ist, hat uns gerade die Spielfilmunterbrechung beigebracht. Und unsere Unterhöschen von Calvin K. sind sooo soft, da hilft eben nur die doppelte Ladung. Selbst beim Billigpulli geben wir noch eine Prise mehr hinzu. Vielleicht wird seine Herkunft ja gleich mit weggespült? Unser Kühlschrank ist vollgepfropft mit Light-Packungen, einschließlich der Zigaretten. Sieht nach mehr aus! Dickmacher kennen wir nicht! (Nur zu besonderen Anlässen. Dann aber richtig!) Vielmehr gehen wir nach unserem Minimenü einen Frischgepreßten trinken und dann ab ins Fitneßstudio. Eine dreifache Übung bei nur zweifacher Verkraftung ist doch immer noch besser, als nicht beachtet zu werden. Zum Feierabend brechen wir alle unsere Vorsätze: ... gehen italienisch Essen, regen uns über den Geschmack von Peperoni auf, freuen uns über die billige Rechnung und die tolle Bedienung. Wenn nunmehr alles nach Wunsch verläuft, schlafen wir mit einem beliebigen Partner Mit und sind danach so dermaßen light, daß wir es Ohne auch nicht mehr bringen würden. Völlig erschöpft schlummern wir ein und werden pünktlich um 154 SPONTAN __________________________ HILFLOS sechs Uhr in der Frühe von unserem Alptraum erlöst, den alltäglichen Einkauf von Sahnebonbons in unserem Tante-Emma-Laden zu versäumen. Wäre ja auch schlimm, wenn wir nach 20 Jahren geschmackstreuer Haltung, den Ersten nicht gleich am Ladentisch hinterschleckern würden. Wir waren weich, wurden immer weicher ... Wann sind wir aufgeweicht? 155 SPONTAN __________________________ HILFLOS Schluß mit lustig! Ich hatte die Gurken satt bis oben hin! Ich mußte nicht einmal dafür tanzen! Sie standen einfach auf dem Tresen und grinsten mich an. Dieses Dorf bot in einem Nachtcafé tatsächlich Gurken an. Umsonst! Entweder ist hier jeder zweite Gast mit tödlicher Sicherheit alle Tage volltrunken, oder diese grünen Zwerge dienen als Ersatz für Brot und Salz. In meinen Gedanken hämmerte die Stimme von Elisabeth Volkmann von Trommelfell zu Trommelfell: „Noch Gürkchen? Noch Leberwuorstschnittchen?„ Daß mich ausgerechnet Elisabeth in dieser Tristeste mütterlich umsorgte ... Ich weiß ja auch nicht. Oldie haute mir auf die Schulter (Er war mal weg, mal wieder da. Mal weg, mal wieder d...) und ließ Elisabeth aus meinen Ohren purzeln: „Hier steppt der Bär, hier bumst der Papst, hier gibt es Wasser für nix und das bis morgen früh! Alter, das Leben ist schon irgendwie geil. Der Abend bietet uns alle Möglichkeiten, und ich will sie lückenlos nutzen!„ 156 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Oldie, du hast deinen Spitznamen nicht umsonst!„ „Solange die Männerwelt von Typen wie dir repräsentiert wird, Andreas, hat mein Alter noch Chancen bis zum Krückstock!„ „Du solltest dir die Schläfen nachgrauen lassen. Vielleicht folgen deinen Sprüchen dann auch Erfolge.„ „Glaubst du ehrlich, ich würde prahlen wie der Kanzler vor der Wahl, wenn ich nicht schon zwei Fische an der Angel hätte? Du, die sind wild auf’n Spaziergang am Meer. Es ist zwar arschkalt, aber du hast ja ‘n Schal, der für euch beide gleichzeitig Wärme spenden kann. Unter Umständen besitzt du auch noch einen Funken mehr Phantasie, wärmetechnisch betrachtet versteht sich!„ „Sagtest du gerade ‘für euch zwei’?„ „Ich kann zeitweilig mein Herz teilen, nicht aber meinen Unterleib!„ „Oldie, du bist ja eine tüchtige Drecksau!„ bemerkte ich wie frisch aus dem Mustopf des Lebens gestiegen. „Du hast eine tadellose Frau und einen aufstrebenden Jungen zu Hause sitzen. Bist du so gefühlskalt, oder sind deine Probleme 157 SPONTAN __________________________ HILFLOS größerer Natur?„ fragte ich nunmehr mit Nachdruck und Erschütterung in einem Ritt. „Andy, mein junger Kollege, sie sind größer als du jemals werden wirst. Und du stößt dir bereits in gebückter Haltung den Kopf!„ Armes Schwein, dachte ich bei mir. Dann schwenkte ich mein Haupt gen Meeresspaziergangsinteressentinnen. „Oldie, ich habe auch große Probleme„, begann ich behutsam. „Sind die beiden echt? Ist Olle Olé in der Nähe? Welche gefällt dir denn?„ Ich war nervös. „Beruhige dich, junger Stier.„ „Oldie, ich bin nunmehr achtundzwanzig.„ „Sag’ ich doch.„ „Ich meine, ich ...„ „Du feierst zwar pro Tag mindestens drei heiße Flirts, aber deine Herzdame lag dir noch nicht zu Füßen, wie?„ „Deine hellseherischen Fähigkeiten machen mir Angst, Oldie.„ „Ich habe nur mehr Erfahrung wie du.„ „Wenn ich mal so richtig ehrlich sein soll, Oldie, dann, ...„ „Sei es in Gottes Namen!„ 158 SPONTAN __________________________ HILFLOS „... hatte ich schon meine Herzdame. Damals hatte ich sie noch Blondi getauft und nicht Mausi.„ „Du hattest sie wohl sehr gerne, wie?„ „Ja, aber ich war zu blöd, es ihr auch zu sagen. Manchmal denke ich, ich hätte sie damals schnellstens heiraten sollen. Jedenfalls war sie bis zum heutigen Zeitpunkt die einzige Frau, die mich auch während unserer Beziehung geliebt hatte.„ „Allein deine gesonderte Namenstaufe spricht Bände für sie.„ „Alles Scheiße, deine Elli.„ „Hmhm.„ 159 SPONTAN __________________________ HILFLOS Haltlos Oldie nahm mich behutsam zur Seite und sagte: „Schau’ sie dir an! Die sind echt! Mir gefällt die mit den großen Möpsen. Und Olle Olé ist schwer mit seinem Pils beschäftigt.„ „Oldie!„ murmelte ich interessiert und gleichermaßen nachdenklich durch meine halboffenen Lippen, „ich bin zwar nicht verheiratet, aber ich habe Christiane. Ich habe sie erst kürzlich mit der Make-up-Lulle enttäuscht. Eine dritte Chance gibt sie mir nicht!„ „Du sollst ja auch nur naschen. Essen kannst du dann wieder ...„ „Zu Hause, ich weiß. Wir sind hier aber nicht bei Bio im Kochstudio, verstehst du?!„ „Nein.„ „Aber ...„ „Guck’ sie dir an.„ „... ich will glücklich werden und nicht mein ganzes Leben lang Sturm- und Drangzeit spielen.„ „Guck’ sie dir an!„ 160 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Ich seh’ sie ja. Die Möpse sind o.k., aber Christianes sind irgendwie schöner.„ „Du solltest dir ja auch Gedanken um die andere Perle machen!„ „Die gefällt mir nicht.„ „Bitte?!„ „Die is’ nicht mein Typ. Außerdem habe ich ...„ „Christiane. Ich weiß!„ Oldie war ungeduldig. „Mach’ dein Ding, und grüße ihre Mutter von mir.„ „Das würde ich gern tun. Aber ich kann die andere nicht einfach wegzaubern. Erstens hat ihre Freundin mit den großen Dingern ganz deutlich ‘zu zweit’ gesagt, zweitens ist es wohl besser, wenn ich auf sie höre und drittens steht ihre Freundin ganz zufällig auf dich. Seit zwei Stunden übrigens! Du solltest, wenn schon nicht dir, dann wenigstens ihr den Gefallen tun und sie zumindest im Vorbeisehen anlächeln.„ Ich ging zuerst einmal aufs Klo. Das war ganz allein meine Entscheidung! Darüber hinaus wurde mein Willen jedoch von Oldie dirigiert. Ich kam mir vor wie eine Triangel in einem riesigen Orchester. Ich wurde den ganzen Abend vorgezeigt, um ein einziges mal geschlagen zu werden. Oder war ich ein ...? Egal. Ich wurde 161 SPONTAN __________________________ HILFLOS langsam wieder nüchtern und fühlte mich scheußlich. Doch noch beim Zuziehen meines Reißverschlusses (In Wahrheit waren es Knöpfe ...) nahm ich mir vor: Bloß nicht klemmen! Im Vorbeisehen orientierte ich mich kurz. Ich war zwar nicht gefangen von ihrem Blick, aber irgendwie angestrickt. Oldie mußte Hellseher sein, zumindest nebenberuflich. Er hatte meinen Geschmack erahnt, ja geradezu herbei-gewünschelt. Er war mir unheimlich. „Und???„ Oldies Augen stellten mir die wichtigsten Fragen der Zeitgeschichte in einem Wort. „Was ist nun?!„ „Ja, o.k. Aber nur einen Meeresspaziergang!„ „Darüber reden wir noch.„ Wir gingen zu den Damen hin. Oldie stellte mir beide Herrlichkeiten vor und teilte den Weg zum Meer vorsichtshalber gleich in zwei Spielhälften auf. Mir war irgendwie nach Durchfall zumute. Wir wanderten auf die Seebrücke hinaus. Der Wind ließ meinen Schal von ganz alleine um ihren Hals tänzeln. Wir lagen uns in den Armen und wärmten uns. Es war klirrend kalt. Und trotzdem hatte ich ein Gefühl von Weihnachten 162 SPONTAN __________________________ HILFLOS in meinem Herzen. Ihre Augen erinnerten mich an die von Blondi. Wir küßten uns. Oldie durchbrach unsere Wärme: „Laßt uns wieder hinein gehen, hier holt man sich ja den Tod!„ „Habt ihr keinen Schal?„ entgegnete ihm meine Sparflamme. „Hört auf mit den dummen Witzen. Mir ist kalt, ihr ist kalt und euch bestimmt auch. Außerdem ist die Erfahrung, beim Schmusen erst kleine Eiszapfen abknabbern zu müssen, auch nicht so prickelnd. Also bitte!„ „Ja bitte„, schob Oldies Herzdame zitternd hinterher. „Ja, o.k.„, stimmte meine mit ein. Ich wurde nicht gefragt. So schlenderten wir gemeinsam langsamen Touristenschrittes wieder retour. Als wir am Eingang angelangt waren, wollte keiner mehr so richtig: „Ich bin hundemüde„, jammerte mir Oldie augenzwinkernd entgegen. „Meine Beine tun mir weh„, sagte seine Prinzessin. „Na gut„, stimmte ich mit ein und hoffte, daß meine Perle gleich mit Kopfschmerzen aufwarten würde. 163 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Ich fahre euch dann noch fix nach Hause„, sagte sie nach längerem Warten, ohne sich an den Kopf zu fassen. Wir gingen also zu ihrem Wagen. Nach einer kleinen Drängelei fanden wir alle Platz. Zuerst wurden Oldie und ich nach Hause chauffiert. Als wir an unserer Pforte standen und nur noch hätten aussteigen müssen, kam der Moment des „Wie nun?