Berichtet im 2. Rundbrief über Weihnachten, ein
Transcription
Berichtet im 2. Rundbrief über Weihnachten, ein
“I didn't know that Muzungus can fall too!” 2. Rundbrief von Sabina Bals, März 2014 Hallo Ihr Lieben, ich hoffe, dass es Euch gut geht! Mir geht es sehr gut und ich genieße die Herausforderungen, die das Leben so bringt. Seit dem letzten Rundbrief ist viel passiert: Wir haben Weihnachten und Silvester gefeiert und es gab zwei Monate Schulferien, was uns alle sehr auf Trab hielt, weil die Kinder beschäftigt werden wollten. Aber ich war auch auf Reisen und hatten die Möglichkeit neue Teile Ugandas kennenzulernen. Außerdem bin ich aus dem Rainbow-Haus, meiner Arbeitsstelle, aus- und in eine WG eingezogen. Dann habe ich mir mein Wadenbein gebrochen und so nochmal Uganda durch eine andere Perspektive kennen gelernt. Schließlich ist da noch der Alltag, den es trotz den ganzen Abenteuern natürlich auch gibt. Aber alles nacheinander. Auch diesmal habe ich den Rundbrief in kleine Abschnitte aufgeteilt, lest nur das, was Euch interessiert: 1. mein Weihnachten auf dem Dorf 2. ein gebrochenes Bein, Reaktionen 3. ein All-tag 4. Was mir den Kopf zerbricht 5. Wovon träumen die Kinder 6. An Evening out - Kurzgeschichte 1.Weihnachten Schon Ende Oktober war ich von einer Freundin, Moureen, eingeladen worden, Weihnachten mit ihrer Familie zu verbringen. Alles was ich wusste war, dass die Familie im „Village“ wohnt. Am 24. 12. ging es morgens los. Nachdem wir noch die letzten Einkäufe getätigt hatten, wir konnten schließlich nicht mir lehren Händen dort ankommen, stiegen wir auch schon ins Taxi (öffentlicher Kleinbus). Erst ging es zum zentralen Taxipark (ein chaotischer Abfahrtbahnhof und fast auch noch Marktplatz), von wo wir uns in ein Taxi Richtung Entebbe quetschten. Interessant war, dass der Preis fast um das Doppelte teuerer als normal war. Die Fahrer schienen auszunutzen, dass jeder zu seiner Familie wollte. Nach ca. 1 ½ h Stau und Straße, hielt Moureen das Taxi an. (Das ist echt praktisch, ein kurzes „Awo“ und der Fahrer hält an, in unserem Falle sogar direkt vor der Haustür.) So mussten wir tatsächlich nur die Straße überqueren und schon waren wir da. Ein Haus mit einem kleinen Shop, der zur Straße hin zeigte, erwartete uns. Als man dann Moureen erkannte (sie hatte diesen Teil der Familie schon über 5 Jahre nicht gesehen) ging das laut-freudige Begrüßen los. Auch ich wurde in zahlreiche Arme von Cousinen, „Schwestern“ und „Schwesters- Cousinen“ (sister's cousins) gedrückt. Dann wurden wir ins Haus geführt um das unangefochtene Familienoberhaupt zu treffen: Oma Jojo. Eine schon ältere (vielleicht 60jährige) aber vor Leben sprühende, rundliche Frau, die, wie die meisten älteren Frauen, einen Gomezi (traditionelles Gewand) trug. Auch wenn ihre Englisch- und mein Lugandakenntnisse sehr begrenzt waren, war sie mir gleich sympathisch. Interessant fand ich, wie das traditionelle Knien zur Begrüßung, hier mit dem freudigen Wiedersehen und Umarmen gemischt wurde. Auch fiel mir direkt auf, dass ich gerade wohl sechs Frauen und drei Kinder begrüßt hatte, aber keinen einzigen Mann. Na, vielleicht waren sie noch arbeiten? Jetzt war es an Moureen und mir unsere Gastgeschenke zu verteilen. Alle versammelten sich im Kreis und freuten sich als wir Brot, Margarine, Zucker, Ketchup, einen Gomezi für Oma Jojo und meine selbstfrittierten Plätzchen auspackten. Letztere überlebten auch keine fünf Minuten. Nun saßen Moureen und ich im Wohnzimmer, tranken Tee und dekorierten es dann mit Toilettenpapier. Die weißen Bänder wurden wir Girlanden längs an der Decke entlang gespannt. Es sah danach auf jeden Fall schon festlicher aus. Etwas später machten wir uns dann auf den Weg einen Weihnachtsbaum kaufen. Doch anstelle den Baum zu holen, landeten wir in dem Wohnzimmer einer anderen Familie, natürlich Verwandte, die wir erst ausgiebig begrüßen mussten. Dann gingen wir Bier kaufen. So wie ich es mitbekommen habe, ein Muss an Weihnachten. Die beiden Kästen trugen wir die so typisch roten Straßen bis nach Hause. Mittags gab es einen kleinen Snack und dann warteten