75 Jahre Orchesterversorgung 1938 - 2013

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75 Jahre Orchesterversorgung 1938 - 2013
75 Jahre
Orchesterversorgung
1938 - 2013
Inhalt
Vorwort der Bayerischen Versorgungskammer
5
Grußwort des Deutschen Bühnenvereins
6
Grußwort der Deutschen Orchestervereinigung
7
Grußwort des Kammerrats der Bayerischen Versorgungskammer
8
Grußwort des Bereichs
9
Chronik der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester
10
Nachgefragt:
Musik im NS-Staat
Gleichschaltung
Bildergalerie: Wiederaufbau
18
20
22
Wiedervereinigung
24
Die Mitglieder
26
Städte mit Mitgliedern
28
Die Versicherten
30
Frauen in Kulturorchestern
31
Die Versorgungsempfänger
32
Die Gremien der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester
Die Kapitalanlage:
34
Interview mit Bereichsleiter Kapitalanlagen André Heimrich
40
Das Versorgungswerk und seine Immobilien
44
Die Versicherungsmathematik:
Helmut Baader, Bereichsleiter Mathematik, im Interview
46
Seit mehr als 80 Jahren gefragt
48
Die Bayerische Versorgungskammer:
Von der „allgemeinen Anstalt für die ganze Monarchie“ zum „stillen Riesen“ 50
Eine bayerische Behörde - und noch viel mehr
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Gesellschaftliche Verantwortung
52
Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
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Vorwort von Daniel Just, Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Versorgungskammer
und Vorsitzender des Verwaltungsrats der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester
Als Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Versorgungskammer gratuliere ich der Jubilarin
herzlich zum 75-jährigen Bestehen. 75 Jahre klingt beeindruckend und das ist es auch aus
vielerlei Gründen. Unser „Produkt“ Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung in den von der
Bayerischen Versorgungskammer betreuten zwölf berufsständischen und kommunalen Versorgungswerken ist von der Einzahlung bis zur Auszahlung auf mehrere Jahrzehnte angelegt.
Durch das Element der Hinterbliebenenversorgung erreicht sie sogar mehrere Generationen
und muss entsprechend vorausschauend und sicher gestaltet werden. Allein in Bayern hat
circa jeder fünfte Haushalt Ansprüche auf Leistungen der Bayerischen Versorgungskammer –
das bedeutet eine große gesellschaftliche Verantwortung.
Mit Rückblick auf die Tradition unseres Hauses, mit Blick auf unsere anerkannten Leistungen
in der Kapitalanlage und mit unseren kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fühlen
wir uns für die Herausforderungen in der Zukunft gut gewappnet. Die Orchesterversorgung
beweist als kerngesunde und voll im Leben stehende 75-jährige Jubilarin, durch welche Höhen und Tiefen solch eine Einrichtung erfolgreich gehen kann. Über Jahrzehnte hinweg, die
phasenweise alles andere als einfach waren, steht das Versorgungswerk der deutschen Kulturorchester den Versicherten und Versorgungsempfängern als Garant für eine solide Zusatzversorgung zu Seite.
Als Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Versorgungskammer habe ich die Ehre, gemäß Satzung der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester auch als Vorsitzender des Verwaltungsrats dienen zu dürfen. In dieser anspruchsvollen Aufgabe will ich zusammen mit dem
Team Bayerische Versorgungskammer weiterhin dafür sorgen, dass wir auch die nächsten Jubiläen der Versorgungseinrichtung mit Freude über die gemeinsame Leistung feiern können.
Heute können rund 16.000 Orchestermusiker bundesweit auf eine bewährte Einrichtung der
Versorgung im Alter, bei Berufsunfähigkeit oder der Hinterbliebenen vertrauen. Dass die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester ihre Aufgaben erfüllen kann, dafür sorgen neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bayerischen Versorgungskammer auch viele
ehrenamtlich engagierte Mitglieder, die im Rahmen der Selbstverwaltung des Versorgungswerkes tätig sind. Ihnen allen danke ich bei dieser Gelegenheit von Herzen und wünsche uns
allen weiterhin eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Ich wünsche mir für die Jubilarin, dass dieses Datum eine Freude für jedes einzelne Mitglied der Versorgungsanstalt der Kulturorchester
ist.
Daniel Just
Vorstandsvorsitzender der
Bayerischen Versorgungskammer
5
Grußwort des Deutschen Bühnenvereins, Bundesverband der Theater und Orchester
Deutschland ist eines der größten Orchesterländer der Welt. Allein 131 Sinfonie- und Opernorchester umfasst die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins, die Jahr für Jahr auch die
wirtschaftlichen Rahmendaten der großen Klangkörper in Deutschland erfasst. Hinzu kommen viele kleinere Ensembles, etwa die zahlreichen Kammerorchester. Sie alle ermöglichen
ein Musikangebot ohnegleichen, nicht nur in den Metropolen des Landes, sondern vor allem
dank der Landesorchester auch in der sogenannten Provinz. Sie bieten in ihren regionalen
Spielgebieten den Bürgerinnen und Bürgern ein vielfältiges Konzert- und Musiktheaterprogramm an.
Ganz unangefochten ist diese Orchesterlandschaft leider nicht. Knappe Finanzen in den Kommunen, hohe Personalkosten, aber auch zunehmend festzustellende Defizite in der schulischen Musikausbildung setzen den Orchestern zu. Überlebensstrategien sind mancherorts
gefragter denn je. Der Deutsche Bühnenverein, dem die meisten großen Klangkörper angehören, und die Deutsche Orchestervereinigung, die die Interessen der Musiker vertritt, wissen
ein Lied davon zu singen. Doch man hat sich nicht ausgeruht auf seinen Lorbeeren und so ist
es gelungen, die einzigartige Orchesterlandschaft doch weitgehend zu erhalten. Um so mehr
wünschte man sich ein politisches Bewusstsein für das, was die Orchester für dieses Land leisten, und dafür, dass die deutsche Orchester- und Theaterlandschaft ein Alleinstellungsmerkmal für die Bundesrepublik Deutschland ist, das im Ausland hohes Ansehen genießt.
Die künstlerische Produktivität der Orchester ist auch der Stabilität zu verdanken, die das Arbeitsleben der Musiker auszeichnet. Trotz der Flexibilität, die das künstlerische Arbeiten erfordert, sind die Musiker – anders als in vielen anderen Ländern der Welt – meist in festen
Anstellungsverhältnissen beschäftigt. Und das bedeutet nicht nur, dass sie der üblichen Sozialversicherungspflicht unterliegen und daraus bei Bedarf ihre Rechte ableiten können. Vielmehr
gibt es eine zusätzliche soziale Absicherung durch die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester, der VddKO oder einfach „Der Bayerischen“, wie sie im Volksmund von Künstlern
und Musikern oft heißt. Sie bietet ergänzenden Schutz im Bereich der Altersversorgung sowie
im Fall der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung. Gegründet in den verhängnisvollen
Zeiten des Nationalsozialismus wurde sie bei Schaffung der Bundesrepublik Deutschland mit
Gesetzesstatus fortgeführt und nach der Wiedervereinigung auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.
Seit Jahrzehnten wird diese Versicherung zur Hälfte – anders als die Zusatzversorgung des
öffentlichen Dienstes – aus Beiträgen der Versicherten finanziert. Das macht einen Teil ihrer
großen Akzeptanz aus, auch seitens der Unternehmen, von denen die Versicherung zur anderen Hälfte finanziert wird. Betreut wird sie von den engagierten Mitarbeitern der Bayerischen
Versorgungskammer, die die VddKO in den letzten Jahren als Kapitalversicherung durch das
tiefe Tal der Niedrigzinsen führen mussten und diese Aufgabe
Rolf Bolwin
großartig bewältigt haben. Der
Bühnenverein gratuliert zum
75. Geburtstag und dankt für
die geleistete Arbeit. Sie ist aus
dem Musik- und Theaterleben
der Republik nicht wegzudenken und hätte es spätestens
zum Hundertsten verdient, auf
neue gesetzliche Füße gestellt
zu werden.
6
Geschäftsführender Direktor des
Deutschen Bühnenvereins
Grußwort der Deutschen Orchestervereinigung
Zusätzliche Altersversorgung für Orchestermitglieder? Ein überaus wichtiges Thema. Wenn
man in gut geführten Orchesterarchiven Protokolle von Orchesterversammlungen aus den
1920er Jahren liest, dann findet man dort immer wieder Aussagen zur schwierigen sozialen
Lage der Orchestermitglieder. Vor allen Dingen aber das ungelöste Problem einer angemessenen Alters- und Hinterbliebenenversorgung bewegte die Gemüter. Die in diesen Jahren galoppierende Inflation, die politisch instabile Lage der Weimarer Republik und die damit auch
im Theater- und Orchesterbereich verbundenen Zukunftsängste waren begleitende Faktoren
der Debatte.
Nachdem 1925 für die Zusatzversorgung der Bühnenschaffenden bereits die Versorgungsanstalt deutscher Bühnen gegründet worden war, war es letztlich nur noch eine Frage der Zeit,
etwas Vergleichbares auch für Orchestermitglieder zu installieren. Überschattet wird diese
Entwicklung durch die nationalsozialistische Machtergreifung im Januar 1933 und die massiven politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der folgenden Jahre. Die Politik der Gleichschaltung und Vereinheitlichung machte auch vor dem Tarif- und Arbeitsrecht nicht halt: Der
einseitige Erlass der „Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester“ (TO.K) vom 30. März 1938
bildete nicht nur die Basis für das künftige Arbeitsrecht, sondern auch für die Altersversorgung
der Kulturorchester.
Die Jahre seit der Jahrtausendwende haben die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester erneut vor große Herausforderungen gestellt. Die Gewährleistung einer vollen Kapitaldeckung bei steigender Lebenserwartung der Versicherten, die Turbulenzen an den
internationalen Kapitalmärkten und die Dauer-Niedrigzinsphase stehen als Schlagwörter
stellvertretend für vielfältige Probleme. Diese betreffen letztlich die berufsständischen Versorgungswerke ebenso wie die private Versicherungswirtschaft. Allerdings: Versicherungsunternehmen bedienen auch Aktionärsinteressen, berufsständische Versorger ausschließlich die Interessen der Versicherten. Für besondere Transparenz sorgt dabei die paritätische Beteiligung
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern - aktiven Berufsmusikern wie Ruhegeldempfängern - in
Arbeitsausschuss und Verwaltungsrat.
Es bleibt festzuhalten, dass die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester ein wahrer
Segen für die Versicherten und Versorgungsempfänger in Deutschland ist, um die uns andere
Länder beneiden. Denn das ursprüngliche Ziel einer angemessenen zusätzlichen Alters- und
Hinterbliebenenversorgung, die neben die gesetzliche Rente tritt und den Betroffenen einen
auskömmlichen Unterhalt sichert, wird unverändert in vorbildlicher Weise erreicht. Zu diesem
Erfolg können sich alle Beteiligten, insbesondere Vorstand und Beschäftigte der Bayerischen
Versorgungskammer, nach 75 Jahren gratulieren.
Hartmut Karmeier
Gerald Mertens
Vorsitzender des Gesamtvorstands der
Deutschen Orchestervereinigung
Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung
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Grußwort des Kammerrats der Bayerischen Versorgungskammer
75 Jahre, ein dreiviertel Jahrhundert Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester: Es
freut mich sehr, dem Versorgungswerk als Vorsitzender des Kammerrats bei der Bayerischen
Versorgungskammer zu diesem Geburtstag meine herzlichen Grüße und Glückwünsche übermitteln zu können.
Die Bayerische Versorgungskammer bildet das Dach für zwölf sehr unterschiedliche Versorgungseinrichtungen. Anders als in den übrigen Bundesländern sind sie in Bayern alle traditionell seit ihrer Gründung unter diesem Dach angesiedelt, und dies aus gutem Grund. Denn die
Summe ist hier mehr als ihre Teile, oder betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Hier werden Synergien genutzt. Und genau das erreichen die Versorgungseinrichtungen. Gemeinsam können
sie auf eine große Zahl von Experten in allen Kernbereichen der berufsständischen und kommunalen Altersversorgung zugreifen, auf Spezialisten für Kapitalanlage, Versicherungsmathematik, Sozialgesetzgebungsrecht oder Risikocontrolling, um nur einige wenige zu nennen.
Aber wie gewährleistet man, dass die zwölf so unterschiedlichen Anstalten, große wie kleine,
betriebliche Altersversorgung wie berufsständische Vollversorgung, in diesem Verbund alle
zu ihrem Recht kommen und die gemeinsamen Aufgaben steuern können? Dafür gibt es den
Kammerrat. Vor nunmehr 18 Jahren mit Trennung der Bayerischen Versorgungskammer von
der Bayerischen Versicherungskammer eingerichtet, sind alle Anstalten in ihm vertreten. Von
Anfang an hat dieses Gremium immer wieder gezeigt, dass nicht die Mehrheitsverhältnisse
der 17 Mitglieder aus den zwölf Versorgungseinrichtungen ausschlaggebend waren, sondern
die Intensität, Qualität und Sachlichkeit der Diskussion. Dies zeigt sich auch daran, dass es
in nahezu allen Fragen der Vergangenheit stets gelungen ist, bei teils sehr unterschiedlichen
Interessenlagen einen gemeinsam getragenen Kompromiss zum Wohle und im Interesse aller
Versorgungseinrichtungen zu finden.
