Auf allen Kanälen - Forschungszentrum für Handelsmanagement

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Auf allen Kanälen - Forschungszentrum für Handelsmanagement
IMPULSE WISSEN Cross-Channel-Management
Auf allen Kanälen
W
Cross-ChannelManagement
bezeichnet den Vertrieb von Waren auf
mehreren parallelen
Wegen: Filiale, Katalog,
Onlineshop. Besonders
effektiv ist es, wenn die
einzelnen Kanäle integriert sind.
er in den Mannheimer Quadraten shoppen geht, kommt an Engelhorn nicht
vorbei. Das Traditionsunternehmen ist
dort mit einem Modehaus, einem Sporthaus sowie
eigenen Läden für Wäsche, Strümpfe und Accessoires eine Institution. Schon in Frankfurt oder
Stuttgart ist Engelhorn aber kein Begriff mehr. Gern
wären die Eigentümer dort präsent, „aber Filialen
in Großstädten lassen sich nur schwer etablieren,
wenn man regionaler Platzhirsch ist“, sagt Markus
Rech, Geschäftsführer von Engelhorn Sports.
Außerdem sind neue Filialen teuer. Engelhorn hatte 2007 sein Stammhaus für mehrere Millionen
Euro mit einem futuristischen Anbau versehen.
Kapital war knapp. Trotzdem wollten die Gesellschafter sich nicht mit dem Geschäft in der Mannheimer Innenstadt und den limitierten Wachstumsaussichten begnügen. So setzte Engelhorn vor
gut vier Jahren auf einen Onlineshop. „Der hatte
auch den Vorteil, dass er zum Start viel weniger
Investitionen gebunden hat als eine neue Filiale“,
sagt Markus Rech.
Heute macht das Unternehmen mehr als ein Viertel
seines Umsatzes über den Onlinekanal, der mit dem
Ladengeschäft eng verknüpft ist. Das Campingzelt
können Kunden im Laden online bestellen, Retouren aus dem Onlineshop nimmt auch das Sporthaus
an. Die Kombination ist erfolgreich: Das stationäre
Abstract
Im Vertrieb mehrgleisig zu fahren lohnt sich: Wenn Händler unterschiedliche
Vertriebswege nutzen und diese klug aufeinander abstimmen, können sie
ihren Umsatz um ein Viertel steigern. Das zeigt eine Untersuchung der Hochschule St. Gallen, in der erstmals systematisch die Vorteile des sogenannten
Cross-Channel-Managements untersucht wurden.
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Geschäft wächst mit 13 Prozent, Engelhorn.de mit
126 Prozent. In der Versandstelle rattern in Spitzenzeiten 4000 Pakete am Tag über die Rollenbahn
direkt in den Container des Paketdiensts.
Immer mehr Menschen wollen online, offline, per
Handy und vielleicht auch noch mit Katalog einkaufen. Nicht nacheinander, sondern gleichzeitig.
Neudeutsch heißt das Cross-Channel-Management.
Bisher haben sich nur wenige Einzelhändler in den
Cross-Channel-Handel gewagt. Viele schrecken
zurück vor dem neuen Geschäft und den Investitionen in IT und kanalübergreifende Logistik.
Dabei haben Forscher der Universität St. Gallen
herausgefunden, dass sich der Einstieg lohnt. Oliver
Emrich und Thomas Rudolph vom Forschungszentrum für Handelsmanagement liefern beeindruckende Zahlen: Onlineshops, die nebenherlaufen, können mit 130 Euro pro Jahr und Kunden
rechnen. Wer seine Kanäle hingegen optimal vernetzt, macht mit jedem Kunden im Durchschnitt
350 Euro Onlineumsatz.
Der Cross-Channel-Kunde, der flexibel zwischen
den Informations- und Vertriebsangeboten auf
unterschiedlichen Kanälen auswählen will, ist schon
lange keine Randgruppe mehr. „Rund 70 Prozent
aller Kunden lassen sich diesem Typus zuordnen“,
sagt Wissenschaftler Emrich. Die Wachstumsprognosen unterstreichen das. Für den reinen Onlinehandel sehen Experten von Accenture und GfK 2015
einen Umsatzanteil von zehn Prozent voraus. CrossChannel soll bei 17 Prozent liegen. Das geht auf
Kosten der Händler, die nur stationär vertreten sind.
Ihr Anteil am Gesamtumsatz geht laut Prognose von
83 auf 73 Prozent zurück.
Bei Engelhorn war man mit den Umsätzen im Sporthaus durchaus zufrieden. 10 000 Quadratmeter Verkaufsfläche, sieben Etagen, eines der größten in
Deutschland. Doch mit nur einem Standort waren
die Wachstumsaussichten begrenzt. Der Onlinehandel bot die Lösung.
