Gleichgeschlechtlicher Paartanz
Transcription
Gleichgeschlechtlicher Paartanz
Humboldt Universität zu Berlin - Institut für Europäische Ethnologie Wintersemester 2003/2004 Seminar: Einführung in die empirischen Methoden Dozentin: Dr. Beate Binder ___________________________________________________________________________ Gleichgeschlechtlicher Paartanz ___________________________________________________________________________ Eine Gruppenarbeit von: Melissa Kusterer Rickmer Roscher Siegfried Stauber Johanna Wittzell Sylvi Paulick Kristina Agathe Schneider Judith Willkomm Inhaltsverzeichnis PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com 1. Fragestellung der Feldforschung ………………………………………………. 2. Konzeption und der Einstieg ins Feld …………………………………………. 2.1. Pink Ballroom ………………………………………………………………... 2.2. Café Fatal …………………………………………………………………...... 2.3. Taktlos ………………………………………………………………………... 2.4. Walzerlinksgestrickt ………………………………………………………….. 2.5. Das weitere Vorgehen ………………………………………………………... 3. Methoden ………………………………………………………………………… 3.1. Die nicht-teilnehmende Beobachtung ………………………………………... 3.2. Die teilnehmende Beobachtung ……………………………………………… 3.3. Das Interview ………………………………………………………………… 3.3.1. Interview mit Albert und Bruno aus Taktlos …………………………….. 3.3.2. Interview mit Stefanie aus Pink Ballroom (A-Klasse) …………………… 3.3.3. Interview mit Mechthild und Sandra aus Pink Ballroom (Anfängerkurs) .. 4. Ergebnis der Forschung: Kernpunkte ………………………………………… 5. Reflexion der mit den Methoden gemachten Erfahrungen …………………... 6. Ausblick: Ideen zum Weiterforschen ………………………………………….. PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com 1 3 5 6 6 7 9 10 11 12 12 14 16 18 21 23 25 1. Fragestellung der Feldforschung Wenn eine lesbische Frau mit einer lesbischen Frau tanzt; wenn ein schwuler Mann mit einem schwulen Mann tanzt; wenn eine lesbische Frau mit einer heterosexuellen Frau tanzt; immer ist es tanzen. Immer war es das, worum es uns ging in unserer Studie „Gleichgeschlechtlicher Paartanz“. War es das wirklich? Eigentlich nicht. Zumindest nicht von Anfang an. Da entschieden sich die vier der ersten Stunde für den plakativen Titel: „Dirty Dancing - Die Homoszene und der Standardtanz“, Feldforschung zur homosexuellen Affinität zum Standardtanz als Untertitel. Es blieb jedoch weder bei einer Stunde noch bei vier Forschern. Und bei dem Titel blieb es schon gar nicht. Das Schlagwort Dirty Dancing konnte nicht mehr alle begeistern, der Titel selbst wurde - je tiefer man sich ins Feld wagte, je mehr Termine wahrgenommen wurden - unhaltbarer. Die Affinität, das Homosexuelle - die Möglichkeiten die sich auftaten und die Erfahrungen, die einem entgegenschlugen, waren größer als wir es dem Thema mit diesen Begriffen der Überschrift erlaubt hatten. Also auch weg mit den störenden Elementen der zweiten Überschrift: Homosexuelle Affinität zum gleichgeschlechtlichen Paartanz. Was übrig blieb, war der gleichgeschlechtliche Paartanz. War dabei unser Konzept auf der Strecke geblieben? Nach unserem Vortrag, ja, da hätten wir uns das durchaus fragen können - allerdings fragte uns das niemand! Also. Aber dachten wir zu Beginn noch, Schwule hätten einen Hang zum Tanzen, konnten wir das nach dem ersten kleinen Gespräch, ach, eigentlich schon viel früher, nämlich beim Besuch am Sonntag im Café Fatal über den Haufen werfen. Da hatten nicht nur Schwule und Lesben ’nen Hang zum Paartanz. Aber mit der Zeit ging es dann um das „andere“ Befinden dabei, um die „anderen“ Umstände. Oder vielleicht doch um genau dasselbe wie beim gemischtgeschlechtlichen Paartanz? Den Auftakt zu unserer Studie gab eine Kommilitonin, die sich dann doch zu einem anderen Thema mit anderen zusammenschloss. Das Café Fatal wurde der erste Anlaufpunkt, und die Seite von Siegessäule im Internet brachte noch viel, viel mehr zum Vorschein. Schlagartig war klar: Paartanzen ist richtig organisiert! Schlagartig stellten sich uns dann auch jede Menge Fragen: Was sind Standardtänze? Was lateinamerikanische? Wie geht das mit dem Auffordern vor sich, bei Frauen und Frauen und Männern und Männern? Tanzen Schwule mit Lesben? Ist so was, Paartanz!, in der schwulen Szene vertretbar? Wie alt sind Tanzkurs-Teilnehmer? Wie kann es sein, dass ein so spießiges Ritual PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com gerade in einer Szene Anhänger findet, die sich doch eigentlich gerade von so was entschlossen distanziert? Wie ist die Anerkennung im Turniertanzbereich von Lesben und Schwulen? Was läuft da zwischen den Tanzpartnern ab, wenn sie sich da so zum Rhythmus der Musik bewegen? Erotikfaktor? Wer folgt? Und schließlich: Wer führt? Wer führt!? Vielleicht stellten sich uns gar nicht „jede Menge Fragen“. Vielleicht stellte sich uns immer nur die eine. „Wer führt?“, stellten wir nach anfänglichen Aufwärmfragen beim Café Fatal im SO 36, bei Pink Ballroom, bei Taktlos, bei Walzerlinksgestrickt. Und auch hier wird klar, schlagartig wieder mal, dass wir unsere Vorstellungen überdenken mussten. Wie den Titel „Dirty Dancing“. Was für einige von uns übrigens immer noch unweigerlich mit gleichgeschlechtlichem Paartanz zu tun hat. Denn waren es nicht auch im Film Leute, die abseits des ach-so-üblichen tanzten? Und ist es nicht jeden Sonntag beim Café Fatal im SO 36 ein Standardhit im Programm eines jeden DJs? Und ein jeder - auch wir die teilweise am Rand standen, teilweise auf der Tanzfläche waren - dachte doch nicht an irgendwelche Tanzschritte. Hellseher musste man nicht sein, um zu wissen, ein jeder dachte an den Moment, in dem Johnny Baby an den Hüften hochhob und beide im Meer der Lichteffekte der Diskokugel versanken. Wenn eine Frau ihren Arm um die Hüften ihrer Frau legt, und diese ihren Arm auf deren Schulter legt und sich beide die Hände reichen; und wenn ein Mann seinen Arm um die Hüften seines Mannes legt und dieser seinen Arm auf dessen Schulter legt und sich beide die Hände reichen; und die Musik einsetzt; und beide sich in die Augen sehen; und beide den Takt aufnehmen. Dann ist es tanzen. Ist doch so. Und das war es, worum es uns ging. 2. Konzeption und der Einstieg ins Feld Das Café Fatal abends gegen 22 Uhr. Bei einem flüchtigen Blick vom Einlassbereich aus hinterließ es eher den Eindruck einer lauten überfüllten Sonntagabend-Schlagerparty-Veranstaltung. Eine Menschentraube versammelt um die Bühne - von Tänzern war nicht viel zu sehen - und um welche spezifische Klientel es sich dort wohl handeln würde, war aus der Entfernung wirklich nicht zu erkennen. Doch eines war klar: für eine Feldforschung über Gruppen, Szenen und Communities schienen sich an diesem Ort viel zu viele unterschiedliche Menschen zu tummeln. Außerdem war PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com der Lärm- und Spaßfaktor ziemlich offensichtlich, so dass die Vorstellung, mit Diktiergerät, Notizblock und Kamera in diesen Laden einzufallen etwas befremdlich, wenn nicht gerade entmutigend war. Also ein anderes Thema, oder nur ein anderer Ort? Die Verbindung von schwul-lesbischen Veranstaltungen über Standardtanz zu Tanzschulen war dank der übersichtlichen und informativen Homepage der Siegessäule schnell hergestellt und die erste Verblüffung („Homosexuelle Tanzschulen, so was gibt´s?