Die Treue bis in den Tod und die Synagoge des Satans Predigt über

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Die Treue bis in den Tod und die Synagoge des Satans Predigt über
Die Treue bis in den Tod und die Synagoge des
Satans
Predigt über Offenbarung des Johannes 2,8-11
St. Jacobikirche Göttingen am 19.11.2006
Vor meinen Augen steht ein Bild, ein Kirchenfenster. Im Mittelpunkt: ein liegender Mann,
friedlich liegt er da, als ob er träumt. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich: Es ist ein Soldat,
graue Uniform, der braune Helm – oder ist’s eine Mütze? – ist ihm vom Kopf gefallen, das
Gewehr aus der Hand. Ein Gefallener.
Eine Lichtgestalt tritt auf ihn zu, umhüllt von Wolken und streckt ihm die Hände entgegen: der
einladend-grüßend-segnende Christus: „Friede sei mit Dir.“
Über dem Bild, ganz oben im Vierpass des Fensters eine Krone, dazu ein Göttinger Stadtwappen,
die Burg mit dem Löwen.
Und unter dem Bild: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Es
starben den Heldentod für ihr geliebtes Vaterland ...“ Dann folgt eine lange Liste von 167
Namen, Gefallene des 1. Weltkriegs 1914 bis 1918.
„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Kaisertreue,
Vaterlandstreue, Soldatentreue.
Dieses Kirchenfenster können Sie sich nachher anschauen, da hinten, im Seitenschiff neben der
Orgel.
„Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Offenbarung des
Johannes, Kapitel 2, ein Satz aus dem Predigttext für diesen Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr.
Kann man diese Worte überhaupt noch in den Mund nehmen? Jedenfalls tut es gut, sie heute in
anderem Zusammenhang zu hören.
Offenbarung des Johannes, Kapitel 2, einer jener sieben kurzen Mahn- und Trostbriefe, die für
die Bodenhaftung der Apokalypse sorgen. Christusbriefe, Johannes ist nur der Sekretär:
8 Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war
und ist lebendig geworden:
Gut, dass sich der Absender des Briefes vorstellt: „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war
und ist lebendig geworden“. Jesus Christus. Der Seher Johannes hat im ersten Kapitel schildert,
wie er diesen Absender der sieben Briefe als strahlende Lichtgestalt geschaut hat. Der Sieger, der
Erste, der den Tod überwunden hat, und der Letzte, der am Ende das letzte Wort hat.
Er spricht hier, er tröstet, er verheißt. Kein Kaiser Wilhelm, kein Führer, kein Konzern,
kein Mann zu einer Frau, kein Mensch zu einem anderen, niemand, wirklich niemand sage: „Sei
mir getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Denn auf diesem Satz
liegt ein Copyright, ein exklusives Urheberrecht: „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war
und ist lebendig geworden“.
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Den kennen wir, nicht nur als Lichtgestalt. Den kennen wir aus den Evangelien, als den Helfer
und Heiland. Den kennen wir aus der Geschichte seines Sterbens und Auferstehens: der
Gekreuzigte mit der Dornenkrone, „der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig
geworden.“
„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Weil ein anderer als er
solche Treue forderte, wurden im 2. Weltkrieg über 7 Mill. Deutsche, Soldaten und Zivilisten,
Männer, Frauen und Kinder wurden getötet. Weil ein anderer als er solche Treue forderte,
starben in diesem Krieg über 55 Mill. Menschen. 35 Mill. Menschen wurden kriegsbeschädigt. Die
seelischen Kriegsbeschädigungen wurden nie erfasst. Die kann keiner zählen, aber manche
spüren sie bis heute, bis hinein in die nächste Generation. All das begann damit, dass einer in
Deutschland unbedingte Treue forderte: „Sei mir getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone
des Lebens geben.“
Darum: gut, gerade heute am Volkstrauertag, sich den vor Augen zu stellen, der hier zu uns
redet: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: (ohne Pathos)
Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und ich kenne die Lästerung
von denen, die sagen, sie seien Juden und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans.
Soll ich ihn verschweigen, diesen unsäglichen Satz? Einfach überlesen? Nein! Denn was
verschwiegen wird, ist damit nicht aus der Welt. Soll ich durch Übersetzung glätten? Z.B.
übersetzen „die Gemeinde des Satans“? Das wäre sprachlich durchaus korrekt, aber mindert es
die Anstößigkeit? Allenfalls eine historische Einordnung kann die Rede von Juden als der
Synagoge des Satans die Schärfe nehmen.
Also, noch einmal (ohne Pathos): Ich kenne die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden
und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du
leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht
werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage.
