der druck auf übergewichtige nimmt zu - Selbsthilfe
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der druck auf übergewichtige nimmt zu - Selbsthilfe
Titel DER DRUCK AUF ÜBERGEWICHTIGE NIMMT ZU Adipositas hat viele Ursachen und hohe Folgekosten Von Volker Hütte überflüssigen Pfunde bekommen die Dicken auch noch von den Volkswirtschaftlern und Finanzexperten aufs Brot geschmiert – in Form einer Kostenrechnung der GesundEtwa jeder dritte erwachsene Bundesbürger ist deutlich heitssysteme. In der Europäischen Union beispielsweise übergewichtig, sagt die Statistik. gehen sechs Prozent der Ausgaben der Gesundheitssysteme Übergewicht ist in der Bevölkerung epidemisch verbreitet auf Krankheiten zurück, die von Übergewicht verursacht und verursacht hohe Kosten für das Gesundheitssystem, worden sind. warnen die Krankenkassen hierzulande. Dicke sind gemütlich, formuliert hingegen der Volksmund. Da müsste doch auch der dickfelligste Dicke ein schlechtes Gewissen bekommen. Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin, sang Marius MüllerWesternhagen, ein spindeldürrer Mann, um in der nächsten Wird da etwa eine Hetzjagd auf beleibte Menschen durchTextzeile weiterzuschmettern: denn Dicksein ist ne Quälerei! geführt, wie sich leicht argwöhnen ließe? Sind Dicke nur Übergewicht darf nicht nur den Dicken angelastet werden, zu faul zum Abnehmen? Oder ist Dicksein unweigerlich ein äußeres Anzeichen einer körperlichen Krankheit oder eines verlangen Betroffenenverbände. Deshalb müsse auch die psychischen Defekts? Wie sagen Fachleute unterschiedlicher Fettsucht erzeugende Umwelt bekämpft werden. Berufe dazu, und wie arbeiten sie mit übergewichtigen In Indien findet man Dicke wie mich zum Niederknien Menschen? schön, verweist Schauspieler Rainer Hunold auf kulturelle Für Fettleibigkeit und Fettsucht wird häufig der mediziUnterschiede bei der Körperlichkeit. nische Fachbegriff Adipositas genutzt. Adipositas ist nach Definition der Adipositas-Gesellschaft eine chronische Diese kleine Auswahl von Fakten und Aussagen zeigt Gesundheitsstörung und ein Zustand, der durch eine überbereits die Komplexität eines Themas, das in den letzten mäßige Ansammlung von Fettgewebe im Körper gekennJahren Politik und Öffentlichkeit beschäftigt hat wie nie zeichnet ist. Die tägliche Kalorienzufuhr ist bei adipösen zuvor. Beleibte Menschen stehen im Fokus der Medien, Menschen über lange Zeit höher als der Energieverbrauch. und manchmal scheint es, dass sie zum abschreckendsten Der entsprechende Überschuss wird als Fett in Fettzellen Beispiel eines verfehlten Lebensstils und einer kranken gespeichert. Diese werden zunächst größer, und später ab Zivilisation stilisiert werden. So wurden die Deutschen im einem gewissen Volumen werden neue Fettzellen gebildet. Frühjahr 2007 von einer in der „Süddeutschen Zeitung“ Die Adipositas überschreitet dann das gesunde Maß des veröffentlichten internationalen Studie aufgeschreckt, Körperfettgehalts, wenn das Übergewicht zu einem Risikosie seien die dicksten Bürger der Europäischen Union. faktor für andere Erkrankungen wird. Das Übergewicht wird Schlimmer noch, weil nicht für möglich gehalten: Beim allgemein mit dem so genannten Körpermaßindex (BMI) durchschnittlichen Gewicht pro Einwohner lägen sie sogar gemessen und abgegrenzt (siehe: Kasten Seite 9). gleichauf mit dem Land, das als Synonym für ungesunde Lebensweise und Fettleibigkeit gilt, den USA. VerantwortWie auf der Tabelle sichtbar, werden also drei Schweregrade lich für dieses desaströse Ergebnis sei ein Mix aus falscher der Adipositas unterschieden. Doch entscheidend für das Ernährung und Bewegungsarmut. Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung ist außerdem noch Die angefutterten Speckrollen an Bauch und Hüfte sind das Fettverteilungsmuster. Gesundheitlich besonders nachnicht nur vermeintlichen Ästheten ein Dorn im Auge. Ihre 4 Titel teilig wirken sich nämlich Fettdepots im Bauchraum und an den inneren Organen aus, da diese leicht zu Fettstoffwechselstörungen und Diabetes führen. Geht man den Ursachen von Adipositas auf die Spur, stößt man auf eine Vielfalt an Möglichkeiten, die nicht selten auch noch zusammenwirken. „Multifaktoriell“, nennt Margit Küllmer das Phänomen. Die Diplom-Pädagogin ist Mitgründerin des Vereins „Balance – Beratung und Therapie bei EssStörungen e.V.