Trendreport 2013 - K-MB

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Trendreport 2013 - K-MB
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TREND-CHECK
2013
D E R TR E N D-C H E CK
Zum achten Mal stellt K-MB seinen Trend-Check für das
neue Jahr vor. Wir haben uns für 2013 wieder auf die
qualitative Recherche begeben und viele Interviews weltweit geführt, um die wichtigsten Trends in den K
­ ategorien
MARKE, ENTERTAINMENT, MODE, ­DIGITAL, MOBILITÄT,
MUSIK und GESELLSCHAFT auf die folgenden Seiten
zu bannen.
Wir sind davon überzeugt, dass die vorliegenden Thesen
wichtige Parameter stellen, um Markenkommunikation
am Puls der Zeit zu prägen. Wir wollten genau wissen,
wohin die Konsumkultur 2013 steuert und teilen dieses
Wissen gerne!
Dabei verlassen wir uns aber nicht allein auf unser eigenes
Trendgespür, sondern sprechen gezielt unser weltweites
Netzwerk von Meinungsführern aus verschiedenen
­Bereichen an. Mittels Leitfadeninterviews befragten wir
über mehrere Wochen im Oktober/­November 2012
­Journalisten, Kreative, Netzwerker, Shopbesitzer, Scouts,
Clubbetreiber und andere Zeitgeister zu den aktuellen
Veränderungen und Themen der Konsumkultur.
Entstanden sind daraus 22 Ausblicke auf das Jahr 2013.
Darüber hinaus wagen wir wie immer auch einen ­kritischen
Rückblick auf unsere Thesen aus dem letzten Jahr und
evaluieren, ob und in welchem Maße diese eingetroffen
sind.
Denn manche Trends sind Langstreckenläufer, und oft
stellen wir fest, dass unsere Vorhersage zu früh war. Am
schönsten ist es natürlich, wenn die alten Ausblicke eingetroffen sind und vielleicht sogar schon zum Mainstream
gehören.
Andere Trends wiederum boomen nie oder verglühen
schnell. Der diesjährige Trend-Check bietet einen fokussierten Leitfaden, um im Dickicht der Kommunikationsbotschaften die Leitthemen von morgen zu ­identifizieren.
Viel Spaß beim Lesen!
3
0 0.
I N H A LT
0%
9,4%
12,5%
25%
37,5%
VORWORT
6
50%
62,5%
75%
87,5%
100%
04. MUSIK
32
01. GESELLSCHAFT
8
03. MODE
24
07. MARKE
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05. ENTERTAINMENT
40
02. DIGITAL
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06. MobiliTÄT
48
Autor
64
VOR WORT
MEHR VON WENIGER
Alles ist jetzt ultra, alles transzendiert unaufhaltsam,
im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich selbst mehr
wirklich, niemand begreift das Element, in dem er
schwebt und wirkt. Junge Leute werden vom Strudel der
Zeit fortgerissen. Dem Reichtum und der Schnelligkeit
gilt die Bewunderung und das Streben der Welt. Die
Menschen reagieren, indem sie sich mit neuen Formen
der Kommunikation gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, indem sie sich überbilden und letztlich in der
Mittelmäßigkeit verharren.
Wir kennen es nur zu gut: Hunderte von Emails prasseln
an jedem durchschnittlichen Arbeitstag auf uns ein. Neue
Einträge auf Facebook und Twitter verlangen unsere sofortige Aufmerksamkeit. Und alle paar Minuten vibriert
das Telefon, um uns über just eingegangene Nachrichten
auf dem Laufenden zu halten.
Kein Wunder, dass es bei einem derartigen Informationsbombardement kaum noch jemandem gelingt, sich länger
als ein paar Minuten am Stück auf anspruchsvollere Aufgaben zu konzentrieren. Wehklagen über die ­zunehmende
Beschleunigung der Welt ist jedoch keineswegs erst seit
dem Aufkommen digitaler und mobiler Kommunikationsformen zu vernehmen.
6
Im Gegenteil, es ist − wenn man sich das nur minimalinvasiv an heutige Sprachgewohnheiten angepasste Eingangszitat dieses Textes anschaut − ein ziemlich alter Hut.
Die Zeilen stammen von Johann Wolfgang von Goethe,
der sich bereits 1825 über die wachsende Kurzatmigkeit
seiner Zeit beklagte.
Auch 2012, knappe zwei Jahrhunderte, nachdem Goethe
das Aufkommen von Dampfschiffen, Eildepeschen und
Eisenbahnen bedauerte, war der allgemein empfundene
Zeitmangel und die Klage darüber groß. Dabei h
­ aben wir
faktisch betrachtet mehr freie Zeit als je zuvor.
Niemand zwingt uns, die Vibrations- und Signalmöglichkeiten unserer Smartphones auszunutzen bzw. deren
Abschaltbarkeit zu ignorieren. Unsere sozialen Netz­werke
bleiben auch dann bestehen, wenn wir sie vorübergehend
sich selbst überlassen. Und sogar Email-Programme lassen
sich ausschalten, ohne dass dadurch auch nur eine Nachricht verloren ginge.
Der effiziente Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln war 2012 ein immer wiederkehrendes Thema. Das
Ziel: die technischen Möglichkeiten beherrschen, anstatt
sich von ihnen beherrschen zu lassen.
Natürlich: Der Informationsozean wird weiter anwachsen.
Nur haben wir mittlerweile begriffen, dass die Navigation
durch ihn hindurch und damit das Erreichen unserer Z
­ iele
in unserer eigenen Hand liegt.
Und tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass die Eingewöhnungsphase, die nötig war, um Routine im Umgang
mit den Neuen Medien zu entwickeln, so langsam vorbei
ist. Der Glanz oberflächlicher Nachrichten und Inhalte, die
sich vor allem durch die Geschwindigkeit auszeichnen mit
der sie erscheinen und ihrerseits wieder ersetzt werden,
ist mit abnehmender Faszination ein gutes bisschen
stumpfer geworden.
In diesem Trend-Check möchten wir aktuelle Erschein­
ungsformen eben dieser Entwicklung untersuchen.
Mit wachsender Erfahrung im Umgang mit digitalen
­Inhalten lernen wir, Qualität wieder höher zu gewichten
als Quantität − und erstere aus dem »Ozean an Informationen«, wie Nam June Paik das Internet einst beschrieben
hat, gezielt heraus zu filtern.
Der übergeordnete Trend lautet: MEHR VON WENIGER.
Was weniger im Sinne einer unambitionierten Genügsamkeit als vielmehr als Konzentration auf das We­­sentliche
zu verstehen ist, als eine Aufmerksamkeits­verlagerung in
Richtung der Dinge und Inhalte, die uns wirklich voranbringen.
7
A.
B.
01.
GESELL
SCHAFT
12,5%
8
9
GESELLSCHAFT
RÜCKBLICK
2012
KOMPETENZ SCHLÄGT TITEL
Wir hatten vorhergesagt, dass sowohl unsere politischen
Führer als auch unsere Privatkontakte im Jahr 2012 mehr
für ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten gewertschätzt
werden würden als für bloße Titel und Namen. Leidenschaft
und die Bereitschaft, Dinge anzupacken und zu erledigen,
würden sich gegenüber bloßem Maulheldentum durchsetzen.
»Walk the walk, don‘t just talk the talk!« – wie die Dinge
so laufen, müsste man eingestehen, dass eine Bewertung
dieser Vorhersage vor der Katastrophe von Hurrikan S­ andy
schlicht vernichtend ausgefallen wäre. Politische Ränkespiele scheinen höher im Kurs zu stehen denn je, die
Menschen anfälliger zu sein, auf den nächsten Hype hereinzufallen, als je zuvor.
Aber mitunter bringen ungeahnte Herausforderungen
ungeahnte Charaktermerkmale hervor, und die Sturmschäden in New York und New Jersey machten etwas
möglich, was auf rein politischer Ebene seit Jahren un­
erreichbar schien: Einige der größten Demagogen und
­Polemiker beider politischer Lager bekannten Flagge,
krempelten die Ärmel hoch und reichten sich die Hand.
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MINIMALISIERUNG DER MASSEN
Im Zuge dieser seltenen Einvernehmlichkeit konnte O
­ bama
sich als effektiver Krisenmanager etablieren und seinem
Rivalen Mitt Romney dank eines Sturms ordentlich Wind
aus den Segeln nehmen.
Er kam und sprach mit den Sturmopfern und gab ihnen
die Hoffnung und den Glauben an sein Kernversprechen
des Wandels zum Besseren zurück. Wäre es nicht schön,
wenn solche Leistungen und uneigennützige Zusammenschlüsse in Zukunft hin und wieder auch ohne Naturkatastrophen gelängen?
2012 sollte das Jahr werden, in dem wir die Flut nutzloser
und sich ewig wiederholender Informationen endlich
unter Kontrolle bekommen, die sich zu jeder Tageszeit aus
allen Winkeln der analogen und digitalen Welt auf uns
stürzen. Wir würden löschen, optimieren, aufräumen und
genauer darauf achten, was wir selbst in die Welt hinaus
sendeten.
Wir mögen zwar noch nicht dazu gekommen sein, all die
Apps zu löschen, die wir ja doch nicht benutzen, geschweige denn dazu, uns ein wirkliches Konzept zu ­überlegen,
welche Informationen wir nach welchem Prinzip mit anderen teilen wollen. Aber wir haben tatsächlich gelernt,
die tägliche Informationsflut besser zu beherrschen und
effektiver auszuwerten.
Ein Aspekt dieser Prognose stellte sich als zutreffend heraus – »everybody wants to be and stay relevant«. Das
Aufkommen an Blogs, Web-Stores und Foren schien 2012
geradezu zu explodieren. Die Menschen beackerten ihre
Instagram-Accounts, als würden sie sich damit bei der
Bildredaktion der Vogue bewerben wollen. Die Blogger
mit den meisten Followern wurden als »It-Kids« verehrt
und mit eigenen Werbekampagnen von großen Marken
belohnt.
Die Konsumenten zeigten Verantwortung gegenüber der
Netzgemeinde, indem sie sich bemühten, akkurate Bewertungen und Kritiken von allem nur Erdenklichen zu
verfassen und veröffentlichen − von Beauty-Produkten
über Frisörsalons bis hin zum neuesten Sushi-Restaurant
und dem örtlichen Akkupunkteur war kaum ein Produkt
oder Service von der kollektiven Bewertungswut ausgeschlossen.
Die Netzgemeinschaft schloss sich außerdem zusammen,
um die Welt in chaotischen Zeiten mit akkuraten Nachrichten auf dem Laufenden zu halten. Mittlerweile beziehen viele Leute aktuelle Infos zum Weltgeschehen eher
via Twitter denn via CNN.
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GESELLSCHAFT
T r e f f erq uot e 2 012
60% RICHTIG
40% FALSCH
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13
GESELLSCHAFT
AUSBLICK
2013
JEDER IST EIN KURATOR
In jüngster Zeit wird mit dem Begriff des Kuratoren ­derart
inflationär herumgewedelt, ohne jegliche Anerkennung
der Ausbildung und Erfahrung, die dieser Titel traditionell
voraussetzt, dass einem Angst und Bange werden kann.
