Trendreport 2013 - K-MB
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Trendreport 2013 - K-MB
MORE OF LESS TREND-CHECK 2013 D E R TR E N D-C H E CK Zum achten Mal stellt K-MB seinen Trend-Check für das neue Jahr vor. Wir haben uns für 2013 wieder auf die qualitative Recherche begeben und viele Interviews weltweit geführt, um die wichtigsten Trends in den K ategorien MARKE, ENTERTAINMENT, MODE, DIGITAL, MOBILITÄT, MUSIK und GESELLSCHAFT auf die folgenden Seiten zu bannen. Wir sind davon überzeugt, dass die vorliegenden Thesen wichtige Parameter stellen, um Markenkommunikation am Puls der Zeit zu prägen. Wir wollten genau wissen, wohin die Konsumkultur 2013 steuert und teilen dieses Wissen gerne! Dabei verlassen wir uns aber nicht allein auf unser eigenes Trendgespür, sondern sprechen gezielt unser weltweites Netzwerk von Meinungsführern aus verschiedenen Bereichen an. Mittels Leitfadeninterviews befragten wir über mehrere Wochen im Oktober/November 2012 Journalisten, Kreative, Netzwerker, Shopbesitzer, Scouts, Clubbetreiber und andere Zeitgeister zu den aktuellen Veränderungen und Themen der Konsumkultur. Entstanden sind daraus 22 Ausblicke auf das Jahr 2013. Darüber hinaus wagen wir wie immer auch einen kritischen Rückblick auf unsere Thesen aus dem letzten Jahr und evaluieren, ob und in welchem Maße diese eingetroffen sind. Denn manche Trends sind Langstreckenläufer, und oft stellen wir fest, dass unsere Vorhersage zu früh war. Am schönsten ist es natürlich, wenn die alten Ausblicke eingetroffen sind und vielleicht sogar schon zum Mainstream gehören. Andere Trends wiederum boomen nie oder verglühen schnell. Der diesjährige Trend-Check bietet einen fokussierten Leitfaden, um im Dickicht der Kommunikationsbotschaften die Leitthemen von morgen zu identifizieren. Viel Spaß beim Lesen! 3 0 0. I N H A LT 0% 9,4% 12,5% 25% 37,5% VORWORT 6 50% 62,5% 75% 87,5% 100% 04. MUSIK 32 01. GESELLSCHAFT 8 03. MODE 24 07. MARKE 56 05. ENTERTAINMENT 40 02. DIGITAL 16 06. MobiliTÄT 48 Autor 64 VOR WORT MEHR VON WENIGER Alles ist jetzt ultra, alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich selbst mehr wirklich, niemand begreift das Element, in dem er schwebt und wirkt. Junge Leute werden vom Strudel der Zeit fortgerissen. Dem Reichtum und der Schnelligkeit gilt die Bewunderung und das Streben der Welt. Die Menschen reagieren, indem sie sich mit neuen Formen der Kommunikation gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, indem sie sich überbilden und letztlich in der Mittelmäßigkeit verharren. Wir kennen es nur zu gut: Hunderte von Emails prasseln an jedem durchschnittlichen Arbeitstag auf uns ein. Neue Einträge auf Facebook und Twitter verlangen unsere sofortige Aufmerksamkeit. Und alle paar Minuten vibriert das Telefon, um uns über just eingegangene Nachrichten auf dem Laufenden zu halten. Kein Wunder, dass es bei einem derartigen Informationsbombardement kaum noch jemandem gelingt, sich länger als ein paar Minuten am Stück auf anspruchsvollere Aufgaben zu konzentrieren. Wehklagen über die zunehmende Beschleunigung der Welt ist jedoch keineswegs erst seit dem Aufkommen digitaler und mobiler Kommunikationsformen zu vernehmen. 6 Im Gegenteil, es ist − wenn man sich das nur minimalinvasiv an heutige Sprachgewohnheiten angepasste Eingangszitat dieses Textes anschaut − ein ziemlich alter Hut. Die Zeilen stammen von Johann Wolfgang von Goethe, der sich bereits 1825 über die wachsende Kurzatmigkeit seiner Zeit beklagte. Auch 2012, knappe zwei Jahrhunderte, nachdem Goethe das Aufkommen von Dampfschiffen, Eildepeschen und Eisenbahnen bedauerte, war der allgemein empfundene Zeitmangel und die Klage darüber groß. Dabei h aben wir faktisch betrachtet mehr freie Zeit als je zuvor. Niemand zwingt uns, die Vibrations- und Signalmöglichkeiten unserer Smartphones auszunutzen bzw. deren Abschaltbarkeit zu ignorieren. Unsere sozialen Netzwerke bleiben auch dann bestehen, wenn wir sie vorübergehend sich selbst überlassen. Und sogar Email-Programme lassen sich ausschalten, ohne dass dadurch auch nur eine Nachricht verloren ginge. Der effiziente Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln war 2012 ein immer wiederkehrendes Thema. Das Ziel: die technischen Möglichkeiten beherrschen, anstatt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Natürlich: Der Informationsozean wird weiter anwachsen. Nur haben wir mittlerweile begriffen, dass die Navigation durch ihn hindurch und damit das Erreichen unserer Z iele in unserer eigenen Hand liegt. Und tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass die Eingewöhnungsphase, die nötig war, um Routine im Umgang mit den Neuen Medien zu entwickeln, so langsam vorbei ist. Der Glanz oberflächlicher Nachrichten und Inhalte, die sich vor allem durch die Geschwindigkeit auszeichnen mit der sie erscheinen und ihrerseits wieder ersetzt werden, ist mit abnehmender Faszination ein gutes bisschen stumpfer geworden. In diesem Trend-Check möchten wir aktuelle Erschein ungsformen eben dieser Entwicklung untersuchen. Mit wachsender Erfahrung im Umgang mit digitalen Inhalten lernen wir, Qualität wieder höher zu gewichten als Quantität − und erstere aus dem »Ozean an Informationen«, wie Nam June Paik das Internet einst beschrieben hat, gezielt heraus zu filtern. Der übergeordnete Trend lautet: MEHR VON WENIGER. Was weniger im Sinne einer unambitionierten Genügsamkeit als vielmehr als Konzentration auf das Wesentliche zu verstehen ist, als eine Aufmerksamkeitsverlagerung in Richtung der Dinge und Inhalte, die uns wirklich voranbringen. 7 A. B. 01. GESELL SCHAFT 12,5% 8 9 GESELLSCHAFT RÜCKBLICK 2012 KOMPETENZ SCHLÄGT TITEL Wir hatten vorhergesagt, dass sowohl unsere politischen Führer als auch unsere Privatkontakte im Jahr 2012 mehr für ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten gewertschätzt werden würden als für bloße Titel und Namen. Leidenschaft und die Bereitschaft, Dinge anzupacken und zu erledigen, würden sich gegenüber bloßem Maulheldentum durchsetzen. »Walk the walk, don‘t just talk the talk!« – wie die Dinge so laufen, müsste man eingestehen, dass eine Bewertung dieser Vorhersage vor der Katastrophe von Hurrikan S andy schlicht vernichtend ausgefallen wäre. Politische Ränkespiele scheinen höher im Kurs zu stehen denn je, die Menschen anfälliger zu sein, auf den nächsten Hype hereinzufallen, als je zuvor. Aber mitunter bringen ungeahnte Herausforderungen ungeahnte Charaktermerkmale hervor, und die Sturmschäden in New York und New Jersey machten etwas möglich, was auf rein politischer Ebene seit Jahren un erreichbar schien: Einige der größten Demagogen und Polemiker beider politischer Lager bekannten Flagge, krempelten die Ärmel hoch und reichten sich die Hand. 10 MINIMALISIERUNG DER MASSEN Im Zuge dieser seltenen Einvernehmlichkeit konnte O bama sich als effektiver Krisenmanager etablieren und seinem Rivalen Mitt Romney dank eines Sturms ordentlich Wind aus den Segeln nehmen. Er kam und sprach mit den Sturmopfern und gab ihnen die Hoffnung und den Glauben an sein Kernversprechen des Wandels zum Besseren zurück. Wäre es nicht schön, wenn solche Leistungen und uneigennützige Zusammenschlüsse in Zukunft hin und wieder auch ohne Naturkatastrophen gelängen? 2012 sollte das Jahr werden, in dem wir die Flut nutzloser und sich ewig wiederholender Informationen endlich unter Kontrolle bekommen, die sich zu jeder Tageszeit aus allen Winkeln der analogen und digitalen Welt auf uns stürzen. Wir würden löschen, optimieren, aufräumen und genauer darauf achten, was wir selbst in die Welt hinaus sendeten. Wir mögen zwar noch nicht dazu gekommen sein, all die Apps zu löschen, die wir ja doch nicht benutzen, geschweige denn dazu, uns ein wirkliches Konzept zu überlegen, welche Informationen wir nach welchem Prinzip mit anderen teilen wollen. Aber wir haben tatsächlich gelernt, die tägliche Informationsflut besser zu beherrschen und effektiver auszuwerten. Ein Aspekt dieser Prognose stellte sich als zutreffend heraus – »everybody wants to be and stay relevant«. Das Aufkommen an Blogs, Web-Stores und Foren schien 2012 geradezu zu explodieren. Die Menschen beackerten ihre Instagram-Accounts, als würden sie sich damit bei der Bildredaktion der Vogue bewerben wollen. Die Blogger mit den meisten Followern wurden als »It-Kids« verehrt und mit eigenen Werbekampagnen von großen Marken belohnt. Die Konsumenten zeigten Verantwortung gegenüber der Netzgemeinde, indem sie sich bemühten, akkurate Bewertungen und Kritiken von allem nur Erdenklichen zu verfassen und veröffentlichen − von Beauty-Produkten über Frisörsalons bis hin zum neuesten Sushi-Restaurant und dem örtlichen Akkupunkteur war kaum ein Produkt oder Service von der kollektiven Bewertungswut ausgeschlossen. Die Netzgemeinschaft schloss sich außerdem zusammen, um die Welt in chaotischen Zeiten mit akkuraten Nachrichten auf dem Laufenden zu halten. Mittlerweile beziehen viele Leute aktuelle Infos zum Weltgeschehen eher via Twitter denn via CNN. 11 GESELLSCHAFT T r e f f erq uot e 2 012 60% RICHTIG 40% FALSCH 12 13 GESELLSCHAFT AUSBLICK 2013 JEDER IST EIN KURATOR In jüngster Zeit wird mit dem Begriff des Kuratoren derart inflationär herumgewedelt, ohne jegliche Anerkennung der Ausbildung und Erfahrung, die dieser Titel traditionell voraussetzt, dass einem Angst und Bange werden kann. Bis vor Kurzem wurde das Kuratorium in der Regel mit Institutionen, Gallerien