Thorsten Wingenfelder für Impulse
Seit Jahren klagen Einzelhändler über die Konkurrenz der Onlineshops. Dabei
übersehen sie ihre Standortvorteile. Wissenschaftler haben einen Leitfaden entwickelt, wie Kunden auf verschiedenen Wegen erreicht werden können
VERNETZTE FILIALE Seit Engelhorn-Sports-Geschäftsführer Markus Rech (unten) mehrere integrierte Vertriebskanäle nutzt, ist der Onlineabsatz
explodiert. Und auch der Umsatz in der Mannheimer Filiale wächst. Jetzt will Rech das firmeneigene Logistikzentrum (ganz unten) weiter ausbauen
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SCHWACHSTELLE WARENBESTAND Engelhorn-Sports-Geschäftsführer Markus Rech
setzt gegen den Preiskrieg im Internet auf ein breites Sortiment und hohe Verfügbarkeit
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man ein gewisses Maß an Umsatzverschiebung
in Kauf nehmen“, sagt der Wissenschaftler. Die
Studie aus St. Gallen zeige deutlich, dass Händler
mit einem guten Cross-Channel-Konzept stärker
wachsen als die Konkurrenz und ihre Kunden bei
ihnen auch mehr Geld ausgeben. Das mache die
Umsatzverschiebung zwischen den Kanälen mehr
als wett.
Bei Engelhorn bringt der Onlinekanal sogar zusätzliche Kunden in den Laden. „Bei den Neukunden
konnten wir unser Einzugsgebiet ausweiten“, sagt
Geschäftsführer Rech. „Wir stellen fest, dass heute
mehr Kunden aus Karlsruhe oder Frankfurt zu uns
kommen.“ Stichproben ergaben auch, dass die
Stammkunden im Internet zusätzlich bestellten,
zum Beispiel Accessoires. Bergstiefel werden im
Laden, das Paar Socken online gekauft.
D
as Beispiel Engelhorn zeigt, dass auch
kleinere Einzelhändler im Cross-ChannelGeschäft erfolgreich wachsen können. Bisher haben sich vor allem die Filialisten an die Investitionen gewagt, zum Beispiel der Schuhhändler
Görtz. Das Hamburger Unternehmen steckte viel
Geld und Energie in ein integriertes Warenwirtschaftssystem. Das hat sich gelohnt. „Mehrkanalkunden kaufen doppelt so viel wie reine Online- oder
reine Ladenkäufer“, sagt Lutz Spannuth, E-Commerce-Leiter bei Görtz. In den Lagern der GörtzFilialen werden inzwischen mehr Datenpakete als
Schuhkartons verschoben. Einen Hinweis darauf
geben Touchscreens im Laden. Mit ihnen können
die Verkäufer alle Schuhe aus dem Sortiment aufrufen und Kunden nach Hause schicken. Eine
Applikation für das iPhone gibt es auch. Bald soll
die App zeigen können, wo das Wunschmodell in
der richtigen Farbe und Größe auf Lager ist.
Andere machen es ähnlich: Kunden von Sport
Scheck können Ware aus dem Kaufhaus per Versand
retournieren, Foot Locker schickt seinen Kunden
Gutscheine aufs Handy, die in der Filiale eingelöst
werden. Inzwischen sind sogar die ersten Onlinehändler wie der Elektronikversender Cyberport oder
die Onlineapotheke DocMorris im Cross-ChannelGeschäft: Sie haben stationäre Filialen aufgemacht.
Oliver Emrich sagt: „Die nächste Innovationswelle
im Internet wird zum großen Teil von Cross-ChannelUnternehmen mitgetragen, die geschickt mehrere
Welten miteinander verknüpfen.“
Thorsten Wingenfelder für Impulse
Zwar können Cross-Channel-Verkäufer in den Preissuchmaschinen nur verlieren, das war Engelhorn
klar. Doch die Mannheimer setzen der Konkurrenz
ein breites Sortiment entgegen und vor allem Verfügbarkeit. Am Anfang der Saison habe er gegen die
Preise der reinen Onliner oft keine Chance, berichtet Markus Rech. Aber wenn bei denen im Laufe der
Saison immer mehr Produkte den roten „Nicht
verfügbar“-Button haben, kann er noch liefern.
Sicher gibt es Kunden, die nun nicht mehr nach
Mannheim fahren, sondern online bestellen. Ihr
Umsatz verlagert sich. Für Emrich ist diese Kannibalisierung nichts Furchterregendes. „Wenn
der Onlineshop überproportional wächst, muss
IMPULSE WISSEN Cross-Channel-Management
Emrich hat in seiner Studie drei Phasen auf dem
Weg zum erfolgreichen Cross-Channel-Händler
identifiziert:
Erste Phase: Homogenisierung
In der ersten Phase geht es darum, online und offline einheitlich aufzutreten. Optik, Sortiment und
Service sollten Kunden aus dem Laden vertraut sein.
