La Tour d´Hanoï, un casse-tête mathématique d´Édouard Lucas

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La Tour d´Hanoï, un casse-tête mathématique d´Édouard Lucas
Symposium
„La Tour d´Hanoï, un casse-tête mathématique d´Édouard Lucas (1842-1891)“
Wissenschaftler aus den USA und Kanada, aus Deutschland, Frankreich, Italien und
Slowenien trafen sich vom 5.-8. Februar 2009 in Paris um zu diskutieren, Kontakte zu
knüpfen und ihre Forschung voranzutreiben: Thema war der „Turm von Hanoi“. Das
scheinbar triviale Spiel besteht in der ursprünglichen Version aus drei Stangen und aus
Holzscheiben, die der Größe nach auf den Stangen verteilt werden sollen.
Anlass zu dem Treffen gab die weitgehend vergessene Tatsache, dass dieses Denkspiel
vor 125 Jahren von dem Pariser Mathematiker Édouard Lucas erfunden worden war.
Finanziell ermöglicht wurde das Symposium von der Deutsch-Französischen Hochschule,
dem Institutionellen Kooperationsprogramm Bayern-Québec/Kanada/International in der
Bayerischen Forschungsallianz und von der Münchener Universitätsgesellschaft.
Durch die Unterstützung der Société mathématique de France konnte die Tagung im
traditionsreichen Institut Henri Poincaré stattfinden, das sich seit 1928 der französischen
Forschung
in
Mathematik
und
theoretischer
Physik
widmet
(siehe
www.ihp.jussieu.fr/pratique/savoirplus.html).
Das Treffen ging von einer Initiative deutscher Forscher aus, die sich aus unterschiedlichen methodischen Richtungen (Mathematik, Historie, Neuropsychologie) dem
"Turm von Hanoi" widmen und als Ziel des Symposiums die Spezialisten aus den
verschiedenen Fächern erstmals zum Austausch anregen wollten.
Junge und erfahrene Wissenschaftler beleuchteten die Thematik in drei Richtungen:
ƒ die zum Teil noch ungelösten mathematischen Aspekte von Lucas' Lebenswerk in den
Bereichen Zahlen- und Graphentheorie, endliche Automaten, quadratfreie Folgen,
Kombinatorik und Primzahltests,
ƒ der Turm von Hanoi als Test- und Forschungsinstrument der Hirnforschung, das
Einblicke in die Grundlagen von Planen und Problemlösen erlaubt,
ƒ die bisher erst unvollständig bearbeitete Lebensgeschichte von Lucas und die
Gegebenheiten (Kolonialismus, deutsch-französische Rivalität) seiner Zeit.
Zum Auftakt der Veranstaltung begrüßte Seine Exzellenz Claude Martin, Ambassadeur de
France, die etwa 50 Teilnehmer bei einem kleinen Empfang im Institut Poincaré. Das
anschließende informelle Abendessen im Quartier Latin gab den Wissenschaftlern die
1
erste Möglichkeit zum Kennenlernen. Auch an den Folgetagen gab es viele
Gelegenheiten zum unkomplizierten Austausch, ob in den Tagungspausen in Restaurants
und Cafes oder in gemeinsamen Spaziergängen auf den Spuren von Édouard Lucas, wo
die Diskussion des Tages fortgesetzt oder einfach Paris gemeinsam erkundet wurde, am
Tour Eiffel, am Montmartre oder im Kneipenviertel um die Rue Mouffetard. Den sozialen
Höhepunkt der Tagung zu schildern, ist jetzt noch nicht der Ort.
Schwerpunkt des ersten Konferenztages waren die mathematischen Grundlagen des
Turms von Hanoi, Schwerpunkt des zweiten Tages die neuropsychologische Forschung:
Problemlösen bei "Hanoi" und den Nachfolgern "London" und "Toronto". Mathematik- und
Wissenschaftsgeschichte fanden dazwischen ihren Platz.