„. Man kann über diesen Moment ewig lamentieren oder einfach ... Es vergingen gut zwei Minuten bis sich unwiderruflich herausstellte, daß ein Auto zum Fahren nutzt, nicht aber als Spielwiese für vier. Oldie ging in Begleitung freiwillig. Daß dieser Autoflirt alle meine Erfahrungen, versteckten Träume und Wunschvorstellungen über zerwühltes Haar und Zärtlichkeit übertreffen sollte, kann ich bis zum heutigen Zeitpunkt ausnahmslos bestätigen. Ich könnte an dieser Stelle noch die Farbe ihrer Unterdingens loben, ihren zauberhaften Geruch umschreiben oder ihren geheimnisvollen Leberfleck. Aber dies bleibt mein Geheimnis! Und auch wenn ich sie nur einmal wiedersehen durfte, bleibt sie meine Blondi mit braunem Haar. 164 SPONTAN __________________________ HILFLOS Was ich liebe ... ... sind zum Beispiel die Morgenstunden am Wochenende, an denen man zur leidlich gewohnten Zeit kurz aufwacht, die Sonne über den Dächern aufgehen sieht, sich im Gefühl viel Zeit zu haben, ohne große Überlegung wieder herumdreht und die Beine wieder mit dem Schlafbett bedeckt. Man kann sich dann schön zusammenkauern und die befriedigende Kühle im Gesicht spüren. Wissen Sie wie schön es ist, wenn sich angenehm warme Haut aneinander reibt? Ein gemeinsames Frühstück im Bett ist dann zweifellos die Krönung. Ich liebe es, im Straßencafé zu sitzen, und die flanierenden Herrschaften zu beobachten. Wie sie eigentlich alle vorbeihetzen, mit ihren Einkaufstüten unter den Armen! Keiner besitzt die Muße zum Verweilen. Nur man selbst ist in dieser gekrönten Position. Es ist so angenehm! Hören Sie gerne Musik? Freitags bin ich abhängig von jenen zwei Stunden völliger Abgeschiedenheit, in denen ich meine Batterie wieder aufladen kann. Sollte sich ein solcher 165 SPONTAN __________________________ HILFLOS Moment in Ihren Ohren nach einem unerreichbaren Privileg anhören, ist es schon fast zu spät für Sie! Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, warten Sie nicht zu lange! Genießen Sie den Moment, erfreuen Sie sich an den Kleinigkeiten des Lebens - Lassen Sie Ihre Wünsche zu! Denken Sie an sich selbst, so wie es die anderen tun! Ich liebe den Geruch von gebrannten Mandeln. In diesen Augenblicken werde ich immer wieder schlagartig zum Kleinkind. Ich erinnere mich sehr gerne an die nimmer enden wollenden Ausflüge in Richtung Riesenrad und Clownerie. Ich hatte große rollende Augen beim Anblick eines jeden Karussells oder zu gewinnenden Plüschbären. Entdecke ich heute diesen verträumten Blick im Gesicht eines Kindes wieder, kann ich meine Augen nur schwer von ihm abwenden. Ich sehe mit seinen Augen zurück in meine Kindheit. Es ist ein wunderbares Gefühl, und ich rieche die gebrannten Mandeln. Sie auch? Ich liebe den Winter ... Nein, das ist gelogen! Aber er kann zumindest appetitlich wirken. An einem freien Tag zu zweit durch jungfräulichen Schnee stapfen (die Sonne scheint natürlich, und die Hände sind warm), den 166 SPONTAN __________________________ HILFLOS Blick über den Horizont tippeln lassen und sich in Vorfreude ob des Geschmacks von Lebkuchen erfreuen ... Alles Märchenkram! Ich hasse den Winter! Ich liebe die Faulheit am Vormittag und meine Bank, wenn sie sich nicht meldet ... die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und den Geruch von Pfefferminztee. Ich liebe beschriebenes Papier und dreistellige Seitenzahlen, den Fußball und seine Tore, Schiedsrichter in bunten Shorts. Ich liebe den Mai, habe aber nichts gegen den Juni. Ich mag keine Nullen und spiele trotzdem Roulette. Auch nett! Ich liebe die Mathematik, nicht aber ihre Lehrer! ... die Bundesbahn und fahre dennoch schwarz. Ich liebe das Fernsehen und schalte hin und her und ab. Ich liebte Axel ... Paperlapapp! Ich liebe die Frauen - auch ohne Verstand. Ich liebe den Otto-Versand. Ich liebe Kaugummis statt Plomben, Fieberthermometer und Pfandflaschen, chinesisches Pfannengemüse statt fruchtige Zwerge ... den Brockhaus und mein Kochbuch ... Nicht aber ihre Preise! 167 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich liebe Bier und Wein, liebte Whisky und Aspirin, Salzstangen ohne Schokoladensoße, Toilettenpapier mit der Zitrusfrische. Ich liebe Lederjacken mit Flicken, Strumpfhosen mit Laufmaschen, Socken mit Löchern, Kragenspeck und Schmutzränder. Ich liebe Haar in voller Pracht, alle Düfte und Farben – kleine Kratzer, keine Narben. Ich liebe hoffnungsvolle Momente, Verlierer und Pferdewetten sowie Schachspiel und PunkMusik. Ich liebte Hydrotöpfe und Gießkannen, Myrrhe und Salbei, Peter Silie und Reiner Zufall. Ich liebe jede Automarke, den Beifahrer-Airbag und Aufprallschutz, Spurrillen und Ampeln ... Fußgänger, Verkehrspolizisten und Schlagsahne. Ich liebe Fische und Haaken, Schweine und Pfannen, Seelöwen und Zoos, Schnecken und unsere französischen Nachbarn. Ich liebe Wärmflaschen und Kaffeemaschinen, Autowaschanlagen und Einbahnstraßen mit Rauchverbot ... T-Shirts und Tintenflecken. Mir ist nach Pausen und Aschenbechern, Krümeln und Arien, strahlendem Weiß und Bettlaken, Kürbiskernen und der Alpenmilch. Ich liebe Kirschen, meinen Nachbarn und seine Mentalität. Ich liebe den Faustkeil und 168 SPONTAN __________________________ HILFLOS seinen Erfinder - Krawatten, Fliegen und Binder. Ich liebe Gläser und Porzellan, Handfeger und Müllschippen, Golf und Käse, Löcher mit Geschmack. Ich liebe alle Sternzeichen und Länder, jede Pfütze und jeden Baum, das Ozonloch und Palmen, Regale und Bücher und Staubflocken ... einfach jeden Tag. 169 SPONTAN __________________________ HILFLOS AMERIKA IN GRÜNEN WÄLDERN AUF ‘NEM PFERD SITZEN ... RAUHE LUFT UND ZIGARILLOQUALM. WO DIE KÜHE DICH MIT SCHLAMM BESPRITZEN ... ALS COWBOY MAL IM SATTEL SITZEN. LAGERFEUER, GOLD IN DEN TASCHEN, HÄRTE ZEIGEN, SCHIEßEREIEN, UNGEWASCHEN WHISKY TRINKEN, FRAU ZU HAUS UND DU ALLEIN. EIN FIXER TRAUM EINES KLEINEN JUNGEN UND DEM GROßEN, FREIEN AMERIKA. DIESE IDYLLE IN DER UNENDLICHEN WEITE, IMMER FROH UND NIEMALS PLEITE - AMERIKA? 170 SPONTAN __________________________ HILFLOS Luxus ... ... ist die mißlungene Mischung zwischen einem liebevoll garnierten Schälchen Erdbeersorbett und Raubtierpisse. Wenn man seinem zweitbesten Kumpel Olle Olé trauen darf, mögen es die Frauen, wenn der Mann ein wenig nach Tiger riecht. - Also fortan nur noch eine Unterhose die Woche und die Fingernägel rot lackiert! Tod allen Deodorants, Seifen und Frischhaltetüchern! Keine Macht dem Tanga-Slip - Viva la Feinripp! Verbannung für alle 5er-Sets Billigunterhosen! Dieser Fetisch gehört der Vergangenheit an. Nagelersatz für den Bowlingsport! 171 SPONTAN __________________________ HILFLOS ANSICHTSSACHE? SCHÖNE FRAU DER ERSTEN SEITE, FROMM UMARMT VON ALTEM MANN. LEIDER WAR ER NIE DABEI ... WAS IHM KEINER GLAUBEN KANN! SPANNUNG ERWARTENDE STILLE IM KLEINEN RUND DIE STÜHLE RUTSCHEN SICH RICHTIG HIN. TÜTENGEKNISTER UND GUMMI IM MUND. NUN MACHT SCHON, ICH KOMM’ HIER SO SELTEN HIN! DER KLEINE MANN MIT ANGST ERFÜLLT ... DAS LICHT WIRD HELL AM BÜHNENRAND. OB ER HIER DEN DURST NUN STILLT? DER VORHANG BEWEGT WIE VON GEISTERHAND. KURZE PAUSE, GLEICH GEHT’S LOS, HAT NOCH MAL HOCHGEZOGEN! ER HAT ES SO VIELEN SO OFT SCHON GEZEIGT, UND WIRD DOCH IMMER NEU GEBOREN. 172 SPONTAN __________________________ HILFLOS SCHÖNE POSSE, NOCH NICHT GEHÖRT UND DOCH SCHON SELBER ERFAHREN. ER HAT ES GESCHAFFT, MIT DEM EINEM WORT, ALLE IN DER RUNDE NUN LACHEN. REIHENWEISE SCHIEßT ER SIE AB, GESICHTER DIE GRIMMIG NOCH SCHAUEN. MACHT SEINE WITZE UND ZEIGT SEINE KLASSE ... GUMMI IM MUND IST JETZT UNGESUND! EIN LETZTER SPRUCH FÜR DEN GROßEN IM HEMD, ALLE ZUR TÜR JETZT SCHON GEHEN. IHN HAT ER HEUTE NICHT GEWONNEN, DOCH VIELE VOM WITZBOLD ZEHREN. 173 SPONTAN __________________________ HILFLOS MEDIENBUMMEL SCHÖNER DIE ZEITUNGEN SCHREIBEN BILDHAFT DAS LEID STEIGT EMPOR MESSER DAS LEBEN BESCHNEIDEN, LÜGE IST OFT DER TENOR! WELLEN DER LUFT UNS BESCHENKEN, MIT TÖNEN WIE COMPUTERMAGIE. DIE JUGEND VERFECHTETS VERWEGEN. AUF DER BÜHNE KONNTEN SIE’S NIE! TRAUMHAFT DIE FARBIGEN BILDER, MEHRFACH GEZEIGT, NUR FÜR SIE. PRIVAT ERHITZT DIE GEMÜTER ... DIE ERSTE REIHE VERSTEHT SICH WIE NIE. MONDLANDSCHAFT AUF DEN RÄNGEN, VERGESSEN HATTE MAN SIE! GELDER DAFÜR HEUT GIGANTISCH STAUBIGE MAUERN - HYSTERIE. 174 SPONTAN __________________________ HILFLOS SELTEN EIN KEIM HOCHGEZOGEN. UND WENN, NUR GESCHOLTEN, VERLACHT. ALLE ZUM OZEAN SCHAUEN ZU VIELES DANN HINÜBERSCHWAPPT! BUNTER DIE BILDER LAUFEN. BEDRUCKTES PAPIER WEIß WIE NIE. FILM UND TON LAUFEN ÜBER. VERSTORBEN DIE BÜHNE, DURCH SIE! 175 SPONTAN __________________________ HILFLOS Peinlich Es ist peinlich, sich in die Hosen zu machen Gerade dann, wenn man beim Smaltalk mit seinem Chef über eine heißersehnte Gehaltserhöhung disputiert. Noch peinlicher wäre es allerdings, wenn Sie zuvor mit der netten Begleitung ihres Chefs geflirtet hätten und ihr Blick auf Ihrem Reißverschluß erstarrt bliebe. Es ist peinlich, bei einer familiären Geburtstagsparty am von Mutti und Omi liebevoll gedeckten Mittagstisch nach den ersten drei Happen zu furzen. Und erfahrungsgemäß werden Zungenküsse bei jeder Form des Aufstoßens abrupt mit einer Ohrfeige unterbrochen. Es ist peinlich, als Redner seine Rede zu vergessen oder als Busfahrer sein Fahrziel. Ganz gewiß wäre es auch unendlich peinlich, wenn man sich aus einer zugesagten Wette - man würde ohne jedes Problem vom 10-Meter-Brett ins Schwimmbassin springen - damit herauszureden versucht, man hätte seine Badekappe vergessen. Wir müssen essen um zu leben. Das ist eine Tatsache! Ich lebe um zu essen. Dies ist 176 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ehrensache! Oder Peinlich? Ich mag die Werbung meiner potentiellen Calgon-Nachbarin, habe aber keinen Geschirrspüler. - Peinlich? Manchmal denke ich, ich lebe in einer überteuerten Dachgeschoß-wohnung. Dabei sind nur die Wände schief. Das ist peinlich! Peinlich sind Live-Übertragungen des Schachsports, verlorene Heimspiele in der Tischtennis-Bundesliga, geputzte Lackschuhe und Ringelsöckchen. Peinlich sind die hehren Ansprüche einiger Talkshows und ihre Pinkelpausen. Peinlich sind Umfrageergebnisse und ihr repräsentatives Niveau (waagerechte Fläche auf einer „gewissen„ Höhenstufe). Es ist peinlich mit den Fingern zu essen, aus der Flasche zu trinken und zu kleckern - ab dem fünften Lebensjahr versteht sich! Wenn ein Politiker offenkundig die Unwahrheit zum Besten hält, lügt er. Die große Wählermasse ist betroffen und es ist ihr peinlich, daß es ihm nicht peinlich ist. Sagt ein Politiker ganz nebenher die Wahrheit, ist es ihm peinlich. Die große Wählermasse ist betroffen, weil es weniger peinlich, denn mehr eine gewisse Art Stilbruch ist! 177 SPONTAN __________________________ HILFLOS Das Gemüse Bekannterweise begann alles mit dem Urknall ... dann kam Holland, es folgte die Schöpfung und dann das Gemüse! Seinerzeit, als der Mensch noch erfunden werden wollte, war das Gemüse die intelligenteste Lebensform auf der Welt. Damals eben. Nach einem riesigen Knall, einem wollüstigem Getöse und einer typischen Handbewegung Gottes, flogen dann die ersten Mohrrüben ungeschält vom Himmel. Ja damals im fernen Land, waren die Mohrrüben weder extrafein noch vorgekocht. Nein, zu jener Zeit wollte die Mohrrübe noch etwas vom Leben haben! Später hatte sie sich jedoch dazu entschlossen, nach Holland auszuwandern. Wegens des Klimas wahrscheinlich. Von dem Tage an schickten uns ihre Enkel - bis zum heutigen Tage Grußadressen in Büchsen ... Die Mohrrübe war ja so etwas wie der Leithammel der Gemüse, denn die meisten Kameraden folgten ihr unversehens ins gelobte 178 SPONTAN __________________________ HILFLOS Land. Aus den wenigen Sorten derer, die heute noch verzweifelt an die Pforten Hanflands pochen, hat die Schöpfung dann den Mensch geformt. Leider hatte sie dabei vergessen, sich zuvor ausreichend die Hände zu waschen. So etablierten sich Exemplare mit bewundernswerter Resistenz. - Vor den Toren Hollands gewissermaßen. Heute finden wir sie in allen Gärten. Wer kennt ihn nicht den Kohl? Er wird ständig geerntet und kommt doch immer wieder. Dabei ist er schon seit einer Weile überreif. Dennoch, der Kohl ist nicht dumm. Er weiß ganz genau, daß er kein Obst ist, welches an den Bäumen hängt und herunterfallen kann. Nein, er ist bereits am Boden und hat nur Glück, daß alle Bauern danebentrampeln. 