- Hegau Jugendwerk

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Schriftenreihe Jugendwerk, Heft 11
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Rinninsland, Jörg (Hrsg.) :
Die Wilhelm-Bläsig-Schule,
Gailingen, 2007 (2. Aufl.)
Das Hegau-Jugendwerk in Gailingen ist ein überregionales Rehabilitationszentrum für die neurologische
Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Mit zur Zeit 200 Betten bietet es
die ganze Rehabilitationskette von der noch intensivmedizinischen Frührehabilitation über alle Formen
medizinischer, sozialer und schulischer Rehabilitation bis hin zur beruflichen Rehabilitation zum Beispiel
in Form von Förderlehrgängen.
Die Schriftenreihe Jugendwerk ist ein in erster Linie internes Forum für die fachliche Auseinandersetzung
mit den Fragen neurologischer Rehabilitation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die
einzelnen Hefte der Schriftenreihe stehen aber auch jederzeit allen externen Interessierten zur
Verfügung und können als pdf-Datei von der Homepage des Hegau-Jugendwerks kostenfrei herunter
geladen werden.
Neurologisches Fachkrankenhaus und Rehabilitationszentrum Hegau-Jugendwerk
Kapellenstr. 31, 78262 Gailingen am Hochrhein
Telefon 07734 / 939 - 0
Telefax Verwaltung 07734 / 939 - 206
Telefax ärztlicher Dienst 07734 / 939 - 277
Telefax Krankenhausschule 07734 / 939 - 366
[email protected]
www.hegau-jugendwerk.de
Redaktion der Schriftenreihe: Jörg Rinninsland, Wilhelm-Bläsig-Schule
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Vorwort
Zum Therapiekonzept des Hegau-Jugendwerks in Gailingen gehörte von Anfang die
enge Zusammenarbeit zwischen dem medizinisch-therapeutischen Bereich und der
Krankenhausschule, denn die meisten Rehabilitanden sind im Schulalter und haben
bei der Aufnahme neben motorischen Behinderungen teilweise massive Lernprobleme.
Dazu haben sie noch recht unterschiedliche Lebensschicksale. Manche sind plötzlich
aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen worden, andere leben von Geburt an bereits
mit ihren Behinderungen. Schwerpunkt ihres außerfamiliären Lebens war bisher Schule oder Berufsausbildung. Deshalb ist der Unterricht in der Krankenhausschule neben
den medizinisch-therapeutischen Behandlungen aus der Sicht einer möglichst frühen
und intensiven kognitiven Förderung sehr wichtig.
Zu einer individuellen und differenzierten Förderung gehört das Lernen in der Gruppe.
Nur so können die kognitiven und emotionalen Voraussetzungen für schulisches Lernen erreicht werden. Die große Anzahl der Rehabilitanden in unserem Rehabilitationszentrum bietet der Krankenhausschule die Chance, kleine, aber in Alter und Leistungsfähigkeit möglichst homogene Gruppen zu bilden. Andererseits können so auch viele
verschiedene Angebote den individuellen Bedürfnissen und der Entwicklung der Rehabilitanden angepasst werden.
Ein umfassendes Qualitätsmanagement garantiert, dass die Wilhlelm-Bläsig-Schule
sich in Struktur und Inhalt stetig weiter entwickelt und ihr Angebot immer stärker differenziert. Durch die große Flexibilität und die engagierte Arbeit ihrer Lehrkräfte kann sie
so den Veränderungen und Anforderungen gerecht werden.
In der vorliegenden Schriftenreihe möchten wir einen kurzen Überblick geben in die
Vielfalt der verschiedenen Unterrichts- und Förderangebote und aufzeigen, welche Chancen und Möglichkeiten durch die integrierte Teamarbeit mit den medizinisch-therapeutischen Bereichen sich für die jungen Rehabilitanden ergeben.
Manfred Bürkle
Sonderschulrektor der Wilhelm-Bläsig-Schule
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Inhaltsverzeichnis
Hintergründe
Unterrichtsangebote
Außerschulische
Aktivitäten
Das Reha-Konzept des Hegau-Jugendwerks
Die Konzeption der Wilhelm-Bläsig-Schule (WBS)
Die WBS in Zahlen
Die Struktur der WBS
Die WBS aus Sicht eines Schülers
Ein Erfahrungsbericht einer Mutter
Der Schulkindergarten aus Sicht einer Mutter
Die Bedeutung von Elternarbeit und Nachsorge
Schulabschluss an der Krankenhausschule ?
Die GB-Gruppen
Der Förderunterricht
Die Trainingsgruppen
Die Grundschulgruppen
Die Gruppen der Sekundarstufe
Der Fremdsprachunterricht
Das Merkfähigkeitstraining
Das Schreibtraining
Die Textverarbeitung und das Tastaturschreiben
Der Unterricht in Deutsch als Fremdsprache
Der Musikunterricht
Die Kunstwerkstatt
Der Computer in der Krankenhausschule
Das Smartboard als Beispiel neuer Medien
Die Unterstützte Kommunikation
Der Sonderschulkindergarten
Die Arbeit in der Schwerrehabilitation
Die PATZ
Das Spaßmix-Programm
Die Zirkus-AG
Die Schreibwerkstatt
Der Mathe-Garten
Die Kultur im Krankenhaus (kultur-klekse)
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Das Reha-Konzept
des Hegau-Jugendwerks
Das Neurologische Rehabilitationszentrum Hegau-Jugendwerk GmbH in Gailingen am
Hochrhein ist ein Fachkrankenhaus, das Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine umfassende Rehabilitation anbietet. Es wurde als bundesweite Modelleinrichtung speziell für Kinder und Jugendliche konzipiert und mit finanziellen Mitteln von
Bund, Land und Sozialversicherungsträgern gefördert. Seit 1972 werden hier Patienten
und Rehabilitanden auch über unsere Landesgrenzen hinaus behandelt.
Seit 1999 ist das Hegau-Jugendwerk eine Gesellschaft im Gesundheitsverbund der
HBH- Kliniken.
Das Hegau-Jugendwerk verfügt
ten:
Abteilung Frührehabilitation
Abteilung Schwerrehabilitation
Abteilung Rehabilitation
in mehreren Bettenhäusern insgesamt über 200 Bet18 Krankenhausbetten (Phase B)
28 Betten
(Phase C)
154 Behandlungsplätze
Es werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu 21 Jahren, in Einzelfällen
(insbesondere bei spezieller beruflicher Fragestellung) bis zu 25 Jahren aufgenommen.
Die Aufnahme zur teilstationären Behandlung ist möglich.
Die Rehabilitanden der medizinisch-beruflich-schulischen Rehabilitation sind grundsätzlich in Zweibettzimmern untergebracht. Kinder bis zu einem Alter von ca. 15 Jahren
wohnen in einem speziell auf deren Bedürfnisse abgestimmten „Hannelore-Kohl-Kinderhaus“ in familienähnlichen Wohngruppen.
Die Aufnahme der Patienten erfolgt in Abhängigkeit von Art und Zeitpunkt der Schädigung, dem aktuellen Zustand und der speziellen Zielsetzung in die entsprechende Abteilung. Das diagnostische und therapeutische Angebot ermöglicht eine nahtlose, umfassende und kontinuierliche Rehabilitationsbehandlung der Patienten von der Übernahme aus einer Akutklinik bis zur schulischen - beruflichen und sozialen Wiedereingliederung. Wesentliche Bestandteile des Hegau-Jugendwerks sind daher eine staatlich anerkannte Krankenhausschule und eine berufstherapeutische Abteilung.
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Als Fachkrankenhaus und Rehabilitationszentrum ist das Hegau-Jugendwerk eine Einrichtung zur stationären Behandlung und Rehabilitation von Erkrankungen oder Verletzungen des Nervensystems. Aufgenommen werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Das Hegau-Jugendwerk gliedert sich in die Bereiche Akutneurologie, Frührehabilitation, Frühmobilisation und allgemeine (medizinisch und schulisch/berufliche)
Rehabilitation.
Behandlung und Rehabilitation bieten ein umfangreiches diagnostisch-therapeutisches
Angebot nach modernsten Gesichtspunkten und bewährten Konzepten einschließlich
der Hilfe zur Wiedereingliederung. Das alles ist eingebettet in eine pädagogisch betreute Freizeitgestaltung.
Erkrankungen und Schädigungen des Gehirns bzw. des Nervensystems führen vorübergehend oder langfristig zu vielfältigen Fähigkeitsstörungen auf körperlichem, seelischem oder geistigem Gebiet. Ziel neurologischer Rehabilitation ist es, Behinderten
oder von Behinderung bedrohten Menschen zur Rückkehr in Familie, Schule oder Beruf
und soziales Umfeld zu verhelfen entsprechend ihren Wünschen, Vorstellungen und
Fähigkeiten.
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Hierzu bedarf es der Verminderung oder Beseitigung der Fähigkeitsstörungen, deren
Kompensation durch Erlernen von Ersatzstrategien oder den Einsatz von Hilfsmitteln
sowie die Minimierung der Auswirkungen einer Behinderung. Leistungsreserven des
Gehirns und gezielter Einsatz und Erweiterung vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten werden dabei systematisch genutzt. Rehabilitation ist ein Lern- und Entwicklungsprozess, der unmittelbar nach der akutmedizinischen Behandlung beginnt und idealerweise zeitlich und inhaltlich nahtlos gestaltet wird.
Rehabilitation im Hegau-Jugendwerk geht von einem umfassenden ganzheitlichen
Behandlungsansatz aus. Dieser berücksichtigt nicht nur die gesundheitliche Problematik, sondern auch die familiäre und soziale Situation, die bisherige schulische oder
berufliche Entwicklung und Zielsetzung sowie alters-und entwicklungsbedingte Probleme und hat die Bewältigung der veränderten Situation und die Entwicklung neuer Lebensperspektiven zum Ziel.
Zu Beginn einer Behandlung erfolgt eine umfassende klinisch-neurologische, neuropsychologische, funktionsbezogene und psychosoziale Diagnostik und Bestandsaufnahme. Hieraus ergibt sich die individuelle Problematik und Fragestellung. Im
Rehabilitationsund Therapieplan werden in zeitlich und inhaltlich sinnvoller Abstimmung
und Reihenfolge alle notwendigen medizinischen, fachtherapeutischen, schulischen
und vorberuflichen Behandlungs-, Trainings-und Fördermaßnahmen festgelegt.
Die Umsetzung des Rehaplanes ist Aufgabe konstruktiver, integrativer, interdisziplinärer Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team aus Ärzten, Psychologen, Pflegekräften, Fachtherapeuten, Lehrern und Pädagogen. Ständiger Informationsaustausch,
inhaltliche Abstimmung der im einzelnen notwendigen Therapien untereinander, vom
Behandlungsverlauf abhängige Veränderung von Therapieinhalten bzw. Therapieschwerpunkten und die kritische Überprüfung des bisherigen Rehabilitations-verlaufes
sind Aufgabe regelmäßiger Teamkonferenzen im Sinne des sogenannten Case-Management. Stationsmilieu, Begegnung und Auseinandersetzung mit Gleichbetroffenen,
Unterstützung, Anleitung und Betreuung durch Pflegekräfte und Sozialpädagogen fördern Selbständigkeit im Alltag, dienen dem Erwerb sozialer Kompetenz und erleichtern
den Umgang mit der eigenen Situation. Die Rehabilitationsberater des Sozialdienstes
organisieren und bereiten die Wiedereingliederung vor Ort vor und begleiten den Rehabilitanden im Rahmen eines poststationären Betreuungskonzeptes.
Autor
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Dr. Arne Voss
Ärztlicher Leiter des
Hegau-Jugendwerks
Die Konzeption der
Wilhelm-Bläsig-Schule
Die Wilhelm-Bläsig-Schule des Hegau-Jugendwerks ist eine staatlich anerkannte Privatschule mit Grund- und Hauptschulzweig sowie einer Abteilung für Schwermehrfachbehinderte. Angegliedert ist ein Schulkindergarten für Körperbehinderte. Grundsätzlich
werden nur Rehabilitanden in stationärer oder teilstationärer Behandlung beschult.
Die Wilhelm-Bläsig-Schule ist eine Ganztagesschule, d.h. Unterricht findet über den
ganzen Tag statt und auch eine Ganzjahresschule, d.h. nur die Lehrkräfte haben zu
verschiedenen Zeiten Ferien, die Schule selbst ist nie geschlossen. Lehrkräfte aller
Schularten und ErzieherInnen unterrichten die Rehabilitanden an 5 Tagen der Woche.
Bei Patienten in der Frührehabilitation und der Frühmobilisation sowie im Kindergartenalter steht eine basale Förderung im Vordergrund, da die Vorbereitung auf schulische
oder berufliche Eingliederung in dieser Phase (noch) nicht möglich ist. Die Arbeit in
diesen Bereichen sowie in dem der Wilhelm-Bläsig-Schule angegliederten Schulkindergarten wird in speziellen Artikeln beschrieben.
Schule sowie berufliche Ausbildung stellt bei den Rehabilitanden den Schwerpunkt der
Lebensperspektive dar. Allein daraus ergibt sich die Wichtigkeit einer gezielten, individuellen und möglichst effektiven schulischen Rehabilitation bei einer Hirnschädigung.
Die Rehabilitanden müssen auf die (teilweise geänderten und neuen) Ausbildungs- und
Lernmöglichkeiten vorbereitet werden.
Die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen Lernprozesse nach Hirnverletzungen wieder in Gang gesetzt, stabilisiert und gefördert werden können, sind äußerst
vielfältig und vor allem individuell sehr verschieden. So unterscheiden sich die Rehabilitanden in Vorbildung, individuellen Lernvoraussetzungen, Schullaufbahn, angestrebten
Ziele, Lernerfahrungen, Einstellungen zu Schule, Besuch unterschiedlicher Schularten
und soziokulturellen Voraussetzungen.