Bis vor Kurzem wurde das Kuratorium in der Regel mit
Institutionen, Gallerien und Museen assoziiert − Einrichtungen von hohem Prestige, ausgestattet mit edlem
­Bildungsauftrag. Ein Kurator war als Spezialist auf seinem
Feld angesehen, ein Auserwählter, der täglichen Umgang
mit Gegenständen von historischem Wert pflegte, mit
unbezahlbaren Kunstwerken und heiß gehandelten
­Sammlerstücken.
Heutzutage scheinen Studienabschluss, Promotion und
Dissertation irrelevant, zu inhaltsleeren P
­ apierdokumenten
geworden zu sein. Immer mehr Menschen verleihen sich
den Titel des Kurators kurzerhand selbst und verweisen
dabei weniger auf Ausbildung und Qualifikationen als
vielmehr auf Beispiele dereinst geleisteter Arbeit. U
­ nser
Wertesystem hat sich gewandelt, und die Tauglichkeit
einer Person für eine bestimmte Aufgabe wird zunehmend
an Coolness und Connections festgemacht.
Der Frau, die einen Doktortitel in Kunstgeschichte vorweisen kann und Ausstellungen in der Nationalgalerie kuratiert, kommt mitunter weniger Anerkennung zu als dem
Typen, dessen Blog über zwei Millionen Follower hat und
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Der Wert eines Kurators oder einer Kuratorin misst sich
daran, wie viele »Likes« oder »Shares« ihr jeweiliges Image
bekommt, eine Entwicklung, die sich auf Postmodernisten
wie Richard Prince und Sherry Levine ­zurückführen lässt,
Künstler, die die heutige Generation von Anything-GoesKulturconnaisseurs erst möglich gemacht haben.
WIEDERENTDECKUNG
der aufgrund seiner kuratorischen Expertise eine Kollaboration mit der angesagtesten Retailkette vorweisen
kann.
Jeder mit besonderen Vorlieben in punkto Geschmack,
Ästhetik und Lifestyle kann sich heutzutage als Kurator
bezeichnen, was dazu führt, dass ein nicht unbeträchtlicher
Teil der modernen Netzgesellschaft seine Zeit damit verbringt, anderer Leute Bildmaterial aufzuspüren und für
den eigenen Blog, die eigene Website zweckzuentfremden.
Teil des Wahrnehmungswandels bezüglich der Wertschätzung des Kuratorentitels lässt sich auf die Reaktionsgewohnheiten der Masse zurückführen.
Unsere moderne Gesellschaft ist vielschichtig miteinander
verwoben, und Anerkennung einer Zielgruppe lässt sich
verlustfrei in gesteigertes Selbstwertgefühl übersetzen.
Selbst Kanye West lässt via Twitter verlauten: »If I had to
be defined at this point I'll take the title of an inventor or
maybe curator« − Wenn ich mich im Moment beschreiben
lassen würde, dann am ehesten als Erfinder oder vielleicht
als Kurator.
Von der Mode über die Musik bis hin zum Design entdecken die Leute die guten Ideen früherer Zeiten neu und
interpretieren sie um, oder sie entdecken vermeintlich
Brandneues; Dinge, die es eigentlich immer schon gegeben, von denen aber noch nie jemand etwas gehört hat.
Was die Musik betrifft, so bietet das Internet als allumfassendes »Archiv« Zugang zu Aufnahmen, die als längst
veschollen galten. Und die Allgegenwärtigkeit von ­Labels
lässt selbst diese vergessenen Perlen auf den Plattentellern
angesagter Clubs landen.
Die Blogger Chances with Wolves spielen den funkigsten,
freakigsten Soul und R‘n‘B, den wir je gehört haben und
der selbst im gut sortierten Plattenladen kaum zu finden
sein dürfte. Sie suchen nach versteckten Juwelen, um
diese dann ihrer erlesenen Kundschaft zu kredenzen.Was
die Mode betrifft, befinden wir uns inmitten eines interessanten Neunzigerjahre-Revivals (ein durchaus bedauerlicher Umweg) − aber wer weiß schon, womit die
­Designer als nächstes um die Ecke kommen? Wie wäre es
mit den Neunzigerjahren des 17. Jahrhunderts?
Kulinarisch studiert die Koch-Avantgarde traditionelle
nationale Küchen verschiedenster Couleur und stellt ­diese
im Anschluss komplett auf den Kopf. Das Ergebnis ist eine
vollkommen neuartige Cuisine, wie sie zum Beispiel das
Mission Chinese in New York bietet oder das dänische
Restaurant NOMA, das seine Philosophie ­folgendermaßen
beschreibt: »Im Bestreben, unsere Art des ­Kochens neu
zu definieren, beschäftigen wir uns ­eingehend mit Zutaten
und Kultur und hoffen, gleich­zeitig unsere Geschichte
neu zu entdecken und unsere Z
­ ukunft zu gestalten. « Der
Blick zurück soll einen Vorsprung im Sinne eines »Ich hab‘s
zuerst gesehen«-Claims bewirken, letztlich dreht sich beim
Prinzip des Wiederentdeckens aber alles um Inspiration.
BERUFLICHE FLEXIBILITÄT
Die große Mehrheit neuer Jobs, besonders auf dem Feld
der Neuen Medien, verlangt den Beschäftigten eine Vielzahl an Aufgaben, Leistungen und Spezialisierungen ab,
gleichzeitig hält niemand mehr ein und denselben Job
ein Leben lang. Technologien und Ansprüche ändern sich
im Rekordtempo, Berufsfelder verschmelzen, und die
Menschen müssen den sich stetig wandelnden Anforderungen mit größtmöglicher Flexibilität begegnen. Besonders auf dem Feld der Online-Medien genügt es nicht
mehr als Redakteur, Videograph, Journalist oder Layouter
zu arbeiten − du musst jetzt all dies gleich­­­zeitig sein!
Als Hüter vielfacher Leidenschaften verfügen wir über
einen größeren Erfahrungsschatz und mehr spezifisches
Wissen als der Großteil der Gesellschaft. Nähern wir uns
einem Problem, dann hilft uns diese Vielseitigkeit, einen
Lösungsansatz zu erarbeiten. Die Fähigkeit, sich aus anderen Interessensfeldern zu bedienen, erhöht unsere
Chance, Lösungen zu finden und macht uns attraktiv für
findige Arbeitgeber. Für 2013 empfehlen wir deshalb, so
schnell wie möglich so viele verschiedene Dinge wie
möglich zu lernen, um beruflich auf der Höhe der Zeit
zu bleiben.
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HERZ
1
2
3
KOPF
4
5
6
02.
7
8
9
10
11
GEIST
D I G I T AL
25%
U 01
7885593
01. EINGABE
U 34
33484903
02. AUSGABE
16
17
DIGITAL
RÜCKBLICK
2012
BLOGGER: VOM EINZELKÄMPFER
ESTABLISHMENT
ZUM
Um einige der reichweitenstärksten Blogs haben sich nicht
nur Redaktionsteams gebildet, sondern auch Agenturen
und Produktionsfirmen. Solche Agenturen können neben
ihren Dienstleistungen nun auch i­ mmer gleich ein eigenes
Kommunikationsmedium inklusive vorhandener Zielgruppe anbieten.
Blogger, die neben einer lesbaren Schreibe auch ihre
audio-visuelle Kompetenz unter Beweis gestellt haben,
bieten diese Leistung nun auch als Auftragsarbeit an.
Zu beobachten war aber auch die Tendenz der Verwässerung und Kommerzialisierung der Botschaften und BlogInhalte durch einen zu starken Fokus auf ­unspezifische
Themen und Businessmodelle. Dies bringt einen Verlust
von Authentizität und führt somit zum ­Einbruch der
­Reichweite.
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NEARFIELD COMMUNICATION
TELEVISIONÄRES ENGAGEMENT
LIGHT FIELD KAMERAS
Die Nutzung von mobilen Endgeräten steigerte sich im
Jahre 2012 enorm. Im Zuge dessen erhöhte sich auch
ihre Funktionalität, und Technologien wie Near Field
­Communication gewannen an Einfluss.
Wir haben für 2012 vorhergesagt, dass sich der ­Zuschauer
seine Programme zunehmend im Social Web selbst zusammenstellen würde. Sieht man aber mal vom Drücken
der Fernbedienung ab, konsumieren die meisten Menschen ihr TV Programm weiterhin vergleichsweise passiv.
Radikale Innovationen haben es nicht einfach: Zwischen
Top oder Flop gibt es kaum Platz. Die plenoptische Kamera Lytro verfügt über einen Multischärfebereich, der es
erlaubt, die Bilder erst nach der Aufnahme scharf zu stellen. Eigentlich eine Revolution, denn damit würden uns
in auch noch so angeheitertem Zustand Magnum-verdächtige People Shots auf Partys gelingen.
Mobile Payment ist besonders im Aufstieg begriffen:
In den nächsten Monaten wollen 20 Staaten Near Field
­Communication zur bargeldlosen Bezahlung einführen,
und die Nutzung von Apps für das Mobile Banking ist seit
2010 um 45 Prozent gestiegen.
Das Thema Mobile Shopping wird 2013 zum Main­stream.
Dieser Entwicklung passen sich zukunftsdenkende
­Unternehmen an und entwickeln passende Apps dafür.
Die Firma iZettle bietet einen Service an, der besonders
für Einzelhändler und Kleinunternehmer spannend sein
dürfte. Hier wird zusätzlich zur App noch ein spezieller
­Chip-Card-Reader ans Smartphone angeschlossen und
ersetzt somit die klobigen und altmodischen Kartenlesegeräte. Kunden können so schnell und bequem für ihren
Einkauf zahlen, egal ob sich der POS auf einem Messestand
oder auf dem Farmers Market ­befindet.
Ob sie diese Möglichkeit jedoch in Zukunft weiterhin
haben, ist ungewiss. Denn 2012 waren Sender und Moderatoren sehr interessiert daran, direktes Feedback der
Zuschauer auf den eigenen Web- oder Facebook-Seiten
in den Sendungen zu thematisieren. Das war aber nur der
Anfang. Wir sind gespannt, welche interaktiven Fernsehshows sich 2013 als erste am Markt behaupten werden.
Dennoch hat es der neue Digitalprometheus 2012 nicht
geschafft, sich breitenwirksam zu etablieren. Das mag an
Lieferschwierigkeiten, am Preis oder an der noch nicht
ganz ausgereiften Technik liegen. Vielleicht war es auch
die ungewohnte Form der Kamera, die mehr einem Kaleidoskop aus dem Kinderzimmer ähnelte, als einer ernstzunehmenden Technikinnovation. Nächster Versuch: 2013.
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DIGITAL
Tr effe rq uot e 2 012
DIGITAL
AUSBLICK
2013
MOBILE FIRST
T r ef f erquote 2012
7 0% RICH T IG
30% FALSC H
Webdesigner und Programmierer zwitschern die Vorzüge
von responsivem Webdesign schon länger aus ihren
­Kreativlaboren. Stießen sie bei Marken und etablierten
Verlagshäusern bis vor Kurzem noch auf taube Ohren,
bemerken die User inzwischen eine große Veränderung
im Bereich der Bildschirmanzeige.
Websites und deren Designs passen sich automatisch der
Größe der Screens an und funktionieren damit auf Laptops,
Tablets und anderen mobilen Endgeräten. Der nächste
Schritt kommt 2013: Näherte man sich bisher dem Ursprung eines Webdesigns auf Formaten wie einem LaptopBildschirm, ist nun ein Umdenken auf die kleinsten
­Dimensionen im Gange.