Diese Arbeit ist nur möglich durch das intensive Engagement all der Personen, die sich ehrenamtlich in der Selbstverwaltung unserer zwölf Versorgungseinrichtungen und dem gemeinsamen Gremium Kammerrat einbringen. Und so wie in den zurückliegenden Jahren werden
wir auch in Zukunft unsere Kräfte für den Verbund und zum Wohle seiner Versorgungseinrichtungen einsetzen.
Johannes M. Metzger
8
Vorsitzender des Kammerrats der
Bayerischen Versorgungskammer
Grußwort des Bereichs der Bühnen- und Orchesterversorgung
Seit 75 Jahren haben die Musikerinnen und Musiker der Kulturorchester in Deutschland ihr eigenes Versorgungswerk. Herzlichen Glückwunsch! Sie können stolz darauf sein. Ein eigenes Versorgungswerk heißt, alle Beiträge und Kapitalerträge gehören ausschließlich den Versicherten
und Ruhegeldempfängern. Eigenes Versorgungswerk heißt, seine Regeln bestimmen die Beitragszahler im paritätisch besetzten Verwaltungsrat selbst, die Arbeitgeber durch den Deutschen Bühnenverein und die Arbeitnehmer durch ihre Gewerkschaft Deutsche Orchestervereinigung. Und eigenes Versorgungswerk heißt, die Versicherten stehen in Notfällen solidarisch
einander bei, etwa bei einer bereits in jungen Jahren eintretenden Berufsunfähigkeit. Das
klingt so attraktiv, dass man es erfinden müsste, wenn es das noch nicht gäbe. Für die Musikerinnen und Musiker der Kulturorchester in Deutschland ist dies seit 75 Jahren Wirklichkeit. Vorbild
war die ebenso erfolgreiche „große Schwester“, die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen.
Mögen die problematischen politischen und rechtlichen Umstände rund um das Gründungsdatum 1938 und die damals handelnden Personen auf den ersten Blick keine rechte Freude
aufkommen lassen, das Ereignis groß zu feiern. Das Bestehen der Orchesterversorgung, ihre
Aufgabe und ihr jahrzehntelanger Erfolg sind dafür allemal ein Anlass. Auf den folgenden
Seiten haben wir versucht, die wechselvolle Geschichte möglichst informativ und
anschaulich darzustellen. Sie ist verknüpft - wie sollte es auch anders sein - mit der wechselvollen
Historie unseres Landes: Nazidiktatur, Zweiter Weltkrieg, Währungsreform, Wiederaufbau und
schließlich Wiedervereinigung.
Altersversorgung ist mehr als Beiträge einnehmen und Renten auszahlen. Schon bei ihrer
Gründung wurde die Versorgungsanstalt deshalb in die Obhut einer in berufsständischer
Versorgung erfahrenen Verwaltung gegeben: Aus der Bayerischen Versicherungskammer
ist mittlerweile die Bayerische Versorgungskammer hervorgegangen. Mit ihr steht der
Orchesterversorgung seither eine kompetente und leistungsstarke Geschäftsführung zur
Verfügung. Im Verbund mit elf weiteren Versorgungswerken gereichen ihr insbesondere
die Synergien bei der Verwaltung der Kapitalanlagen sowie auf vielen anderen Feldern wie
Versicherungsmathematik, Datenverarbeitung, Controlling oder Personaleinsatz zum Vorteil.
Den Kontakt zu Ihnen, den Mitgliedern, Versicherten und Versorgungsempfänger halten die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Bereiches. An diesem Schnittpunkt möchten wir
Ihnen auch künftig den bestmöglichen Service bieten. Wir alle werden uns weiterhin mit
Sachverstand und Leidenschaft für das Gelingen der Orchesterversorgung einsetzen und
wünschen der Jubilarin noch unendlich viele erfolgreiche Jahre zum Wohl der Musikerinnen
und Musiker in Deutschland.
Gerhard Raukuttis
Ulrich Böger
Peter Rammert
Stellvertretender Vorstandsvorsitzender
und zuständiger Ressortvorstand der
Bayerischen Versorgungskammer
Bereichsleiter
Abteilungsleiter und Stellvertretender
9
Bereichsleiter
Chronik der Versorgungsanstalt der
deutschen Kulturorchester
1921 - 1925
Im Jahr 1921, auf dem Höhepunkt der Inflation, fasst der Verband der gemeinnützigen
Theater unter der Leitung des Mannheimer Oberbürgermeisters Dr. Theodor Kutzer
den Plan einer Zusatzversorgungseinrichtung für Bühnenkünstler und wendet sich
an den Präsidenten der Bayerischen Versicherungskammer Dr. Ferdinand von Englert.
Durch Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 4. Juli 1925
mit den Rechten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgestattet, nimmt die
Versorgungsanstalt deutscher Bühnen – VdB – am 1. September 1925 ihre Tätigkeit auf.
Die Mitgliedschaft in der VdB ist freiwillig und bleibt Bühnen mit öffentlich-rechtlichen
Trägern vorbehalten.
1933 - 1934
Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und überträgt die Regierungsgewalt auf die NSDAP und ihre nationalkonservativen Verbündeten. „Gleichschaltungsmaßnahmen“ führen Deutschland schrittweise
in die NS-Diktatur. Am 1. April 1933 nimmt das Reichsministerium für Volksaufklärung
und Propaganda seine Tätigkeit auf, am 22. September 1933 wird die Reichsmusikkammer als eine der sieben Abteilungen der Reichskulturkammer zur „Gleichschaltung“
der Kultur gegründet. Die Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer wird Voraussetzung für die Ausübung des Musikerberufs. Durch den Rassenwahn der Machthaber
verlieren die deutschen Kulturorchester wertvolle Musiker und geraten im weltweiten
Austausch von Solisten und Dirigenten in die Isolation. Andererseits profitieren die
Orchester von den neuen Machthabern. Der NS-Staat investiert so viele öffentliche
Finanzmittel in die Kultur wie kein deutscher Staat vor ihm, die Musiker genießen
Privilegien und sollen besser versorgt werden.
10
1935 - 1937
Der „Sondertreuhänder der Arbeit“ wendet sich an die Bayerische Versicherungskammer wegen einer eventuellen Versicherung von Musikern in der VdB. Eine am 17. Dezember 1935 im Propaganda-Ministerium in Berlin stattfindende Sitzung, an der auch
Vertreter der Bayerischen Versicherungskammer teilnehmen, kommt zum Ergebnis,
eine eigene Versorgungseinrichtung für Musiker zu gründen. Die ursprüngliche Absicht, die Musiker in der Zusatzversorgungsanstalt des Reichs und der Länder (heute
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) zu versichern, wird verworfen. Ein
Sachverständigengremium arbeitet im schriftlichen Verfahren und in mehreren Sitzungen in Berlin und München die Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester
und die Satzung aus.
1938
Die Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester vom 30. März 1938 und die
Satzung der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester – VddKO – vom
30. April 1938 werden im Reichsarbeitsblatt vom 15. Mai 1938 veröffentlicht. Durch
Bekanntmachung des Präsidenten der Bayerischen Versicherungskammer vom
30. April 1938 wird die VddKO ab 1. Mai 1938 als Körperschaft des öffentlichen Rechts
errichtet und der Geschäftsführung der Bayerischen Versicherungskammer unterstellt. Gleichzeitig nimmt diese den Geschäftsbetrieb auf. Hierzu wird angeordnet,
dass die am 1. März 1938 aufgrund der Tarifordnung für die deutschen Theater vom
27. Oktober 1937 aus der VdB hervorgegangene Versorgungsanstalt der deutschen
Bühnen – VddB – vorschussweise alle Ausgaben der VddKO zu begleichen hat, bis
diese selbst über ausreichende Eigenmittel verfügt. In der Bayerischen Versicherungskammer wird die neue „Abteilung J für Versorgung der Kulturschaffenden“ errichtet,
da weitere Gründungen von Versorgungswerken für Künstler (z. B. für „Kulturschaffende in Film und Rundfunk“) geplant sind, was aber der Zweite Weltkrieg verhindert.
8. April 1938
Berlin, Philharmonie Sonderkonzert
Herbert von Karajan
erster Auftritt mit den Berliner Philharmonikern
Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie Nr. 33 B-Dur KV 319
Maurice Ravel: Daphnis et Chloé, Suite Nr. 2
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98
11
Dr. iur. Ottmar Kollmann (1886 - 1969)
Durch die Bekanntmachung des Präsidenten der Bayerischen Versicherungskammer, Dr. Kollmann, über die Satzung der Versorgungsanstalt
der deutschen Kulturorchester vom 30. April 1938 wurde die VddKO ab
1. Mai 1938 als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet, mit den
Rechten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgestattet und
der Geschäftsführung der Bayerischen Versicherungskammer unterstellt.
Die Orchesterversorgung nahm damit ihren Betrieb auf.
12
1939 - 1944
Am 1. September 1939 beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite
Weltkrieg. Durch ergänzende Tarifordnungen werden die Kulturorchester Österreichs,
des Sudetenlandes, aus „Böhmen und Mähren“, der Freien Hansestadt Danzig und
„eingegliederter“ Ostgebiete Mitglieder der VddKO. Der „Führererlass für den totalen
Kriegseinsatz“ vom 25. Juli 1944 führt mit wenigen Ausnahmen zum Erliegen des Konzert- und Opernbetriebs. Die Musiker werden zur Wehrmacht eingezogen oder in der
Rüstung beschäftigt. Konzertsäle und Opernhäuser werden durch Bombenangriffe
beschädigt oder zerstört.
1945 - 1950
Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht zum 8. Mai 1945 endet die NS-Diktatur.
Deutschland wird in vier alliierte Besatzungszonen geteilt. Zumeist in Ausweich- oder
Behelfsspielstätten läuft der Konzert- und Opernbetrieb wieder an. Die Bayerische
Versicherungskammer nimmt gerade mal zwei Tage nach der Kapitulation ihren
Dienstbetrieb wieder auf. Die Anstaltstätigkeit kann mit Zustimmung der Westmächte
in deren Besatzungszonen ohne nennenswerte zeitliche Unterbrechung fortgeführt
werden. In der sowjetischen Zone und zunächst auch in Berlin verbietet die Besatzungsmacht jede weitere Anstaltstätigkeit. Der Fortbestand der VddKO als „Einrichtung der Nationalsozialisten“ ist auch bei den Orchestern und ihren Musikern in den
West-Zonen nicht unumstritten. Auf der 1. Interzonentagung der Deutschen Musikerverbände am 11. Oktober 1948 in München und auf der Orchestertagung in Elberfeld
am 16. September 1949 sprechen sich die Teilnehmer aber für die Beibehaltung der
Pflichtversicherung und den Fortbestand der VddKO bei der Bayerischen Versiche-
Die Leistungen der Versicherungen
waren 1948 nur im Verhältnis 10 : 1 umgestellt worden. Durch die mutige Haltung des Präsidenten Rudolf Herrgen,
der trotz gegenteiliger Weisung der
Militärregierung die Umstellung der
Versorgungsleistungen im Verhältnis
1 : 1 vorschlug, konnten die Renten aus
der VddKO in voller Höhe in DM ausgezahlt werden.
Rudolf Herrgen Präsident der Bayerischen
Versicherungskammer (1946-1967)
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rungskammer aus. Satzungsrecht und Verwaltung sollen schnellstmöglich auf eine
demokratische Basis gestellt werden. In der ersten Sitzung des vorläufigen Verwaltungsrats am 10. März 1950, erstmals paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt, werden die Weichen für die Zukunft gestellt.
Ihre bis dahin wohl härteste Bewährungsprobe besteht die Anstalt in der Währungsreform 1948. Sie sieht sich mit einer Währungsgesetzgebung konfrontiert, die eine
Abwertung des Anstaltsvermögens, der Versorgungsanwartschaften und der Renten im Verhältnis 10 RM : 1 DM vorsieht. Das Anstaltsvermögen sinkt dadurch von
12.550.320 RM am Währungsstichtag 1948 auf 2.458.335 DM Ende 1950. Durch die
mutige Haltung des Präsidenten Rudolf Herrgen, der trotz gegenteiliger Weisung der
Militärregierung die Umstellung der Versorgungsleistungen im Verhältnis 1 : 1 vorschlägt, können die Renten in voller Höhe in DM ausgezahlt werden. Die Versorgungsanwartschaften werden zunächst im Verhältnis 1 : 1 und ab 1. Januar 1962 sogar im
Verhältnis 1 : 1,2 angerechnet.