wir wieder. Ich konnte ein bisschen kochen helfen: Kochbananen und Kartoffeln schälen, Möhren und Tomaten schneiden. Dann besorgten wir im zweiten Anlauf tatsächlich den "Weihnachtsbaum" was schließlich darauf hinauslief, dass wir zwei immergrüne Äste von einer Hecke abschnitten. Diese banden wir zuhause dann mit Wolle zusammen. Dann wurde der Baum dekoriert. Dazu dienten Luftballons, alte Grußkarten und natürlich Toilettenpapier. Ich wehrte mich dagegen, das Papier einfach in Streifen über den Baum zu legen und so bastelte ich noch Schleifen. Dann warteten wir im Haarsalon neben an, der auch irgendwie zur Familie gehört, darauf, dass es Essen gäbe. Zuerst aber gab es gegen 5 Uhr Nachmittagstee: Milchtee mit Brot und Erdnüssen. In der Zeit zwischen Tee und Abendessen genossen wir die dörfliche Ruhe, es gab einfach nichts zu tun. Nur zu sitzen, zu reden, zu schlafen, Fernzusehen. Abends (gegen 9) wurde dann aufgedeckt: Kochbanane und das soeben geschlachtete Hühnchen und für mich Fisch (das ist ja nun wirklich kein Fleisch). Wir saßen alle auf einer Decke auf dem Boden und aßen mit unseren Händen – so schmeckt Kochbananenbrei einfach am besten. Nach dem Essen machten wir uns fertig für die Kirche, darum hatte ich gebeten, dass ich gerne am 24. zur Kirche wollte. Doch bis wir alle fertig gegessen, geduscht und uns umgezogen hatten und schließlich im Taxi auf dem Weg zur Kirche waren, war es schon spät. So kam es, dass, als wir ankamen, schon die Gabenbereitung im vollen Gange war. „Then we go tomorrow again.“ hieß es einfach. So fuhren wir nur einige Minuten später wieder nach Hause und legten uns schon bald hin. Nun waren doch noch zwei junge Männer, Enkelsöhne von Jojo, zu unserer sonst rein weiblichen Festtagsgruppe dazu gestoßen und so schliefen wir mit 6 Leuten auf 3 Matratzen in einem Zimmer. In dieser Nacht fragte ich mich, warum wir uns zuhause eigentlich denken, dass jeder Gast eine eigene Matratze braucht und uns vor Weihnachten immer Tage damit beschäftigen, wer wo schläft, wo wir welche Matratze hinlegen.. Es könnte doch so einfach sein. Aufgeweckt wurde ich, als die (noch lebenden) Hühner, die die Nacht unter Körben im Haus verbracht hatten, nach draußen gescheucht wurden. (Hühner und Ziegen sind die wohl am häufigsten vorkommenden „Haustiere“, während Hunde eher auf der Straße leben und gefürchtet werden.) Dann mussten wir uns auch schon schleunigst fertig machen, schließlich wollten wir diesmal pünktlich zur Messe kommen. Das gelang uns auch und wir feierten einen schönen Gottesdienst. Zuhause hatten wir erst nicht viel zu tun, wir spazierten über die Kochbananen- und Cassavaplantagen der Familie und weiter an den vereinzelten Häusern vorbei. Dann konnten wir doch noch ein bisschen kochen helfen. Und schließlich kam der erste Besuch. Es kamen noch mehr Tanten, Cousinen und andere Verwandte und sogar ein Onkel! Wir setzten uns alle in Wohnzimmer, begrüßten uns und erzählten. Später gab es dann Essen, diesmal passten wir gar nicht alle auf den Boden, so saßen wir überall verteilt und genossen das Fleisch (na ich natürlich nicht) [oder?], die Kochbananen, den Reis, die frittierten Kartoffeln, den Cassava und die ganze Fülle des Essens. Nun ging es wieder ins Wohnzimmer und ich spielte Karten mit den, nun zahlreichen, Kindern. Wir warteten noch auf eine Familie, dann würden wir den Kuchen anschneiden. Jetzt wurde noch Musik angemacht und Bier und Soda verteilt. Was ein Festtag! Als sich das Wohnzimmer dann noch mehr gefüllt hatte, machten wir junge Menschen und Jojo draußen eine lange Schlange und tanzten dann zur Musik in das Wohnzimmer. Nach einigen Minuten Tanz schnitten wir alle zusammen Kuchen an! Der dann in kleinste Stücke geschnitten und an alle verteilt wurde. Ich legte noch Deutsche Schokolade dazu, die auch Anklang fand. Nun war die Stimmung auf dem Höhepunkt, wir spielten, tanzten, redeten, tranken und aßen Süß! Was ein Fest! Doch als es immer dunkler wurde, brachen Moureen und ich schon auf, obwohl wir von allen Seiten gebeten wurden zu bleiben. Aber heute Abend wollte ich doch auch gerne noch etwas Zeit mit meinen Freunden im Rainbow verbringen. Und so wurde ich ein letzten Mal von allen umarmt und sehr oft gebeten wiederzukommen, dann setzten wir uns ins Taxi und fuhren gen Kampala. 