Das Schiff Esperanza Hörspiel von Fred v. Hoerschelmann

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Das Schiff Esperanza Hörspiel von Fred v. Hoerschelmann
Werner <[email protected]>
Eva Schindling, 3abg, 1997/98
Das Schiff Esperanza
Hörspiel von Fred v. Hoerschelmann
Biographie des Autors:
Fred von Hoerschelmann wurde am 16. November 1901 in Estland geboren und ist ein
Deutschbalte. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie an Universitäten in Dorbat und
München. 1927 begann er mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, welche in verschiedenen
Berliner Zeitungen erschienen. Ende der Zwanziger Jahre schrieb er auch sein erstes Hörspiel,
„Flucht vor der Freiheit“, das in Berlin gesendet wurde. Fred von Hoerschelmann schrieb
insgesamt 15 Hörspiele, wobei die berühmtesten „Die verschlossene Tür“ (1951) und „Das
Schiff Esperanza“ (1953) waren. Weiters verfaßte er noch eine große Anzahl von Hörspielen
fremder Stoffe. Auch schrieb er drei erfolgreiche Stücke für das Theater und mehrere
Erzählungen. Er starb am 2. Juni 1976 in Tübingen, wo er seit dem Zweiten Weltkrieg
wohnte. Fred von Hoerschelmann ist der unübertroffene Meister des Hörspiels und der
Erzählungen. Seine Arbeit wird durch eine eigentümliche Kargheit und Strenge
gekennzeichnet.
Kurzinhalt:
Das Hörspiel „Das Schiff Esperanza“ handelt von dem jungen Axel Grove, der als
Leichtmatrose auf dem Schiff Esperanza anheuert und dort zufällig seinen seit 13 Jahren
verschollenen Vater als Kapitän wiedertrifft. Bald entdeckt er, daß sein Vater gesetzwidrige
Geschäfte treibt, indem er illegale Passagiere nach Amerika befördert. Er beschließt sich
davonzumachen und geht ahnungslos mit den Illegalen von Bord, was jedoch seinen Tod
bedeutet, da die Passagiere wie immer mitten auf der See ausgesetzt werden.
Inhaltsangabe:
Axel Grove ist ein 23jähriger Seemann, der er eine Heuer auf einem Schiff sucht. Er
beschließt, als Leichtmatrose auf die Esperanza zu gehen, da diese noch am selben Abend
ausläuft. Die Esperanza ist ein altes, armseliges Schiff, das Stückgut nach Wilmington (USA)
liefert und deren Zielhafen in Panama liegt. Axel erfährt, daß der Kapitän des Schiffes auch
Grove heißt, und hofft, daß es dabei um seinen seit 13 Jahren verschollenen Vater handelt. Er
hat seinen Vater, der als Marineoffizier tätig war, seit dem Krieg nicht mehr gesehen. Auf
dem Schiff stellt sich heraus, daß es wirklich Axels Vater ist, der trunksüchtig und
diktatorisch als Kapitän auf der Esperanza regiert. Mitten in der Nacht hört Axel wie das
Schiff nochmals stoppt und eine Gruppe von Leuten auf das Schiff kommt. Er weiß nicht, daß
es sich dabei um sieben illegale Passagiere handelt, die sein Vater um viel Geld in die USA
bringt, oder bringe sollte, denn in Wirklichkeit werden solche Passagiere normalerweise
einfach mitten auf dem Meer ausgesetzt, mit der Lüge, daß Land befinde sich bloß noch zehn
Meter vor ihnen. Kapitän Grove schämt sich seiner gesetzwidrigen Geschäfte vor Axel und
will nicht, daß dieser davon erfährt. Er beschließt, daß sie diesmal die Auswanderer wirklich
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an der amerikanischen Küste absetzen würden, und daß nach dieser Fahrt Schluß ist mit den
illegalen Machenschaften. Axel erfährt von dem Steuermann, daß sein Vater einen Sommer
lang im Gefängnis saß, da er Geld aus der Schiffskasse gestohlen hatte. Dann entdeckt er
plötzlich die illegalen Passagiere im untersten Laderaum. Die sieben Leute, unter ihnen auch
Megerlin und die junge Edna, waren entweder auf der Flucht oder konnten aus verschiedenen
Gründen keine Einreisepapiere bekommen. Sie wollen alle ein neues Leben anfangen. Axel
erfährt, daß sein Vater da auch die Hände mit im Spiel hat. Er kümmert sich von jetzt an
heimlich ein bißchen um die Illegalen und verrät ihnen auch nichtsahnend den Namen des
Schiffes. Axel konfrontiert seinen Vater mit den illegalen Passagieren und erzählt ihm auch,
daß er ihnen den Namen der Esperanza gesagt hat. Sein Vater rastet aus und schimpft ihn
einen Idiot. Wenn einer der Passagiere nämlich auf der Küste aufgegriffen werden würde,
würde er sicher mit den Namen des Schiffes herausrücken, und die Polizei würde schon im
nächsten Hafen auf sie warten. Axel meint, er sei in gar nichts besser als die Illegalen, in
Anspielung auf den Gefängnisaufenthalt seines Vaters. Es kommt zu einem lauten Streit
zwischen den beiden, der damit endet, daß Axel den Entschluß faßt, am nächsten Hafen
auszumustern. Kapitän Grove ändert seine Meinung, und beschließt, die Illegalen wie
gewöhnlich in den Tod gehen zu lassen. In der mondlosen Nacht vor der Ankunft in
Wilmington holt ein Matrose die Auswanderer aufs Deck, zählt sieben Leute, fährt mit ihnen
ein Stückchen und läßt sie schließlich auf einer einsamen Sandbank zurück, die noch 20
Meilen von wirklichen Festland entfernt liegt und nur zwei Stunden später schon wieder vom
Meer überflutet sein wird. Doch aufgrund der schwarzen Nacht konnte das keiner der sieben
Personen erkennen. Werden des ganzen Vorganges hört der Kapitän Hammerschläge aus dem
Kettenraum, wo Axel eine Aufgabe zu erledigen hat. Etwa zwei Stunden danach findet ein
Matrose den völlig verstörten Megerlin im Laderaum, er war gerade dabei sich aufzuhängen.
