Leseprobe - Residenz Verlag
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Peter Laufer Bio? Die Wahrheit über unser Essen Aus dem Amerikanischen von Karin Miedler und Sigrid Schmid Nachwort von Thomas Weber Residenz Verlag Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel: »Organic: A Journalist’s Quest to Discover the Truth behind Food Labeling« bei The Lyons Press, Guilford, CT. U.S.A.; The Rowman & Littlefield Publishing Group. © 2014 Peter Laufer First published in the United States By The Lyons Press, CT. U.S.A. This translation published by arrangement with The Rowman & Littledfield Publishing Group. All rights reserved. Für die deutschsprachige Ausgabe: © 2015 Residenz Verlag im Niederösterreichischen Pressehaus Druck- und Verlagsgesellschaft mbH St. Pölten – Salzburg – Wien www.residenzverlag.at Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Umschlaggestaltung, grafische Gestaltung: BoutiqueBrutal.com Umschlagbild: kallejipp / photocase.de Schrift: Minion, Clarendon Text Gesamtherstellung: CPI Moravia Books ISBN 978 3 7017 3359 0 Inhalt 9 Vorwort Bio? 13 Einleitung Nüsse und Bohnen 17 Kapitel eins Betrüger Joe 28 Kapitel zwei Kennzeichnung der Bio-Branche 46 Kapitel drei Frisch im Ruhestand und gesprächig 65 Kapitel vier Der Mann hinter USDA Organic 75 Kapitel fünf Bio in der Alten Welt 85 Kapitel sechs Nicht zertifiziert und selbst zertifiziert. Ein Aufenthalt in Costa Rica 100 Kapitel sieben Die NSA ≠ Bio 110 Kapitel acht Die Großväter der Öko-Bewegung in Europa 132 Kapitel neun Wir und die anderen 149 Kapitel zehn Mehr als nur Nüsse und Bohnen 165 Kapitel elf Auf der Seidenstraße … zu den Walnüssen 184 Kapitel zwölf Die Zertifizierung bei OregonTilth 194 Kapitel dreizehn Der Mais-Fälscher 202 Kapitel vierzehn Der tunesische Olivendichter und der ungarische Maisverbrenner 218 Kapitel fünfzehn Sic transit Italia 232 Kapitel sechzehn Wir wissennicht die Bohne über unsereBohnen 245 Kapitel siebzehn Meine Bohnen kommen nach Hause 261 Epilog 267 Nachwort Zweierlei Zurück zum Ursprung 270 Danksagung 276 Quellen und Literatur 281 Index Mit Liebe für Sheila. Sie hat meinen Appetit, der für dieses Buch notwendig war, mit etwa 14 235 Mahlzeiten unterstützt. Neunzig Prozent der bekannten Krankheiten werden durch billige Nahrungsmittelverursacht. Man ist, was man isst. – Aus einer Werbeanzeige für Rindfleisch im Bridgeport (CT) Telegram; wahrscheinlich der Ursprung dieses Sprichworts, 1923 Aus theoretischer Sicht kann man sich über Big Brother beklagen und darüber, dass dieses Programm aus dem Ruder gelaufen ist, aber wenn man die Details betrachtet, haben wir meiner Meinung nach eine gute Balance gefunden. – Barack Obama verteidigt die bis dato geheime Überwachung von Telefongesprächen und Internetnutzung der US-Bürger durch die Regierung, 2013 Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt. – Joseph Pulitzer in seinem Leitbild für das Columbia University College of Journalism, 1903 Einleitung Nüsse und Bohnen Meine Frau Sheila brachte eine Tüte Walnüsse mit der Aufschrift »Bio« von Trader Joe’s nach Hause und sie schmeckten ranzig. Das ist keine große Sache. So etwas kommt vor. Ehe ich sie zurück in den Laden in der Stadt brachte, las ich die Aufschrift. Walnüsse waren es auf jeden Fall, und laut Etikett handelte es sich um Bioware. Das Kleingedruckte erregte meine Aufmerksamkeit: Ein Bioprodukt aus [theatralische Pause] Kasachstan. Sie können mich als Skeptiker oder Zyniker bezeichnen, doch an dieser Stelle erwachte mein journalistischer Spürsinn. Auf dem Weg zum Geschäft dachte ich an das autoritäre Regime in Kasachstan, die Bauern, die dort ums Überleben kämpfen, und die Kultur von Bestechung und Korruption, die in den meisten ehemaligen Sowjetrepubliken herrscht. Ich fragte mich, ob irgendetwas an den verdorbenen Nüssen in der Cellophantüte »Bio« war. Natürlich