Immer seltener werden beispielsweise Platten oder CDs
gekauft. Musik wird digital konsumiert. Es ist dementsprechend klar, dass ein Platten­cover vor allem auch auf einem
mobilen Gerät gut w
­ ahrnehmbar sein muss – im Briefmarken-Format allerdings. Die kleine Fläche eines Smartphone-Displays erlaubt nur die wesentlichsten Inhalte
und Navigationselemente anzuzeigen. Sidebars und
­Menüs mit endlosen Zielorten finden keinen Platz.
20
Die daraus entstehenden Vorzüge setzen sich jetzt wiederum für größere Bildschirmformate durch. Es etabliert
sich eine Reduktion auf das Wesentliche. Das Prinzip von
­Mobile First schafft Platz für Informationen, große gut
lesbare Schriften und spaltenbreite Bilder.
Eine intuitive Navigation kombiniert mit der Verlinkung
von verwandten Artikeln lassen dem Nutzer viel mehr
Handlungsspielraum und laden ihn gleichzeitig zum längeren Verweilen auf der Seite ein.
COMMUNICATION WITH YOUR HARDWARE
Dem Internet der Dinge kommen wir 2013 ein großes
Stück näher. Der Informationsaustausch durch und mit
dem Internet wird auf das nächste Level gehoben und
erreicht die realen Dinge in unserer Umwelt. Ob fahrerlose Transportsysteme oder die Verwaltung unserer Häuser
und Wohnungen von unterwegs – die Zukunft wird ­virtuell.
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SPIEL DIR DEIN LEBEN
2013 wird das Jahr, in dem die Verbindung von Alltagsgegenständen mit dem Internet immer normaler wird und
eine entscheidende Erweiterung unseres persönlichen
Netzwerks ermöglicht.
Pay-TV-Anbieter bieten längst an, die Aufnahme von TVSendungen aus der Ferne zu starten. In Zukunft können
wir uns auch die Frage sparen, ob das Licht ausgeschaltet
oder die Haustür abgeschlossen ist. Von unterwegs können
bald alle elektrischen Geräte über das Internet gesteuert
werden.
So wird auch das Auto der Zukunft mit einem digitalen
Nervenzentrum ausgestattet sein. Die neue Version der
Mercedes-Benz-Software mbrace2 für iPhone und Android-Handys warnt zum Beispiel bei der Überschreitung
der Höchstgeschwindigkeit und navigiert Elektroautos
zur nächsten Ladestation.
Für Hersteller bieten sich damit neue und individualisierbare Wege, mit ihren Kunden zu kommunizieren. Marken
werden auf eine intensivere Art erlebbar, wobei ­gleichzeitig
die emotionale Bindung gestärkt wird. Den Konsumenten
bietet sich in einer beschleunigten Welt die Chance, sich
auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren.
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Spielmechanismen sind längst Teil unseres Alltags geworden. Wir sammeln Bonuspunkte beim Einkaufen, installieren Smartphone-Apps, die unsere sportliche Leistung
bejubeln oder uns, wie bei dem Armband Up von ­JAWBONE,
durch ein Signal zu mehr Aktivität und Bewegung animieren. Nike hat das Prinzip bereits perfektioniert. Die Nike+
Community kann sich durch das Erfassen zurückgelegter
Laufdistanzen über die Nike+ Plattform oder Facebook
und Twitter einen virtuellen Wettkampf liefern.
Damit die verschiedenen Sportarten auch untereinander
vergleichbar werden, entwickelte der Sportgigant außerdem eine eigene »Währung«: Nike Fuel. Dabei werden
sämtliche Leistungen in Punkte umgerechnet und als
»Fuel« auf den Online-Profilen der Nike-Community
­sichtbar.
Durch solche spielerischen Anwendungen, die sich unter
dem Begriff »Gamification« etabliert haben, vermischen
sich Spaß und Unterhaltung mit Konsum und Performance.
Die wachsende Videospielindustrie ist die weltweit finanzstärkste Sparte der Unterhaltungsindustrie.
So erklärt es sich von selbst, dass sich spieltypische Mechanismen immer stärker auch auf spielfremde Kontexte
ausbreiten. Produkte und Marken werden zunehmend
mehr durch spielerische Strategien aktiviert.
Das kürzlich erschienene Windows 8 hebt als erstes Betriebssystem die Trennung zwischen PC und mobilen
Anwendungen auf. Es funktioniert praktisch auf allen
Geräten gleich und verändert damit die Bedienung des
Arbeitscomputers radikal. Die Steuerung des Touchscreens
über Gesten und die Umwandlung der Programme in
Apps, wie wir es bisher nur von Smartphones und Tablets
kennen, macht aus allen Anwendern Player und bettet
Arbeitsprogramme und -prozesse in »gamifizierte« Strukturen ein.
Diese spielerische Steuerung wird sich 2013 auf diverse
Alltagsgegenstände ausbreiten, da neu entwickelte fl­ exible
Touchscreens eine Anwendung in nahezu allen Bereichen
des täglichen Lebens ermöglichen werden. Darüber hinaus wird sich »Gamification« gezielt in der Arbeitswelt
etablieren, wie die vor kurzem gegründete Firma »­ Gameful
Solutions« nahelegt.
Sie bietet die Konzeption von »Gamification«-Strategien
für die Kommunikation und Arbeitsprozesse von Unternehmen an. Auch wissenschaftliche Institute wissen das
Prinzip bereits für sich zu nutzen, um beispielsweise mit
Hilfe von Computerspielen Usern mühsame Aufgaben
wie die Verschlagwortung ihrer Archive übernehmen zu
lassen.
Eins steht fest: Im Zeitalter des Computerspiels werden
Spaß und Unterhaltung zu einer neuen Währung − vor
allem im Austausch für Arbeit, die andernfalls kaum
­finanzierbar wäre. So wird sich unser Arbeitsalltag 2013
spielerisch verwandeln.
23
DESIGNER
L A U FST E G
03.
MODE
37,5%
KOLLEKTION
24
25
MODE
RÜCKBLICK
2012
GO GET UGLY!
MANIFEST DES KONSUMENTEN 2012
Nachdem 2011 Natürlichkeit und ein bequemes Laisserfaire angesagt w
­ aren, prognostizierten wir für 2012 den
Mut zur Hässlichkeit.
Ein Manifest ist laut Wikipedia »eine öffentliche Erklärung
von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur«.
Nach eingehender ­Betrachtung mussten wir uns aber
eingestehen, dass dieser Trend nur in ohnehin eher ungenierten Metropolen wie Berlin und Tel Aviv an der Tagesordnung war. Zudem blieb der Hang zur Schludrigkeit
auf eine junge, vermeintlich hippe Altersgruppe b
­ eschränkt.
Mutig sein bedeutet jedoch keinesfalls automatisch,
­hässlich zu sein. Wagen wir von Berlin aus den Blick über
den Tellerrand, stellen wir schnell fest: Nude ja, aber bitte­
schön sophisticated. Lady Gaga protestiert gegen das
­Size-Zero-Ideal und propagiert eine natürliche ­Weiblichkeit,
indem sie sich in Unterwäsche fotografiert und die Fotos
ins Netz stellt. Ihre Message: Natürlichkeit darf niemals
mit Hässlichkeit gleichgesetzt werden!
Wir finden, dieser Meinung kann man sich eigentlich nur
anschließen und geben zu, mit unserer Vorhersage nicht
wirklich den Trendnerv getroffen zu haben.
26
2012 hieß es also entweder S­ tellung b
­ eziehen oder ab,
mitsamt der billig produzierten Baumwoll-T-Shirts, auf
den Mode-Scheiterhaufen. Designer-Kollaborationen gab
es immer noch wie Sand am Meer, aber der Trend ist eindeutig abgeflaut. Einzelstücke von Marni, Versace und
Anne Dello Russo konnte man sogar noch im Sale bei H&M
finden. Man darf sich fragen, ob der schwedische Riese
das als Erfolg verbuchen will.
Plötzlich waren es die langlebigen, qualitätsbewussten
Marken, die zu den It-Pieces der Saison wurden. Brooks,
Gloverall oder Sunspel boten uns die Slow-Fashion, die
wir brauchten, um uns von der Fast-Fashion-Spur zu verabschieden. Deren Parole? Qualität! Und das hat eifrige
Jünger gefunden. Dass es sich hierbei vor allem um ein
Konsumsymptom der urbanen Mittelschicht handelt, störte uns 2012 aber doch. Für die breite Masse galt beim
Einkauf weiterhin: »fast as usual« − verstärkt durch PrimarkInvasion und Bretterklasse-Online-Retail.
TECH FASHION
Dabei ist Outerwear von Marken wie Stutterheim, Filson
oder Pendelton nicht nur langlebiger, ­sondern obendrein
auch viel schöner. 2013 heißt es also, auch den Rest der
kaufkräftigen Masse zu bekehren – denn nicht nur im
Interesse einer Ästhetik des Straßenbildes ist Slow-Fashion
ein lohnendes Ziel.
In Zeiten knapper Kassen, gesteigerter Konsumethik und
schwelender Sozial- und Umweltdiskurse müssen wir
dringend auf die Bremse treten. Das wird bald auch dem
Letzten klar, denn für uns alle gilt: Wir haben zu wenig
Geld, um billig zu kaufen – denn wer billig kauft, kauft
bekanntlich zweimal!
Für 2012 orakelten wir, dass die Mode eine heiße Liaison
mit der Technik eingehen würde. Yves Behar designte das
Armband Up für JAWBONE, das Schlaf- und Essgewohnheiten misst, um einen perfekt getimten Tagesablauf zu
ermöglichen. Andere Designer entwarfen Jacken, die auf
Bewegung und Körperwärme reagierten oder deren eingewebte Mikro-LEDs farblich die Stimmung des Trägers
anzeigten. Aber wie ist es so oft in der Liebe? ­Piff-Paff-Puff
ist alles aus, noch bevor es richtig begonnen hat.
Gegensätze ziehen sich an? Nicht in diesem Fall. Die emotional aufgeladene Mode und die kühle Technik passten,
zumindest nach Meinung der Konsumenten und Modeästheten, am Ende einfach nicht zusammen.
Diese wollen bislang weder als Cyborgs durch die Straßen
laufen noch das reale Leben durch die Google-Brille ­virtuell
verzerrt wahrnehmen. Doch da die Mode kein Kind von
Traurigkeit ist und sich jede Saison einen neuen Liebhaber
sucht – mal die Kunst, mal die Musik – wird irgendwann
sicherlich auch die Technik noch einmal eine Chance
bekommen.
27
MODE
Tr effe rq uot e 2 012
50 % RICHT IG
28
50% FA LSC H
29
MODE
AUSBLICK
2013
go oder H&M kopieren seit Jahren die großen LaufstegLooks und setzen diese günstig um. Der gewünschte
Individualismus-Effekt seitens der Designer und ihrer
solventen Kunden ist damit dahin. Selbst anerkannte
Modedesigner sind sich nicht zu schade für den Massengeschmack und kreieren für den neuen ­Modefürsten
Hennes & Mauritz liebdienerisch vermeintlich exklusive
Kollektionen, die dann wiederum von anderen Modemarken aufgegriffen und kopiert w
­ erden.
