Ein Esel, wer Christus trägt
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Ein Esel, wer Christus trägt
Ein Esel, wer Christus trägt Karin Scheiber Gottesdienst in St. Georgen, 29. März 2015 Lesung Phil 2,5–11 5 Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein, 7 sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch. 8 Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. 9 Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist, 10 damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt Predigttext Joh 12,12–19 12 Am nächsten Tag hörte die grosse Menge, die sich zum Fest in der Stadt aufhielt: Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. 13 Da nahmen sie Palmenzweige und liefen ihm entgegen. Sie riefen: «Hosanna! Stimmt ein in unser Loblied auf den, der im Namen des Herrn kommt! Er ist der König Israels!» 14 Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf – genau so, wie es in der Heiligen Schrift steht: 15 «Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Sieh doch: Dein König kommt! Er sitzt auf dem Jungen einer Eselin.» 16 Die Jünger von Jesus verstanden das zunächst nicht. Aber als Jesus in Gottes Herrlichkeit aufgenommen war, erinnerten sie sich daran. Da wurde ihnen bewusst, dass dieses Schriftwort sich auf ihn bezog. Denn genau so hatten ihn die Leute empfangen. 17 Die vielen Leute, die dabei gewesen waren, bezeugten: «Er hat den Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn vom Tod auferweckt!» 18 Deshalb kam ihm ja auch die Volksmenge entgegen. Sie alle hatten gehört, dass er dieses Zeichen vollbracht hatte. 19 Aber die Pharisäer sagten zueinander: «Da merkt ihr, dass ihr nichts machen könnt. Seht doch! Alle Welt läuft ihm nach!» 2 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt Predigt Liebe Schwestern und Brüder in Christus Wenn Sie den Predigttext zum heutigen Palmsonntag hören: Mit wem identifizieren Sie sich spontan am ehesten? Mit der jubelnden Menge am Strassenrand – die, wie wir wissen, ein paar Tage später ganz andere Töne von sich geben wird? Mit den grummelnden Pharisäer, die um ihren Einfluss und ihre Deutungshoheit besorgt sind? Mit den Jüngern, die Jesus den Weg bahnen und doch erst hinterher begreifen, wer er eigentlich ist? Mit Jesus selbst, der seinen ihm von Gott bestimmten Weg geht, durch die jubelnde Menge reitet im Wissen, was ihn am Ende dieses Wegs erwartet? Ich vermute, wir alle haben Anteile all dieser Figuren in uns. Bei meinem Wiederlesen der Palmsonntagsgeschichte blieb ich jedoch an keiner von diesen hängen, sondern – beim Esel. Dafür mag es eine Reihe persönlicher Gründe geben: Die Haare beginnen sich farblich einem Eselfell anzugleichen, gewisse störrische Charakterzüge sind mir nicht gänzlich unvertraut, sodann ist die Eselin die einzige explizit weibliche Figur in der Erzählung, und erst noch eine, welche sich vor die Herausforderung gestellt sieht, Familienleben (Fohlen) und Beruf (Arbeitstier) und dann auch noch den Dienst für Christus (Reittier) unter einen Hut zu bringen. Die persönlichen Anknüpfungspunkte brauchen Sie nicht weiter zu interessieren. Dass ich dennoch den Esel der Palmsonntagsgeschichte ins Zentrum der heutigen Betrachtungen stellen möchte, hat damit zu tun, dass ich in ihm ein wunderbares Sinnbild der christlichen Existenz sehe, also dafür, was es heissen kann, als Christin oder Christ zu leben. Die Palmsonntagserzählung lebt von Kontrasten. Da ist der Kontrast zwischen dem hoheitlichen Empfang, den die Menge Jesus bereitet und seinem fast schon lächerlich anmutenden Einzug auf dem Esel, genauer: auf der Eselin in der Überlieferung nach Matthäus, auf ihrem Fohlen in unserem Predigttext nach Johannes. Der Kontrast zwischen der Menge, die ihn als König begrüsst und den Pharisäern, die überlegen, wie 3 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt sie ihn aus dem Weg räumen könnten. Der Kontrast zwischen den «Hosanna»-Rufen heute und dem «Kreuzige ihn!»