1951 - 1973
Die VddKO trägt zusammen mit der VddB durch Gewährung größerer Darlehen in
vielen Städten zum Wiederaufbau der Theater bei und hilft damit auch, Arbeitsplätze
von Orchestermusikern zu schaffen und zu erhalten. Das erste Darlehen der VddKO
wird jedoch zum Wiederaufbau eines Krankenhauses an die schwer zerstörte Stadt
Würzburg vergeben. Gemäß einer Vereinbarung mit dem Land Berlin werden die
Musiker der Orchester in den Westsektoren ab 1. April 1955 wieder Pflichtversicherte
der VddKO. Die erloschenen Versicherungsverhältnisse für diese Musiker leben wieder auf, für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum 31. März 1955 werden vom Land Berlin
Überbrückungsbeiträge nachentrichtet. Durch Vollzugsvorschriften wird die Anrechnung von Wehr- und Kriegsdienstzeiten auf die Wartezeit geregelt. Jährlich ab 1965
gewährt die VddKO freiwillig widerrufliche Versorgungszulagen zur Anpassung der
Versorgungsleistungen an die wirtschaftliche Entwicklung. Der Bundesarbeitsminister hebt am 17. April 1968 alle noch bestehenden Tarifordnungen des Sondertreuhänders der Arbeit auf, mit Ausnahme der Tarifordnung für die deutschen Theater und
der Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester. Diese Tarifordnungen bleiben
weiterhin Rechtsgrundlagen der VddB und der VddKO und sollen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung der Zusatzversorgung für Bühnenkünstler und Orchestermusiker
in Kraft bleiben. Durch eine Vereinbarung übernimmt die VddKO mit Wirkung vom
1. Januar 1969 alle bei der VddB noch versicherten Orchestermusiker in ihren Versichertenbestand. Von 1970 - 1973 wird in gemeinsamen Verwaltungsausschüssen mit
der VddB eine große Satzungsreform erarbeitet.
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1974 - 1977
Zum 1. Januar 1974 wird die Neufassung der Satzung wirksam. Die Altersgrenze
45. Lebensjahr für die Pflichtversicherung entfällt, ebenso das Erlöschen des Versicherungsverhältnisses beim Ende der Beschäftigung als Musiker. Soweit nicht die
freiwillige Weiterversicherung erklärt wird, wird die Versicherung nun als beitragsfreie fortgeführt, bereits erworbene Versorgungsanwartschaften bleiben bestehen.
Ab 1. Januar 1976 führt die VddKO eine Beitragsbemessungsgrenze in Höhe des
2,2-fachen Betrages der für die Rentenversicherung der Angestellten geltenden monatlichen Beitragsbemessungsgrenze ein. Durch das Erste Gesetz zur Reform des
Ehe- und Familienrechts gelten ab 1. Juli 1977 Regeln des Versorgungsausgleichs zwischen geschiedenen Ehegatten. Der Ausgleich der Versorgungsanrechte erfolgt durch
Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung.
1984 - 1990
Initiativen für eine bundesgesetzliche Neuregelung der Rechtsgrundlagen der VddB
und der VddKO und zur Ablösung der Tarifordnungen gedeihen bis zum Entwurf
des TOZG (Gesetz über die Zusatzversorgung für Beschäftigte bei Theatern und Kulturorchestern) und versanden schließlich ergebnislos im politischen Getriebe. Am
1. Mai 1988 besteht die VddKO 50 Jahre. Zum Jubiläum wird den Versorgungsempfängern eine Sonderzuwendung (in Höhe von 300 DM für Ruhegeldempfänger, 200 DM
für Witwen und Witwer sowie 100 DM für Waisen) gewährt.
Währungsreform:
Am 20. Juni 1948 erfolgte die Währungsreform, bereits einen Tag später war die DM das einzige Zahlungsmittel in den westdeutschen Zonen der Alliierten. Die Bevölkerung wurde am Freitag, den
18. Juni 1948 durch den Rundfunk und über Aushänge über die anstehende Währungsreform und den
Ablauf informiert. Die Umstellung erfolgte somit an einem Wochenende. Bis zum Stichtag 26. Juni 1948
mussten alle natürlichen und juristischen Personen - ausgenommen die Geldinstitute - bei einer Hauptumtauschstelle der Abwicklungsbank ihr Baraltgeld abliefern und ihre gesamten Altgeldguthaben anmelden, sonst verfielen sie.
15
1990 - 1992
Die friedliche Revolution und das Ende des SED-Regimes in der DDR führen am
3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die VddB und die VddKO werden
im Einigungsvertrag berücksichtigt. Darin wird geregelt, dass die Tarifordnungen und
Satzungen ab 1. Januar 1991 Anwendung finden. Die Orchester in den neuen Bundesländern werden dadurch nur wenige Monate nach der staatlichen Einheit wieder Mitglieder
in der VddKO. Nach den einschlägigen Währungsgesetzen erloschene Ansprüche aus
Versicherungen bis 1945 werden im Wege des Härteausgleichs reguliert. Im Zuge einer
zweiten großen Satzungsreform erfolgen Anpassungen zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, eine höhere Frühinvaliditätszurechnung und eine Erhöhung des Sterbegeldes.
Da viele Musiker an Orchestern der neuen Länder bereits älter als 45 sind, werden die
„absinkenden Verrentungssätze“ ab 1. Januar 1992 abgeschafft. Wegen des zu erwartenden Personalabbaus an Orchestern werden Übergangsregelungen zur Befreiung
von der Pflichtversicherung älterer Musiker und zur Beitragsrückgewähr getroffen.
1994 - 1995
Die Strukturreform der Bayerischen Versicherungskammer durch das Gesetz über
das öffentliche Versorgungswesen vom 25. Juni 1994 führt zur Trennung des Versicherungs- und Versorgungsgeschäfts. Neben elf weiteren berufsständischen und
kommunalen Versorgungseinrichtungen wird auch die Verwaltung der VddKO ab
1. Januar 1995 durch die nun Bayerische Versorgungskammer genannte Oberbehörde
des Freistaats Bayern fortgeführt. Als größte öffentlich-rechtliche Versorgungsgruppe
in Deutschland entwickelt sich die Bayerische Versorgungskammer zu einem Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum für berufsständische und kommunale Altersversorgung.
1998
Die dritte Satzungsreform mit Wirkung zum 1. Januar 1998 beinhaltet insbesondere
die stufenweise Abschaffung des vorgezogenen Altersruhegelds für Frauen, eine verkürzte Wartezeit für Ruhegelder wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nebst Angleichung der Definitionen und eine Reduzierung der Versicherungszeit für Beitragserstattungen von 36 auf zwölf Beitragsmonate.
2001 - 2006
Beginn der negativen Entwicklung auf den Finanzmärkten. Die Zinserträge auf dem
Kapitalmarkt werden signifikant rückläufig. Dies zwingt die VddKO zur Absenkung
des einheitlichen Verrentungssatzes ab 2003 auf 12 % und ab 2006 zur Reduzierung
des Rechnungszinses von 4 % auf 3,25 % nebst der Einführung altersgerechter Verrentungssätze.
16
2009
- 2012
Die Strukturreform des Versorgungsausgleichs löst ab 1. September 2009 das Quasisplitting ab und führt die interne Teilung der Anrechte unmittelbar bei der Anstalt
ein. Bei weiter rückläufigen Zinsen für Neuanlagen auf dem Kapitalmarkt müssen der
Rechnungszins nochmals auf 2 % abgesenkt und die altersgerechte Verrentung der
Beiträge entsprechend angepasst werden. Bei der Verwendung der Überschüsse wird
der Bildung von Rückstellungen zur Zinssicherung Priorität vor laufenden Anpassungen der Renten eingeräumt. Wie in der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Regelaltersgrenze stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr und die Altersgrenze für
den frühestmöglichen Bezug von flexiblem Altersruhegeld vom 60. Lebensjahr auf
das 62. Lebensjahr angehoben. Um einen Übergang in Vorruhestände zu erleichtern,
schafft die VddKO die Verdienstbeschränkungen beim flexiblen Altersruhegeld ab.
Ruhegeld wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit wird nun unabhängig von der Erfüllung einer Wartezeit gewährt.
2013
Die VddKO blickt am 1. Mai 2013 auf ihr 75 - jähriges Bestehen zurück. Sie ist ein modernes und höchst attraktives Versorgungswerk. Bei circa 100 Mitgliedern (Orchestern)
und mehr als 10.000 beitragszahlenden Versicherten ist sie leistungsfähig, um die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Musiker bei den deutschen Kulturorchestern - trotz des derzeit schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes - auf
Dauer zu sichern.
Sergiu Celibidache dirigiert
die Berliner Philharmoniker in
den Trümmern des alten Saals
der Philharmonie für den Film
„Botschafter der Musik“, der
1951 erschien.
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Nachgefragt: Musik im NS-Staat
Die Kulturpolitik der Jahre 1933 – 1945 orientierte sich eng am Geschmack Adolf Hitlers, der
sich als Künstler verstand (wenngleich in den Bereichen bildende Kunst und Architektur) und
propagandistisch als solcher gefeiert wurde. Seine Machtausübung war durch Ritual und Rhetorik, Trivialität und Metaphysik gekennzeichnet. Die deutsche Musik sollte von allen jüdischen
und ausländischen Einflüssen gesäubert werden, die sogenannte „Entartete Musik“ wurde aus
der Öffentlichkeit verbannt. Als „deutsch” galten Johann Sebastian Bach, die Klassiker Haydn,
Mozart, Beethoven, dann Franz Schubert, Anton Bruckner und vor allen Richard Wagner, der
von Hitler am höchsten eingeschätzte Musiker.
Verboten wurden die Aufführung „nichtarischer“ Komponisten, wie Felix MendelssohnBartholdy und Gustav Mahler, aber auch der Werke von Arnold Schönberg, Kurt Weill, Hanns
Eisler und Ernst Krenek sowie von Paul Hindemith, Anton Webern, Igor Strawinsky und vielen
anderen innovativen Klangkünstlern, denen keine jüdische Abstammung nachgesagt wurde,
die aber wegen ihrer Abkehr von den herkömmlichen tonalen Strukturen als volksfern und
entartet verfemt waren.
Der NS-Staat investierte soviel öffentliche Finanzmittel in die Kultur wie kein deutscher Staat
vor ihm. Die vielfältige Kulturförderung war bewusst kalkuliert. Sowohl die deutsche Bevölkerung als auch das kritisch auf Deutschland blickende Ausland sollten davon überzeugt werden, dass der Abgang einer großen Anzahl international angesehener Künstler ohne Qualitätseinbußen kompensierbar war. Klassische Musik sollte als hohe Kunst Respekt einflößen,
überwältigen und Macht sinnlich repräsentieren. Sie eignet sich besonders für die Ästhetisierung von Herrschaft und war daher Mittel zum politischen Zweck. Die Machthaber erkannten,
dass die erwünschte „staatspolitisch wertvolle Kultur“ nur bei einer – wenn auch begrenzten –
Zulassung künstlerischer und persönlicher Freiheiten zu erhalten war. Musikern, die in gleichem Maß künstlerisches Talent und Linientreue unter Beweis stellten, war beruflicher Erfolg
sicher. War dagegen der Mangel an musikalischer Befähigung offensichtlich, konnte auch die
äußerste politische Hingabe ein künstlerisches Überleben nicht garantieren. Hingegen konnten Musiker, deren Bindung an den NS-Staat nur minimal oder gar nicht existent war, Karriere
18
machen, wenn sie sich anpassten und nicht gegen das Regime stellten. Die angeordnete finanzielle Ab- und Alterssicherung sollte daher vor allem ein Anreiz für die Musiker zur Loyalität
zum Regime sein.
Den Gehaltsstrukturen der Musiker im„Dritten Reich“ sollten allein künstlerische Gesichtspunkte zugrunde liegen, was jedoch an den Eitelkeiten der Nazi-Bonzen scheiterte. Vorgesehen war
die Einteilung in sechs Klassen, vom Nordischen Gaulandorchester Glogau in der untersten
bis hinauf zur Sonderklasse, der nur die Berliner Philharmoniker – als „Reichsorchester“ – angehören sollten. Das rief jedoch Goebbels Rivalen Göring auf den Plan. Die Antipoden trugen
ihre persönliche Rivalität auch auf kulturellem Gebiet aus. Die neue Tarifordnung bot Göring
Gelegenheit, auch „sein“ Orchester der Berliner Staatsoper (Staatskapelle) auf die gleiche Stufe
wie Goebbels‘ Reichsorchester zu stellen. Auf Anordnung Hitlers musste auch das Orchester
der Bayerischen Staatsoper in die Sonderklasse genommen werden. Ihm folgten nach dem
„Anschluss“ Österreichs die Wiener Philharmoniker, zum 1. Juni 1943 umfasste die Sonderklasse zudem das Orchester des Deutschen Opernhauses Berlin, die Staatskapelle Dresden, das
Gewandhausorchester Leipzig, das Orchester der Hamburgischen Staatsoper und zuletzt das
1942 gegründete, damals drittklassige Brucknerorchester Linz, das nur deshalb in die Sonderklasse kam, weil Hitler die Stadt Linz als seinen künftigen Altersruhesitz auserkoren hatte.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs stand vor allem die Truppenbetreuung und die Aufrechterhaltung der Kriegs-Moral der Zivilbevölkerung für die Kulturorchester im Vordergrund.