179 SPONTAN __________________________ HILFLOS Peter K. aus H. Es ist angenehm, die laue Frühlingsluft auf der Haut zu spüren. Es ist so schön, ich beneide mich selbst, denkt Peter. Nach dem Frühstück werde ich an den Strand gehen und bis um zehn Uhr die Morgensonne an meiner kostbaren Haut abprallen lassen. Im Anschluß daran ein kurzer Spaziergang zum „Real„. Die Croissants zum zweiten Morgenmahl sind in diesem elitären Strandlokal unübertroffen. Und vielleicht treffe ich da die Bärbel von gestern abend. Es ist ein Privileg auf Las Palmas zu leben, denkt sich Peter. Es ist nur schade, daß ich hier keinem von meinem großen Lotto-Glück vom vergangenen Herbst erzählen kann. Das Gros der hier lebenden Einwanderer verdient am Tage das Sümmchen, welches mir die Glücksspirale nach zwanzigjährigem Kampf an der Lotto-Front unfreiwillig auszahlen mußte. Mit Geld kann man hier nicht prahlen. Aber wenn ich in der Heimat anrufe und denen verklickere, welche Temperaturen hier Mitte Februar herrschen ... 180 SPONTAN __________________________ HILFLOS Es ist neun Uhr vormittags: Peters Telefon läutet eindringlich wie ein Wecker - an jenem Tage ist es gewissermaßen sein Wecker! „Wer ist da?„ fragt Peter mit noch geschlossenen Augen und völlig verschlafen in den Hörer. „Es ist bereits neun Uhr! Wenn du deinen Job behalten willst, zieh’ deinen Arsch aus dem Bett und bewege dich in Windeseile hier her!„ „Bärb..., Bärbel?„ fragte Peter eingeschüchtert wie ein frommes Lamm. „Was ist los mit dir? Mach’ endlich deine Augen auf! Du bist schließlich nicht im Urlaub.„ „Komme gleich„, sagte Peter leise und legte den Fortschritt der letzten IFA knapp neben das Basisgerät. Peter öffnete die Augen und erblickt einen tristen Wintermorgen mitten im Herzen Deutschlands. „Scheiße!„ fluchte Peter und kroch zunächst unter die Decke und dann unter die Dusche. Es ist nunmehr viertel nach zehn. Peter ist auf seiner Arbeitsstelle angelangt. Er arbeitet seit zwölf Jahren als Versicherungskaufmann bei „Böse & Sohn„, einem Familienunternehmen in der dritten Geschlechterfolge. 181 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Du hast Schwein, daß der Chef mit seinem Junior heute abgejettet ist! Aber ich kann dich nicht jeden Tag aus dem Dreck ziehen„, empfängt ihn Bärbel herzlich. „Ich habe lediglich verschlafen. Das passiert der besten Hausfrau„, verteidigt sich Peter gegenüber Bärbel, der Sekretärin des Chefs und bis Freitag letzter Woche seine Geliebte. „Ich kenne keine Hausfrau, die viermal hintereinander verschlafen hat!„ mahnt Bärbel Peter unnachgiebig und beschissen freundlich. Peter geht in sein Büro. Auf dem Bildschirm seines PCs erscheint: „Bärbel schnell noch ein Küßchen geben!!!„ Peter weiß, daß diese peinliche Gedächtnisstütze auch irgendwann einmal aufgefrischt werden müßte. Leider kann Peter seine Gefühle nicht so einfach abstellen wie einen Wasserhahn. Seit Bärbel sich von ihm getrennt hatte, schläft er in jeder freien Minute. Nach kurzer Zeit versinkt er immer wieder in den selben Traum: LottoGlück auf Gran Canaria. Und immer wieder lernt er Bärbel im „Real„ kennen. Alles ist so sorgenfrei. Bärbel hat noch keine Augenränder und ihr Busen sitzt noch schön straff. Und er ist 182 SPONTAN __________________________ HILFLOS noch der toughe Junge aus dem Ruderverein. So wie damals eben, auf einer Campingtour. Zwischen den Erinnerungen und dem grauen Alltag liegen nunmehr fast 12 Jahre. Heute ist Peter 42 und Bärbel nullt in drei Jahren zum fünften Mal. „Peter, du hast in zwanzig Minuten einen Termin bei Herrn Leisetreter. Wenn es deine Zeit erlaubt, stell’ mir vorher noch die Unterlagen Feuerbach zusammen. Sein Haus ist angeblich zum zweiten Mal abgebrannt.„ Was sechs Tage alles verändern können, stellte Peter unter einem Anflug von Midlifecrisis fest. Bis Freitag letzter Woche hätte Bärbel noch „Peterle„ gerufen. Auch wenn er es in Gegenwart der anderen Mitarbeiter immer gehaßt hat, so zitiert zu werden, vermißt er diese feine Art von verbalem Sex im Büro. Heute ist er nur noch „Peter„. Und das alles nur wegen Bärbels Mutter. Nur wegen ihr haben sich die beiden ein Haus gebaut. Und nur wegen ihr zahlt Peter jetzt die Raten allein. Bärbels Mutter hat es nie verwunden, daß die beiden ihr kein Enkelkind ins Heim trugen. Seitdem hatte sie Bärbel ständig attackiert und Peter in den Schmutz gezogen. Irgendwann ist Peter dann der Kragen geplatzt: 183 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Jag’ deine Mutter zum Teufel und laß uns endlich unser Leben leben!„ forderte er schließlich. Aber Bärbel war ihrer Mutter gegenüber ergeben wie ein Verdurstender gegenüber einer Dachrinne. ... wäre sie jemals am Ertrinken gewesen, und hätte ihr Mutti-Drachen am Ufer gestanden, wäre ihr vor lauter Ehrfurcht nicht einmal ein leises „Hilfe!„ über die Lippen gekrochen. Waltraut Böse hätte regungslos ihren frischrasierten Damenbart geleckt. Sie war es, die in der Firma das Ruder fest in der Hand hielt. Ihr Mann und ihr Junior waren auch nur zwei Lackaffen ohne Rückrad. Waltraut Böse war das Böse! Seit sechs Tagen überlegt Peter ob es denn richtig war, in den Briefkasten von Waltraut und ihrem Chefchen zu pinkeln. Es wäre ja auch alles gut gegangen, wenn Peter nicht sturzbetrunken gewesen und der Sohnemann der beiden heiligen Gestalten gerade an das Gartentor getreten wäre ... Aus einem Jungenstreich wurde bitterer Ernst. Waltraut Böse stellte ihn zur Rede - nein besser - an die Wand: „Wir wollen uns ja kein unsoziales Verhalten gegenüber unseren unteren Angestellten nachsagen lassen. Deinen Job 184 SPONTAN __________________________ HILFLOS kannst du behalten. Aber Bärbel zieht wieder zu uns!„ All dies ereignete sich vor genau sechs Tagen. Seitdem benimmt sich Bärbel Peter gegenüber wie die verlängerte verknöcherte Hand von Waltraut. „Was ist nun mit den Unterlagen zu Feuerbachs Brandkatastrophe?„ fragte Bärbel mit herzlos forderndem Unterton. „Mir gehen diese Unterlagen drei Meter am Arsch vorbei!„ „Spinnst du jetzt total?„ erkundigte sich Bärbel nicht gerade sehr ermunternd nach Peters Wohlbefinden. „Bärbel, ich kann auf diesen Job hier spielend verzichten, aber nicht auf dich. Was hat deine Mutter was ich nicht habe?„ „Sicherheiten en Gros!„ sagte Bärbel so trocken, als wäre Speichel in ihrem Mund gänzlich unerforscht. Sie zuckte nicht einmal. Man hätte denken können, daß sie in ihrem Leben noch kein einziges Mal rot geworden war. Was Peter in jenem Augenblick jedoch am meisten zermürbte war, daß Bärbel während des ganzen Gesprächs mit Vorliebe den Parkplatz vor dem 185 SPONTAN __________________________ HILFLOS Hause mit ihren Augen bewanderte und ihn keines einzigen Blickes würdigte. Das Fenster an dem Bärbel stand war weit geöffnet. Peter trat langsam an sie heran, küßte sie zärtlich auf die Wange und sprang elf Stockwerke tiefer. 186 SPONTAN __________________________ HILFLOS FÜR ZUPPI MEINE AUGEN WEIT WEG, SIE DREHEN SICH IM RAUM ESSEN KANN ICH NUR MIT WIDERWILLEN. MUSIK UND QUALM HALTEN FEST MEINEN TRAUM ... ICH BEGINNE ZU SCHWEBEN, FÜR MICH, IM STILLEN. FLIEHENDE GEDANKEN ERFAß‘ ICH NICHT. ES RAST UND BLITZT, ES ZIEHT MICH NACH INNEN. ICH SEH’ IN DEN SPIEGEL UND ERKENN’ MICH NICHT. DER SCHÖNE TRAUM BEGINNT ZU SCHWINDEN. DIE ZEIT IST HERAN, ZIEHE MICH AN, GEHE DEN WEG UND STEIG’ IN DIE BAHN. FAHRE DORTHIN, WO DIE HUNDE BELLEN ... ICH WILL NICHT! 187 SPONTAN __________________________ HILFLOS TRAUMHAFT KÖNNTE MAN DURCH GEMÄUER SCHAUEN WÄNDE VON ANDEREN SEITEN SEHEN OHNE RICHTIG HINZUGEHEN? TRAUM VON FREIHEIT UND DEM SCHLEMMERMANN DIE GOLDKANTE. WO MAN ÜBER ALLES MECKERN KANN ... AUFGEWACHT UND DURCHGESCHAUT WANN BADEN WIR AM SELBEN STRAND? 