Der Matrose, der die Leute auf der Sandbank ausgesetzt hat, schwört sieben gezählt zu haben.
Schließlich erfährt der Kapitän von Megerlin, daß jemand an seiner Stelle mitgegangen sei.
Mit schlimmen Befürchtungen hastet Kapitän Grove zum Kettenraum, um nach Axel zu
schauen, doch statt seines Sohnes trifft er dort nur einen alten Matrosen an, der für etwas
Tabak Axels Aufgabe übernommen hatte. Groves Sohn war also wirklich mit den Illegalen
von Bord gegangen. Sofort befiehlt Grove, das Schiff zu wenden und die Sandbank nochmals
anzusteuern. Er will seinen Sohn retten, obwohl es höchstwahrscheinlich schon zu spät sein
wird und er somit die Schuld an dessen Tod trägt.
Charakteristiken:
Axel Grove
Der junge Mann ist gewissermaßen ein Angsthase. Ihm fehlen Energie und ein starker Wille.
Seemann wurde er nur seines Vaters wegen, aber auch das wollte er nicht weiterführen. Diese
Fahrt sollte nämlich seine letzte Heuer sein, danach stellte er sich vor, ein kleines Geschäft zu
führen. Auch zeigte er nie wirklichen Ehrgeiz während seiner Zeit als Matrose. Er führte bloß
Befehle aus und hatte keinerlei Interesse am seemännischen Wissen. Sein Vater verachtet
seine Unwissenheit und hält ihn für einen Versager und Dummkopf. Sobald Axel auf unklare
und fragwürdige Zustände stößt, fragt er nicht viel, sondern will sich einfach nur
davonmachen. Er verschließt die Augen davor und geht keine Risiken ein. Axel versucht
nämlich nicht einmal seinen Vater von dessen kriminellen Tätigkeiten abzubringen. Sobald
ihm etwas gefällt oder er auf ein Problem trifft, wendet er sich davon ab, anstatt es ändern zu
wollen. Er flieht lieber vor der Welt, anstatt sich ihr zu stellen. Er wünscht sich manchmal,
gar nicht geboren zu sein.
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Kapitän Grove
Der Kapitän der Esperanza ist trunksüchtig und diktatorisch. Mittels der illegalen Passagiere
verschafft er sich einen ertragreichen Nebenverdienst. Er hat keinerlei Mitleid mit den zu Tod
geweihten und auch keine Schuldkomplexe. Für ihn sind es Leute ohne Gesicht, die er nicht
kennt, quasi Nullen, die auszulöschen ihm keinen Kummer bereitet. Die Passagiere sind für
ihn Gesindel und lauter Versager. Gewissermaßen betrachtet er deren Tot als eine
verdienstvolle Tat. Seine Lebensphilosophie ist, daß man auf der Welt hart sein muß, um
nicht gefressen zu werden, und daß man keineswegs wie ein Engel hindurchschweben kann.
Und in dieses Leben platzt dann sein Sohn hinein. Grove bemerkt, daß er heruntergekommen
ist, und daß von dem Glanz seiner mehr oder weniger glorreichen Marinezeit nicht mehr viel
mehr da ist. Er will vor seinem Sohn gut dastehen, verbessert auch sein Aussehen und
beschließt, das Schiff müsse mal erneuert werden und das Geschäft mit den Auswanderern
müsse aufhören.