Das einheitliche Markenbild ist wichtig.
Zweite Phase: Interaktion
In der zweiten Phase werden die Kanäle durchlässig.
Das schöne Wort von der Kundenorientierung wird
mit Leben gefüllt. Sport Scheck stellte zum Beispiel
Onlineterminals in den Filialen auf, an denen der
Kunde den vergriffenen Laufschuh nach Hause bestellen kann. Die Integration der Kanäle sollte sich
danach richten, was für den Kunden hilfreich ist.
Sinnvoll sind Kundenkarten, die auch online und
mobil gültig sind. Auch eine kanalübergreifende Kundendatenbank hilft, schließlich muss der Mitarbeiter
im Callcenter sehen, was der Anrufer bisher gekauft
hat – egal ob im Laden oder per Mausklick.
Dritte Phase: Harmonisierung
In der dritten Phase sollen die Kanäle so flexibel wie
möglich werden. Görtz arbeitet an einem Tool, mit
dem Kunden die Vorräte in der Filiale checken und
dort Schuhe reservieren können. Hört sich einfach
an. Doch für die IT des Filialisten ist es eine Riesenaufgabe, die Informationen jederzeit über alle Kanäle parat zu haben. Wenn der Kunde mit dem Paket und seinen online bestellten Schuhen im Laden
steht und diese umtauschen will, gerät das Kassensystem an seine Grenzen.
Bei Engelhorn kennt man diese Probleme. Der Abgleich des Warenbestands ist schwierig, wenn es
mehrere Vertriebsplattformen gibt. Mit Pech wird
das letzte Paar Fußballschuhe im Engelhorn-Shop
bei Amazon verkauft und danach noch mal auf der
Firmenwebsite. Erst einige Tage später erhält der
Kunde die Meldung, dass der Artikel doch vergriffen ist. „Bestandsdifferenzen sind zurzeit noch eine
Schwachstelle“, gibt Markus Rech zu. Die große
Herausforderung seien aktuelle und transparente
Bestände über alle Kanäle hinweg.
Doch die dritte Phase bietet neben Herausforderungen auch die größten Chancen. Denn jetzt können
Unternehmer ihr Geschäftsmodell erweitern. Wissenschaftler Emrich nennt das Ausdifferenzierung
und meint damit, dass online Sortimente möglich
sind, die im Laden nie funktionieren würden. CrossChannel bedeutet nicht, dass alles überall gleich ist,
auch Ladenhüter können attraktiv sein – für viele
Einzelhändler ein neuer Gedanke. Engelhorn wird
so zum Beispiel Zelte los, Görtz Übergrößen, und
die Otto-Tochter Lascana verkauft im Netz nicht nur
Unterwäsche, sondern auch gewagte Dessous.
Görtz-Chef Christoph von Guionneau ist jedenfalls
von der Zukunft der integrierten Kanäle überzeugt.
Fasziniert erzählt er, dass er 19-Jährige kenne, deren
Daumen trainierter sind als die übrigen Finger. Diese
Handy-Junkies will er erreichen, zum Beispiel mit
gezielter Werbung, die mit GPS-Daten arbeitet. Er
möchte flexibel auf Trends reagieren können. Der
Onlineshop macht schnelle und genaue Absatzprognosen für die Filialen möglich. Twitter, Facebook
und Kundenkarte zeigen ihm früher als das Ladengeschäft, was die Käufer wollen. „Der Kunde, der in
Zukunft in unseren Laden kommt, hat schon längst
entschieden, was er will“, sagt von Guionneau.
Engelhorn hat sich auf Wachstum eingestellt. Die
neue Versandstelle, die heute bis zu 4000 Pakete
am Tag verschickt, ist ausgelegt für bis zu 15 000.
Auf 30 000 Pakete könne man aufstocken, sagt Gesellschafter Fabian Engelhorn. Und Geschäftsführer Rech ergänzt: „Wir sind seit 121 Jahren im Geschäft. Für uns ist das hier kein Sprint, wir wollen
noch lange am Markt bleiben.“ Julia Graven
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LITERATUR
Oliver Emrich, Thomas Rudolph: Cross-Channel Management 2011 in Deutschland und in der Schweiz. St. Galler Schriften zum Handelsmanagement,
Studie, 2011. Weitere Informationen unter www.impulse.de/impulsewissen
Oliver Emrich leitet das Kompetenzzentrum E-Commerce am
Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Universität
St. Gallen. Er forscht seit 2007 zum Cross-Channel-Management.
Prof. Dr. Thomas Rudolph leitet das Forschungszentrum für
Handelsmanagement und verantwortet den Lehrstuhl für Internationales Handelsmanagement an der Universität St. Gallen.
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