und Museen assoziiert − Einrichtungen von hohem Prestige, ausgestattet mit edlem Bildungsauftrag. Ein Kurator war als Spezialist auf seinem Feld angesehen, ein Auserwählter, der täglichen Umgang mit Gegenständen von historischem Wert pflegte, mit unbezahlbaren Kunstwerken und heiß gehandelten Sammlerstücken. Heutzutage scheinen Studienabschluss, Promotion und Dissertation irrelevant, zu inhaltsleeren P apierdokumenten geworden zu sein. Immer mehr Menschen verleihen sich den Titel des Kurators kurzerhand selbst und verweisen dabei weniger auf Ausbildung und Qualifikationen als vielmehr auf Beispiele dereinst geleisteter Arbeit. U nser Wertesystem hat sich gewandelt, und die Tauglichkeit einer Person für eine bestimmte Aufgabe wird zunehmend an Coolness und Connections festgemacht. Der Frau, die einen Doktortitel in Kunstgeschichte vorweisen kann und Ausstellungen in der Nationalgalerie kuratiert, kommt mitunter weniger Anerkennung zu als dem Typen, dessen Blog über zwei Millionen Follower hat und 14 Der Wert eines Kurators oder einer Kuratorin misst sich daran, wie viele »Likes« oder »Shares« ihr jeweiliges Image bekommt, eine Entwicklung, die sich auf Postmodernisten wie Richard Prince und Sherry Levine zurückführen lässt, Künstler, die die heutige Generation von Anything-GoesKulturconnaisseurs erst möglich gemacht haben. WIEDERENTDECKUNG der aufgrund seiner kuratorischen Expertise eine Kollaboration mit der angesagtesten Retailkette vorweisen kann. Jeder mit besonderen Vorlieben in punkto Geschmack, Ästhetik und Lifestyle kann sich heutzutage als Kurator bezeichnen, was dazu führt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der modernen Netzgesellschaft seine Zeit damit verbringt, anderer Leute Bildmaterial aufzuspüren und für den eigenen Blog, die eigene Website zweckzuentfremden. Teil des Wahrnehmungswandels bezüglich der Wertschätzung des Kuratorentitels lässt sich auf die Reaktionsgewohnheiten der Masse zurückführen. Unsere moderne Gesellschaft ist vielschichtig miteinander verwoben, und Anerkennung einer Zielgruppe lässt sich verlustfrei in gesteigertes Selbstwertgefühl übersetzen. Selbst Kanye West lässt via Twitter verlauten: »If I had to be defined at this point I'll take the title of an inventor or maybe curator« − Wenn ich mich im Moment beschreiben lassen würde, dann am ehesten als Erfinder oder vielleicht als Kurator. Von der Mode über die Musik bis hin zum Design entdecken die Leute die guten Ideen früherer Zeiten neu und interpretieren sie um, oder sie entdecken vermeintlich Brandneues; Dinge, die es eigentlich immer schon gegeben, von denen aber noch nie jemand etwas gehört hat. Was die Musik betrifft, so bietet das Internet als allumfassendes »Archiv« Zugang zu Aufnahmen, die als längst veschollen galten. Und die Allgegenwärtigkeit von Labels lässt selbst diese vergessenen Perlen auf den Plattentellern angesagter Clubs landen. Die Blogger Chances with Wolves spielen den funkigsten, freakigsten Soul und R‘n‘B, den wir je gehört haben und der selbst im gut sortierten Plattenladen kaum zu finden sein dürfte. Sie suchen nach versteckten Juwelen, um diese dann ihrer erlesenen Kundschaft zu kredenzen.Was die Mode betrifft, befinden wir uns inmitten eines interessanten Neunzigerjahre-Revivals (ein durchaus bedauerlicher Umweg) − aber wer weiß schon, womit die Designer als nächstes um die Ecke kommen? Wie wäre es mit den Neunzigerjahren des 17. Jahrhunderts? Kulinarisch studiert die Koch-Avantgarde traditionelle nationale Küchen verschiedenster Couleur und stellt diese im Anschluss komplett auf den Kopf. Das Ergebnis ist eine vollkommen neuartige Cuisine, wie sie zum Beispiel das Mission Chinese in New York bietet oder das dänische Restaurant NOMA, das seine Philosophie folgendermaßen beschreibt: »Im Bestreben, unsere Art des Kochens neu zu definieren, beschäftigen wir uns eingehend mit Zutaten und Kultur und hoffen, gleichzeitig unsere Geschichte neu zu entdecken und unsere Z ukunft zu gestalten. « Der Blick zurück soll einen Vorsprung im Sinne eines »Ich hab‘s zuerst gesehen«-Claims bewirken, letztlich dreht sich beim Prinzip des Wiederentdeckens aber alles um Inspiration. BERUFLICHE FLEXIBILITÄT Die große Mehrheit neuer Jobs, besonders auf dem Feld der Neuen Medien, verlangt den Beschäftigten eine Vielzahl an Aufgaben, Leistungen und Spezialisierungen ab, gleichzeitig hält niemand mehr ein und denselben Job ein Leben lang. Technologien und Ansprüche ändern sich im Rekordtempo, Berufsfelder verschmelzen, und die Menschen müssen den sich stetig wandelnden Anforderungen mit größtmöglicher Flexibilität begegnen. Besonders auf dem Feld der Online-Medien genügt es nicht mehr als Redakteur, Videograph, Journalist oder Layouter zu arbeiten − du musst jetzt all dies gleichzeitig sein! Als Hüter vielfacher Leidenschaften verfügen wir über einen größeren Erfahrungsschatz und mehr spezifisches Wissen als der Großteil der Gesellschaft. Nähern wir uns einem Problem, dann hilft uns diese Vielseitigkeit, einen Lösungsansatz zu erarbeiten. Die Fähigkeit, sich aus anderen Interessensfeldern zu bedienen, erhöht unsere Chance, Lösungen zu finden und macht uns attraktiv für findige Arbeitgeber. Für 2013 empfehlen wir deshalb, so schnell wie möglich so viele verschiedene Dinge wie möglich zu lernen, um beruflich auf der Höhe der Zeit zu bleiben. 15 HERZ 1 2 3 KOPF 4 5 6 02. 7 8 9 10 11 GEIST D I G I T AL 25% U 01 7885593 01. EINGABE U 34 33484903 02. AUSGABE 16 17 DIGITAL RÜCKBLICK 2012 BLOGGER: VOM EINZELKÄMPFER ESTABLISHMENT ZUM Um einige der reichweitenstärksten Blogs haben sich nicht nur Redaktionsteams gebildet, sondern auch Agenturen und Produktionsfirmen. Solche Agenturen können neben ihren Dienstleistungen nun auch i mmer gleich ein eigenes Kommunikationsmedium inklusive vorhandener Zielgruppe anbieten. Blogger, die neben einer lesbaren Schreibe auch ihre audio-visuelle Kompetenz unter Beweis gestellt haben, bieten diese Leistung nun auch als Auftragsarbeit an. Zu beobachten war aber auch die Tendenz der Verwässerung und Kommerzialisierung der Botschaften und BlogInhalte durch einen zu starken Fokus auf unspezifische Themen und Businessmodelle. Dies bringt einen Verlust von Authentizität und führt somit zum Einbruch der Reichweite. 18 NEARFIELD COMMUNICATION TELEVISIONÄRES ENGAGEMENT LIGHT FIELD KAMERAS Die Nutzung von mobilen Endgeräten steigerte sich im Jahre 2012 enorm. Im Zuge dessen erhöhte sich auch ihre Funktionalität, und Technologien wie Near Field Communication gewannen an Einfluss. Wir haben für 2012 vorhergesagt, dass sich der Zuschauer seine Programme zunehmend im Social Web selbst zusammenstellen würde. Sieht man aber mal vom Drücken der Fernbedienung ab, konsumieren die meisten Menschen ihr TV Programm weiterhin vergleichsweise passiv. Radikale Innovationen haben es nicht einfach: Zwischen Top oder Flop gibt es kaum Platz. Die plenoptische Kamera Lytro verfügt über einen Multischärfebereich, der es erlaubt, die Bilder erst nach der Aufnahme scharf zu stellen. Eigentlich eine Revolution, denn damit würden uns in auch noch so angeheitertem Zustand Magnum-verdächtige People Shots auf Partys gelingen. Mobile Payment ist besonders im Aufstieg begriffen: In den nächsten Monaten wollen 20 Staaten Near Field Communication zur bargeldlosen Bezahlung einführen, und die Nutzung von Apps für das Mobile Banking ist seit 2010 um 45 Prozent gestiegen. Das Thema Mobile Shopping wird 2013 zum Mainstream. Dieser Entwicklung passen sich zukunftsdenkende Unternehmen an und entwickeln passende Apps dafür. Die Firma iZettle bietet einen Service an, der besonders für Einzelhändler und Kleinunternehmer spannend sein dürfte. Hier wird zusätzlich zur App noch ein spezieller Chip-Card-Reader ans Smartphone angeschlossen und ersetzt somit die klobigen und altmodischen Kartenlesegeräte. Kunden können so schnell und bequem für ihren Einkauf zahlen, egal ob sich der POS auf einem Messestand oder auf dem Farmers Market befindet. Ob sie diese Möglichkeit jedoch in Zukunft weiterhin haben, ist ungewiss. Denn 2012 waren Sender und Moderatoren sehr interessiert daran, direktes Feedback der Zuschauer auf den eigenen Web- oder Facebook-Seiten in den Sendungen zu thematisieren. Das war aber nur der Anfang. Wir sind gespannt, welche interaktiven Fernsehshows sich 2013 als erste am Markt behaupten werden. Dennoch hat es der neue Digitalprometheus 2012 nicht geschafft, sich breitenwirksam zu etablieren. Das mag an Lieferschwierigkeiten, am Preis oder an der noch nicht ganz ausgereiften Technik liegen. Vielleicht war es auch die ungewohnte Form der Kamera, die mehr einem Kaleidoskop aus dem Kinderzimmer ähnelte, als einer ernstzunehmenden Technikinnovation. Nächster Versuch: 2013. 19 DIGITAL Tr effe rq uot e 2 012 DIGITAL AUSBLICK 2013 MOBILE FIRST T r ef f erquote 2012 7 0% RICH T IG 30% FALSC H Webdesigner und Programmierer zwitschern die Vorzüge von responsivem Webdesign schon länger aus ihren Kreativlaboren. Stießen sie bei Marken und etablierten Verlagshäusern bis vor Kurzem noch auf taube Ohren, bemerken die User inzwischen eine große Veränderung im Bereich der Bildschirmanzeige. Websites und deren Designs passen sich automatisch der Größe der Screens an und funktionieren damit auf Laptops, Tablets und anderen mobilen Endgeräten. Der nächste Schritt kommt 2013: Näherte man sich bisher dem Ursprung eines Webdesigns auf Formaten wie einem LaptopBildschirm, ist nun ein Umdenken auf die kleinsten Dimensionen im Gange. Immer seltener werden beispielsweise Platten oder CDs gekauft. Musik wird digital konsumiert. Es ist dementsprechend klar, dass ein Plattencover vor allem auch auf einem mobilen Gerät gut w ahrnehmbar sein muss – im Briefmarken-Format allerdings. Die kleine Fläche eines Smartphone-Displays erlaubt nur die wesentlichsten Inhalte und Navigationselemente anzuzeigen. Sidebars und Menüs mit endlosen Zielorten finden keinen Platz. 