bekam ich bei Trader Joe’s mein Geld zurück. Mit dem kollegial wirkenden Angestellten scherzte ich über die Vertrauenswürdigkeit der kasachischen Biolebensmittelbranche. Ich ging nach Hause mit einer Tüte konventionell angebauter Walnüsse aus Kalifornien und vergaß den Zwischenfall weitgehend. Einige Monate später sah sich Sheila das Etikett auf einer Dose schwarzer Bio-Bohnen an, die Marke hieß Natural Directions, und Sheila war besorgt wegen Bisphenol A (BPA). Sie versucht BPA aus unserem Haushalt fernzuhalten, denn sie befürchtet gesundheitliche Risiken durch die Kunststoffbeschichtung in Dosen. Sie telefonierte mit einem Vertreter von Natural Directions. Der sagte ihr, um feststellen zu können, was für eine Dose das sei, müsse man den Ursprung des Produkts kennen. Der Deckel trug den Stempel »Product of Bolivia«. 13 Einleitung Sofort musste ich an die Walnüsse denken. Das Szenario war dasselbe. Eine Produktverpackung, die Verbraucher wie Sheila und mich dazu verführt, es aus dem Regal zu nehmen – »Bio« lautet das Codewort – zieht uns an wie eine Leuchtreklame die Fliegen. Und dann das Herkunftsland, Bolivien – so unglaublich wie Kasachstan. Bolivien, wo wegen des massiven Kokainhandels Korruption herrscht. Bolivien, eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre. Auch hier wurde meine Gutgläubigkeit stark strapaziert. Ich schreibe das in meinem Haus im amerikanischen Bundesstaat Oregon, der berühmt ist für seine Biolebensmittelbranche. Aus Oregon stammt Oregon Tilth, eines der ältesten, größten und (zumindest in den alten Bio-Zeiten) strengsten Bio-Zertifikate der USA und Vorbild für ähnliche Institutionen. Aus Oregon stammt auch der 55-jährige Harold Chase, der zu über zwei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er über zwei Millionen Kilo konventionell angebauten Mais an einen Großhändler verkaufte. Sein Verbrechen? Er behauptete, der Mais sei Bioware, erhöhte den Preis und verdoppelte so seine Einkünfte. Wir besorgten Verbraucher sind bemüht, uns gut zu informieren, was auf den Tisch kommt. Doch wem können wir vertrauen, wenn es um die Herkunft unserer Nahrungsmittel geht? Für die meisten von uns ist es nicht machbar, jeden Artikel von unserer Speisekarte zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen. Dabei fällt mir eine Szene aus der satirischen TV-Serie Portlandia ein: Ein Paar befragt die Kellnerin zu dem Huhn, das sie bestellen wollen, und diese zieht eine Liste heraus und teilt ihnen seinen Namen – Colin – sowie seinen Stammbaum mit. Das Paar ist nicht zufrieden und verlässt das Restaurant, um sich auf dem Hof anzusehen, ob das Tier auch artgerecht gehalten wurde. Doch wenn Wal-Mart seine Regale mit Lebensmitteln mit der Bezeichnung Bio füllt, wenn Trader Joe’s uns Nüsse aus Kasachstan anbietet und Natural Directions angibt, Bohnen aus Bolivien zu importieren, fühle ich mich geradezu aufgefordert, die Probe aufs Exempel zu machen und diese Walnüsse zu ihrem Erzeuger in Kasachstan und diese Bohnen bis zum bolivianischen Bohnenfeld zurückzuverfolgen. Das tat ich dann auch. Doch dieses Buch ist nicht nur ein Reisetagebuch. Mein Ziel ist es, die Geschichte der Nüsse und Bohnen zurückzuverfolgen – und unsere 14 Nüsse und Bohnen gesamte Bio-Speisekarte. Was geschieht zwischen Anpflanzung und Ernte bis zur Verarbeitung und Verpackung, was geschieht beim Transport und schließlich bei der Auslieferung zur Verkaufsstelle? Wie kamen diese Worte auf diese Tüte und diese Dose? Sind diese globalisierten Nüsse und Bohnen (wie auch andere globalisierte Lebensmittel) das, wofür wir unser Geld ausgeben wollen und was wir uns einverleiben wollen? Wer zertifiziert sie als Bioware? Können wir diesem Gütesiegel trauen? Selbst wenn wir das können, was halten wir von den Arbeitsbedingungen auf dem Weg der Nahrungsmittel bis auf unseren Teller? Und