“) führte dann auch prompt zur Themenwahl. Da die Tanzschulen so schön strukturiert aufgelistet waren und man die entsprechenden E-Mail-Adressen nur anzuklicken brauchte, lag die Lösung nahe, einfach eine Anfrage zu starten. Also wählten wir den offiziellen Einstieg ins Feld, noch bevor wir eine Fragestellung formuliert, Probleme diskutiert oder Forschungsziele festgesetzt hatten. Auf fünf Anfragen kamen drei Antworten zurück. Die ersten beiden Reaktionen tags darauf, sehr positive übrigens, die letzte einen Monat später - vom Ton eher zurückhaltend. Der Öffentlichkeitsbeauftragte des Tanzsportvereins Pink Ballroom, Karsten, schickte gleich konkrete Terminvorschläge für ein Treffen mit. Da der Kontakt zum Feld somit schon mehr oder weniger hergestellt war, verlief unser erstes Gruppentreffen, bei dem wir unsere Ideen und Konzepte entwickelten, auch gleich sehr gelassen, da wir wussten, alles, was wir nicht wussten, würden wir schon herausbekommen. Das Treffen mit Karsten im Bistro des TiB (Turn- und Sportverein in Berlin/Brandenburg) am Columbiadamm erwies sich als sehr informativ und ergiebig. Es gab uns einen Einblick in das Thema „Gleichgeschlechtlicher Paartanz“, den wir uns nicht besser hätten anlesen können. Außerdem war Karsten, der uns jede noch so von Unwissenheit und Naivität strotzende Frage bereitwillig und geduldig beantwortete, der perfekte erste Kontakt im Feld. Im Nachhinein hat sich sein Verhalten als „goldrichtig“ erwiesen, selbständig beim Adventskaffeetrinken von Pink Ballroom erscheinen, sich selbst vorstellen, selbst den ersten Schritt machen zu müssen - ohne von ihm „an die Hand genommen“ zu werden. Für uns war es wichtig, die anfängliche Hemmung zu überwinden, auf Menschen zuzugehen. Karsten versorgte uns mit Informationen und trug unter anderem durch einen Videonachmittag dazu bei, dass wir in der kurzen Zeit ein gutes Gespür für den gleichgeschlechtlichen Paartanz bekamen, was uns das Forschen im Feld enorm erleichterte. Beim zweiten Gruppentreffen - endlich in kompletter Runde mit acht Personen - konnte man sich schon über die ersten Eindrücke und Erfahrungen austauschen. Es stellte sich heraus, dass die Kenntnisse über Paartanz bei keinem von uns über den obligatorischen Tanzkurs mit 16 Jahren hinausgingen. Trotzdem hatte jeder ein genaues Bild vor Augen, das mehr oder weniger von PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Klischees und eigenen Erfahrungen geprägt war. Der Gleichgeschlechtliche Paartanz schien da etwas ganz anderes und vor allem neues zu sein. Die Frage, die wohl den meisten von uns auf den Nägeln brannte, war dabei natürlich: Wer führt und wer folgt? Der Kontakt zum Feld verlief auch weiterhin sehr zu unserem Vorteil. Mittlerweile hatten wir herausbekommen, dass das Café Fatal eine, mitunter auch von Tanzschul-Gängern bevorzugt frequentierte, Veranstaltung war, die in der Tradition der sonntäglichen Tanztees stand, die auch in konventionellen „Mann-tanzt-mit-Frau“-Tanzschulen abgehalten werden, allerdings in einer sehr viel formelleren Art und Weise. Im Laufe der Forschung haben wir neben dem Pink Ballroom mit zwei weiteren Tanzschulen Kontakt aufgenommen. Die Tanzschule Taktlos hatte sich ebenfalls auf Grund unserer Anfrage bereit erklärt, im Rahmen unserer Feldforschung für Fragen bereitzustehen. Der Kontakt zu Walzerlinksgestrickt ist zurückzuführen auf einen Flyer, den wir bei einem ersten Besuch im Café Fatal mitgenommen hatten. Da wir mit acht Personen doch eine relativ große Forschungsgruppe waren, bot es sich an, die Kontakte untereinander aufzuteilen. Eine anfängliche Überlegung war, einen Direktvergleich zwischen reinen Mann-Frau und gleichgeschlechtlichem Tanzkursen bzw. -schulen zu machen, da sehr viele Aussagen der Befragten auf einen deutlichen Unterschied verwiesen, und wir selbst uns in der Anfangsphase an Vergleichen orientierten. Doch diese Idee, einhergehend mit dem Gedanken die Gruppe zu teilen, wurde sehr schnell verworfen das Feld wäre zu weit. Daher beschränkten wir uns in Bezug auf die Unterschiede zwischen gleichund gemischtgeschlechtlichem Paartanz auf Befragungen von Freunden, Verwandten und Bekannten, die Erfahrungen in „Hetero-Tanzschulen“ gemacht hatten, und dem Schauen von Turnieren auf Eurosport, um die Aussagen der Leute empirisch zu verifizieren. Es wurden in Bezug auf die unterschiedlichen Einrichtungen keine expliziten Zuständigkeiten ausgehandelt, und wir gingen immer in unterschiedlichen Konstellationen ins Feld, was den großen Vorteil hatte, dass sich keine Fronten bildeten und die Eindrücke nie einseitig ausfielen. Die vier Einrichtungen, die wir im Laufe unserer Feldforschung regelmäßig besucht haben, möchten wir im Folgenden kurz beschreiben. 2.1. Pink Ballroom Pink Ballroom ist ein Tanzsportverein, dessen feste Tanzpaare auch an Turnieren teilnehmen. Der Verein ist an den TiB angegliedert, und der Veranstaltungsort befindet sich in dem Gebäude des Sportvereins am Columbiadamm. Es gibt drei Tanzsäle, die mit Parkett ausgelegt sind und bei PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com größeren Veranstaltungen, wie zum Beispiel Turnieren, durch das Wegschieben der Trennwände zu einem großen Raum umgewandelt werden. Der relativ großzügig angelegte und mit Teppich ausgelegte Vorraum ermöglicht es, sich vor den Tanzstunden aufzuwärmen, die Pausen zwischen den Tanzstunden zu überbrücken, oder auf Verabredungen zu warten. Die verglasten Türen ermöglichen einen Einblick in die Tanzsäle. Die Räumlichkeiten werden mit den gemischtgeschlechtlichen Tanzkursen und gegebenenfalls Aerobic-Kursen geteilt. Neben dem Eingangsbereich im Erdgeschoss gibt es ein Bistro. Viele der Tänzer kommen nach ihren Stunden hier zusammen, je später der Tanzkurs, desto größer die Wahrscheinlichkeit. Die Tanzlehrer sind in diese Runden integriert. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Vergleich zu den anderen Tanzorten, die wir erforscht haben, hier der Fokus auf den Sport und die Leistung gesetzt wird, was ein fröhliches und nettes Miteinander natürlich nicht ausschließen muss. 2.2. Café Fatal Was uns am Anfang zu unserem Thema führte, war das Café Fatal im SO 36 in Kreuzberg. Wir hatten davon gehört und gingen einfach an einem Sonntagabend hin. Es ist ein großer Saal, wo Leute tanzen, an der Bar sitzen, das Geschehen beobachten oder Smalltalk betreiben. Am Anfang des Abends gibt es eine Tanzstunde, an der jeder teilnehmen kann. Die Mehrheit der Gäste geht aber nicht ins Café Fatal, um tanzen zu lernen, sondern um Spaß zu haben. Im Verlauf des Abends geben die Leute den Paartanz mehr und mehr auf, um am Ende nach ihrem eigenen Rhythmusgefühl zu tanzen. PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Was Café Fatal so interessant macht, ist die bunte Mischung von Leuten. Hier treffen sich verschiedene Gesellschaftsgruppen, vom Punk bis zum Bankkaufmann, jung oder alt, hetero- oder homosexuell. Ganz egal. Was diese Leute verbindet, ist der Spaß am Tanzen. 2.3. Taktlos Die Tanzschule Taktlos in der Urbanstr. 21 gibt es seit 1983 und sie war die erste Tanzschule in Berlin, die alternativ zu herkömmlichen Tanzschulen und Verbänden Tanzkurse, Standard als auch Latein, im Freundeskreis anbot. Mit der offiziellen Gründung, als so genannte freie Tanzschule 1988, wurde der Nachfrage entsprechend auch ein Kurs „Mann tanzt“ von und für schwule Männer eingeführt. Diese Kurse bestanden bis ins Jahr 2003 und waren einmalig in Deutschland, da sie ausschließlich für schwule Männer waren, jedoch in eine primär Hetero-Tanzschule integriert waren. Im Sommer 2003 entschloss man sich aufgrund des mäßigen Andrangs und der veränderten Verhältnisse, „Mann tanzt“ auch für gemischte bzw. Frauenpaare zu öffnen. 