Jeder Patient oder Rehabilitand hat ein Anrecht auf eine seinem Leistungsvermögen
adäquate schulische Förderung im Rahmen der gesamten neurologischen Rehabilitation, egal ob er z.B. noch schulpflichtig ist oder nicht oder in der WfbM arbeitet oder
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ein Hochschulstudium begonnen hat, da die bisherige Laufbahn unterbrochen wurde
und meist durch die Schädigung schulisches Lernen und Wissen verlorengegangen ist
oder die Lernfähigkeit für neue Ziele gefördert werden muss.
Momentane Leistungsfähigkeit
Bei der Vorstellung in der Wilhelm-Bläsig-Schule wird die pädagogische Anamnese
erstellt. Sie umfasst:
- allgemeine Motivation
- Selbsteinschätzung
- Einstellung zu Schule und Unterricht
- zeitlich-räumliche Orientierung
- Gruppenfähigkeit
- Antrieb
- Aufmerksamkeit
-
Arbeitstempo
Belastbarkeit
Ansprechbarkeit
Sprach- und Sprechfähigkeit
Graphomotorik
evtl. benötigte Hilfs- und Arbeitsmittel
Nach der Schulvorstellung (Einzel- oder Gruppenüberprüfung) wird entschieden:
- ob vorläufig Einzelunterricht notwendig ist
- ob Einteilung zu einer bestehenden Leistungsgruppe erfolgen kann
- welche zusätzlichen Unterrichtsangebote sinnvoll sind
- wie der Unterricht in das Gesamt-Rehabilitationsplan eingepasst werden kann.
Dazu sind Absprachen und Abstimmungen mit den medizinisch-therapeutischen Bereichen nötig und müssen regelmäßig stattfinden. Zielsetzung und Schwerpunkt der
pädagogischen Arbeit ist aber die Befähigung zur Teilnahme am Gruppenunterricht, da
alle weiteren Ausbildungen letztlich im Gruppenrahmen stattfinden.
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Neuropsychologische Leistungsstörungen
Bei allen Rehabilitanden sind individuell unterschiedliche Teilleistungsstörungen zu diagnostizieren, meist in Kombinationen und verschiedenen Ausprägungsgraden. Dies sind
insbesondere Störungen in den Bereichen
-
Konzentration und Aufmerksamkeit
Gedächtnis
Sprache
visuelle und auditive Wahrnehmung
-
Strukturierung
Verhalten
psychomotorische Verlangsamung
Seh- und Hörprobleme
Die Diagnose erfolgt hauptsächlich durch den Psychologischen Dienst. Es obliegt den
unterrichtenden Lehrern, das Ausmaß und die Auswirkungen der Beeinträchtigungen
bei der Unterrichtsarbeit zu beobachten und zu beurteilen. Sie müssen in ihrer Auswirkung auf den jeweiligen Unterricht beurteilt, teilweise mit gezielten Übungen in einem
speziellen Unterricht zusätzlich intensiv gefördert, ihre Besserung beobachtet und die
Möglichkeiten der Kompensation von Restsymptomatiken überprüft werden. Andauernde schwere Schädigungen im Bereich der Sprache und des Gedächtnisses lassen
meist eine weitere schulische oder berufliche Ausbildung nur noch beschränkt zu oder
verlangen eine zusätzlich, spezielle Förderung und Ausbildung über die Rehabilitation
hinaus.
Motorische Beeinträchtigungen
Die teilweise erheblichen Bewegungsstörungen und teilweise stark verlangsamtes Arbeitstempo beeinträchtigen vor allem auf selbständige Arbeit ausgerichtete unterrichtliche
Tätigkeiten und oft ist der Gebrauch eines Computers als Schreib- und Kommunikationshilfe notwendig. Intensives Training im Umgang mit dem nicht immer bereits vertrauten
Medium und eine spezielle Anpassung sowohl im Soft- wie im Hardwarebereich ist oft
Grundlage für eine Teilnahme am Gruppenunterricht.
Psychische Verarbeitung
Die Rehabilitanden befinden sich alle in einer schwierigen Phase ihres Lebens:
- manche sind schlagartig aus ihrem Lebens zusammenhang gerissen
- manche sind von Geburt an mit ihren Einschränkungen konfrontiert,
aber auf Besserung hoffend
- manche sind wegen Überforderung in Schule/Ausbildung schulmüde mit teilweise
psychosomatischen Symptomen
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Dem Lehrer kommt bei der psychischen Verarbeitung der Folgen insofern eine besondere Bedeutung zu, als er im Vergleich zu den Therapeuten eine in Rolle und Funktion
bekannte Person darstellt, allerdings auch abhängig von der individuellen Vorerfahrung
der Patienten mit Schule und deren Vertreter. Aufgabe der Lehrer ist es, eine neue,
positive Schulerfahrung zu gestatten, bei der Fähigkeiten betont, Fortschritte betont
und neue Perspektiven eröffnet werden.
Rehabilitationsziel
Rehabilitationsziel ist grundsätzlich die Rückkehr in die vorherige Schule oder Ausbildung. Dazu müssen durch eine individualisierte und differenzierte Förderung grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten angebahnt und wiederhergestellt werden. Zu einem
späteren Zeitpunkt der Rehabilitation kann der Unterricht, seine didaktischen und methodischen Implikationen, zunehmend von einem sich abzeichnenden geänderten
Rehabilitationsziel bestimmt werden.
Unterrichtsprinzipien und Organisation
Gerade die behutsame Heranführung an die selbständige und selbstbewusste Arbeit in
einer Gruppe trotz der bestehenden Behinderungen muss Schwerpunkt der schulischen
Rehabilitation sein. Gerade die Simulation eines realistischen Unterrichtsgeschehens
soll die Rehabilitanden vorbereiten auf die Rückkehr. Es obliegt dem menschlichen und
pädagogischen Geschick des Lehrers, die Gratwanderung zwischen optimaler Förder-
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ung und notwendiger Forderung zu meistern. Verständnis, Geduld und Güte, aber auch
Konsequenz und Durchsetzungsvermögen werden dazu gebraucht. Die Patienten sollten wirklich “Schule” besuchen mit der Möglichkeit, dies einerseits als Schonraum zu
begreifen, in dem man neue Lernerfahrungen machen kann, alte (Vor-) Urteile über die
Schule und Lehrer eventuell nutzbringend korrigieren kann, andererseits aber in einer
Art Probelauf sein Durchsetzungsvermögen testen, Selbstbewusstsein und Selbständigkeit gewinnen und sich auf die anstehende Bewährung vorbereiten kann.
Pädagogische Schwerpunkte
- Basale Förderung bis hin zu lehrplanorientierter Arbeit
- Beachtung auch minimaler Restschädigungen oder neuropsychologischer Einschrän
kungen (z.B. - “leichte” Aufmerksamkeits- oder Wahrnehmungsstörungen)
- Emotionale Förderung durch Bestätigung und Ermutigung
- Einzelfallorientierung
- klare Sprache und Darbietung
- Intensive Übung und konsequente Arbeit – Voraussetzung, um leichte Merkschwächen auszugleichen, aber auch später wieder intensiv lernen zu können
- Nicht nur Lehrstofforientierung, sondern auch allgemein Lern- und Arbeitstechniken vermitteln
- Umgang mit Zeit- und Leistungsdruck
Das Unterrichtsangebot der Wilhelm-Bläsig-Schule sollte dementsprechend weit gefächert sein und auch pädagogische Förderung für spezielle Probleme hirngeschädigter
Kinder und Jugendlicher anbieten. Die starke äußere und innere Differenzierung und die
hohe Flexibilität des Angebotes erlauben es, die Patienten weitgehend in Gruppen
altersgemäß und leistungsgemäß zu unterrichten, um so das Arbeiten in und mit einer
Gruppe zu trainieren und eine sinnvolle Vorbereitung auf eine weitere Ausbildung oder
Umschulung zu bieten. Die Anzahl der Unterrichtsstunden richtet sich nach Leistungsfähigkeit und nach Bedarf sowie den terminlichen und den Schwerpunkten der Rehabilitation und kann zwischen 3 und etwa 20 Wochenstunden betragen.
In Konferenzen mit dem medizinisch-therapeutischen Bereich wird über die
Rehabilitationsziele, die Wege, dies zu erreichen und letztendlich auch über den
Entlassungstermin mit Vorschlägen zur weiteren Beschulung, Ausbildung oder Tätigkeit beraten.
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Zu Beginn, während und gegen Ende des Rehabilitationsaufenthaltes finden nach Bedarf und Möglichkeiten Gespräche mit den Eltern statt (viele Eltern können nur am
Wochenende ihre Kinder besuchen oder abholen). Dabei werden Informationen, Erkenntnisse über die Entwicklung der Rehabilitanden ausgetauscht. Teilweise müssen
dabei die Eltern in längeren, intensiven Gesprächen auf eine realistische Einschätzung
der Leistungsfähigkeit und der Möglichkeiten ihrer Kinder und auf einen empfohlenen
Wechsel der Schule vorbereitet werden.
Vor allem beim Wechsel in eine Sonderschule sind Kontakte zur abgebenden und zur
aufnehmenden Schule und begleitende Gespräche mit den Eltern wichtig – in besonderen Fällen werden die Rehabilitanden von einem Vertreter der Wilhelm-Bläsig-Schule
an der aufnehmenden Schule vorgestellt. Da jeweils der sonderpädagogische
Förderbedarf festgestellt werden muss, werden zusätzlich zum abschließenden Schulbericht zur Aufnahme in die Sonderschule nach Bedarf ein psychologischer Befund und
ein ärztlicher Empfehlungsbericht erstellt. Am Ende wird als eine Art Zeugnis ein
Schulischer Abschlussbericht erstellt, in dem die Unterrichtsinhalte, die Leistungsfortschritte und das Leistungsvermögen verbal niedergelegt werden.
Autor
12
Manfred Bürkle
Schulleiter der
Wilhelm-Bläsig-Schule
Die Wilhelm-Bläsig-Schule
in Zahlen
Schüler in der Wilhelm-Bläsig-Schule (in der Statistikwoche 2005)
davon schwermehrfachbehinderte Schüler
davon Schüler im Schulkindergarten
173
49
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Anzahl der Kollegen und Kolleginnen
davon
Erzieherinnen
Sonderschullehrer
Grund- und Hauptschullehrer
Realschullehrer
Gymnasiallehrer
Volldeputate
45
18
7
11
3
6
25
Schulräume der Wilhelm-Bläsig-Schule
Computer insgesamt
davon Computer mit Internetzugang
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59
42
Das Kollegium der Wilhelm-Bläsig-Schule im Mai 2006
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Die Struktur der schulischen Rehabilitation in der
Frührehabilitation / Schwerrehabilitation
Basale Förderung / Bettenunterricht
Förderunterricht
Einzel- und Kleingruppenunterricht
Regelschule
Grund-, Haupt-,
Realschule, Gymnasium,
Förderschule
Kinderhaus
Schulkindergarten
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Förder- und
Therapieplan nach
Teambesprechungen
Trainingsgruppen
Deutsch und / oder
Mathematik
differenzierter, individualisierter Unterricht
+
+
+
+
+
Wilhelm-Bläsig-Schule des Hegau-Jugendwerks
Zusatzangebote nach Förderbedarf:
ComputerTraining
Unterstützte
Kommunikation
MerkfähigkeitsTraining
Deutsch als
Fremdsprache
Kommunikationsund Schreibhilfen
Kommunikationsund Schreibhilfen
Graphomotorisches
Training
Unterricht für
Geschwisterkinder
Musik- und
Klangwerkstatt
Kunstwerkstatt
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Die Krankenhausschule
aus Sicht eines Schülers
Schon wieder Schule ?!
Wer macht schon gerne Schule? Und auf einmal saß ich wieder in so einem Raum mit
Tischen und Stühlen, großen Fenstern und die Wände voll mit irgendwelchen Postern,
die lehrreich sein sollten! Es war ein typischer Schulraum, den ich doch früher schon
lieber von außen gesehen hatte. Aber jetzt war ich wieder in einem solchen Raum
angekommen und saß vor einem PC.
Krampfhaft versuchte ich mich an meine letzte Schulstunde zurück zu erinnern. Dies
war jetzt schon drei Jahre her. Aber nun saß ich im Rollstuhl und hatte selbst darum
gebeten, wieder Schule zu haben. Ich tippte mit einem Helm auf das Keyboard eines
Computers und sollte Gleichungen lösen.
Nichts war so wie früher. Hatte ich es an einem Tag kapiert, war es doch am nächsten
morgen wieder vergessen und musste es von neuem erklärt bekommen. Dabei war
Mathe einst mein Lieblingsfach. Nur jetzt war mein Kopf auf einmal leer und ich konnte
mit den ganzen Zahlen nichts anfangen. Hatte ich doch mehr vergessen als ich zu
wissen glaubte? Bruchrechnung hatte ich doch noch hin bekommen, warum war mein
Verständnis jetzt gelöscht?
Mittags zwei Stunden Deutschunterricht. „Was will ich jetzt mit Deutsch?“, so fragte
ich mich. Meine Rechtschreibung erledigt mein Computer! Aber ich hatte zwei Schulstunden Deutsch im Therapieplan stehen! Anfangs hatte ich noch einen Mitschüler und
wir lösten die Aufgaben gemeinsam. Unsere Lehrerin hatte uns einen Zaubertrick vorgeführt, der mich echt verblüffte. Ich konnte mir nicht erklären wie er funktionieren sollte?
Zum Glück hatte mein Mitschüler gleich die richtige Erklärung dafür, nur fehlten ihm die
richtigen Worte, um es verständlich zu erklären. Da fing ich langsam an zu verstehen,
was ich hier mache und wofür ich eigentlich hier bin. Ich war nicht hier, um mehr Wissen anzuhäufen - ich war hier, um mein Wissen wieder richtig anwenden zu können.
Dann hatte ich noch zwei Schulstunden EDV und mir wurde eine Kleinigkeit von dem
beigebracht, was man noch mit Computern machen kann. Mir wurde gezeigt wie man
Statistiken erstellt oder Adressen katalogisiert. Der Mann vom Internet-Cafe des Hegau-
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Jugendwerks wollte mir die Html-Programmierung etwas näher bringen. Ich konnte mit
diesem Thema nur wenig anfangen und passte deshalb nicht so ganz auf. Gerade
dieses Thema ist jetzt meine Hauptbeschäftigung.