Die „Gottbegnadeten“ (Berliner und Wiener Philharmoniker) als Aushängeschilder deutscher
Hochkultur blieben bis zuletzt vom Kriegs- und Rüstungseinsatz verschont und spielten, bis
das Regime in einem groß angelegten Götterdämmerungs-Szenario unterging.
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Nachgefragt: Gleichschaltung
Unmittelbar nach der Machtübernahme begann die nationalsozialistische Führung mit der
Ausschaltung der Organisationen und Personen, durch die sie ihren Totalitätsanspruch bedroht sah. Ziel war die Zerschlagung des Pluralismus der Weimarer Republik in Staat und Gesellschaft. Der vom Reichsjustizminister Franz Gürtner geprägte Begriff der „Gleichschaltung“
wurde erstmals in zwei Gesetzen zur Gleichschaltung der Länder im März und April 1933
publik. Bis in die untersten Verwaltungsebenen reichten die Auswirkungen des Gesetzes zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Unter Missachtung aller verfassungsrechtlichen Bestimmungen erlaubte es die Entlassung von Demokraten und Liberalen
und vor allem von Bediensteten jüdischen Glaubens auch aus den von der öffentlichen Hand
getragenen Kulturorchestern.
Die gewaltsame Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 bildete einen Höhepunkt der bereits im Laufe des Frühjahrs 1933 in weiten Bereichen vollzogenen Unterdrückung
und Verfolgung der organisierten Arbeitnehmerschaft. Bei der Besetzung der Gewerkschaftshäuser wurden die führenden Funktionäre verhaftet. Es kam dabei zu Brutalitäten und Morden.
Am 10. Mai 1933 wurde unter Beschlagnahme der Gewerkschaftsvermögen und Abschaffung
des Streikrechts die Zwangsintegration sämtlicher Angestellten- und Arbeiterverbände in die
Deutsche Arbeitsfront - DAF - verfügt. Mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom
20. Januar 1934 wurde die Gründung legitimiert. Per Reichsgesetz vom 19. Mai 1933 wurden
die Treuhänder der Arbeit (auch Reichstreuhänder der Arbeit) geschaffen, eine Instanz, die
bei Unruhen in Betrieben zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft vermitteln sollte. Die
Treuhänder rekrutierten sich in der Regel aus der Privatwirtschaft, staatlichen Arbeits- und
Wirtschaftsverwaltungen oder aus den Industrie- und Handelskammern. Sondertreuhänder
der Arbeit für die Regelung der Arbeitsverhältnisse bei den Kulturorchestern Deutschlands
war ein Ministerialrat Rüdiger.
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Zur weiteren Gleichschaltung der Kultur wurde am 22. September 1933 durch das Reichskulturkammergesetz die Reichskulturkammer unter Joseph Goebbels, dem Reichsminister
für Volksaufklärung und Propaganda, als Dachorganisation für sieben Einzelabteilungen gegründet. Wer Kunst- und im weitesten Sinne Kulturschaffender war, musste der jeweils für
ihn zuständigen Einzelkammer beitreten. Musiker wurden nur noch beschäftigt, wenn sie der
Reichsmusikkammer angehörten. Wer keinen Ariernachweis erbringen konnte, wurde nicht
aufgenommen oder, soweit schon der Kammer angehörig, wieder ausgeschlossen. Die Reichsmusikkammer förderte Musiker einerseits, andererseits wurden sie aber durch diese kontrolliert. Dem Einfluss der DAF jedoch waren die Musiker entzogen.
Die nationalsozialistische Führung setzte bekannte Persönlichkeiten an die Spitze der Reichsmusikkammer. Richard Strauss, einer der größten Komponisten im damaligen Deutschland,
wurde Präsident und der Dirigent Wilhelm Furtwängler sein Stellvertreter. Strauss und Furtwängler traten jedoch nach Differenzen mit den Machthabern von ihren Ämtern zurück und
wurden durch regimetreuere Musiker ersetzt. Es waren dies der Dirigent Peter Raabe als Vorsitzender, als sein Stellvertreter der Komponist Paul Graener. Neben der Erteilung der Arbeitserlaubnis für Komponisten und Musiker machte es sich die Reichsmusikkammer zur Aufgabe,
die Arbeitsbedingungen für Musiker festzulegen, über Eröffnung und Schließung von Unternehmen zu entscheiden und inhaltliche Richtlinien für die Gestaltung künstlerischer Werke
vorzugeben.
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Wiederaufbau
Die zerstörte Berliner Philharmonie im
Januar 1944
22
:
Die Semperoper Dresden
um 1930 ...
... um 1945 ...
... und heute
23
Wiedervereinigung
Die friedliche Revolution bewirkte die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989, den endgültigen Zerfall des politischen Systems der DDR
und die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990.
Gemäß den Bestimmungen des Einigungsvertrags konnte die VddKO ihre
Tätigkeit in den neuen Ländern bereits am 1. Januar 1991 wieder aufnehmen. Eine richtungweisende Rolle für diese Entwicklung aus dem Kulturorchesterbereich spielte der Leipziger Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, der zu den sechs prominenten Leipzigern gehörte, die anlässlich der
Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 den Aufruf Keine Gewalt! verfassten. Dieser Aufruf wurde während der Demonstration mehrfach über die Lautsprecher des Leipziger Stadtfunks verbreitet und trug so
maßgeblich zu deren friedlichem Ablauf bei. Am 27. Dezember 1989 wurde
Masur erster Ehrenbürger der Stadt Leipzig nach der politischen Wende in
der DDR.
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„Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und
suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen einen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb
versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig,
sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend
um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.“ Aufruf „keine
Gewalt“ der Sechs, verlesen von Kurt Masur am Abend des 9. Oktober 1989
„Ode an die Freiheit“: Weihnachten 1989, einen
Monat nach dem Fall der Mauer, wurde Beethovens 9. Symphonie im Ostberliner Konzerthaus
am Gendarmenmarkt unter Leonard Bernstein
mit Musikerinnen und Musikern aus St. Petersburg, London, New York, Paris, Dresden und
München mit einem leicht geänderten Text
aufgeführt: „Freiheit, schöner Götterfunken“.
Damit wurde aus der "Ode an die Freude" eine
"Ode an die Freiheit". Bernsteins Kommentar
dazu war „Ich bin sicher, Beethoven würde uns
zustimmen“.
25
Die Mitglieder
Pflichtmitglieder der VddKO sind die öffentlich-rechtlichen Rechtsträger eines Kulturorchesters (insbesondere Bundesländer und Kommunen) in Deutschland. Ein Orchester ist Kulturorchester, wenn es überwiegend Opern oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielt. Durch
die Erfüllung dieser Voraussetzungen entsteht die Mitgliedschaft automatisch, es handelt sich
um eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Sie kann durch abweichende gesetzliche Regelungen oder tarifvertragliche Vereinbarungen über eine alternative Altersversorgung abgelöst
werden. Aufgrund landesrechtlicher Ruhelohnordnung sind und waren z. B. die Hamburger
Kulturorchester zu keiner Zeit Mitglied der VddKO, ebenso haben die meisten deutschen Rundfunksinfonieorchester die Mitgliedschaft nach dem
Zweiten Weltkrieg durch eigene Tarifverträge abgelöst. Als freiwillige Mitglieder sind der VddKO Kulturorchester in privatrechtlicher Rechtsträgerschaft, Kammerorchester, ein großer Rundfunkchor, die im Verwaltungsrat
vertretenen Organisationen sowie eine Leistungsverwertungsgesellschaft
angeschlossen.
26
Bei der Anstaltsgründung 1938 waren 104 Orchester Mitglieder. Fraglich waren am Anfang die
Mitgliedschaften von Operettenorchestern (z. B. Gärtnerplatztheater in München), die dem
„Kulturorchesterbegriff“ der Tarifordnung nicht entsprachen. Da es jedoch ausdrücklicher
Wunsch des Propagandaministers war, dass diese Orchester in die VddKO kamen, wurde die
Tarifordnung geändert. Anpassungen der Tarifordnung ergingen auch für circa 30 Stadttheaterorchester, die bei verkürzten Spielzeiten die Sommersaison über als Kurkapellen in Badeorten spielten. Die Mitgliederzahl stieg dadurch auf 120. Die der NSDAP-Organisation unterstellten Orchester (NS-Reichssymphonieorchester, NS-Landesorchester und
Orchester der Ordensburgen) suchten zunächst den Eintritt in die VddKO,
wollten dann aber nicht mehr, weil sie von einer privaten Versicherung ein
„besseres“ Angebot erhielten. Dazu schaltete sich der „Stellvertreter des
Führers“ ein und erklärte die Tarifordnung für nicht einschlägig. Der VddKO
blieb damit die Mitgliedschaft dieser Orchester erspart. Durch ergänzende Tarifordnungen kamen im Lauf der Zeit die Kulturorchester Österreichs,
des Sudetenlands, aus „Böhmen und Mähren“ sowie der Freien Hansestadt
Danzig und der „eingegliederten Ostgebiete“ hinzu. Die Mitgliederzahl
stieg auf 147.
Nach dem Kriegsende und dem Verbot der Anstaltstätigkeit in der sowjetisch besetzten Zone
und in Berlin ging die Zahl der Mitglieder bis zum Geschäftsjahr 1949 / 50 auf 64 zurück. Bedingt durch die Wiederzulassung der Mitgliedschaft für die Orchester in den Westsektoren
Berlins und einige Neugründungen (z. B. die Bamberger Symphoniker, 1946 formiert aus
Musikern, die im Zuge der Flüchtlingsbewegungen von Ost nach West und aus deutschen
Städten nach Bamberg gelangten, sowie aus ehemaligen Mitgliedern des Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag oder die inzwischen liquidierte Philharmonia Hungarica, die von
vor dem Ungarischen Volksaufstand geflohenen Musikern 1956 in Baden bei Wien gegründet
wurde und später ihren Sitz in Deutschland nahm) stieg die Zahl der Mitglieder bis 1989 auf 81
(66 Pflichtmitglieder und 15 freiwillige Mitglieder). Nach der Wiedervereinigung erhöhte sich
deren Zahl im Jahr 1991 auf zunächst 150 (132 Pflichtmitglieder und 17 freiwillige Mitglieder).
Leider haben nicht alle Orchester die Wiedervereinigung überlebt. Bedingt durch Auflösungen und Fusionen sank die Mitgliederzahl wieder und beläuft sich (nun seit einigen Jahren
weitgehend konstant) auf derzeit 117 (106 Pflichtmitglieder und 11 freiwillige Mitglieder).
27
Städte mit Mitgliedern
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Baden-Württemberg:
Stuttgart, Reutlingen,
Mannheim, Karlsruhe,
Freiburg, Heidelberg, Ulm,
Pforzheim, Heilbronn,
Konstanz, Baden-Baden
Bayern:
München, Nürnberg,
Augsburg, Regensburg,
Würzburg, Bad Reichenhall, Bamberg, Passau,
Coburg, Hof
Berlin:
Berlin
Brandenburg:
Cottbus, Brandenburg,
Frankfurt/Oder
Bremen:
Bremen, Bremerhaven
Hessen:
Wiesbaden, Frankfurt,
Kassel, Darmstadt, Gießen
Mecklenburg-Vorpommern:
Schwerin, Neubrandenburg/Neustrelitz, Rostock,
Greifswald/Stralsund
Niedersachsen:
Hannover, Braunschweig,
Oldenburg, Osnabrück,
Lüneburg, Hildesheim
Nordrhein-Westfalen:
Düsseldorf, Essen,
Dortmund, Duisburg,
Bochum, Krefeld/Mönchengladbach, Münster,
Bielefeld, Recklinghausen, Detmold, Köln,
Wuppertal, Bonn, Hagen,
Aachen, Remscheid/
Solingen, Hilchenbach,
Herford
Rheinland-Pfalz:
Mainz,
Koblenz,
Kaiserslautern,
Trier,
Ludwigshafen
Saarland:
Saarbrücken
Sachsen:
Dresden, Freiberg, Radebeul, Riesa, Bautzen,
Görlitz/Zittau, Leipzig,
Böhlen, Bad Lausick,
Plauen/Zwickau,
Annaberg, Chemnitz
Sachsen-Anhalt:
Magdeburg, Halle, Halberstadt, Wernigerode,
Dessau
Schleswig-Holstein:
Kiel, Lübeck, Flensburg
Thüringen:
Erfurt, Meiningen, Greiz/
Reichenbach, Gera, Jena,
Weimar, Eisenach, Gotha,
Sondershausen,
Saalfeld/Rudolstadt
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Die Versicherten
Pflichtversichert bei der VddKO ist - unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit - jeder bei einem deutschen Kulturorchester beschäftigte Musiker, dazu gehören auch Kapellmeister oder
Dirigenten. Auch freiwillige Versicherungen sind möglich, z. B. für Rundfunkchormitglieder
oder für Musiker, deren Orchester wegen privatrechtlicher Trägerschaft kein Pflichtmitglied,
aber freiwilliges Mitglied ist.