sind diese Nüsse und Bohnen ein Beispiel für globales »Greenwashing«, das sich hinter dem glitzernden Wort auf dem Etikett versteckt? Das dritte Element meiner Recherche in diesem Buch ereignet sich ganz in der Nähe meines Wohnorts Eugene. Ist der Betrüger Harold Chase eine Ausnahme, oder besteht für uns die Gefahr, dass wir Höchstpreise für heimatliche Nahrungsmittel ausgeben, die wir für Bio halten, die aber eigentlich etwas anderes sind? Woher stammen diese Nahrungsmittel, die ich esse? Kann ich dem Etikett trauen? Was bedeutet das Etikett? Ist das nur ein schlauer Werbetrick? *** Ich verließ meine gemütliche, verschlafene kleine Collegestadt und machte mich auf eine journalistische und gastronomische Odyssee, um die Walnüsse und die Bohnen vom Regal meines Geschäfts vor Ort zurückzuverfolgen zu den Bäumen und Feldern, woher sie angeblich stammten. Nach über einem Jahr und zahlreichen Interviews und Stapeln von Studien fand ich die Antworten und stellte weitere Fragen. 15 Kapitel eins Betrüger Joe Als ich im Jahr 2010 nach Eugene im Bundesstaat Oregon zog, wurde unübersehbar für eine Ausstellung im Lane County Historical Museum geworben. In denselben unscharfen und bekannten Schrifttypen, die mich in den Sechzigerjahren zu Konzerten in San Francisco im Avalon Ballroom und im Fillmore riefen, verkündeten die Plakate: »Schnurbatik und Tofu: Wie das etablierte Eugene zu einem Hafen der Gegenkultur wurde.« Ein VW-Bus, ganz ähnlich wie der, den ich in den Jahren besessen hatte, war ein Kristallisationspunkt der Ausstellung. Aus seinem Radio tönten Janis Joplin und Jimi Hendrix. Andere Ikonen der Zeit waren ausgestellt – von ausgewaschenen Blue Jeans bis hin zu »Underground«-Zeitungen – Relikte, für die ich keine Eintrittskarte kaufen musste. Ich habe die Zeit nicht nur selbst miterlebt, sondern viele der Exponate waren bei meiner Frau und mir zu Hause immer noch im Gebrauch. »Schnurbatik und Tofu« dokumentierte die Entstehung der Bewegung zurück aufs Land in Oregon und die Ursprünge der damals alternativen Lebensmittelmarken. Unternehmen wie die Molkerei Springfield Creamery boten Produkte an, die man in Supermärkten nicht fand, zum Beispiel Nancy’s Organic Yogurt. Biolebensmittel wurden im County Lane wie im Rest der USA in flippigen sogenannten Health Food Stores angeboten, die Einzelhändlern vor Ort gehörten. Einer dieser Läden lag im texanischen Austin und nannte sich Whole Foods. Heute gibt es Lebensmittel mit der Bezeichnung Bio natürlich überall, bei Trader Joe’s und sogar bei Wal-Mart. Biolebensmittel sind ein Milliardengeschäft. 27 Milliarden Dollar im Jahr – allein in den USA (das sind weniger als 4 Prozent der Gesamtausgaben für Lebensmittel in den USA).1 Erstklassige Beispiele bietet meine Küche. 17 Kapitel eins Der Tee mit Mangogeschmack, den ich trinke, ist von French St. Dalfour. Ich mag den Geschmack, die Verpackung und den Preis (relativ günstig für Bio). Jede Schachtel enthält 25 Teebeutel, die alle einzeln in Folie versiegelt sind, damit sie frisch bleiben. (Wie viel unnötiger Abfall entsteht bei der Herstellung und nach Gebrauch dieser Beutel?) Mich hat das Etikett verführt. Ich denke mir, in Teeplantagen – weit entfernt von den meisten Verbrauchern – könnten allerlei böse Düngemittel, Herbizide, Fungizide und Insektizide zum Einsatz kommen. Das Wort Bio ist wie eine Versicherung. Die Verpackung verspricht, das Produkt sei vom Institut für Marktökologie/Institut d’ecommerce aus der Schweiz überprüft (klingt eindrucksvoll – die Schweiz ist so sauber!) und von Oregon Tilth zertifiziert. Ich esse Haferflocken von Old Wessex Ltd, Brand Irish Style. Sie sind bio-zertifiziert von Quality Assurance International in San Diego. Im Schrank neben den Haferflocken steht eine Flasche tunesisches Olivenöl. Der Anspruch Bio wird laut Etikett von Ecocert bestätigt. Daneben steht