FASHION WEEK & FASHION SHOWS
Die Fashion-Welt wandelt sich, insbesondere ihr Auftritt
nach innen und nach außen. Der jahrelang anhaltende
Erfolg von Modemessen wie der Bread & Butter oder der
Capsule führt dazu, dass sich immer mehr Marken dort
als Aussteller präsentieren.
Gut für die klingelnden Kassen der Veranstalter, aber
schlecht für den Besucher, der damit kämpft, den Überblick
zu behalten. Nachdem immer mehr Off-, Beta- und ShowLocations entstehen, müssen die großen Modemessen
ihre Relevanz hinterfragen.
2013 will sich der Konsument wieder wahrgenommen
fühlen, nicht einer unter etlichen, sondern Teil einer ­Runde
von Kennern sein. Doch dabei interessiert immer weniger
der elitäre Gedanke, sondern vielmehr das Profil einer
Veranstaltung. Wer sich unter dem Einheitsangebot der
Vielen mit einem guten Aufhänger ­differenzieren kann,
gewinnt.
Die gleiche Frage betrifft Fashion-Shows, denn heute sind
die meisten Shows dank Livestream für jeden ­zugänglich.
Die Demokratisierung, die dieser Trend mit sich brachte,
hat ursprünglich noch Bestürzung unter den Fashionistas
ausgelöst. Umso löblicher ist es, dass die Mercedes-Benz
Fashion Week fast alle Shows live überträgt. Das fordert
30
auch die Marken heraus, die Choreographie ihrer Schauen neu zu überdenken, denn das kollektive digitale Auge
sieht mehr als das menschliche vor Ort. Die innovativsten
Labels setzen aber auch hier schon den Blinker für die
Überholspur − mit Livestreams, aus denen Looks direkt
vorbestellt werden können, mit Full-E-Circle-Ansprachen
und On- und Off-Location-Entertainment.
Alte Hasen wie der Designer Tom Ford setzen lieber Gegentrends und üben sich in Verknappung. Er zeigt seine
neuen Kollektionen nur noch im ganz elitären Kreis und
bittet darum, auf Fotos, Videos und Twitter ganz zu verzichten. Dafür erklärt er vor den maximal 100 geladenen
Gästen auch jedes Stück höchstpersönlich, wie ein Couturier aus alten Tagen.
COPY & PASTE
Modemacher verstehen sich als Künstler. Deshalb kreieren
sie auch einzigartige Stücke, an denen ganz klar der Schöpfer zu erkennen ist. Was geschieht jedoch, wenn ihre
Entwürfe zu It-Pieces avancieren? Dann wird schamlos
von allen Seiten kopiert. Während das Plagiat in der westlichen Welt in fast allen gesellschaftlichen Bereichen mit
einem Tabu belegt ist, scheint es in der Mode stillschweigend geduldet zu sein. Vertikale Anbieter wie Zara, Man-
Für 2013 sehen wir mit Bangen, dass sich dieser Trend
noch verstärken wird und das Copy & Paste-Prinzip in der
Mode zu einer Uniformiertheit führt, die angesagte Looks
eintöniger denn je erscheinen lässt. Schon lange ist es
egal, ob man die Oxford Street, den ­Kurfürstendamm, die
Rue de Rivoli oder den Dizengoff Square entlanggeht −
»same stores, same styles«.
Was passiert also, wenn allenthalben munter kopiert wird?
Irgendwann ist der Peak der Gleichförmigkeit e­ rreicht,
und der Modemensch sehnt sich nach der ­Einzigartigkeit
individueller Stücke, am liebsten von N
­ ischenmarken und
limitiert durch Handanfertigung. Was uns zu einem Trend
im Trend führt.
Der Upcycling-versierte Verbraucher weiß jedoch, wo er
Unikate bekommt. So schickt er seine gebrauchten
­Nespresso-Kaffeekapseln zum Beispiel einfach z­ u OLDgOLD in Berlin − dort werden sie in handgemachten,
goldigen Schmuck verwandelt.
HIGH GHETTO FASHION
Auf den Laufstegen der Welt sieht man für das Frühjahr
und den Sommer 2013 immer mehr Marken, die sich von
­Harlem inspirieren lassen. Rapper haben schon immer
­Designerklamotten getragen, 2013 kommt die Gegenbewegung. Durch Kollaborationen zwischen High Fashion
Brands wie Comme des Garçons und Streetwear Brands
wie Supreme verschwand schon 2012 die Grenze zwischen
Street und Fashion.
2013 macht Acne Bomberjacken, Kenzo Kapuzenpullis
und Weekday ziert seine Pullis mit »Thug Life«, während
Alexander Wang es gekonnt versteht, die Kleider-Codes
der Straße in Fight-Couture zu verwandeln. High-­GhettoFashion ist das Motto für 2013!
Upcycling kreiert neue Geschichten, während die Kopie
lediglich Geschichten nacherzählt. Aus dem Abfall der
textilen Massenproduktion entsteht so neue Kleidung.
Dabei reden wir keinesfalls von Ökoware, sondern von
reinrassigen Designerstücken. Und schon wissen die Vertikalen den Trend für sich zu nutzen. H&M antwortete sehr
smart auf die harsche Kritik, dass unverkaufte ­Stücke aus
seiner Lanvin-Kollektion in New York w
­ eggeschmissen
wurden und brachte einfach eine »Waste ­Collection«
­heraus – neue Schnitte aus den Resttextilien der Linie.
31
32
CH OREOGRAPHY
RECORD
MUSIC V IDEO
ELECTRONIC
LI VE PERFORMANCE
BAND
SOLO ARTIST
04.
MUSIK
50%
33
MUSIK
RuckBLICK
2012
DIE WOLKE
BE BOLD
Nicht nur die Cloud-Dienste wie Dropbox und iCloud,
sondern auch die Streaming-Dienste hatten 2012 ihren
großen Durchbruch. Simfy, Spotify, Deezer, Grooveshark
etc. haben nicht nur die PCs und Macs, sondern vor allem
die Smartphones der Menschen erobert und sich neben
kostenfreien Varianten mittlerweile auch als kostenpflichtige Plattformen etabliert.
Dennoch schwebt die Diskussion um Copyrights weiter
über uns wie eine Gewitterwolke, die nur auf ihre n
­ ächste
Entladung wartet. Auch wenn das ACTA-Abkommen
(dt.: Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) 2012 abgeschmettert werden konnte, wird die D
­ iskussion um die
Wertschöpfung musikalischer Erzeugnisse im Netz sicher
weitergehen.
Der Musikgenuss ist damit endgültig supermobil geworden − völlig unabhängig von Standort und eigener
­Musikbibliothek. Das noch recht junge Google Music
mauserte sich ebenfalls zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz. 20.000 Songs kann man hier gratis in der Cloud
speichern und via Browser oder Smartphone abrufen. Vor
allem für Android-Nutzer anvanciert es damit zum Pflichtprogramm und läuft iTunes ganz klar den Rang ab.
Davon betroffen ist auch das analoge Leben, wie der aktuelle Streit der Clubbetreiber mit der deutschen GEMA
zeigt.
Da der Konsument mittlerweile die Kostenpflicht von
Streaming-Diensten weitestgehend akzeptiert hat, ist
­einer weiteren Entwertung der Musik in diesem Bereich
damit zunächst Einhalt geboten.
34
MEHR MUHE
Im letzten Jahr sahen wir, dass wir bald kaum noch durchblicken würden − überflutet von einem unendlichen musikalischen Output, der uns übers Netz erreichte. Wer nicht
filterte, ertrank in einer Kakophonie aus allen erdenklichen
Stilen und Genres. Durch gezielte Selektion ließ sich die
Flut eindämmen. Das bedeutete aber auch, dass sich die
Künstler besser um ihre Fans kümmern mussten.
Direkte Kommunikation über eigene Social-Media-­Kanäle
steht mittlerweile als Pflichtaufgabe auf jeder Künstleragenda. Doch nichts macht uns Fans so glücklich wie
ein Live-Auftritt. Konzerte boomen und ­Comebacks von
Musikstilen wie dem Jazz oder Blues Rock ­stehen für das
wachsende Verlangen der Menschen nach Authentizität
und einmaligen Live-Erlebnissen. Unter anderem durch
Blitzankündigungen über Twitter-Kanäle, G
­ eheimkonzerte
und andere exklusive Aktionen, ­versuchten die Künstler,
sich von der Konkurrenz abzuheben und eine persönliche
Beziehung zu ihren Fans aufzubauen.
OFWKTA (Odd Future Wolf Gang Kill Them All) und deren
Kollegen stehen für eine neue Generation Musiker, die
sich erfolgreich von den bisherigen Mechanismen der
Musik- und Showbranche emanzipieren. Auch wenn sie
mittlerweile keine Gratisdownloads und -konzerte mehr
anbieten und ihr musikalischer Stil letztlich auch sie in
den Mainstream führen wird, haben ihr Hang zu Chaos,
prä-adoleszentem Benehmen und unkonventionellen
Publicity-Stunts einen prägenden Einfluss nicht nur auf
ihre Fans, sondern auch auf die ganze Welt der kontemporären Musik.
Diese Mühe wurde von den Fans belohnt. Festivals
wie das Southside in Süddeutschland, das Roskilde in
Dänemark, das Montreux Jazz Festival in der Schweiz oder
das Coachella in Kalifornien vermeldeten für 2012 Rekordbesuche und Rekordgeschwindigkeiten beim ­Ticketverkauf.
Gleich mehrere Bandmitglieder haben in den letzten zwei
Jahren erstaunliche Solokarrieren hingelegt, und Frank
Ocean hat sich 2012 mit seinem Album »Channel Orange«
in die allerhöchsten Weihen der Musikkritik g
­ erappt. Er ist
zum Hoffnungsträger für den amerikanischen R’n’B geworden und wird uns sicher 2013 weiter mit erfrischend
unverstellten Tracks beglücken. Ocean ist im Übrigen der
erste erfolgreiche Vertreter der HipHop- und R’n’B-Szene,
der sich als bisexuell geoutet hat − ein Bekenntnis, das in
dieser Branche beinahe e­ inem Paradigmenwechsel gleichkommt.
35
MUSIK
Tr effe rq uot e 2 012
MUSIK
AUSBLICK
2013
VOM POPSTAR ZUM CLUBSTAR
0
0
1
1
2
2
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3
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90% RICHTIG
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5
5
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6
7
7
8
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10% FALSCH
9
9
10
10
Wurden die Charts in den vergangenen Jahren von Popund R’n’B-Künstlern dominiert, wummern nun immer
häufiger elektronische Bässe aus dem Radio. Popkonsumenten haben die elektronische Musik neu für sich entdeckt. Was sich in den letzten ein bis zwei Jahren schon
angedeutet hat, wird 2013 vollend aufblühen: Electro wird
zum Mainstream und die EDM (Electronic Dance Music)
wird endgültig die Charts beherrschen. Schon längst h
­ aben
Musiker wie Skrillex, David Guetta oder Paul Kalkbrenner
den Techno in den Charts hoffähig gemacht und sind zu
Popstars aufgestiegen. Lykke Li, Pitbull oder Flo Rida konnten sich 2012 in ihrem Windschatten in den Charts festsetzen.