Der Bestand wurde ab 1938 erst allmählich aufgebaut, denn Musiker waren vor Inkrafttreten der Tarifordnung von der Pflichtversicherung freigestellt, wenn eine anderweitige ausreichende Versorgungszusage bestand. Nur der Neuzugang war ausschließlich bei der VddKO
anzumelden. Die VddKO war das Versorgungswerk für die künftigen Musikergenerationen, ein Neuzugang in die alten Systeme war nicht mehr zugelassen. Ende 1938 waren 6442 Musiker bei Mitgliedsorchestern der VddKO
beschäftigt, wovon 2558 versichert wurden. Die anderen waren für die Versicherung zu alt (722), hatten beamtenrechtliche Versorgungsansprüche
(2156), waren zur VdB/VddB angemeldet (500) oder gehörten örtlichen Orchester-Pensionskassen (506) an. Kriegsbedingt erhöhte sich die Zahl der
Versicherten bis 1945 weiterhin nur unwesentlich. Nach dem 25. Juli 1944
wurde mit wenigen Ausnahmen (Berliner und Wiener Philharmoniker) der
Opern- und Konzertbetrieb vollständig eingestellt und die Musiker im Kriegs- und Rüstungseinsatz verwendet. Nach dem Krieg stieg wegen der personellen Verluste durch Krieg und
Gefangenschaft, dem Wegfall der Mitglieder in den okkupierten Gebieten und in der Ostzone,
aber auch wegen der Entlassung politisch Belasteter der Versichertenbestand zunächst nur
geringfügig an. Am Währungsstichtag (21. Juni 1948) hatte die VddKO 2624 aktive Versicherte
und 1115 ausgeschiedene Versicherte im ruhenden Bestand. Bedingt durch den Wiederaufbau
Westdeutschlands, verbunden mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg (allein zwischen
1953 und 1963 verdoppelte sich die Wirtschaftsleistung der jungen Bundesrepublik) stieg die
Zahl der aktiv Versicherten bis zum 31. Dezember 1973 kontinuierlich auf 5227. Grund dafür
war jedoch insbesondere die durch die Satzungsreform 1974 geschaffene Möglichkeit, sich
im Anschluss an die Pflichtversicherung freiwillig weiterzuversichern. Mit Aufnahme der Anstaltstätigkeit in den neuen Bundesländern zum 1. Januar 1991 kamen 3201 neue Musikerinnen und Musiker dazu und damit ein Anstieg auf insgesamt 9408 aktive Versicherte. Die Wiedervereinigung brachte für die ostdeutschen Länder gewaltige Umstrukturierungen auf allen
Ebenen und damit auch Arbeitsplatzverluste im Kulturbereich. Bei stark ansteigenden Zahlen
der Weiterversicherten und beitragsfrei Versicherten pendelte sich die Menge der pflichtversicherten Musikerinnen und Musiker auf inzwischen um die 9.000 ein. Die Beitragseinnahmen
für sie belaufen sich derzeit auf rund 44 Mio. Euro pro Jahr.
30
Frauen in Kulturorchestern
Der Frauenanteil der aktiven Versicherten beläuft sich inzwischen auf circa 38 %. 1938 war
dies noch anders. Musik in Kulturorchestern war Männersache. Frauen wurden im Regelfall
nicht beschäftigt, allenfalls die eine oder andere Harfenistin. Konkrete statistische Erhebungen darüber sind seit 1948 vorhanden. Damals waren von 2631 aktiv Versicherten gerade einmal 58 (2,2 %) Frauen. Im Laufe der Jahrzehnte änderte sich das allmählich. So spielten die
Berliner Philharmoniker 100 Jahre ohne Frauen. Die Tutti-Geigerin Madeleine Carruzza war
am 23. Juni 1982 die erste, die auf dem Podium der Philharmonie saß. Noch im Jahr darauf gelang es selbst Herbert von Karajan nicht, die heute weltberühmte Klarinettistin Sabine Meyer
bei den Berliner Philharmonikern durchzusetzen. Immer noch stark unterrepräsentiert sind
die Frauen bei den Dirigenten. Aktuell wird nur ein Mitgliedsorchester, das Niedersächsische
Staatsorchester Hannover, von einer Frau (Karen Kamensek) geleitet.
31
Die Versorgungsempfänger
Die VddKO leistet Altersruhegeld bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Diese steigt wie bei der
gesetzlichen Rentenversicherung seit 2012 für die Jahrgänge ab 1947 - 1964 schrittweise vom
65. auf das 67. Lebensjahr, gekürztes flexibles Altersruhegeld ist je nach Jahrgang frühestmöglich ab 60 - 62, und das Versorgungswerk leistet zudem Ruhegeld wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Leistungen an Hinterbliebene sind Sterbegeld, Witwen- und Witwergeld, Hinterbliebenenrente für eingetragene Lebenspartner und Waisengeld.
Da damals alle Rentenansprüche die Erfüllung von Wartezeiten bedingten, hatte die VddKO
bis zum Ende des NS-Regimes keine Versorgungsempfänger. Anschließend
ging sie daran, die Fälle der kriegsgeschädigten Musiker - teilweise im Wege
des Härteausgleichs - zu regulieren. Zum Stichtag 31. August 1950 verzeichnet der Geschäftsbericht daraufhin bereits 19 Ruhegeldempfänger und als
Hinterbliebene 83 zu versorgende Witwen und 99 Waisen. Bis zur Satzungsreform 1974 war die Gesamtzahl auf 1740 (956 Ruhegeldempfänger, 677
Witwen und 107 Waisen) angestiegen. Die Einführung der Unverfallbarkeit
32
bereits erworbener Versorgungsansprüche bei erfüllter Wartezeit durch die neue Satzung
führte kontinuierlich zu einer weiteren Zunahme der Versorgungsempfänger. Bis zur Wiedervereinigung und der Wiederaufnahme der Orchester und Musikerinnen und Musiker aus den
neuen Bundesländern zum 1. Januar 1991 erhöhte sich die Zahl der Versorgungsempfänger
auf 3155 (1936 Ruhegelder, davon 1111 wegen Berufsunfähigkeit, 1154 Witwen, 1 Witwer und
64 Waisen). Sprunghaft stieg sie zum 1. Januar 2001, dem Stichtag, zu dem die Versicherten
aus den neuen Bundesländern die Wartezeit erfüllt hatten. Viele davon waren bereits nicht
mehr im Orchesterdienst, hatten aber die freiwillige Weiterversicherung erklärt. 2848 Ruhegeldempfänger (davon 1385 Berufsunfähige), 1323 Witwen, 12 Witwer und
117 Waisen, das sind insgesamt 4309 Personen, waren nun zu versorgen.
Aktuell hat die VddKO circa 5500 Versorgungsempfänger (bei einem weiter hohen Anteil Berufs- und Erwerbsunfähiger) und wendet jährlich rund
53 Mio. Euro für Rentenzahlungen auf.
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Die Gremien der Versorgungsanstalt der
deutschen Kulturorchester
Die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester regelt ihre Angelegenheiten in Selbstverwaltung, d. h. über alles Wesentliche wie die Versorgungspolitik, die Satzung und damit
die Beiträge und Leistungen oder die Abnahme der Jahresrechnung entscheidet der aus 16
Mitgliedern bestehende Verwaltungsrat. Er wählt aus seiner Mitte sechs Mitglieder des Arbeitsausschusses, der alle Entscheidungen des Verwaltungsrats vorberät.
Schon die Ursatzung von 1938 sah einen Verwaltungsrat mit zwölf Mitgliedern vor, die vom
Reicharbeitsminister, dem Reichsminister der Finanzen, dem Reichspropagandaminister, dem
Preußischen Ministerpräsidenten, dem Präsidenten der Reichskulturkammer (2), dem Deutschen Gemeindetag (2) und dem Präsidenten der Reichsmusikkammer berufen wurden. Er
trat nur ein einziges Mal, am 25. Mai 1939 im Großen Sitzungssaal der Bayerischen Versicherungskammer in München, zusammen. Danach wurde das Verwaltungshandeln ausschließlich durch Weisungen des Propagandaministeriums und des Sondertreuhänders der Arbeit für
die kulturschaffenden Berufe bestimmt.
Der vorläufige Verwaltungsrat, der am 10. März 1950 tagte, war erstmals paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt, die die Kultusministerien der deutschen Länder und der Deutsche Städtetag für die Träger
der Orchester und der Deutsche Musikerverband für die Versicherten und
Versorgungsempfänger beriefen. Sie benannten zunächst auch die Mitglieder der nachfolgenden ordentlichen Verwaltungsräte. Nach der Gründung
der Deutschen Orchestervereinigung im Jahr 1952 verlor der Deutsche Musikerverband in der Gewerkschaft Kunst beim Deutschen Gewerkschaftsbund
zunehmend an Bedeutung und Mitgliedern. Drei Jahre nach ihrer Gründung
gehörten der Deutschen Orchestervereinigung bereits 62 % der gewerkschaftlich organisierten Musiker, dem Deutschen Musikerverband nur noch 38 % an, die Arbeitnehmerseite des
Verwaltungsrats war nun nach diesem Verhältnis zu besetzen. Seit 1. Januar 1967 werden deren Verwaltungsratsmitglieder ausschließlich von der Deutschen Orchestervereinigung gestellt. Zum selben Zeitpunkt wechselte das Recht zur Benennung der Verwaltungsratsmitglieder der Arbeitgeber auf den Deutschen Bühnenverein, als alleinigen Interessenverband der
Theater und Orchester in Deutschland.
Unabhängig von tariflichen Konflikten haben die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mit
Besonnenheit und Weitblick maßgeblich dazu beigetragen, die Bedingungen für eine bedarfsgerechte Versorgung der Musiker und die Zukunftssicherung der Anstalt zu schaffen. Dabei
wurden bewusst vom Recht der gesetzlichen Rentenversicherung abweichende Regelungen
gefunden, wie die 2,2-fache Beitragsbemessungsgrenze, der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsschutz ohne Wartezeit oder ein vorgezogenes Altersruhegeldes ohne Hinzuverdienstbeschränkungen. Die in der Regel langjährigen Mitgliedschaften im Verwaltungsrat und Arbeitsausschuss ergeben die richtige Mischung aus Sachverstand und Erfahrungen des Berufsstands
und der Versorgung. Besonders zu erwähnen sind hier die in den letzten Jahrzehnten tätigen
Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins und der Deutschen Orchestervereinigung, sozusagen die Fraktionsführer der jeweiligen Seite.
34
Die Geschäftsführer des
Deutschen Bühnenvereins:
Hermann Voss (1910 – 1980)
Mitglied im Verwaltungsrat 1957 – 1975
© Peter Peitsch /peitschphoto.com
Dr. Eugen Schöndienst (1910 – 1991),
Mitglied im Verwaltungsrat 1961 - 1975
Die Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung:
Dieter Angermann (1926 – 1997),
Mitglied im Verwaltungsrat 1977 – 1993
Prof. Dr. Rolf Dünnwald (geb. 1937)
Mitglied im Verwaltungsrat 1978 – 2001
Rolf Bolwin (geb. 1950),
Mitglied im Verwaltungsrat seit 1994
Gerald Mertens (geb. 1959)
Mitglied im Verwaltungsrat seit 2001
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Verwaltungsrat
Mitglieder
Stellvertreter
Benannt vom Deutschen Bühnenverein - DBV 1. Rolf Bolwin
Geschäftsführender Direktor
DBV, Köln
1. Ilka Schmalbauch
Rechtsanwältin
DBV, Köln
2. Michael Schröder
Stellvertreter des Geschäftsführenden Direktors
DBV, Köln
2. Dr. Harald Jäger
Ministerialrat
Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft,
Forschung und Kunst
München
1. Georg Vierthaler
Generaldirektor
Stiftung Oper in Berlin
Berlin
2. Dr. Matthias Almstedt
Kaufmännischer Direktor und Geschäftsführer
Saarländisches Staatstheater
Saarbrücken
3. Jürgen Hinz
Ministerialrat
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und
Kultur
Potsdam
1. Detlef Meierjohann
Geschäftsführender Direktor
Hamburgische Staatsoper
Hamburg
4. Albert Zetzsche
Ministeralrat
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und
Kunst
Wiesbaden
1. Wolfgang Sieber
Verwaltungsdirektor a.D.
Karlsruhe
5. Patrick Wasserbauer
Geschäftsführender Direktor
Bühnen der Stadt Köln
Köln
1. Robert Kuth
Rechtsanwalt
DBV - Landesverband Mitte
Köln
2. Wolfgang Rothe
Kaufmännischer Geschäftsführer
Sächsische Staatsoper
Dresden
2. Peter Lönnecke
Referatsleiter
Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft
und Kunst
Dresden
2. Stephan Popp
Geschäftsführender Intendant
Neue Philharmonie Westfalen
Recklinghausen
36
Mitglieder
Stellvertreter
Benannt vom Deutschen Bühnenverein - DBV 6. Dr. Jürgen Grabbe
Rechtsanwalt
Trier
1. Hans-Jochem Freiherr von Uslar-Gleichen
Kulturdezernent a.D.