188 SPONTAN __________________________ HILFLOS Interpunktionsregeln - Sadismus des Lebens Pünktchen Komma Pünktchen Komma Komma Komma Strich Komma fertig ist das Mondgesicht Punkt Bindestrich Der Duden ist das reinste Nagelbrett Ausrufezeichen Wie kleine Dartspfeile prasselten mir schon seit frühester Schulzeit diverse Belehrungen der Lehrer Komma ob korrekter Rechtschreibung Komma Grammatik und Zeichensetzung auf meine gottverdammt ungeschickten Pfoten Punkt Was hilft einem da Sprachrhythmus Komma wenn man Legast Klammer auf h Klammer zu eniker ist Fragezeichen Und brauche ich den Infinitiv mit doppelte Anführungszeichen unten zu doppelte Ausführungszeichen oben Klammer auf Gänsefüßchen Klammer zu wirklich dazu Komma um mich in einem Liebesbrief nicht vollends zu blamieren Fragezeichen Bindestrich bzw Punkt Gedankenstrich Daß das wohl so sein muß Komma empfand ich nach sieben langen Wochen Komma die ich auf eine beglückende Rückantwort auf meinen ersten Liebesbrief warten mußte Doppelpunkt doppelte Anführungszeichen unten 189 SPONTAN __________________________ HILFLOS Als Antwort auf dein verlottert beschmiertes Butterbrotpapier Komma sende ich Dir eine Kopie des selben Komma weil ich nicht annähernd so geschmacklos bin wie du Ausrufezeichen doppelte Ausführungszeichen oben Absatz Ich wußte zwar Komma daß ich mich mit ihr mit der Zunge küssen wollte Komma nicht aber wie man Zungenkuß schreibt Punkt Ich schrieb ihr Komma daß ich ihr gerne über das Knie streicheln wolle usw Punkt Komma habe aber Knie ohne doppelte Anführungszeichen unten ie doppelte Ausführungszeichen oben Komma dafür aber mit doppelte Anführungszeichen unten y doppelte Ausführungszeichen oben geschrieben Komma weil es besser aussah Punkt Ist dies nun Pechsache oder Unvermögen Komma Dummheit oder jugendlicher Leichtsinn Fragezeichen Ich kenne keinen Klammer auf Und ich kenne viele Ausrufezeichen Klammer zu Komma der bei den Worten vollhydraulische Kartoffelvollerntemaschine Komma vierfach versaideter Zwirnsfaden Komma Whisky oder Whiskey Komma Psychotherapeutik Komma Pfarradministrator Komma Monotheismus Komma Meteorologie Komma Kreppapier Komma Intellektualismus oder Chrysantheme nicht ins 190 SPONTAN __________________________ HILFLOS Schwitzen geraten würde Punkt Aber die Enttäuschung meiner ersten Liebe sitzt so tief Komma daß ich es fortan sehr genau nahm Auslassungspunkt Auslassungspunkt Auslassungspunkt Absatz Tun Ihnen jetzt die Augen sehr weh Fragezeichen 191 SPONTAN __________________________ HILFLOS Wiedersehen mit Blondi Ich saß auf einer Parkbank, eingefangen von unzähligen Mücken und ähnlichen Untieren deren Namen mir ebenso ungeläufig sind, wie ihr biologischer Lebensanspruch. Ich haschte mit meinen Händen nach ihren flinken Körpern, um sie sorgsam zu zerquetschen. Doch meine Finger waren viel zu müde, um einem Insekt habhaft werden zu können. Während dieser sinnlosen Minuten der Selbstverteidigung ob möglicher Beulen auf meiner zarten Haut, entging mir jedwede Attraktion für mein Augenlicht. Ich jagte und hüpfte, fluchte und schrie ... Ich wurde verarscht und besiegt. Zerkratzt und mit zerzaustem Haar war mir dennoch nach Intimkommunikation! Eine Politesse kreuzte meinen Blick. Ihr strenges Exterieur zog mich magisch an. War ich krank? Es war mir gleich. Unverdrossen ging ich auf sie zu und sprach sie an. Ob sie denn nicht einmal mit mir um die Wette lachen möchte, fragte ich sie. Aber sie blieb geradezu leblos. Ob sie es 192 SPONTAN __________________________ HILFLOS verantworten kann, daß ich vor ihren Augen vereinsame, erkundigte ich mich weiter. Wieder keine Reaktion. Ob ich erst laut werden müsse oder sie vielleicht übers Knie legen darf ... Sie riß mich ins Gebüsch, strauchelte dabei an „meiner„ Parkbank und zog mich in den Dreck. „Sei der Diener meines Herzens!„ befahl sie mir. „Sei wild und böse zu mir!„ forderte sie energisch und machte mich verlegen. „Nimm mich und rede nicht so viel!„ - Ich kam seit zwei Minuten nicht mehr zu Wort und rang lediglich nach Luft. War ich jetzt die Mücke und sie meine Hand? War sie als Hand einfach mal schneller als die meinen? Huiii! „Na Andreas, kennst du mich noch?„ fragte mich meine uniformierte Wildkatze. „Ich bin’s, dein Vitaminbonbon aus der Jugendzeit ... Ulrike Blond ... Wie geht’s dir?„ „Ich bin momentan ein wenig überwältigt ... Kannst du bitte deinen Notizblock aus meinem Schritt nehmen, er kneift etwas ungünstig ... Blondi?„ „Früher hast du nicht solange dazu gebraucht, um mich wahrzunehmen!„ tadelte sie mich. „Dabei haben wir uns doch geschworen, in Freundschaft auseinander zu gehen. Erst machst 193 SPONTAN __________________________ HILFLOS du mich unverhohlen an, dann fängst du an zu zittern, und zu guter Letzt mußte ich mich fast noch vorstellen. Was ist los mit dir? Bist du wirklich schon so alt?„ „Ich bin einsam.„ „Wie?!„ „Solo, verwaist, mutterseelenallein!„ „Du?„ „Jahaaa! Ich habe mich wie ein Arsch verhalten und die Quittung dafür empfangen. Jedenfalls trennen mich und Christiane vorübergehend Welten. Außerdem sind wir uns seit bequem vier Jahren nicht mehr begegnet.„ „Und ich hatte schon gehofft, du würdest mich wiedererkannt haben.„ „Ich fand dich eben sehr reizvoll, so in dem diktatorischen Outfit und deinen blonden Strähnen ...„ „Meine Strähnen sind gerade einmal fünf Zentimeter lang. Bist du kurzsichtig oder neigst du mittlerweile zu Übertreibungen? - Hallo, ich rede mit dir!„ „Du hast den Notizblock noch immer da unten. Bitte!„ Mein Unterschenkel hatte schon eine tiefe Kerbe. Es war schön, als der Schmerz 194 SPONTAN __________________________ HILFLOS nachließ und mein Lebenssaft wieder in die Glieder gelang. „Ich dachte du flirtest mit mir. Ich glaubte tatsächlich, daß du mir aufgelauert hättest und dich darauf freuen würdest, mich in die Arme zu nehmen.„ „Ich hebe deinen Namen noch immer in den Himmel.„ „So?„ „Ich finde es schade, daß wir uns so lange nicht mehr gesehen haben. Du weißt ja wie das ist: In guten Zeiten liegt das kleine Telefonbuch nebst Namen und Adressen am anderen Ende deiner Privatspähre. In schlechten Zeiten sehnst du dich nach dem Klingeln deines Telefons und nach dem übersättigten Stöhnen deines Anrufbeantworters. Dir ist nach Ablenkung und Verständnis, nach Lachen und Streicheleinheiten.„ „Die kann ich dir aber nicht mehr geben. Ich stehe zu meinem Brautkleid.„ „Ist ja auch o.k., ich habe dich trotzdem lieb!„ „Ich dich auch. Mich hat schon lange niemand mehr so frech von der Seite angequatscht. Tat richtig gut.„ 195 SPONTAN __________________________ HILFLOS Mag sein, daß Ihnen derartiger Gefühlsschmalz zuwider ist. Aber das Leben ist wie es ist. - Mal vor Glück erstrahlt, mal schwarz wie die Fingernägel eines Schornsteinfegers. Es ist herausfordernd und nie Wunschkonzert ... Eigentlich auch schade. 196 SPONTAN __________________________ HILFLOS Die wahre Utopie Heute morgen bin ich um zehn Uhr auferstanden, ging in aller Eile duschen, um nach einem 30minütigen Frühstück noch vor Sonnenuntergang an meinem Arbeitsplatz vorstellig zu werden. Die Stechuhr zeigte viertel nach zwölf, viel zu spät eigentlich. Mein Chef machte gerade seinen ersten Rundgang und begrüßte mich kürzlich: „Na junger Mann, die Gleitzeit wieder voll ausgeschöpft, wie?! Da hab’ ich ja noch Glück, daß ich sie nicht in einem Schichtbetrieb beschäftige. Ich sehe sie dann um Drei. Angenehmen Tag auch.„ „Na klar, und danke, und Glückwunsch Herr Zeitlos!„ Ab und an macht es sich schon bezahlt, den Geburtstag seines Chef nicht zu vergessen. Viel aufschlußreicher war jedoch mein Wissen um sein Geschenk. Der arme Kerl erhält zum Kaffeeklatsch die erste Armbanduhr seines Lebens. 197 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der gestiefelte Vater Auf irgendeinem Schulhof, in irgendeiner Schule, an irgendeinem lauschigen Plätzchen, welches sich innerhalb der nächsten vier Jahre mit tödlichlicher Sicherheit zur Raucherecke entwickeln wird ... „Felix, was macht dein Papa denn so beruflich?„ fragt ihn Jan. „Der ist Busfahrer und fährt den ganzen Tag Bus.„ „Ohne zu bezahlen?„ hakt Jan nach. „Logo, der darf das.„ „Und dein Papa, Sascha. Was macht der?„ will Jan weiter wissen. „Papa baut Tische und Stühle und so. Zum Geburtstag von Mama hat er ihr ein kleines Kästchen für ihre Ringe und Ketten gebastelt. Ich habe auch schon ein Regal konstruiert!„ „Felix, können wir mal bei deinem Papa mitfahren?„ bohrt Jan weiter nach. „Aber klar doch. Wenn du willst den ganzen Tag.„ „In den Ferien?„ 198 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Immer!„ Jan seine Augen leuchten hell auf. In Gedanken steuert er den großen Bus von Felix’ Vater durch die Stadt. An jeder Haltestelle schauen ihn die Fahrgäste fragend an. Und Jan entgegnet immer wieder: „Mein Papa ist Busfahrer. Ich darf das!„ Jan seine Brust ist vor Stolz regelrecht angeschwollen. Kein Wunder, mit einem Busfahrer als Papa. Aber Tischler wäre auch o.k. Sascha unterbricht die Träumereien von Jan: „Und dein Papa? Was macht der denn so?„ Jan fängt plötzlich an zu weinen. Aber Sascha konnte natürlich nicht wissen, daß Jan sein Vater vor sechs Monaten erschossen worden ist - als Soldat bei der Bundeswehr, in irgendeinem Krieg, in irgendeinem Land, in irgendeiner Stadt, welche sich innerhalb der nächsten vier Jahre mit tödlicher Sicherheit zum Mekka der Demokratie entwickeln wird. 199 SPONTAN __________________________ HILFLOS EMPFEHLUNG FÜR EINEN RENTENANTRAG! DA GIBT’S EINEN HERRN, GANZ UNSCHEINBAR, ER NÄHRT SICH VOM VOLLBRACHTEN. ER VERGIßT DARÜBER, DAß DURCH SEINE TATEN, IHN NUR ZU VIELE VERACHTEN. LEID, DIES IST NUR EIN KLEINER SCHREI, AUS DEM INFERNO, DEM UNBEWACHTEN. SEIN NAME IST UNBENANNT UND ANERKANNT! EIN DUNKLES SPIEL AM TAGESLICHT ... REGELN FLEXIBEL UND TROTZDEM PFLICHT. 200 SPONTAN __________________________ HILFLOS Vorurteile Lügen haben kurze Beine, Biertrinken macht dick und Sport hält gesund ... Dennoch sind Spitzensportler bis hin zu ihren geschmacklosen Fingernägeln überversichert, Alkoholleichen nicht selten spindeldürr und Eheversprechen mitunter langbeinig. Mohnkuchen macht genauso wenig doof, wie die Goldkante satt. Aber Gardinen gibt’s eh nicht beim Bäcker! 201 SPONTAN __________________________ HILFLOS Wem ich schon immer einmal die Meinung sagen wollte und dann zu früh ging, zu spät kam, gerade den Mund voll hatte ... Dem König von Deutschland und seiner FußballNationalmannschaft ... meinem Chef, der Queen und ihrem Prinzen ... dem Papst und seiner Praktikantin, allen Toten Hosen und Chorknaben, die nicht aus Leipzig stammen ... den Herstellern von Preisetiketten, dem Uhu und seiner alten Eule ... allen, die bei MC Donalds arbeiten und nie mitgegessen haben sowie allen Frauen mit Pfennigabsätzen, dem Sandmann und seinem Osterhasi ... Wichtig wäre mir ein Gespräch mit meinem Vermieter und all denen die dafür Sorge tragen, daß die preiswerten Artikel in diversen Einkaufsmärkten grundsätzlich nur in Bücktiefe aufzufinden sind. Unumgänglich ist für mich ein eingehender Dialog mit der Telekom! Ihr habe ich zu verdanken, daß ich über Gebühr lange nicht zu erreichen war. - Weder für HollywoodRegisseure, noch für meine Oma. Nie konnte ich cool meine Nummer hinterlassen, nur meine 202 SPONTAN __________________________ HILFLOS Visitenkarten. Diese hatten dann derart große Lücken, so daß man sie nicht selten mit Malbüchern Marke Kleinkind verwechselt hat. Ich war nie inkognito! Mir liegt eine mit Lachsalven gespickte Plauderei mit allen Menschen am Herzen, die zu früh gingen, zu spät kamen oder gerade den Mund voll hatten. Einfach nur so ... 