Während DJs und Electronic Artists früher nur durch die
Zusammenarbeit mit den Stars der Pop- und Rapszene in
die Charts und Mainstreamclubs Einzug fanden, gehen
jetzt viele dieser Stars den umgekehrten Weg. Künstler
wie Usher, Ludacris, Rihanna oder Chris Brown beschleunigen ihre Hits auf 128 bpm, arbeiten mit Technoproduzenten zusammen und lassen sich von der Clubmeute
feiern.
Residents der großen Electro-Clubs wie beispielsweise
Daniel Avery (Fabric London) bleiben nicht länger die
Zeremonienmeister der Rave-Community, sondern wandeln sich zu Dauergästen in den Charts. Denn eines gilt
für die Musik von 2013: Club-Musik wird Mainstream und
kommerzieller denn je.
DER WANDEL DER PARTYKULTUR
Die internationale und mittlerweile auch in Berlin durchgeführte Partyreihe Boiler Room macht es vor: Hier feiert
eine kleine und intime Crowd in angesagten Locations
der Metropolen Los Angeles, New York, London und Berlin eine auf vier Stunden beschränkte Party. Einlass gibt
es nur strikt per Gästeliste, die auftretenden Künstler sind
die absoluten Größen der Elektro-Szene und können via
Livestreams in die ganze Welt übertragen werden.
Formate wie der Boiler Room oder das Amsterdamer Red
Light Radio mit ihren hochrangigen Künstlern sind so
jederzeit auch über räumliche Distanz miterlebbar. Davon
profitieren auch die Künstler.
37
UPCOMING ARTISTS
Sie können ihren Sound in einem intimen Rahmen zum
Besten geben und erreichen trotzdem via Internet eine
riesige Community. Obendrein erhalten sie ein direktes,
verbales Feedback auf ihren Sound, wenn Twitter-Feeds
zu einzelnen Sets ständig auf der Website aktualisiert
werden.
Diese noch ungewöhnlichen Veranstaltungskonzepte
haben ihren Ursprung vor allem in der stetigen Nachfrage
nach Neuem. So verliert auch das Prinzip »die Nacht zum
Tag machen« an Bedeutung, denn Partys werden zunehmend sonntagnachmittags oder abends bis 24 Uhr ­gefeiert.
Das Partykonzept »tagsüber« gewinnt an Beliebtheit. Einen
ersten Vorläufer stellen hier beispielsweise die 2012 in
Berlin gestarteten Early Bird Partys dar, die grundsätzlich
nur bis Mitternacht laufen.
Die Ansprüche an die Partys und Clubs wachsen, die
­Partygänger wollen kleine, intime und gleichzeitig exklusive Veranstaltungen, die mit den »richtigen Leuten« stattfinden. Zudem erwarten wir weitere Cross-Party-Formate
wie die Secretsundaze aus London oder das Zoo Project,
bei dem Entspannung und Feiern in einem ehemaligen
Zoo auf Ibiza mit einem Charity-Projekt verknüpft wird.
38
Im Jahr 2013 werden eine Reihe Künstler ihren großen
Durchbruch erleben. Wir haben uns vor allem den H
­ ipHop-,
Elektro- und Indie-Bereich angeschaut und prognostizieren: Es wird das Jahr einer neuen HipHop-Generation.
Nachdem der 25-jährige Kendrick Lamar 2012 mit seinem
Majorlabel-Debut »good kid m.a.a.d. city« die ­Feuilletons
füllte und zum ersten Mal einer breiten ­Masse bekannt
wurde, hat er dadurch gleichzeitig den Weg für weitere
aufstrebende Jungstars des HipHops geebnet. Der 16-jährige Haleek Maul, der 17-jährige Joey Bada$$ oder auch
die Rapperin Angel Haze (21) etablieren sich als würdige
Nachfolger der alternden Größen des Business.
Maul, der klingt »als ob Drake und Rihanna ein immer
trauriges Baby adoptiert hätten« (Fader), erschafft durch
seinen Horrorcore-Rap mit Witch-House-Einflüssen einen
völlig neuen Sound. Joey Bada$$ veröffentlicht sein
Mixtape »1999« mit Beats aus dem 90er Jahre HipHop und
wird von einflussreichen Musikmedien mit Legenden wie
MF Doom und Nas verglichen.
Sie alle verkörpern einen überfälligen Generationenwechsel in der Welt des HipHop: sehr junge Künstler, die sich
dem noch immer allgegenwärtigen Gangster-Image verweigern und durch ihre alternative Selbstdarstellung
sogar eine wachsende Akzeptanz von Homosexualität im
Rap erreicht haben.
In der Elektro-Szene stehen ebenfalls unzählige junge
Künstler parat, um mit ihrer Musik die Clubs und Charts
zu erobern. Der 20-jährige Flume reitet die wohl größte
Welle aus Down Under: Hunderttausende Klicks und Fans
bei YouTube, Soundcloud und Facebook sind erst der
Anfang für den Beat-Produzenten, der schon als 13-Jähriger erste Erfahrungen mit elektronischer Musik gemacht
hat. Nachdem er mit seiner Single »Sleepless« bereits die
Nummer 1 der australischen Download-Charts erreichte,
wird nun Europa folgen.
Der auch unter dem Namen Lightspeed Champion bekannte Künstler Dev Heynes ist ein weiterer heißer Tipp
für 2013. Mit seinem Projekt Blood Orange steht er für
eine Mischung aus R’n’B, Elektro und Pop. Nach Zusammenarbeiten mit Florence and the Machine, den Chemical
Brothers und Bright Eyes könnte sich der beim britischen
Kult-Label Domino unter Vertrag stehende Künstler im
kommenden Jahr zu einem echten Clubhelden entwickeln.
Und das von ihm produzierte Album von Solange hebt
gerade in den Pophimmel ab.
Natürlich steht auch die Indie-Szene nicht still. Mit den
dänischen Newcomern Lukas Graham macht sich hier der
nächste skandinavische Import daran, die deutschen
Charts von hinten aufzurollen. Die von sich selbst als
Vertreter des »Ghetto Pop« bezeichneten Musiker sind in
ihrer Heimat Dänemark bereits Stars und gewannen neben
sieben Nominierungen für die dänische Variante des Echo
den Preis für den Newcomer 2012. Für ihre erste Tour in
Dänemark konnten Lukas Graham 2011 bereits vor Erscheinen ihres ersten Albums 30.000 Karten verkaufen.
Wir sind gespannt, ob es für sie in Deutschland genauso
gut läuft!
39
L E I N WA N D
05.
E NT E RTA I NM E N T
62,5%
FREI
R e s e rv i e rt
40
41
ENTERtainment
RÜCKBLICK
2012
NEWSTAINMENT FOR ALL
2012 hat die Nachrichtenverbreitung über Social-MediaKanäle die klassischen Nachrichtenformate alt aussehen
lassen. Tagespolitische Ereignisse aus allen Teilen der
Welt wurden fleißig getwittert, geyoutubed und unter
die Facebook-Gemeinde gejubelt. Vor allem Meinungen wurden dadurch nahezu in Echtzeit verbreitet, was
mitunter dazu führte, dass Gerüchte in der öffentlichen
Wahrnehmung innerhalb weniger Reposts zu handfesten
Fakten mutierten, die den einen oder anderen Thron der
Mächtigen zum Wackeln brachten. Das Phänomen der
sogenannten Post-Truth Politics reiht die Wahrheit als
eine Option unter vielen ein und weiß um die Macht von
öffentlicher Meinung, auch wenn sich dahinter allzu oft
Unwahrheiten verbergen.
Dieses Prinzip ließ sich besonders gut am Beispiel der
Wahlen in Amerika verfolgen. Im Politikmagazin Politico
wurde die mediale Auswirkung einer Randbemerkung
Romneys als Paradebeispiel für einen ­Strukturwandel der
technosozialen Öffentlichkeit analysiert. Der »21-MinutenNachrichtenzyklus« toppte alles bisher Dagewesene in der
politischen Berichterstattung.
42
DEIN LEBEN IN DER WOLKE
Kurz nachdem Romney subtil den Verdacht schürte, dass
Obama nicht auf Hawaii, sondern in Kenia geboren sei,
fand sich dazu ein Zitat auf dem Twitter-Account der
Washington Post, was in Sekundenschnelle von anderen
Medien aufgegriffen und wenig später als Video der besagten Aussage online verbreitet wurde. In Rekordzeit
reagierten die jeweiligen Pressestellen der Wahlkämpfer
und veröffentlichten entsprechende Stellungnahmen. So
geschah in gerade einmal einundzwanzig Minuten, was
wenige Jahre zuvor noch Stunden und Tage gedauert hätte.
Das Motto »occupy the streets, occupy the networks«
war 2012 zwar kein Motor für gravierende politische
Umwälzungen, es blieb jedoch als eine niedrigschwellige Schwarmdynamik aktiviert, die sich beim richtigen
Funken leicht entzünden und wie ein Lauffeuer im Internet verbreiten konnte. Die Festnahme der ­russischen
Aktivistinnen von Pussy Riot führte zu einer globalen
Protestbewegung, Nachahmerinnen demonstrierten von
São Paolo bis Berlin und trugen als Zeichen ihrer Solidarität
bunte Strumpfmasken. Auch wenn die tatsächliche Zahl
der Demonstranten letztlich eher klein war, erregten die
Aktionen großes Aufsehen im Internet.
Immer mehr unserer Daten speicherten wir 2012 auf externen Servern. Nachdem wir kostenpflichtig erworbene
Titel bei iTunes schon seit Längerem in der Wolke ­speichern,
haben neue Anbieter wie Spotify das Feld von hinten
aufgerollt und Musik-Sharing wieder annähernd hoffähig
gemacht. Die Wiedergabe unserer ­Playlist vom Heim-PC
lässt sich nun nahtlos auf dem Smartphone fortsetzen.
Immer mehr Computerhersteller verbauen längst die kleinen aber um ein Vielfaches schnelleren ­SSD-Festplatten.
Mit Daten, die vor allem der Unterhaltung dienen, wird der
Übergang in die Wolke kaum kritisch hinterfragt. ­Anders
verhält es sich bei wichtigen und persönlichen Dokumenten, die wir, obwohl sie eigentlich auch schon in der Wolke
liegen, immer noch auf externen Festplatten sichern.
Es versteht sich von selbst, dass dies auch auf dem Arbeitsrechner möglich ist. Besonders Microsoft treibt mit
Windows 8 die Verlagerung von Daten in die Cloud r­ adikal
voran. Der individuelle Computer-Desktop ist mobil geworden und nicht mehr an nur ein Gerät gebunden. Egal
vor welchem Monitor wir uns befinden, im Moment der
Anmeldung bei Windows 8 erscheint die persönliche Bedienoberfläche. Und deren Einstellungen sind natürlich in
der Cloud gespeichert. Altbewährte Programme werden
durch Applications ersetzt, so dass private Fotos und Filme
nunmehr glücklich auf Wolke 8 schweben. Wer benötigt
da noch riesige Festplatten?
Denken mussten wir 2012 immer noch selbst. Aber überlegen, ob wir das neueste Album bereits auf unser Smartphone gezogen haben, mussten wir nicht mehr. In welchem
Ausmaß sich Windows 8 massenkompatibel entwickelt,
werden wir 2013 besonders aufmerksam verfolgen.