Bonn
2. Dr. Emil Vesper
Gladbeck
7. Thomas Bockelmann
Intendant
Staatstheater Kassel
Kassel
1. Dr. Christoph Dittrich
Generalintendant
Städtische Bühnen
Chemnitz
2. Lucius A. Hemmer
Intendant
Nürnberger Symphoniker
Nürnberg
8. Anselm Rose
Intendant
Dresdner Philharmonie
Dresden
1. Gerhard Weber
Intendant
Theater Trier
Trier
2. Cathérine Miville
Intendantin
Stadttheater Gießen
Gießen
Benannt von der Deutschen Orchestervereinigung - DOV 9. Karl-Heinz Fedder
Orchestermusiker
München
1. Rolf Becker
Orchestermusiker
Berlin
2. Hartmut Karmeier
Orchestermusiker
Konz
10. Gottfried Heilmeier
Kammermusiker
Lappersdorf
1. Josef Offelder
Kammermusiker
Aachen
2. Rainer Döll
Orchestermusiker
Berlin
11. Erhard Augustat
Kammervirtuose
Berlin
1. Hans Georg Gey
Kammermusiker
Grafing
2. Steffen Schrank
Orchestermusiker
Bochum
37
Mitglieder
Stellvertreter
Benannt von der Deutschen Orchestervereinigung - DOV 12. Hans-Christoph Bernhard
Orchestermusiker
Stuttgart
1. Jean-Marc Vogt
Orchestermusiker
Kelkheim
2. Manfred Hoth
Orchestermusiker
Düsseldorf
13. Ulrich Giebelhausen
Orchestermusiker
Bamberg
1. Gottlob Schmücker
Kammermusiker
Augsburg
2. Werner Mayerle
Orchestermusiker
Pfinztal-Berghausen
14. Gerald Mertens
Rechtsanwalt
Geschäftsführer der DOV
Berlin
1. Andreas Masopust
Rechtsanwalt
DOV
Berlin
2. Michael Irion
Rechtsanwalt
DOV
Berlin
15. Klaus Hauser
Kammermusiker
Dessau
1. Edgar Schreyer
Orchestermusiker
Dresden
2. Willibert Steffens
Orchestermusiker
Altenberge
16. Wolfgang Piesk
Orchestermusiker
Sauerlach
1. Wolfram Wessel
Orchestermusiker
Magdeburg
2. Roxana-Maria Mereutza
Orchestermusikerin
Eisenach
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Arbeitsausschuss
Mitglieder
Stellvertreter
Deutscher Bühnenverein
1. Rolf Bolwin
Dr. Jürgen Grabbe
2. Robert Kuth
Patrick Wasserbauer
3. Dr. Harald Jäger
Albert Zetzsche
Deutsche Orchestervereinigung
4. Gerald Mertens
Andreas Masopust
5. Gottfried Heilmeier
Ulrich Giebelhausen
6. Klaus Hauser
Erhard Augustat
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Die Kapitalanlage: Interview mit Bereichsleiter
Kapitalanlagen André Heimrich
Wie steht die Bayerische Versorgungskammer mit ihren derzeit rund 55
Milliarden Kapitalanlagevolumen aktuell am Markt da?
So konservativ und auch durchaus bescheiden, wie die Kammer manchmal
wirken mag: Wir setzen in der Kapitalanlage auch immer wieder Trends am
Markt, sei es mit unserem Masterfonds-Konzept, mit dem Engagement in Alternative Anlagen oder auch mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir waren
der erste Altersversorger, der die UN-Richtlinien zur nachhaltigen Kapitalanlage unterzeichnete. Mittlerweile folgen immer neue Firmen und Institutionen nach, und je mehr es werden,
desto mehr können wir hier bewirken.
Stichwort Nachhaltigkeit – wie sieht es denn damit in der Kapitalanlage der Bayerischen
Versorgungskammer aus?
Wir sehen uns als ein Unternehmen der öffentlichen Hand und als eine der größten Kapitalsammelstellen in Europa hier in einer besonderen Verantwortung. Gerade die jüngste Finanzkrise zeigt, dass ein Missverhältnis von kurzfristigen Anreizen und langfristiger Entwicklung
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gravierende Auswirkungen haben kann. Als Treuhänderin der von ihr verwalteten Gelder ist
für die Bayerische Versorgungskammer jedoch eine langanhaltend stabile Kapitalanlage von
zentraler Bedeutung. Bereits im Jahre 2010 haben wir daher unsere Kapitalanlage insgesamt
zum Thema Nachhaltigkeit analysiert und ein Konzept entwickelt, wie wir in Zukunft investieren wollen. Es beruht auf den UN-Prinzipien für verantwortungsbewusstes Investment (UNPRI). Grundlage unseres Konzepts ist das aktive Nachhaltigkeits-Engagement, wir wollen uns
einmischen, anstatt einzelne Firmen oder Marktsegmente pauschal aus unserem Anlageuniversum auszuschließen. Wir sind davon überzeugt, dass nur durch einen konstruktiven Dialog
mit unseren Partnern, mit denen wir im Asset Management zusammenarbeiten, und den Unternehmen, in die wir investieren, ein positiver Einfluss in Richtung Nachhaltigkeit ausgeübt
werden kann.
Eine rentierliche oder eine sichere Kapitalanlage – geht beides?
Da wir die Märkte nicht vorhersehen können, gehen wir mit handwerklich sauberen, wissenschaftlichen Methoden vor und damit auf Nummer sicher – mit Ergebnissen etwas über dem
Durchschnitt. Wir nehmen sehr viele Analysen vor, bevor wir eine Anlage tätigen, und da arbeiten viele Personen aus den Bereichen Mathematik und Kapitalanlagen in einem längeren
Prozess zusammen. Zu glauben, man könne mit Ad-hoc-Entscheidungen und ohne dieses
gründliche Vorgehen eine dauerhafte – also stabile, sichere - Ertragsleistung deutlich über
dem Durchschnitt erzielen, das ist ein Trugschluss, das ist Spekulation und damit nicht unser
Geschäft.
Wie kommt man denn eigentlich zu einer robusten oder optimierten Anlage?
Indem man ein Anlageportfolio zusammenstellt und dann die verschiedensten Szenarien darüberlaufen lässt – das sind mathematische Programme, die unter diesen verschiedensten Kapitalmarktszenarien Ertrags- und
Verlustpotenziale aufzeigen. Man erhält dann eine Verteilungskurve, doch
es gibt da auch „Ausreißer“. Um diese seltenen, sehr unwahrscheinlichen
Fälle – wie z. B. zwei Finanzkrisen in den letzten elf Jahren – mit einzuberechnen, lassen wir auch sogenannte Krisen-Regimes in die Szenarien mit
einfließen und erhalten so Einblicke, wie man das Portfolio auch für solche
außergewöhnlichen Zeiten optimieren kann.
Gab es Unterschiede in den beiden Krisen? Was war 2008 anders als 2002?
Interessant sind diese beiden Krisen im Vergleich: Die Technologieblase 2002 war im Vergleich
zur jüngsten Finanzkrise eher klein. Da war beim Aktienmarkt weniger im Argen. Das Phänomen 2008 war ja gerade, dass in allen Marktsegmenten extreme Schwierigkeiten bestanden.
Und doch zeigt sich, dass die erste Krise stärker auf die Nettorendite unserer Anstalten durchschlug als die zweite von 2008.
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Woran liegt das?
Es liegt daran, dass wir beständig an einer breiten Diversifizierung der Kapitalanlage arbeiten
und dadurch immer robuster gegenüber solchen Ereignissen werden. Wir wissen aber auch,
was wir nicht können: Wir können den Markt mit seinen Entwicklungen nicht vorhersehen.
Diese Diversifizierung ist ein sehr großer Prozess, und der Vergleich der beiden Krisen zeigt
sehr deutlich, dass wir hier große Fortschritte gemacht haben und die Krise 2008 deutlich
besser durchstehen konnten, obwohl sie im Vergleich zu 2002 eine viel, viel größere Krise war.
Was ist eigentlich der Versorgungswerk-Masterfonds?
Wir haben ja in der Bayerischen Versorgungskammer die Aufgabe, dass wir für zwölf Versorgungseinrichtungen ganz unterschiedliche Vermögensverteilungen organisieren müssen.
Auf der Renten-Auszahlungsseite, also der Passivseite, entstehen Rahmenbedingungen, die
die Aktivseite bestimmen. Wenn Sie einen langen Ansparzeitraum vor sich haben, können Sie
durchaus etwas risikoorientiert investieren, da die lange Zeitspanne auch Schwankungen aushält, dafür aber möglicherweise mehr Chancen realisieren lässt. Bei einem kurzen Zeitraum
müssen Sie vor allem auf sicheren Kapitalerhalt schauen. Genauso müssen wir für jedes Versorgungswerk die spezifische Situation anschauen und die geeigneten Anlageformen, also die
geeignete Vermögensverteilung finden.
Die Aufteilung der Vermögenswerte auf verschiedene Anlageklassen ist pro Versorgungswerk
ganz individuell, aber das Management der gesamten Aktienanlagen oder Währungen beispielsweise kann man gebündelt effizienter machen als gesondert pro Anstalt. Hier zeigt sich
der starke Synergieeffekt der Bayerischen Versorgungskammer: Wenn ich viel Kapital zusammen anlege, bekomme ich sehr günstige Konditionen. Außerdem kommt
nur so genug Kapital zusammen, um ausreichend diversifizieren zu können.
Und dieses System ist genau unser Masterfonds-Konzept. Wir definieren also
für jede Versorgungseinrichtung eine individuelle Vermögensaufteilung, betreuen die Anlagen aber gemeinsam.
Welchen Nutzen hat der Versorgungswerk-Masterfonds noch?
Nun, das hat mit Bilanzierungsregeln zu tun. Wir müssen nach HGB bilanzieren. HGB bedeutet, dass in unserem Fall nur der gesamte Versorgungswerk-Masterfonds
bilanziert wird. Wenn Sie alle Klassen einzeln bilanzieren statt in einem Gesamttopf, dem Versorgungswerk-Masterfonds, haben Sie jedes Jahr eine sehr volatile Bilanz, und wir möchten ja
stattdessen eine möglichst ausgeglichene, stabile Bilanz. Damit bieten wir für jede einzelne
Einrichtung eine individuelle, maßgeschneiderte Kapitalanlage, und zugleich nutzt jede Anstalt die Synergien der Kammer. Die Bayerische Versorgungskammer hat dies schrittweise vorangetrieben, und wir sind da Vorreiter und finden immer mehr Nachahmer unter den anderen
institutionellen Investoren.
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Welche Herausforderungen der Kapitalmärkte
sehen Sie derzeit?
Zuallererst natürlich die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen, was unter dem Begriff „financial repression“ zusammengefasst wird. Wir bekommen bei
den Neuanlagen in vermeintlich sichere Wertpapiere derzeit nur einen deutlich niedrigeren Zins als den
Rechnungszins. Die Zinsabhängigkeit des Portfolios
haben wir durch Reduzierung des festverzinslichen
Bestands verringert, jedoch ist dieses Segment mit
circa 60 % Portfolioanteil immer noch von enormer
Bedeutung. Auch das Angebot an Anlagen, die für
uns attraktiv sind, ist gesunken. Und nicht zuletzt ist
der Markt immer noch stark politisch geprägt, einzelne Aussagen können hier die Märkte unmittelbar
und stark beeinflussen. Auch die regulatorischen
Anforderungen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und dies wird sich leider in den
nächsten Jahren fortsetzten. Daher müssen wir in
der Kapitalanlage deutlich mehr an Zeit, EDV-Systemen und auch Personal investieren, um
diesen Anforderungen gerecht zu werden. Mit dieser sehr schwierigen Gemengelage müssen
wir arbeiten und das Beste daraus machen.
Wie geht das – das Beste aus einer schwierigen Lage machen?
Unsere Aufgabe ist es, durch dieses schwierige Marktumfeld gut durchzukommen und dabei aber weiterhin Augenmaß für die Risiken zu behalten.
Einen großen Teil der Anlagen z. B. in Aktien zu investieren ist gefährlich,
weil das eine sehr volatile Anlageklasse ist. Wir müssen zum einen für einen
sehr langfristigen Zeitraum die Erträge sichern, zugleich zwingen uns Anlagevorschriften, unsere Verpflichtungen jederzeit mit ausreichend Liquidität zu belegen. Als Altersversorger der ersten Säule kommt eine aggressive
und risikoreiche Kapitalanlage ohnehin nicht in Frage, denn wir müssen die Basisabsicherung
für unsere Versicherten leisten. Wir arbeiten mit unserer starken Diversifizierung, die wirklich
robuste Anlageportfolios für unsere Versorgungsanstalten gewährleistet, und einer sehr guten Mannschaft beständig daran, das Beste aus den Beiträgen unserer Versicherten zu machen. Zugleich haben wir immer die individuelle Risikotragfähigkeit jeder Anstalt im Blick, so
dass für jede Anstalt das passende Gleichgewicht aus Risiko – was aber zugleich auch Chance
bedeutet - und Sicherheit umgesetzt wird.