2.4. Walzerlinksgestrickt Tritt man durch die Eingangstür des Backsteingebäudes Am Tempelhofer Berg 7 d, muss man unweigerlich nach rechts durch das schmale Fenster blicken. Und staunen. Der Ballsaal mit honigfarbenem Fischgrät-Parkett und abwechselnd dunkelrot und creme gestrichenen Wänden zieht die Blicke des Betrachters, zieht die Blicke jedes Neuen auf sich. Die lichte Höhe, die vielfach unterteilten Rundbogenfenster, die schlichten Säulen - all das sieht man vom Eingangsbereich durch das schmale Fenster. PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Hier gibt Walzerlinksgestrickt seine Kurse und Partys an sieben Tagen die Woche. Auf dem Trainingsplan stehen die Tänze Standard, Latein, Tango Argentino, Salsa und Swing; im Veranstaltungskalender der Tanzcocktail am Mittwoch, die Tangonacht freitags und der Tanztee am Sonntag. Die beiden Gründer, Ulrike Albrecht und Jojakim Balzer, wählten zusammen mit Designer Mark Rosinski ein Konzept, das diesen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht wird. Erst dann blickt man zur Bar vor einem. Verkleidet mit schwarz-weißen Op-Art-Tapeten und orange-warmer Hintergrundbeleuchtung geht sie über in eine Lounge. Vor grün karierten Wänden und unter der grün karierten Decke laden schlichte, von unten beleuchtete Sofas und Sessel zum Voyeurismus. Gegenüber sieht man durch bodentiefe Rundbogen in einen kleineren niedrigeren Kursraum. Elf Tanzlehrer kümmern sich um die angemeldeten Schüler. Und es geht immer um den Gesellschaftstanz, nicht zu verwechseln mit dem Turniertanz. Ralf, ein Tanzlehrer, berichtet in einem Gespräch von allein zehn Kursen, die er schon leite. „Es überwiegen die Frauen. Wir haben nicht so viele Männerpaare.“ Er unterstreicht auch, was wir schon in Interviews bei anderen Tanzschulen gehört hatten, dass Frauen immer mit ihrer Partnerin kommen, Männer hingegen bei von Walzerlinksgestrickt genannten Tanzbörsen ihre Tanzpartner erst kennen lernen. Tanzstunde ist dann einmal pro Woche, wobei jeder Kurs von unterschiedlich langer Dauer ist, zwischen sieben und elf Mal. Das Alter der Teilnehmer, denen es um den Spaßfaktor geht, reicht von Mitte 20 bis Mitte 40. Anfangsschwierigkeiten würden meist schnell überwunden werden, und man meldet sich für den Fortgeschrittenen-Kurs 1 an. Tangoklänge dringen aus dem Ballsaal und Menschen bewegen sich dazu. An der Bar drängen sich Kursteilnehmer aus der oberen Etage und gönnen sich eine kühle Erfrischung zu dezenten Charthits, während sie schon wieder auf die Schritte der noch Tanzenden nebenan gucken, andere PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com noch mit Atem holen beschäftigt sind. „Wer das Tanzen beherrscht, dem ist ein erfolgreicher Abend sicher. In allen Szenen des Nachtlebens“, steht in der Broschüre von Walzerlinksgestrickt zu lesen. Ein stilvoller Abend sicher hier, Am Tempelhofer Berg, wo am Erfolg für eben alle diese Szenen gefeilt wird. 2.5. Das weitere Vorgehen Neben der Forschungsarbeit im Feld hatten wir regelmäßige Gruppentreffen, in denen wir unsere Erfahrungen austauschten und über ein weiteres Vorgehen diskutierten. Hierbei sei angemerkt, dass sich eine Terminkoordination ironischerweise nur aus Streikgründen realisieren ließ, da sich dadurch die immer wieder angesetzte Dreiviertelstunde vor Seminarbegin am Donnerstagmorgen auf eine angemessene Zeit für jeglichen Diskussionsbedarf ausdehnte. Das war gerade in der Anfangsphase sehr wichtig. Der intensive Austausch hat letztendlich zu einem sehr vielseitigen Ergebnis geführt. So kam es zum Beispiel dazu, dass, wenn eine Aussage hinsichtlich eines Sachverhaltes getroffen wurde, es mindestens immer eine Gegenmeinung gab. Jeder hatte andere Erfahrungen gemacht und andere Antworten zu seinen Fragen bekommen. Was dadurch anfangs als ein Problem der Uneinigkeit und Schwammigkeit des Forschungsfeldes angesehen wurde, entpuppte sich später als großer Vorteil, da wir durch die vielseitigen Ansichten in der Gruppe gar nicht erst in Gefahr kamen, das Feld einseitig zu hinterleuchten, wilde Behauptungen aufzustellen oder Klischees zu produzieren. Vermutungen und Hypothesen wurden verworfen und konnten letztendlich als Tatsachen nebeneinander gestellt werden, ohne sich gleichzeitig auszuschließen. Nichtsdestotrotz bestand immer die Gefahr, dass die Ansichten und Probleme von Einzelnen in der Masse untergingen. Gerade in Fragen um die Präsentation der Studie kostete es viel Kraft und Nerven, gruppendynamische Prozesse laufen zu lassen und Kompromisse oder gemeinsame Nenner zu finden. Ein anderer sehr auffälliger Aspekt der Forschungsarbeit war das Aneignen, Benutzen aber oft auch Erfinden von Begrifflichkeiten. Da allerdings in dieser kurzen Zeit ein Eintauchen in die Tiefen des Gleichgeschlechtlichen Paartanzes in der Praxis leider durch unsere mangelnde tänzerische Ausbildung nicht möglich war, konzentrierten wir uns auf die Interviews. Auch hier zeigten sich keine Probleme, egal ob im lockeren Gespräch oder im formellen Interview mit Treffpunkt, es fand sich immer eine PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com gleichberechtigte Gesprächsebene - eine durch gesellschaftliche Distanz oder „soziale Effekte“ kaum gestörte, also nach Bourdieu „gewaltfreie Kommunikation“. Die Leute waren offen gegenüber unseren Fragen, und unser Forschungsthema fand immer positive Resonanz. In den Institutionen waren wir inzwischen schon und nach den Weihnachtsferien auch noch bekannt und fanden immer mehr bereitwillige Interviewpartner, so dass wir die Möglichkeit hatten, jeden Tänzer-Typ, der sich uns während der Forschung aufzeigte, dann tatsächlich einmal direkt zu befragen. Der Freizeittänzer, der mit seinem Lebenspartner tanzt; der Sporttänzer, der nicht mit dem Lebenspartner tanzt; Paare, wo beide tanzen, aber nicht Turnier zusammen; Tänzer, die gleichgeschlechtlich angefangen haben, vorher aber schon gemischtgeschlechtlich getanzt hatten; welche, die beides tanzen. In der Endphase konzentrierten wir uns dann wirklich auf die Erhebung von Daten, das Transkribieren und Auswerten von Interviews, das Sichten des umfangreichen Videomaterials, das uns Karsten zur Verfügung gestellt hatte und die wenige Literatur zu dem Thema. Abschließend bleibt eigentlich nur noch zu sagen, dass sich die teilnehmende Beobachtung auf die kurzen Einführungs-Tanzkurse im Café Fatal beschränkte. Da Tanzen aber nur Spaß macht, wenn man die Tanzschritte auch wirklich beherrscht - und wir wurden des Öfteren schief angeguckt, wenn wir eher ungeschickt und unvorsichtig durch die Masse stolperten - machte das Dasitzen und Zugucken nicht immer nur Spaß. 3. Methoden Während der Forschungsphase beschränkten wir uns auf folgende drei Methoden: die nichtteilnehmende und die teilnehmende Beobachtung sowie die Interviewführung. Letztere erwies sich im Laufe der Forschung als die ergiebigste, so dass diese schließlich unseren Schwerpunkt bildete. Zum großen Teil waren dafür die äußeren Umstände verantwortlich, der Zeitmangel etwa, der regelmäßige, beständige teilnehmende Beobachtung nicht zuließ, als auch die unterschiedliche Verfügbarkeit der einzelnen Gruppenmitglieder. Nichtsdestotrotz widmeten wir uns mit nicht weniger Konzentration ebenso den beiden erstgenannten Methoden. 