eine halb volle Schachtel Bio-Cracker der Marke Doctor Kracker, dessen Versprechen vom Landwirtschaftsministerium in Texas bestätigt wird. Dasselbe steht auch auf einer Schachtel Bio-Zerealien von Arrowhead Mills mit der Bezeichnung Rice and Shine. Ein Glas Bio-Feigenaufstrich – hergestellt für Whole Foods von Hermes International in Kroatien – trägt eine Zertifizierung von IMO Switzerland, vielleicht die Abkürzung des Instituts von der Teeschachtel. Eine Plastikdose von United mit MedjoolDatteln der Marke Earth (»saftig frisch« – ein eigenartiges Verkaufsargument für ein getrocknetes Produkt) wird von der CCOF als Bio zertifiziert. Auf einer Dose Zimt der Marke Flying Bird steht »bio-zertifiziert« ohne Angaben zum Zertifizierer, zu den Bedingungen und weiteren Einzelheiten. »Bio« bedeutet natürlich vieles. Das ist das Problem. Im Kühlschrank steht ein Glas brauner Reissirup von Lundberg Farms mit der Bezeichnung »aus Bio-Anbau« und einer Bestätigung »Projekt ohne Gentechnik«. Ein Karton von Organic Valley verspricht, die großen braunen Eier darin wurden von »Bio-Hennen« gelegt, die »100 % bio-vegetarisch« ernährt wurden, zertifiziert von Oregon Tilth. Das Öl aus geröstetem Sesam von Spectrum Naturals ist als Bio ausgezeichnet und schmückt sich mit dem Bio-Zeichen des USDA, liefert aber keine Hinweise, wer diesen Anspruch als Dritter überprüft. 18 Betrüger Joe Zwei Maiskolben im Gemüsefach tragen ein Plastikband, das garantiert, dass sie aus Bio-Anbau stammen, aber ebenfalls keine Quelle für diese Behauptung liefert. Auf dem Ketchup sowie der Gemüsebrühe und dem griechischen Joghurt ist das stilisierte Q von Quality Assurance International zu sehen. Trader Joe’s geht mich nichts an Mein Trader Joe’s-Geschäft vor Ort befindet sich gegenüber vom Willamette River auf dem Campus der University of Oregon. »Ich kaufe dort ein, weil mir die Aufmachung ihrer Produkte gefällt«, sagt einer meiner Journalistik-Studenten, und das sagt schon alles über das Image von TJ aus. Ich gebe zu, mir gefällt der tanzbare Rock ’n’ Roll, der im Geschäft läuft, und mich locken die günstigen Preise. Außerdem gibt es einige Produkte, die ich woanders nicht bekomme. Das in Olivenöl gebratene Popcorn zum Beispiel. Man wird süchtig davon. Laut Etikett ist es Bio. Wie die gebackenen (nicht frittierten) Maischips, die ich esse, gibt mir das Bio-Popcorn das Gefühl, mich gesund zu ernähren. In eine ranzige Walnuss zu beißen ist unangenehm. Doch als ich die volle Packung Nüsse aus Kasachstan in mein Trader Joe’s-Geschäft zurückbrachte, lächelte der Geschäftsführer ebenso wie sonst immer die Verkäufer. Die Angestellten scheinen mit ihrer Arbeit zufrieden. Ehe ich das Geschäft mit einer Tüte frischer kalifornischer Walnüsse verließ, fragte ich den Geschäftsführer, warum die Walnüsse aus Kasachstan nicht mehr im Regal waren. Er sagte, ich sollte über die Website der Firma in der Zentrale nachfragen, und das tat ich von zu Hause aus auch. Eine Antwort kam kurz darauf mit der für Trader Joe’s typischen Lässigkeit oder Gleichgültigkeit – je nach Standpunkt. »Diese automatisch generierte Antwort bestätigt, dass Ihre E-Mail erfolgreich an Trader Joe’s versandt wurde«, wurde mir mitgeteilt. Wir schätzen Ihre Anmerkungen und werden Ihnen sobald als möglich antworten. (Denn einige wenige Menschen lesen und beantworten ALLE tollen Rückmeldungen unserer Kunden.) Wenn es sich um eine 19 Kapitel eins dringende Angelegenheit handelt, wenden Sie sich bitte an die Mitarbeiter Ihres Trader Joe’s-Geschäfts vor Ort. Auf diese Weise erhalten Sie am schnellsten eine Antwort, und vielleicht erzählen sie Ihnen auch noch einen guten Witz. Natürlich war es ein Mitarbeiter, der mir geraten hatte, zunächst über die Homepage mein Glück zu versuchen. Die Nachricht endete mit dem hawaiianischen Dank »Mahalo«. Einige Tage später schickte mir ein/e »Kerry« von der Kundenbetreuung eine persönlichere Antwort. »Ich entschuldige mich für die Enttäuschung, die Sie erlebt haben«, schrieb sie/er, »und ich bin so froh, dass Sie von unserem Rückgaberecht Gebrauch gemacht haben.