Heute ist meine Reha-Zeit in Gailingen schon 2 Jahre her und ich arbeite in einer WfB
der Kreuznacher Diakonie am Computer. Ich programmiere Internet-Seiten und erledige
andere anfallende Sachen am Computer. Hier muss ich noch anmerken, dass diese Art
der Beschäftigung noch nicht so häufig in Behinderten-Einrichtungen angeboten wird.
Autor
Jörg Bussing
ehemaliger
Rehabilitand
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Vinzenz
auf dem Weg zurück in die Schule
Ein Erfahrungsbericht seiner Mutter
Es war Freitag, der 21. Mai 1999, für unseren 7-jährigen Sohn Vinzenz der letzte Schultag vor den Pfingstferien. Mit Familie und Hund ging es auf große Fahrt. Das Ziel:
Moliets-Plage an der südwestfranzösischen Atlantikküste. Eine autofreie Anlage direkt
am Strand sollte Vinzenz und seinen beiden kleineren Geschwistern eine Verschnaufpause vom Alltag ermöglichen.
Der Landstrich rundum war jedoch alles andere als autofrei. Am Pfingstmontag, am
zweiten Tag nach der Ankunft, wurde Vinzenz beim Überqueren eines Landsträßchens
von einem Auto angefahren. Mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma wurde Vinzenz
in eine Spezialklinik im 160 Kilometer entfernten Bordeaux eingeliefert. Dort verbrachte
er, um sein Leben ringend, die Pfingstferien. Nach zwei Wochen des Hoffens und Bangens die erlösende Mitteilung, dass unser Großer seinen Unfall überleben würde; offen
blieb, in welcher Verfassung das sein würde.
Am ersten Schultag nach den Ferien ein kurzer Anruf in seiner Schule: Vinzenz kann
nicht kommen, lange nicht (vielleicht nie wieder?). Danach verlor sich das Thema Schule für längere Zeit ganz aus dem Blickfeld.
Von Bordeaux aus wurde Vinzenz in die Kinderklinik in Tübingen verlegt. Auf das tiefe
Koma folgte das apallische Syndrom. Anfang Juli zeigte Vinzenz erste winzige Reaktionen auf seine Umwelt. Zeitgleich wurde ein Platz in der Frührehabilitation des HegauJugendwerks für ihn frei. Vinzenz bekam seine Therapien, und das anfangs brettsteife
Kind, das – Gott sei Dank – ohne fremde Unterstützung atmen, ansonsten aber nur
sein linkes Auge öffnen und den Kopf ein wenig bewegen konnte, entwickelte sich
weiter.
In der darauf folgenden Zeit stellte sich viel Positives ein, wie im Rollstuhl sitzen und
erste Sprechversuche. Aber auch unangenehme Dinge traten zutage in Form einer
ausgeprägten Ataxie der linken Körperhälfte und der sich nur ganz allmählich mildernden spastischen Lähmung der rechten Seite. Irgendwann in dieser Zeit fiel dann zum
ersten Mal wieder der Begriff “Schule”.
Eines Morgens teilte mir die Schwester mit: “Wir haben Vinzenz zur Schule angemel-
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det.” Das schlug bei mir ein wie ein Blitz. “Wie soll das denn gehen,” schoss es mir
durch den Kopf. Resignation, Unsicherheit, Freude und vieles Andere aus der Seelenund Gefühlekiste nahm mich in Beschlag. Das, was vor dem Unfall ganz selbstverständlich zum Alltag gehört hatte, nämlich die Schule, war jetzt zu etwas “Unvorstellbarem” geworden. Vieles ging mir in der nächsten Zeit durch den Kopf: Wie soll denn
Schule nun aussehen? Muss mein Kind jetzt auch noch mit Schule belastet werden,
wo es mit seinen körperlichen Problemen doch eigentlich genug zu tun hat? Schule ist
Zukunft; aber hat Vinzenz eine Zukunft – vielleicht gerade durch die Schule?
Vinzenz reagierte auf die Nachricht mit einem Lächeln und versuchte seine Sprachorgane zu überreden, das Wörtchen “Toll!” hervor zu bringen. Die erste Schulstunde
kam. Sie dauerte 30 Minuten und bestand aus Einzelunterricht bei Frau Heinermann.
Wie der Inhalt dieses Unterrichts aussehen könnte, war mir ein Rätsel. Sohnemann
erschien danach sehr glücklich und ließ mich wissen, dass Frau Heinermann echt nett
sei. Auf meine Frage, was er denn im Unterricht gemacht habe, antwortete er mit einem
“Hmm...?”
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Zur zweiten Unterrichtssunde war ich eingeladen. Dabei habe ich dann so einiges gelernt, allem voran, dass der Denkapparat, um einmal Gelerntes wieder zu entdecken
oder neu zu erwerben, ebenso Training braucht wie der Körper. Vinzenz hat ganz von
vorne angefangen, spielerisch, immer seinem gerade aktuellen Stand und seiner Tagesform angepasst. Seine Lehrerin ist dabei mit enormer Sensibilität auf ihn eingegangen,
hat Lücken und Unsicherheiten herausgefunden und zusammen mit Vinzenz gekittet.
In der Urlaubszeit wurde Vinzenz von Herrn Lauer übernommen. Sein Urteil über den
Unterricht lautete auch jetzt: “Lehrer toll, alles andere weiß ich nicht mehr!” Doch, eine
Sache fiel ihm noch ein: “Herr Lauer hat, im Gegensatz zu Frau Heinermann, einen
Computer, der funktioniert!” Schon vor dem Unfall hatte der Computer enorme Bedeutung für meinen Sohn. Langsam, ganz langsam erwachte das Interesse an dieser Maschine wieder. Dabei stand allerdings das vollständige Unvermögen im Wege, sie zu
bedienen; das war einerseits eine große Enttäuschung, andererseits aber auch ein
Ansporn.
Am 23. August 1999 wurde Vinzenz von der Frührehabilitation als teilstationärer Patient ins Kinderhaus verlegt. Das bedeutete, nun auch die “richtige” Klinikschule besuchen zu dürfen. Vinzenz war sehr überrascht: “Hier sieht es genau so aus wie in meiner
alten Schule, sogar das Klassenzimmer ist ganz ähnlich!”
Die Schule sollte in der Folgezeit eine wichtige Konstante in Vinzenz‘ Leben werden.
Sie brachte ein wenig Normalität zurück, etwas, das schon vor dem Unfall da gewesen
war. Vinzenz genoss seine zwei Schulstunden pro Tag. Er freute sich, wieder mit anderen Kindern in einer Klasse zu sein. Er hatte damit auch die Chance, sich wieder in ein
soziales Umfeld einzugewöhnen.
Mit verschiedenen Hilfsmitteln wurde versucht, ihm die Arbeit am Computer zu ermöglichen. Er bekam auf ihn abgestimmte Aufgaben, vor allem aber viel Aufmerksamkeit
und Verständnis von seinen Lehrern. So tastet sich unser Sohn seitdem auch auf intellektueller Ebene langsam, aber sicher, wieder voran.So wie er seine Höhen hat, sind
uns auch die Tiefen nicht fremd. Wir hoffen sehr, dass er die Zeit bekommen wird, die er
für seine Entwicklung braucht.
Seit Vinzenz keinen Einzelunterricht mehr hat, kommt bei uns Eltern leider nur noch
wenig inhaltliche Information an. So ist es für uns sehr schwierig, den Stand unseres
Kindes in etwa zu erfassen und seine Entwicklung zu erkennen, geschweige denn, das
Ganze richtig einzuordnen. Problematisch wird das für manchen kleinen Patienten und
seine Eltern sicher in dem Moment, wenn es auf die Entlassung zugeht und letztlich
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über die weitere Schullaufbahn des Kindes entschieden werden muss. Diese Entscheidung, die ja häufig gegenüber dem Stand vor dem Schädigungsereignis bei der Schuloder Klassenwahl einen Schritt zurück bedeutet, wäre sicher leichter zu treffen oder
mit zu tragen, wenn die Eltern ein klein wenig mehr mit eingebunden und mit Informationen versorgt würden.
Vinzenz ist jetzt seit 10 Monaten im Hegau-Jugendwerk. Er geht täglich tapfer seinen
Weg. In letzter Zeit ist er manchmal traurig und hat genug von dem täglich gleichen
Trott in Gailingen. Kürzlich hat er mir anvertraut: “Ich möchte so gerne wieder in meine
alte Schule gehen, mit Freunden auf dem Schulhof herum tollen und Hausaufgaben
machen.” „Nun, mein Sohn, genau deswegen fahren wir ja jeden Tag ins Jugendwerk,
um dir diese Wünsche eines Tages wieder erfüllen zu können.“ Manches wird nicht
mehr ganz so sein wie vor dem Unfall, aber vieles sollte noch erreichbar sein. Wir
werden sehen.
Zur Zeit sind wir mit unserem Kind auf einem langen Weg, dessen weiteren Verlauf und
das Ziel an seinem Ende wir heute nicht absehen können. Aber wessen Lebensweg ist
schon absehbar?
Hoffnungen für die Zukunft – auch die schulische – gibt es natürlich, sonderlich konkret
sind sie im Moment jedoch noch nicht.
Autorin
Felicitas Reck
Mutter
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Der Schulkindergarten
aus Sicht einer Mama
Mittlerweile sind wir siebeneinhalb Monate hier im Hegau-Jugendwerk und unsere Zeit
geht zu Ende.
Meine Tochter Judith, jetzt sieben Jahre alt, hatte im Sommer, kurz vor ihrer geplanten
Einschulung, einen Fahrradunfall mit sehr schwerem, offenem Schädelhirntrauma. Mittlerweile hat sie sich gut erholt und in allen Bereichen kleine, größere oder riesige
Fortschritte gemacht. Nun wollen wir sie ambulant weiterbehandeln lassen und wieder
als Familie zusammenleben. Wir freuen uns auf Mann und Söhne, Papa und Brüder ..
und auf den hoffentlich möglichst normalen Alltag, den man erst nach so einem Unglück richtig zu schätzen weiß.
Außerdem kann Judith mittlerweile “zu viele” Gedichte. Jede Woche lernt sie im Vorschulunterricht des SKG ein oder zwei Verse. Anfangs fast vollständig sprachlos sog
sie die Reime und ihre dazugehörenden Bilder auf wie Honig. In der Freizeit wurden
Therapieinhalte und Gelerntes verknüpft. Wehe, Mama schob sie beiseite, wenn sie
am Wochenende im “Einbeinstand” vor dem Kühlschrank stand und – sich dort abstützend – “Es war einmal ein Mann” rezitierte. Wissen Sie, wie lang dieses Gedicht ist?
Und wie es einer Mutter geht, die am Wochenende beim Kochen für fünf Personen mal
schnell etwas aus dem Kühlschrank nehmen muss? Freunde und Bekannte, die Judith
besuchten, waren entzückt über die ersten Verse, die dieses noch im Sommer so
sprachlose Kind hervorbrachte – und stöhnten leicht auf, als es dann verkündete, Gedicht Nummer fünf werde nun vor Gedicht Nummer vier vorgetragen.
Mein Kind geriet ins Vorschulfieber. Ich konnte mich vor dem dauernden Erfinden neuer
Arbeitsblätter und Aufgaben dadurch retten, dass ich die Pädagogen bat, sich Judith
möglichst täglich mittags noch einmal vorzuknöpfen.
Meine Tochter arbeitet sehr gerne im Schulkindergarten. Die Mischung aus herzlicher,
unbetulicher Nähe, interessanten Materialien und Methoden und klaren Ansprüchen
hebt sich auch deshalb aus dem üblichen Rahmen der Therapien heraus, weil diese
Lern- und Erlebensgemeinschaft nicht nur zwischen einer Therapeutin und ihrem zu
behandelnden Kind entsteht, wie in den meisten anderen Behandlungen. Hier versucht
eine Gruppe von Jungen und Mädchen mit verschiedenen Handicaps das Leben mitein-
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ander zu meistern. Während ich z.B. erschrocken durch Zufall einen epileptischen
Anfall im Alltag des Kinderhauses miterlebe, erklärt mir meine Tochter gelassen, dass
das diesem Jungen öfter geschieht, auch morgens in der Vorschule, und dass er gleich
wieder zu sich kommen und weitermachen wird. Oder sie beschreibt mir in Ruhe und
ohne Wertung die Ticks und Eigenheiten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. Dies ist
so nur möglich, wenn behinderte Kinder ihre zum Teil ja nicht unproblematischen Eigenschaften und Andersartigkeiten ausleben können und wenn eine nötige Korrektur
durch die Leitung oder im Miteinander der Patienten ohne Spott, Ironie und Demütigung
geschieht. Es braucht Zuneigung und Disziplin, den komplizierten Charakteren der
Kinder mit gutem Nervenkostüm und voller Achtung zu begegnen. Diese Art, in der im
Schulkindergarten der Wilhelm-Bläsig-Schule miteinander und mit den zu lernenden
Inhalten gearbeitet wird, fasziniert nicht nur mich.