3.1. Die nicht-teilnehmende Beobachtung PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Diese passive Tätigkeit übten wir unter anderem vor dem Fernseher aus, indem wir uns Videoaufzeichnungen von Tanzwettbewerben, darunter auch internationale Veranstaltungen wie den „Gay Games“ im Beisein des Öffentlichkeitsbeauftragten des Pink Ballroom ansahen. Auf diese Weise wurde es uns ermöglicht, einen ersten Eindruck von gleichgeschlechtlichem Paartanz zu gewinnen und gleichzeitig mit ergänzenden Informationen eines „Experten“ versorgt zu werden. Zum einen halfen jene Anmerkungen, den Blick für Details zu schärfen, als auch Unverständlichkeiten zu erklären und zu neuen Fragen anzuregen, andererseits wurde uns dadurch möglicherweise ein weniger beeinflusster und vorselektierter Zugang zum Material verwehrt. Das Angebot, jene Videos für die Forschung zu nutzen, welches bereitwillig aus Eigeninitiative erfolgte, wollten wir jedoch nicht ablehnen. Weiterhin bot sich für eine Feldforschung über gleichgeschlechtlichen Paartanz die reine Beobachtung direkt in den Tanzstunden an, welche hauptsächlich während des Tanzunterrichts im Pink Ballroom stattfand. Vom Rand der Tanzfläche aus ließ sich das Geschehen gut beobachten, man hatte eine gute Sicht, sowohl auf die Tänzer, als auch auf die Tanzlehrerin. Die aus den Videos stammenden Eindrücke ließen sich nun am unmittelbaren Subjekt untersuchen, überprüfen und vergleichen. Zu beobachten waren die Räumlichkeiten, die Stimmung im Saal, die Anzahl der Frauen und Männer, die Haltung der Tänzer, Bewegungen und Führungswechsel. Diese Eindrücke zum professionell betriebenen Tanzsport ließen sich wiederum mit dem „Vergnügungstanzen“ im Café Fatal vergleichen. Die Tanzmotivation dort war erwartungsgemäß eine andere, der Spaßfaktor stand offenkundig im Vordergrund, das Tanzpublikum war ein Altersübergreifendes, auch Mitglieder des Pink Ballroom waren dort anzutreffen. Die nichtteilnehmende Beobachtung erfolgte auch hier meist vom Rand der Tanzfläche aus und hatte neben anderen Auffälligkeiten dieselben Aspekte wie bei den reinen Beobachtungen im Fokus. Die nicht-teilnehmende Beobachtung an verschiedenen Orten erschien uns wichtig, um einen zu eingegrenzten Blickwinkel zu vermeiden und Vergleichsmöglichkeiten zu haben. Ziel war es unter anderem, die Variationen des gleichgeschlechtlichen Paartanzes zu untersuchen, den professionellen sowie den aus Spaß betriebenen, wobei der professionelle das Vergnügen natürlich nicht unbedingt ausschließt. 3.2. Die teilnehmende Beobachtung Teilnehmende Beobachtung bezüglich unserer Feldforschung bedeutete in erster Linie mittanzen, PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com und zwar gleichgeschlechtlich. Da sich in den diversen Tanzstunden nicht wirklich die Möglichkeit bot, aktiv zu werden, vollzog sich unsere tanzende Teilnahme ausschließlich im SO 36 und war meist Folge bzw. Übergang der nicht-teilnehmenden Beobachtung. Den zu Beginn angebotenen Tanzkurs nutzten wir, um die Grundschritte zu erlernen und diese sogleich mit dem (gleichgeschlechtlichen) Partner auszuprobieren. Dabei wechselten wir zwischen der führenden und der folgenden Rolle. Das reale Erfahren des gleichgeschlechtlichen Paartanzes, insbesondere auch der Wechsel des Tanzpartners, hinterließ bei jedem von uns unterschiedliche Eindrücke und Gefühle. Unsere aktive Beteiligung umfasste höchstens zwei Tanzabende. Die regelmäßige Teilnahme an einem Tanzkurs über einen längeren Zeitraum hinaus hätte sicherlich ein noch besseres Verständnis oder intensiveres Erfahren ermöglicht. Abgesehen vom Tanzen kam es bei anderen Gelegenheiten, wie zum Beispiel bei einem Adventskaffeetrinken, zur Möglichkeit einer teilnehmenden Beobachtung. Bei dem traditionell von einer Tanzlehrerin des Pink Ballroom organisierten Kaffeetrinken im Eigenheim ergab sich die Beteiligung durch Kuchenessen, Kaffeetrinken und Plaudern mit den Tänzern. Dadurch, dass man sich einem privaten Wohnzimmer befand, herrschte eine sehr intime, für den ein oder anderen von uns etwas unangenehme, da beklemmende Atmosphäre: wir als Fremde in einem Kreis von Tänzern, die sich untereinander kannten. Die Situation eignete sich später gut für Interviews, auf welche nun bezüglich unserer Feldforschung eingegangen werden soll. 3.3. Das Interview Wie schon zu Anfang erwähnt, dienten uns Interviews mit der Zeit als hauptsächliche Informationsquellen, da keiner von uns die Zeit hatte, ständig nicht-teilnehmende oder teilnehmende Beobachtung zu vollziehen. Die Interviews zum Ende der Forschungsphase wurden häufiger terminlich vereinbart, so dass eine flexible Wahrnehmung dieser Treffen stattfinden konnte. Die große Zahl an durchgeführten Interviews, die teilweise transkribiert wurden und auf die wir am Ende zurückgreifen konnten, waren dem Vorteil unserer großen Forschungsgruppe mit acht Mitgliedern zu verdanken. Interviews wurden von uns unter verschiedensten Bedingungen und in unterschiedlichsten Konstellationen durchgeführt. So wurden schwule und lesbische TanzpartnerInnen, die auch privat liiert sind, interviewt, sowie Homosexuelle, die nicht mit ihren LebenspartnerInnen tanzen. Bei den wenigen heterosexuellen Tänzern konnten wir nur Frauen interviewen, da Männer nicht anzutreffen waren. Der Einstieg ins Feld erfolgte durch ein Interview mit dem Öffentlichkeitsbeauftragten des Pink PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Ballroom im Bistro des Sportzentrums. Dieses Interview kam einem kleinen Experiment gleich, es war spontan und unvorbereitet, entwickelte sich jedoch sehr gut. Es gab selten unangenehme Pausen, Fragen ergaben sich aus dem Erzählten. Das Gesagte wurde stichwortartig protokolliert und zurück blieb ein positives Gefühl, auf etwas Interessantes gestoßen zu sein und viel erfahren zu haben. Andere Interviews stellten den Versuch dar, einen im Verlauf des Interviews entwickelten Fragenkatalog anzuwenden. Das Adventskaffeetrinken etwa, welches zahlreiche potentielle Interviewpartner als auch die Möglichkeit zu Gruppeninterviews bot, erforderte einige Konzentration. Die Interviewpartner erwarteten zum Teil konkrete, interessante Fragen, die jeweils unverzüglich nach deren Pausen gestellt werden sollten. Um deren und unserem eigenen Anspruch an Professionalität gerechter zu werden, nahmen wir uns vor, bereits vorformulierte Fragen zu stellen, und das Interview nicht einfach „laufen zu lassen“. Wir stellten daraufhin einen Fragenkatalog zusammen, der eine erste Anwendung im Café Fatal fand, wo er sich jedoch bei vielen Fragen als ungeeignet und überarbeitungsbedürftig erwies. So waren viele Fragen kurz und bündig beantwortet. Es handelte sich oft um reine Faktenfragen, was uns dazu anregte, Leitfragen, welche wir im Hinterkopf behalten wollten, noch einmal genauer zusammenzustellen und festzuhalten. Ein wesentlicher Nachteil bei der Interviewführung im SO 36 stellte außerdem der hohe Lautstärkepegel sowie die eigentliche Absicht der Besucher, nämlich zu tanzen und nicht ausgefragt zu werden, dar. Die meisten mit Aufnahmegerät geführten Interviews erfolgten mit Tänzern des Pink Ballroom, welche wir nach den Übungsstunden angesprochen oder mit denen wir Termine vereinbart haben. Diese aufwendigeren, weil gründlicher vorbereiteten Interviews lieferten in den anschließenden Auswertungen viele für unsere Forschung nützliche Informationen. Mit der Zeit und der Übung durch die geführten Gespräche stellte sich eine zunehmende Sicherheit ein. Die Erfahrung lehrte uns gewisse Fehler zu vermeiden, und das Gespräch besser in die gewünschte Richtung zu lenken. Diese von uns positiv bewertete Entwicklung äußerte sich in der „besseren Qualität“ bezüglich der Inhalte der Gespräche, also in deren höherer Ergiebigkeit, von denen nun einige exemplarisch vorgestellt und ausgewertet werden sollen. Die gewählten Perspektiven sind dabei jeweils unterschiedlich gewählt, die die unterschiedlichen Zugänge und Darstellungsmöglichkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder wieder spiegeln. 3.3.1. Interview mit Albert und Bruno aus Taktlos Dezember 2003. Interview im Foyer der Tanzschule Taktlos mit Albert und Bruno. Es ist gerade Tanzpause. Wir setzen uns an einen Bistrotisch. Es wird Sekt und Orangensaft verteilt, weil es die letzte Stunde vor den Weihnachtsferien ist. Ich bin die einzige, die Orangensaft trinkt. Ich möchte PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com einen klaren Kopf bewahren. Es ist laut, andere TänzerInnen sitzen oder stehen nicht weit von uns. Ich bemerke neugierige, ein bisschen misstrauische Blicke. Ich stelle das Aufnahmegerät mit erfragtem Einverständnis auf den Tisch und erkläre noch einmal mein Anliegen. Als ich Anonymität und Diskretion versichere, entspannen sich die Gesichtszüge von Albert enorm, seine Körperhaltung verändert sich, sein vorher abgewandter Oberkörper wendet sich mir zaghaft zu. Die Mittvierziger Albert und Bruno sind kein Paar im wirklichen Leben, haben aber eine verbindliche Tanzpartnerschaft. Das Vergnügen am Tanzen und das Miteinander, das Motto der Schule, stehen auch für sie im Vordergrund. Auf Partnerwechsel haben dennoch beide gleichermaßen wenig Lust: „Die Suche nach dem richtigen Partner, mit dem es Spaß macht und einfach stimmt, ist schwer gewesen.