43
ENTERTAINMENT
Tr effe rq uot e 2 012
60% RICHTIG
44
40% FALSCH
45
ENTERtainment
AUSBLICK
2013
URBANE ROMANTIZISMEN
EROBERN DIE KUNST
Ob der ständigen Reizüberflutung, die wir medial und in
unserem urbanen Leben erfahren, verlieren wir den Blick
für das Wesentliche, verlieren substantielle Werte aus den
Augen. Die Kunst hat darauf stets reagiert: zum Teil mit
Ironie, mit verstörenden Spiegelungen oder mit Kunstwerken, die die Inszenierungstechniken unseres alltäglichen Lebens aufdecken und bloßstellen. Oftmals fallen
diese Reaktionen laut, schrill und aggressiv aus. Dabei
zeichnet sich eine Tendenz ab, die vor a­ llem einen poetischen Moment des Innehaltens und der Reflexion befördert.
Künstler wie Robert Montgomery und Nils Shoe ­Meulman
machen es vor: Mit ihren schlichten Schriftzügen im urbanen Umfeld geben sie uns eine Poetik zurück, die weg
vom Schlüsselreiz und hin zum Essentiellen führt. Anstelle von Werbebannern sieht man G
­ edichte in graphischer
Perfektion an Bushaltestellen leuchten. Mit feuchtem
Besenstrich gemalte Kalligraphie springt uns als imperativische, zeitbasierte Kunst auf den Trottoirs der ­Metropolen
entgegen.
46
Diese Tendenz des Innehaltens und der Verzauberung in
der Kunst wird sich zu einem Trend entwickeln, der im
Selbstverständnis der Menschen eine neue Innerlichkeit
hervorhebt, die als Moment der Kontemplation im städtischen Raum installiert wird. Urbane Romantizismen
erobern 2013 die Kunst und unsere Städte!
ANIMATION GOES DOODLING
Dies ist eine Antithese zur Erfolgsstory von Pixar mitsamt
ihrer geschliffenen Hochglanzästhetik, die die Animation
der letzten Jahre wesentlich geprägt hat. Denn 2013 wird
die Animation wieder unperfekte, raue Bilder und Charaktere aufleben lassen. Darauf verweist bereits das Comeback von Beavis und Butthead − zwei der wohl h
­ ässlichsten
Typen der Fernsehgeschichte, die in simpelster Kritzelkunst
brillieren − im Jahr 2012. Auch I­ llustratoren und Künstler
aus dem Streetart-Bereich wie zum Beispiel Jay Howell
finden so den Weg in die ­Animation.
Howell, bekannt für seine grotesk fratzenhaften Zeichnungen aus der Punk- und DIY-Szene, arbeitet ­derzeit an
einem Cartoon für Nickelodeon, der voraussichtlich im
kommenden Jahr ins Fernsehen kommt. Auch Laurence
Hubbard, ein echtes Ghetto-Kid mit Hang zu derben, skizzenartigen Cartoons, plant derzeit eine F­ernsehanimation.
Deshalb sagen wir: Hochglanz und 3D-Erlebniswelt goes
Langeweile! 2013 wird Animation wieder handgemacht
und unperfekt, dafür aber viel charmanter und mit individueller künstlerischer Handschrift daherkommen. Und
so finden gerade Streetart-Künstler, die eine spezielle
eigene Ästhetik abseits der Gleichmacherei von Disney
und Co. pflegen, über die Animation 2013 den Weg in den
Mainstream.
SERIEN KOPIEREN DEN
REALISTISCHEN GESELLSCHAFTSROMAN
Bestes Beispiel ist die neue HBO-Serie »Girls«. Diese konstruiert auf dokumentarische Weise die Lebenswelt von
vier New Yorker Mädels zwischen unbezahlten Praktika,
Depressionen und instabilen Beziehungen.
Es wird ein vermeintlich realistisches Bild gezeichnet, das
weniger Farbe und mehr Narben aufweist. Musik ­fin­det
nur noch spärlichen Einsatz, der Plot wird von l­angen,
tiefschürfenden Unterhaltungen, die sich um die alltäglichen Probleme einer prekären Lebenswelt drehen, dominiert.
Euro-, Griechenland- und Schuldenkrise dürften einen
guten Nährboden abgeben, um diesen Stil auch in Kontinentaleuropa zu etablieren. Damit wird ein Hunger an
Realismus in die Serienkultur überführt, den wir b
­ ereits
aus dem 19. Jahrhundert und dem Gesellschaftsroman à
la Balzac kennen und der 2013 breitflächig die Bildschirme
erobern wird.
Vorreiter des neuen Realismus in Serien ist zweifelsohne
die britische Teenager-Serie »Skins – Hautnah«. Die bereits
im Jahr 2007 angelaufene Serie zeigt das Leben und die
Probleme von britischen Jugendlichen aus einer ­bewusst
rauen und scheinbar ungeschminkten Perspektive. Ausgezeichnet wurde sie zweimal von der British Academy
of Film and Television Arts. 2011 startete die Serie in einer
amerikanischen Adaption, wurde aber aufgrund eines
gesellschaftlichen Sturms der Empörung nach nur zehn
Folgen beendet. Dennoch hat dieses G
­ enre in Amerika
seine Spuren hinterlassen, und so ist ein rauer, unverklärter Realismus in der amerikanischen Serienkultur angekommen.
47
A.
B.
06.
MOB I L I T Ä T
75%
C.
48
49
MOBILITÄT
RÜCKBLICK
MOBILITÄT
T r e ffe rquote 20 12
2012
RECLAIM THE STREETS
Für 2012 hatten wir ein Wachstum der »Smart Planning«Bewegung vorhergesagt, welche sich mit der Entwicklung
von neuen Verkehrs- und Fortbewegungskonzepten
­befasst. Besonders Stadtbewohner haben nach neuen
Transportmöglichkeiten gesucht, um ihren Anteil an der
Umweltverschmutzung oder die Unterhaltskosten für ein
eigenes Auto zu reduzieren. Dabei haben sich Carsharing
und E-Bikes als die ­beliebteste Wahl erwiesen.
Fahrradfahren ist zu einem großen Trend geworden, der
weiterhin wachsen wird. Vom Fixie bis zur Rennmaschine
stellt dabei jedes Rad ein individuelles Statement zur
Persönlichkeit seines Besitzers dar, dessen Ansprüche an
Form und Funktion sich auf einem gleichwertig hohen
Level bewegen. In 2012 sind Fahrräder zum stilistischen
Accessoire geworden und wurden als Designklassiker
ausgezeichnet.
Der Boom des Carsharings hat sich zur ernst zu nehmenden Konkurrenz für öffentliche Verkehrssysteme und die
­private Nutzung von Kraftfahrzeugen entwickelt. Webbasierte Apps wie car2go, das Carsharing-Programm von
­Daimler, erleichtern den Zugang zu Carsharing-Systemen,
um unserem Bedürfnis nach Flexibilität noch besser entgegen zu kommen.
50
Wir hatten spekuliert, dass dieser Trend zu autofreieren
Städten, mehr Fahrradwegen und Urban Gardening führen würde. In einigen Vorzeige-Projekten, die sich auf
niedrigem Level etablieren konnten, ist dies auch eingetreten. Generell haben die Entwicklungen auf dem G
­ ebiet
der Mobilität jedoch noch keinen auffällig sichtbaren
Wandel in den großen Städten bewirkt.
Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass die Begrünung
unserer Städte in den nächsten Jahren weiter voranschreiten wird, nicht zuletzt durch die Reduktion von CO2produzierendem Verkehr.
DIE VIERTE DIMENSION
Das Auto wie wir es bisher kannten, hat auch 2012 vor
allem seine zwei Kernfunktionen erfüllt: Top Design von
außen und hohe Funktionalität von innen. Der ungebrochene Siegeszug des Internets hat sich noch nicht übergreifend auf den Automobilmarkt erstreckt. Obwohl sich
digitale Softwareanwendungen auch in der Automobiltechnologie stärker etablieren konnten, war es für eine
breite Adaption für den Endkonsumenten im letzten Jahr
noch zu früh.
Besonders die Annahme, dass das Auto zur veritablen
Entertainment-Box wird, kann nicht bestätigt werden.
Vernetzung im Automobil spielt zwar eine immer g
­ rößere
Rolle, jedoch zeigt sich hier, dass den Fahrern pragmatische
Themen wie Sicherheit und Orientierung in der Regel
wichtiger sind als Entertainment-Tools. Die zunehmende
Verbreitung von Smartphones verringert das Bedürfnis
nach weiteren technischen Spielereien im Auto zusätzlich.
75% RICHTIG
25% FaLSCH
Weiterentwickeln wird sich aber die eigenständige Kommunikation des Autos mit seiner Umwelt über direkte
Datentransfers, die einen konkreten Mehrwert für ­sicheres
und zielorientiertes Fahren bedeuten. Programme, die
automatisch bremsen steuern oder Wetter- und Verkehrsverhältnisse auswerten, um optimale Spritverbrauchs- und
Routenempfehlungen zu errechnen, b
­ ringen unsere Autos der Interkonnektivität ein großes Stück näher.
51
MOBILITÄT
AUSBLICK
2013
FORM UND INDIVIDUALITÄT
DER WEG IST DAS ZIEL
Die Lust am Reisen wird uns auch 2013 begleiten, doch
will niemand mehr bei Pauschalreisen von müden Reiseleitern herumgereicht werden. Noch weniger wollen wir
uns selbst in große Vorbereitungen stürzen, um so sicher
und durchgeplant wie möglich ans Ziel unserer Träume
zu gelangen. Der Roadtrip ist zurück, und der Weg ist das
Ziel! Diese alte Weisheit ist unser Urlaubsmantra für das
neue Jahr. Dass der berühmte Roman »Unterwegs« von
Jack Kerouac aus dem Jahre 1957 erst kürzlich in die ­Kinos
kam, ist kein Zufall. Das Buch gilt als Manifest der Beat
Generation, deren Hilfsmittel Sex, Drugs 'n' Jazz für Abenteuertrips allererster Güte sorgten.
Heute sind wir erfahrener und wissen, dass Drogen w
­ ahre
Einsichten nicht selten eher verschleiern als ermöglichen.
Für die aufgeklärten Weltbürger von heute wird daher das
Flanieren im Globalen Dorf zur Entdeckungsreise, die mehr
Tiefe und Erkenntnis verspricht, als es jeder Lonely PlanetReiseführer oder TripAdvisor-Eintrag zu vermitteln vermag.
52
Das Konzept ist nicht neu: In seinem »Passagen-Werk«
prägte Walter Benjamin in der Mitte des 20. Jahrhunderts
den Begriff des »Flaneurs«, eine literarische Figur der
­Großstadt, welche die Stadt erforscht, in dem sie sich in
eben dieser verläuft. Und auch der stadtsoziologische
Begriff des »dérive«, des bewussten Umherstreifens und
Sichtreibenlassens in der Stadt, ist so aktuell wie 1940, als
er von Guy Debord und der Gruppe der Situationisten
­geprägt wurde. Umwege erhöhen bekanntlich die Ortskenntnis. Das Sichtreibenlassen ohne Reiseführer, Führungen, Google Maps oder GPS erhöht die Chance, auf
Unbekanntes zu stoßen, auch dort wo vermeintlich schon
alles vermessen und kartografiert ist. Das ­Zufalls- wird
zum Entdeckungsprinzip.