-Geschrei ein paar Tage später. Starke Kontraste durchziehen auch den urchristlichen Christus-Hymnus, den Paulus in seinem Brief an die Philipper zitiert und den wir in der Lesung hörten: «Er, der doch von göttlichem Wesen war – nahm auf sich das Dasein eines Sklaven», «Er erniedrigte sich bis zum Tod am Kreuz – deshalb hat Gott ihn über alles erhöht». Christus, der doch von göttlichem Wesen ist, nimmt menschliche Gestalt an, wird zum Menschen, zum niedrigsten, verachtetsten der Menschen. Er, der Ewige, nimmt den Tod auf sich, und zwar den schändlichsten und schmählichsten Tod, den die damalige Zeit kannte, den Tod am Kreuz. Der Herr, der kyrios, wird Sklave. Das Wort kyrios stand in griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel für das Wort adonai, das ebenfalls «Herr» bedeutet und im Judentum als Platzhalter diente und dient für den unaussprechlichen Gottesnamen JHWH . Der kyrios wird Sklave – Gott wird Mensch. Hier in hymnischer, in anbetender, lobpreisender Sprache, was später dogmatisch verfestigt wurde und zu zahlreichen innerchristlichen Streitigkeiten führte. Der kyrios wird Sklave – Gott wird Mensch. Das ist eine Aussage über Gott. Doch verrät uns der alte Christushymnus auch etwas über den Menschen? Der Christushymnus wird mit den Worten eingeleitet: «Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht». Wir haben es also nicht nur mit hymnischen Worten über Christus zu tun, sondern zugleich auch mit einer Anweisung fürs Christsein. Und dieses wird in scharfen Kontrast gesetzt zu dem, wie wir Menschen üblicherweise «ticken». Menschen neigen dazu, sich über andere Menschen zu erheben, sich zum «Herrn», griechisch kyrios über andere Menschen zu setzen. So ist kyrios der Ehrentitel, mit dem sich beispielsweise Kaiser Augustus anreden liess, genau- 4 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt er: kyrios theos – Herre Gott. Bei Gott ist es so, dass der kyrios Mensch wird. Beim Menschen ist es gerade umgekehrt, der Kaiser masst sich als Mensch die Würde des kyrios, des Gottes an. Und nicht nur der Kaiser tut dies. Es ist ein allgemein menschlicher Zug, nur dass der Kaiser über die Möglichkeiten und die Macht verfügt, dieses Streben auch in die Tat umzusetzen. Im kleineren Stil tun dies auch seine Untertanen: kyrios wird in der Antike ebenso der männliche Hausvorstand genannt, der Familienvater, der über die ihm Schutzbefohlenen – damit sind in erster Linie Frauen, Kinder und Sklaven gemeint – die rechtliche Gewalt (kyría) ausübt. Und diese menschliche Neigung, sich grosszumachen, über andere zu herrschen, sich in der Bewunderung und Verehrung anderer zu sonnen, ist nicht zusammen mit dem römischen Reich untergegangen, sondern pflanzt sich munter fort. Beispiele brauche ich Ihnen keine zu nennen, sie liegen offen vor Augen und dürften sich auch bei selbstkritischer Introspektion erschliessen. Das ist der Ist-Zustand, damals wie heute, dem im Christushymnus das so gänzlich andere Vorgehen Gottes gegenübergestellt wird. Dieses steht jedoch nicht nur in Kontrast zum menschlichem Streben, sondern ebenso zu allem, wie in den verschiedenen religiösen Strömungen der Antike Gott gedacht wurde. Ob wir nun auf die griechische oder römische Götterwelt blicken, die vielzähligen Mysterienkulte wie den Dionysoskult und den Isiskult, oder auf stärker philosophisch ausgerichtete religiöse Systeme wie die Gnosis und den Manichäismus – überall ist Gott gedacht in den Kategorien von Macht und absoluter Überlegenheit. Die menschlichen Wünsche werden hier in potenzierter Form auf Gott projiziert. Dem Religionskritiker Ludwig Feuerbach ist in seiner berühmten Umkehrung des Wortes aus der Schöpfungsgeschichte Recht zu geben: Der Mensch erschafft sich Gott nach seinem Bilde. So funktioniert Religion. Zugleich ist aber auch dem Basler Theologen Karl Barth Recht zu geben in seinem nachdrücklichen Beharren darauf, dass der christliche Glaube gerade keine Religion ist. Im Laufe der Zeit und seiner Domestizierung durch die Institution Kirche ist auch das Chris- 5 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt tentum zu einer Religion geworden. Aber der christliche Glaube, der Glaube des Jesus von Nazareth, der Glaube, der aus dem Neuen Testament vielstimmig zu uns spricht, der Glaube, den es auch heute in allen Formen geregelter christlicher Religiosität zu entdecken und wachzuhalten und zu verteidigen gilt, zuweilen auch gegen die Institution Kirche, dieser christliche Glaube ist nicht Religion. Im Zentrum des christlichen Glaubens steht nicht die Projektion menschlichen Machtstrebens oder infantiler Wünsche auf einen göttlichen Übervater. Der christliche Glaube bietet nicht ein System von Regeln und Ritualen, welche die Sicherheit verleihen, den in seiner Übermacht ambivalenten Gott mir günstig zu stimmen. Der christliche Glaube mutet uns einen Gott zu, der Mensch wird und den Schandtod am Kreuz erleidet. Der christliche Glaube mutet uns zu, die Gnade Gottes unverdient zu empfangen. Der christliche Glaube mutet uns zu, ohne eine Regelwerk an Verhaltensnormen durchs Leben zu kommen, wenn wir uns