“, konstatiert Bruno. Selbst als Alberts Freund in die Tanzgruppe einstieg, musste er sich nach einem eigenen Partner umsehen. „Den hat er nicht gefunden und hat dann wieder aufgehört.“, höre ich Albert mit verschmitztem Lächeln sagen. Denn die Schwierigkeit liegt natürlich auch beim Gleichgeschlechtlichen Paartanz darin, sich über den Körper miteinander zu verständigen und zwar nicht nur, wenn es um die Frage geht: Wer führt und wer folgt? Sich einig zu werden ist also die Herausforderung und gegebenenfalls Hindernis oder eben das pure Vergnügen. Aus dem Tanzpaar sind über die Jahre Freunde geworden. Die Vertrautheit zwischen ihnen ist spürbar und sichtbar, nicht nur auf der Tanzfläche, sondern vor allem auch im Gespräch. In der Art, wie sie einander beim Reden den Vortritt lassen, ebenso, wie sie in dem übereinstimmen, was das Tanzen für sie bedeutet, und was sie über andere Tanzpaare und -schulen denken. Sie wollen Spaß haben und sich entspannen, und das heißt für sie, auf keinen Fall zu tanzen, wie die beim Pink Ballroom: „Die kommen dann halt auf’s Parkett und schweben dann da schon regelrecht rum! „Und eigentlich sieht man: Die haben stundenlang zu Hause vorm Spiegel gestanden und geübt, in welcher Pose ich eigentlich am besten aussehe. Und das ist mir eigentlich ein bisschen zu affig!“ Die überbetonte Distanzierung zu anderen Tanzschulen und Tänzern, die sich während des Gesprächs in Gestus und Modus bemerkbar macht, mag auf den Umstand sich in der neuen, ungewohnten Tanzsituation zurechtfinden zu müssen, zurückzuführen sein. Der Eindruck, die Wahl der Tanzschule wäre Statement über die eigene Identität, entsteht, obwohl sich beide dem eigenen Umfeld gegenüber betont offen geben. Albert und Bruno sind eines der wenigen Männertanzpaare aus vergangenen Tagen - die Tanzgruppe war bis dato nur für Männer. Da die Anzahl aller Tanzwütigen immer weniger wurde, ist die Gruppe auch für gemischte Paare geöffnet worden - sie wurden je nach Schwierigkeitsgrad zusammengewürfelt. Bevor die Gruppen miteinander vermischt wurden, war alles im Lot. Mann kannte und mochte sich gruppenintern, tanzte und lachte viel und vor allem: Mann war unter sich PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com und fühlte sich freier. A: „Es war halt viel familiärer!“ B: „Genau, von daher hat sich da halt einfach was verändert.“ A: „Ich denke, es muss sich jetzt einfach, weiß ich nicht, beide Seiten an diese neue Konstellation erst mal gewöhnen. Und dann denk ich, im nächsten Kurs wird sich das dann schon mehr … mischen. Ich denke da sind ja erst mal so ein paar Berührungsbarrieren bei einigen.“ Dass den vergangenen Tanztagen mit tränendem Auge hinterher gesehen wird, ist trotz positiver Aussagen unverkennbar. 3.3.2. Interview mit Stefanie aus Pink Ballroom (A-Klasse) Ein weiteres Interview ergab sich zufällig. So trafen sich einige von uns im Pink Ballroom, um erneut unterschiedliche Personen zu befragen. Nach einigen Überredungskünsten willigte ein lesbisches Tanzpaar ein. Nachdem wir sie etwa eine Stunde befragt hatten, kamen weitere Tänzerinnen nach Beendigung des Unterrichts in das Bistro und entdeckten ihre Bekannten, die mit uns in ein Gespräch verwickelt waren. Am Tisch waren noch viele freie Plätze, die sich daraufhin schnell füllten. Sofort war die Aufmerksamkeit auf uns als Feldforscher gerichtet, was dazu führte, dass wir schnell in mehrere Interviews verwickelt waren. Der Nachteil war jedoch, dass wir nur ein Diktiergerät mitgebracht hatten, und somit Zweien von uns nichts anderes übrig blieb, als die Interviews sehr aufmerksam zu führen, um sie im Anschluss an den Abend in ausführlichen Notizen wiederzugeben. Eines dieser Interviews kam mit Stefanie zustande, die sofort ins Geschehen eingewiesen werden wollte und sogar die anderen aufforderte, die Plätze zu wechseln, damit sie von mir interviewt werden konnte. In diesem Moment war ich sehr überrumpelt, wollte ihre Antworten jedoch nicht verlieren. So entschied ich mich, diese stichpunktartig mitzuschreiben. Grundlage dieser Interpretation sind auf Grund der geschilderten Umstände also kein transkribiertes Interview, sondern die vorliegenden Mitschriften. Stefanie ist eine sehr fröhliche und kontaktfreudige Frau, die ich auf Anfang 30 schätzen würde. Sie arbeitet als Erzieherin in einem Kinderheim und befindet sich in einer festen Beziehung jedoch nicht mit ihrer Tanzpartnerin. Ich erfahre außerdem von ihr, dass sie seit 1998 gleichgeschlechtlich tanzt, da es für sie der „vorstellbarste“ Sport war. An dieser Aussage wird sofort deutlich, dass sie das Tanzen als ernsthaft betriebene sportliche Leistung versteht und nicht PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com als gelegentliches Hobby. Jedoch war noch ein anderer Grund ausschlaggebend für die Entscheidung zum gleichgeschlechtlichen Tanzen: „Das Drumherum soll wissen, dass ich lesbisch bin.“ Ganz pragmatisch antwortet sie auf die Frage, warum sie nicht mit ihrer Lebenspartnerin tanzt: „Bei einer Trennung wäre dann das Hobby weg.“ Aus dieser Aussage wird erneut deutlich, mit welcher Zielstrebigkeit Stefanie das Tanzen betreibt. Es scheint viel Raum in ihrem Leben einzunehmen, was mir einerseits durch den Fakt, dass sie in der A-Klasse - also der mit dem höchsten Niveau bei Pink Ballroom - tanzt, und später durch Videos der Gay Games bestätigt wird, an denen sie in Kopenhagen teilgenommen hat. Im Laufe unserer Forschung ergab sich in den Gruppendiskussionen eine Theorie, die wir in den Gesprächen überprüfen wollten. So stellten wir die Vermutung an, dass das gleichgeschlechtliche Tanzen auch ein Forum sein kann, um die eigene sexuelle Orientierung zu hinterfragen und eventuell neu zu definieren, da gleichgeschlechtliches Tanzen natürlich unmittelbar mit Körperkontakt verbunden ist und somit eine Möglichkeit bietet, den Tanzpartner unverfänglich zu berühren. Stefanie konnte diesbezüglich nur spekulieren, da dies nicht auf sie persönlich zutraf. Sie konnte es sich nicht wirklich vorstellen, da das Tanzen „einfach zu sportlich“ ist. Wieder antwortete Stefanie aus einer sportlichen Perspektive und schien nicht in der Lage, das Tanzen zu verallgemeinern. So ergeben sich natürlich enorme Unterschiede bei dem Vergleich eines sportlichen Tanzvereins wie Pink Ballroom mit einer regulären Tanzschule. Allerdings wird durch ihre Aussage erneut deutlich, mit welcher Motivation Stefanie den Sport betreibt, und wie intensiv Pink Ballroom als Referenzpunkt für ihre Antworten fungiert und andere Perspektiven völlig ausblendet werden. Bezüglich des Aufforderungsrituals bei Tanzveranstaltungen erklärt Stefanie, dass sie früher Wert darauf gelegt hat, wer Führende und wer Folgende war, und sich ihre Tanzpartnerin dahingehend ausgesucht hat. Heutzutage kennt sie bereits zahlreiche Tänzerinnen und hat sich gemerkt, wenn bestimmte Personen bestimmte Tänze können. Allerdings erfährt Stefanie oft nach der Aufforderung zum Tanz eine Ablehnung im Sinne von „Mit Dir kann ich das nicht“. Stefanie erklärte, dass die aufgeforderte Tänzerin eingeschüchtert gewesen war, weil Stefanie in der AKlasse des Sportvereins tanzt und ihr Leistungsniveau dementsprechend hoch ist. Mit der getroffenen Aussage der Tänzerin wird meine Behauptung von Dritten indirekt bestätigt: Stefanies Ehrgeiz in Bezug auf das Tanzen äußert sich im Interview in den aus der Perspektive des Sportvereins eingefärbten Antworten. Aber auch für andere ist dieser Eifer wahrzunehmen, wenn PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com auch über andere Mittel als bei mir das Interview. Während unserer Feldforschung ist uns allen ein wichtiger Aspekt des gleichgeschlechtlichen Paartanzes aufgefallen: Der Anteil an heterosexuellen Männern liegt schätzungsweise bei weniger als einem Prozent. Wir fanden es deshalb spannend, unsere Interviewpartner auch über dieses Phänomen spekulieren zu lassen. Stefanie begründete es damit, dass heterosexuelle Männer womöglich denken, „Bin ich schwul?