Autorin
Martina Kissel-Staude
Mutter
23
Die Bedeutung von Elternarbeit
und Nachsorge
Durch den großen Einzugsbereich des Hegau-Jugendwerks muss sich die Zusammenarbeit mit den Eltern zwangsläufig schwierig gestalten. Viele Eltern können wegen
langer Anfahrtswege ihre Kinder nur am Wochenende besuchen, so dass Gespräche
meist mit dem ärztlichen Dienst geführt werden. Deshalb kommt der ausführlichen
Information in den gemeinsamen Besprechungen des Rehabilitationsteams große Bedeutung zu. Zusätzliche Gespräche, vor allem mit der Schulleitung, werden meist dann
notwendig, wenn eine Änderung der Schullaufbahn oder ein Wechsel der Schule ansteht. Man muss sich den Leidensweg, den fast alle Familien bereits hinter sich haben,
vor Augen führen, um nachempfinden zu können, was es bedeutet, dass am Ende der
Rehabilitation nun nicht doch eine völlige Genesung erreicht wurde. Auch wenn weitere
Fortschritte und Entwicklungen abzusehen sind, so bedeutet das Ende der Rehabilitation doch eine Zäsur – die Rückkehr nach teilweise monatelangem Krankenhausaufenthalt in die Realität, das Leben “draußen”. In den Wochen vor der Entlassung zeichnet sich ab, ob weiter die Stammschule besucht werden oder die angefangene Ausbildung zu Ende geführt werden kann. Ist dies aus unserer Sicht nicht zu empfehlen,
müssen Eltern und Kinder vom Reha-Team behutsam auf die für alle schmerzlichen
Veränderungen vorbereitet werden. Teilnahme der Bezugspersonen am Unterricht und
daran anschließende Gespräche über die Probleme der Rehabilitanden, mit den noch
vorhandenen “Lern”-Behinderungen am Unterricht ihrer Stammschule oder einer anderen Regelschule erfolgreich teilnehmen zu können. Oft haben die Eltern noch Kontakt
mit der vorher besuchten Schule und dem Klassenlehrer. Zunehmend sind diese auch
bereit, die Kinder (teilweise ohne sie überhaupt noch einmal gesehen zu haben) wieder
aufzunehmen oder allenfalls in eine Klasse tiefer rückkehren zu lassen. Dabei steht der
verständliche Wunsch der “Rückkehrer” wieder in die alte Klassengemeinschaft aufgenommen zu werden. Dieser sozialintegrative Gesichtspunkt steht aber oft im Kontrast
zu dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf. Gerade bei den noch oft
vorhandenen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, bei graphomotorischen
Beeinträchtigungen, erheblicher Verlangsamung des Arbeitstempos, bei Wahrnehmungsstörungen und Strukturierungsschwächen, scheint nur das Lernen in einer Kleingruppe
sinnvoll zu sein. Dass dies nur eine Sonderschule, meist die Schule für Körperbehinderte, zu leisten vermag, ist den Eltern und den Rehabilitanden manchmal schwer zu
vermitteln. Da aber eine weitere intensive Förderung notwendig ist, muss entsprechend
24
Überzeugungsarbeit geleistet werden und dabei steht die Krankenhausschule in einer
besonderen Verantwortung. Sie sucht entsprechende Schulen aus, nimmt Kontakt mit
ihnen und der abgebenden Schule auf, berät die Eltern und bereitet den Wechsel vor. In
manchen Fällen begleitet ein Vertreter der Krankenhausschule die Familien bei der
Vorstellung an der neuen Schule. Da nach einem mindestens 4- 6wöchigen Aufenthalt
ein ausführlicher Schulbericht an die aufnehmende Schule geschickt wird, sind die
Kolleginnen und Kollegen über die Entwicklung, den Stand und die noch notwendigen
Hilfen und Hilfsmittel informiert. Die Eltern erhalten jeweils einen identischen Bericht
als eine Art Zeugnis über die geleistete Arbeit.
Nach der Entlassung bietet das Hegau-Jugendwerk ein umfangreiches Nachsorgeprogramm an, das ca. drei Monate nach der Entlassung mit einer telefonischen
Nachfrage beginnt.
Dabei fragen Mitarbeiter nach dem persönlichen und schulischen Wohlergehen, nach
der Umsetzung der Entlassplanung und anderem. Zeigt sich, dass noch Beratungsoder Unterstützungsbedarf besteht, so kann dies zeitnah erfolgen. Natürlich ist hier
auch Platz für anderes wie z.B. für Lob und Kritik, für Grüße und Anregungen.
Ein Jahr nach der Entlassung geht ein Fragebogen an die aufnehmenden Schulen, um
zu prüfen, ob der Beschulungsvorschlag richtig war, welche Probleme Schüler und
Lehrkräfte haben und wie die jeweilige Einrichtung (z.B. die Schule) darauf reagieren
kann.
Ein Jahr darauf (also zwei Jahre nach Entlassung) bekommen die Patienten dann
noch einmal Post vom Hegau-Jugendwerk. Mittlerweile haben sich Weichen gestellt,
und vielleicht gibt es neue oder alte Probleme. Alle Angaben sind eine wichtige
Rückmeldung zur Qualitätssicherung und geben Informationen und Hinweise für eine
gute Beratung und Rehabilitation unserer Patienten.
Schon während der stationären Zeit werden die Weichen für die Rückkehr gestellt. In
Einzelfällen können für Übergangszeiten neue Technologien eingesetzt werden und
z.B. ein „e-Learning“ möglich machen, das heißt, Aufgaben können von jedem beliebigen
Ort aus abgerufen und bearbeitet werden. Spezielle Internetseiten für Patienten
(www.panamix.de) und Angehörige (www.panamia.de) bieten Informationen und
ermöglichen Kontakt und Erfahrungsaustausch während und nach dem Reha-Aufenthalt.
Autor
Manfred Bürkle
Tina Paßmann
Schulleiter
Diplom-Pädagogin
25
Schulabschluss
an der Krankenhausschule ?
An wen richtet sich das Angebot ?
Krankheit oder Unfall bringen für unsere Schüler einen Einschnitt in die bisher
eingeschlagene Schullaufbahn und schaffen zunächst eine Distanz zu dem gewohnten
schulischen Umfeld. Oft kommt die Frage auf: Wie geht es schulisch weiter? Mitunter
müssen Schüler weiterführender Schulen ohne Schulabschluss zum Teil ihre
Lebensplanung neu gestalten.
Ebenso können besonders Schüler der Hauptschule mit Lernschwierigkeiten, welche
an Überforderung, Schulangst, Leistungsversagen oder psychosomatischen
Beschwerden oder gar unter Ausgrenzung (bei Adipositas ) leiden, angesprochen und
erreicht werden.
Unterschiede gibt es zur Regelschulkasse ?
Innerhalb einer altersgemischten Lerngruppe können Schüler der Klassenstufe 7- 9
sich schulische Lerninhalte in den Fächern Mathematik und Deutsch aneignen.
Zunächst erfahren sie, in individuell gestellten Aufgaben, ihren momentanen
Leistungsstand. Nach einer, zu Stundenbeginn gemeinsam durchgeführten
Aufwärmphase, bearbeitet in der Regel jeder Schüler und jede Schülerin dem eigenen
Lerntempo entsprechend, individuell gestellte Aufgaben. Wichtig ist die Reflexion über
Lernzuwachs und Lernfortschritte im persönlichen Gespräch, woraus sich dann die
nächsten individuell gestellten Aufgaben und Unterrichtsinhalte entwickeln. Immer
wieder ist der Vortrag bzw. die Präsentation des Gelernten vor der Lerngruppe
gewünscht. Neben der Stärkung des Selbstwertgefühls werden die Schüler auf einen
Aspekt der Hauptschulabschlussprüfung (Darstellung der Projektergebnisse) vorbereitet.
26
26
Welche Vorteile bietet die Wilhelm-Bläsig-Schule ?
1. Der Unterricht in der kleinen Lerngruppe ermöglicht intensive Betreuung, so
dass Schwächen gezielt gefördert und Lücken aufgearbeitet werden können.
Die individuell angepassten Aufgaben führen zu Erfolgserlebnissen, die das
Selbstbewusstsein stärken und Lernfreude wecken können.
2. Die Gruppengröße von vier bis 12 Schülern, bei in der Regel zwei Lehrkräften
ermöglichen sowohl eine innere wie äußere Differenzierung. Bei gegebener
Selbständigkeit kann im engen Kontakt mit der Heimatschule der Leistungsstand der Heimatklasse gehalten werden. Im Einzelfall können dafür geeignete
Schüler gegebenenfalls zum regulären Zeitpunkt auch nach der neuen
Prüfungsordnung, eine in der Heimatschule begonnene Hauptschulabschlussprüfung beenden bzw. die letzten Vorbereitungen treffen und in der WilhelmBläsig-Schule durchführen.
3. Bei gegebener Belastbarkeit kann zusätzlich zum individuellen Lernen in der
Kleingruppe durch flexibel angebotene Förderstunden auch im Sekundarbereich
I und II noch eine gezielte Förderung von Leserechtschreibschwäche LRS
oder anderen Teilleistungsschwächen angeboten werden.
4. Besonders vorteilhaft wirkt sich bei Schülern mit Strukturierungsproblemen
aus, dass der Unterricht von Dienstag bis Freitag täglich, zur selben Zeit, mit
dem „Klassenlehrer“ beginnt und die Unterrichtsstunden einen ritualisierten
Ablauf haben, was Sicherheit und Selbständigkeit fördern kann. Bei Bedarf
sind die Lehrer rasch mit dem Pflegepersonal in den Bettenhäusern in
Verbindung, und somit eine enge Betreuung möglich. Der Lehrer koordiniert
als Mentor die weiteren Unterrichtsfächer, wie Englisch, ITG, Kunst, Musik
und Sport, welche je nach Therapieschwerpunkt individuell angepasst werden
und hält bei regelmäßig durchgeführten Einzelfallbesprechungen den Kontakt
zu den weiteren Therapeuten. Gemeinsam werden Ziele formuliert und
schulische Weichen gestellt.
Autorin
Ursula Dufner
GHS-Lehrerin
27
Das Unterrichtsangebot
Die GB-Gruppen
In speziellen, den Bedürfnissen der Rehabilitanden angepassten Gruppen werden
aus der Schule für Geistigbehinderte, aber auch schwer Schädel-Hirn-Geschädigte
beschult. Manche Rehabilitanden benötigen aufgrund ihrer starken körperlichen oder
kognitiven Einschränkungen sowie ihrer Verhaltensauffälligkeiten Einzelförderung oder
eine geringere Gruppenstärke.
Kleine Lerngruppen und die Regelmäßigkeit der Unterrichtsstunden bilden die
Grundlage, so dass eine enge Beziehung zu den Rehabilitanden aufgebaut werden
kann.
Da jeder Rehabilitand seine eigene Schulbiographie mitbringt und die Patienten mit
unterschiedlichsten Entwicklungs- bzw. Leistungsständen zu uns kommen, ist es von
großer Bedeutung, dass der Einzelne individuell und differenziert beschult und gefördert
wird.
28
Dies stellt besondere Anforderungen an die Lehrkräfte. Der Schwerpunkt des Unterrichts
liegt in der Förderung und Festigung basaler Fertigkeiten. Ein weiterer wichtiger Punkt
ist die Hinführung zu mehr Selbstständigkeit beim Bearbeiten von Aufgabenstellungen
und die Hinführung zu einer gesteigerten Arbeitshaltung.
Ein ebenso wichtiger Schwerpunkt ist die Förderung der Ausdauer und der
Konzentration, sowie die Entwicklung sozialer Kompetenzen innerhalb der Kleingruppe.
Die Inhalte der Individualförderung umfasst die Vertiefung und den Ausbau von
vorhandenem Wissen und Themen des lebenspraktischen Lernens (Umgang mit Geld,
Zahlen, Fahrpläne lesen usw.).
Die Lebenssituation des Einzelnen wird berücksichtigt und in der Förderung
berücksichtigt.
Voraussetzung für die Förderung ist das Arbeitsmaterial und die Vorinformationen der
Eltern und der Stammschule.
Folgende Materialien werden im Unterricht eingesetzt:
-
Spiele zur Förderung der Wahrnehmung (Tastmaterial, Puzzle, Steckspiele)
Materialien zur Sortierung und Differenzierung
Fingerspiele und Lieder
Musik bzw. Musikinstrumente
Bilderbücher
Gesellschaftsspiele (Uno, Kniffel, Mensch ärger Dich nicht, u.v.m.)
Zahlen- und Rechenspiele
Buchstabenspiele
Lesespiele
Oftmals wird der Computer als ergänzendes Hilfsmittel eingesetzt, um Lerninhalte
umfassender kennen zu lernen und Wissen zu festigen. Für einige Rehabilitanden ist
der PC ein wichtiges Kommunikations- und Hilfsmittel, um sich zu verständigen, wenn
die sprachliche und motorische Einschränkung zu gravierend ist.
Autorinnen
Nathalie Djerba
Christina Eichin
Erzieherinnen
29
Der Förderunterricht
Kriterium für die Eingruppierung eines Schülers in den Förderunterricht der WilhelmBläsig-Schule ist die eingeschränkte Gruppenfähigkeit des Schülers. Gründe dafür
können sowohl neuropsychologische Einschränkungen wie auch Verhaltensprobleme,
Sinnesstörungen wie Blindheit und /oder schwere Körperbehinderungen sein.
Der Förderunterricht findet in der Form der Einzelförderung statt. Der Lehrer ist hier in
der Lage, sich durch stark individualisierte Binnendifferenzierung mit bis zu 4 Schülern
in einer Förderunterrichtsstunde zu beschäftigen.
Der Förderunterricht setzt da an, wo der Schüler in seinem Leistungsvermögen momentan
steht. Ausgehend von dem noch vorhandenen, momentan verfügbaren Können soll er
wieder Zutrauen in eigene Fähigkeiten gewinnen, selbstbewusster werden und dadurch
zunehmend stabilere Leistungen erzielen. Es gilt, Motivation aufzubauen und zu
stabilisieren. Ziele, Inhalte und Methoden richten sich nach den Interessen und
Lernmöglichkeiten des Schülers und nicht nach eventuellen Lehrplänen.
Der Schüler muss sich im Förderunterricht aber auch seinen möglicherweiser
veränderten Grenzen stellen und lernen, diese zu akzeptieren. Er muss zudem lernen,
Hilfen anzunehmen, aber auch kleine Erfolge selbst zu erkennen.
Der Lehrer gibt mit geeigneten Materialien und Medien Hilfen. Der Computer bietet
sowohl mit seinen multimedialen Möglichkeiten als auch mit den individuell einstellbaren
Anpassungen für motorische Einschränkungen wertvolle Hilfen für die Schüler im
Förderunterricht.