2. Ein gebrochenes Bein, Reaktionen Leider habe ich mir beim Rugbytraining das Wadenbein angebrochen. Doch dadurch habe ich noch mal eine ganz neue Perspektive auf das Leben hier gewonnen. Die Anteilnahme, die mir überall begegnet, ist enorm. Angefangen von Menschen, die stehen bleiben und mir nachsehen, über die, die mich ansprechen, wissen wollen, was passiert ist oder einfach nur „Sorry“ sagen, zu denen, die mich voll unterstützen, mir beim Waschen und Aufräumen helfen, Obst vorbeibringen, mich besuchen und mir Gesellschaft leisten. Ich habe mich nicht einmal alleine oder hilflos gefühlt. Immer ist jemand da, hilft jemand mit, kommt jemand vorbei. Ich fühle mich ganz getragen von der Unterstützung! Aber natürlich gibt es auch Hindernisse, die holprigen, manchmal matschig, rutschigen Straßen, die Gesundheitsversorgung, der Transport mit dem Boda. Ohne Hilfe beim Wäsche waschen wäre ich die ersten zwei Wochen voll aufgeschmissen gewesen. Was ich aber interessant finde, ist eine Reaktion, die ich immer wieder beobachtet habe und die die Aussage von einem 8-jährigen Jungen aus meiner Organisation vielleicht am besten widerspiegelt: „I didn't know that Muzungus can fall too.“ - Die Überraschung vieler, dass eine Weiße auf Krücken läuft, ein gebrochenes Bein hat, hat mich erstaunt und ist mir manchmal sogar unangenehm. Fast so, als würde von mir erwartet, unverletzlich zu sein. Aber darum bin ich froh, Verletzlichkeit zu zeigen, zu zeigen, dass ich, obwohl ich weiß bin, mir genauso Knochen brechen kann, wie jeder andere auch. Ja, auch Muzungus fallen hin. 3. Ein All-Tag Es ist sechs Uhr. Mein Wecker klingelt. Ein ziemlich schriller Weckton, ich habe mich noch immer nicht an ihn gewöhnt. Seitdem mir mein Handy aus der Tasche stibitzt wurde, habe ich nun ein ganz altes Exemplar, wie das von meiner Mama, vor zehn Jahren. Ich habe es von einer Kurzzeitfreiwilligen im Rainbow geschenkt bekommen, als sie nach Hause flog. Jetzt setzt ich mich auf, noch immer unter meinem Moskitonetzzelt, und mache mich ans Zeitung lesen, natürlich übers Internet. BBC News verraten mir die anscheinend wichtigsten Ereignisse weltweit. Dann höre ich auch schon Geschirr klappern - Juliana scheint aufgewacht zu sein. Für mich heißt das, dass sich meine halbe Stunde alleine sein zu Ende neigt und es nun wirklich Tag ist. Es wird auch langsam heller draußen. Ich stehe auf und setze mich an unseren kleinen, weißen Plastiktisch in unserem Wohn,Ess- und Studierzimmer. Julian hat schon Porridge (Hirse-und Maismehl mit heißem Wasser) gekocht. Anfangs konnte ich mit diesem Flüssigteig nicht viel anfangen, doch mittlerweile habe ich ihn richtig gern. Mit Zucker und Zimt tut der warme Brei morgens richtig gut, vor allem an kalten Tagen. Jetzt kommt auch Seredah (11) aus dem Zimmer neben an. Sie trägt schon ihre grün-weiß karierte Schuluniform, in der sie so „smart“ aussieht. Morgens ist sie nicht sehr gesprächig, grüßt uns nur kurz und geht vors HausSchuhe putzen. Ihre schwarzen Lackschuhe blinken jeden Tag - das gehört praktisch zur Schuluniform: weiße Kniestrümpfe und saubere Schuhe, zumindest an den etwas angeseheneren Schulen. Ach Juliana macht sich jetzt fertig, sie macht eine Ausbildung zur Stewardess und auf gepflegtes Aussehen wird sehr geachtet. Noch vor sieben Uhr machen sich die beiden Schwestern auf den Weg, denn der Weg zur Schule ist weit und morgens ist der Verkehr so stark, dass man auch für kurze Strecken lange braucht,gerade im Taxi (öffentlicher Kleinbus). „Bye Seredah, have a good day! Bye Juliana, good luck with your test!