20 Die daraus entstehenden Vorzüge setzen sich jetzt wiederum für größere Bildschirmformate durch. Es etabliert sich eine Reduktion auf das Wesentliche. Das Prinzip von Mobile First schafft Platz für Informationen, große gut lesbare Schriften und spaltenbreite Bilder. Eine intuitive Navigation kombiniert mit der Verlinkung von verwandten Artikeln lassen dem Nutzer viel mehr Handlungsspielraum und laden ihn gleichzeitig zum längeren Verweilen auf der Seite ein. COMMUNICATION WITH YOUR HARDWARE Dem Internet der Dinge kommen wir 2013 ein großes Stück näher. Der Informationsaustausch durch und mit dem Internet wird auf das nächste Level gehoben und erreicht die realen Dinge in unserer Umwelt. Ob fahrerlose Transportsysteme oder die Verwaltung unserer Häuser und Wohnungen von unterwegs – die Zukunft wird virtuell. 21 SPIEL DIR DEIN LEBEN 2013 wird das Jahr, in dem die Verbindung von Alltagsgegenständen mit dem Internet immer normaler wird und eine entscheidende Erweiterung unseres persönlichen Netzwerks ermöglicht. Pay-TV-Anbieter bieten längst an, die Aufnahme von TVSendungen aus der Ferne zu starten. In Zukunft können wir uns auch die Frage sparen, ob das Licht ausgeschaltet oder die Haustür abgeschlossen ist. Von unterwegs können bald alle elektrischen Geräte über das Internet gesteuert werden. So wird auch das Auto der Zukunft mit einem digitalen Nervenzentrum ausgestattet sein. Die neue Version der Mercedes-Benz-Software mbrace2 für iPhone und Android-Handys warnt zum Beispiel bei der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit und navigiert Elektroautos zur nächsten Ladestation. Für Hersteller bieten sich damit neue und individualisierbare Wege, mit ihren Kunden zu kommunizieren. Marken werden auf eine intensivere Art erlebbar, wobei gleichzeitig die emotionale Bindung gestärkt wird. Den Konsumenten bietet sich in einer beschleunigten Welt die Chance, sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren. 22 Spielmechanismen sind längst Teil unseres Alltags geworden. Wir sammeln Bonuspunkte beim Einkaufen, installieren Smartphone-Apps, die unsere sportliche Leistung bejubeln oder uns, wie bei dem Armband Up von JAWBONE, durch ein Signal zu mehr Aktivität und Bewegung animieren. Nike hat das Prinzip bereits perfektioniert. Die Nike+ Community kann sich durch das Erfassen zurückgelegter Laufdistanzen über die Nike+ Plattform oder Facebook und Twitter einen virtuellen Wettkampf liefern. Damit die verschiedenen Sportarten auch untereinander vergleichbar werden, entwickelte der Sportgigant außerdem eine eigene »Währung«: Nike Fuel. Dabei werden sämtliche Leistungen in Punkte umgerechnet und als »Fuel« auf den Online-Profilen der Nike-Community sichtbar. Durch solche spielerischen Anwendungen, die sich unter dem Begriff »Gamification« etabliert haben, vermischen sich Spaß und Unterhaltung mit Konsum und Performance. Die wachsende Videospielindustrie ist die weltweit finanzstärkste Sparte der Unterhaltungsindustrie. So erklärt es sich von selbst, dass sich spieltypische Mechanismen immer stärker auch auf spielfremde Kontexte ausbreiten. Produkte und Marken werden zunehmend mehr durch spielerische Strategien aktiviert. Das kürzlich erschienene Windows 8 hebt als erstes Betriebssystem die Trennung zwischen PC und mobilen Anwendungen auf. Es funktioniert praktisch auf allen Geräten gleich und verändert damit die Bedienung des Arbeitscomputers radikal. Die Steuerung des Touchscreens über Gesten und die Umwandlung der Programme in Apps, wie wir es bisher nur von Smartphones und Tablets kennen, macht aus allen Anwendern Player und bettet Arbeitsprogramme und -prozesse in »gamifizierte« Strukturen ein. Diese spielerische Steuerung wird sich 2013 auf diverse Alltagsgegenstände ausbreiten, da neu entwickelte fl exible Touchscreens eine Anwendung in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens ermöglichen werden. Darüber hinaus wird sich »Gamification« gezielt in der Arbeitswelt etablieren, wie die vor kurzem gegründete Firma » Gameful Solutions« nahelegt. Sie bietet die Konzeption von »Gamification«-Strategien für die Kommunikation und Arbeitsprozesse von Unternehmen an. Auch wissenschaftliche Institute wissen das Prinzip bereits für sich zu nutzen, um beispielsweise mit Hilfe von Computerspielen Usern mühsame Aufgaben wie die Verschlagwortung ihrer Archive übernehmen zu lassen. Eins steht fest: Im Zeitalter des Computerspiels werden Spaß und Unterhaltung zu einer neuen Währung − vor allem im Austausch für Arbeit, die andernfalls kaum finanzierbar wäre. So wird sich unser Arbeitsalltag 2013 spielerisch verwandeln. 23 DESIGNER L A U FST E G 03. MODE 37,5% KOLLEKTION 24 25 MODE RÜCKBLICK 2012 GO GET UGLY! MANIFEST DES KONSUMENTEN 2012 Nachdem 2011 Natürlichkeit und ein bequemes Laisserfaire angesagt w aren, prognostizierten wir für 2012 den Mut zur Hässlichkeit. Ein Manifest ist laut Wikipedia »eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur«. Nach eingehender Betrachtung mussten wir uns aber eingestehen, dass dieser Trend nur in ohnehin eher ungenierten Metropolen wie Berlin und Tel Aviv an der Tagesordnung war. Zudem blieb der Hang zur Schludrigkeit auf eine junge, vermeintlich hippe Altersgruppe b eschränkt. Mutig sein bedeutet jedoch keinesfalls automatisch, hässlich zu sein. Wagen wir von Berlin aus den Blick über den Tellerrand, stellen wir schnell fest: Nude ja, aber bitte schön sophisticated. Lady Gaga protestiert gegen das Size-Zero-Ideal und propagiert eine natürliche Weiblichkeit, indem sie sich in Unterwäsche fotografiert und die Fotos ins Netz stellt. Ihre Message: Natürlichkeit darf niemals mit Hässlichkeit gleichgesetzt werden! Wir finden, dieser Meinung kann man sich eigentlich nur anschließen und geben zu, mit unserer Vorhersage nicht wirklich den Trendnerv getroffen zu haben. 26 2012 hieß es also entweder S tellung b eziehen oder ab, mitsamt der billig produzierten Baumwoll-T-Shirts, auf den Mode-Scheiterhaufen. Designer-Kollaborationen gab es immer noch wie Sand am Meer, aber der Trend ist eindeutig abgeflaut. Einzelstücke von Marni, Versace und Anne Dello Russo konnte man sogar noch im Sale bei H&M finden. Man darf sich fragen, ob der schwedische Riese das als Erfolg verbuchen will. Plötzlich waren es die langlebigen, qualitätsbewussten Marken, die zu den It-Pieces der Saison wurden. Brooks, Gloverall oder Sunspel boten uns die Slow-Fashion, die wir brauchten, um uns von der Fast-Fashion-Spur zu verabschieden. Deren Parole? Qualität! Und das hat eifrige Jünger gefunden. Dass es sich hierbei vor allem um ein Konsumsymptom der urbanen Mittelschicht handelt, störte uns 2012 aber doch. Für die breite Masse galt beim Einkauf weiterhin: »fast as usual« − verstärkt durch PrimarkInvasion und Bretterklasse-Online-Retail. TECH FASHION Dabei ist Outerwear von Marken wie Stutterheim, Filson oder Pendelton nicht nur langlebiger, sondern obendrein auch viel schöner. 2013 heißt es also, auch den Rest der kaufkräftigen Masse zu bekehren – denn nicht nur im Interesse einer Ästhetik des Straßenbildes ist Slow-Fashion ein lohnendes Ziel. In Zeiten knapper Kassen, gesteigerter Konsumethik und schwelender Sozial- und Umweltdiskurse müssen wir dringend auf die Bremse treten. Das wird bald auch dem Letzten klar, denn für uns alle gilt: Wir haben zu wenig Geld, um billig zu kaufen – denn wer billig kauft, kauft bekanntlich zweimal! Für 2012 orakelten wir, dass die Mode eine heiße Liaison mit der Technik eingehen würde. Yves Behar designte das Armband Up für JAWBONE, das Schlaf- und Essgewohnheiten misst, um einen perfekt getimten Tagesablauf zu ermöglichen. Andere Designer entwarfen Jacken, die auf Bewegung und Körperwärme reagierten oder deren eingewebte Mikro-LEDs farblich die Stimmung des Trägers anzeigten. Aber wie ist es so oft in der Liebe? Piff-Paff-Puff ist alles aus, noch bevor es richtig begonnen hat. Gegensätze ziehen sich an? Nicht in diesem Fall. Die emotional aufgeladene Mode und die kühle Technik passten, zumindest nach Meinung der Konsumenten und Modeästheten, am Ende einfach nicht zusammen. Diese wollen bislang weder als Cyborgs durch die Straßen laufen noch das reale Leben durch die Google-Brille virtuell verzerrt wahrnehmen. Doch da die Mode kein Kind von Traurigkeit ist und sich jede Saison einen neuen Liebhaber sucht – mal die Kunst, mal die Musik – wird irgendwann sicherlich auch die Technik noch einmal eine Chance bekommen. 