Das ist geschrieben einer kleinen Gruppe von Christen um 95 n.Chr. in Smyrna, heute heißt’s
Izmir und liegt in der Türkei. Viele von ihnen waren jüdischer Herkunft, auch der Seher
Johannes. Diese kleine Gruppe, von außen betrachtet eine jüdische Splittergruppe, wurde
verstärkt vor die Bekenntnisfrage gestellt: Wer ist der Herr? Jesus Christus oder der Kaiser? Die
römische Staatspropaganda wurde lauter und lauter: Der Kaiser ist der Kyrios, der Herr. Die
Christen verweigerten diese Huldigung. Sie beharrten darauf: Jesus Christus ist der Kyrios. Sie
gerieten ins Visier der römischen Staatspolizei.
Und die Synagogengemeinde? Die sich selbst als Synagoge des Herrn, des Kyrios (4. Mose 16,3
LXX) betrachtete, die Mehrheitsgemeinde der Juden? Die grenzten sich von den Christen ab,
nicht nur wegen des Christusbekenntnisses. Sie wollten ihre relative Sicherheit nicht gefährden.
Denn der römische Staat hatte den Juden im ganzen römischen Reich freie Religionsausübung
zugebilligt. Sollten sie das aufs Spiel setzen? Für eine kleine häretische Minderheit am Rande?
Nein! Deshalb grenzten sich die Juden in Smyrna von den Christen ab. Ja, mehr noch:
Gelegentlich beteiligten sie sich lautstark an Volksverhetzungen gegen die christliche Minderheit
(Mart. Polyk. 17).
Deshalb diese Worte: Ich kenne die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden und sind's
nicht, sondern sind die Synagoge des Satans.
Das war Trost und Mahnung für eine kleine Minderheitengruppe am Rande des Judentums.
Nebenbei bemerkt: Die jüdische Gemeinschaft von Qumran konnte ebenso scharf die Juden in
Jerusalem als „Synagoge Belials“ und „Synagoge des Frevels“ bezeichnen (1 QH II,22 und 1 QM
XV,9).
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Fatal wurden die Worte von der „Synagoge des Satans“ erst, als die kleine christliche Gemeinde
nicht mehr in innerjüdischen Auseinandersetzungen und unter politischem Druck stand. Als der
christliche Glaube zur Mehrheits-, ja zeitweilig zur staatlich privilegierten Religion wurde – war
solche Rede fatal und unheilvoll.
Man kann solche Polemik gegen Juden in der Offenbarung des Johannes und auch anderswo im
Neuen Testament nachzuvollziehen versuchen. Nachsprechen darf man sie nicht.
Doch nun weiter im Christusbrief an die Gemeinde in Smyrna: Fürchte dich nicht vor dem, was
du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht
werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die
Krone des Lebens geben.
Wie anders klingt dieser Satz als auf dem Kirchenfenster in St. Jacobi! Um Christustreue geht es,
um Treue zum Lamm Gottes, geopfert, ein für alle mal, um dem Opfern ein Ende zu machen.
Christus-Treue, Treue zum Lamm Gottes, nicht zum Reichsadler, auch nicht zum Löwen im
Göttinger Stadtwappen. Christus-Treue, bewahrt in Bedrängnissen, den großen dieser Welt und
den kleinen im Alltag.
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre,
was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem
zweiten Tode. Dem Tod ohne jede Aussicht auf Leben, dem Tod ohne Hoffnung,
dem ewigen Tod. Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.
Mit einem Bild habe ich begonnen, mit einem Bild will ich schließen. Max Beckmann hat es
geschaffen, ein Bild aus seinem Zyklus zur Apokalypse des Johannes, gemalt 1941/42. Die
nationalsozialistische Kunstpolitik hatte den expressionistischen Maler systematisch ins Abseits
geschoben und als entarteten Künstler diffamiert. Er lebte im Exil in Amsterdam. Max
Beckmann, der zwar nie in einer verbindlichen Weise gläubig oder gar kirchlich war, hockte in
seiner kleinen Mansardenwohnung und las die Apokalypse und malte, z.B. dies, eine Miniatur zu
Kap. 2,10: Ein liegender Mann, nicht irgendeiner: Max Beckmann liegt wie tot am Boden. Wer
Portraits von ihm kennt, sieht es sofort: das ist der kantige Beckmann-Schädel, das Gesicht zum
Betrachter des Bildes gewendet, die Hände auf dem Bauch zusammengelegt, wie tot.
Rechts am Bildrand: eine zähnebleckende, grinsende Fratze. Sie zeigt mit dem Finger auf den
am Boden liegenden Beckmann. „Da, schaut ihn euch an, den großen Maler, am Boden zerstört!
“ Der verfemte Maler im Amsterdamer Exil, todmüde, zermürbt von den alltäglichen Kämpfen
ums Überleben in der Fremde. Aber direkt vor ihm liegt auf dem Boden - - - eine Krone:
„Sei getreu. Sei getreu - bis in den Tod. - So will ich sie dir geben - die Krone des Lebens.“
Pastor Harald Storz
Die historischen Abschnitte der Predigt verdankt viele Details einem Vortrag von Eduard Lohse, Synagoge des Satans und
Gemeinde Gottes : zum Verhältnis von Juden und Christen nach der Offenbarung des Johannes. Münster1992
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