“. Sie vermute außerdem, dass sie die „Regeln von Schwulen nicht kennen“. So spiele das Thema Berührung ihrer Meinung nach eine wesentliche Rolle. Stefanie kam dann zu dem Schluss, dass „heterosexuelle Männer zu Tanzveranstaltungen gehen, um sich an homosexuellen Männern aufzugeilen.“ Als ich Stefanie in diesem Zusammenhang zur Thematik der Körperlichkeit befragte, entgegnete sie, dass es anfänglich tatsächlich schwierig gewesen war, beim Tanzen weibliche Posen anzunehmen, sich zu schminken und entsprechende Kleidung zu tragen, denn sie sah sich nicht in der Lage dazu. Mit der Zeit hat sich das jedoch geändert, und es fällt ihr jetzt wesentlich leichter, sich beim Tanzen selbst darzustellen und ihren Körper bewusst dabei einzusetzen. Diese Erfahrung deckt sich mit denen vieler anderer Interviewter. So erweist sich das „Sich-Selbst-Darstellen“ und das „Sich-Präsentieren“ beim Tanzen anfänglich oft als Schwierigkeit, die aber gerade durch das Tanzen zunehmend abgebaut wird. 3.3.3. Interview mit Mechthild und Sandra aus Pink Ballroom (Anfängerkurs) Im Folgenden soll - basierend auf der Transkription - das Interview mit Mechthild und Sandra ausgewertet werden. Sie tanzen als Paar im Pink Ballroom, wo sie einen Anfängerkurs belegen. Privat sind sie schon seit zehn Jahren zusammen, wobei beide vorher aus einer heterosexuellen Beziehung kamen. Wir sprechen zuerst Sandra im Pink Ballroom nach einer Tanzstunde an, die einem Interview gegenüber sehr abgeneigt ist und erst nach Rücksprache mit Mechthild überzeugt werden kann. Sandra arbeitet in einem Integrationskindergarten mit behinderten Kindern. Während des Interviews ist sie sehr passiv. Auffällig ist jedoch, dass Sandras Redebeitrag im Vergleich zu Mechthilds quantitativ sehr gering ist, ihre Aussagen jedoch oftmals tiefgründiger und in Bezug auf unsere Feldforschung aussagekräftiger sind. Mechthild hingegen wirkt dominant, ist der Bitte nach einem Interview sofort aufgeschlossen gegenüber und willigt ohne große Überlegung ein. Sie ist als Religionslehrerin in einer Grundschule beschäftigt. Wir führen das Interview im Bistro des Sporthauses, wobei die Gesprächsatmosphäre durch eine PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Erläuterung des Anliegens unserer Feldforschung schnell aufgelockert wird. Es erfolgt ein schneller Übergang von einer lockeren Plauderei zur tatsächlichen Interviewsituation. Das Aufnahmegerät scheint Mechthild nicht als störend zu empfinden - vielmehr schafft es ihr eine Bühne zur Selbstdarstellung. Während des Interviews gestikuliert sie viel und verliert sich gern in endlosen Geschichten. Auch fällt auf, dass die Frage-Antwort-Relation oft Schieflage erleidet - die Fragen zu unpräzise sind oder aus anderem Grund nicht oder anders verstanden werden. Dies äußert sich darin, dass Mechthild sich in detaillierte Ausführungen flüchtet oder das Gesagte ganz einfach nicht zu den Fragen „passt“, was die Transkription im Anschluss erschweren sollte. Während des Interviews ist sehr bald ein großer Unterschied zu anderen bisher geführten feststellbar. Mechthild und Sandra sind Ende 40, wohnen zusammen in einem Haus in Dahlem, wo sie nach eigener Aussage ein „biederes Leben“ als „klassisches Sofa-Ehepaar“ führen. Bis zu diesem Interview hatten wir nur jüngere Frauen interviewt, die ihre Homosexualität wesentlich offener leben und auch zeigen wollen. Wie aus dem vorherigen Interview mit Stefanie hervorging, ist eines der Motive, gleichgeschlechtlich zu tanzen, ihr Lesbisch-Sein nach außen zu zeigen. Mechthild und Sandra hingegen vermeiden in zahlreichen Situationen sehr bewusst das Auftreten als lesbisches Paar: S: „Das ist auch ein Problem bei mir, wenn man sich nicht outen will, ... ich weiß nicht … man versteckt sich irgendwo, ... man zeigt etwas ganz anderes, was man gar nicht sein will. … Und dann, also ... ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, also in meinem Beruf, wenn ich das sehe, da sind ganz viele Erzieherinnen, die verheiratet sind, die Kinder haben, die die Hausfrauenrolle übernommen haben, ja, ... da will ich nicht gerade sagen: ´Ich bin lesbisch ... ich lebe mit einer Frau zusammen!´“ Mechthild beschreibt ihr Zusammenleben mit Sandra sogar als „Doppelleben“: „Ich sage in der Schule gar nichts. Ich bin da die klassische Lehrerin, die versucht, es zu verstecken. Kann man nicht, aber ich versuche es irgendwie, obwohl es wahrscheinlich das ganze Kollegium weiß.“ Im weiteren Gesprächsverlauf wird deutlich, wie Homosexualität und gleichgeschlechtlicher Paartanz miteinander verwoben sind. So geht es beim Tanzen eben auch um Darstellung, Erotik, Körperlichkeit und Körperhaltung. Sandra äußert sich zur Thematik folgendermaßen: „Also es geht sehr viel um Haltung, um Körperhaltung, einfach um schön aussehen. Mir ist halt aufgefallen, dass, wenn wir tanzen, wir sehr schell zusammenfallen. Wir sind dann auch oftmals auf Tanzabenden oder Tanzveranstaltungen von der Tanzfläche gefegt worden, weil wir uns von PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Anfang an gar nicht so einen Rahmen geschaffen haben.“ Aber auch Mechthild äußert sich dazu und nimmt dabei Bezug auf ein schwules Tanzpaar aus der A-Klasse im Pink Ballroom, um schließlich vergleichend ihre eigene Körperdarstellung zu reflektieren: „Also, die beiden Herren da oben ... wenn die hier rein kommen, also da sieht jeder, auch der es nicht weiß, die beiden sind schwul. … Also die kommen schon so rein und präsentieren was ... also: das bin nicht ich! Und dann sagt der Tanzlehrer: ´Zeig dich! Zeig dich! Zeig dich!´ Bei den Herren vielleicht schon eher, wenn das schon so aussieht, so tänzelnd oder schwebend durch den Raum gehen. Die kommen da schon so rein, also, die kommen ganz anders, die laufen auch anders. ... Homosexuelle Männer präsentieren sich, das würde ich schon sagen. Die zeigen wirklich volle Kanne was sie haben. (...) Ich bin sehr konservativ erzogen, wir haben gelernt, uns zurückzunehmen, dem anderen den Vortritt zu lassen, eher ein bisschen zu warten, während … hier wird alles gezeigt, was man so hat. Ist ja auch nicht verkehrt, ich mein: Die zeigen ja auch eigentlich schöne Sachen.“ Öfters wird im Interview auf die konservative Erziehung und eben auch auf die eigene Biederkeit verwiesen. So äußert sich Mechthild selbstkritisch, indem sie sich als „ganz schön verklemmt“ bezeichnet. Das Milieu, in dem sie leben, beschreibt Mechthild als konservativ, denn der Durchschnitt der in Dahlem Lebenden kann mit „Haus, Familie und Kinder“ umrissen werden. Der gleichgeschlechtliche Paartanz ist für beide eine Möglichkeit, ihre Homosexualität zu leben. Im Gespräch wird deutlich, dass im Leben von Mechthild und Sandra lediglich das Tanzen den Anschluss an die homosexuelle Szene darstellt. So lässt sich ein wenig Bedauern darüber heraushören, dass sie nicht „mitten in der Szene wohnen“. Erneut bezeichnet Mechthild sich und ihre Lebenspartnerin als bieder, was Sandra jedoch gleich wieder entwertet, indem sie betont, dass sie auch „gucken, dass [sie] schon rauskommen“. Sofort greift Mechthild wieder ein und betont die eigene Biederkeit, die nun auch von Sandra übernommen wird, indem sie auf ihren Garten und andere Verpflichtungen verweist. Wie bereits im vorherigen Interview herausgearbeitet wurde, bereitet es auch Mechthild und Sandra Probleme, sich darzustellen: M.: „Das hindert mich aber auch ein bisschen. Mein jetziger Tanzlehrer sagt immer ´Fließen lassen. Frei und fließen.