27 MODE Tr effe rq uot e 2 012 50 % RICHT IG 28 50% FA LSC H 29 MODE AUSBLICK 2013 go oder H&M kopieren seit Jahren die großen LaufstegLooks und setzen diese günstig um. Der gewünschte Individualismus-Effekt seitens der Designer und ihrer solventen Kunden ist damit dahin. Selbst anerkannte Modedesigner sind sich nicht zu schade für den Massengeschmack und kreieren für den neuen Modefürsten Hennes & Mauritz liebdienerisch vermeintlich exklusive Kollektionen, die dann wiederum von anderen Modemarken aufgegriffen und kopiert w erden. FASHION WEEK & FASHION SHOWS Die Fashion-Welt wandelt sich, insbesondere ihr Auftritt nach innen und nach außen. Der jahrelang anhaltende Erfolg von Modemessen wie der Bread & Butter oder der Capsule führt dazu, dass sich immer mehr Marken dort als Aussteller präsentieren. Gut für die klingelnden Kassen der Veranstalter, aber schlecht für den Besucher, der damit kämpft, den Überblick zu behalten. Nachdem immer mehr Off-, Beta- und ShowLocations entstehen, müssen die großen Modemessen ihre Relevanz hinterfragen. 2013 will sich der Konsument wieder wahrgenommen fühlen, nicht einer unter etlichen, sondern Teil einer Runde von Kennern sein. Doch dabei interessiert immer weniger der elitäre Gedanke, sondern vielmehr das Profil einer Veranstaltung. Wer sich unter dem Einheitsangebot der Vielen mit einem guten Aufhänger differenzieren kann, gewinnt. Die gleiche Frage betrifft Fashion-Shows, denn heute sind die meisten Shows dank Livestream für jeden zugänglich. Die Demokratisierung, die dieser Trend mit sich brachte, hat ursprünglich noch Bestürzung unter den Fashionistas ausgelöst. Umso löblicher ist es, dass die Mercedes-Benz Fashion Week fast alle Shows live überträgt. Das fordert 30 auch die Marken heraus, die Choreographie ihrer Schauen neu zu überdenken, denn das kollektive digitale Auge sieht mehr als das menschliche vor Ort. Die innovativsten Labels setzen aber auch hier schon den Blinker für die Überholspur − mit Livestreams, aus denen Looks direkt vorbestellt werden können, mit Full-E-Circle-Ansprachen und On- und Off-Location-Entertainment. Alte Hasen wie der Designer Tom Ford setzen lieber Gegentrends und üben sich in Verknappung. Er zeigt seine neuen Kollektionen nur noch im ganz elitären Kreis und bittet darum, auf Fotos, Videos und Twitter ganz zu verzichten. Dafür erklärt er vor den maximal 100 geladenen Gästen auch jedes Stück höchstpersönlich, wie ein Couturier aus alten Tagen. COPY & PASTE Modemacher verstehen sich als Künstler. Deshalb kreieren sie auch einzigartige Stücke, an denen ganz klar der Schöpfer zu erkennen ist. Was geschieht jedoch, wenn ihre Entwürfe zu It-Pieces avancieren? Dann wird schamlos von allen Seiten kopiert. Während das Plagiat in der westlichen Welt in fast allen gesellschaftlichen Bereichen mit einem Tabu belegt ist, scheint es in der Mode stillschweigend geduldet zu sein. Vertikale Anbieter wie Zara, Man- Für 2013 sehen wir mit Bangen, dass sich dieser Trend noch verstärken wird und das Copy & Paste-Prinzip in der Mode zu einer Uniformiertheit führt, die angesagte Looks eintöniger denn je erscheinen lässt. Schon lange ist es egal, ob man die Oxford Street, den Kurfürstendamm, die Rue de Rivoli oder den Dizengoff Square entlanggeht − »same stores, same styles«. Was passiert also, wenn allenthalben munter kopiert wird? Irgendwann ist der Peak der Gleichförmigkeit e rreicht, und der Modemensch sehnt sich nach der Einzigartigkeit individueller Stücke, am liebsten von N ischenmarken und limitiert durch Handanfertigung. Was uns zu einem Trend im Trend führt. Der Upcycling-versierte Verbraucher weiß jedoch, wo er Unikate bekommt. So schickt er seine gebrauchten Nespresso-Kaffeekapseln zum Beispiel einfach z u OLDgOLD in Berlin − dort werden sie in handgemachten, goldigen Schmuck verwandelt. HIGH GHETTO FASHION Auf den Laufstegen der Welt sieht man für das Frühjahr und den Sommer 2013 immer mehr Marken, die sich von Harlem inspirieren lassen. Rapper haben schon immer Designerklamotten getragen, 2013 kommt die Gegenbewegung. Durch Kollaborationen zwischen High Fashion Brands wie Comme des Garçons und Streetwear Brands wie Supreme verschwand schon 2012 die Grenze zwischen Street und Fashion. 2013 macht Acne Bomberjacken, Kenzo Kapuzenpullis und Weekday ziert seine Pullis mit »Thug Life«, während Alexander Wang es gekonnt versteht, die Kleider-Codes der Straße in Fight-Couture zu verwandeln. High-GhettoFashion ist das Motto für 2013! Upcycling kreiert neue Geschichten, während die Kopie lediglich Geschichten nacherzählt. Aus dem Abfall der textilen Massenproduktion entsteht so neue Kleidung. Dabei reden wir keinesfalls von Ökoware, sondern von reinrassigen Designerstücken. Und schon wissen die Vertikalen den Trend für sich zu nutzen. H&M antwortete sehr smart auf die harsche Kritik, dass unverkaufte Stücke aus seiner Lanvin-Kollektion in New York w eggeschmissen wurden und brachte einfach eine »Waste Collection« heraus – neue Schnitte aus den Resttextilien der Linie. 31 32 CH OREOGRAPHY RECORD MUSIC V IDEO ELECTRONIC LI VE PERFORMANCE BAND SOLO ARTIST 04. MUSIK 50% 33 MUSIK RuckBLICK 2012 DIE WOLKE BE BOLD Nicht nur die Cloud-Dienste wie Dropbox und iCloud, sondern auch die Streaming-Dienste hatten 2012 ihren großen Durchbruch. Simfy, Spotify, Deezer, Grooveshark etc. haben nicht nur die PCs und Macs, sondern vor allem die Smartphones der Menschen erobert und sich neben kostenfreien Varianten mittlerweile auch als kostenpflichtige Plattformen etabliert. Dennoch schwebt die Diskussion um Copyrights weiter über uns wie eine Gewitterwolke, die nur auf ihre n ächste Entladung wartet. Auch wenn das ACTA-Abkommen (dt.: Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) 2012 abgeschmettert werden konnte, wird die D iskussion um die Wertschöpfung musikalischer Erzeugnisse im Netz sicher weitergehen. Der Musikgenuss ist damit endgültig supermobil geworden − völlig unabhängig von Standort und eigener Musikbibliothek. Das noch recht junge Google Music mauserte sich ebenfalls zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz. 20.000 Songs kann man hier gratis in der Cloud speichern und via Browser oder Smartphone abrufen. Vor allem für Android-Nutzer anvanciert es damit zum Pflichtprogramm und läuft iTunes ganz klar den Rang ab. Davon betroffen ist auch das analoge Leben, wie der aktuelle Streit der Clubbetreiber mit der deutschen GEMA zeigt. Da der Konsument mittlerweile die Kostenpflicht von Streaming-Diensten weitestgehend akzeptiert hat, ist einer weiteren Entwertung der Musik in diesem Bereich damit zunächst Einhalt geboten. 34 MEHR MUHE Im letzten Jahr sahen wir, dass wir bald kaum noch durchblicken würden − überflutet von einem unendlichen musikalischen Output, der uns übers Netz erreichte. Wer nicht filterte, ertrank in einer Kakophonie aus allen erdenklichen Stilen und Genres. Durch gezielte Selektion ließ sich die Flut eindämmen. Das bedeutete aber auch, dass sich die Künstler besser um ihre Fans kümmern mussten. Direkte Kommunikation über eigene Social-Media-Kanäle steht mittlerweile als Pflichtaufgabe auf jeder Künstleragenda. Doch nichts macht uns Fans so glücklich wie ein Live-Auftritt. Konzerte boomen und Comebacks von Musikstilen wie dem Jazz oder Blues Rock stehen für das wachsende Verlangen der Menschen nach Authentizität und einmaligen Live-Erlebnissen. Unter anderem durch Blitzankündigungen über Twitter-Kanäle, G eheimkonzerte und andere exklusive Aktionen, versuchten die Künstler, sich von der Konkurrenz abzuheben und eine persönliche Beziehung zu ihren Fans aufzubauen. OFWKTA (Odd Future Wolf Gang Kill Them All) und deren Kollegen stehen für eine neue Generation Musiker, die sich erfolgreich von den bisherigen Mechanismen der Musik- und Showbranche emanzipieren. Auch wenn sie mittlerweile keine Gratisdownloads und -konzerte mehr anbieten und ihr musikalischer Stil letztlich auch sie in den Mainstream führen wird, haben ihr Hang zu Chaos, prä-adoleszentem Benehmen und unkonventionellen Publicity-Stunts einen prägenden Einfluss nicht nur auf ihre Fans, sondern auch auf die ganze Welt der kontemporären Musik. Diese Mühe wurde von den Fans belohnt. Festivals wie das Southside in Süddeutschland, das Roskilde in Dänemark, das Montreux Jazz Festival in der Schweiz oder das Coachella in Kalifornien vermeldeten für 2012 Rekordbesuche und Rekordgeschwindigkeiten beim Ticketverkauf. Gleich mehrere Bandmitglieder haben in den letzten zwei Jahren erstaunliche Solokarrieren hingelegt, und Frank Ocean hat sich 2012 mit seinem Album »Channel Orange« in die allerhöchsten Weihen der Musikkritik g erappt. Er ist zum Hoffnungsträger für den amerikanischen R’n’B geworden und wird uns sicher 2013 weiter mit erfrischend unverstellten Tracks beglücken. Ocean ist im Übrigen der erste erfolgreiche Vertreter der HipHop- und R’n’B-Szene, der sich als bisexuell geoutet hat − ein Bekenntnis, das in dieser Branche beinahe e inem Paradigmenwechsel gleichkommt. 