Auf Reisen wollen wir nicht mehr im Hotel absteigen,
sondern Privatwohnungen behausen. Portale wie Airbnb
und Wimdu boomen. Couchsurfing war gestern, jetzt
gehört das fremde Reich einem ganz allein. Dass es bei
diesem Trend nicht nur um gespartes Geld geht, wird
­daran sichtbar, dass diese Portale auch Luxuslofts oder
ganze Villen anbieten. Wohnen wie der Zar in Moskau
oder die Präsidentenfamilie in D.C. – (fast) alles ist möglich.
Es ist der Voyeur in uns, der die neue Option schätzt, einen
direkten Blick in die Privatsphäre Anderer zu werfen. Ein
Trend, der auch den Erfolg des stetig wachsenden digitalen Wohnmagazins »Freunde von Freunden« erklärt.
­Persönliche Reiseberichte und Ansichten zählen mehr als
Reiseführer-Empfehlungen aus dem Bücherregal. Die
Anzahl der Reise-Blogger steigt, und Erfolge wie jene des
modernen Reisemagazins »Endless« sprechen für sich. Das
dient uns jedoch im besten Fall als Inspirationsquelle, denn
»selbst entdecken« lautet das Motto.
Unser neues Traumreiseziel ist Osteuropa! Die allzeit glänzenden südeuropäischen Länder Italien, Spanien und
Griechenland scheinen abgenutzt, schillern nicht mehr
allzu leuchtend im Dunst der Finanzkrise. Zu entdecken
gibt es hier scheinbar auch nichts mehr, denn jeder hat’s
ja schon gesehen. Die Abenteuerlust zieht ­viele junge
Reisende nach Osteuropa und in noch vom Krieg gezeichnete Regionen wie den Kosovo. Gelangweilt von den
immer gleichen Fassaden der Hotelketten an den Stränden
der Algarve oder Costa Brava, auf der Suche nach Authentizität, treibt uns die Sehnsucht nach Cevapcici und BalkanPop gen Osten.
Der Trend Fahrrad setzt sich fort, und das Leben drum
herum passt sich immer mehr an. Levi‘s entwarf 2012 die
Commuter-Jeans, ein Kleidungsstück, das eigens für Radler entworfen wurde: mit einer extra Schnalle für das
Schloss, gewebt aus wasserabweisendem und windfestem
Baumwollgemisch. Das Rad wird zum treuesten ­Begleiter
und darf sogar mit in die Wohnung. Dort inszenieren
Wandaufhänger das gute Stück wie ein ­Kunstwerk. Kaum
ein Städter verfügt über eine Garage, ­weshalb das Thema
Aufbewahrungsmöglichkeiten für Zweiräder in Zukunft
auch Möbel- und Wohnkonzepte maßgeblich mitbestimmen wird.
Im Bereich Streetstyle ist das Fahrrad zu einem aussagekräftigen Accessoire geworden. Zeig mir, was du fährst,
und ich sag dir, wer du bist. Es geht um den Ausdruck von
Individualität und Persönlichkeit. Der Bildband ­»Cycle
Style« (Prestel Verlag, Horst A. Friedrichs) ­porträtiert Londoner und ihre Bike-Couture, die in allen Farben, passend
auf das Vehikel abgestimmt, leuchtet. Fahrradcafés wie
das LookMumNoHands! sind beliebte Anlaufstellen für
jeden Cycle-Nerd. Dort gibt es neben dem Caffè Latte to
Go auf die Schnelle jede erdenkliche Schönheitskur für´s
Bike sowie Workshop-Angebote zum Self Service.
53
Ein noch junger Trend sind Räder aus nachhaltigen
­ aterialien wie Bambus oder Pappe, die sowohl durch
M
ihre Funktionalität als auch ihre Form überraschen. Sie
haben vor allem in ärmeren Ländern eine glänzende
Zukunft vor sich, da sie günstig in der Produktion und
leicht nachzubauen sind. 2013 gibt es unendliche Möglichkeiten, sein Fahrrad individuell zu gestalten. Lacke,
Materialien und Equipment setzen Akzente im grauen
Straßenalltag. Doch der wahre Fahrradliebhaber setzt bei
seiner Wahl ganz klar auf Qualität vor Quantität. Die DekoStatements ­bleiben dezent und heben sich gerade dadurch
von der Masse ab.
Individualität und Kreativität zeigen sich auch im Automobilbereich, wie jüngst in der eindrucksvollen Präsentation von Jeremy Scotts neuer Kreation für smart. Der
extrovertierte Modedesigner lässt dem flinken ­Stadtmobil
weiße Schwanenflügel wachsen und verweist damit auf
eine möglicherweise nahe Zukunft – auch wenn der Traum
vom Fliegen, besonders im e
­ igenen Auto, 2013 noch ein
Traum bleiben wird. Dass neue Formen möglich sind, wird
an Elektroautos sichtbar: Wo kein Kühler benötigt wird,
muss kein Hohlraum für diesen im Auto frei bleiben. Die
Ästhetik wird gewagter, Form und Farbe trauen sich etwas.
Dennoch orientieren sich Automobilhersteller weiterhin
primär an der Nützlichkeit für den Konsumenten. Der
­Hiriko Fold, ein einklappbares Elektroauto, das speziell für
kurze Strecken im Stadtraum konzipiert wurde, ist ein
Beispiel für ein solches Umdenken in Form und Anwendbarkeit. Neuerdings werden sogar Autos eigens für
­besondere Personengruppen entwickelt. Ein Arztauto
muss andere Bedürfnisse befriedigen als das eines Pendlers oder Malers. Damit beginnen Automobilmarken, sich
auch über individuelle Anforderungen zu definieren und
bewusst ihre Zielgruppen einzugrenzen.
54
MOBIL ÜBER ALLE GRENZEN HINWEG
Behinderungen stellen sich in diesem Jahrzehnt höchstens
noch als Behinderung im Denken der Gesellschaft dar.
Viele körperbehinderte Menschen können dank der
­technischen Entwicklung mit unterschiedlichsten Prothesen nahezu ihre alte Bewegungsfähigkeit zurückerlangen
oder sogar mobiler werden, als sie es ohne ­Behinderung
je waren. Vor allem behinderte Sportler führen vor, was
Hightech-Prothesen leisten können. Die Paralympischen
Spiele werden von einer breiten Ö
­ ffentlichkeit mit großem
Interesse verfolgt, weil es Staunen macht, wenn die ­Läufer
zum Teil schneller laufen, als ihre nicht behinderten Sportkollegen.
2012 machte bereits der Begriff des Techno-Dopings die
Runde. Mit modernen Prothesen schaffte es der beinamputierte Spitzensportler Oscar Pistorius bei den Laufwettbewerben der Leichtathletikweltmeisterschaften fast ins
Halbfinale – gegen Konkurrenten, die ganz t­ echnologiefrei
auf zwei Beinen unterwegs waren. Ende Dezember 2012
stellt er sich in Doha einem Duell mit ­einem Rennpferd.
Auch wenn der Ausgang dieses ungleichen Wettkampfs
vor Redaktionsschluss noch nicht ­bekannt war, ist allein
die Vorstellung abenteuerlich. Ein weiterer Star im Behindertensport ist der französische Schwimmer Philippe
Croizon, der bei einem Unfall beide Arme und Beine verloren hat. Er ist zum Rekordschwimmer geworden, weil
er mit Hightech-Schwimmflossen jede Meerenge dieser
Welt durchschwommen hat.
Noch müssen die Träger ihre Prothesen mit Muskel- oder
Motorenkraft bewegen. Schon in naher Zukunft k­ önnte
die Bewegung der künstlichen Gliedmaßen j­edoch
durch die direkte Verknüpfung mit dem ­Nervensystem
des Trägers hergestellt werden. Forschergruppen auf
der ganzen Welt arbeiten aktuell daran, dass sich Prothesen direkt per Gedanken d
­ irigieren lassen. Die G
­ renze
zwischen Mensch und Maschine verschwimmt immer
mehr. Was der Medien- und Performancekünstler ­Stelarc
in den 70er Jahren exemplarisch als technische Modifikationen am eigenen Körper vorführte, gehört 2013
schon fast zum Alltag. Anstatt die eigene Behinderung
­schamhaft zu verstecken, trägt man die technische
Errungenschaft und Erweiterung der körperlichen Kapazität heute stolz zur Schau.
Denn Prothesen sehen heute nicht mehr wie schlecht
nachgemachte Körperteile aus, sondern werden zum
Hightech-Element und Mode-Statement. Das männliche
Topmodel Mario Galla ist erfolgreich, weil er trotz oder
gerade wegen seiner Beinprothese auch als Catwalkmodel begeistern kann.
müssten. Dadurch werden die durch Drohnen gewonnenen Bilder und ­Nachrichten auch für die von finanziellen
Nöten ge­plagten Medien höchst i­nteressant. Mittlerweile lassen sogar schon Kinder ferngesteuerte und mit Kameras bestückte Ballons ins Weltall fliegen, um den dadurch veränderten Aggregationszustand von
Schokoriegeln, Space Twinkies genannt, zu testen.
Der Österreicherv Felix Baumgartner stürzte sich dank
fortschrittlicher und günstiger Transporttechnik, die für
Red Bull wohl aus dem Marketingbudget finanziert ­werden
kann, wagemutig aus der Stratosphäre der Erde entgegen.
So erweitert die Technik unsere naturgegebenen menschlichen Fähigkeiten immer mehr und versetzt uns in die
Lage, vormals unüberwindbare Herausforderungen unbeschadet zu bestehen. Prometheus hätte seine helle
Freude an uns gehabt!
Dass die Prothesentechnologie Menschen nicht nur
körperlich zum Vorteil gereicht, zeigt sich am Beispiel
von Robotertechnologien, die den Menschen mehr und
mehr ersetzen, wie etwa ferngesteuerte Drohnen. Seit
einiger Zeit ist dies ein heißes Thema u
­ nter Journalisten,
die sich damit wieder einen Überblick über ­Schauplätze
verschaffen können, die in ­Zeiten von gesteigertem
Sicherheitsdenken nur noch schwer einzusehen sind.
Technische Raffinesse und die Verkleinerung des Vehikels reduzieren drastisch Kosten, die ansonsten für einen
Helikopterflug samt ­Versicherung getragen werden
55
UBP
07.
ROI
USP
POS
POP
56
MARKE
87,5%
57
MARKE
RÜCKBLICK
2012
LEBT WOHL, SENDERMARKEN!
LOST IN SELECTION
Wir haben für 2012 nicht nur eine steile Entwicklung im
E-Commerce-Sektor vorhergesagt, den die Umsatzzahlen der Händler bestätigt haben, sondern auch auf eine
­verstärkte Beratung und Servicefunktion der Webauftritte
hingewiesen. Eben dieses qualitative Kriterium zeigte sich
2012 immer häufiger. Fashion-Portale wie Net-a-porter.com
oder Farfetch.com sind zu echten Magazinen gewachsen,
die Inspirationen zum Nachkaufen bieten. Dabei sind
Star-Styling-Stories und Runway-Berichte Garanten für
klingende Kassen.
Auch 2013 bauen Shops ihre Qualität und intensive Beratung weiter aus. Dazu kommen Social-Media-Kanäle wie
Facebook. Ein Want-Button ist in den USA in Erprobung.