« Kerry erklärte, die kasachischen Nüsse seien im Angebot gewesen, weil die Nachfrage nach Walnüssen das Angebot an einheimischen überstiegen habe. »Wir kaufen alle kalifornischen Bio-Walnüsse, die wir kriegen. Wenn die ausverkauft sind, bieten wir Walnüsse aus anderen Teilen der Welt an, auch aus der Republik Kasachstan.« Doch meine spezielle Frage zur Qualitätskontrolle – wer garantiert, dass es sich um Bio-Nüsse handelt – beantwortete Kerry mit vagem Unternehmensblabla: Für Trader Joe’s ist die Sicherheit der Lebensmittel von größter Bedeutung. Neben unseren eigenen strengen Qualitätsanforderungen an alle unsere Produkte – aus Bio- und konventioneller Produktion – (wir werden keinen Artikel anbieten, den wir bei Trader Joe’s nicht selbst kaufen und verzehren würden!) sind unsere internationalen Lieferanten denselben hohen Bio-Zertifizierungen und Sicherheitsvorschriften der Lebensmittelbehörde unterworfen. Wir haben auch Verträge mit unabhängigen Zertifizierungsunternehmen in den USA, die für absolute Sicherheit sorgen, dass die Sicherheitsbestimmungen unserer nationalen und internationalen Lieferanten höchsten Ansprüchen genügen. Wir arbeiten mit vertrauenswürdigen Händlern, die alle von den Behörden vorgeschriebenen Richtlinien einhalten, und wir stehen im ständigen Kontakt mit den besonderen Lieferanten, die diese Richtlinien beachten (unsere Einkäufer führen sogar weltweit Besuche vor Ort durch). 20 Betrüger Joe Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen! Mit freundlichen Grüßen Kerry Es gab keine Postanschrift von »Kerry«, keine Telefonnummer und keine E-Mail-Adresse außer der rätselhaften [email protected]. Ich ging in die nächste Runde mit Kerry. Ich schrieb ihr/ihm, dass ich als Journalist über die Herkunft von Biolebensmitteln recherchiere und gern einen ihrer Einkäufer bei einem Besuch bei einem Lieferanten von Trader Joe’s begleiten wollte. Ich bat, eine solche Reise für mich zu arrangieren. Es überraschte mich nicht, dass ich nie wieder etwas von Kerry hörte (vielleicht war sie/er ein computergenerierter Avatar?). *** O heilige Maria, die ohne Sünde empfing, bitte für uns steht über dem Eingang zur Kirche der Unbefleckten Empfängnis in der Shamrock Avenue. Gegenüber auf der anderen Straßenseite stehen die ausgeblichenen Zapfsäulen einer ausgedienten Flying ATankstelle. Der Preis an einer Zapfsäule zeigt das Alter an: 33 Cent für eine Gallone. Eine Straße weiter steht ein viktorianisches Privathaus mit einem weißen Lattenzaun davor. Ich bin in Monrovia in Kalifornien, in der Nähe des Hauptsitzes von Trader Joe’s in der Shamrock Avenue 800, gegenüber der Kirche der Unbefleckten Empfängnis. Der Morgennebel hebt sich vom südkalifornischen Himmel, doch nicht von der undurchsichtigen Unternehmensphilosophie, zu der auch die Anonymität seines Verwaltungsgebäudes passt. Nichts weist darauf hin, dass das unauffällige eingeschossige Gebäude, neben dem die amerikanische Flagge in einer leichten Brise über dem Parkplatz weht, den Hauptsitz von Trader Joe’s beherbergt, mal abgesehen von den unfreundlichen Kein-Zutritt-Schildern am Eingang zum Parkplatz: »Verstöße werden mit voller gesetzlicher Härte verfolgt«. Und schnüffelnde Journalisten sind ebenfalls unwillkommen. »Danke, dass Sie sich an Trader Joe’s gewandt haben«, schrieb Alison Mochizuki aus dem Büro des CEO von Trader Joe’s, Dan Bane, als ich ein Treffen vorschlug. 21 Kapitel eins »Leider müssen wir diese Gelegenheit verstreichen lassen, da wir nicht an Recherche- oder Buchprojekten teilnehmen. Vielen Dank noch einmal, und alles Gute für Sie.