Die Arbeitsschritte müssen kurz, überschaubar und klar strukturiert sein. Das Lernen
muss in einer ruhigen, möglichst reizarmen Atmosphäre stattfinden. Jeder Schüler
sollte in seinem individuellen Lerntempo arbeiten und jederzeit nötige Pausen einlegen
können. Verbesserungen stellen sich in der voranschreitenden Remission oft sehr
schnell ein. Durch die Fortschritte der Schüler im Förderunterricht können die
Entscheidungsgrundlagen für einzelne Unterrichtsinhalte schon nach Wochen überholt
sein. So müssen methodisch-didaktische Entscheidungen im Sinne förderdiagnostischer
Konzepte immer wieder neu überprüft werden. In Fallbesprechungen wird der Fortschritt
30
diskutiert und gegebenenfalls die Entscheidung für die Umgruppierung in eine Lerngruppe
der Wilhelm-Bläsig-Schule getroffen.
Das Ziel des Förderunterrichts ist erreicht, wenn der Schüler von seiner kognitiven
Leistungsfähigkeit und seinem Sozial- und Arbeitsverhalten her in der Lage ist, dem
Unterricht in einer größeren Gruppe zu folgen. Er muss dann wenigstens teilweise
selbständig Inhalte erarbeiten und sein Lernen altersgemäß organisieren können.
Autorinnen
Heidi Ensslen
Birgit Denz
GHS-Lehrerinnen
31
Die Trainingsgruppen
und der Praxisbezug
Die Fächer Deutsch und Mathematik werden in den sogenannten „Trainingsgruppen“
im Umfang von jeweils 3-4 Wochenstunden angeboten. Pro Fach gibt es verschiedene
Trainingsgruppen mit unterschiedlichem Niveau, welche in aufeinander abgestimmten
Zeitschienen stattfinden. Dadurch ist die Durchlässigkeit gewährleistet und ein
organisatorisch problemloses Wechseln von einer leistungsschwächeren Trainingsgruppe in eine leistungsstärkere Trainingsgruppe möglich.
Im Gegensatz zum Förderunterricht werden in den Trainingsgruppen nicht mehr
schulpflichtige Rehabilitanden gefördert, die aufgrund ihrer schulischen
Voraussetzungen, ihrer fachlichen Grundkenntnisse und Fertigkeiten oder ihres Alters
sowie ihrer momentanen kognitiven, physischen und emotionalen Leistungsfähigkeit
weitgehend selbständig und in einer Gruppe mit bis zu 8 Teilnehmern arbeiten können.
Das Ziel der Trainingsgruppen besteht darin, den Teilnehmern die notwendigen fachlichen
und sozialen Kompetenzen wieder zu vermitteln und zu festigen, um nach der
Entlassung aus der Rehabilitation den Beginn oder die Fortsetzung einer Berufsausbildung bzw. Umschulung oder die Integration in das Berufsleben zu erleichtern
und zu realisieren.
Demzufolge beziehen sich die behandelten Themen auf die zukünftige berufliche
Orientierung der Schüler und können – zumindest in höheren Trainingsgruppen –
thematisch und inhaltlich auch über den entsprechenden Stoff der Haupt- bzw.
Realschule hinausreichen oder sich dem Stoff der Berufs- und Berufsfachschule
annähern. Im Fach Mathematik können neben dem bekannten Schulstoff und Themen
mit Bezug zu den Bereichen „Handwerk und Technik“ und „Wirtschaft und Verwaltung“
sowohl grundlegende als auch weiterführende mathematische Gebiete behandelt werden,
die für die Erreichung einer beruflichen Qualifikation wichtig sind. Als Ergänzung bietet
der sogenannte Mathematikgarten der Wilhelm-Bläsig-Schule weitere Möglichkeiten
zum Erfassen, Begreifen und Durchdringen von mathematischen Symmetrien, auch
über gewöhnlich ungenutzte Wahrnehmungskanäle. Darüber hinaus kann zum Teil
auch der Computer mit entsprechenden Programmen zur Tabellenkalkulation,
Dynamischen Geometrie und Algebra eingesetzt werden. Die jeweilige Themenwahl
kann natürlich nur nach Interesse und Voraussetzungen der Teilnehmer getroffen werden.
Entsprechend praxisorientiert kann die Themenauswahl im Fach Deutsch sein,
beispielsweise das Verfassen von Berichten, Geschäftsbriefen und Bewerbungen, Fragen
32
der Grammatik und des Stils, Sinnentnahme aus Texten der Medien- und Geschäftswelt
oder auch Präsentationen von selbst erarbeiteten Referaten zu aktuellen Themen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Unterrichts in Trainingsgruppen ist die Differenzierungsnotwendigkeit aufgrund individuell unterschiedlicher Voraussetzungen der Teilnehmer.
In den Fächern Mathematik und Deutsch ist während der Übungs- und Vertiefungsphasen eine Differenzierung im Hinblick auf Aufgabenauswahl, Zusammenstellung
Schwierigkeitsgrad, Umfang und Komplexitätsgrad möglich. Darüber hinaus kann der
Einsatz des Computers für einzelne Schüler mit graphomotorischen Einschränkungen
oder visuellen Problemen eine Hilfe sein.
Die Beschäftigung mit fachlichen Themen, Erfolgserlebnisse bei der Lösung von
Aufgaben, das Erlebnis, innerhalb einer Gruppe neben anderen Schülern mit ähnlichen
oder unterschiedlichen Voraussetzungen seine eigenen Fähigkeiten einbringen zu
können, die Kommunikation, das Geben und Annehmen von Hilfen untereinander – all
dies soll dazu beitragen, Motivation, Selbstwertgefühl, emotionale Stimmungslage und
soziale Kompetenz zu fördern und zu heben.
Autoren
Arno Fehringer
Peter Geist
Gymnasiallehrer
33
Die Grundschulgruppen
Der Unterricht der Schüler der Klassenstufe 1 und 2 sowie 3 und 4 werden jeweils in
einer Gruppe zusammengefasst. Der Unterricht findet lehrplanorientiert in Kleingruppen
bis zu 10 Schülern statt.
Nach der obligatorischen Schulvorstellung mit informellen Tests werden die Kinder zu
den Unterrichtsangeboten der Grundschulgruppen zugeteilt. Dabei ist der tatsächliche
Leistungsstand maßgebend und nicht so sehr die prätraumatisch besuchte
Klassenstufe. So kann es vorkommen, dass ein 9-jähriger Patient, der
altersentsprechend der Klassenstufe 3 zuzuordnen wäre, nach Auswertung des Tests
und Rücksprache mit Ärzten und Psychologen zur besseren Förderung in die
Klassenstufe 1/2 integriert wird.
Der Grundschulunterricht zeichnet sich durch häufigen Wechsel der Arbeitsphasen
aus. Über binnendifferenzierendes Übungs- und Lernmaterial sowie vielfältige
Freiarbeitsmaterialien wird das Kind kognitiv und emotional gleichermaßen
angesprochen. Zur besseren Differenzierung stehen auch PCs mit Lernsoftware zur
Verfügung.
Der vormittägliche Unterricht findet täglich zweistündig in den Kernfächern Mathematik
und Deutsch statt. Unterbrochen werden die beiden Unterrichtsstunden durch die
sogenannte „kleine Apfelpause“, in der den Kindern Obst angeboten wird.
Um den Schülern die Rückkehr an eine Regelschule zu erleichtern, werden Regeln im
Sozial- wie im Arbeitsverhalten eingeübt. Zusätzliche Unterstützung kann bei Bedarf
in Form einer so genannten Unterrichtshilfe geleistet werden. Über diese erhalten
Patienten, deren Gruppenfähigkeit noch nicht gesichert ist, zusätzliche Förderung
und verstärkte Zuwendung, ohne vom Klassenverband ausgeschlossen zu sein.
Außerdem besteht die Möglichkeit, durch gezielten Förderunterricht auf die individuellen
Defizite der Schüler einzugehen.
Der Unterricht beginnt dann meist mit einer gemeinsamen Einstiegsphase
(fächerübergreifendes Thema, Lied, Spiel,…), bevor mit starker Differenzierung individuell
gearbeitet wird.
34
Häufig arbeiten die Schüler anhand ihrer eigenen Schulbücher der Heimatschule nach
Vorgabe des mitgelieferten Stoffverteilungsplans. Die Lehrperson kann so gezielt auf
Probleme der einzelnen eingehen und den Unterricht auf die Persönlichkeit des Kindes
abstimmen. Hausaufgaben werden nach Bedarf und Absprache aufgegeben.
Gegen Ende des Aufenthalts werden Berichte über die schulische Rehabilitation erstellt,
um die aufnehmende Schule sowie die Eltern über den Stand des Kindes differenziert
zu informieren. Diese Berichte enthalten ggf. auch Empfehlungen und Hilfestellungen
zur weiteren Förderung.
Autorinnen
Antje Tresp
Ute Honer
Nicole Isele
GHS-Lehrerinnen
35
Die Gruppen der Sekundarstufe
Schüler, die nach der Grundschule eine weiterführende Schule besuchen, werden nach
Feststellung des Leistungs- und Kenntnisstandes in die Lerngruppen der Sekundarstufe eingeteilt, sofern Gruppenfähigkeit besteht.
Das Fächerangebot umfasst die Kernfächer Deutsch, Mathematik, Englisch und/oder
Französisch. Außerdem können nach Möglichkeit Arbeitsgemeinschaften (z.B. Physik oder ITG) angeboten werden.
Die Gruppe 5/6 arbeitet in Form einer schulartunabhängigen Orientierungsstufe. Ab
Klasse 7 wird in den Kernfächern die Hauptschulgruppe und die Gruppe für Realschüler
und Gymnasiasten unterschieden, wobei jeweils zwei Klassenstufen, in der gymnasialen Oberstufe die Jahrgangsstufen 11-13, zusammengefasst sind.
Dieser Unterricht findet lehrplanorientiert in Kleingruppen von bis zu 10 Schülern statt.
staat.anerk.
HS
RS/
Gym
5/6
.
Zeit
Mo
08.00-08.45
F
Di
D
08.45-09.30
7/8
7/8
HSA*
9/10
Sek. II
* Hauptschulabschlussgruppe
Mi Do Fr
09.45-10.30
D
D
D
10.30-11.15
E
M
M
13.30-14.15
M
14.15-15.00
D
M
F
E
E
Beispiel für das schulische Grundangebot in Gruppe 7/8
Die Unterrichtsgestaltung variiert von Gruppenunterricht, über phasenweisen Gruppenunterricht im Wechsel mit Einzel-oder Partnerarbeit, bis zu individuellem Arbeiten mit
begleitender Rückmeldung, um dem individuellen Leistungsstand gerecht zu werden.
Da die Unterrichtsangebote durch mindestens ein “Lehrertandem” vertreten sind, ist
über einen Großteil des Jahres nochmals eine Unterteilung der Lerngruppen möglich.
Ein entscheidender Vorteil besteht in der Durchlässigkeit der Gruppen in alle Richtungen, je nach Reha-Verlauf.
Die Eltern und die (wieder-)aufnehmende Schule erhalten nach Ende des Aufenthalts
einen detaillierten Abschlussbericht über die schulische Rehabilitation (Lerninhalte, Einschränkungen, Fortschritte). Außerdem werden Vorschläge und gezielte Hilfen für die
weitere Förderung angesprochen.
36
Beispiel einer Mathematikstunde der Lerngruppe 5/6 :
Rehabilitanden:
A: 6.Kl. HS abgeschlossen; seit 4 Mon. im JW; PKW - Unfall, bei dem der Vater ums
Leben kam; schweres SHT; ist noch nicht voll belastbar; ermüdet schnell; noch
stark verlangsamt im Denken und Schreiben
B: 5.Kl. RS angefangen; seit 2 Mon. im JW; Fahrradunfall; SHT; keine anschließende
Reha; danach große Schulprobleme; bekommt schnell Kopfschmerzen bei Anstrengung; Konzentrationsprobleme
C: 4.Kl GS beendet; versetzt aufs Gymnasium; seit 3 Mon. im JW; Hirninfarkt; rechtsseitige Lähmung; stark verlangsamt; Aufmerksamkeitsprobleme
D: 6.Kl. HS; seit 1 Mon. im JW; SHT nach Unfall mit Inline- Skatern; hat noch Gedächtnis- und Sprachprobleme (Sprachverständnis)
E: 6.Kl. RS; seit 1 Woche im JW; Zweitaufenthalt im JW zwecks Überprüfung der
Medikation; Aufenthalt vor 2 Jahren nach Enzephalitis
Unterrichtsverlauf:
1. Gemeinsam
Verschiedene Würfelspiele zu den Grundrechenarten:
1 Würfel mit Zehnerzahlen (10 - 90);
1 Würfel mit Zahlen 1-9; 1 Würfel mit Zahlen 1-20;
1 Würfel mit den Rechenoperationen · und :
2. Einzel/Partnerarbeit
A. und B. Partnerarbeit: Kreuzzahlrätsel zu den Grundrechenarten; Pausen sind erlaubt (auch mit Walkman)
C. arbeitet am PC, da sie mit der linken Hand noch nicht schreiben kann; Budenberg
Lernprogramm: Schriftliche Grundrechenarten
D. übt einfache Textaufgaben, nur mit Bild oder wenig Text (wegen Sprachverständnisprobleme) zu den Grundrechenarten
E. rechnet in ihrem Mathematikschulbuch; Bruchrechnen; Der Lehrer der Stammschule
hatte einen Stoffverteilungsplan geschickt.
Autoren
Christine Tippelt-Wohl
Michael Deuschle
Gymnasiallehrerin
Sonderschullehrer
37
Der Fremdsprachenunterricht
Der Fremdsprachenunterricht in den Fächern Englisch und Französisch wird ab Klasse
5 auf allen Stufen gemäß der Lehrpläne aller Schularten bis hin zum Unterricht auf
dem Niveau der gymnasialen Oberstufe erteilt. Seit der Aufnahme des Faches Englisch
in den Lehrplan der Grundschule, werden auch Schüler der Klassen 1-4 nach Abwägung
der therapeutischen und schulischen Prioritäten in Kleingruppen gefördert. Die mündliche
Begegnung mit der Fremdsprache und spielerische Aktivitäten stehen in der 1. und 2.
Klasse im Vordergrund und werden in der 3. und 4. Klasse um Lesen und Schreiben
erweitert. Meist handelt es sich um Unterricht in Kleingruppen, doch wird bei
individuellem Förderbedarf auch Einzelunterricht angeboten.