“ rufe ich den beiden noch nach. Dabei ist mir schwer ums Herz, es ist gar nicht klar, dass Juliana ihren Test heute schreiben darf, sie konnte die anfallenden Gebühren noch nicht bezahlen. Ich hoffe, dass ihre Lehrer ein Auge zudrücken und sie trotzdem mitschreiben lassen, sonst müsste sie das Semester wahrscheinlich wiederholen. Ich atme einmal tief ein, erinnere mich daran, dass sie nicht alleine ist und dass das Leben trotzdem weitergeht und fange an, mich für die Arbeit vorzubereiten. Seitdem ich mir mein Wadenbein beim Rugbyspielen angebrochen habe, ist alles etwas komplizierter; duschen, spülen, Bett machen.... Doch mittlerweile wird das Bein schon besser und ich bin fast wieder ganz selbstständig. Während ich mich fertig mache, stehen auch Michelle (3 Jahre) und ihre Mutter, meine Freundin, Mary auf. Michelle freut sich jeden Tag auf „Esomero“ - die Schule und ist in Windeseile in ihre Uniform geschlüpft. Nachdem auch sie Porridge, natürlich aus der „Tom and Jerry“- Lieblingstasse, gelöffelt hat, steht schon der Bodafahrer (Boda sind Mopeds) vor unserer Glastür um unseres jüngstes WG-Mitglied zur Schule zufahren. Das löst dann meistens einen kurzen Augenblick von Stress aus, weil die Kniestrümpfe verschwunden sind, oder der Saft noch nicht eingepackt ist. Doch dann ruft sie uns auch schon „Bye Mary, bye Sabina“ zu und stiefelt eifrig, an der Hand des Bodafahrers, davon . (Manchmal mit und manchmal ohne Kniestrümpfe). Als auch ich dann fertig angezogen bin und meine Tasche für den Tag gepackt ist, kann ich los. Mary und Michel (ein anderer EIRENE Freiwilliger) sind dann meistens schon aus dem Haus und auf dem Weg zur Gartenschule, in der sie eine Ausbildung macht und er arbeitet. Mit meinen Krücken überquere ich den Garten und laufe dann die Lehmstraße hoch. Wenn ich Glück habe, sieht mich schon ein Bodafahrer kommen und fährt mit entgegen. Mittlerweile wissen alle Fahrer bei uns aus der Gegend, wo ich hin muss und auch das manchmal schwierige Verhandeln fällt weg. Ein paar Minuten und „Sorry Muzungu, sorry“Zurufe später, komme ich beim Rainbow an. Auf dem kurzen Weg ist mir wieder die Anteilnahme an meiner Beinsituation aufgefallen. So viele Menschen bleiben stehen und drücken ihre Gefühle aus. Vor kurzem bin ich an einem Mann vorbei gefahren, der nur noch ein Bein hatte und auch auf Krücken lief. Als er mich sah, winkte er ganz lieb und rief lauter als alle anderen „Sorry!“. Ich musste lachen und antwortet mit einem ebenso lautem "Sorry". Für den Moment stecken wir in dem gleichen Boot. Nach dem ich die hohen Stufen zum Office erklommen habe, geht das allmorgendliche Begrüßen los. Heute sind die beiden Praktikanten, meine Freundin Brenda und Michael, unser Chef - oder Vater, wie ihn die meisten hier nennen, schon da. Ali putzt gerade noch den Boden. Vor zehn ist selten viel los. Wir bauen die Computer auf, die jede Nacht sicher eingesperrt verbringen, lesen die Tageszeitung, die hoffentlich jemand mitbringt und tauschen uns aus, über alles mögliche. Heute ist Montag, darum füllt sich das Office gegen zehn Uhr auch zunehmend mit Mitarbeitern: Die Schneiderlehrerin und der Schreinermeister, der Fußballtrainer, der Verantwortliche für die Handwerkarbeiten (Crafts), sie alle kommen nach und nach, mehr oder weniger pünktlich, durch die immer offen stehende Bürotür herein geschneit. Und der nicht allzu große Raum, der schon einen großen Tisch, einen Computer und vier große, natürlich selbst geschreinerte Holzstühle beherbergt, wird mit mehr und mehr Stühlen und Hockern ausgestattet. Heute sind wir jedoch so viele, dass auch das nicht reicht und wir Jüngeren uns die Stühle teilen. Für ugandische Verhältnisse fangen wir auch recht pünktlich an, nur 10 bis 20 Minuten zu spät. Doch bevor wir uns den anstehenden Themen widmen, wird gebetet. Ein Mitarbeiter spricht dann schnell ein Gebet, von dem ich immer wieder nur das „Amen“ am Ende akustisch verstehe. Dann geht es auch schon los. Heute bin ich aber mit Reden dran – ich stelle allen Mitarbeitern das Konzept für's Plastik Fasten vor. Wir wollen in der Fastenzeit Schritt für Schritt auf den Gebrauch von Plastik verzichten und möglichst viele von den Kindern dabei mit ins Boot holen. Als ich fertig bin, betont Michael, wie wichtig ihm dieses Projekt ist. Doch als ich dann um Hilfe bitte, schließlich kenne ich die ugandischen Strukturen einfach nicht so gut, passiert das, was ich befürchtet habe. Der Gesprächsführer erklärt: „ Ich bitte jeden von Euch, Sabina so weit es geht zu unterstützen.