« Bane ist in der Geschäftswelt bekannt dafür, dass er nicht für Fragen und Kommentare zu seinem Unternehmen zur Verfügung steht. In einem Bericht in der Zeitschrift Fortune über Trader Joe’s spekulierte die Reporterin Beth Kowitt: »Die übertriebene Geheimhaltung vonseiten der Führung könnte daraus resultieren, dass die Geschäftspraktiken von Trader Joe’s oft im starken Gegensatz zu seinem Image als flippiges Geschäft um die Ecke steht, in dem es Waren von einheimischen Bauernhöfen und mit Handarbeit hergestellte Lebensmittel gibt.« Kowitt schreibt, manche Waren mögen einheimisch sein, andere Eigenmarken von Trader Joe’s dagegen stammten von LebensmittelGroßkonzernen wie PepsiCo (zum Beispiel die Pitachips von TJ). Das Magazin zitierte aus einer Kopie einer Übereinkunft von Trader Joe’s, die alle Lieferanten des Einzelhändlers unterzeichnen müssen: »Der Lieferant darf seine Geschäftsbeziehung mit TJ in keiner Weise öffentlichmachen.«2 In einem Buch über seine Erfahrungen als Mitarbeiter bei Trader Joe’s in Kansas City zitiert Mark Gardiner den CEO Bane aus dem Handbuch für Mitarbeiter des Unternehmens: »Der Auftrag von Trader Joe’s ist es, unseren Kunden hochwertigste Nahrungsmittel und Getränke anzubieten und ihnen die notwendigen Informationen für fundierte Kaufentscheidungen zu liefern.« Wer genau in Kasachstan angibt, Bio-Walnüsse anzubauen – und warum in aller Welt ich dieser Behauptung Glauben schenken soll, wird offensichtlich nicht als Information betrachtet, die ich für eine fundierte Kaufentscheidung benötige. Ein weiteres Zitat aus dem Handbuch, das Gardiner Bane zuschreibt, sagt den Angestellten: »Wir sehen uns als Einkäufer von Lebensmitteln und Getränken für intelligente, gebildete und wissbegierige Personen.«3 Solange diese »wissbegierigen Personen« nicht wissen wollen, wo diese Walnüsse angebaut wurden, und unter welchen Bedingungen und von wem. Nur wenige Straßen westlich vom Hauptquartier von Trader Joe’s schlendere ich am Huntington Boulevard in einem ganz normalen, 22 Betrüger Joe typischen südkalifornischen Einkaufszentrum (mit kleinen Geschäftsfassaden) und mit endlos vielen Parkplätzen in eine einladende Trader Joe’s-Filiale. Aus der Musikanlage ertönt »Winter Wonderland«, um mich auf Weihnachten einzustimmen. Ich greife nach meinen üblichen Einkäufen bei Trader Joe’s: Ein Becher Hummus und eine Tüte dieser Pita-Chips von Pepsi »mit weniger Schuldgefühlen« dazu, die Scharfen Linsen-Wrap mit der Scharfen Tahinasoße von Trader Joe’s Eigenmarke, das abhängig machende Bio-Popcorn mit Olivenöl sowie eine Plastikflasche mit dem teureren Bio-Karottensaft. Meine E-Mail-Begegnung mit Kerry wirft für mich die Frage auf, ob Joe’s nur denselben Saft in verschiedene Flaschen mit unterschiedlichen Etiketten füllt. Ehe ich das Geschäft verlasse, schaue ich wie jedes Mal, wenn ich an einem TJ vorbeikomme, noch nach Bio-Walnüssen. Ich suche eine weitere Packung dieser kasachischen Nüsse. Doch auf denen hier in Monrovia steht Kalifornien, also lasse ich sie im Regal. *** Charles Deitz, Lehrbeauftragter der University of Oregon, der mich bei der Recherche zu diesem Buch unterstützt, steht in Oregon auf dem Parkplatz der Trader Joe’s-Filiale in der Coburg Road. Seine Aufgabe ist es, zufällig ausgewählte Kunden anzuhalten, ihnen Fragen über den Inhalt ihrer Einkaufstaschen zu stellen und nach Begründungen für ihren Kauf zu fragen. »Kaufen Sie Biolebensmittel?«, fragt er Dee. »Ja«, sagt sie, und äußert die Hoffnung, darin seien weniger Pestizide enthalten. Doch sie ist skeptisch, was die Versprechungen auf den Etiketten angeht. »Auf manchem steht Bio, aber ich weiß, dass nicht alles zertifizierte Bioware ist. Es ist nicht alles wahr, was auf den Etiketten steht.« Auf seine Frage, ob sie amerikanische Produkte bei ihrer Suche nach Biolebensmitteln vorziehe, äußert sie sich unentschieden. »Ich glaube, ich würde amerikanischen Bioprodukten eher vertrauen als Produkten aus anderen Ländern, doch ich kaufe auch Biolebensmittel aus Mexiko.