In Abhängigkeit vom aktuellen Kenntnis- und Leistungsstand umfasst der
Fremdsprachenunterricht die Festigung und Erweiterung der Kenntnisse und
Fertigkeiten durch das Aufarbeiten von Lücken im Altwissen bzw. die Vermittlung von
Inhalten aus der jeweiligen Klassenstufe, wobei sowohl die gängigen Lehrwerke als
auch lehrwerkunabhängige Materialien eingesetzt werden. Auf Methodentraining,
gekoppelt an die fachspezifischen Inhalte, wird besonderen Wert gelegt. Die Vermittlung
von Fähigkeiten, welche die selbständige Lernorganisation unterstützen und den Weg
zum autonomen Fremdsprachenlernen ebnen, stellt einen wesentlichen Schwerpunkt
dar. Individualisierung und Differenzierung spielen in den oft heterogenen Gruppen, in
denen Schüler aus verschiedenen Bundesländern und unterschiedlicher Schularten
unterrichtet werden, eine bedeutende Rolle.
Motivationsfördernde Medien, wie Computer oder DVDs werden zur Unterrichtsgestaltung genutzt, da sie individuelles Arbeiten ermöglichen und der PC bei Vorliegen
einer graphomotorischer Behinderung als Schreibhilfe eingesetzt werden kann.
Der Rahmen der Wilhelm-Bläsig-Schule ermöglicht das Eingehen auf die verschiedenen
Problembereiche der Schüler, die in der neurologischen Rehabilitation eine besondere
Rolle spielen. Dies sind v.a. reduzierte Belastbarkeit, verlangsamtes Arbeitstempo,
Konzentrationsprobleme, Strukturierungsprobleme und eingeschränkte Merkfähigkeit.
Da zeitliche Vorgaben und Pensum den Kenntnissen und der Leistungsfähigkeit der
Schüler angepasst werden, kann ein von Stress unbelastetes Lernklima entstehen.
Die Unterrichtsplanung orientiert sich an den didaktischen und methodischen Prinzipien
des Fremdsprachenunterrichts, wobei einige von besonderer Bedeutung sind, um auf
die o.g. neurologischen Teilleistungsstörungen reagieren zu können. Dies sind
Reduzierung der Stofffülle, Vereinfachung bzw. Isolierung von Schwierigkeiten und
38
Vorstrukturierung der Inhalte sowie Individualisierung des Unterrichts. Im Rahmen der
Wortschatz- und Textarbeit werden Erkenntnisse der Lernforschung durch Visualisierung
und Kontextualisierung der Inhalte umgesetzt, um so die Behaltensleistung zu
verbessern. Bei reduzierter Ausdauer wird auf kurze Übungsintervalle und wechselnde
Anforderungen geachtet sowie der Belastbarkeit entsprechend Pausen eingeplant.
Schüler werden ohne Notendruck wieder an die Inhalte der Fächer herangeführt. Ist
eine kürzere Aufenthaltsdauer geplant, sind wir bestrebt, den Anschluss an die Klasse
zu halten. So erhalten sie in einer Phase, in der viele noch mit der Bewältigung von
Unfall oder Erkrankung beschäftigt sind, die Möglichkeit, sich Wissen zum Teil auch
in individueller Freiarbeit (wieder) zu erarbeiten, sich allmählich in ein Gruppengespräch
einzubringen und schließlich, sich im Gruppenunterricht wieder an die Anforderungen
der Regelschule zu gewöhnen. Die vermittelten Arbeitstechniken und Lernstrategien,
die vom Lernen der Vokabeln über das Anfertigen von Lernpostern zu grammatischen
Inhalten bis zum planvollen rezeptiven und produktiven Umgang mit Texten reichen,
stärken die Schüler langfristig und stellen in der Phase der Reintegration ein hilfreiches
Instrumentarium dar.
Autorin
Christine Tippelt-Wohl
Gymnasiallehrerin
E/F
39
Das Merkfähigkeitstraining
Auch leichte Störungen im Langzeitgedächtnis können sich im Bereich des Lernens in
der Schule und in der Ausbildung manchmal gravierend auswirken. Deshalb ist es wichtig, dass im Rahmen eines Merkfähigkeits- und Konzentrationstrainings in der
Krankenhausschule Lern- und Mnemotechniken vermittelt werden, damit Gelerntes zuverlässiger abgerufen werden kann. Oft ist es schon ein Fortschritt, wenn Gedächtnisprobleme akzeptiert werden und der Wille vorhanden ist, diese zu bearbeiten – Freiwilligkeit und entsprechende Motivation ist Voraussetzung für die Teilnahme.
Da die Übungen im Gruppenrahmen stattfinden und die Trainingseinheiten aufeinander
aufbauen, wird ein 6- bis 8-wöchiger Kurs angeboten. Dabei sollten die Leistungsfähigkeit der Teilnehmer nicht zu diskrepant sein, damit sehr viel schwächere nicht frustriert
werden.
Nach einem kurzen Eingangstest – Nacherzählung und Wortpaare merken – wird zuerst
über Sinn und Zweck des Trainings gesprochen. Gedächtnisstützen werden in
· externale (Führen eines Merkheftes, Notizen etc.) und
· internale unterteilt.
Die internalen Hilfen bestehen vor allem in der Anbahnung und Verbesserung von Lerntechniken. Dabei stehen Übungen zur Visualisierung, Strukturierung, Reduzierung und
Verbalisierung im Vordergrund. Viele Rehabilitanden haben große Probleme im Bereich
der Flexibiltät, bei der Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem sowie
beim visuellen Vorstellungsvermögen. Die Verknüpfung von Altwissen (was meist unbeeinträchtigt ist) und neuen Lerninhalten wird ebenso geübt wie die Mnemotechniken
Bildervereinigen und die Verwendung von Zahlensymbole für Aufzählungen und Gliederungen.
Ausgehend von rein bildhaftem Übungsmaterial, das einfach wiederzugeben ist, werden zunehmend Inhalte wie Merksätze, Fremdwörter und Fachbegriffe sowie Sachtexte
behandelt. Flexibles Denken wird anhand von Denksportaufgaben und Buchstabenmix
trainiert. Alle Trainingseinheiten werden gemeinsam besprochen, die Bilder verbalisiert,
miteinander verglichen und die Hilfefunktion diskutiert.
40
Begleitend werden Lerntechniken vermittelt wie Häufigkeit und Art von Wiederholungen,
Gestaltung des Arbeitsplatzes, Arbeit mit Karteikarten oder Planungshilfen.
Viele Rehabilitanden erreichen allein schon dadurch einer bessere Merkfähigkeit, dass
sie sich nach dem Merkfähigkeitstraining ernsthafter und intensiver mit neuen Lerninhalten beschäftigen und ihnen bewusst ist, dass sie Probleme mit dem Gedächtnis
haben.
Autor
Manfred Bürkle
Schulleiter der
Wilhelm-BläsigSchule
41
Das Schreibtraining
Zusätzlich zum Unterricht in den Kernfächern, wird von besonders geschulten Lehrkräften das Fach Schreibtraining angeboten.
Rehabilitanden, die Störungen der Graphomotorik haben oder von der rechten auf die
linke Schreibhand umtrainieren müssen, werden in Absprache zwischen den fürs
Schreibtraining zuständigen Lehrern und den Ergotherapeuten in den Unterricht
aufgenommen.
Sehr wichtig ist zunächst, die Lernausgangslage jedes Rehabilitanden (verschiedene
Beeinträchtigungen durch Krankheit oder Unfälle) festzustellen.
Für das Schreibenlernen sind neben Aufgabenverständnis, Konzentration und Ausdauer
visuelle und auditive Wahrnehmungsleistungen, sowie senso-, fein und graphomotorische
Fähigkeiten notwendig.
Anschließend erfolgt der Unterricht in einer Kleingruppe, wobei methodisch auf jeden
einzelnen Rehabilitanden individuell eingegangen werden kann.
42
Je nach Einschränkung ergeben sich folgende Ziele:
- Temposteigerung
- Erlangung eines adäquaten Schriftbildes
- Flüssige und rhythmische Graphomotorik
- Erlangen einer schriftlichen Kommunikationsfähigkeit
- Selbstständiger Umgang mit Schreibgeräten
- Training und Verbesserung der Handkoordination
- freie Beweglichkeit der Schreibhand
Um diese Ziele zu erreichen, wird im Schreibtraining auf folgende Punkte geachtet:
- gute Sitzhaltung
- die Arme sollen stützen, jedoch nicht die ganze Körperlast tragen
- lockere und entspannte Körperhaltung
- richtige Tischhöhe und Höhe des Stuhles
- die Wahl des geeigneten Schreibgerätes und individueller Hilfsmittel
Nach dem graphomotorischen Training in der Ergotherapie erhalten die Rehabilitanden
ein weiteres Training im Rahmen des Schreibtrainings.
Das Training erfolgt nach folgenden Prinzipien:
- erste Schriftprobe
- Buchstaben- und Schwungübungen
- Diktate zum Erfassen des Schreibtempos
- selbstständiges Abschreiben von Texten
- Schreibfluss, Schriftgröße über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten
Bei der Entlassung erfolgt ein Abschlussbericht über die Arbeit und die Fortschritte im
Unterricht. Es werden dabei auch noch bestehende Problembereiche, den Umgang
mit Problemen und die entsprechenden Hilfen (Stifte, Stiftverdickungen, rutschfeste
Unterlagen usw.) , die Grundlage für den Unterricht an der Stammschule sind,
beschrieben.
Autorinnen
Nathalie Djerba
Christina Eichin
Erzieherin m.ü.L.
GHS-Lehrerin
43
Textverarbeitung und Tastaturschreiben
In unserem Alltag und in der Berufswelt gewinnt der Umgang mit den neuen Medien
immer mehr an Bedeutung, fundierte Basiskenntnisse sind wichtiger denn je. Deshalb
setzt das Unterrichtsangebot im Fach Textverarbeitung im Wesentlichen auf den
individuell angepassten und effizienten Umgang mit dem Computer. Das Alter der Schüler
und deren Entwicklungs- und Kenntnisstand werden bei den angebotenen Inhalten
berücksichtigt.
Im Bereich Tastaturschreiben haben die Rehabilitanden die Möglichkeit, das Schreiben
nach System (10-Fingersystem, Einhandschreiben) zu erlernen, wiederaufzufrischen
oder zu verbessern. Dieser, mittlerweile zu den Kulturtechniken zählenden,
Grundfertigkeit kommt eine immer größer werdende Bedeutung zu. Beim Erlernen des
Tastaturschreibens wird bei jedem Rehabilitand vor Beginn der ersten Unterrichtsstunde
genau darauf geachtet, wie die einzelnen Finger eingesetzt werden können. Anhand
dieses Fingerfunktionstestes wird der Unterricht individuell auf jeden Patienten
abgestimmt und ein auf seine persönlichen Möglichkeiten ausgearbeitetes
Schreibsystem kommt zum Einsatz.
Im Bereich Textverarbeitung wird fundiertes Basiswissen zur kompetenten und
effizienten Nutzung der Standardsoftware WORD vermittelt. Eventuelle Vorkenntnisse
werden berücksichtigt. Möglichkeiten und Lernziele werden mit den Rehabilitanden
am Anfang des Unterrichts besprochen. Unterrichtseinheiten werden individuell gestaltet
und entsprechend angepasst, um jeden Rehabilitanden optimal seinen Möglichkeiten
entsprechend fördern zu können.
Es werden Texte erfasst und gestaltet. Bei schwächeren Patienten kann auch auf
vorgefertigte Texte zurückgegriffen werden. Neben der Texterfassung und der Steigerung
der Schreibfertigkeit werden Texte bearbeitet, Geschäfts- und Privatbriefe erstellt sowie
Bewerbungsschreiben etc. verfasst. Weiter Inhalte sind Autorenkorrekturen,
Stichwortbriefe, Tabellen, aufgabenorientierte Recherche im Internet, Dokumentenvorlagen und Serienbriefe.
Folgende Kriterien stehen dabei im Vordergrund:
·
Vermittlung von Grundfertigkeiten im Umgang mit PC und Tastatur bei
gleichzeitiger Verbesserung der Finger- und Handmotorik
·
Gezieltes Training einzelner Finger
44
·
·
·
Vertiefung und Vervollständigung von Schreibkenntnisse
Wiedereingliederung in den erlernten kaufmännischen Beruf bzw. Ausbildung
Vorbereitung zum Beginn einer kaufmännischen Ausbildung (Umschulung) oder
einer Tätigkeit im Bürobereich
Zur Verfügung stehende Hilfsmittel:
·
Einsatz verschiedener Tastaturen, Mäuse und des Trackballs
·
Lochplatte für Rehabilitanden mit Ataxien
·
Eingabehilfen (Einrastfunktion, Anschlagverzögerung)
·
Höhenverstellbare Tische und Stühle
·
Verschiedene Unterlagen zur Stabilisierung und Unterstützung der Handgelenke
Autorinnen
Marianne Schätzle
Sabine Altrichter
Fachlehrerinnen
45
Deutsch als Fremdsprache
Das allgemeine Ziel des Unterrichts in diesem Bereich ist es, Rehabilitanden und auch
deren Angehörigen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, Sprachkenntnisse zu vermitteln bzw. zu erweitern, um die sprachlichen Erfordernisse des Alltags zu bewältigen.
Dabei ist das Spektrum der Anforderungen sehr weit gefächert: Hierzu gehören elementare Kenntnisse, aber auch Anforderungen, die einen Schulbesuch, ein Studium oder
eine Berufsausbildung ermöglichen.