“ Jetzt bin ich an eine meiner kulturellen Grenzen gestoßen: Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass Aufgaben nicht an konkrete Leute verteilt werden, sondern an alle übergeben werden. Aber dann starten wir auch schon in die Woche. Der Computer ist noch frei, also sichere ich mir gleich den Platz. Es passiert selten, dass er frei ist und darum freue ich mich immer, wenn ich ihn doch unbesetzt vorfinde. Nun erstelle ich einen Plan für die kommende Woche, der an unterschiedlichen Stellen im Rainbow aufgehangen wird, damit alle Mitglieder über Neuigkeiten im Programm informiert sind. Mit Brenda, einer Studentin, die hier als Freiwillige hilft, arbeiten wir weiter an unserem monatlichen Newsletter. Doch jetzt muss jemand anderes an den PC. Also „schnell“ (was bei diesem Computer allerdings nie klappt) die getane Arbeit speichern und sich nach anderen Aufgaben umschauen. Heute plane ich mit Annika, einer Kurzzeitfreiwilligen, Kinderkarneval im Rainbow. Wir wollen die Möglichkeit nutzen um etwas von unserer Kultur auf sehr spielerische Art und Weise zu vermitteln. Dann helfen wir noch kochen. Seit neustem kocht immer jemand vom Team oben im Office. Meistens wird eine Kombination aus Kartoffeln, Bohnen, Reis, Kochbanane oder Posho gekocht, mit einer Soße dazu. Gekocht wird auf dem traditionellen Kohleofen, der in der kleinen Küche vor sich her qualmt. Essen gibt es zwischen eins und drei, je nachdem, wann es fertig ist. Heute ist das schon früh der Fall. Wieder werden alle Stühle und Hocker herbeigetragen und jeder versucht einen Platz, einen Teller und ein Gabel zu ergattern. Wenn das Essen dann auf dem kleinen Holztisch steht, bedienen wir uns und fangen an zu essen. Anfänglich hat mich das immer irritiert, weil ich gewohnt bin, dass man zusammen zu essen anfängt. Doch jetzt habe ich mich daran gewohnt. Ich muss aufpassen, mir auch genug auf den Teller zu tun, denn sonst werde ich mir Anschuldigungen anhören müssen, dass ich nicht genug esse. Die meisten Menschen, die ich hier kennengelernt habe, Frühstücken wenig oder gar nicht und essen dafür richtig viel zu Mittag. Für einige einheimische Freiwillige im Rainbow kann es an manchen Tagen sogar die einzige Mahlzeit sein. Kein Wunder also, dass meine Portionen dagegen klein aussehen. Doch heute habe ich Glück und die Größe meiner Portion steht nicht im Vordergrund des Gesprächs. Wir reden alle über die neugeborenen Zwillinge eines ehemaligen Rainbowmitglieds. Wir sind alle glücklich, dass es ihr und den Kleinen gut geht und Christine zeigt uns Fotos, denn sie hat die Babys schon gesehen. Nach dem Essen kommen dann auch schon die Schneiderschülerinnen. Es sind zwischen 4 und 6, die von einer kleinen, älteren Frau mit schalkigen Augen unterrichtet werden. Annika und ich kommen oft dazu um Ideen für neue Produkte hinzu zu steuern. Gerade benähen die Mädels T-Shirts und nähen kurze Röcke. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schwierig es war, die Lehrerin zu überzeugen, dass Mädchen in Deutschland kurz Röcke tragen, die nicht über die Knie gehen! Sie konnte sich es überhaupt nicht vorstellen und wollte per tu nicht, dass ihre Schülerinnen solche herstellen. Heute sitzen wir aber nur dabei, bewundern die schon fast fertigen Produkte und helfen beim Haarbänder machen. Gegen fünf machen wir uns auf den Weg zum unteren Rainbow, dem 2. Haus. Noch bevor das Haus in Sichtweise ist, hören wir schon die Trommelschläge: Montags und Mittwochs übt die Mädchengruppe immer Tanz, eine Mischung aus Moderne und Tradition. Ich liebe es, den Mädels beim Üben zuzugucken, vielleicht eine kleine Schwester, die noch nicht mit tanzt, auf dem Schoß zu haben und so den Arbeitstag ausklingen zu lassen. Aber nicht jeden Abend verbringe ich so entspannt. Dienstag, Donnerstag und Freitag bin ich meistens für das Programm verantwortlich. Wir kochen dann, machen Sport oder spielen Theater. Neuerdings trifft sich abends auch noch die Umweltgruppe. Aber das ist das Schöne an der Arbeit im Rainbow, sie ist absolut vielseitig und ich kann