203 SPONTAN __________________________ HILFLOS LEGALE WEGBEGLEITER ES IST WOCHENENDE, ES IST NICHT SO SCHÖN, REGEN UND SO ... ICH GEBE EIN WINK DEM BUNTEN BILD UND SUCH’ IRGENDWO, EIN PROGRAMM WAS MICH MORGEN SCHWÄRMEN LÄßT BUNTE BILDER FORMEL-FIX, SIEG FÜR DAS POSTER ÜBER MEINEM BETT! ZWEI KAMIKAZE IM VORWÄRTSDRANG, STEFAN UND BLITZ, STEFAN GEWANN. ZWEIHUNDERTZEHN WAR SEIN LIMIT, IN DER TODESKURVE VON GOOD-YEAR-TRAUM ... REIFEN, FUNKEN UND FEUERWEHRSCHAUM! WIE EIN COMPUTER, DER STEUERT UND GAS GIBT, KAM ER MIR VOR, DIESER CASCADEUR DER STRAßE. GLÜCKSSPIELE HABEN WENIG SIEGER! STEFAN BELOW, SEPTEMBER ’85 † 204 SPONTAN __________________________ HILFLOS Warum immer ich? Ich bin in Eile! Mir verbleiben wieder einmal nur noch ganze zwanzig Minuten, um einigermaßen pünktlich Herrn Zeitlos die Hand zu schütteln. Ich wollte eigentlich noch meinen Kaffee austrinken, habe wieder nichts gegessen, meine Haare sind noch naß und außerdem ... Seit vier Minuten ist mein Bus überfällig. Genau genommen sind es schon vierzehn Minuten, denn mein Viervor-halb ist wieder einmal ausgefallen. Zu meinem Glück fehlt mir nur noch ein kräftiger Regenschauer. - Meine Morgenmuffellaune wäre damit endgültig perfekt. Ich hasse den Öffentlichen Personen- und Nahverkehr! Dieser ist derart unzuverlässig, so daß man sich schon wieder auf ihn verlassen kann. Meine Viertelstunde Weg zur Arbeit wiegt sich allmählich mit einer Stunde auf. Ich werd’ noch mal irre! Mittlerweile stehe ich nicht mehr alleine an der Haltestelle. Lauthals bekunden meine Leidensgenossen ihr Unwissen über die ständigen Komplettausfälle der Zuverlässigkeit und 205 SPONTAN __________________________ HILFLOS Fahrgastnähe unserer geliebten Brummifahrer und fragen sich unaufhörlich ohne jeden Erfolg, weshalb das alles ausgerechnet ihnen passiert und vor allem warum. Ich dagegen weiß, daß ich es nicht weiß und die entsprechenden Umstände auch nie verstehen werde. Aus diesem Grunde denke ich, daß ich ganz schön weise bin und fühle mich den anderen gegenüber überlegen. Dennoch bin ich nervös. Ich sinniere hier über meinen Intellekt und müßte in sieben Minuten Herrn Zeitlos begrüßen. Aus Trotz stecke ich mir eine Zigarette an. - Ich bin Raucher aus Überzeugung. Nichtraucher sterben schließlich gesund! Die These, daß das Rauchen von den Indianern her abstammt und die augenscheinlich ausgestorben worden sind, lasse ich nicht gelten. Vielmehr versuche ich mich zu beruhigen. Denn in spätestens zwei Stunden werde ich wohl meinen Job angetreten haben. Auge in Auge mit meinem Schaffen und Tun, plagt mich dann wieder diese Gewissensscheiße. Ich glaube, ich rauche gleich noch eine. 206 SPONTAN __________________________ HILFLOS Zahlt sich Armut aus? Vergessen Sie einmal Ihren ersten Gedanken mit der Sozialhilfe und so! Hören wir lieber Atze zu. Atze ist vierunddreißig Jahre alt, wohnt irgendwo in Berlin, ist zum zweiten Mal verheiratet und zahlt für eine Tochter aus erster Ehe monatlich nicht aus Überzeugung, sondern Kraft Gesetz. Zur Zeit verbringt er mit Ilse, seiner derzeitigen Liebesschnute, einen Urlaub auf Bali. Den hat er vor vier Monaten in einem Preisausschreiben in einer Berliner Tageszeitung gewonnen. „Drei Wochen Vollpengsion und fünfdausend Maak Taschenjeld. Allet umsonst!„ antwortet Atze jedem der ihn fragt, woher er denn mit seiner Ilse käme, wie sie denn heißen würden und ob er eben mal Feuer hat. Auf einem von hunderttausend Trödelmärkten in einer von Touris übersäten Fußgängerpassage: „Ditt watt die hier einem am Tach aus die Tasche leiern, möchte ick ma im Monat vadien! Ilse, watt machen eijentlich die armen Leute hija?„ 207 SPONTAN __________________________ HILFLOS Atze hatte gerade für umgerechnet fünfundzwanzig Mark zwei tadellose RollexImitate und anderthalb Kilo Bananen erstanden. „Ick globe, ditt muß man hija allet viel mehr easy taken, Atzeken. Die stehen den janzen Tach inne Sonne und machen nebenbei eben noch ‘n bißchen Kies. Ick sage dir als deine Ilse, Atzeken, hija würd ick mir och ‘n janzen Tach vajünstjen können.„ Innerhalb von drei Stunden grasen die beiden fünfundsiebzig Marktbuden ab, geben zweihundertneun Mark aus und haben sich für die nächsten sechs Jahreszeiten voll eingekleidet. Jeder, der ihnen begegnet war mußte annehmen, die beiden befinden sich nicht im Urlaub, sondern auf der Flucht. „Zum Glück jeht et den Einheimischen hija bessa als uns, sonst hätt ick een richtich schlechtet Jewissen!„ bemerkte Atze zu seinem Ilseken beim bezahlen der Rechnung fürs DreiGänge-Menü zum Mittagstisch. „Die zwölf Mark ham wa grade noch so inne Tasche. Hier Dreizehn, stimmt so.„ Je dritter das Gastland, desto erster die Klasse ... 208 SPONTAN __________________________ HILFLOS Tränen im Regen Mausiiii und ich sind nunmehr trotz einiger Höhen und Tiefen zwei Jahre vom Glück begünstigt vereint. Nach meiner Rückkehr vom Tümpel der Nordlichter erzählte ich ihr von Blondii. Ich bekam kräftig eine geknallt. Mausiiii sprach vier Wochen kein überflüssiges Wort mehr mit mir, und trotzdem wohnten wir gemeinsam in zwei Wohnungen. Langsam wurde mir bewußt, wie dumm ich gewesen bin. Sie ließ mich an der langen Leine zappeln und genoß ihre Position sichtlich. Es sei ihr gegönnt. Doch allmählich glätteten sich die Wogen ... Es war an einem Mittwoch, Herr zeitlos war mir wieder gewogen, als mich Christiane telefonisch aus einem Aktenberg herauskatapultierte: „Hallo Schnuckel, ich bin‘s, Mausiiii.„ „Ciao meine Perle. Alles schön?„ erkundigte ich mich nach ihrer Frische. „Na klar. Was hältst du davon, wenn ich dich heute abhole und zünftig zum Abendessen einlade? Hast du Lust?„ 209 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Immer! Hunger habe ich ja von Hause aus. Wann und wo?„ „Um sieben Uhr bei dir. Wir schlendern ins ‘Viva la Chaos’. O.k.?„ „Jaha.„ „Bis denn denn, Schnuckel.„ „Küßchen.„ Christiane holte mich fahrplanmäßig ab und führte mich ins Chaos. Wir hatten den Laden keine fünf Meter betreten, als ihr zwei smarte Herren um den Hals fielen: „Na Puppe, wieder Zeit für uns edlen Geschöpfe?„ Mausiiii war keineswegs überrascht. Sie war eigentlich eher erfreut über diese Art der direkten Anfasse. Bevor ich mich wieder richtig sammeln konnte, saß Mausiiii schon inmitten einer illustren Runde von vier Lackaffen. Zwei fummelten wie wild an ihr herum, einer leckte ihr ständig die rechte Hand ab und wenn ich nicht schon betriebsblind war schickte sich der vierte Spinner gerade dazu an, eine Geige in die Hand zu nehmen. Mir zuckten Sequenzen diverser schlechter Spielfilme durchs Hirn. Meine Augen funkelten voller Wut, aber meine Arme und Beine waren bleischwer. Ich muß träumen, dachte ich. Ich 210 SPONTAN __________________________ HILFLOS werde eben schulbuchmäßig vorgeführt. Ganz gewiß! Ich setzte mich an unseren bestellten Tisch und verlangte eine Flasche Rotwein. Ich schenkte beiden Gläsern die Chance auf die Bekanntschaft mit einer Spülmaschine und wartete ab. Ich wartete eine Stunde. Die Flasche Rotwein war leer, ich leicht betäubt und Christiane unerreichbar. Mit wackeligem Schritt stolzierte ich zu ihr herüber - zum dritten Mal und bat sie in aller Höflichkeit, mich nach Hause zu begleiten. Doch Mausiiii war wie abwesend. Sie reagierte kein Stück. Eher im Wegsehen sagte sie zu mir: „Du kannst abdampfen. Wir sind fertig miteinander. Kein Typ ist es wert, sich von ihm zweimal hintereinander verarschen zu lassen. Hau bloß ab du Drecksau!„ Ich wollte fluchen, schreien, trampeln. Ich hätte sie am liebsten übers Knie gelegt und die vier Kerle gleich hinterher. Aber ich konnte es nicht. Sie hatte recht gehabt, und das tat mir am meisten weh ... Ich verließ das Chaos ohne mich noch einmal umzudrehen. Es regnete wie aus Kannen. Mein Gesicht war nicht nur vom Regen naß ... 211 SPONTAN __________________________ HILFLOS ... und aus dem Nichts sprach eine Stimme zu mir und sagte: „Lächle und sei froh. Es könnte schlimmer kommen!„ Und ich lächelte und war froh. Und es kam schlimmer ...! Fleischer-Achim stand grinsend auf der anderen Straßenseite und lallte fast schreiend: „Es mußte ja einmal soweit kommen, Andy-Baby. Ich habe das ja auch irgendwie mitgemacht, mit Christiane meine ich. Wenn du Hilfe benötigst ... Hier bin ich!„ Niemand - wirklich niemand - darf mich Andy-Baby nennen! Ausgenommen Personen, die mir soeben das Leben gerettet haben oder jene, die vorzugsweise mit kurzen, schwarzen, struwweligen Haaren durchs Leben stolpern. Ich hätte in Flammen stehen können, nach Achims Mundspucke hätte ich gewiß nicht geschrien! Dieser versabberte Fettwanst, hochgekrochen aus der Gosse, will mir, Andreas, wohl auch noch erklären, wie ich mit Christiane meine Beziehungen unterhalten darf. Ich sah ihn verachtend an und ging zu Schenki. Pitschnaß traf ich an seinem Bockwurstcontainer ein: „Du siehst aus, Andreas, als hätten dich fünfhundert Steuerfahnder drei Tage lang durchs Land verfolgt und nicht 212 SPONTAN __________________________ HILFLOS eingefangen. - Glücklich und doch irgendwie Scheiße. Hat Christiane mit dir Schluß gemacht oder bist du pleite?„ sagte, fragte und tröstete mich mein Schenki in drei Sätzen zeitgleich. „Ach Atze, wenn du wüßtest ... ICH? ICH WÜRDE MANCHES MAL GERN VON MIR BEHAUPTEN ICH WÄRE DER, VON DEM ANDERE GLAUBEN, IHN IN MIR ZU SEHEN. DAGEGEN ZWITSCHERN GRAUE UND GRÜNE STARE SOWIE ANGESPANNTE MUSKELN BEIM BAUCHEINZIEHEN. 213 SPONTAN __________________________ HILFLOS KASSENKAMPF MAN NENNT SIE BOCKWURST, DIE JEDER KENNT UND HABEN KANN ... DIE IN ECKEN WEGFLIEGT, OBWOHL MAN SIE DOCH ESSEN KANN. SOHLEN TRAGEN SIE VON FLECK ZU FLECK HUNDE SCHNUPPERN KURZ UND DREHEN SICH WEG. Geblieben ... Umsteigen, Einsteigen, Hinhören, Wegrutschen ... Ehe man sich versieht hat man sich verirrt. Hinter rotem Klebeband blitzt verwaist HeinzHoffmann-Straße. Getuschel ... Kurz vor dem Abfahrtssignal treffen sich auf einmal zwei Bundeswehroffiziere. Nur die Aktentaschen mit dem alten Dekor, verraten ihre Wohnnähe. Keiner, wirklich keiner, bewältigt so schnell wie wir! 214 SPONTAN __________________________ HILFLOS Atze Schenk Atze ist einer meiner vielen zweitbesten Kumpels. In Sachen guter Freundschaft bin ich glücklicherweise überaus verwöhnt. Daher gibt es in meinem Leben keine besten Freunde. Atze stand immer noch unter Schock. Ich auch! „Andreas, wie ist dir das mit Christiane denn bloß wieder gelungen?