Um diese Unterrichtsziele zu erreichen, ist man schon lange von einem grammatischen Ansatz, in dem die Fähigkeiten, grammatisch korrekte Sätze und Strukturen
bilden zu können, weggekommen. Man betrachtet Sprache statt dessen als Kommunikationsmittel, um Lernende zu befähigen, sich in ihrem Umfeld auszudrücken und
Intentionen sprachlich umsetzen zu können. In diesem Rahmen soll die Sprachhandlungskompetenz und somit Wortschatz, Sprachstrukturen und grammatische Kompetenz erweitert werden. Zu diesen hier sehr komprimiert dargestellten Zielen treten in
der Arbeit der Krankenhausschule weitere Problemkreise hinzu, die im Zusammenhang mit den neuropsychologischen Teilleistungsstörungen von hirnverletzten Patienten stehen. D.h. bei der Arbeit mit unseren Schülern muss man zwischen allgemein
sprachlichen Problemen eines Nichtmuttersprachlers und den unfall- bzw. krankheitsbedingten Schülern deutlich unterscheiden. Hierbei sind insbesondere die Bereiche
Aphasie, Gedächtnis, Konzentration, Strukturierung, Auffassung und Antrieb sowie
Mischformen unterschiedlichster Art zu nennen, die das Erlernen einer Fremdsprache
erschweren.
Eine der grundlegenden Fragen bei der Arbeit mit unseren Schülern ist es also festzustellen, ob die sprachlichen Probleme darauf zurückzuführen sind, dass der Patient als
Nichtmuttersprachler über geringe oder lückenhafte Deutschkenntnisse verfügt, oder
ob hier aufgrund der Hirnverletzung sprachliche Probleme vorliegen, die auf physische
Schädigungen durch Unfall oder Krankheit zurückzuführen sind.
Dabei geben die standardisierten und ansonsten aussagekräftigen Aphasietests leider
wenig Informationen, da sie bei Patienten mit geringen Sprachkenntnissen nicht eingesetzt werden können, weil die Tests reine Muttersprachler als Zielgruppe haben, deren
kultureller Hintergrund sich oft von Schülern, die aus anderen Kulturbereichen stammen, unterscheidet. So wird z.B. im Aachener Aphasietest u.a. ein Rollschuh gezeigt
46
und die entsprechende Wortzuordnung abgetestet, ohne zu berücksichtigen, dass es
diesen Begriff in vielen Ländern nicht gibt, weil der Gegenstand nicht benutzt wird.
Weitere grundlegende Schwierigkeiten bestehen darin, dass die Teilleistungsstörungen
der Patienten, wie z.B. Gedächtnis- oder Konzentrationsprobleme, die Erlernung einer
Fremdsprache erheblich beeinträchtigen, so dass zu den gängigen Methoden des
Fremdsprachenunterrichts spezielle erforderlich sind, die den individuellen Problemen
des Patienten Rechnung tragen. Hierbei wird deutlich, dass die ohnehin diffizile Situation, mit einer Behinderung fertig zu werden, noch zusätzlich durch sprachliche und
umgekehrt, der schwierige Prozess des Spracherwerbs durch die neuropsychologischen
Teilleistungsstörungen in erheblichem Maße erschwert wird.Es wird also deutlich, dass
für eine effektive Arbeit mit den Patienten und Rehabilitanden eine enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen sowohl für die Diagnose als auch für die weitergehende Therapie unumgänglich ist.
Autoren
Angelika Weigand
Tom Welte
Realschullehrer
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Der Musikunterricht
Schüler A kommt mit großer Freude zum Musikunterricht, weil er für ihn ein Ausgleich
zu anderen Therapien mit kognitiven Schwerpunkten ist. Ihm kommt der Musikunterricht wegen seiner starken Sprachstörungen besonders entgegen, da er keine verbalen
Leistung erbringen muss. Er kann im Musikunterricht seine Gefühle und Stimmungen
durch die persönliche Auswahl der Instrumente zum Ausdruck bringen. So wählt er
beispielsweise das Schlagzeug oder das Klavier, wenn es ihm nicht gutgeht und er
seine Aggressionen abbauen will. Wenn es ihm gut geht, wählt er das Keyboard und
versucht zu improvisieren und eigene Melodien zu erfinden. Schüler A singt oft zum
Klavier und verwendet dabei seine beeinträchtigte Sprache. Dies ist hier aber ohne
negative Auswirkungen auf seine kommunikative Verständlichkeit.
Schüler B hat seit seinem Unfall starke Einschränkungen in fast allen kognitiven Bereichen. Im Mittelpunkt bestehen seine Probleme in der Merkfähigkeit, in
Visuseinschränkungen und einer motorischen sowie kognitiven Verlangsamung. Dies
wirkt sich in allen Bereichen der Rehabilitation aus. Nur im Musikunterricht - er bekommt Schlagzeugunterricht - kann er an seine prämorbiden Fähigkeiten anknüpfen
und dadurch den Mut schöpfen, nicht aufzugeben und seinen Weg weiterhin zu gehen.
Für die Psyche des Rehabilitanden ist dies sehr wertvoll, da sein Selbstbewusstsein
aufgrund der Misserfolge in anderen Therapien angeschlagen ist. Zudem wird durch das
Schlagzeugspielen seine Körperkoordination gefördert und trainiert.
48
In der Orff-Gruppe haben Schüler im Alter von 6-10 Jahren die Möglichkeit, sich auch
ohne mitgebrachte Vorkenntnisse musikalisch auszudrücken. Selbst motorisch stark
eingeschränkte Kinder können sich hier mit einbringen und haben Freude am Singen,
an der Vertonung von Geschichten, an Musikspielen, an der Bewegung zur Musik, am
Malen zu Musik oder am Ausagieren an den einzelnen Instrumenten.
Im allgemeinen bietet der Musikunterricht
·
einen Ausgleich zu Defiziten in anderen Bereichen
·
individuell abgestimmte Lerninhalte zur Förderung individueller Fähigkeiten und
Interessen
·
Wiederholung und Festigung prämorbiden Wissens
·
Freude an Musik
·
Stärkung des Selbstbewusstseins durch musikalische Erfolge.
Autorin
Annette Ruß
Sonderschullehrerin
49
Die Kunstwerkstatt
Die Kunstwerkstatt ist als schulisches Angebot kunstpädagogischen Modellen
verpflichtet. Als Teil der Rehabilitationsbehandlung sind ihre Angebote aber auch kunsttherapeutisch orientiert. In diesem Spannungsfeld sind im Wesentlichen drei Arten
des Malens erkennbar, die im Folgenden idealtypisch dargestellt werden und die unterschiedlich gewichtet - in allen in der Kunstwerkstatt entstehenden Bildern zu
finden sind.
Das ästhetische Malen
Wenn man als junger Mensch nach einem Unfall vieles nicht mehr von dem kann, was
zuvor selbstverständlich und geschätzt war, dann schwindet schnell der Boden unter
den Füßen. Aufbau und Stabilisierung eines positiven Selbstkonzeptes werden wichtig.
Wie aber ermöglicht man erste Erfolge bei Rehabilitanden, deren Arme ataktisch sind,
die gleich vergessen, was sie machen wollten oder die nur kurz belastbar sind? Hier
ist künstlerisches Gestalten besonders geeignet. In der Moderne kann vieles als Kunst
verstanden werden. Besonders aleatorische Verfahren sind zunächst hilfreich.
Zweierlei ist jedoch wichtig. Zum einen muss der Malende auch bei oft notwendigen
(motorischen) Hilfestellungen immer das Gefühl haben, selbst der Urheber des Bildes
zu sein. Zum anderen muss dieser Erfolg auch von Außenstehenden wahrgenommen
werden können. Denn nur Fähigkeiten, die von einem sozial relevanten Umfeld positiv
bewertet werden, werden auch in ein positives Selbstkonzept integriert. Siehe dazu
auch www.artcafe-hegau-jugendwerk.de
Das akademische Malen
Das Angebot der Kunstwerkstatt als Einführung in das Handwerkliche des Bildermachens zu verstehen, liegt den meisten Rehabilitanden nahe, kommen sie doch aus
einer Schule mit lehrplanorientiertem Kunstunterricht. Bei dieser Art des Malens wird
das Bild zum Werkstück, zum exemplarischen Exerzierfeld für neue Materialien.
In der Kunstwerkstatt kann jede manuelle Verrichtung immer auch Trainingscharakter
haben. Inkomplette Lähmungen, unkoordiniert einschießende Bewegungen oder auch
„nur“ das Umtrainieren von rechts auf links sind Einschränkungen, die den freien
Gestaltungswillen behindern und stimmige Bilder erschweren. Hier kann das Malen
zunächst auch das Ziel haben, den Umgang mit z.B. dem Pinsel zu üben.
Trainingscharakter kann auch auf neuropsychologischer Ebene bestehen, wenn bei
Arbeiten beispielsweise planvolles oder systematisches Vorgehen notwendig ist.
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Das therapeutische Malen
Letztlich entstehen in der Kunstwerkstatt immer wieder auch Bilder, die therapeutisch
sind. Als dritter Idealtyp des Malens sind also Bilder gemeint, die offensichtlich der
Reflexion der eigenen Situation, des Unfallhergangs oder den Unfallfolgen dienen. Die
offene Arbeitssituation ganz im Sinne des Begleiteten Malens nach Bettina Egger
forciert solche Bilder nicht, sie macht sie aber möglich, wenn die Zeit für sie gekommen
ist.
Wichtig ist vor allem, dass der Malende sein Werk nicht rechtfertigen muss. Auch das
Weglassen jeglicher Bewertung oder Interpretation ist wichtig. Auf diese Weise entsteht
für die Malenden die Sicherheit, etwas wagen zu können. Mehr und mehr konzentrieren
sie sich auf ihr Bild und kommen immer wieder in einen Prozess hinein, der strukturierend
wirkt und die Selbstreflexion fördert.
Autor
Jörg Rinninsland
Sonderschullehrer
und Kunsttherapeut
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Computer an der Krankenhausschule
Dem Einsatz von Computern, computerunterstütztem Lernen und der informationstechnischen Grundbildung kommt an der Wilhelm-Bläsig-Schule des Hegau Jugendwerk eine beachtliche Bedeutung zu. Schon allein die Tatsache, dass jeder Schulraum
mit mindestens einem Multimedia fähigen PC ausgerüstet ist und für den ITG Unterricht 4 vernetzte Rechner mit Internetzugang zur Verfügung stehenden, zeigt den entsprechenden Stellenwert.
Doch nein, sie können nicht alles, und sie sind auch nicht das Allheilmittel gegen
Lernschwierigkeiten, aber sie können im Schulbereich sehr nützlich sein, und zwar für
alle am Unterrichtsgeschehen Beteiligten.
Der Lehrkraft hilft er bei der Gestaltung von übersichtlichen und lesbaren Arbeitsmaterialien
(Textverarbeitung, Präsentationsprogramme), bei der Verwaltung verschiedenster Daten (Datenbankprogramme), bei der eigenen Fortbildung (Internet).
Den Schülern bietet er einen arbeitsorientierten Einstieg in eine neue Medienwelt, die
sie in zunehmendem Maße beherrschen lernen müssen. Wenn Sie diesen Schritt leisten können, eröffnete die Computertechnik gerade Menschen mit Behinderungen körperlichen wie auch kognitiven - reelle Kompensationschancen, denn diese Maschinen sind geduldig, unbestechlich, anpassbar und vielseitig.
Gilt das oben Gesagte allgemein, dann umso mehr bei Menschen mit spezifischen
Einschränkungen. So erlaubt es der Computer unter Einsatz zusätzlicher mechanischer (Ataktikerplatte, Kopfstab u. ä.), elektronischer (Lichtpunkttastatur, Trackball,
Mikrofonsteuerung, Schaltknöpfe etc.) und Softwarehilfen (Ausschnittvergrößerung, Wortvorhersage, Anschlagverzögerung, Sprachein- und ausgabe usw.), individuelle Anpassungen an verschiedenste Schadensbilder vorzunehmen.
Äußerst verlockend erscheint die Vision, dass die Schüler sich letztlich selbst unterrichten, die Lehrkräfte nur noch Organisatoren und Verwalter des Lernstoffs sind. Dank
multimedialer Lernsoftware ist dies in Teilbereichen auch heute schon keine Utopie
mehr. Vor allem im Bereich des Übens, des Anwendens, des Merkfähigkeitstrainings
sind intensive und differenzierte Phasen von Unterricht möglich. Die Lehrkraft kann sich
besonderen Problemfällen widmen, die eine persönliche Beschäftigung mit den Schülern erforderlich machen.
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Berufliche Perspektiven eröffnen sich, wenn der Computer selbst, bzw. Anwendungsprogramme wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Datenbanken oder Präsentationsprogramme die Lerninhalte sind, und so zum Werkzeug eigener Kreativität werden
können, z.B. durch Erstellen von Publikationen, Grafiken, Collagen, Referaten, auch
unter Verwendung der Informationsfülle des Internet.
Die so erreichten Aktionsmöglichkeiten erlauben vielen Rehabilitanden eine ihrem persönlichen Leistungsstand entsprechende Nutzung moderner Medien mit der Perspektive positiver Auswirkungen auf ihre Unabhängigkeit, Beweglichkeit, Freizeitaktivitäten,
soziale Integration und beruflichen Möglichkeiten.
Autor
Rolf Sitter
Gymnasiallehrer
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Neue Medien - das Smartboard
Gerade Kinder und Jugendliche lernen in ihrem Alltag wie selbstverständlich mit der
technischen Seite der Medien umzugehen. Diese gesellschaftliche Entwicklung des
Lernprozesses fordert von jeder Schule ein Umdenken im Hinblick auf Bildung und
Unterricht. Auch die Wilhelm-Bläsig-Schule (WBS) stellt sich dieser
verantwortungsvollen Aufgabe und arbeitet als eine der ersten Schulen in Deutschland
mit dem interaktiven „Smartboard“.
Es bietet Schülern und Lehrern die Möglichkeit, durch Mausklick, aber auch durch
„touchscreen“ – also durch das Berühren mit dem Finger - an der überdimensional
großen elektronischen Tafel zu arbeiten.
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. So lassen sich selbst geschriebene oder
vorgegebene Texte leicht vergrößern. Dies ist vor allem für Mädchen und Jungen, die
eine Einschränkung der Sehkraft haben, von großem Vorteil. Ferner lassen sich
Unterrichtsinhalte durch die einfache Darstellung von Diagrammen und Schaubildern
verdeutlichen. Das gilt natürlich auch bei der Präsentation und Dokumentation von
Schülerergebnissen und Gruppenarbeiten. Für den Lehrer bedeutet das, dass er
problemlos auf einen Fundus von selbst erarbeiteten und zusammengestellten
Unterrichts- und Fördermaterialien aller Lehrkräfte zurückgreifen kann.