Im Eröffnungsvortrag führte Andreas Hinz (Ludwig-Maximilians-Universität München und
FernUniversität Hagen) die Zuhörer in die Welt der diskreten Mathematik ein, speziell der
Graphentheorie, mit deren Hilfe die keineswegs triviale Struktur der Turmspiele untersucht
werden kann. Er begann mit den sogenannten Chinesischen Ringen, deren kürzester
Lösungsweg dieselbe Zahlenfolge ("Gros-Folge") liefert wie der Lösungsweg des Turms
von Hanoi. Hinz erläuterte, wie dessen Zustände als Ecken eines iterativ aufgebauten
Graphen dargestellt werden können und sprach über die Einteilung der Turm-Aufgaben in
verschiedene Problemklassen. Er thematisierte auch die Verwendung eines endlichen
Automaten zur Auffindung eines kürzesten Lösungswegs und die Verallgemeinerung des
Spiels auf eine beliebige Anzahl von Stangen oder Scheiben.
Anne-Marie Décaillot (REHSEIS, Paris VII) gab den historischen Überblick über das
Leben und Wirken von Lucas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Lucas stammte
aus Amiens, studierte an der École Normale Superieure und erhielt nach Arbeit am
Pariser Observatorium eine Stellung als Mathematiklehrer am Lycée Saint-Louis und am
Lycée
Charlemagne.
Er
veröffentlichte
zahlreiche
Arbeiten
in
nationalen
und
internationalen Zeitschriften und wurde vor allem durch seine Beiträge zur Zahlentheorie
und seine mathematischen Denkspiele bekannt. Édouard Lucas starb an einer
Blutvergiftung, nachdem er bei einem Bankett der französischen mathematischen
Gesellschaft von einem zerbrochenen Teller im Gesicht getroffen worden war.
Die Wechselwirkungen zwischen dem damaligen französischen Hochschulsystem und
dem „modèle allemand“ im Sinne von Alexander von Humboldt wurden von Florence
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Gauzy (Bayerische Forschungsallianz) thematisiert.
Bruno Belhoste (Université Paris I Panthéon-Sorbonne) analysierte die französische
Forschungslandschaft zu Lucas’ Lebzeiten, insbesondere im Fach Mathematik. Die
damaligen Hochschulstrukturen und die herausragende Stellung der École Polytechnique
in der zeitgenössischen Mathematik erschwerten es Lucas, Fuß zu fassen. Das hielt ihn
jedoch nicht davon ab, sich intensiv seinen Themen zu widmen.
Einen Einblick in die rasante Entwicklung der Zahlentheorie zu Lucas' Lebzeiten vor dem
Hintergrund nationaler und internationaler Konkurrenz verschaffte Christian Houzel
(Université Paris VII). Er spannte den Bogen von dem Zeitgenossen Moritz Stern über passend zum Tagungsort - Henri Poincaré bis hin zum heute prominentesten offenen
Problem der Mathematik. Für die erfolgreiche Auflösung der sogenannten Riemannschen
Vermutung ist vom Clay Institute seit dem Jahr 2000 eine Million Dollar ausgelobt!
Don Zagier (Collège de France Paris und MPI für Mathematik Bonn) widmete sich
gleichfalls einem anspruchsvollen Gebiet, das heute - obgleich noch immer erst
unvollständig erforscht - vielerlei bedeutende Anwendung findet, den diophantischen
Gleichungen und ihrem Zusammenhang mit elliptischen Kurven. Rasant beschrieb er die
Resultate, die Lucas erzielt hatte, und verglich sie mit dem heutigen Stand des Wissens,
wobei er zu einem weiteren der sieben Millenniums-Probleme vordrang, der Vermutung
von Birch und Swinnerton-Dyer (siehe www.claymath.org/millennium).
Als "Freund der Primzahlen", wie einst schon Lucas, bekannte sich wörtlich Paulo
Ribenboim (Queen’s University Kingston) und wollte die Zuhörer zu eben solchen machen
– dies gelang ihm, da er diese Zahlen in ein wahrhaft liebevolles Licht tauchte. Er sprach
von Mersenne´schen Primzahlen (p = 2n-1), erklärte die Schwierigkeit, große Zahlen auf
Primzahleigenschaft zu testen, berichtete von Lucas' Primzahltest, der weiter entwickelt
bis heute eingesetzt wird, und gab die bisher größte bekannte Primzahl an, eine Zahl mit
fast 13 Millionen dezimalen Stellen.