“, einer ambulanten Facheinrichtung im Frankfurter Ostend. „Essstörungen“, sagt Frau Küllmer, „sind eine psychosomatische Reaktion auf biografische und schwierige aktuelle Lebensumstände.“ Übergewicht könne sowohl genetisch bedingt sein als auch durch ungünstige Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel und einen inaktiven Lebensstil, psychosoziale Ursachen wie akute oder chronische Belastungssituationen oder endokrine Erkrankungen hervorgerufen werden. Die Einnahme von Medikamenten wie Antidepressiva, Neuroleptika oder Betablocker kann auch zu Übergewicht führen. Besorgnis erregend ist für das kleine Team von Balance e.V., dem neben Margit Küllmer noch die Diplom-Pädagogin Jutta Kolletzki und die Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaftlerin) Sylvia Becker-Pröbstel angehören, die Zunahme von Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht. Nach der im Jahr 2006 veröffentlichten bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie des RobertKoch-Instituts sind 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 -17 Jahren übergewichtig und 6,3% leiden unter Adipositas. Ein höheres Risiko für Übergewicht und Adipositas besteht bei Kindern aus sozial benachteiligten Schichten und bei Kindern mit Migrationshintergrund. So richtet sich auch ein Großteil des Beratungs- und Therapieangebots an übergewichtige Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern. Angeboten werden Einzelberatungen, Informationsnachmittage, Elternabende und eine Kochgruppe für „starke Jungs“. Für die Zielgruppe der 13- bis 16-jährigen Mädchen bietet der Verein eine Halbjahrsgruppe an. Nach dem Motto „Runter vom Sofa und zusammen leichter werden“ sprechen die Mädchen über ihre Probleme rund um das Übergewicht und erarbeiten aktiv Lösungsmöglichkeiten. Sie erhalten Ernährungsberatung und können beim Ausprobieren verschiedener neuer Sportarten Spaß an der Bewegung entdecken. Die intensive Arbeit mit adipösen Kindern ist auch deshalb so wichtig, weil erfahrungsgemäß zwischen 60 und 80 Prozent der übergewichtigen Kinder auch im Erwachsenenalter ein deutliches Übergewicht aufweisen. Unbestritten haben viele Zivilisationskrankheiten einen direkten Zusammenhang mit der Adipositas. Übergewicht kann zu Folgeerkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt, Stoffwechselstörungen und Krebs führen. Ernsthafte Schäden am Stütz- und Bewegungsapparat (u.a. Gelenk-, Bänder- und Muskelschäden) beeinträchtigen häufig die Lebensqualität. Auch die seelischen Folgen der Adipositas können gravierend sein. Gesellschaftlich häufig nicht toleriert, fühlen sich die Betroffenen als Versager und Außenseiter, besonders in Schule und Beruf. SIND DICKE NUR ZU FAUL ZUM ABNEHMEN? ODER IST DICKSEIN UNWEIGERLICH EIN ÄUSSERES ANZEICHEN EINER KÖRPERLICHEN KRANKHEIT ODER EINES PSYCHISCHEN DEFEKTS? Die meisten adipösen Menschen versuchen einmal oder mehrmals im Leben, ihr Gewicht zu reduzieren. Ärzte raten in solchen Situationen gerne, Ernährungsberater mit einzubeziehen. Ein Ratschlag, der die volle Zustimmung von Balance e.V. findet. Doch viele Patienten, die aus eigener Kraft oder mit Hilfe von diversen Gruppenprogrammen eine Diät erfolgreich hinter sich gebracht haben, sind später enttäuscht, wenn sie ihr verringertes Gewicht anschließend nicht halten können. „Hier sind wir gefordert, den Patienten zu vermitteln, dass Diäten nicht ein Allheilmittel sein können“, betont Margit Küllmer. „Eine Ernährungsumstellung in Verbindung mit einem aktiven Lebensstil muss für das gesamte weitere Leben andauern.