einfach an das halten, was er Liebe, agape, nennt. Er schwimmt damit gerade gegen den Strom aller Religiosität, bürstet unseren religiösen Kuschelpelz gegen den Strich. Nicht nur in der Antike, auch heute nimmt der christliche Glaube damit eine Sonderstellung ein. So stehen beispielsweise der Hinduismus und der Islam einander in diesem Punkt weitaus näher als dem Christentum – trotz vielfältiger anderer Unterschiede, und trotz der historischen Verwandtschaft und inhaltlichen Gemeinsamkeiten des Islams mit dem Christentum. Die Vorstellung einer freiwilligen Selbstbegrenzung und Selbsterniedrigung Gottes, wie sie im Christushymnus zum Ausdruck kommt, ist religiösem Denken aller couleur nur widersinnig. Vermutlich kennen einige von Ihnen das berühmte Mosaik aus Pompeji, das Alexander den Grossen bei der entscheidenden Schlacht gegen die Perser zeigt: Hoch zu Ross, die Lanze in der Hand. Tatkräftig, entschlossen, unverwundbar – er braucht nicht einmal einen Helm zu tragen! So mag man sich einen Herrscher vorstellen, einen kyrios, und erst recht den Herrn der Herren, den kyrios kyrioi, also Gott. Doch wie anders das 6 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt Bild, das Jesus abgibt auf seinem Einzug in Jerusalem! Nicht hoch zu Ross, nein, auf einem Esel – einer Eselin oder gar nur einem Eselfohlen. Das lässt eher an Don Quijote denn an Alexander den Grossen denken! Und wer wäre nicht lieber Alexander als Don Quijote! Wer würde nicht lieber als Anhänger des Alexander gelten denn als des Don Quijote! Und wer wäre nicht lieber das stolze Ross des Alexander als der klapprige Gaul des Don Quijote! Und doch, oder gerade deshalb, reitet Christus nicht auf einem Paradepferd, nicht auf einem Vollblüter, nicht auf einem Schlachtross, ja, nicht einmal auf einem klapprigen Gaul in Jerusalem ein, sondern auf dem Jungen einer Eselin. Das sagt viel aus über Gott im christlichen Glauben, ganz im Sinn des Christushymnus. Es sagt aber auch viel aus über das Christsein. Menschlich ist es, sich selbst zum kyrios zu machen. Doch wer Christus dienen will, wer den Weg mit Christus mitgehen will, wer Christus zu den Menschen bringen will, darf keine Scheu haben, sich vor den Leuten zum Esel zu machen! Der Esel trägt Christus seiner Bestimmung entgegen und ist damit ein Christophorus, ein Christus-Träger. «Sich für Christus zum Esel machen» – diese Formulierung trägt zwei Schwierigkeiten in sich. Zum einen klingt sie alles andere als verlockend, zum anderen könnte sie zu theologischen Missverständnissen führen. Gegen das erste kann ich nichts tun. «Sich zum Esel zu machen», das ist kein Lockvogelangebot. Es steht in direktem Widerspruch zu unseren normalen menschlichen Wünschen und Neigungen. Das lässt sich nicht beschönigen und nicht wegdiskutieren, sondern ist vielmehr gerade Teil der Pointe. Wogegen ich jedoch vielleicht etwas tun kann, zumindest möchte ich es zum Schluss dieser Predigt versuchen, sind die naheliegenden Missverständnisse, die sich bei dieser Formulierung anbieten. «Sich für Christus zum Esel machen» könnte die Vorstellung wachrufen, es ge- 7 Karin Scheiber Ein Esel, wer Christus trägt he hier um etwas, das wir «machen», um unser Handeln, unser aktives Tun, unsere Leistung. Und es könnte die Frage nach den psychologischen Voraussetzungen des Christseins wecken: Sind am Ende jene Menschen die besten Christinnen und Christen, die mit einem unterentwickelten Selbstwertgefühl oder einem Hang zum Masochismus ausgestattet sind? Martin Luther hat das zentrale Ereignis des christlichen Glaubens, das, was wir in einer Woche mit Karfreitag und Ostern feiern, mit dem wunderbaren Wort vom «fröhlichen Wechsel» beschrieben – oder wie es das Predigtlied nennt: das «wundervoll hochheilige Geschäfte». Gott tauscht in Christus seine Heiligkeit, seine Göttlichkeit gegen die Sünde und Verlorenheit der Menschen und ermöglicht dadurch uns den umgekehrten Tausch, unsere Sündigkeit, unsere existentielle Selbstbezogenheit loszulassen und einzutauschen gegen die Göttlichkeit, gegen die Gotteskindschaft. Dieser für uns Menschen wahrhaft fröhliche Wechsel geht von Gott aus, ist nicht unser Werk, sondern etwas, das von Gott her an und mit uns geschieht. Und wenn wir dann, aus diesem fröhlichen Wechsel heraus, uns gelegentlich für Christus zum Esel machen, geschieht es nicht aus selbstquälerischen Neigungen heraus, sondern aus der tiefen Verbundenheit mit Christus, der zuallererst sich selbst für uns zum «Esel» machte, damit wir frei und fröhlich wahre Menschen seien. Amen. 8