Jean-Paul Allouche (Université de Paris Sud) stellte lebhaft, humorvoll und dreisprachig
dar, wie durch die zusätzliche Betrachtung der Bewegungsrichtung der Scheiben beim
Turm von Hanoi eine quadratfreie Folge über einem 6-buchstabigen Alphabet gewonnen
wird. Durch diese wiederum erhält man die Thue-Morse-Folge - die quadratfreie Folge
3
über dem kleinstmöglichen Alphabet, nämlich einem mit 3 Buchstaben. Pointe des
Vortrags war eine neue Turm-Variation - mit der Aufgabe, auf dem kürzesten Weg von
HAN0I// nach A//HINZ (mit der Null als Zero) zu gelangen.
Ausgehend von Sierpinski-Graphen (bis auf Isomorphie stimmen diese mit Drei-StangenHanoi-Graphen überein) klärte Sandi Klavžar von der Universität Ljubljana die Teilnehmer
nochmals präzise über einen Aspekt der mathematischen Struktur der Turmspiele auf. Er
stellte dar, auf welch unterschiedlichen Wegen man auf quadratfreie Folgen trifft. So erhält
man sie beispielsweise nach der "gierigen" Methode, aber auch aus der Zugfolge der
optimalen Lösung beim Turm von Hanoi. Das Abzählen der Ecken auf den waagerechten
Ebenen der Hanoi-Graphen ergibt die Prouhet-Thue-Morse-Folge, die wiederum zu
offenen Probleme bezüglich Färbungen dieser Graphen führt.
Die Diskussionen an den Posters der Nachwuchswissenschaftler waren Ausdruck des
lebhaften Austausches des Symposiums. Die „Psychologen“ (Bergmann, Faber, Gandini,
Groth, Kaller, Herbst, Schuhwerk, Sürer) stellten Patientenstudien vor, in denen sie die
Lösungsstrategien thematisierten, forschten aber auch nach den neuronalen Korrelaten
von Planen und Problemlösen. Die „Mathematiker“ (Aumann, Götz, Stierstorfer) widmeten
sich der Theorie der Turmaufgaben: mittels Formeln, Algorithmen und endlichen
Automaten wurde etwa dargestellt, ob und wie man 1-fehler-korrigierende Codes in
Turmgraphen generieren, die Aufgaben von Turmgraphen in Äquivalenzklassen einteilen
und die Bewegungen der größten Scheibe auf dem Turm von Hanoi untersuchen kann.
Arthur Spitzer (Ludwig-Maximilians-Universität München) demonstrierte das in der Gruppe
von Hinz entwickelte Computerprogramm für die Verhaltenstestung, das erlaubt die
Lösungswege der Probanden durch Visualisation einfach und schnell zu analysieren und
zu vergleichen. Einheitliche und vollständige Dokumentation der Leistung (Anzahl der
Schritte, Lösungszeit, Fehler), die Darstellung des Lösungswegs in mathematischen
Graphen sowie die Möglichkeit, die Wege mehrerer Probanden übereinanderzulegen,
ermöglichen neue Interpretationen.
Adrian Danek (Ludwig-Maximilians-Universität München) bot einen Überblick über die
Verwendung des Turms von Hanoi und seiner Varianten im neuropsychologischen
Kontext. Die fehlende Standardisierung erlaube keine einheitlichen Schlüsse: zu
heterogen sind die bisher verwendeten Aufgaben und Messinstrumente und zu
unterschiedlich die verwendeten Leistungsmaße. Zum Vergleich über verschiedene
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Studien hinweg bedürfe es einheitlicher Methoden wie beispielsweise der Computerbasierten Version von Hinz und Mitarbeitern.
Anne-Marie Ergis vom Institut de Psychologie, Paris V, beschrieb die Wechselwirkung von
Alterung z.B. des Gedächtnisses und der Leistung im Turm von Hanoi und gab Hinweise
auf die Verwendung dieser Aufgabe in der Erforschung des gesunden Alters bzw.
altersabhängiger Krankheitsprozesse.