“ Eine Eigenverantwortung dahingehend zu übernehmen, falle allerdings übergewichtigen Menschen besonders schwer. Sind irgendwann alle konventionellen Therapien wie Diät, Bewegungstherapie und Psychotherapie ausgeschöpft und haben zu keinem beständigen Erfolg geführt, bleibt als letzter Ausweg bei adipösen Patienten Grad III (Adipositas per magna) häufig nur noch die Adipositaschirurgie – insbesondere das Magenband. Mit Hilfe eines elastischen Silikonbandes, das den Magen quasi in zwei Abschnitte teilt, soll die Nahrungsaufnahme begrenzt und die 5 Titel Die Ernährungspyramide: Beratung bei „Balance“ Absorption der Nahrung im Magen-Darm-Trakt eingeschränkt werden. Mit diesem Eingriff wird ein längeres Sättigungsgefühl erreicht. Da diese Magenbänder aber nur in seltenen Fällen reversibel sind, muss ein Patient dauerhaft damit leben. Bei der guten Aussicht auf stabile Gewichtabnahme, Verbesserung der Lebensqualität und Reduzierung der Häufigkeit und Schwere von Depressionen erscheinen die Magenbänder jedoch als das kleinere Übel. Ein grundsätzliches Problem bei Adipositas ist die soziale Stigmatisierung der Betroffenen. „Man muss schon über ein hohes Maß an Selbstbewusstsein verfügen, wenn man sich als erkennbar übergewichtige Person im Alltag behaupten kann“, sagt Elisabeth Kösters. „Gerade bei Frauen spielt das Körperbild in der sozialen Wahrnehmung eine übergewichtige Rolle.“ Die niedergelassene Psychologin und psychologische Psychotherapeutin mit Kassenzulassung leitet seit 18 Jahren eine Praxis im Taunusstädtchen Neu-Anspach. Patienten mit Essstörungen suchen regelmäßig ihren Rat. Über Ursachen und Therapiemöglichkeiten bei krankhaftem Übergewicht tauscht sich die Psychotherapeutin im Adipositasnetzwerk Hessen aus. Die adipösen Patienten, die zu ihr kommen, leiden häufig unter starken Depressionen und/oder Angststörungen. Oft verbirgt sich hinter der körperlichen Fülle eine sehr 6 verletzte Seele. Viele von ihnen haben einen langen Leidensweg hinter sich gebracht, kennen die Qualen bei diversen Diäten und die frustrierenden Augenblicke des Nachgebens, wenn der Heißhunger kommt. Was ein JojoEffekt ist, muss Frau Kösters diesen Menschen nicht mehr mitteilen, davon können sie selbst genug erzählen. Eine gewisse Ratlosigkeit hat sie bei ihren Patienten festgestellt, die leicht in allgemeine Mutlosigkeit münden kann. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Psychotherapeutin „die Vorstellung, das Leben in die eigne Hand zu bekommen“ als eines von mehreren Therapiezielen nennt. Diese Erfahrung sei eine der inneren Voraussetzungen, um stabil abnehmen zu können. OFT VERBIRGT SICH HINTER DER KÖRPERLICHEN FÜLLE EINE SEHR VERLETZTE SEELE Adipositas generell als Folge einer Suchterkrankung zu formulieren, lehnt Elisabeth Kösters wie viele ihrer Kolleg/innen ab. Eine klare Abgrenzung zwischen Suchterkrankung und Psychosomatik bei Adipositas sei seriös nicht möglich. Lediglich beim so genannten Binge Eating Titel – einer Essstörung, bei der es zu periodischen Heißhungeranfällen mit Verlust der bewussten Kontrolle über das Essen kommt – sei der Suchtfaktor eindeutig. Unter Ärzten und Psychologen gibt es allerdings auch bei anderen Varianten immer wieder Diskussionen, ob im Einzelfall ein Suchtverhalten vorliegt. Dabei geht es auch um die therapeutische Schwierigkeit, dass bei Essen nicht die Abstinenz vom Suchtmittel Grundlage einer Therapie sein kann. „Therapeutisch können wir keinen Königsweg anbieten, der für jeden Fall brauchbar wäre“, fasst Frau Kösters zusammen. Gerade bei frustrierenden Vorgeschichten sei es deshalb wichtig, an den sehr persönlichen Gründen in der Therapie zu arbeiten, warum jemand bisher nicht abnehmen konnte. Viele Übergewichtige müssen erst mühsam lernen, sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen und sich gegen Kränkungen aus dem eigenen Umfeld abzugrenzen. Erst dann können sie Essen als Problemlösung aufgeben. Es reiche für eine langfristige Stabilisierung des Gewichts nicht aus, erneut Anleitung von außen zu bekommen. Genau dies wird jedoch bei vielen Abnehmprogrammen angeboten. Das passe gut ins innere Schema vieler Übergewichtiger, die sich nur äußeren Druck und innere Disziplinierung als Lösung vorstellen können. „Druck auf stark übergewichtige Menschen wird ausgeübt, und er wird stärker, nicht zuletzt von Seiten der Krankenkassen“, bestätigt Dr. Monika Bernert. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Ernährungsmedizinerin mit einer eigenen Praxis in Usingen begrüßt diesen Druck. „Die Erfahrung zeigt, dass es anders kaum geht.“ Besonders bei den kranken Übergewichtigen, also jenen Patienten, die neben Adipositas noch weitere Diagnosen von der Schulmedizin wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhalten haben, sei es dringend geboten, rasch mit Therapien zu beginnen. Auch für Dr. Bernert ist die Ernährungsumstellung Grundlage jeder therapeutischen Maßnahme. „Abnehmen ist nicht nur schwierig, Abnehmen kann auch richtig ans Geld gehen“, erläutert die Ärztin. Abgesehen vom Kauf passgerechter Kleidung müsse mit den Kosten für Medikamente, Formula-Produkte zum Mahlzeitenersatz und Kurse beziehungsweise Seminare gerechnet werden. Die Krankenkassen beteiligten sich nur bei schwerer Adipositas an den Kosten. Deshalb sieht Dr. Bernert ein Projektmodell als zukunftsweisend, dem sie selbst seit einiger Zeit angeschlossen ist: die Integrierte Versorgung Adipositas. Hierbei haben eine Krankenkasse, Hausärzte und ein Center der Bodymed AG, einem Dienstleister auf dem Gebiet der ärztlich betreuten Ernährungsberatung, einen Versorgungs- und Therapievertrag geschlossen. Die Hausärzte kontrollieren dabei alle wichtigen Blutwerte und führen vierteljährlich Kontrolluntersuchungen durch. Das Bodymed-Ernährungskonzept setzt parallel dazu ein. Es arbeitet nach dem Prinzip des eiweißunterstützten Fastens, das sich bei langfristigen Gewichtsreduktionen schon des Öfteren bewährt hat. Der Vorteil an diesem Modell liegt nicht nur in der obligatorischen Kommunikation zwischen Hausarzt und Behandlungszentrum, sondern auch in der medizinisch überwachten Dokumentation der Gewichtsabnahme. Zudem werden sämtliche Beratungskosten sowie die zu Beginn eingesetzten Formula-Präparate von der Krankenkasse übernommen. Die Phase des aktiven Abnehmens dauert je nach Ausgangsgewicht drei bis sechs Monate. Die anschließende sechs- bis neunmonatige Stabilisierungsphase ist wichtiger Aspekt der Gesamttherapie. GEHT MAN DEN URSACHEN VON ADIPOSITAS AUF DIE SPUR, STÖSST MAN AUF EINE VIELFALT AN MÖGLICHKEITEN, DIE NICHT SELTEN AUCH NOCH ZUSAMMENWIRKEN Kritiker des Integrierte-Versorgung-Modells geben allerdings zu bedenken, dass bei diesem Angebot die gebotene individuelle Betreuung kaum vorhanden ist. Bemängelt wird außerdem, dass die Ernährungsumstellung nach der Behandlungszeit nicht hinreichend geklärt ist. Langfristige Untersuchungen, wie die Patienten ohne Formula-Präparate zurechtkommen, liegen noch nicht vor. Die großen Krankenkassen hierzulande scheuen sich jedenfalls, dem Modellversuch einer kleineren Pfälzer Krankenkasse zu folgen. Aus medizinischer Sicht und aus der Finanzperspektive der Krankenkassen sind die Kampagnen gegen das Dicksein also verständlich. Dem widersprechen dicke Menschen häufig auch gar nicht. Gleichzeitig beklagen sie aber die Unausgewogenheit und Einseitigkeit der Berichterstattung in den Medien, die an kollektive Bevormundung grenzende permanente Aufforderung zum Abnehmen und den Voyeurismus einer Gesellschaft, die mode- und 7 Titel werbediktiert im Schlankheitswahn genau das andere Extrem vorlebt. AUS MEDIZINISCHER SICHT UND AUS DER FINANZPERSPEKTIVE DER KRANKENKASSEN SIND DIE KAMPAGNEN GEGEN DAS DICKSEIN ALSO VERSTÄNDLICH Völlig unakzeptabel ist für dicke Menschen, die in der Mehrzahl der Fälle unter ihrem Dicksein leiden, die Art und Weise, wie vor allem die Politik die Adipositas zu „ihrem“ Thema gemacht hat. Betroffenenverbände kritisieren beispielsweise hart den „Nationalen Aktionsplan Fit statt fett“. Diese im Mai 2007 von Ulla Schmidt (Bundesgesundheitsministerin) und Horst Seehofer (Bundesminister für Verbraucherschutz) vorgestellte Zielsetzung der Bundesregierung beinhaltet zweierlei: Zum einen will der Staat bis 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Deutschen verbessern, zum anderen den Leibesumfang der „39 Millionen zu dicken Deutschen“ reduzieren. „Rahmenbedingungen für gesellschaftliches Handeln“ wollen die verantwortlichen Ministerien schaffen, wohl wissend, dass sie nur aufklären, aber nicht das persönliche Ernährungsund Bewegungsverhalten vorgeben können. Im Aktionsplan ist die Rede von „Übergewicht stoppen“, „Bewegungsanreize schaffen“ und „zivilgesellschaftlicher Mitverantwortung.“ Konkretes ist auch zu vermelden: Ernährung soll Pflichtfach in der Schule werden, in Kindertagesstätten, Schulen, Kantinen, Restaurants, Zügen und Flugzeugen soll die Verpflegung gesünder werden und ein Trimm-dichProgramm soll mehr Spielplätze, mehr Fahrradwege und attraktivere Parks bringen. „Hat die Regierung das Recht dazu, in dieser Art und Weise in das Privatleben der Menschen einzugreifen?“, fragt als Reaktion beispielsweise das Internetforum „Das dicke Forum – Informationen für dicke Menschen“. Besonders stört man sich auf dieser vielbesuchten Webseite am Aktionstitel. 8 Daher stellten Forumsnutzer einen offenen Brief ins Netz, der folgenden Wortlaut hat: Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Minister, unter Betrachtung der Artikel 1 sowie 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland fragen wir uns als selbst vom Übergewicht Betroffene, warum Ihr neu vorgestellter Aktionsplan, der richtungsweisend unserer Ansicht nach grundsätzlich richtig ist, diesen extrem unseriösen, polarisierenden und zugleich diskriminierenden Titel „Fit statt fett“ trägt. Die Rufe nach gemeinsamen Anstrengungen gegen die „Epidemie Übergewicht“ werden gesellschaftsübergreifend größer. Nicht nur Politik und Krankenkassen beteiligen sich daran, auch Wissenschaft, Sportvereine, Elternverbände und Gewerkschaften haben sich das Thema auf ihre Fahne geschrieben. „Nur mit uns Dicken will niemand darüber sprechen. Von uns meint man bereits zu wissen, dass wir ohnehin uninformiert und willensschwach sind“, spottete unlängst ein regelmäßiger Teilnehmer von „Das dicke Forum.“ Auf der gleichen Webseite wurde an anderer Stelle gefragt, warum eigentlich die Lebensmittelindustrie die Kennzeichnung ihrer Produkte so unübersichtlich und verschlüsselt gestalten darf, dass Dickmacher und Suchtauslöser nur in Fachkreisen als solche erkannt werden können. Eine Frage, auf die auch der „Nationale Aktionsplan Fit statt fett“ keine Antwort geben kann. AUTOR: Volker Hütte Eschersheimer Landstraße 296, 60320 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected] Titel KÖRPERMASSINDEX* Körpermaßindex (engl.: Body-Mass-Index; BMI) Um die eigene Körpermassenzahl nach dem BMI festzustellen, wird das Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Metern im Quadrat. Wenn also eine Person 75 Kilogramm schwer ist und eine Körpergröße von 1,75 Metern hat, ergibt sich daraus eine Körpermassenzahl von 75 geteilt durch 3,06 (das Produkt aus 1,75x1,75) = 24,51. Mit diesem Körpermaßindex ist die Person noch im Normalgewicht, wie folgende Tabelle zeigt, die im Jahr 2000 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt wurde: Kategorie nach WHO BMI (kg/m²) Untergewicht Normalgewicht Übergewicht Adipositas Grad I Adipositas Grad II Adipositas Grad III < 18,5 18,5-24,9 25-29,9 30-34,9 35-39,9 > 40 *Der BMI kann selbstverständlich nur als Richtwert angesehen werden, da er die Statur eines Menschen und die individuelle Zusammensetzung des Körpergewichts aus Fett- und Muskelgewebe nicht berücksichtigt. Doch in seiner Funktion als Anhaltspunkt ist er international anerkannt, zumal er noch die Berücksichtigung des Alters einer Person zulässt. So ist der Wert des BMI-Normalgewichts von 25- bis 34-Jährigen bei 20 bis 25, hingegen von 55- bis 64-Jährigen bei 23 bis 28. 9