35 MUSIK Tr effe rq uot e 2 012 MUSIK AUSBLICK 2013 VOM POPSTAR ZUM CLUBSTAR 0 0 1 1 2 2 3 3 4 4 90% RICHTIG 36 5 5 6 6 7 7 8 8 10% FALSCH 9 9 10 10 Wurden die Charts in den vergangenen Jahren von Popund R’n’B-Künstlern dominiert, wummern nun immer häufiger elektronische Bässe aus dem Radio. Popkonsumenten haben die elektronische Musik neu für sich entdeckt. Was sich in den letzten ein bis zwei Jahren schon angedeutet hat, wird 2013 vollend aufblühen: Electro wird zum Mainstream und die EDM (Electronic Dance Music) wird endgültig die Charts beherrschen. Schon längst h aben Musiker wie Skrillex, David Guetta oder Paul Kalkbrenner den Techno in den Charts hoffähig gemacht und sind zu Popstars aufgestiegen. Lykke Li, Pitbull oder Flo Rida konnten sich 2012 in ihrem Windschatten in den Charts festsetzen. Während DJs und Electronic Artists früher nur durch die Zusammenarbeit mit den Stars der Pop- und Rapszene in die Charts und Mainstreamclubs Einzug fanden, gehen jetzt viele dieser Stars den umgekehrten Weg. Künstler wie Usher, Ludacris, Rihanna oder Chris Brown beschleunigen ihre Hits auf 128 bpm, arbeiten mit Technoproduzenten zusammen und lassen sich von der Clubmeute feiern. Residents der großen Electro-Clubs wie beispielsweise Daniel Avery (Fabric London) bleiben nicht länger die Zeremonienmeister der Rave-Community, sondern wandeln sich zu Dauergästen in den Charts. Denn eines gilt für die Musik von 2013: Club-Musik wird Mainstream und kommerzieller denn je. DER WANDEL DER PARTYKULTUR Die internationale und mittlerweile auch in Berlin durchgeführte Partyreihe Boiler Room macht es vor: Hier feiert eine kleine und intime Crowd in angesagten Locations der Metropolen Los Angeles, New York, London und Berlin eine auf vier Stunden beschränkte Party. Einlass gibt es nur strikt per Gästeliste, die auftretenden Künstler sind die absoluten Größen der Elektro-Szene und können via Livestreams in die ganze Welt übertragen werden. Formate wie der Boiler Room oder das Amsterdamer Red Light Radio mit ihren hochrangigen Künstlern sind so jederzeit auch über räumliche Distanz miterlebbar. Davon profitieren auch die Künstler. 37 UPCOMING ARTISTS Sie können ihren Sound in einem intimen Rahmen zum Besten geben und erreichen trotzdem via Internet eine riesige Community. Obendrein erhalten sie ein direktes, verbales Feedback auf ihren Sound, wenn Twitter-Feeds zu einzelnen Sets ständig auf der Website aktualisiert werden. Diese noch ungewöhnlichen Veranstaltungskonzepte haben ihren Ursprung vor allem in der stetigen Nachfrage nach Neuem. So verliert auch das Prinzip »die Nacht zum Tag machen« an Bedeutung, denn Partys werden zunehmend sonntagnachmittags oder abends bis 24 Uhr gefeiert. Das Partykonzept »tagsüber« gewinnt an Beliebtheit. Einen ersten Vorläufer stellen hier beispielsweise die 2012 in Berlin gestarteten Early Bird Partys dar, die grundsätzlich nur bis Mitternacht laufen. Die Ansprüche an die Partys und Clubs wachsen, die Partygänger wollen kleine, intime und gleichzeitig exklusive Veranstaltungen, die mit den »richtigen Leuten« stattfinden. Zudem erwarten wir weitere Cross-Party-Formate wie die Secretsundaze aus London oder das Zoo Project, bei dem Entspannung und Feiern in einem ehemaligen Zoo auf Ibiza mit einem Charity-Projekt verknüpft wird. 38 Im Jahr 2013 werden eine Reihe Künstler ihren großen Durchbruch erleben. Wir haben uns vor allem den H ipHop-, Elektro- und Indie-Bereich angeschaut und prognostizieren: Es wird das Jahr einer neuen HipHop-Generation. Nachdem der 25-jährige Kendrick Lamar 2012 mit seinem Majorlabel-Debut »good kid m.a.a.d. city« die Feuilletons füllte und zum ersten Mal einer breiten Masse bekannt wurde, hat er dadurch gleichzeitig den Weg für weitere aufstrebende Jungstars des HipHops geebnet. Der 16-jährige Haleek Maul, der 17-jährige Joey Bada$$ oder auch die Rapperin Angel Haze (21) etablieren sich als würdige Nachfolger der alternden Größen des Business. Maul, der klingt »als ob Drake und Rihanna ein immer trauriges Baby adoptiert hätten« (Fader), erschafft durch seinen Horrorcore-Rap mit Witch-House-Einflüssen einen völlig neuen Sound. Joey Bada$$ veröffentlicht sein Mixtape »1999« mit Beats aus dem 90er Jahre HipHop und wird von einflussreichen Musikmedien mit Legenden wie MF Doom und Nas verglichen. Sie alle verkörpern einen überfälligen Generationenwechsel in der Welt des HipHop: sehr junge Künstler, die sich dem noch immer allgegenwärtigen Gangster-Image verweigern und durch ihre alternative Selbstdarstellung sogar eine wachsende Akzeptanz von Homosexualität im Rap erreicht haben. In der Elektro-Szene stehen ebenfalls unzählige junge Künstler parat, um mit ihrer Musik die Clubs und Charts zu erobern. Der 20-jährige Flume reitet die wohl größte Welle aus Down Under: Hunderttausende Klicks und Fans bei YouTube, Soundcloud und Facebook sind erst der Anfang für den Beat-Produzenten, der schon als 13-Jähriger erste Erfahrungen mit elektronischer Musik gemacht hat. Nachdem er mit seiner Single »Sleepless« bereits die Nummer 1 der australischen Download-Charts erreichte, wird nun Europa folgen. Der auch unter dem Namen Lightspeed Champion bekannte Künstler Dev Heynes ist ein weiterer heißer Tipp für 2013. Mit seinem Projekt Blood Orange steht er für eine Mischung aus R’n’B, Elektro und Pop. Nach Zusammenarbeiten mit Florence and the Machine, den Chemical Brothers und Bright Eyes könnte sich der beim britischen Kult-Label Domino unter Vertrag stehende Künstler im kommenden Jahr zu einem echten Clubhelden entwickeln. Und das von ihm produzierte Album von Solange hebt gerade in den Pophimmel ab. Natürlich steht auch die Indie-Szene nicht still. Mit den dänischen Newcomern Lukas Graham macht sich hier der nächste skandinavische Import daran, die deutschen Charts von hinten aufzurollen. Die von sich selbst als Vertreter des »Ghetto Pop« bezeichneten Musiker sind in ihrer Heimat Dänemark bereits Stars und gewannen neben sieben Nominierungen für die dänische Variante des Echo den Preis für den Newcomer 2012. Für ihre erste Tour in Dänemark konnten Lukas Graham 2011 bereits vor Erscheinen ihres ersten Albums 30.000 Karten verkaufen. Wir sind gespannt, ob es für sie in Deutschland genauso gut läuft! 39 L E I N WA N D 05. E NT E RTA I NM E N T 62,5% FREI R e s e rv i e rt 40 41 ENTERtainment RÜCKBLICK 2012 NEWSTAINMENT FOR ALL 2012 hat die Nachrichtenverbreitung über Social-MediaKanäle die klassischen Nachrichtenformate alt aussehen lassen. Tagespolitische Ereignisse aus allen Teilen der Welt wurden fleißig getwittert, geyoutubed und unter die Facebook-Gemeinde gejubelt. Vor allem Meinungen wurden dadurch nahezu in Echtzeit verbreitet, was mitunter dazu führte, dass Gerüchte in der öffentlichen Wahrnehmung innerhalb weniger Reposts zu handfesten Fakten mutierten, die den einen oder anderen Thron der Mächtigen zum Wackeln brachten. Das Phänomen der sogenannten Post-Truth Politics reiht die Wahrheit als eine Option unter vielen ein und weiß um die Macht von öffentlicher Meinung, auch wenn sich dahinter allzu oft Unwahrheiten verbergen. Dieses Prinzip ließ sich besonders gut am Beispiel der Wahlen in Amerika verfolgen. Im Politikmagazin Politico wurde die mediale Auswirkung einer Randbemerkung Romneys als Paradebeispiel für einen Strukturwandel der technosozialen Öffentlichkeit analysiert. Der »21-MinutenNachrichtenzyklus« toppte alles bisher Dagewesene in der politischen Berichterstattung. 42 DEIN LEBEN IN DER WOLKE Kurz nachdem Romney subtil den Verdacht schürte, dass Obama nicht auf Hawaii, sondern in Kenia geboren sei, fand sich dazu ein Zitat auf dem Twitter-Account der Washington Post, was in Sekundenschnelle von anderen Medien aufgegriffen und wenig später als Video der besagten Aussage online verbreitet wurde. In Rekordzeit reagierten die jeweiligen Pressestellen der Wahlkämpfer und veröffentlichten entsprechende Stellungnahmen. So geschah in gerade einmal einundzwanzig Minuten, was wenige Jahre zuvor noch Stunden und Tage gedauert hätte. Das Motto »occupy the streets, occupy the networks« war 2012 zwar kein Motor für gravierende politische Umwälzungen, es blieb jedoch als eine niedrigschwellige Schwarmdynamik aktiviert, die sich beim richtigen Funken leicht entzünden und wie ein Lauffeuer im Internet verbreiten konnte. Die Festnahme der russischen Aktivistinnen von Pussy Riot führte zu einer globalen Protestbewegung, Nachahmerinnen demonstrierten von São Paolo bis Berlin und trugen als Zeichen ihrer Solidarität bunte Strumpfmasken. Auch wenn die tatsächliche Zahl der Demonstranten letztlich eher klein war, erregten die Aktionen großes Aufsehen im Internet. Immer mehr unserer Daten speicherten wir 2012 auf externen Servern. Nachdem wir kostenpflichtig erworbene Titel bei iTunes schon seit Längerem in der Wolke speichern, haben neue Anbieter wie Spotify das Feld von hinten aufgerollt und Musik-Sharing wieder annähernd hoffähig gemacht. Die Wiedergabe unserer Playlist vom Heim-PC lässt sich nun nahtlos auf dem Smartphone fortsetzen. Immer mehr Computerhersteller verbauen längst die kleinen aber um ein Vielfaches schnelleren SSD-Festplatten. Mit Daten, die vor allem der Unterhaltung dienen, wird der Übergang in die Wolke kaum kritisch hinterfragt. Anders verhält es sich bei wichtigen und persönlichen Dokumenten, die wir, obwohl sie eigentlich auch schon in der Wolke liegen, immer noch auf externen Festplatten sichern. Es versteht sich von selbst, dass dies auch auf dem Arbeitsrechner möglich ist. Besonders Microsoft treibt mit Windows 8 die Verlagerung von Daten in die Cloud r adikal voran. Der individuelle Computer-Desktop ist mobil geworden und nicht mehr an nur ein Gerät gebunden. Egal vor welchem Monitor wir uns befinden, im Moment der Anmeldung bei Windows 8 erscheint die persönliche Bedienoberfläche. Und deren Einstellungen sind natürlich in der Cloud gespeichert. Altbewährte Programme werden durch Applications ersetzt, so dass private Fotos und Filme nunmehr glücklich auf Wolke 8 schweben. Wer benötigt da noch riesige Festplatten? Denken mussten wir 2012 immer noch selbst. Aber überlegen, ob wir das neueste Album bereits auf unser Smartphone gezogen haben, mussten wir nicht mehr. In welchem Ausmaß sich Windows 8 massenkompatibel entwickelt, werden wir 2013 besonders aufmerksam verfolgen. 