Jean Saint-Cyr aus Toronto stellte Untersuchungen zu dem von ihm eingeführten
Isomorph des Turms mit farbigen Scheiben vor. Seine Befunde legen ein abstraktes
Lernen der Turmaufgaben nahe, relativ unabhängig von der speziellen Problemstellung.
Interferenz (zwischen Sortierung der Scheiben nach Farbe und zusätzlich verschiedener
Scheibengrößen) verhindere das Erlernen der korrekten Lösungswege nicht, ebenso
wenig den Transfer auf weitere Aufgaben. Dies spreche für die Annahme, dass zumindest
teilweise automatische Lernprozesse ablaufen.
Keith Berg (Psychology, University of Florida, Gainesville) hatte die Entwicklung von
Planungs- und Problemlösestrategien bei Fünf- und Sechsjährigen untersucht. Die
Annahme, dass sich in diesem Alter die exekutiven Funktionen durch Reifen des
präfrontalen Kortex verändern, bestätigte sich: mit Leistungsverbesserung innerhalb eines
Jahres und einem besonders starken Effekt bei schweren Aufgaben. Berg betonte die
Eignung des „Tower of London“ als Untersuchungsinstrument über praktisch die ganze
Lebensspanne, von früher Kindheit bis ins hohe Alter, und dankte ausdrücklich Tim
Shallice für seine Entwicklung des Verfahrens.
Shallice (International School for Advanced Studies, Trieste, und University College,
London) führte die Vorgeschichte seiner Erfindung in der künstlichen Intelligenz aus "Hacker" und die "Blocks World" - und betonte die Beteiligung des Frontalhirns an Planen
und Problemlösen. Mehrere Studien belegten die Beteiligung vor allem des linken
präfrontalen Kortex an der Lösung neuer Aufgaben. Die rechte Seite dagegen sei eher für
das Überwachen des Lösungsvorgangs, also das Erkennen von Fehlern, Verbessern und
Lernen, zuständig.
Bruno Dubois, Hôpital Pitié-Salpêtrière Paris, ging ebenfalls auf die Beteiligung des
frontalen Kortex bei der Lösung von Turmaufgaben ein. Die Hauptrolle des Kortex liegt
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nach seinem Modell darin, alte gelernte Verhaltensmuster zu unterdrücken um das
Erlernen neuer Strategien zu ermöglichen.
Josef Unterrainer vom Psychologischen Institut der Universität Freiburg beschrieb
interessante Verhaltensbefunde, insbesondere von Schachspielern. Diese gelten oft als
Problemlöse-Experten, zeigten bei den Turmaufgaben aber keinen entscheidenden
Vorsprung.
Im letzten Fachvortrag erläuterte Etienne Koechlin (École Normale Supérieure Paris)
seine Theorie der Exekutivfunktionen, insbesondere das Modell des Cognitive Branching,
nach dem verhaltensrelevante Entscheidungen in verschiedenen Hirnarealen getroffen
werden. Diese beziehen sich auf die konkrete Handlung und den handlungsrelevanten
Kontext, aber auch auf Ereignisse aus der Vergangenheit, die das Verhalten in der
Gegenwart beeinflussen.
Am Ende der Tagung, nach dem doch erschöpfenden zweiten Konferenztag, bezauberte
der Physiker Thomas Fraps. Nachdem er als Hommage an ein Geburtstagskind den
"Turm von Hinz" vorgestellt und den Turmaufgaben-ähnlichen Würfel von Rubik in
Sekundenschnelle gelöst hatte, ließ er Geldscheine verschwinden und im Gegensatz zur
aktuellen Weltlage auch wieder erscheinen. Er machte mit "modernster" Neuro-Technik
die Gedanken der Konferenzteilnehmer lesbar und sorgte durch professionelle
Zauberkunst für einen beschwingten Ausklang der anspruchsvollen Konferenz.
Das Symposium hat erfolgreich die Grundlagen für eine künftige Zusammenarbeit
zwischen den Teilnehmern gelegt. Diese beginnt damit, dass die Beiträge der Tagung
2009 als Buch "Edouard Lucas and his Tower of Hanoi: History, Mathematics, and
Cognition" bei Springer, Heidelberg, veröffentlicht werden.
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