meine Stärken wunderbar einsetzten. Gegen sieben wird es dunkel, dann müssen die Mädels auf dem Heimweg sein. Immer wieder hört man Geschichten über Überfälle. Jetzt sitzen wir noch mit ein paar Freiwilligen und Mitarbeitern zusammen, erzählen und planen unsere Freizeit. Und dann stellen wir uns die allmontagliche Frage: gehen wir noch zur Jamsession? Die Jamsession findet jeden Montag in dem Kulturzentrum Kampalas statt und gibt Musikern die Chance vor Publikum ein Lied zum Besten zu geben. Für uns ist es aber auch ein Ort um Freunde zu treffen, zu reden und nicht selten auch Spaß zu haben. Heute entscheide ich mich nicht zu gehen – es ist nämlich auch ein Sammelplatz für Weiße und fast so, wie ich mir eine Singlebörse vorstelle, und das kann ich nicht jede Woche haben. So suche ich mir ein Boda (ich freue mich auf die Zeit, wo ich den kurzen Weg nach Hause wieder laufen kann!) und lasse mich heim fahren. „Welcome back“ rufen mir dann auch schon Mary und Juna entgegen, sobald ich über die Torschwelle bin und Michelle kommt mir entgegengelaufen. Ich stelle schnell meine Krücken weg und hebe sie hoch. Auch aus Michels Zimmer kommt mir dann ein „Hallo“ entgegen – wir sind fast wie eine Familie. Heute kochen Juna und ich: Kürbissuppe. Es macht mir riesig Spaß Rezepte aus Deutschland zu kochen, aber auch ugandische Rezepte zu lernen. Heute bin ich gespannt, wie es den anderen schmeckt. Suppen gibt es hier eigentlich nur als Soßen zu dem Hauptessen dazu. Doch die anderen sind gnädige Esser und sogar Michelle will noch mehr haben, wenn das nicht mal ein Kompliment ist! Wir sitzen noch länger draußen, erzählen und werden immer müder. Nacheinander gehen wir dann schlafen und für ein paar Stunden ist es ruhig in unserem Haus. Impressionen aus dem Rainbowleben: Ein Umweltworkshop – die Gruppe stellt pantomimisch eine Art der Umweltverschmutzung dar. Ein paar Mädchen der Tanzgruppe bei der Aufführung. Heute wird gekocht um dem Kochbuch ein Rezept hinzuzufügen. Heute backen wir Kuchen auf dem Kohleofen. Diskussionsrunde am oberen Rainbow House. Wir fragen uns, ob eine Regierung bestimmen kann, welche Kleidung Frauen tragen. 4. Was mir den Kopf zerbricht Ich lese gerade ein Buch, welches ich gerne weiterempfehle: „The Challenge for Africa“ . Das Buch ist von der Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai geschrieben. In diesem Buch beschreibt sie Herausforderungen, denen Afrika gegenübersteht und bringt häufig Lösungsansätze, die sehr demokratisch und transparent wirken. In ihren Augen ist ein Grund, der Afrika zurück hält, das häufige Fehlen von Führungskräften die Prinzipien folgen und moralisch handeln. Dieses Fehlen sei unter anderem darauf zurück zu führen, dass Afrikas kulturelles und spirituelles Erbe durch die Kolonialisierung verloren gegangen sei und so auch die traditionellen Wege der Regierungsbildung und Führung. Stattdessen sind oft die undemokratischen und autoritären Führungsstile der Kolonialherren in den Köpfen hängen geblieben, deren Muster man in einigen afrikanischen Staaten auch heute noch wiedererkennt. Sie zeigt an Beispielen, wie man mit Hilfe von „grass root democracy“ mehr Transparenz und Mitbestimmung fördern kann. Eines dafür ist der kenianische „Constituency Development Fund“, der 2,5% der Steuereinnahmen gleich auf alle Bezirke verteilt, die das Geld dann wiederum für lokale Entwicklungsprojekte nutzen. So profitiert der Steuerzahler, die Steuerzahlerin direkt von den Geldern und wird motiviert, weiterhin Steuern zu zahlen. In Kenia stiegen die Einnahmen innerhalb von vier Jahren um $ 135 Millionen. Gleichzeitig wird den Bezirken Verantwortung gegeben und die Gemeinschaft vor Ort, nicht die Regierung, bestimmt, welche Projekte am nötigsten unterstützt werden sollen. Mittlerweile ist diese Idee in anderen afrikanischen Staaten, auch in Uganda, übernommen worden. Beim Lesen empfand ich die Schilderungen als sehr plausibel. Außerdem habe ich bei der Lektüre gemerkt, wie wenig ich über afrikanische Geschichte vor der Kolonialisierung weiß. Es überraschte mich zu erfahren, dass es viele große, funktionierende