43 ENTERTAINMENT Tr effe rq uot e 2 012 60% RICHTIG 44 40% FALSCH 45 ENTERtainment AUSBLICK 2013 URBANE ROMANTIZISMEN EROBERN DIE KUNST Ob der ständigen Reizüberflutung, die wir medial und in unserem urbanen Leben erfahren, verlieren wir den Blick für das Wesentliche, verlieren substantielle Werte aus den Augen. Die Kunst hat darauf stets reagiert: zum Teil mit Ironie, mit verstörenden Spiegelungen oder mit Kunstwerken, die die Inszenierungstechniken unseres alltäglichen Lebens aufdecken und bloßstellen. Oftmals fallen diese Reaktionen laut, schrill und aggressiv aus. Dabei zeichnet sich eine Tendenz ab, die vor a llem einen poetischen Moment des Innehaltens und der Reflexion befördert. Künstler wie Robert Montgomery und Nils Shoe Meulman machen es vor: Mit ihren schlichten Schriftzügen im urbanen Umfeld geben sie uns eine Poetik zurück, die weg vom Schlüsselreiz und hin zum Essentiellen führt. Anstelle von Werbebannern sieht man G edichte in graphischer Perfektion an Bushaltestellen leuchten. Mit feuchtem Besenstrich gemalte Kalligraphie springt uns als imperativische, zeitbasierte Kunst auf den Trottoirs der Metropolen entgegen. 46 Diese Tendenz des Innehaltens und der Verzauberung in der Kunst wird sich zu einem Trend entwickeln, der im Selbstverständnis der Menschen eine neue Innerlichkeit hervorhebt, die als Moment der Kontemplation im städtischen Raum installiert wird. Urbane Romantizismen erobern 2013 die Kunst und unsere Städte! ANIMATION GOES DOODLING Dies ist eine Antithese zur Erfolgsstory von Pixar mitsamt ihrer geschliffenen Hochglanzästhetik, die die Animation der letzten Jahre wesentlich geprägt hat. Denn 2013 wird die Animation wieder unperfekte, raue Bilder und Charaktere aufleben lassen. Darauf verweist bereits das Comeback von Beavis und Butthead − zwei der wohl h ässlichsten Typen der Fernsehgeschichte, die in simpelster Kritzelkunst brillieren − im Jahr 2012. Auch I llustratoren und Künstler aus dem Streetart-Bereich wie zum Beispiel Jay Howell finden so den Weg in die Animation. Howell, bekannt für seine grotesk fratzenhaften Zeichnungen aus der Punk- und DIY-Szene, arbeitet derzeit an einem Cartoon für Nickelodeon, der voraussichtlich im kommenden Jahr ins Fernsehen kommt. Auch Laurence Hubbard, ein echtes Ghetto-Kid mit Hang zu derben, skizzenartigen Cartoons, plant derzeit eine Fernsehanimation. Deshalb sagen wir: Hochglanz und 3D-Erlebniswelt goes Langeweile! 2013 wird Animation wieder handgemacht und unperfekt, dafür aber viel charmanter und mit individueller künstlerischer Handschrift daherkommen. Und so finden gerade Streetart-Künstler, die eine spezielle eigene Ästhetik abseits der Gleichmacherei von Disney und Co. pflegen, über die Animation 2013 den Weg in den Mainstream. SERIEN KOPIEREN DEN REALISTISCHEN GESELLSCHAFTSROMAN Bestes Beispiel ist die neue HBO-Serie »Girls«. Diese konstruiert auf dokumentarische Weise die Lebenswelt von vier New Yorker Mädels zwischen unbezahlten Praktika, Depressionen und instabilen Beziehungen. Es wird ein vermeintlich realistisches Bild gezeichnet, das weniger Farbe und mehr Narben aufweist. Musik findet nur noch spärlichen Einsatz, der Plot wird von langen, tiefschürfenden Unterhaltungen, die sich um die alltäglichen Probleme einer prekären Lebenswelt drehen, dominiert. Euro-, Griechenland- und Schuldenkrise dürften einen guten Nährboden abgeben, um diesen Stil auch in Kontinentaleuropa zu etablieren. Damit wird ein Hunger an Realismus in die Serienkultur überführt, den wir b ereits aus dem 19. Jahrhundert und dem Gesellschaftsroman à la Balzac kennen und der 2013 breitflächig die Bildschirme erobern wird. Vorreiter des neuen Realismus in Serien ist zweifelsohne die britische Teenager-Serie »Skins – Hautnah«. Die bereits im Jahr 2007 angelaufene Serie zeigt das Leben und die Probleme von britischen Jugendlichen aus einer bewusst rauen und scheinbar ungeschminkten Perspektive. Ausgezeichnet wurde sie zweimal von der British Academy of Film and Television Arts. 2011 startete die Serie in einer amerikanischen Adaption, wurde aber aufgrund eines gesellschaftlichen Sturms der Empörung nach nur zehn Folgen beendet. Dennoch hat dieses G enre in Amerika seine Spuren hinterlassen, und so ist ein rauer, unverklärter Realismus in der amerikanischen Serienkultur angekommen. 47 A. B. 06. MOB I L I T Ä T 75% C. 48 49 MOBILITÄT RÜCKBLICK MOBILITÄT T r e ffe rquote 20 12 2012 RECLAIM THE STREETS Für 2012 hatten wir ein Wachstum der »Smart Planning«Bewegung vorhergesagt, welche sich mit der Entwicklung von neuen Verkehrs- und Fortbewegungskonzepten befasst. Besonders Stadtbewohner haben nach neuen Transportmöglichkeiten gesucht, um ihren Anteil an der Umweltverschmutzung oder die Unterhaltskosten für ein eigenes Auto zu reduzieren. Dabei haben sich Carsharing und E-Bikes als die beliebteste Wahl erwiesen. Fahrradfahren ist zu einem großen Trend geworden, der weiterhin wachsen wird. Vom Fixie bis zur Rennmaschine stellt dabei jedes Rad ein individuelles Statement zur Persönlichkeit seines Besitzers dar, dessen Ansprüche an Form und Funktion sich auf einem gleichwertig hohen Level bewegen. In 2012 sind Fahrräder zum stilistischen Accessoire geworden und wurden als Designklassiker ausgezeichnet. Der Boom des Carsharings hat sich zur ernst zu nehmenden Konkurrenz für öffentliche Verkehrssysteme und die private Nutzung von Kraftfahrzeugen entwickelt. Webbasierte Apps wie car2go, das Carsharing-Programm von Daimler, erleichtern den Zugang zu Carsharing-Systemen, um unserem Bedürfnis nach Flexibilität noch besser entgegen zu kommen. 50 Wir hatten spekuliert, dass dieser Trend zu autofreieren Städten, mehr Fahrradwegen und Urban Gardening führen würde. In einigen Vorzeige-Projekten, die sich auf niedrigem Level etablieren konnten, ist dies auch eingetreten. Generell haben die Entwicklungen auf dem G ebiet der Mobilität jedoch noch keinen auffällig sichtbaren Wandel in den großen Städten bewirkt. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass die Begrünung unserer Städte in den nächsten Jahren weiter voranschreiten wird, nicht zuletzt durch die Reduktion von CO2produzierendem Verkehr. DIE VIERTE DIMENSION Das Auto wie wir es bisher kannten, hat auch 2012 vor allem seine zwei Kernfunktionen erfüllt: Top Design von außen und hohe Funktionalität von innen. Der ungebrochene Siegeszug des Internets hat sich noch nicht übergreifend auf den Automobilmarkt erstreckt. Obwohl sich digitale Softwareanwendungen auch in der Automobiltechnologie stärker etablieren konnten, war es für eine breite Adaption für den Endkonsumenten im letzten Jahr noch zu früh. Besonders die Annahme, dass das Auto zur veritablen Entertainment-Box wird, kann nicht bestätigt werden. Vernetzung im Automobil spielt zwar eine immer g rößere Rolle, jedoch zeigt sich hier, dass den Fahrern pragmatische Themen wie Sicherheit und Orientierung in der Regel wichtiger sind als Entertainment-Tools. Die zunehmende Verbreitung von Smartphones verringert das Bedürfnis nach weiteren technischen Spielereien im Auto zusätzlich. 75% RICHTIG 25% FaLSCH Weiterentwickeln wird sich aber die eigenständige Kommunikation des Autos mit seiner Umwelt über direkte Datentransfers, die einen konkreten Mehrwert für sicheres und zielorientiertes Fahren bedeuten. Programme, die automatisch bremsen steuern oder Wetter- und Verkehrsverhältnisse auswerten, um optimale Spritverbrauchs- und Routenempfehlungen zu errechnen, b ringen unsere Autos der Interkonnektivität ein großes Stück näher. 51 MOBILITÄT AUSBLICK 2013 FORM UND INDIVIDUALITÄT DER WEG IST DAS ZIEL Die Lust am Reisen wird uns auch 2013 begleiten, doch will niemand mehr bei Pauschalreisen von müden Reiseleitern herumgereicht werden. Noch weniger wollen wir uns selbst in große Vorbereitungen stürzen, um so sicher und durchgeplant wie möglich ans Ziel unserer Träume zu gelangen. Der Roadtrip ist zurück, und der Weg ist das Ziel! Diese alte Weisheit ist unser Urlaubsmantra für das neue Jahr. Dass der berühmte Roman »Unterwegs« von Jack Kerouac aus dem Jahre 1957 erst kürzlich in die Kinos kam, ist kein Zufall. Das Buch gilt als Manifest der Beat Generation, deren Hilfsmittel Sex, Drugs 'n' Jazz für Abenteuertrips allererster Güte sorgten. Heute sind wir erfahrener und wissen, dass Drogen w ahre Einsichten nicht selten eher verschleiern als ermöglichen. Für die aufgeklärten Weltbürger von heute wird daher das Flanieren im Globalen Dorf zur Entdeckungsreise, die mehr Tiefe und Erkenntnis verspricht, als es jeder Lonely PlanetReiseführer oder TripAdvisor-Eintrag zu vermitteln vermag. 