„ fragte mich Atze völlig zurecht. „Weißt du, mein Bester, wahrscheinlich steckt irgendein Virus in mir. Vielleicht sollte ich mich mal um einen Pauschaljob beim Gyn bewerben. Möglicherweise werde ich dort geheilt.„ „Schnapp dir meinetwegen eine mit drei Kindern, eine mit Haaren auf den Zähnen oder so ‘ne arme sächsische Industrieschnecke, aber erzähl mir nicht so’n Scheiß! Pauschal beim Gyn. Nee du, also wirklich!„ „Schlafen kann ich noch genug wenn ich tot bin. Warum um alles auf dieser Welt, sollte ich mich mit ‘ner Beziehung stressen?„ fragte ich Atze Hilfe suchend. 215 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Versuche es doch mal mit Enthaltsamkeit ... mit Ehrlichkeit und so. Die Frauen stehen auf so’n Zeug.„ „Ja, ja„, begann ich belehrend, „erst fragen sich dich ganz höflich, ob dir nun die obere oder die untere Hälfte am Brötchen lieber sei, und dann ... Ach hör’ doch auf!„ „Bevor du dich ständig nach dem Wohlbefinden ihrer Mu erkundigst, könntest du es auch mal damit versuchen, Christiane platonisch zu lieben. Frauen haben herzlich wenig Verständnis dafür, wenn du ihnen viermal im Jahr als großes Sorry Stiefmütterchen schenkst, ohne auch nur einmal spontan mit dem Herzen reagiert zu haben!„ Atze wurde mir unheimlich. War er in Wahrheit eine Frau? ... irgendein geplagtes Geschöpf mit Kittelschürze? ... nur etwas kugeliger mit ‘ner Grillzange in der Hand? „Atze!„ „Ja Andreas.„ „Du ... äh ... bist doch Atze?„ „Welche Art von Drogen nimmst du, Andreas? Vielleicht solltest du dir mal ‘n paar Tage Urlaub gönnen. Deinem Herrn Zeitlos käme das möglicherweise auch gelegen. Alles klar mit dir?„ 216 SPONTAN __________________________ HILFLOS „Ich mache mich lieber auf die Socken. Ist schon zu spät für mich. Nichts für ungut! Ciao Atze!„ „Ja, ciao usw.„ „SPRUCH DER WOCHE„ LIEBER KONDOME VON FRIEDRICH HUNDERTWASSER, ALS RUSSISCHER SQUARE-DANCE! 217 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ode an eine Betonwüste Ich habe es schon lange aufgegeben, alle Umleitungen meiner Heimatstadt zu zählen. Und bei ihren Baustellen täte ich mich gewiß auch schwer. Aber sie haben etwas ... an sich ... gekostet! In südlichen Gefilden legen sich die Touristen unter eine Palme, wenn sie das Bedürfnis nach Schatten verspüren. In Berlin spenden ihnen die Kräne Schatten ... in ZickZack-Form. - Ich kenne keine Pflanze, die dazu imstande wäre! Süßholzraspeln ist in etwa dasselbe, wie Rhabargel schnitzen (Kreuzung zwischen Rhabarber und Spargel). Fragen Sie nie einen Berliner Autofahrer im Ampelstau nach seiner Meinung über den Regierungsumzug! Die Konsistenz seines vor Entrüstung nach Ihnen ausgespuckten Kaugummis ist irgendwie holzig und sie werden sauer. Würdenträger haben in aller Regel bessere Noten als Maßanzüge. Doch nur weil sie mit aufgehaltenen Händen zur Welt gekommen sind, 218 SPONTAN __________________________ HILFLOS wird man ihnen in Berlin wohl kaum Brot und Salz reichen. Und mit Durchschnitts-Inch-Größe 42/28, mutet eine Outfit-Politur eh unmöglich an! Anstelle von Blattlaub, wehen dem Anrheiner hier im Herbst Transparente und Bierdosen um die Ohren. Gelegentlich soll derartiges auch schon Anfang Mai vorgekommen sein ... So wird der Zugereiste sich alsbald zurecht fragen: Was ist das hier bloß für ein Klima? Wird es hier denn nie richtig Sommer? Tja, liebe Freunde des trockenen Satzbaus, diese Frage blieb selbst für Rudi Carrell seit hundert Jahren unbeantwortet! Und dieser hat sie wirklich äußerst hinreißend gestellt ... Kann ein solches Chaos überhaupt begeistern? Sind die Berliner nun alle krank, oder nur zu faul umzuziehen? Wiegt der Mangel einer Sperrstunde, die knapp 1000 km Entfernung von Mailand wieder auf? ... muß er es überhaupt? Uni-Zöglingen wird schon im ersten Semester das Risiko von Vereinsamung durch Bildung in die linke Gehirnhälfte gehämmert. In Berlin kann man auch ohne Matura ganz locker vereinsamen. Diese Bildungsstufe ist hierfür entbehrlich! Man kann in dieser Metropole 219 SPONTAN __________________________ HILFLOS ebenso schnell unter der Brücke landen, wie in London, New York oder Salzgitter. - Das Leben ist an jedem Ort dieser Welt ein Glücksspiel, welches die wenigsten Humanuiden beherrschen und sich deshalb tagtäglich aufs Neue die Birne einrennen. Sie prostituieren sich gegenüber ihrer Chefetage oder ihrem Hauswart - ihrer Kreditkarte oder ihrer Stammkneipe - ihrem Klöppelkurs oder dem Trottoire. Fußball ist, wenn 22 Mann einem Ball hinterherlaufen und am Ende gewinnt Deutschland. (Gary Lineker) - Berlin ist, wenn 3,6 Millionen Spree-Athener zum Feierabend auf ihren Quadratmeter Privatsphäre pochen und dann latscht jemand unaufgefordert einfach mitten hindurch. (Tatsache!) Berlin ist eng und dreckig, miefig und glatt. ... mit seinen 23 Citys eher beschaulich und provinziell, denn weltstädtisch und umwerfend. Berlin ist kalt und windig - sein Klima wird mehr von Hauswänden beeinflußt, als von meteorologischen Triumphzügen. Berlin sagt „Hallo!„ im Vorbeigehen. Verweilen kostet nur unnötig Zeit, und die hat man hier nicht! Berlin bräuchte 30 Stunden täglich - ohne Schlaf! 220 SPONTAN __________________________ HILFLOS Aber dies entspricht nur der halben Wahrheit. Dieser Moloch begeistert nicht nur mit Beton und Leuchtwerbung, mit Hektik und Blinklichtern. Berlins Facetten sind ungezählt und gebären schneller als eine Eintagsfliege! Berlin ist Bauernhof neben Wölkchenkratzer, grüne Lunge und Schadstoffausstoß. Es berauscht mit seinem Lichtermeer und seiner frechen Schnauze, mit seinen Underground und dem, was wir Kultur nennen, mit den lautesten Sirenen Mitteleuropas und den meisten Eckkneipen östlich von Warschau. Dieses Etwas hat die besten Currywürste und die jämmerlichsten Graffitis neben Köln und Buenos Aires, die schönsten Denkmäler und die betroffensten Blicke ... Berlin kann gefällig winken und cool abweisen, Tränen vergießen und höhnisch Lachen, aufstehen und nachdenken, einladen und abservieren ... Dir freundschaftlich auf die Schulter hauen oder kräftig in den Arsch treten! Berlin ist herzzerreißend und versteinert, lebensfroh, mutig und phasenweise Glückskind. Es verschmilzt schneller ineinander als miteinander und ist dennoch Vorzeigeonkel. Diese meine Stadt hat Puls und atmet, schwitzt, und versucht sich zu putzen, nimmt auf und spuckt aus, hustet 221 SPONTAN __________________________ HILFLOS und heilt, tobt und besänftigt, lallt und lehrt, musiziert und stottert, macht Mut und will geliebt werden und wird geliebt ... von mir! 222 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der kleine Duft Es begab sich vor langer Zeit, an einem fernen Ort, irgendwo am Ende der Welt ... Nein, das ist kompletter Unsinn! Es war gestern, ganz in der Nähe und für jedermann ersichtlich. Zur Vorgeschichte: Würden die Menschen mehr Phantasie besitzen, hätten sie ihn schon lange entdeckt - den Himmel der Düfte. Wenn wir uns ganz viel Mühe geben, uns die Zeit und die Ruhe gönnen, ist er für jeden von uns auszumachen. Er versteckt sich hinter den ersten Wolkenschichten, kurz vor dem Reich der Bewegung und dem der Klänge, ist unmittelbarer Nachbar der Farben und gibt sich alltäglich die Hand mit dem Imperium der Streicheleinheiten. Er ist ganz in unserer Nähe und dennoch für die meisten von uns ein Leben lang unerreicht. - Das ist schade! Der Himmel der Düfte entspricht nicht unseren Vorstellungen von Gotteshaus und Paradies. Er hat weder etwas mit einem unserer unzähligen Schöpfer gemein, noch erfüllt er ein anderes Vorurteil von Glauben. Er ist ganz und 223 SPONTAN __________________________ HILFLOS gar nicht Nirwana! Der Himmel der Düfte ist eine Welt wie die unsere, nur etwas kleiner und liebevoller. Schon seit Jahrtausenden berichten die Düfte ihren Kleinen vom Irdischen Jammertal der Menschen. Sie lehren sie achtsam zu sein und sich zu schützen, vor den zahlreichen Attacken des chemischen Miteinander und seiner Verfechter. Sie haben berechtigte Angst vor feuchtem Niesel aus handlichen Hochdruckbehältern, diversen Tüpferchen und Salben, Polituren und Cremes. Viele von ihnen wurden von monströsen Klimaanlagen weggesaugt oder von nimmersatten Ausgüssen samt kostbarem Naß gierig verschluckt. Sie wurden einfach abgerubbelt, hinfort gejagt und verbannt. Stetig feilen sie an ihrer Resistenz gegenüber Waschmitteln und Aufweichern und Laugen. Tagtäglich sehen sie sich neuen Herausforderungen ausgeliefert. Tagtäglich verlieren sie viele ihrer Freunde. - Tagtäglich lernen sie hinzu und teilen sich am Abend ihren Freunden im Himmel der Düfte mit. Es war an einem Oktobermorgen, als sich der kleine Duft zum Fenster hinauslehnte. Er betrachtete das Schauspiel der Wolken ... 224 SPONTAN __________________________ HILFLOS reichte dem Wind seine zierliche Hand und setzte sich auf eine seiner Böen. Der Wind war der beste Freund des kleines Duftes. Jeden Tag wehte er zu ihm. Jeden Tag trug der Wind etwas in seinen Wirbeln an seine Pforte. Jeden Tag überraschte er den kleinen Duft mit der Vielfalt des Lebens ... An diesem Morgen war der Wind in Eile. Er blies über viele Wälder und Wiesen, fegte das Laub durch die Straßen der Städte doch ließ es nicht tänzeln. Der Wind hatte an diesem Tag keine Zeit zum Verweilen. „Was ist los mit dir, mein Wind?„ fragte der kleine Duft. „Ach weiß du, mein kleiner Freund, ich muß heute Nacht das Land verlassen. Der Sturm hat mir aufgetragen überall noch einmal schnell vorbeizusehen, und dann fix zu verschwinden.„ „Und„, fragte der kleine Duft weiter, „bist du überall angelangt? Hast du dich von allen Wäldern und Wiesen, den Städten ... den vielen Tieren und Menschen ... Hast du dich von allen verabschiedet?„ „Ja!„ erwiderte der Wind mit brummigen Pfiff. Scheinbar war er sehr bedrückt, ob der Zeit, die für ihn gekommen war. 225 SPONTAN __________________________ HILFLOS Der kleine Duft überlegte. Er konnte seinen Freund nicht einfach so weiterziehen lassen. Er hing an seinem mächtigen Gefährten. Wer sollte ihm in der Zukunft beschützen? Wer wird ihn weiter lehren? Der Wind bemerkte das betrübte Gesicht des kleinen Dufts. Liebevoll sagte er: „Ich müßte mich noch bei den Wolken verabschieden. Möchtest du mich begleiten?