afrikanische Reiche gab. Wusstet ihr schon, dass Zanzibar mit Indien und Arabien Gewürzehandel betrieben hat, oder dass es in Timbuktu eine der ältesten Universitäten der Welt gab? Dass viele damalige Reiche größer als Westeuropa waren und über Jahrhunderte bestehen blieben? Ich war erstaunt über viele dieser Informationen und hoffe, dass ich weiterhin mein Bild von Afrika vertiefen und auch formen kann. Generell habe ich den Eindruck, dass viele afrikanische Länder dann in den Medien besprochen werden, wenn dort Probleme wie Hungersnöte, Bürgerkriege oder Terrorattacken auftreten. Warum erfahren wir so wenig von den vielen innovativen, kreativen Ideen, den Menschen und Initiativen, die sich täglich für Veränderung einsetzten? In Uganda gibt es zum Beispiel das „Mobile Money“- die Möglichkeit per SMS Geld zu verschicken. Dies ermöglicht es, auch ohne Bankkonto Geld empfangen und verschicken zu können. Das ist gerade für die Menschen auf den Dörfern praktisch. Vor kurzem ist die Mutter einer Freundin erkrankt. Ein kurzer Anruf der Familie genügte, um sie zu informieren und innerhalb von wenigen Stunden konnte sie ihrer Mutter Geld schicken, was dieser dann im Dorf ausgezahlt wurde. So konnte die Mutter noch am gleichen Tag medizinische Hilfe erfahren, ohne dass die Freundin Kampala verlassen musste. Die ugandischen Pfadfinder haben in Zusammenarbeit mit UNICEF das Konzept der „U Reporter“ entwickelt. Jeder Pfadfinder hat die Möglichkeit sich umsonst mit seinem Handy zu registrieren und wird dann immer wieder zu unterschiedlichen Themen befragt, z.B. „Wie begegnet dir Gewalt im Alltag?“. Da in Uganda viele Schüler, Studenten und ältere Menschen Pfadfinder sind, erhält man innerhalb von wenigen Stunden eine sehr repräsentative Antwort auf die Frage. Mir gefällt an diesem Konzept, dass auch Bewohner von Dörfern, die schwer erreichbar sind und vielleicht nicht mal an das Stromnetz angeschlossen sind, dennoch an den Umfragen teilnehmen können, da die meisten hier ein Handy besitzen und auch Wege kennen dieses aufzuladen. Und anhand der Antworten können dann die nächsten Projekte geplant werden. Und das sind nur Beispiele für viele Ideen, denen ich hier begegne und die mir als sehr konstruktiv vorkommen. Vielleicht schaffe ich es im nächsten Rundbrief mehr über Projekte zu berichten, die auf die Umwelt eingehen, wie der Recyclingspielplatz (ein Spielplatz nur aus Recyclingmaterial gebaut) oder die Permakultur Workshops einer Organisation. 5. Wovon träumen die Kinder? Diese Frage wurde ich gebeten zu beantworten. Das fällt mir schwer, denn, wie auch in Deutschland, gibt es wahrscheinlich genauso viele Träume, wie es Kinder gibt. Doch ich habe meine „Schwester“ Seredah gefragt, wovon sie träumt. Sie sagte mir, sie wolle Stewardess werden, oder Sängerin. Und nach einigem Überlegen fügte sie hinzu, dass sie gerne mal eine Reise machen würde und dass, wenn sie Geld bekäme, sie sich um Waisenkinder kümmern und diese schützen wolle. Ja, ein Waisenheim aufmachen, vielleicht. 6. An Evening out – Kurzgeschichte Und zu guter Letzt noch eine Kurzgeschichte, die ich, wie wohl unschwer zu erkennen ist, von Erfahrungen hier inspiriert, geschrieben habe. Leider ist sie auf Englisch, ich hoffe, sie gefällt Euch. An evening out with my friends It was one of these evenings out. Everyone was dressed up nicely and some alcohol was lifting our spirits to higher dimensions. We couldn't wait to dance. But after sometime I decided to sit down. It had taken me sometime to make this decision because I knew as soon as I was sitting men would be coming to 'talk' to me. But my crunches were disturbing me, only being able to jump on one leg and otherwise lift up the shoulders a bit, was not my favourite way to dance. So I took a sip of my water (crunches also don't allow you to drink) and watched my friends moving their hips to the beats. “You know, I am so sorry for your leg.” Here we go, not even two minutes passed without having a guy talking to me. At least I knew him from before. We had danced together and I had refused his offers to meet again often enough that