52 Das Konzept ist nicht neu: In seinem »Passagen-Werk« prägte Walter Benjamin in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Begriff des »Flaneurs«, eine literarische Figur der Großstadt, welche die Stadt erforscht, in dem sie sich in eben dieser verläuft. Und auch der stadtsoziologische Begriff des »dérive«, des bewussten Umherstreifens und Sichtreibenlassens in der Stadt, ist so aktuell wie 1940, als er von Guy Debord und der Gruppe der Situationisten geprägt wurde. Umwege erhöhen bekanntlich die Ortskenntnis. Das Sichtreibenlassen ohne Reiseführer, Führungen, Google Maps oder GPS erhöht die Chance, auf Unbekanntes zu stoßen, auch dort wo vermeintlich schon alles vermessen und kartografiert ist. Das Zufalls- wird zum Entdeckungsprinzip. Auf Reisen wollen wir nicht mehr im Hotel absteigen, sondern Privatwohnungen behausen. Portale wie Airbnb und Wimdu boomen. Couchsurfing war gestern, jetzt gehört das fremde Reich einem ganz allein. Dass es bei diesem Trend nicht nur um gespartes Geld geht, wird daran sichtbar, dass diese Portale auch Luxuslofts oder ganze Villen anbieten. Wohnen wie der Zar in Moskau oder die Präsidentenfamilie in D.C. – (fast) alles ist möglich. Es ist der Voyeur in uns, der die neue Option schätzt, einen direkten Blick in die Privatsphäre Anderer zu werfen. Ein Trend, der auch den Erfolg des stetig wachsenden digitalen Wohnmagazins »Freunde von Freunden« erklärt. Persönliche Reiseberichte und Ansichten zählen mehr als Reiseführer-Empfehlungen aus dem Bücherregal. Die Anzahl der Reise-Blogger steigt, und Erfolge wie jene des modernen Reisemagazins »Endless« sprechen für sich. Das dient uns jedoch im besten Fall als Inspirationsquelle, denn »selbst entdecken« lautet das Motto. Unser neues Traumreiseziel ist Osteuropa! Die allzeit glänzenden südeuropäischen Länder Italien, Spanien und Griechenland scheinen abgenutzt, schillern nicht mehr allzu leuchtend im Dunst der Finanzkrise. Zu entdecken gibt es hier scheinbar auch nichts mehr, denn jeder hat’s ja schon gesehen. Die Abenteuerlust zieht viele junge Reisende nach Osteuropa und in noch vom Krieg gezeichnete Regionen wie den Kosovo. Gelangweilt von den immer gleichen Fassaden der Hotelketten an den Stränden der Algarve oder Costa Brava, auf der Suche nach Authentizität, treibt uns die Sehnsucht nach Cevapcici und BalkanPop gen Osten. Der Trend Fahrrad setzt sich fort, und das Leben drum herum passt sich immer mehr an. Levi‘s entwarf 2012 die Commuter-Jeans, ein Kleidungsstück, das eigens für Radler entworfen wurde: mit einer extra Schnalle für das Schloss, gewebt aus wasserabweisendem und windfestem Baumwollgemisch. Das Rad wird zum treuesten Begleiter und darf sogar mit in die Wohnung. Dort inszenieren Wandaufhänger das gute Stück wie ein Kunstwerk. Kaum ein Städter verfügt über eine Garage, weshalb das Thema Aufbewahrungsmöglichkeiten für Zweiräder in Zukunft auch Möbel- und Wohnkonzepte maßgeblich mitbestimmen wird. Im Bereich Streetstyle ist das Fahrrad zu einem aussagekräftigen Accessoire geworden. Zeig mir, was du fährst, und ich sag dir, wer du bist. Es geht um den Ausdruck von Individualität und Persönlichkeit. Der Bildband »Cycle Style« (Prestel Verlag, Horst A. Friedrichs) porträtiert Londoner und ihre Bike-Couture, die in allen Farben, passend auf das Vehikel abgestimmt, leuchtet. Fahrradcafés wie das LookMumNoHands! sind beliebte Anlaufstellen für jeden Cycle-Nerd. Dort gibt es neben dem Caffè Latte to Go auf die Schnelle jede erdenkliche Schönheitskur für´s Bike sowie Workshop-Angebote zum Self Service. 53 Ein noch junger Trend sind Räder aus nachhaltigen aterialien wie Bambus oder Pappe, die sowohl durch M ihre Funktionalität als auch ihre Form überraschen. Sie haben vor allem in ärmeren Ländern eine glänzende Zukunft vor sich, da sie günstig in der Produktion und leicht nachzubauen sind. 2013 gibt es unendliche Möglichkeiten, sein Fahrrad individuell zu gestalten. Lacke, Materialien und Equipment setzen Akzente im grauen Straßenalltag. Doch der wahre Fahrradliebhaber setzt bei seiner Wahl ganz klar auf Qualität vor Quantität. Die DekoStatements bleiben dezent und heben sich gerade dadurch von der Masse ab. Individualität und Kreativität zeigen sich auch im Automobilbereich, wie jüngst in der eindrucksvollen Präsentation von Jeremy Scotts neuer Kreation für smart. Der extrovertierte Modedesigner lässt dem flinken Stadtmobil weiße Schwanenflügel wachsen und verweist damit auf eine möglicherweise nahe Zukunft – auch wenn der Traum vom Fliegen, besonders im e igenen Auto, 2013 noch ein Traum bleiben wird. Dass neue Formen möglich sind, wird an Elektroautos sichtbar: Wo kein Kühler benötigt wird, muss kein Hohlraum für diesen im Auto frei bleiben. Die Ästhetik wird gewagter, Form und Farbe trauen sich etwas. Dennoch orientieren sich Automobilhersteller weiterhin primär an der Nützlichkeit für den Konsumenten. Der Hiriko Fold, ein einklappbares Elektroauto, das speziell für kurze Strecken im Stadtraum konzipiert wurde, ist ein Beispiel für ein solches Umdenken in Form und Anwendbarkeit. Neuerdings werden sogar Autos eigens für besondere Personengruppen entwickelt. Ein Arztauto muss andere Bedürfnisse befriedigen als das eines Pendlers oder Malers. Damit beginnen Automobilmarken, sich auch über individuelle Anforderungen zu definieren und bewusst ihre Zielgruppen einzugrenzen. 54 MOBIL ÜBER ALLE GRENZEN HINWEG Behinderungen stellen sich in diesem Jahrzehnt höchstens noch als Behinderung im Denken der Gesellschaft dar. Viele körperbehinderte Menschen können dank der technischen Entwicklung mit unterschiedlichsten Prothesen nahezu ihre alte Bewegungsfähigkeit zurückerlangen oder sogar mobiler werden, als sie es ohne Behinderung je waren. Vor allem behinderte Sportler führen vor, was Hightech-Prothesen leisten können. Die Paralympischen Spiele werden von einer breiten Ö ffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt, weil es Staunen macht, wenn die Läufer zum Teil schneller laufen, als ihre nicht behinderten Sportkollegen. 2012 machte bereits der Begriff des Techno-Dopings die Runde. Mit modernen Prothesen schaffte es der beinamputierte Spitzensportler Oscar Pistorius bei den Laufwettbewerben der Leichtathletikweltmeisterschaften fast ins Halbfinale – gegen Konkurrenten, die ganz t echnologiefrei auf zwei Beinen unterwegs waren. Ende Dezember 2012 stellt er sich in Doha einem Duell mit einem Rennpferd. Auch wenn der Ausgang dieses ungleichen Wettkampfs vor Redaktionsschluss noch nicht bekannt war, ist allein die Vorstellung abenteuerlich. Ein weiterer Star im Behindertensport ist der französische Schwimmer Philippe Croizon, der bei einem Unfall beide Arme und Beine verloren hat. Er ist zum Rekordschwimmer geworden, weil er mit Hightech-Schwimmflossen jede Meerenge dieser Welt durchschwommen hat. Noch müssen die Träger ihre Prothesen mit Muskel- oder Motorenkraft bewegen. Schon in naher Zukunft k önnte die Bewegung der künstlichen Gliedmaßen jedoch durch die direkte Verknüpfung mit dem Nervensystem des Trägers hergestellt werden. Forschergruppen auf der ganzen Welt arbeiten aktuell daran, dass sich Prothesen direkt per Gedanken d irigieren lassen. Die G renze zwischen Mensch und Maschine verschwimmt immer mehr. Was der Medien- und Performancekünstler Stelarc in den 70er Jahren exemplarisch als technische Modifikationen am eigenen Körper vorführte, gehört 2013 schon fast zum Alltag. Anstatt die eigene Behinderung schamhaft zu verstecken, trägt man die technische Errungenschaft und Erweiterung der körperlichen Kapazität heute stolz zur Schau. Denn Prothesen sehen heute nicht mehr wie schlecht nachgemachte Körperteile aus, sondern werden zum Hightech-Element und Mode-Statement. Das männliche Topmodel Mario Galla ist erfolgreich, weil er trotz oder gerade wegen seiner Beinprothese auch als Catwalkmodel begeistern kann. müssten. Dadurch werden die durch Drohnen gewonnenen Bilder und Nachrichten auch für die von finanziellen Nöten geplagten Medien höchst interessant. Mittlerweile lassen sogar schon Kinder ferngesteuerte und mit Kameras bestückte Ballons ins Weltall fliegen, um den dadurch veränderten Aggregationszustand von Schokoriegeln, Space Twinkies genannt, zu testen. Der Österreicherv Felix Baumgartner stürzte sich dank fortschrittlicher und günstiger Transporttechnik, die für Red Bull wohl aus dem Marketingbudget finanziert werden kann, wagemutig aus der Stratosphäre der Erde entgegen. So erweitert die Technik unsere naturgegebenen menschlichen Fähigkeiten immer mehr und versetzt uns in die Lage, vormals unüberwindbare Herausforderungen unbeschadet zu bestehen. Prometheus hätte seine helle Freude an uns gehabt! Dass die Prothesentechnologie Menschen nicht nur körperlich zum Vorteil gereicht, zeigt sich am Beispiel von Robotertechnologien, die den Menschen mehr und mehr ersetzen, wie etwa ferngesteuerte Drohnen. Seit einiger Zeit ist dies ein heißes Thema u nter Journalisten, die sich damit wieder einen Überblick über Schauplätze verschaffen können, die in Zeiten von gesteigertem Sicherheitsdenken nur noch schwer einzusehen sind. Technische Raffinesse und die Verkleinerung des Vehikels reduzieren drastisch Kosten, die ansonsten für einen Helikopterflug samt Versicherung getragen werden 55 UBP 07. ROI USP POS POP 56 MARKE 87,5% 57 MARKE RÜCKBLICK 2012 LEBT WOHL, SENDERMARKEN! LOST IN SELECTION Wir haben für 2012 nicht nur eine steile Entwicklung im E-Commerce-Sektor vorhergesagt, den die Umsatzzahlen der Händler bestätigt haben, sondern auch auf eine verstärkte Beratung und Servicefunktion der Webauftritte hingewiesen. Eben dieses qualitative Kriterium zeigte sich 2012 immer häufiger. Fashion-Portale wie Net-a-porter.com oder Farfetch.com sind zu echten Magazinen gewachsen, die Inspirationen zum Nachkaufen bieten. Dabei sind Star-Styling-Stories und Runway-Berichte Garanten für klingende Kassen. Auch 2013 bauen Shops ihre Qualität und intensive Beratung weiter aus. Dazu kommen Social-Media-Kanäle wie Facebook. Ein Want-Button ist in den USA in Erprobung. Neben dem Like-Button bietet er die Möglichkeit, sich eine eigene Shopping-Wunschliste anzulegen, die von Freunden gesehen werden kann. Direkt kaufen kann man damit noch nicht. Aber das Empfehlungsmanagement wird immer persönlicher. 