„ Dem kleinen Duft schossen vor lauter Freude Tränen in die Augen. Nun bleibt der Wind ihm doch noch ein wenig zur Seite. Er umarmte seinen scheidenden Kumpanen ganz fest und rief: „Ja lieber Wind, laß uns gemeinsam die Wolken besuchen!„ Der kleine Duft hat schon viel von den großen Düften gehört. Jeden Abend, wenn die großen Düfte wieder nach Hause gerochen kommen, erzählen sie ihren Familien von den Ereignissen in der Welt der Menschen. Der kleine Duft war allerdings noch zu jung, um bei diesen Gesprächen dabei sein zu dürfen. Mama-Duft und Papa-Duft hingegen, schnupperten immer bei den abendlichen Treffs vorbei. Der kleine Duft war natürlich neugierig. Er wollte so gerne einmal dabei sein, wenn sich die 226 SPONTAN __________________________ HILFLOS Düfte über den heutigen Tag austauschten. Sein Freund der Wind, wird ihm heute Abend Lebewohl sagen ... Als Trost versprach er sich selbst, all seinen Mut zusammenzunehmen, und des Nachts die Runde der großen Düfte zu belauschen. Während der kleine Duft über sein Vorhaben nachdachte, schlief er vor lauter Begeisterung ein. Der Wind stupste währenddessen all seine Lieblingswolken ein letztes Mal an. Als er seine Runde beendet hatte stellte er fest, daß sein kleiner Freund eingeschlafen war. So wehte er nochmals ein wenig zurück und machte an der mächtigsten Wolke halt. Er ließ den kleinen Schnupperl sanft in die weiße Watte gleiten und zog von dannen. Einige Zeit später regnete die riesige Wolke ab und ließ den kleinen Duft einfach in die Tiefe auf die Erde fallen. Es gab einen mächtigen Rums, als der kleine Duft unsanft aufschlug. Als er sich gesammelt hatte, alle Blessuren gezählt und geleckt hatte, erkannte er langsam wo er sich befand. Ihm blieben einzig die Märchen des Windes, während Mama-Duft und Papa-Duft den Geschichten der tollkühnen Düfte lauschten. Sie selber waren nie auf die Erde gelangt! 227 SPONTAN __________________________ HILFLOS Er erinnerte sich an die vielen Variationen, mit denen ihm seine Verwandten begegnen könnten. Vor allem erinnerte er sich an die Geschichten der Düfte, mit denen keiner etwas zu tun haben wollte. Es soll gar Düfte geben, die sich in riesigen steinernen Röhren ansammeln. Sie alle seien schwarz und stinken mehr, als daß sie duften. Einige Verwandte von ihm lassen sich in den Küchen der Menschen nieder. Nur die wenigsten dürfen ihre Farben entfalten. Die meisten muffeln ihr Leben vor sich hin. Sie sind gefangen im Reich der Ungenießbarkeit und finden keinen Ausweg. Nein, so wollte der kleine Duft nicht enden! Solange sein Freund der Wind auf Reisen war, mußte er sich bei den Menschen behaupten. Er wußte von der Beliebtheit der Düfte der Wälder - des nassen Unterholzes, der frischen Gräser und der lebensfrohen Blumen. Doch als er sich den Wäldern näherte wurde er verjagt. Hier gäbe es keinen Platz für einen unerfahrenen Duft wie ihn! Er versuchte es auf Jahrmärkten - an den kandierten Äpfeln, den heißen Weinen und dem, was die Menschen Zuckerwatte nannten. Doch auch hier wollte man ihn nicht haben. 228 SPONTAN __________________________ HILFLOS Dem kleinen Duft war kalt. Der Sturm hatte seinen Wind schon längst vergessen gemacht und schmiß ihn in die Pfützen der Großstadt. - Der kleine Duft stank erbärmlich. Dennoch stand er immerfort auf. Schließlich wollte er ein beliebter und betörender Duft werden. Wenn er irgendwann wieder seiner Mama und seinem Papa, den anderen großen und kleinen Düften und seinem Freund dem Wind gegenübertreten würde, wollte er zart und belebend wirken. Und genau dieses Gefühl machte ihn stark! Der kleine Duft bediente sich der Kraft des Sturmes. Eine seiner Böen war außer sich. Sie traute ihrer Windgeschwindigkeit nicht als sie sah, wie unerschrocken der kleine Duft sie benutzte. Die Böe war schnell und gewaltig. Sie verschlang viele hundert Meter in einer Sekunde. Schließlich wurde ihr der kleine Sproß lästig, und sie fegte ihn über die Dächer der Stadt. Wieder landete der kleine Duft unsanft. Diesmal auf seinem kleinen Hintern! Er schüttelte sich kurz, betrachtete sein Gesäß und stolzierte durch ein geöffnetes Fenster eines alten Mietshauses. Hier konnte er machen, daß es riecht! 229 SPONTAN __________________________ HILFLOS Er legte sich in die Kissen der Liegen und Betten. Kurze Zeit später standen die bunten Stoffmehrecke wieder stramm. - Ohne Knick! Er versuchte sich an den verdorrten Zimmerpflanzen und den lausig gepflegten Balkonblumen. Jedoch vermochte er nicht mehr, als den gruseligen Gestank der Vasen und Untertöpfe zu verbannen. Den Blumen konnte er kein neues Leben schenken. Er schwirrte durch alle Zimmer aller Wohnungen. Er machte vor keiner Türe halt. Alle Küchen und Bäder lebten wieder auf. Der kleine Duft war nimmermüde zu Werke gegangen. Welch Wunder, daß ihm die Kräfte entwichen und er schließlich einschlief. Plötzlich wurde der kleine Duft unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ohne jede Vorwarnung wirbelte man ihn in einer riesigen Staubwolke umher. Er mußte schrecklich husten und verlor vor lauter Schwindel den Halt. In hohem Bogen flog er durch die Luft. Ohne Hilfe zu erlangen, landete er in einer Regentonne und zappelte. Der kleine Duft war inmitten zahlreicher Bekannter aus der Heimat. Sie alle wurden von der mächtigen Wolke in die Tiefe gerissen und auf die Probe gestellt. 230 SPONTAN __________________________ HILFLOS Er betrachtete das zarte Spiel der Morgensonne im Regenwasser. Ihm wurde behaglich und er fühlte sich geborgen. Zwei Hände tauchten in die Tiefe, schöpften sanft die erfrischende Kühle und ließen ihn in die Höhe schweben. Er platschte mitten in ein anmutiges Gesicht einer jungen Frau, rann ihre Wange hinunter und fand schließlich an ihrem Kinn den rettenden Anker. Er wollte nicht wieder abgeschüttelt werden und in die Tiefe fallen. Doch die Frau schöpfte unaufhörlich weiter. Immer wieder wurde er abgespült. Und immer wieder fingen ihn die warmen Hände aufs Neue. Schließlich blieb er an der Rückseite ihres rechten Ohrläppchens haften und trocknete ab. - Hier war er zu Hause. Hier wollte er machen, daß es riecht! Hier ist er glücklich und betört und benebelt, macht sinnlich und schwach. - Hier können Sie ihn finden, den kleinen Duft. 231 SPONTAN __________________________ HILFLOS Rote Tropfen Ich laufe aus ... Das dritte Mal innerhalb der letzten zwei Wochen! Es tropft unaufhörlich, ohne Respekt gegenüber meinem Schönheitsideal oder meines Schmerzempfindens. Ich tupfe und tupfe, aber die kleinen roten Perlen blähen sich unablässig immer wieder auf. Sie rücken nach, als wenn ich ihnen gekündigt hätte. Dabei bin ich doch auf sie angewiesen! Drei aufgerollte Streifen Klopapier habe ich schon verbraucht. Sie alle sind triefend naß und erfreuen sich ihrem Couleur. Sie pappen aneinander und geben sich nicht mehr frei. Mein Griff in die Hosentasche ist vergebens. Nie war ich auf ein gefalteten Zellstoffetzen mehr angewiesen wie gerade in diesen klammen Minuten. Warum mußte ich meinen Letzten auch Christiane anbieten? Die anderen Herrschaften hätten ihr bestimmt auch ihr Oberhemd geliehen, so, wie sie bei ihr katzbuckelten. Aber ein netter Kerl ist ein netter Kerl ist ein netter ... 232 SPONTAN __________________________ HILFLOS Mist! Der Rand an meinem Waschbecken ist übersät mit roten Klecksen. ... ebenso meine weißen Unterhosen. Die hatte ich soeben frisch angezogen und wollte damit heute Abend noch ein wenig prahlen. Und jetzt?! Schon wieder schickte sich eine geballte Ladung Lebenssaft dazu an, direkt auf den Rand meiner Morgentoilette zu klecksen. Zu spät, mein Lieblingsslip gehört der Vergangenheit an. - Und roten mein Kleiderschrank gab keine Unterdingens her. Nicht einmal geschenkt ... Mein ganzes Gesicht ist verschmiert. Ich sehe aus wie frisch gestorben! Völlig verklebt lächelt mir mein Mund entgegen. Meinen Lippen fällt es sichtlich schwer, die Falten zu brechen. Vereinzelt purzeln mir kleine dunkelrote Krumen aus den Furchen meiner Lebenserfahrung. Ich zerfalle! Und niemand erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden ... Ich bin allein. Mein Leben wird in diesem meinen Badezimmer enden. Mir entrinnt meine Jugend und das Alter gleich hinterher. Keine Chance, ich werde ... Es klingelt. Ich kann unmöglich so an die Tür treten. Außerdem lebe ich doch gerade ab! Aber das scheint hier ja Null zu interessieren. Ich 233 SPONTAN __________________________ HILFLOS schleppe mich samt roter Lache an die Tür und öffne: „Hey, guten Morgen auch. Ich bin die Elise„ „Aha„, sabberte ich blutend. „Die Elise ... Deine neue Postbotin ... Ich komme jetzt jeden Tag. Schön, daß wir uns mal kennengelernt haben.„ „Ach du bist die Eliiiiise„, bemerkte ich schon scharfsinniger. „Hättest du für mich vielleicht ein ...„ Ich mußte gar nicht weiterreden. Fürsorglich zog sie ihr kitschig besticktes Taschentuch aus dem Nichts und wischte mir den Schaum vom Mund. „Es hat aufgehört zu bluten. Ohne deine Maske siehst du ja ganz passabel aus. Sabberst du öfters?„ fragte sie lächelnd. Ich wurde rot. Auch das noch! Hatte ich denn nicht schon genug Farbe? Habe ich dieses Talent zum Idioten in den Adern, oder stelle ich mich einfach nur blöd an? Warum ...? Sie gab mir einen Klaps auf die Wange und verabschiedete sich augenzwinkernd. Ich ging ins Bad zurück und wässerte mich zur Vollendung. Für mein Alter war ich wirklich noch ganz passabel, träumte ich mit offenen 234 SPONTAN __________________________ HILFLOS Augen. Und die Eliiiiise paßt in diese Zeit. ... und in mein Leben? - Nur die Rasierapparate sind nicht mehr das, was sie einmal waren! 