´, aus dem Starren so ein bisschen raus zu kommen. Das ist natürlich auch eine Sache: was von sich zu zeigen. Er sagt: ´Macht euch groß! Präsentiert euch!´“ PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Im Gegensatz zu Stefanie haben Mechthild und Sandra das Problem mit der Selbstdarstellung noch nicht überwinden können, was wir darauf zurückführen, dass beide erst angefangen haben, bei Pink Ballroom zu tanzen. Auf Grund dieser Tatsache können beide auch noch nicht mit der Führungsfrage spielen, was sie in Zukunft jedoch ändern wollen. 4. Ergebnis der Forschung: Kernpunkte Zu Beginn unserer Feldforschung haben wir einige Kernpunkte die wir besonders interessant fanden herausgearbeitet. Diese haben wir dann im Laufe der Forschung immer im Geiste vor Augen gehabt, um zu versuchen, Antworten auf unsere Fragen zu finden. Im Folgenden soll nun näher auf jene eingegangen werden. Einen Schwerpunkt stellt die Frage der Körperlichkeit dar. Wie sieht es mit der Körperlichkeit und Selbstdarstellung beim Tanzen aus? Was ist wichtig und reizvoll daran? Es gibt viele körperliche Gründe für den Paartanz. Viele wünschen sich eine gesunde und selbstbewusste Körperhaltung, was durch das Tanzen realisiert werden kann. Für andere stellt das Bilden einer gemeinsamen Einheit mit den TanzpartnerInnen eine reizvolle Herausforderung dar, wenn also zwei Körper harmonisch und koordiniert zusammen tanzen. Hinzu kommt der ästhetische Faktor. Es sieht eben schön aus, wenn zwei Personen gut zusammen tanzen können. Viele mögen es auch einfach, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Es stärkt deren Selbstbewusstsein. Für nahezu alle Tänzer ist der körperliche Kontakt mit dem/der TanzpartnerIn enorm wichtig. So ist es nicht ungewöhnlich, dass heterosexuelle Frauen gleichgeschlechtlich tanzen. Viele fühlen sich einfach wohler mit einer Frau zu tanzen. Eine Befragte hat diesen Fakt prägnant beschrieben: „Mein Mann tanzt wie ein Besenstil.“ Des Öfteren wurde von Frauen das Körpergefühl beim Tanzen mit einem Mann sehr negativ beschrieben oder gar ins Lächerliche gezogen. Heterosexuelle Männer stellen im Gegensatz zu den Frauen eine absolute Minderheit im gleichgeschlechtlichen Paartanz dar. Wir führen dies - basierend auf den Spekulationen von Befragten - auf ein unangenehmes Empfinden beim Tanzen mit einem anderen Mann zurück. Weil Paartanz mit Körpernähe einhergeht, spielte auch das Thema Erotik eine Rolle für unsere Betrachtung. Es kommt fortwährend zu Körperkontakt und Berührungen zwischen den TanzpartnerInnen, was sehr erotisch sein kann. Auf der Tanzfläche darf unverfänglich geflirtet werden. Es beginnt mit der Aufforderung und setzt sich auf der Tanzfläche fort. Es wurde auch von „flirten über die Schulter des Tanzpartners hinweg“ berichtet. Man muss also nicht unbedingt nur PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com mit dem/der TanzpartnerIn sondern kann auch mit anderen auf der Tanzfläche flirten. Der Tanzpartner sieht es ja nicht. Das Flirten bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass man jemand kennen lernen möchte. Beim gleichgeschlechtlichen Paartanz geht es - und das ist ein entscheidender Unterschied zum zweigeschlechtlichen - auch um die Führungsfrage. Während sich beim zweigeschlechtlichen diese Frage gar nicht stellt, da von vornherein klar ist, wer führt bzw. folgt, entpuppt es sich gerade beim gleichgeschlechtlichen Tanz als reizvoll, die vermeintlichen Eindeutigkeiten zu demontieren und das Geschlecht als uneindeutig und somit eine neue Identität zu erfahren. Verschiedene Kriterien sind ausschlaggebend für die Entscheidung zur führenden Rolle. Einerseits sind es ergonomische Gründe: ein größerer Mann führt einen kleineren Mann einfacher als umgekehrt. Beim Sporttanzen sind außerdem gerade auch die ästhetischen Gründe wichtig. „Es sieht einfach besser aus, wenn der Größere den Kleineren führt.“ Was man auch häufig beobachten kann, ist der Führungswechsel. Dafür müssen beide TänzerInnen sowohl die führenden als auch die folgenden Schritte lernen, was für einige allerdings eine Doppelbelastung darstellt, weshalb sie sich für eine Rolle entscheiden. Ein Paradigma für das Spiel mit den Rollenzuweisungen der Geschlechter ist der Tango. Die klassische Tangoregel ist, dass der Mann führt und die Frau folgt. Wie sieht es dann beim gleichgeschlechtlichen Tango aus? Seit 1985 haben Homosexuelle Tango für sich entdeckt und finden es spannend, das heterosexuelle Beziehungsmodell zu zertrümmern. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkte Tango als Lebensstil in Zentren der Emanzipationsbewegungen. Beim gleichgeschlechtlichen Sporttanz macht die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Turnier einen besonderen Reiz aus, was beim zweigeschlechtlichen Tanz fast unmöglich ist, weil sehr viel Erfahrung Voraussetzung und die Konkurrenz einfach zu groß ist. Für manche ist aber allein die körperliche Bewegung beim Tanzen erfüllend. 5. Reflexion der mit den Methoden gemachten Erfahrungen Neben der Beobachtung und der teilnehmenden Beobachtung in geringem Umfang, war unsere empirische Methode das Interview. In den Interviews spiegelt sich unsere Entwicklung hinsichtlich der Fragestellung inhaltlich sowie methodologisch wieder, so wurden Fragestellungen überprüft oder präzisiert und das Hauptaugenmerk der Forschungsarbeit auf das Interview gelegt. Die PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com beschriebenen Kontakte boten viele Gelegenheiten, nach dem Ablegen anfänglicher Scham unsererseits waren erstaunlich viele Leute bereit, mit uns ausführliche Gespräche zu führen. Davon waren wir schon motiviert, aber das interessantere war, dass die Gespräche immer wieder neue Denkansätze lieferten, beziehungsweise sich in der Interviewkette das Interesse am Thema erzeugte, sich modifizierte und neu reflektieren ließ. Kurzum ein fabelhafter Zirkel, in dem wir immer wieder zwangsläufig auf die von uns genannten Kernpunkte trafen. Eine Schwierigkeit lag darin zu sondieren, was an eben diesen Kernpunkten das eigentlich homosexuelle ist, oder anders, „Wie lässt sich der spezifische Umgang mit der Körperlichkeit und deren Effekte in der Interviewsituation erfragen?