by now we could talk about nicer topics. In my eyes he was a “typical Rasta”. A short, skinny figure with short, skinny dreads. At the end of a fronter dread he had a silver Africa bead sewed to it. Sometimes, when moving his head this dread fell in his face so that small Africa was in front of his left eye. His face looked older than that of many others, making me wonder how old he might be. When he smiled his eyes were shining, in a way I imagined Herman Hesse's or Jack Karouac's eyes to shine: intensely compassionate, somewhere between in- and sane. After I completed the story of my broken leg (I don't remember how many times I explained my cask to different people that night), we continued conversing. We covered the places I had been to and the place he is from. Somehow we started talking about my work and then, even though this question had already brought me into strange situations, I could not stop asking what he did when he was not out at night. “I am sleeping.” “No, but I mean is there any work you do?” His eyes changed and I could feel how he thought about what to say. “It is hard for me to get a job with dreads. You know I got my dreads when I was sixteen, ten years ago, and they allow me to be free... I got them after my parents both died. They helped me find my way” There was nothing left to say for me in a while. He put his head in palms, his dreads covering his face. “There are not many people I told this story. Only maybe five of my closes friends.” After sometime had passed I tried to find something to say. But it was hard for me. How to find right words? “I think it is so one sided to deny people jobs because of the way they look, just because they have dreads.” “ Yeah, it is hard for most Rastas to get a job. My chances are really small because I am not educated. I was 11 when my mother died, 13 when my father died. Even though I was not the first born, I was really close to my mother. We are supposed to be 11 brothers and sisters, but three of my elderly brothers died. These are African families. Our culture is so different from the Western culture. When she died I left home. My father married another woman and she was giving us a hard time. So I decided to move to my aunt. But she was poor and could not pay my school fees. After some time I went to the streets to look out for myself. First there, then with 16 I came to Kampala. I lived in Kololo, this was my district. And I made a friend. We decided to get dreads together. Since I lost my mother I had felt like I lost everything. Only when I turned 20 I got some trust back in life. Ever since my friend and I we do whatever we can do to get money. Sometimes people ask me to help out. But it has been hard, I never had a sponsor or anyone to help me.” Now I definitely have lost my words. I just kept thinking how unfair I find this world to be. How can it be that one person experiences so much hardship and me, it seems like the world is a flower garden for me. So I just kept quiet. “Now I want to dance a little.” He said then, got up and joined his friends on the dance ground. Then, in the end, it was just an evening out with some friends. Und hier ist dann Ende. Auch wenn ich einerseits immer weiter schreiben könnte denke ich anderseits immer wieder, wie schwer es doch ist einen Rundbrief zu schreiben, der Uganda, Ugander und meine Erfahrungen nicht nur einseitig beleuchtet, keine Vorurteile vertieft und nicht zu stark verzerrt. Ich überlege auch manchmal, welches Bild ich wohl von Deutschland vermittelt hätte, wenn ich in meiner Schulzeit Rundbriefe geschrieben hätte. Auch dann hätten die Briefe wohl nie ein Bild von Deutschland und wohl eher von meiner Klasse, meiner Stufe und vielleicht noch meiner Schule und meiner Stadt vermittelt. Ich merke zumindest besonders beim Reisen, dass ich, ganz wenig von Uganda weiß, verstehe, kenne. Doch ich habe versucht Schlüsselerlebnisse und immer wiederkehrende Erfahrungen zu teilen. Vielen Dank Euch für's Lesen! Ich freue mich sehr über Rückmeldungen, Anregungen, Fragen, Kritik, Gedanken. Bis dahin alles Liebe Eure Sabina