235 SPONTAN __________________________ HILFLOS Pinkeln Sie unter der Dusche ...? ... auch Badewannen sind sehr begehrt, ich weiß. Aber mal ehrlich! Tun Sie’s? Hm ... Schön warm an den Beinen, nicht wahr? Gerade im Winter, wenn das Badefenster wieder einmal klemmt und sich nicht richtig schließen läßt, die Heizung die Straße vor Ihrem Haus mit befeuert ... Da pinkelt es sich besonders gut unter der Dusche. Wie?! Sie sind Mieter einer 4-ZimmerWohnung-mit-Dusche-Bad-WC-getrennt? Sie Glückspilz! Aber trotzdem, wegen dem bißchen Pipi morgens extra Klodeckel ‘rauf, Klodeckel ‘runter ... Das kaufe ich Ihnen nicht ab! Sie haben gar keine Dusche? Ihr Bad ist dafür groß genug um in aller Gelassenheit alles zu erledigen, was erledigt werden muß? ... Genaugenommen befindet sich Ihr Klo doch eine halbe Treppe tiefer, nich? Dachte ich mir doch! Und Sie wollen mir immer noch Glauben machen, daß Sie eigens der Hygiene wegen ... Sie lügen ausgesprochen schlecht! 236 SPONTAN __________________________ HILFLOS Jeder pinkelt unter der Dusche/in der Wanne - teils aus Neugier, teils aus der Notdurft heraus, teils ob einer gewissen Art Abhängigkeit. Männlein und Weiblein verhalten sich da annähernd gleich, und unsere Kleinen wissen eh wie’s geht! Derlei lernen sie bereits mit drei Jahren im Inkontinentel (Kindergarten). Neben das Lokus gehen ist Kult. Ob der Herr nun sanft seine Liebesgrüße in den unberührten Schnee träufeln läßt oder die Dame ... Die Technik ist entscheidend! Trägt der Besitzer links, sollten Sie sich immer rechts von ihm plazieren. Und umgekehrt. Die Weiblichkeit hingegen stützt sich gerne hangabwärts. Alles klar? Mann pieselt vorzugsweise gegen Bäume, aber auch Schlüssellöcher sind ein äußerst beliebtes Ziel. Mann kann sich der Höhe nach um die Wette seines Wassers erleichtern oder das Weite suchen. Man kann sich in die Hosen machen, das Bett benetzen und den Klorand ignorieren. Letzteres macht Frauen seit der Erfindung der Kloschüssel zu tadelnden PipiVerächtern. Zu Recht! 237 SPONTAN __________________________ HILFLOS Das Fußvolk Die Sohlen die uns tragen, sind unser wichtigstes Gut! Ich laufe gerne auf Götterblumen, wate gerne um eine Hallig, liebe Fußbäder mit ätherischer Ölung und bremse mit als Beifahrer. Mein asiatisch geprägter Glaube an das Zentrum meiner Nerven will gepflegt werden. Ich bin stolzer Besitzer von Slippern und Air-Pumps, von edlen Italo-Stiefeletten und trage Clints Krokos im Eastwood. Ich schwöre auf dicke Socken als Ersatz für verlauste Hausschuhe aus dem Familientreter gleich neben der Wohnungstür und schlurfe allerliebst mit meinen Sandalen. - Aber ich hasse Kork! Dieser Rohstoff sieht aus wie gepreßte Hundekacke und stinkt ebenso ... nach dem sommerlichen Tragen ohne Socken. Als ich das letzte Mal auf Schuhsuche war, wurde ich immer Leiser. Nur Bio! Nur Fußgeruch und Putzmittel oberhalb der preislichen Schmerzgrenze! Mein kleiner Zeh litt an einer Blase und machte Tack, Tack, Tack. Lauter Quadratlatschen ohne Geschmack. 238 SPONTAN __________________________ HILFLOS Plötzlich wurde ich Stiller. Fußoptik ohne Kork und Klett. Fußkultur zum Anfassen. Jedoch war jeder Schuh links herum. Mit den Teilen versink’ ich ja im Deichmann. Ich hatte kein Glück. Keiner wollte mein Geld und das sollte sich auch nicht ändern. So entschloß ich mich schließlich dazu, einer Frage auf den Grund zu gehen, welche mir ebenso schlaflose Nächte bereitete, wie meine Eliiiiise in spe: „Wie machen Sie eigentlich die Schnürsenkel in die Laschen, Ösen und Löcher? Ich meine, wie fädeln Sie die Dinger ein? Ich meine, ich ... Ich komme mit Ihrem Knüpfrhythmus nicht klar. Immer wenn ich die Senkel herausnehme, um Ihr überteuertes Putzmittel aufzutragen, verzweifle ich an Ihrem Kreuz-über-Kreuz-und-hinten-herum. Aber was Görtz mich an?!„ 239 SPONTAN __________________________ HILFLOS Mit starrem Blick In liege entspannt in einem leidlich preiswerten Verkehrsmittel und lasse meine Gedanken über die Autobahn stolpern. Zwischen den Bildern der Landschaft und meiner Netzhaut erkenne ich Sequenzen der vergangenen Monate. Die Illustration meiner kurzen Vergangenheit. Kleine Skizzen und vollendete Werke huschen zwischen den Schildern diverser Autobahnraststätten und Tankstellen an mir vorbei und lassen sich nicht konservieren. Aber sie kommen immer wieder. Glück gehabt! Ich sehe Orte ohne Namen, Flüsse in Grau Autokennzeichen und stures Glotzen. Das Naß der Straße wird - Aquaplaning hin oder her hochgewirbelt und verfälscht die Farben. Hauchen und Reiben nützen da kein Stück! Ich denke an die vielen Abende, an denen ich in Geselligkeit einsam war. Meine Tränen wurden zu einem Teil meiner Persönlichkeit. Mir wird warm, wenn ich mich an die vielen herzlichen Gesichter erinnere und mir Geplauder und den 240 SPONTAN __________________________ HILFLOS mir ebenso wichtigen Smaltalk zurückrufe. Kein Tag verläuft eingleisig! Ich habe die Sonne gehen sehen und nehme einen Wintermorgen mit in die Heimat. Ich bin wehmütig und von Vorfreude erfüllt. ... ein Form von Kommen und Gehen. ... irgendwie zerrissen. Ich sitze zwischen zwei Stühlen und habe mich entschieden. Nur meine Balance ist noch recht embryonal! Zu Fuß beschreite ich die letzten Kilometer. Es regnet immer noch. Mir peitschen die großen Tropfen ins Antlitz und lassen meine Frisur lächerlich erscheinen. Meine Schuhriemen sind seit gut zehn Minuten ungebunden und behindern meinen Gang. Aber wen interessiert das schon? Mich lassen diese Stricke der Fußkultur jedenfalls kalt (Na ja!). Hauptsache nur, ich falle nicht auf die Nase! Meine Ohren lauschen den gelungenen Klängen von Andreas Frege und lassen mich immer schneller werden. Mit starrem Blick stampfe ich weiter durch das faulige Laub. Nur noch wenige Schritte und ich bin zu Hause! 241 SPONTAN __________________________ HILFLOS 2000 EINMAL GEBOREN, DOPPELT GESÄUGT DREIMAL GEPUDERT, VIERFACH BEÄUGT. FÜNFMAL GEWICKELT, SECHS LAGEN VERPACKT SIEBENMAL DANEBEN - EINGEKA... NEUNMAL BESTANDEN, ZEHNTE VERSCHWITZT ELFMAL ENTSCHULDIGT, ZWÖLFTE GERITZT. DREIZEHN SEMESTER, VIER BIS ZEHN JOBS FÜNFZEHN BLAMAGEN, SECHS BIS ZEHN FLOPS. SIEBZEHNMAL TRÄUME, ACHTBAR LEIERT NEUN UND ZEHN JAHRE ... SO WAS PASSIERT! 242 SPONTAN __________________________ HILFLOS Nur für Jule! Du bist ein Woman in chaos ... hin und her gerissen zwischen den Fragen der mittleren Lebensblüte: Wer bin ich? Und: Ist das mein Leben? Du liebst die Kleinigkeiten der täglichen Eindrücke und Erfahrungen, schätzt sie und siehst nicht über sie hinweg. Dennoch hast Du Dich von Zeit zu Zeit verdaddelt. Das ist sehr schade! Beispiellos Deine großen Böcke auf Pizza und Vino, Tee mit Süßstoff, Brötchen mit Erdbeermarmelade oben auf - verträumte Spaziergänge durch das bunte Herbstlaub ... Sie war begeistert von lecker Schoki und Zauberkünstlern, von weißen Schals und Kaninchen. Du bist ein extremer Gefühlsmensch. In deinem rosaroten Zimmerlein hast du die Zeit vergessen; deinen Lieblingsaromen bist du in gleicher Weise ergeben wie deinem kleinen Dschumm. Aber eben das macht dich wieder fit für die Familie, die leider nicht in Sibirien, 243 SPONTAN __________________________ HILFLOS sondern ganz in ihrer Nähe weilt. Aber bitte kein Mitleid! Du bist stolz wie eine Rose, hin und wieder verwöhnte Nudel und unbedingt liebenswert. Jule haßte banalen Quark und tränennasses Papier und verschickte trotz allem Sternenpost. Ihr Ersatz war niemals zweite Wahl! Sie fütterte ihr Schreibheft unter ihrem Kopfkissen fürsorglicher, als andere Zeitgenossen ihren Hamster. Nicht immer behutsam, gleichwohl unbedingt gütig! Jule hatte begründete Angst vor Mundspülis, Pflastern, Druckerschwärze ... Alles hat sie nunmehr erfolgreich aus ihrem Leben verbannt. Bleibe Dir treu Jule, Dein Rosentau wird so schnell nicht verdunsten, solange die Augen stimmen! 244 SPONTAN __________________________ HILFLOS OHNE TITEL OFT HABE ICH MICH ZURÜCKGELEHNT UND MIR VORGENOMMEN: MERKE DIR DIESEN AUGENBLICK, VERGIß IHN NICHT. DENN IN IHM BIST DU GLÜCKLICH UND FROH. ES WIRD NICHT IMMER SO SEIN, ALSO GENIEßE IHN, SOLANGE ER DA IST, ERINNERE DICH SEINER UND SEI DANKBAR. (RALPH RICHMOND) 245 SPONTAN __________________________ HILFLOS Das verflixte „i„ Fünf dieser possierlichen Striche mit Bibi oben auf haben es geschafft, weißes Papier zu füllen, und Sie zu ermüden. Nun, liebe Leser, wir bewegen uns mit großen Schritten dem Ende meines Werkes entgegen. Sie können sich nunmehr beruhigt nach hinten lehnen und die letzten Auswüchse meines Talents an Ihrem Literaturhorizont untergehen lassen. Bedurfte es Ihrer Meinung nach mehrerer „i„? Waren sie auf Jessiiiiiica gespannt? Hatten Sie allen Ernstes auf Marliiiiiiis gehofft? Wollten Sie tatsächlich die trüben Seiten meiner Beziehung mit Jaqueliiiiiiiine kennenlernen? Wirklich?! Ist Ihnen bewußt, daß sich Mausiiiiiiiii extrem schlecht schreiben läßt, gerade bei ständiger Wiederholung des geschätzten Namen? Trauen Sie Ihren Pupillen ein Dauergespräch zwischen Mausiiiiiiiiii und mir zu? Sind Sie derart gut versichert? Nein, nein, daher rührt Ihr Brennen unter den Nägeln gewiß nicht. 246 SPONTAN __________________________ HILFLOS Ich darf hoffen, daß es Ihrem geschulten Auge gelungen ist, die Bedeutung der zunehmenden oder abnehmenden Buchstabeneinfaltigkeit zu durchblicken. Dem Teil der geneigten Leserschaft, welche zwar verstanden haben, jedoch nicht verstehen wollen, sag` ich leise Servus. (Ein Eintrag ins Mami-Buch scheint mir unumgänglich!) Machen Sie es gut, aber bitte woanders. Klar?! Schließlich muß ich mich um meine wahren Fans kümmern. Die sind mir wichtiger als Sie. Nur weil Sie bezahlt haben, müssen Sie sich nicht einbilden, daß ich mit Ihnen noch lange herumscharwenzle. Eben! Außerdem, was haben Sie von einem Paperback für Fünffuffzich anderes erwartet? Etwa einen Bestseller mit persönlicher Empfehlung von Herrn Rei-Ra? Sie glauben wohl auch noch an den Ziegenpeter, wie? Nö, also wirklich! Ciao! Und nun zu Dir, mein lieber Fan. Ich bin bewegt von Deinem Durchhaltevermögen. ‘s war bestimmt nicht immer einfach mit mir. Aber was soll’s. Dir widme ich mein Buch und meine tauben Fingerkuppen. Es war schön mit Dir. Ich wünsche Dir in Zukunft einen besseren Autoren als mich und verabschiede mich ganz leise. Vielleicht kreuzen sich einmal unsere Seiten ... Bis die Tage! 247 SPONTAN __________________________ HILFLOS ENDE TUT MIR JA AUCH LEID, ABER ICH KANN EINFACH NICHT MEHR. WENN MEINE TALENTIERTEN HÄNDE WIEDER VERHEILT SIND, WERDE ICH MICH WIEDER VERTRAUENSVOLL IN IHR BÜCHERREGAL BIS DENN DENN. 248 SCHLEICHEN.