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Die Kapitalanlage:
Das Versorgungswerk und seine Immobilien
Residenzstraße 18 in München
Seidlstraße 26 in München
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81475 München:Appenzeller Straße 94 - 122
Zuger Straße 9
80335 München:Karlsplatz 4
80333 München:
Residenzstraße 18
80807 München:
Silcherstraße 23 - 27
80538 München:
Steinsdorfstraße 19, 20
19a, 20a
(Neubau)
(Altbau)
80333 München:Theatinerstraße 35
81375 München:
Guardinistraße 106, 110 - 122
80335 München:
Seidlstraße 26
90461 Nürnberg:Wodanstraße 76, 78
Parsifalstraße 2
90429 Nürnberg:Blumenthalstraße 2, 4
Deutschherrenstraße 73 - 47, 47a
60329 Frankfurt:
Kaiserstraße 75 - 77
Stand: 31. Dezember 2012
Seidlstraße 26 in München Innenhof
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Die Versicherungsmathematik:Helmut Baader, Bereichsleiter Mathematik, im Interview
Herr Baader, welche Rolle spielt die Mathematik bei einem Altersversorger?
Die Arbeit der Mathematikerinnen und Mathematiker in der Bayerischen Versorgungskammer ist
das Kernstück einer über Jahrzehnte angelegten
Altersvorsorge: Mit einem mathematischen Modell – wir nennen es Finanzierungssystem – wird
der finanzielle Ablauf eines Rentensystems beschrieben. Es soll sicherstellen, dass zum einen
alle Ausgaben des Versorgungswerkes wie Versorgungsleistungen, aber auch die Verwaltungskosten, langfristig durch die Einnahmen gedeckt
sind, das sind Beiträge und Zinsen. Zum anderen
müssen wir darauf achten, dass das Verhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen eines Mitgliedes
im Vergleich zu dem aller anderen Mitglieder –
und das sind auch die zukünftigen – gerecht ist.
Was ist hierbei die schwierigste Aufgabe?
Jedes Rentenversicherungssystem steht ja vor der Herausforderung, dass zwischen den Beiträgen, die ein Versicherter einzahlt, und den Leistungen, die er erhält, eine Zeitspanne liegt.
Diese große Zeitspanne ist das Kernproblem. Mit mathematischen Modellen stellen wir sicher,
dass die zukünftigen Ausgaben durch Einnahmen gedeckt sind und die Mittel des Versorgungswerks gerecht verteilt werden – und zwar auf Jahrzehnte hinaus. Mathematische Modelle hängen dabei natürlich stark von den verwendeten Vorgaben, den sogenannten Rechnungsgrundlagen ab. Diese betreffen aber die weitgehend unbekannte
Zukunft. Unsere Berechnungen stehen daher immer auch unter dem Risiko, dass sich Rechnungsgrundlagen ändern können.
Was ist ein Finanzierungsystem?
Das Finanzierungssystem einer Versorgungseinrichtung beschreibt die
Zahlungsströme einer Versorgungseinrichtung in einem mathematischen
Modell. Es muss so gesteuert werden, dass die dauernde Erfüllbarkeit der
Leistungen sichergestellt ist.
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Und welches benutzt die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester?
Die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester arbeitet im individuellen Anwartschaftsdeckungsverfahren. Das heißt, die Leistungen an einen Versicherten oder Versorgungsempfänger werden aus den von ihm bzw. für ihn gezahlten Beiträgen und den daraus erwirtschafteten Zinsen in einem Sparprozess finanziert. Für die Leistungen an den Versicherten
wird ein individuelles Deckungskapital mit einem Rechnungszins gebildet, das zusammen mit
den angesammelten Überzinsen bzw. Überschüssen bei Erreichen der Altersgrenze bzw. bei
Berufsunfähigkeit oder im Todesfall in eine lebenslängliche Rente umgewandelt wird. Das individuelle Anwartschaftsdeckungsverfahren wird in Deutschland in der privaten Lebensversicherung, bei Pensionskassen und in der berufsständischen Versorgung angewandt.
Was sind die Vorteile dieses Finanzierungssystems?
Der Vorteil ist hier, dass die an den Versicherten zu zahlenden Leistungen aus seinen eigenen
Beiträgen ohne Rückgriff auf Beiträge zukünftiger Generationen finanziert werden, anders
als dies im Umlagesystem der Fall ist. In der gesetzlichen Rentenversicherung beispielsweise
werden die aktuell eingezahlten Beiträge gleich wieder – bis auf einen kleinen Puffer – an
die heutigen Rentner ausgezahlt. Das individuelle Anwartschaftsdeckungsverfahren ist also
weitgehend unabhängig von demografischen Entwicklungen. Jedem Versicherten kann seine
individuelle Deckungsrückstellung zugeordnet werden. Dadurch und durch den Verzicht auf
Transferleistungen zu und von anderen Generationen ist das individuelle Anwartschaftsdeckungsverfahren wirtschaftlich gesehen besonders gerecht: Die Höhe der Versicherungsleistung ist von der Höhe der Beitragszahlung abhängig.
Und die Nachteile?
Die Leistungsfähigkeit des Anwartschaftsdeckungsverfahrens hängt sehr
stark vom Zinsertrag auf den Kapitalstock ab. Die derzeit nun schon länger
andauernde Niedrigzinsphase macht deshalb allen Systemen mit Anwartschaftsdeckungsverfahren sehr zu schaffen. Außerdem können die Leistungen nur verzögert und eingeschränkt an inflationäre Entwicklungen
angepasst werden.
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Seit mehr als 80 Jahren gefragt: Die Mathematik
in der Bayerischen Versorgungskammer
Bereits im Jahr 1929 wurde in der Bayerischen Versicherungskammer die Abteilung Mathematik gegründet – ein Ergebnis der sich damals formierenden Bereiche, allen voran der Bayerischen Ärzteversorgung. Kaum war das Mathematische Büro, wie es zunächst hieß, gegründet
worden, waren bereits die ersten großen Probleme zu lösen: die wirtschaftliche Krise der Weimarer Republik mit der Deflation und der Rückgang der Zinserträge. Zudem mussten die Folgen des Ersten Weltkriegs bewältigt werden. Es war eine erhöhte Berufsunfähigkeit der Kriegsgeneration zu beobachten, was eine Anpassung der biometrischen Werte notwendig machte.
Dies führte damals zu einer Kürzung der Renten und Anwartschaften. Nach der Stagnation
durch den Zweiten Weltkrieg kamen vielfältige Aufgaben auf die Mathematik zu. Als erstes
erfolgte die versicherungsmathematische Rekonstruktion der Anstalten.
Inzwischen waren es vier, da 1938 noch die Orchesterversorgung gegründet wurde. Wegen der Währungsreform – Abwertung des Geldes von
zehn Reichsmark in eine Deutsche Mark – mussten für alle Anstalten so
genannte Umstellungsrechnungen durchgeführt werden. Dies zog sich bis
etwa 1970 hin. In den Bilanzen musste die Mathematik dann bis weit in
die 80er Jahre Ausgleichsforderungen an den Bund einstellen. Trotz dieses
Währungsschnitts konnten die Renten eins zu eins ausgezahlt werden –
für die Finanzierung hatten die Mathematiker ein Konzept entwickelt.
Ab etwa 1960 erfolgte eine Intensivierung der statistischen Grundlagenarbeiten und infolge des kräftigen Wachstums der Anstalten waren verstärkt mathematische Gutachten erforderlich. Ab 1969 zog die EDV in der Mathematik ein. Anfangs sollte der Bereich nur die Pro-
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grammvorgaben liefern, doch die hohen Anforderungen der Mathematik führten dazu, dass
die Mathematiker ihre Programme in eigener Regie schrieben und auch heute noch schreiben.
Zur Begegnung der inflationären Tendenzen Anfang der 70er Jahre wurden die statischen Finanzierungsverfahren durch dynamische Verfahren aus eigener Forschung und Entwicklung
abgelöst, was wiederum mit Hilfe der EDV leichter umgesetzt werden konnte. Zugleich wurde
auch die Anwartschafts- und Rentenanpassung eingeführt.
Auch in jüngerer Zeit waren (und sind) eine Menge Aufgaben zu lösen: Die längere Lebenserwartung (in der gesetzlichen Rentenversicherung „Nachhaltigkeitsfaktor“ genannt) musste durch die Bildung einer so genannten Rückstellung für Biometrie in die kapitalgedeckten
Systeme eingebaut werden. Der in den letzten Jahren beobachtete Rückgang der Zinserträge erforderte ebenfalls eine Reaktion in Form einer Senkung des Rechnungszinses. Weiterhin rechnen die Mathematiker auch so genannte Stresstests durch. Bei diesen Verfahren
werden Extremsituationen (z. B. der Aktiencrash im Jahre 2001/2002) durchgespielt, um ihre
Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit und Sicherheit des Versorgungswerks zu überprüfen. Auf den ersten Blick ist die Arbeit der Mathematik
anhand der versicherungstechnischen Rückstellungen für die Bilanz und
einen Teil der Statistik der Geschäftsberichte zu erkennen. Die Aufgaben
dieses Bereiches sind jedoch – wie der geschichtliche Ausflug zeigt – viel
umfangreicher. Und nicht nur die Versicherten der bayerischen Berufsstände, sondern auch die durch Staatsverträge angeschlossenen Berufsstände
anderer Bundesländer, profitieren von der Expertise der Mathematiker bei
der Bayerischen Versorgungskammer.
Vor allem die durch das Versorgungsgesetz eingerichtete Funktion des mit eigenen Rechten
und Pflichten ausgestatteten „Verantwortlichen Aktuars“ zeigt die Bedeutung der Mathematik bei der umsichtigen und nachhaltigen Steuerung der Versorgungseinrichtungen der Bayerischen Versorgungskammer. Der Bereich Mathematik ist also trotz seines Alters nach wie vor
dynamisch und fachlich gefragt – und aktiver denn je.
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Von der „allgemeinen Anstalt für die ganze
Monarchie“ zum „stillen Riesen“
Die Bayerische Versorgungskammer ist Deutschlands größte öffentlich-rechtliche Versorgungsgruppe und verwaltet drei verschiedene Gruppen von Altersversorgungseinrichtungen.
Zum einen die sogenannten berufsständischen Versorgungseinrichtungen der verkammerten
Freien Berufe, zum anderen die betrieblichen Versorgungseinrichtungen ausgewählter Berufszweige (wie die Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester) sowie die Versorgung der
kommunalen Bediensteten in Bayern.
Ihre Wurzeln reichen weit zurück bis ins Jahr 1811,
als die Brandversicherungs-Gesellschaften in Bayern auf Geheiß von König Max Joseph zu einer
„allgemeinen Anstalt für die ganze Monarchie“
zusammengefasst wurden. 1875 wurde sie als „besondere Behörde“ Brandversicherungskammer von
König Ludwig II. errichtet. Nach dem Ende der Monarchie in Bayern benannte man sie 1919 in Bayerische Versicherungskammer um. Drei Jahre zuvor,
im Jahr 1916, wurde die älteste heute noch existierende Versorgungseinrichtung unter dem Dach
der Bayerischen Versorgungskammer gegründet,
der Bayerische Versorgungsverband. 1923 folgte
mit der Bayerischen Ärzteversorgung die erste berufsständische Versorgungseinrichtung, 1925 die
Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen sowie
die Bayerische Apothekerversorgung und 1938 die
Jubilarin dieser Festschrift, die Versorgungsanstalt
der deutschen Kulturorchester. In den folgenden
Jahrzehnten kamen weitere Versorgungseinrichtungen dazu.
Seit 1995 gehen die privatwirtschaftlichen und die öffentlich-rechtlichen Zweige der ehemaligen Bayerischen Versicherungskammer getrennte Wege. Die „Kammertrennung“ im Zuge
der Privatisierung ließ aus dem privatwirtschaftlichen Teil des Geschäfts die
Versicherungskammer Bayern entstehen, aus dem öffentlich-rechtlichen
Teil entstand die Bayerische Versicherungskammer-Versorgung, kurz Bayerische Versorgungskammer.
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Eine bayerische Behörde – und noch viel mehr
Heute ist die Bayerische Versorgungskammer das Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum
für zwölf berufsständische, kommunale und kirchliche Versorgungseinrichtungen, deren Geschäfte sie führt. Der Rechtsform nach ist sie eine Oberbehörde im Ressort des Bayerischen
Staatsministeriums des Innern, jedoch ist sie in ihrer Geschäftsführungstätigkeit keinen staatlichen Weisungen unterworfen, denn die Versorgungsanstalten sind mit weit reichenden
Selbstverwaltungsrechten ausgestattet. Auch finanzieren sich die zwölf Versorgungsanstalten
und damit ihre gemeinsame Geschäftsführerin, die Versorgungskammer, ausschließlich aus
den Beiträgen der jeweiligen Versicherten, ohne jegliche staatliche Mittel.