“ Die teilnehmende Beobachtung ist hier im Vorteil, sie lässt das verkörperlichte Wissen dort und verschafft sich nicht erst im Durchgang der Intellektualität Geltung. Ein allgemeiner Eindruck, der in der vermuteten Dekonstruktion von Geschlechterrollen euphemistisch zusammen läuft, kann dann mit den Einzelfällen divergieren. Was uns als selbstverständlich erschien, von dem Erkenntnisinteresse geleitet, etwas auf „einen Nenner zu bringen“, soll hier problematisiert werden. In der Auswertung der Interviews traten Komplikationen auf, die unter den ersten spontanen Eindrücken der Interviews nicht registriert wurden: Da überwog das „gute Gefühl“, eine schwierige Situation gemeistert, viele Denkanstöße für die weitere Arbeit erhalten zu haben. Was waren das für Komplikationen? Im Gespräch mit Mechthild und Sandra lässt sich feststellen, dass Antworten und Fragen oft gar nicht aufeinander bezogen waren. Das kann auf zweierlei zurückzuführen sein. Erstens war die Frage zu unpräzise formuliert, was bei unerfahrenen Interviewern wahrscheinlich häufiger vorkommt, und zweitens prallen in der Interviewsituation mindestens zwei kompakte Welten aufeinander, Erfahrungshintergründe, Subjektentwürfe mit ihren eigenen Sprachen. So muss es schon fast verwundern, dass überhaupt etwas dabei rauskommt, wäre nicht ein entsprechender Schließungszwang in diesen Gesprächen vorhanden. Also werden Ungereimtheiten höflich übergangen. Wie auf eine nicht verstandene Frage geantwortet wird, könnte ja dann auch wieder einigen Erkenntnisgehalt besitzen. Die Brücken, die im Falle der semantischen Fragezeichen gebaut werden, lassen sich in der Transkriptionsarbeit schwer rekonstruieren - da erscheinen sie als Brüche. Ganz anders im Gespräch, wo Körpersprache und kleine Gesten eben dort aushelfen, oft gar nicht den Eindruck erwecken als gäbe es diese Brüche. Daraus folgt, dass gerade diese Eindrücke immens wichtig sind für die Analyse eines Interviews. Der pure Text ist da nicht sehr hilfreich ohne eben den Versuch, den Interviewten ein Gesicht zu geben und ihre Lebenswelt zu rekonstruieren. Noch mal das Beispiel der beiden: Nur mit ihnen und ihrer Geschichte vor Augen sind unsere Interpretationen gerechtfertigt, dass ihre Tanzambitionen auch tatsächlich mit dem Erfahren und der Darstellung eigener Körperlichkeit korrelieren, dass es ihnen schwer fällt. Ein weiteres Problem besteht darin, wie in der Interviewsituation mit dem eigenen Erkenntnisinteresse PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com umgegangen wird, inwiefern kann es unmittelbar erfragt werden? Oder ist es ganz und gar unpassend und eventuell kontraproduktiv? So können sich Gedanken einschleichen aus einem vorherigen Gespräch, die sich im aktuellen Gespräch jedem Kontext als dem eigenen verweigern. Wenn eine Frau, die offensiv mit ihrem Lesbisch-Sein umgeht, die Aussage trifft, für sie ginge es auch darum, dieses und eine neu gewonnene Lust an Weiblichkeit allen zu zeigen, kann diese Folie lesbischer Sexualität nicht auf die oben beschriebenen gelegt werden. Dieses Vorwissen sollte ex negativo bleiben, oder wir müssen jetzt vom Fingerspitzengefühl sprechen, das sich aber auch durch Erfahrung - hoffentlich - aneignen lässt. An diesem Punkt würde sich der Rückgriff auf Anne Honer`s Text vom dreiphasigen Intensivinterview eignen, der die systematische Zergliederung in Interviewphasen vorschlägt. Damit kann der Gefahr begegnet werden, alle Fragen in einem Gespräch „klären“ zu wollen und dem Gegenüber mit den eigenen Projektionen nicht gerecht zu werden. In unserem Fall stießen wir nicht auf die viel beschriebene kulturelle Asymmetrie, vielleicht auch ein Grund dafür, dass wir unsere ersten Gehversuche der Feldforschung auch bei einigen Fehlern „unbeschadet“ überstanden haben. Auf den Gedanken angesprochen, dass der schwul-lesbische Paartanz den zweigeschlechtlichen aus der Einbalsamierung hieven könne, dass eine Modernisierung an Orten wie dem Café Fatal den Paartanz auch für junge Leute wieder attraktiv gemacht hat, grinste unser Gesprächspartner nur und sagte: „Keine Ahnung, das müsstet ihr mal von der anderen Seite aus beobachten“. 6. Ausblick: Ideen zum Weiterforschen Während unserer Forschung sind wir auf zahlreiche Aspekte des gleichgeschlechtlichen Paartanzes gestoßen, also Richtungen, die man hätte einschlagen können, und die in der Gruppe natürlich auch diskutiert worden sind. Zum Ende hin sollen einige ausgewählte Tendenzen angesprochen werden, die bei einem möglichen Fortgang der Studie intensiviert und untersucht werden könnten. So könnte der Aspekt des Alters in Bezug auf den gleichgeschlechtlichen Paartanz aufgegriffen und vertieft werden. Wie in dem Interviewteil bereits angedeutet wurde, lassen sich enorme Unterschiede bei Interviews mit Personen aus unterschiedlichen Generationen aufzeigen. So gilt es bei der Interpretation von Aussagen unterschiedliche Hintergründe wie Zeit, Kontext und Sozialisation zu berücksichtigen und einzubeziehen. Der Aspekt des Alters im gleichgeschlechtlichen Paartanz hat allerdings auch eine generationsübergreifende Dimension: so fiel uns bei der Forschung durch Beobachtung und Interviews auf, dass auch zahlreiche junge Leute beim gleichgeschlechtlichen Tanz zu verzeichnen sind, weil es scheinbar von der älteren PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com Generation vorgelebt wird, und dies im Gegensatz dazu in den heterosexuellen Diskotheken nicht der Fall ist. Zu untersuchen wäre auch, ob mit dieser gelebten Tradition ein Einbinden des gleichgeschlechtlichen in die herrschenden Regulierungen des zweigeschlechtlichen Paartanzes in baldiger Zukunft möglich wäre. Dass sich die Ausgrenzung zum Beispiel bei Turnierveranstaltungen aufheben könnte. Oder ob es dieser Integration noch sehr langer Zeit bedarf und dieses Einbinden von den Tänzern des gleichgeschlechtlichen Tanzes überhaupt angestrebt wird. Einen weiteren interessanten Diskurs bietet die Thematik der Homosexualität, die ja unumgänglich mit dem Gleichgeschlechtlichen Tanzen verbunden ist. Dies wäre sicherlich ein interessanter Gesichtspunkt, an dem man nun ansetzen könnte um weiterzuforschen. So würden sich dabei sehr spannende Fragestellungen ergeben. Gehört das Paartanzen schon ein Stück weit zum konventionellen „gutbürgerlichem“ Homosexuellsein? Man könnte auch ausführlicher auf die gesellschaftlichen Stigmata und Erfahrungen eingehen, die dazu führen, dass im Vergleich wesentlich mehr heterosexuelle Frauen gleichgeschlechtlich tanzen als heterosexuelle Männer. Außerdem: Welche Rolle spielt der gleichgeschlechtliche Paartanz in einer homosexuellen Beziehung, und wirkt er sich vielleicht sogar festigend auf sie aus? Dann noch: In wie weit ist das Tanzen von Symbolsprachen geprägt? Wie werden diese wahrgenommen und interpretiert? Aber auch ein anderer Schwerpunkt ließe sich in unserer Forschung vertiefen: Ebenfalls eng verknüpft mit dem gleichgeschlechtlichen Paartanz ist die Thematik Geschlecht. Judith Butlers dekonstruktivistische Theorie soll hier Erwähnung finden, die die Vorstellung von einer eindeutigen biologischen Körperlichkeit sowie das Modell der natürlichen Zweigeschlechtigkeit kritisiert. Ihr zu folge solle Geschlecht als fließende Kategorie gedacht werden, so dass die Grenzen zwischen „männlich“ und „weiblich“ verschwimmen. „Damit geht die - durchaus politische - Forderung nach einem ´Verlust der Gendernormen´ einher. Denn dies wäre Voraussetzung dafür, dass zum Beispiel Menschen, die nicht in das Entweder-Mann-oder-FrauMuster passen (wollen), nicht länger gesellschaftlich sanktioniert werden.“ Butler greift also die heterosexuelle Struktur als Zwangsordnung an, worin Weiblichkeit und Männlichkeit gesellschaftlich konstruierte Idealtypen sind, die politisch geschaffen werden, um eine bestimmte Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten. Mit diesem theoretischen Hintergrundwissen könnte man nun erforschen, in wie weit der gleichgeschlechtliche Tanz die Möglichkeit bietet, das Rollenverhalten neu auszuhandeln und ob somit eine Chance eröffnet würde, die Resultate wiederum in den heterosexuellen Paartanz zu integrieren. Sicherlich sollte man dabei auch erforschen, inwieweit Butlers Theorie bei den Tänzern des gleichgeschlechtlichen Tanzes Anklang PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com findet oder sich diese Theorie lediglich als eine von uns auf das Feld projizierte Vorstellung herausstellt, und wir uns mit eigenen Vorurteilen konfrontiert sehen müssten … So eröffnete unsere Forschung also zahlreiche spannende Ansätze, die man in einem weiteren Verlauf tiefgründiger untersuchen könnte. PDF created with FinePrint pdfFactory trial version http://www.pdffactory.com