58 Ein weiterer Gigant, Ebay, präsentiert dieser Tage im op-up-Shop in Europa, wie die Zukunft des s tationären P Handels in Verlinkung mit den Online-Marktplätzen funktioniert. Die Beratung übernimmt hier der stationäre Handel, der dafür am Umsatz beteiligt wird. Und alles nur, damit wir uns in Zukunft nicht in der Auswahl des Internets verlieren. GOODBYE 360 GRAD Auch wenn sich die Strategen einig waren, dass Marken ihre Kommunikation gezielter anwenden sollten, hat es an großflächigem Output im letzten Jahr nicht gemangelt. Die meisten Marken setzen weiterhin auf eine falsche 360°-Kommunikation, und tatsächlich gibt es immer noch Marken, die die Umstellung erst noch vollziehen. Eigene Blogs, Facebook- und Twitter-Accounts nutzen die Strategen weiterhin, um ihre für die Klassik fabrizierten Kampagnen eins zu eins in neue Kanäle zu hacken. Alles, um Umsätze und das Markenimage zu steigern, egal, ob es sich um entlarvende Werbung auf Facebook oder gekaufte Fans handelt. Doch Image lässt sich nicht allein an Zahlen messen. Eine zielgruppenorientierte Marketingstrategie sollte anders aussehen, denn zu viel Output führt zu Übermüdungserscheinungen – beim Kunden und beim Markenimage. Zielgruppensegmentierung ist hier das Zauberwort, und es funktioniert, wie man am Beispiel Pinterest sieht, auch als Money-Generator. Das Faible für schöne Produkte von reichweitenstarken Pinterest-Nutzern kann man sich sehr leicht zu Nutze machen. Aber nur, wenn man Kanal und Needs verstanden hat. User der Picture-Sharing-Plattform geben nämlich gerne Produktempfehlungen für andere und verlinken diese zu Onlineshops. Eine wahre und vor allem erfolgreiche Bild-Propaganda. Der größte Gegner sinnvoller Kommunikation bleibt aber weiterhin die Dominanz der breitflächig agierenden Werbeagenturen und ihrer Media-Lobby. Das heißt für Marken, dass sie ihre Botschaft gezielt kommunizieren sollten, statt sie großflächig zu streuen. Erst die Ankündigung von Youtube in das Fernsehgeschäft mit Digitalkanälen einzusteigen. Dann der Skandal um die Wahr- und Sittenhaftigkeit der Senderikone BBC. Deutlicher können die Verwerfungen kaum zusammen hängen. Und doch handelt es sich um einen schleichenden Prozess. Zwar weist Google die illegalen Streaming-Plattformen in den Top-Rankings der Suchbegriffe auf, aber natürlich verharrt der Fernsehkonsum auf bekannten Sendermarken und Online-Angeboten. Aber wenn wir die Jugend in den USA als Trendbarometer heranziehen, ändert sich hier auch bald in Europa viel: Laut der Studie »Primetime TV 2004-2012« haben vor vier Jahren noch 82 Prozent der 13- bis 32-jährigen Amerikaner linear Fernsehen geschaut, 2012 nur noch 57 Prozent. Auch die Qualität, die sich Sender in ihrer Eigenwerbung auf die Fahne schreiben, scheint dem Konsumenten immer häufiger egal zu sein. Das Motto »Lieber freibestimmt umsonst als zeitgebunden in hoher Qualität« zeigt sich in den Verweildauern auf Bewegtbild-Beiträgen im Social Web und auf illegalen Streaming-Plattformen. 59 MARKE Tr effe rq uot e 2 012 MARKE AUSBLICK 2013 TRUST IS THE NEW CURRENCY OF ECONOMY Unternehmen und ihre Botschaften wurden 2012 einem Reality-Check unterzogen: Kampagnen von H&M, Dior oder Lancôme wurden aufgrund ethischer Vorbehalte öffentlich kritisiert und in der Folge teilweise vom Markt genommen, und H&M´s tiefbraune Bikini-Models riefen sogar die Krebsliga auf den Plan. Die Folge war ein Ansehens- und Vertrauensverlust seitens der Konsumenten. 55% RICHTIG 45% FALSCH Internationale Studien zeigen, dass das Vertrauen in die Wirtschaft nachhaltig erschüttert ist. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist der Consumer Confidence Index für das Kundenvertrauen in den USA bereits eine börsenrelevante Information. Im gemeinsamen Konsumieren, der »collaborative consumption«, zeigt sich, dass Vertrauen ökonomischen Erfolg positiv beeinflusst: Ob Airbnb, Ebay oder Etsy – all diese Foren basieren auf »virtual trust« und damit auf Vertrauen und Transparenz zwischen völlig Fremden. Auch der Erfolg von Crowdfunding-Plattformen weist in die gleiche Richtung. Vertragstreue macht aus einfachen Konsumenten Micropreneure mit ökonomischem Erfolg. 60 Wenn Brands die Vertrauenskrise zwischen sich und ihren Konsumenten überwinden wollen, ist qualitatives Wirtschaften notwendiger denn je. So kämpfen Konzerne wie H&M mit ihrer Recyclingaktion (Bring deine alten H&MStücke zurück, und du erhältst einen Einkaufsgutschein) an den unterschiedlichsten Fronten gegen die wachsende Kritik von Konsumenten. Markenkommunikation muss daher gut durchdacht sein, sonst verlieren Marken durch Kampagnenplattformen, Bewertungsportale und Kommentarfunktionen ihren zentralen Wert: Vertrauen. PRESUMING - MEINUNG IST GOLD Die Erwartungshaltung vieler Konsumenten basiert h eute größtenteils auf drei Säulen: Sie wollen möglichst die Ersten sein, die von einem Produkt erfahren, der Gegenstand des Interesses darf nur das Beste vom Besten sein und dabei wollen sie so individuell wie möglich behandelt werden. Durch die allgemeine Akzeptanz von Crowdsourcing-Plattformen und den Zugang zu herausragenden, neuartigen Herstellungstechnologien wie der 3D-Drucker, sind Konsumenten mehr und mehr auch Presumers. Die 61 TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER neue Generation der Konsumenten, die sich schon vor der Markteinführung mit Produkten und Services auseinandersetzt, gewinnt 2013 in wachsendem Maße und in der Breite an Einfluss. Egal, ob als Entwickler des perfekten Produkts oder als passionierte Unterstützer und Befähiger – Presumers lieben es, mitzumachen. Druck zu machen, Zeit und Ideen zu investieren oder neue Dienstleistungskonzepte anzupreisen, gilt gerade dann als schick, wenn Produkte und Dienstleistungen noch nicht im f reien Verkauf erhältlich sind. Davon profitieren vor allem Crowdfunding-Plattformen, die alle Arten von Projekten hosten, Nischen-Formate mit Fokus auf kulturelle Angebote genauso wie klassische Start-Up-Plattformen (kickstarter, crowdfunding oder startnext), die 2012 schon 2,8 M illiarden US-Dollar generiert hatten, bevor ein Produkt oder eine Dienstleistung das Licht der Welt erblickte. 62 Große Marken reagieren auf diesen Trend immer häufiger mit Ausschreibungen zur Bewertung oder zur Ideen-Findung. Die dadurch gewonnenen Daten vereinfachen es herauszufinden, was die Konsumenten wirklich wollen. Das bedeutet das Ende von Annahmen hin zur klaren Auswertbarkeit von Fakten, die Marken für sich zu nutzen lernen sollten. Zara sammelt diese Daten zum Beispiel bei Kundenbefragungen direkt im Store. 2013 bedeutet das für die Marken, sich vermehrt auf die Stimmen der Konsumenten zu besinnen und neue Konzepte für die direkte Ansprache der Kundschaft vor Verkaufsstart zu etablieren. Voraussetzung für den Erfolg einer Marke ist ein tieferes gegenseitiges Verständnis von Kunden und Produzenten, um so besser auf Kundenwünsche reagieren zu können. Der langjährige Claim von Nokia »connecting people«, büßte in den vergangenen Jahren an Format und Bedeutung ein. Denn der Apple-Konzern war es, der dem ehemaligen Marktführer Kunden mithilfe innovativer Technologie abwarb. Und das, obwohl Nokia zum Start des iPhone noch mehr Mitarbeiter im Bereich Forschung beschäftigte als Apple insgesamt. Dann kam der Hype um Smartphones, und Nokia war nicht dabei. Oftmals nicht dabei war in den letzten Jahren auch Micrsoft. Dies wird sich nun durch die Markteinführung von Windows 8 ändern: Windows 8 schafft ein ganz neues Arbeiten. Nicht mehr mit Programmen, seien sie auch als Apps getarnt, sondern mit »Interessens-Kachelfeldern« arbeitet die Software. Und das ist nutzerfreundlich. Wer schon mal das Microsoft Surface in der Hand gehalten hat, weiß, was am iPad stört. Die neuen, positiv-bunten Microsoft-Stores in den USA wirken nicht etwa wie ein schlechtes Plagiat der legendären Apple-Stores, sondern wie eine moderne, fröhliche Kopie. Dabei wird klar: Der Apfel fault. Zu überambitioniert und strapaziert wirkt der Konzern bei dem Versuch, auch nach dem Tod von Steve Jobs auf allen bekannten Feldern die Konkurrenten auf Abstand zu halten. Denn die Revolutionen sind vollzogen. Die Evolution schafft vorhersehbare Produkte. Und der User, der im Mittelpunkt stand, wird heute ausspioniert, geknebelt oder in die Irre geleitet. Wer heute noch »think different« sein will, tut das nicht mehr mit dem Mobiltelefon oder Laptop. Und schon gar nicht mehr über Apple. Die entstandene Lücke schließen 2013 nicht nur Google und Samsung, sondern vor allem Nokia und Microsoft. 63 A U TO R Seit 2004 kommuniziert K-MB Marken für Unternehmen in Deutschland, Europa und weltweit. Die Agentur arbeitet für stilprägende Marken der Konsumwirtschaft wie Mercedes-Benz, smart, ABSOLUT Vodka, Coke Zero, Amazon, DRYKORN, Lee, Leineweber/Deyk, BoConcept, Jameson, Ramazzotti, Vans u. v. m. Aktuelle Informationen zu Agentur und Kunden finden Sie unter: www.k-mb.de Wenn Sie sich für die Arbeit von K-MB interessieren, nehmen Sie doch einfach Kontakt zu uns auf: Per Mail an [email protected] oder telefonisch unter +49 (0)30 69 59 72 80. Den Trend-Check 2014 können Sie ab Januar 2014 bei uns bestellen. K-MB Agentur für Markenkommunikation GmbH Linienstraße 144 10115 Berlin [email protected] K-MB Creative Network NYC, Inc. 372 Broome Street New York City, NY 10013 [email protected] Design: Christian Bikadi, www.bikadi.de 64 65