Und obwohl die Bayerische Versorgungskammer bereits auf eine lange Tradition zurückblicken kann, wächst sie nach wie vor stark. Nicht nur die Summe des zu verwaltenden Kapitals
steigt weiterhin an, auch viele der jüngeren Versorgungseinrichtungen wachsen nach wie vor
– aus sich selbst heraus und durch Anschlüsse von einzelnen Berufsständen anderer Bundesländer durch Staatsverträge. Seit Juni 2013 ist die letzte bislang rein auf bayerisches Landesgebiet beschränkte berufsständische Versorgungseinrichtung über die Landesgrenzen hinausgewachsen, denn die Patentanwälte mit Kanzleisitz in Nordrhein-Westfalen haben sich per
Staatsvertrag der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung angeschlossen.
Heute bietet die Bayerische Versorgungskammer 1,9 Millionen Menschen eine nachhaltige
und sichere Altersversorgung. In Bayern ist jeder fünfte Haushalt der Versorgungskammer
wirtschaftlich verbunden – als Einzahler oder Leistungsempfänger. Und obwohl sie z. B. mit
rund 7.000 Mietwohnungen allein in der Landeshauptstadt München ein Prozent aller Mietwohnungen der Stadt besitzt, eine der großen institutionellen Investoren in Deutschland ist
und unter den größten zehn Pensionskassen in Europa rangiert, ist sie in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein „stiller Riese“. Denn außer in einem Segment der Zusatzversorgungskasse,
das im Wettbewerb mit anderen Versicherungsunternehmen steht, verzichtet die Bayerische
Versorgungskammer weitgehend auf Werbung und markante Außenauftritte. Die Beiträge
kommen so nach Abzug der Verwaltungskosten direkt wieder den Versicherten zugute – ohne
Mittelabflüsse für Provisionen, Marketing oder Dividendenzahlungen an Aktionäre.
Vorstand der Bayerischen Versorgungskammer: v. l. Reinhard Dehlinger, André Heimrich, Daniel Just, Gerhard Raukuttis, Reinhard Graf
Gesellschaftliche Verantwortung:
Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage
Als öffentlich-rechtlicher Investor sieht sich die Bayerische Versorgungskammer in einer besonderen Verantwortung und auch als Vorreiterin, was die Kapitalanlage angeht. Daher hat
sie auch die UN-Richtlinien für verantwortungsbewusstes Investment unterzeichnet. Sie verpflichtet sich damit, sogenannte ESG-Faktoren (Environmental, Social und Corporate Governance) in die Analyse- und Entscheidungsprozesse im Investmentbereich einzubeziehen. Das
findet durchaus Anerkennung in der Fachwelt; ihr Ansatz wurde mit dem IPE-Award in der
Kategorie „Best Use of ESG/Corporate Governance“ ausgezeichnet.
Bei all ihren Aktivitäten betrachtet die Bayerische Versorgungskammer den Nachhaltigkeitsaspekt nicht in erster Linie unter Rendite-Gesichtspunkten, weil man kurz- bis mittelfristig erst
einmal nicht davon ausgeht, dass nachhaltige Investments unbedingt einen Vorteil bieten.
Anders sieht die Bayerische Versorgungskammer das aber in Sachen Risikomanagement und
langfristige Entwicklung. Es geht auf lange Sicht nicht ohne verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln, weder bei den Investoren selbst noch bei den Emittenten, in die
sie investieren. Und hier sieht sich die Versorgungskammer in der Pflicht, ihrer treuhänderischen Aufgabe gerecht zu werden und in Anlagen zu investieren, die langfristig stabile Renditen bringen, ohne Risiken in den Bereichen Soziales, Ökologie oder Governance einzugehen.
Denn der Reputationsschaden von heute – aus Investorensicht vordergründig oft unerheblich
- ist möglicherweise der Kursrutsch von morgen.
Mit der Unterzeichnung der UNPRI als erster Altersversorger in Deutschland nimmt die Bayerische Versorgungskammer darüber hinaus auch eine Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit
ein. Sie will ein engagierter Investor sein, sich einmischen. Das ist ein langfristiger Prozess, aber
der richtige Weg für die Versorgungskammer und ihr gesellschaftliches Umfeld, um auf lange
Sicht eine stabile und im Wortsinne gute Wertschöpfung zu erreichen.
An investor initiative in partnership with
UNEP FI and the UN Global Compact
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2011
Aktive Versicherte
2012
Zuwachs
1.589.344
1.614.936
+ 1,6 %
319.062
327.080
+ 2,5 %
Beiträge p. a.in Mio. €
3.902
4.000
+ 2,5 %
Leistungen p. a. in Mio. €
2.563
2.654
+ 3,6 %
Kapitalanlagen in Mio. €
(Buchwerte)
51.678
55.404
+ 7,2 %
Immobiliendirektbestand
2.331
2.433
+ 4,4 %
Mitarbeiter-/innen
(mit Bezügen)
1.141
1.162
+ 1,8 %
Versorgungsempfänger
Die Bayerische Versorgungskammer in Zahlen:
•
•
•
•
•
•
100 Jahre Erfahrung
1,9 Millionen Versicherte
1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
12 Versorgungseinrichtungen unter einem
Dach
55 Milliarden Kapitalanlagevolumen
Jeder 5. Haushalt in Bayern bezieht heute
oder künftig Leistungen der Bayerischen Versorgungskammer
Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Unsere Aufgabe, 1,9 Millionen Menschen eine nachhaltige und sichere Altersversorgung zu
sichern ist gerade bei schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine große Herausforderung, für die man hervorragende Fachkräfte in den verschiedensten Gebieten braucht.
Eine innovative und zugleich risikobewusste Kapitalanlagestrategie, ein hochmodernes Risikocontrolling und die intensive versicherungsmathematische Begleitung der Anstalten sind
nur ein kleiner Ausschnitt der vielen Kompetenzen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Bayerischen Versorgungskammer ausmachen.
Damit das auch in Zukunft so bleibt, engagiert sich die Bayerische Versorgungskammer auf
verschiedenen Feldern: Eine mit dem audit familieundberuf zertifizierte familienfreundliche
Personalpolitik zählt ebenso dazu wie die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt, mit der wir
uns zu einem Arbeitsumfeld frei von Vorurteilen hinsichtlich Geschlecht, Nationalität,
ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität bekennen.
Für die unmittelbare Betreuung der Mitglieder, Versicherten und Versorgungsempfänger der Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester und der Versorgungsanstalt
der deutschen Bühnen sind folgende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig:
Zuständiger Vorstand: Gerhard Raukuttis
Bereichsleiter: Ulrich Böger
Abteilungsleiter (Betriebs- und Leistungsangelegenheiten VddB und VddKO): Peter Rammert
Referentin: Birgit Sanne
Mitgliedschaft und Bestandsführung VddB und VddKO:
Versicherungs-und Leistungsangelegenheiten VddB und
VddKO:
Sachgebietsleiter: Wolfgang Kirmayer
Stellvertreterin: Maria Luise Rösch
Sachgebietsleiter: Rudolf Melzer
Stellvertreterin: Jutta Lasner
Teamassistentin: Birgit Haller
Mitgliedschaftsangelegenheiten
Marcus Koch (Gruppenleiter)
Helga Meier
Versicherungs- und Ruhegeldangelegenheiten der VddB,
Betreuung der Gremien
Jutta Lasner (Gruppenleiterin)
Petra Loßbrand
Adelheid Rainer
Max Schulze
Stefanie Schulze
Bestandsführung
Maria Luise Rösch (Gruppenleiterin)
Inge Banu
Angelika Bauer
Manuela Berger
Jessica Fricke
Katalin Sedlbauer
Carmen Spitzer
Agnes Siwy
Versicherungs- und Ruhegeldangelegenheiten der VddKO,
Eheversorgungsausgleich
Gudrun Koneberg (Gruppenleiterin)
Miodrag Cvijanovic
Wolfgang Miesen
Daniela Yapi
Mitgliedschaft Kontenführung
Daniela Schmidt (Gruppenleiterin)
Sebastian Arendt
Jutta Bichl
Veronika Mayr
Volker Müller
Petra Sedlmeier
Rentenbestandsführung, Hinterbliebenenversorgung Krankenversicherung der Rentner
Michael Koneberg (Gruppenleiter)
Marlies Gibis
Sabine Pahler
Andrea Schell
Angelika Wodniok
Riester-Rente
Belinda Koch (Gruppenleiterin)
Stefanie Dziemballa
Klaudija Nedanovska
Yven Stessun
Nebenleistungen (Heilkostenzuschüsse, Beitragserstattung)
Roswitha Huber (Gruppenleiterin)
Ingrid Heigl
fachliche Betreuung der Software (NVS-Anwendungen)
Alexandra Bobbert (Gruppenleiterin)
Andreas Eichhofer
Vanessa Eiglmeier
Amelie Schmeuser
Beitragsbuchhaltung und Mahnwesen (freiwillige Beiträge)
Gerda Reimann (Gruppenleiterin)
Sabine Grabrucker
Außerdem sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sachgebiete Verwaltungsservice, Rechnungswesen (Hauptbuchhaltung, Jahresabschluss), DV-Unterstützung, Betriebsorganisation und Controlling sowie des Geschäftsbereiches Informationsverarbeitung für die VddKO tätig.
Bildnachweis
Titelbild:
Christian Thielemann, Staatskapelle Dresden (Juni 2012), © Matthias Creutziger
Bilderreihe am Seitenrand:
Stimmgruppen am Seitenrand des Staatsorchester Stuttgart, © Martin Sigmund
Fotos in chronologischer Reihenfolge, wenn kein Copyright am Bild vermerkt ist:
Seite 2 und 3: Stimmgruppen am Seitenrand des Staatsorchester Stuttgart, © Martin Sigmund,
Seite 5: Daniel Just © Wolfgang Maria Weber, Seite 6: Rolf Bolwin © Natalie Bothur - Deutscher Bühnenverein, Seite 7: Hartmut Karmeier und Gerald Mertens © Deutsche Orchestervereinigung,
Seite 8: Johannes Metzger © Wolfgang Maria Weber, Seite 9: Gerhard Raukuttis und Ulrich Böger
© Wolfgang Maria Weber, Peter Rammert © Isabelle Volk - Bayerische Versorgungskammer,
Seite 10 und 11: Sonderkonzert der Berliner Philharmoniker © Rudolf Kessler - Archiv Berliner Philharmoniker,
Seite 12: Dr. iur. Ottmar Kollmann © Fotograf unbekannt - Archiv Bayerische Versorgungskammer,
Seite 13: Rudolf Herrgen © Fotograf unbekannt - Archiv Bayerische Versorgungskammer, Seite 15: Währungsreform © Deutsche Bundesbank, Seite 17: Berliner Philharmoniker in den Trümmern © Rudolf Kessler - Archiv Berliner Philharmoniker, Seite 22: zerstörte Berliner Philharmonie 30.01.1944 © Adolf Hornoff - Archiv
Berliner Philharmoniker, zerstörte Berliner Philharmonie im Januar 1944 © Rudolf Kessler - Archiv Berliner
Philharmoniker, Seite 23: Semperoper um 1930 © Fotograf unbekannt - Archiv Semperoper Dresden, Semperoper um 1945 © Erwin Döring - Archiv Semperoper Dresden, Semperoper heute © Matthias Creutziger
- Archiv Semperoper Dresden, Seite 24: Mauer © Alexander Buschorn - wikimedia.org, Seite 25: The fall of
the berlinwall © Lear 21 - wikipedia.org, CD-Cover von ODE AN DIE FREIHEIT © Archiv Deutsche Grammophon, Seite 26: Staatsorchester Stuttgart © Martin Sigmund, Seite 28: Deutschlandkarte © Stepmap.de,
Seite 32 und 33: Staatskapelle Dresden © Matthias Creutziger, Seite 35: Dr. Eugen Schöndienst
© Fotograf unbekannt - Archiv Die Deutsche Bühne, Hermann Voss © Heinz Richter - Archiv Deutsche Orchestervereinigung, Prof. Dr. Rolf Dünnwald © Jens Gottlöber - Archiv Deutsche Orchestervereinigung,
Rolf Bolwin © Natalie Bothur - Deutscher Bühnenverein, Gerald Mertens © Deutsche Orchestervereinigung,
Seite 40 und 43: André Heimrich © Isabelle Volk - Bayerische Versorgungskammer, Seite 44: Residenzstraße
© Hermann Mill - Bayerische Versorgungskammer, Seidlstraße © Johann Hinrichs, Seite 45: Seidlstraße
© Johann Hinrichs, Seite 46: Helmut Baader © Archiv Bayerische Versorgungskammer, Seite 48 und 49: Schmuckbild © lily - photocase.de, Seite 50: König Ludwig II - wikimedia.org, Seite 51: Vorstand der Bayerischen Versorgungskammer © Wolfgang Maria Weber, Seite 52: Solarpark © Archiv Bayerische Versorgungskammer,
Seite 53: Baum © Archiv Bayerische Versorgungskammer, Seite 54 und 55: Mitarbeiter der Bayerische Versorgungskammer © Isabelle Volk - Bayerische Versorgungskammer
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