« Sie überlegt noch einen Moment und fügt dann hinzu: »Wer weiß? Vielleicht gibt es in anderen Ländern bessere Bio-Standards als bei uns.« Sie räumt die Übermacht weltweiten Handels ein, wenn es um Einzelheiten 23 Kapitel eins ihrer Nahrungsmittel geht. »Ich weiß nicht, wie man das als Verbraucher je wissen kann.« Deitz begrüßt Kelly. Sie sagt, sie kauft, was sie will, und achtet nicht auf Labels. Wenn Lebensmittel als Bioware gekennzeichnet sind, geht sie davon aus, dass sie »natürlich angebaut worden sind, ohne Chemikalien, Insektizide und Düngemittel«. Marsha sucht eine reife Wassermelone und klopft mit der Faust an die Früchte, als Deitz sie anspricht. Sie sagt, sie kauft Bioware, wenn sie die Wahl hat. Doch sie kennt sich mit den Labels nicht aus, wie sich aus ihrer Aussage ergibt: »Ich dachte, es gibt so eine Art übergeordnete Organisation, die so etwas wie ein Siegel vergibt, doch ich glaube nicht, dass das etwas Staatliches ist – ich weiß es nicht.« Steve verstaut seine Bio-Einkäufe auf seinem alten Pick-up und sagt, das sei der Einfluss seiner Freundin. »Sie bestimmt das«, sagt er. »Ich kaufe Bioware, wenn ich kann. Alles, was über der Erde wächst, versuchen wir aus ökologischem Anbau zu kaufen. Doch wir essen nicht nur Biolebensmittel. Wurzelgemüse ist nicht so wichtig für uns.« Die Nähe ist wichtig. »Ich kaufe gerne Nahrungsmittel möglichst aus der Nähe, um Unternehmen vor Ort zu unterstützen.« Doch er würde nicht unbedingt Nüsse aus Kasachstan oder Bohnen aus Bolivien meiden. »Wir legen ein gewisses Vertrauen in Trader Joe’s, dass Qualitätsprodukte eingekauft werden, dass es sich auch sicher um Bioware handelt. Das basiert auf Vertrauen. Man kauft dort, wo man Vertrauen hat, um nicht jedes Produkt im Geschäft überprüfen zu müssen. Die Bezeichnung ›Bio‹ sollte genügen. Doch es ist auch sehr beruhigend, wenn ›zertifiziert von Oregon Tilth‹ daraufsteht.« »Nicht wenn sie viel teurer sind als die konventionellen«, sagt Maureen über ihre Kaufentscheidungen für Biolebensmittel in ihrem Einkaufswagen. »Ich glaube, das ist besser für mich. Ich weiß, man kann all die Pestizide von Beeren und Kirschen und anderem, das man roh isst, nicht abwaschen.« Bio bedeutet laut Maureen keine Pestizide. »Und vielleicht hat das auch mit der Qualität des Bodens zu tun.« Und wer entscheidet das? »Ich glaube, es gibt da eine Art Ausschuss oder Kommission, die das entscheidet.« Ein weiterer Mann belädt seinen Pick-up, als Deitz ihn anspricht. »Kaufen Sie Produkte mit der Bezeichnung ›Bio‹?« 24 Betrüger Joe »Ja«, antwortet der ältere Mann. »Warum vertrauen Sie den Labels?« Die Antwort ist einfach. »Ich vertraue ihnen nicht.« »Und wenn auf einem Produkt Bio steht, und es kommt aus Kasachstan oder Bolivien, macht Sie das misstrauisch?« »Ja.« »Wie heißen Sie?«, fragt Deitz. Wir versuchen die Interviews wenigstens anhand der Vornamen zu ordnen. »Das geht Sie nichts an«, antwortet der Griesgram und lässt Charles Deitz mit derselben Schroffheit stehen, mit der Trader Joe’s gezielte Verbraucherfragen abwehrt. Die Definition von Bio Trader Joe’s, Wal-Mart und andere etablierte Einzelhandelsketten sowie der allgegenwärtige Whole Foods verdienen an Verbrauchertrends und den Ängsten, indem sie Produkte mit Bio-Bezeichnung liefern – und für Höchstpreise verkaufen. Um meine Recherche zu objektivieren, stelle ich einige grundlegende Fragen zusammen, die ich beantwortet haben will: Wie unterscheiden sich die Anforderungen für den Anbau, die Verarbeitung und die Bezeichnung von Lebensmitteln als Bio angesichts widersprüchlicher Gesetze, unterschiedlicher Zertifizierungsprogramme und Verbrauchererwartungen? Wer überwacht den Einsatz des Begriffs »Bio« in der Lebensmittelindustrie? Warum bedeutet ein Aufkleber