Neben dem Like-Button bietet er die Möglichkeit, sich
eine eigene Shopping-Wunschliste anzulegen, die von
Freunden gesehen werden kann. Direkt kaufen kann man
damit noch nicht. Aber das Empfehlungsmanagement
wird immer persönlicher.
58
Ein weiterer Gigant, Ebay, präsentiert dieser Tage im
­ op-up-Shop in Europa, wie die Zukunft des s­ tationären
P
Handels in Verlinkung mit den Online-Marktplätzen funktioniert. Die Beratung übernimmt hier der stationäre Handel,
der dafür am Umsatz beteiligt wird. Und alles nur, damit wir
uns in Zukunft nicht in der Auswahl des Internets verlieren.
GOODBYE 360 GRAD
Auch wenn sich die Strategen einig waren, dass Marken
ihre Kommunikation gezielter anwenden sollten, hat es
an großflächigem Output im letzten Jahr nicht gemangelt.
Die meisten Marken setzen weiterhin auf eine falsche
360°-Kommunikation, und tatsächlich gibt es immer noch
Marken, die die Umstellung erst noch vollziehen. Eigene Blogs, Facebook- und Twitter-Accounts nutzen die
Strategen weiterhin, um ihre für die Klassik fabrizierten
Kampagnen eins zu eins in neue Kanäle zu hacken. Alles,
um Umsätze und das Markenimage zu steigern, egal,
ob es sich um entlarvende Werbung auf Facebook oder
gekaufte Fans handelt.
Doch Image lässt sich nicht allein an Zahlen messen. Eine
zielgruppenorientierte Marketingstrategie sollte anders
aussehen, denn zu viel Output führt zu Übermüdungserscheinungen – beim Kunden und beim Markenimage.
Zielgruppensegmentierung ist hier das Zauberwort, und
es funktioniert, wie man am Beispiel Pinterest sieht, auch
als Money-Generator. Das Faible für schöne Produkte von
reichweitenstarken Pinterest-Nutzern kann man sich sehr
leicht zu Nutze machen. Aber nur, wenn man Kanal und
Needs verstanden hat. User der Picture-Sharing-Plattform
geben nämlich gerne Produktempfehlungen für andere
und verlinken diese zu Onlineshops. Eine wahre und vor
allem erfolgreiche Bild-Propaganda.
Der größte Gegner sinnvoller Kommunikation bleibt aber
weiterhin die Dominanz der breitflächig agierenden Werbeagenturen und ihrer Media-Lobby. Das heißt für Marken,
dass sie ihre Botschaft gezielt kommunizieren sollten, statt
sie großflächig zu streuen.
Erst die Ankündigung von Youtube in das Fernsehgeschäft
mit Digitalkanälen einzusteigen. Dann der Skandal um die
Wahr- und Sittenhaftigkeit der Senderikone BBC. Deutlicher
können die Verwerfungen kaum zusammen hängen. Und
doch handelt es sich um einen schleichenden Prozess.
Zwar weist Google die illegalen Streaming-Plattformen
in den Top-Rankings der Suchbegriffe auf, aber natürlich
verharrt der Fernsehkonsum auf bekannten Sendermarken und Online-Angeboten. Aber wenn wir die Jugend
in den USA als Trendbarometer heranziehen, ändert sich
hier auch bald in Europa viel: Laut der Studie »Primetime
TV 2004-2012« haben vor vier Jahren noch 82 Prozent der
13- bis 32-jährigen Amerikaner linear Fernsehen geschaut,
2012 nur noch 57 Prozent.
Auch die Qualität, die sich Sender in ihrer Eigenwerbung
auf die Fahne schreiben, scheint dem Konsumenten immer
häufiger egal zu sein. Das Motto »Lieber freibestimmt
umsonst als zeitgebunden in hoher Qualität« zeigt sich
in den Verweildauern auf Bewegtbild-Beiträgen im Social
Web und auf illegalen Streaming-Plattformen.
59
MARKE
Tr effe rq uot e 2 012
MARKE
AUSBLICK
2013
TRUST IS THE NEW CURRENCY OF ECONOMY
Unternehmen und ihre Botschaften wurden 2012 einem
Reality-Check unterzogen: Kampagnen von H&M, Dior
oder Lancôme wurden aufgrund ethischer ­Vorbehalte
öffentlich kritisiert und in der Folge teilweise vom Markt
genommen, und H&M´s tiefbraune Bikini-Models riefen
sogar die Krebsliga auf den Plan. Die Folge war ein Ansehens- und Vertrauensverlust seitens der Konsumenten.
55% RICHTIG
45% FALSCH
Internationale Studien zeigen, dass das Vertrauen in die
Wirtschaft nachhaltig erschüttert ist. Laut der Gesellschaft
für Konsumforschung (GfK) ist der Consumer Confidence
Index für das Kundenvertrauen in den USA bereits eine
börsenrelevante Information.
Im gemeinsamen Konsumieren, der »collaborative consumption«, zeigt sich, dass Vertrauen ökonomischen Erfolg
positiv beeinflusst: Ob Airbnb, Ebay oder Etsy – all diese
Foren basieren auf »virtual trust« und damit auf Vertrauen
und Transparenz zwischen völlig Fremden. Auch der Erfolg
von Crowdfunding-Plattformen weist in die gleiche Richtung. Vertragstreue macht aus einfachen Konsumenten
Micropreneure mit ökonomischem Erfolg.
60
Wenn Brands die Vertrauenskrise zwischen sich und ­ihren
Konsumenten überwinden wollen, ist qualitatives Wirtschaften notwendiger denn je. So kämpfen Kon­zerne wie
H&M mit ihrer Recyclingaktion (Bring deine alten H&MStücke zurück, und du erhältst einen ­Einkaufsgutschein)
an den unterschiedlichsten Fronten ­gegen die ­wachsende
Kritik von Konsumenten. Markenkommunikation muss
daher gut durchdacht sein, sonst verlieren Marken durch
Kampagnenplattformen, Bewertungsportale und Kommentarfunktionen ihren zentralen Wert: Vertrauen.
PRESUMING - MEINUNG IST GOLD
Die Erwartungshaltung vieler Konsumenten basiert h
­ eute
größtenteils auf drei Säulen: Sie wollen möglichst die
Ersten sein, die von einem Produkt erfahren, der Gegenstand des Interesses darf nur das Beste vom Besten sein
und dabei wollen sie so individuell wie möglich behandelt
werden. Durch die allgemeine Akzeptanz von Crowdsourcing-Plattformen und den Zugang zu herausragenden,
neuartigen Herstellungstechnologien wie der 3D-Drucker,
sind Konsumenten mehr und mehr auch Presumers. Die
61
TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER
neue Generation der Konsumenten, die sich schon vor
der Markteinführung mit Produkten und Services auseinandersetzt, gewinnt 2013 in wachsendem Maße und in
der Breite an Einfluss. Egal, ob als Entwickler des perfekten
Produkts oder als passionierte Unterstützer und Befähiger
– Presumers lieben es, mitzumachen. Druck zu machen,
Zeit und Ideen zu investieren oder neue Dienstleistungskonzepte anzupreisen, gilt gerade dann als schick, wenn
Produkte und Dienstleistungen noch nicht im f­ reien Verkauf erhältlich sind.
Davon profitieren vor allem Crowdfunding-Plattformen,
die alle Arten von Projekten hosten, Nischen-Formate mit
Fokus auf kulturelle Angebote genauso wie klassische
Start-Up-Plattformen (kickstarter, crowdfunding oder
startnext), die 2012 schon 2,8 M
­ illiarden US-Dollar generiert hatten, bevor ein Produkt oder eine Dienstleistung
das Licht der Welt erblickte.
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Große Marken reagieren auf diesen Trend immer häufiger
mit Ausschreibungen zur Bewertung oder zur Ideen-Findung. Die dadurch gewonnenen Daten vereinfachen es
herauszufinden, was die Konsumenten wirklich wollen.
Das bedeutet das Ende von Annahmen hin zur klaren
Auswertbarkeit von Fakten, die Marken für sich zu nutzen
lernen sollten. Zara sammelt diese Daten zum Beispiel bei
Kundenbefragungen direkt im Store.
2013 bedeutet das für die Marken, sich vermehrt auf die
Stimmen der Konsumenten zu besinnen und neue Konzepte für die direkte Ansprache der Kundschaft vor Verkaufsstart zu etablieren. Voraussetzung für den Erfolg
einer Marke ist ein tieferes gegenseitiges Verständnis von
Kunden und Produzenten, um so besser auf Kundenwünsche reagieren zu können.
Der langjährige Claim von Nokia »connecting people«,
büßte in den vergangenen Jahren an Format und Bedeutung ein. Denn der Apple-Konzern war es, der dem
­ehemaligen Marktführer Kunden mithilfe innovativer
Technologie abwarb. Und das, obwohl Nokia zum Start
des iPhone noch mehr Mitarbeiter im Bereich ­Forschung
­beschäftigte als Apple insgesamt. Dann kam der Hype um
Smartphones, und Nokia war nicht dabei.
Oftmals nicht dabei war in den letzten Jahren auch ­Micrsoft.
Dies wird sich nun durch die Markteinführung von
­Windows 8 ändern: Windows 8 schafft ein ganz ­neues
Arbeiten. Nicht mehr mit Programmen, seien sie auch als
Apps getarnt, sondern mit »Interessens-Kachelfeldern«
arbeitet die Software. Und das ist nutzer­freundlich. Wer
schon mal das Microsoft Surface in der Hand gehalten hat,
weiß, was am iPad stört.
Die neuen, positiv-bunten Microsoft-Stores in den USA
wirken nicht etwa wie ein schlechtes Plagiat der ­legendären
Apple-Stores, sondern wie eine moderne, fröhliche Kopie.
Dabei wird klar: Der Apfel fault. Zu überambitioniert und
strapaziert wirkt der Konzern bei dem Versuch, auch nach
dem Tod von Steve Jobs auf allen bekannten Feldern die
Konkurrenten auf Abstand zu halten. Denn die Revolutionen sind vollzogen. Die Evolution schafft vorhersehbare
Produkte. Und der User, der im Mittelpunkt stand, wird
heute ausspioniert, geknebelt oder in die Irre geleitet. Wer
heute noch ­»think ­different« sein will, tut das nicht mehr
mit dem Mobiltelefon oder Laptop. Und schon gar nicht
mehr über Apple.
Die entstandene Lücke schließen 2013 nicht nur Google
und Samsung, sondern vor allem Nokia und Microsoft.
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A U TO R
Seit 2004 kommuniziert K-MB Marken für Unternehmen in Deutschland, Europa und weltweit. Die
Agentur arbeitet für stilprägende Marken der Konsumwirtschaft wie Mercedes-Benz, smart,­
ABSOLUT Vodka, Coke Zero, ­Amazon, ­DRYKORN, Lee, Leineweber/Deyk, BoConcept, Jameson,
Ramazzotti, Vans u. v. m.
Aktuelle Informationen zu Agentur und Kunden finden Sie unter:
www.k-mb.de
Wenn Sie sich für die Arbeit von K-MB interessieren, nehmen Sie doch einfach Kontakt zu uns auf:
Per Mail an [email protected] oder telefonisch unter +49 (0)30 69 59 72 80.
Den Trend-Check 2014 können Sie ab Januar 2014 bei uns bestellen.
K-MB Agentur für Markenkommunikation GmbH
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www.bikadi.de
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