Megerlin
Er ist ein schon älterer Herr, der als Kassierer gearbeitet hat und eines Tages Geld gestohlen
hat. Deshalb ist er auf der Flucht und ein Wirt hilft ihm zur Überfahrt. Doch anstatt froh
darüber zu sein, sich auf dem Weg in ein fremdes Land zu befinden, fürchtet Megerlin sich
und weiß nicht, wie er sich in dem fremden Land zurechtfinden soll. Er hat panische Angst
davor Entscheidungen zu treffen, da er es noch nie gewohnt war. Er weiß nicht, was er will
und wohin er will. Er verliert den Großteil seines Geldes beim Pokern, wie um einen Grund
zu haben, nicht in die USA mitzugehen. Er beschließt, nicht mit den anderen über Bord zu
gehen. Was er aber nicht weiß, ist, daß er sich somit vor dem Tode bewahrt hat. Vor dem
Tode bewahrt ist vielleicht nicht so passend, denn als man ihn fand, war er ja schließlich
gerade dabei, sich aufzuhängen. Doch, wie als würde er das Schicksal, dem er gerade
entgangen war, ahnen, hat er später an Deck das Gefühl, völlig frei zu sein, und all das
Geschehene hinter sich zu lassen. Er fühlt sich gewissermaßen neugeboren und spürt wieder
Lebenslust in sich. Er ist bereit ein neues Leben zu beginnen.
Interpretation:
Das Schiff Esperanza erzählt von einer Vater – Sohn Beziehung und parallel dazu von
illegalen Auswanderern. Diese zwei Handlungen verstricken sich dann so unglücklich, daß es
in einer Katastrophe endet. Hätte Axel den Passagieren nämlich nicht den Namen der
Esperanza verraten, hätte sein Vater auch nicht seinen Entschluß geändert, die Auswanderer
diesmal wirklich bis zu Küste zu bringen. Dann hätten die Illegalen mit etwas Glück ihre neue
Heimat betreten und Axel wäre wahrscheinlich am nächsten Hafen von Bord gegangen. Wäre
Megerlin nicht so verzweifelt und ängstlich gewesen, hätte er mit den anderen zusammen das
Schiff verlassen, und Axel hätte nicht an seiner Stelle mitgehen können. Dann wären alle
sieben umgekommen und Axel hätte wahrscheinlich geglaubt, sie würden sich jetzt sicher an
Land befinden. Hätte Axel die Flüchtlinge gar nicht entdeckt, wären wahrscheinlich alle am
Leben geblieben, was zweifellos die glücklichste Variante gewesen wäre. Wäre Axel nämlich
gar nicht an Bord der Esperanza gekommen, wären alle Illegalen wie immer ertrunken. Das
wäre keine wirklich große Katastrophe gewesen, da die Illegalen schon von Anfang an dem
Tode geweiht waren, so arg sich das auch anhören mag.
Am Ende hat man das Gefühl, daß sich für zwei der Hauptpersonen das Leben dramatisch
ändern wird. Einerseits ist da Megerlin, der sich schon am Ende des Stückes wie neugeboren
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fühlt. Er läßt alles Geschehene hinter sich und freut sich darauf, sein „neues“ Leben zu
beginnen. Man kann sagen, daß er der einzige ist, der aus dieser Geschichte irgendwie
„profitiert“ hat. Dann ist da noch der Kapitän, der am Ende begreift, daß er mit größter
Wahrscheinlichkeit Schuld am Tod seines Sohnes hat; daß Axel und die anderen ertrunken
sind, dürfte zu erraten sein, also wollen wir es auch annehmen. Obwohl Grove seinen Sohn
für einen Dummkopf hielt, dachte er sich wahrscheinlich, aus ihm würde sich schon noch was
machen lassen, wenn er lange genug auf dem Schiff bliebe. Aber dann verliert er ihn so kurz
nach ihrem Wiedertreffen. Kapitän Grove wird die Schuld sicher nur sich selbst zuschieben
und wird versuchen sein Leben zu ändern. Er wird alle kriminellen Machenschaften bleiben
lassen, oder es zumindest versuchen. So versuchte er doch auch nach Axels Ankunft auf dem
Schiff, sich von einem schäbigen, trunksüchtigen Halbkriminellen in einen
bewundernswerten, legal Erfolgreichen zu verwandeln, der an den Glanz seiner alten Zeiten
erinnert. Doch das mißglückte, also ist es auch fraglich, ob er solch eine Kehrwende nach dem
Tod seines Sohnes machen und durchhalten würde. Kurz vor Megerlins Entdeckung sprach er
von den Illegalen, nannte sie Nullen ohne Gesichter, Versager und unbrauchbares Gesindel.
Es war, als würde er seine Tat vor sich selbst verteidigen. Wenn er also seinen Charakter auch
nach diesem unglücklichen Todesfall nicht ändern kann, wird er sich gewiß damit
herausreden, daß Axel ja doch nur ein Dummkopf und Versager war, und daß er so sogar gut
zu diesem Haufen paßte, der im Meer ertrank. Also, ob sich Kapitän Groves Leben wirklich
dramatisch ändert nach dieser Katastrophe, ist nicht genau zu sagen. Man kann nur hoffen!
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