des US-Landwirtschaftsministeriums, der Nahrungsmittel als Bioware kennzeichnet, nicht, dass es sich um hundertprozentige Bioware handelt? Ich denke über die tatsächliche Herkunft der Bio-Walnüsse aus Kasachstan oder der Bio-Bohnen aus Bolivien nach, vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Journalist im ehemaligen Ostblock und in Südamerika. Ich lese Kommentare anonymer Kunden von Trader Joe’s über dessen Bio-Ansprüche. Es sind Kunden, die ihre Meinung auf verschiedenen Webseiten zum Thema Nahrungsmittel posten. Vom übersprudelnden »Trader Joe’s ist der beste Ort, um zu sehen und gesehen zu werden, wie bei Chili’s und Applebee’s« bis zu »TJ sollte wirklich mehr über 25 Kapitel eins den Ursprung seiner Nahrungsmittel offenlegen«. Diese Kommentare zeigen, welche folkloristische Nische sich das Geschäft in der amerikanischen Gesellschaft geschaffen hat. *** KaufT Hässliches, es ist Bio stand auf dem Schild in der Obstund Gemüseabteilung im Bethesda Coop in Cabin John in Maryland. In den Achtzigerjahren, als ich NBC-Korrespondent in Washington war, wohnten wir in derselben Straße. Wir kauften das Hässliche. Damals wie heute zahlen wir normalerweise mehr für das Hässliche (wenn auch Bioprodukte mit weiter entwickelten Anbautechniken schöner werden). Das Bio-Zeichen bedeutete für uns, dass die Äpfel und Birnen, die Zucchini und Tomaten ohne chemische Unkrautvernichter, Pestizide und Dünger angebaut wurden, auf Höfen, die bereits lange genug ohne solche Zusätze gearbeitet hatten, dass die Böden auch nicht belastet waren. Wir vertrauten der Kooperative und fragten nie, woher unsere Nahrungsmittel kamen. Ich bin mir nicht sicher, warum wir ihren Zeichen vertrauten. Vielleicht war das damals so. Der Laden sah gesund aus, und wir wollten glauben. Und ich glaube es immer noch: Ich glaube, dass die Produkte, die man uns in den Achtzigerjahren verkaufte, höchstwahrscheinlich von Familienbetrieben in Maryland und Virginia stammten und dass das verschrumpelte Gemüse und das fleckige Obst frei von Giften war. Das hässliche Aussehen machte das glaubhafter, ebenso der ernsthafte Gesichtsausdruck von Jeans tragenden Verkäufern mit politischen Slogans auf ihren T-Shirts. Einer unserer Söhne arbeitete dort und räumte Regale ein. Wir waren Mitglieder. Doch meine Bio-Walnüsse und Bio-Bohnen weichen eindeutig von diesen Waren aus den frühen Jahren der Kooperative in Bethesda ab. Seit damals ist das Wort »Bio« unvermeidlich, fast ein Klischee geworden. Als Indikator für das, was wir essen, ist es eine bewegliche Größe. Sehen wir uns zum Beispiel die Definition des US-Landwirtschaftsministeriums an. Wenn Sie etwas mit dessen Bio-Abzeichen essen, bedeutet das nur, dass mindestens 95 Prozent aller Zutaten die Anforderungen der Regierung für Bioprodukte erfüllen. 26 Betrüger Joe Die 95-Prozent-Regel gilt auch in der Europäischen Union. Bio bedeutet auf beiden Seiten des Atlantiks, dass die Zutaten frei von chemischen Unkrautvernichtern und Pestiziden und frei von gentechnisch veränderten Organismen und nicht bestrahlt oder voller chemischer Konservierungsmittel sind. Bis auf die verbleibenden fünf Prozent. Und welche Geheimnisse bergen diese fünf Prozent? Andere Labels verwirren und sind irreführender. Was ist nicht einheimisch im Düsenzeitalter? Wie frei ist Freiland? »Natürlich« bedeutet, was auch immer Sie oder ich uns darunter vorstellen wollen, obwohl das amerikanische Landwirtschaftsministerium den Gebrauch des Begriffs reguliert, wenn er sich auf Fleisch und Eier bezieht.* Was kommt nicht aus der Natur, einschließlich einem besseren Leben durch die chemische Industrie, wie das Chemieunternehmen DuPont immer sagte? * Fleisch und Eier, die als Bio zertifiziert sind, dürfen, laut USDA (eine vage Einschränkung) »minimal behandelt« werden und keine »künstlichen Zusatzstoffe« beinhalten. 27