Das Smartboard bietet an, interaktiv mit Trainingsprogrammen der Lese-, Rechtschreibund Sprachförderung zu arbeiten. Davon profitiert neben dem Deutschunterricht
selbstverständlich auch in großem Maße der Fremdsprachenunterricht. Auch für
Patienten und Rehabilitanden mit Sprachstörungen bieten sich durch spezielle
Lernprogramme bislang ungeahnte Lern- und Fördermöglichkeiten. Eine immer größere
Bedeutung kommt dem Internet zu, das man bei Bedarf schnell und unkompliziert
abrufen kann.
Verschiedene Tonträger wie bspw. CDs oder DVDs können ohne Schwierigkeiten
abgespielt und genutzt werden. Fernsehsendungen kommen – didaktisch aufgearbeitet
– in Echtzeit zum Einsatz. Via Webcam und spezieller Software kann man im Rahmen
des „E-learning“ kommunizieren, parallel mit der Stammschule arbeiten und soziale
Kontakte pflegen. Natürlich unterstützt es auch die Mitarbeiter bei Konferenzen und
internen Fortbildungen.
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Das Smartboard schafft Motivation und Kreativität, erleichtert und vertieft dadurch den
Umgang mit dem Computer, fördert automatisch die Methoden-, Handlungs- und
Sozialkompetenz. Durch seine Mobilität ist es in allen Fachräumen einsetzbar. Schüler
wie Lehrer schätzen das breite Spektrum der Anwendbarkeit und die einfache
Handhabung. Trotz der hohen Anschaffungskosten ist das Smartboard im Unterricht
der WBS nicht mehr wegzudenken. Es ist ein idealer Begleiter für Menschen mit
visuellen, auditiven, motorischen und kognitiven Einschränkungen und ein Magnet für
alle Besucher, Freunde und Gönner des Hegau-Jugendwerks.
Autor
Tom Welte
Realschullehrer
55
Unterstützte Kommunikation
Menschen, die vorübergehend oder langfristig nicht (mehr) sprechen können, sind darauf angewiesen, sich mit Mitteln außerhalb der mündlichen Sprache zu verständigen.
Der Bereich Unterstützte Kommunikation bietet hier Förderung und Hilfsmittel, die Lautsprache ergänzen und/oder ersetzen können.
Das wesentlichste Prinzip der Unterstützten Kommunikation ist die Multimodalität:
Man setzt nicht nur auf ein unterstützendes Kommunikationsmittel, sondern versucht,
möglichst viele Hilfen gleichzeitig und ergänzend einzusetzen. An erster Stelle stehen
hier körpereigene Ausdrucksmittel: Gestik, Mimik, vereinbarte Zeichen usw. Sie können durch nichtelektronische Hilfen (Buchstabentafel, Bildertafel, Fotos etc.) und elektronische Geräte (Talker, Computer mit oder ohne Sprachausgabe usw.) ergänzt werden. Hier sind - abhängig von den motorischen Einschränkungen des Rehabilitanden oft auch spezielle Eingabehilfen in Form von individuell angepassten Schaltern,
Programmeinstellungen u.ä. notwendig.
Förderung und Hilfsmittelversorgung hängen stark von den individuellen Voraussetzungen und Lebensumständen des nicht sprechenden Menschen ab und werden dementsprechend einzeln angepasst und verändert. Die eingesetzten Hilfen müssen sich an
der Entwicklung des Rehabilitanden orientieren und mit seinen Fähigkeiten wachsen.
Im Hegau-Jugendwerk trifft sich wöchentlich eine UK-Betreuungsgruppe, welche
federführend von Mitarbeitern der Krankenhausschule koordiniert wird.
Die Betreuungsgruppe bespricht Neuaufnahmen, definiert Ziele und plant die methodischdidaktische Vorgehensweise. In regelmäßigen Abständen werden die Zielvorgaben
überprüft und gegebenenfalls weiterentwickelt.
Weiterhin verfolgt die Gruppe durch Fortbildungen die neuesten UK-Entwicklungen. Im
Sinne einer Beratungsstelle besteht das Angebot für Eltern, Mitarbeiter anderer
Fachabteilungen und Kollegen von Sonderschulen aus den umliegenden Landkreisen
sich über das gesamte Spektrum der Unterstützten Kommunikation zu informieren.
Die enge Zusammenarbeit mit den anderen Disziplinen ist selbstverständlich.
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Neben der unmittelbaren Zusammenarbeit mit den nicht sprechenden Menschen ist die
Beratung und Einbeziehung des sozialen Umfeldes wichtiger Bestandteil Unterstützter
Kommunikation, denn nur wenn die sprechenden Mitmenschen die “andere Sprache”
akzeptieren, kann Kommunikation erfolgreich sein.
Kommunikation ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Der Bereich Unterstützte Kommunikation versucht dieses Grundbedürfnis wenigstens insoweit zu befriedigen, als
dass elementare Mitteilungen verständlich eingebracht und soziale Beziehungen gepflegt werden können.
Autor
Hans-Georg Lauer
Volker Waller
Sonderschullehrer
GHS-Lehrer
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Der Schulkindergarten im Kinderhaus
Kinder, die noch nicht schulpflichtig oder schulfähig sind, besuchen den Schulkindergarten für Körper- und Schwerstmehrfachbehinderte.
Die Kenntnisse der Entwicklungspsychologie und die Diagnose des individuellen Reifestandes, die neurologischen Befunde, die Erfahrungen und Erkenntnisse der Heilpädagogik und der intensiven Beobachtung des einzelnen Rehabilitanden bilden die Grundlage der heil- und sonderpädagogischen Begleitung und Förderung. Ziel der heilpädagogischen Arbeit ist es, mit den Rehabilitanden sowie ihren Bezugspersonen die Entfaltung der vorhandenen Potentiale zu fördern. Dabei soll insbesondere eine möglichst
gute Beziehung zur eigenen Person, zu anderen Menschen, zur Sach- und Umwelt und
zu ideellen Werten erreicht werden, die Lernfähigkeit der Patienten entwickelt, gefördert und gestärkt werden, die individuellen Leistungsschwächen in der Einzel- und Gruppenarbeit abgebaut und diese durch andere Strategien kompensiert werden. Dabei werden motorische, sensorische, emotionale und kognitive Elemente integriert, erlebbar
und erfahrbar gemacht.
Schwerpunkte sind: soziales Lernen (Gruppenfähigkeit, altersgemäßer Umgang miteinander, Rücksichtnahme und Toleranz), Förderung der auditiven Wahrnehmung (hören und zuhören, differenzieren, vergleichen, imitieren, reproduzieren, assoziieren von
Geräuschen, Lauten, Klängen; verstehen, sprechen, Simulation des inneren Sprechens),
Förderung der visuellen Wahrnehmung (Blickkontrolle, beobachten, vergleichen, unterscheiden lernen von Farben, Formen, Größen, Mengen, Raumlage und räumliche Beziehungen erlernen), Übung der Graphomotorik (Stifthaltung und –führung,
visuomotorische Koordination), Training von Merkfähigkeit und Gedächtnis (auditiv, visuell, zeitliche und räumliche Sequenzen), Aufbau einer entsprechenden altersgemäßen
Arbeitshaltung, Motivation und Freude durch vielfältige kreative Tätigkeiten, behutsames Heranführen an das schulische Lernen und die Darstellung innerpsychischer Vorgänge durch das Spiel (gegebenenfalls spielerische Verarbeitung traumatischer Erlebnisse).
Dabei wird intensiv mit den Pflegekräften und den Pädagogen der Wohngruppe und mit
den Therapeuten und Ärzten zusammengearbeitet, damit die Kinder eine ganzheitliche
personenorientierte Betreuung erfahren. Durchschnittlich werden 6-10 Kinder pro Gruppe im Alter von ca. 2-7 Jahren täglich von 8.30-15.45 Uhr in 4 verschiedenen Gruppen
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von speziell pädagogisch geschulten Fachkräften betreut. Die Förderung findet sowohl
in einem klar strukturierten Vorschulunterricht als auch mit gezielten Therapieangeboten
in Kleingruppen statt.Darüber hinaus gibt es eine intensive Einzelförderung bzw. intensive, basale Frühförderung bei schwerst-mehrfachbehinderten Kindern.
Im Kinderhaus stehen 3 Gruppenräume, in der FM-Abteilung steht 1 Gruppenraum
mit variablen Tischen und Stühlen in verschiedenen Größen zur Verfügung; vielfältige
Unterrichts- (Montessori, Fröbel, Frostig, Pertra u.v.a.) und Spielmaterialien sind vorhanden und werden zum individuell richtigen Zeitpunkt verwendet bzw. angeboten.
Autorin
Cornelia Wegner-Schmidt
Leiterin des Sonderschulkindergartens
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Die Arbeit in der Schwerrehabilitation
Das Bettenhaus B beherbergt die Früh- und Schwerrehabilitationsstation. Hier liegen
Patienten und Rehabilitanden in frühen Remissionsphasen. Anders als im restlichen
Hegau-Jugendwerk ist die Krankenhausschule hier in den Stationsalltag vor Ort integriert. Dies liegt neben der mangelnden Beweglichkeit der Schüler auch an der Notwendigkeit engster interdisziplinärer Kooperation und möglichst kurzer Kommunikationswege. Insgesamt 6 Kollegen und Kolleginnen der Wilhelm-Bläsig-Schule arbeiten direkt in Haus B.
Auch hier setzt die schulische Förderung dort an, wo der Patient momentan in seiner
schulischen Leistung steht. Bei Schwerst-Mehrfach-Behinderten, welche nur auf basaler Ebene ansprechbar sind, findet eine Förderung entsprechend ihren Möglichkeiten
statt. Dies kann u.a. das Üben ganz elementarer Fertigkeiten beinhalten. Der Unterricht beginnt bei der Wiedererarbeitung der Grundlagen in Lesen, Rechnen und Schreiben und kann bis zu jenen Inhalten führen, die der Patient vor seinem Unfall bearbeitet
hatte.
Um den besonderen Bedürfnissen der Patienten möglichst gerecht zu werden, wird der
Unterricht in der Regel als Einzelförderung angeboten. Wo es möglich und sinnvoll
erscheint, wird auch Kleingruppenunterricht durchgeführt.
Zur Zeit wird die Kleingruppen-Förderung in Musikgruppe, der Basalen Fördergruppe,
der Spielgruppe, der Sprachwerkstatt, der Kunstgruppe und der Kindergruppe durchgeführt.
Einzelförderung findet in Mathematik und Deutsch statt. Stichworte sind Förderdiagnostik,
Unterstützte Kommunikation, fächerübergreifende Inhalte, Basale Förderung, Förderung unter musikpädagogischen und musiktherapeutischen Gesichtspunkten, Förderung unter Einbeziehung des musischen Bereichs Kunst, Förderung unter Berücksichtigung neurologischer Besonderheiten, Einsatz des Computers als Lernhilfe, Schreibhilfe, Textverarbeitung und als diagnostische Unterstützung sowie der Unterricht am
Bett.
Nach der Wiederherstellung der Vitalfunktionen in der Akutklinik soll auf der Frührehabilitation schon recht schnell die Rehabilitation der motorischen, geistigen und psychischen
Funktionen einsetzen. Neuere Studien besagen, dass der Schweregrad der Gehirn-
60
erkrankung oder -verletzung und die Gesamtprognose positiv beeinflusst werden, wenn
geeignete Stimulationsmaßnahmen frühzeitig eingesetzt werden. Regelmäßig wird für
Frührehapatienten in Kleingruppen mit einem begrenzten Zeitrahmen ein basales Förderangebot durchgeführt, wobei der multisensorische Einsatz von Musik und Instrumenten im Mittelpunkt steht.
Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die “Unterstützte Kommunikation”. Patienten, welche
sich nicht oder kaum durch Lautsprache verständigen können, werden durch UK in
konzeptioneller und technischer Hinsicht gefördert.
Bei entsprechenden Rehabilitationsfortschritten werden die Patienten auf die allgemeine Rehabilitation verlegt, welches einen Wechsel in die geeigneten Schul- oder Fördergruppen im Schulgebäude mit sich bringt.
Autoren
Volker Waller
Martin Wieland
GHS-Lehrer
Sozialpädagoge
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Außerunterrichtliche Aktivitäten
Die PATZ
Die PATZ ist die „Patientenzeitung“ der Rehabilitanden im Hegau-Jugendwerk. Sie erscheint viermal im Jahr und hat einen Umfang von zwischen 16 und 24 Seiten. Betreut
wird dieses Projekt von Mitarbeitern verschiedener therapeutischer Bereiche unter Federführung der Wilhelm-Bläsig-Schule, welche die Struktur für diese Zeitung schaffen, Beiträge sammeln, das Vervielfältigen und das Verteilen übernehmen. Die Inhalte sind im
wesentlichen Text- und Bildbeiträge verschiedener Rehabilitanden, die sowohl während
der Freizeit wie auch in Unterricht und Therapie entstanden sind.
Die PATZ wird in einer Auflage von ca. 400 Stück vor allem innerhalb des Rehabilitationszentrums verteilt. Mit 200 Betten und ca.300 Mitarbeitern erreicht sie auch so eine
relative Öffentlichkeit, die wie bei der Treppenhaus-Galerie für die Schüler besondere
Relevanz besitzt. Diese eingeschränkte Öffentlichkeit reicht bei weitem aus, damit die
PATZ ihren therapeutischen Nutzen entfalten kann.
Schüler des Kunstangebots können ihre Gestaltungen nicht nur innerhalb der Treppenhaus-Galerie oder im Artcafe präsentieren, sondern auch als Beiträge in der PATZ. Das
PATZ-Projekt ist unter anderem auch der Versuch, die positiven Motivationsmechanismen, die sich im Kunstangebot gezeigt haben auf andere therapeutische
Bereiche und Schulangebote zu übertragen. Auch im Deutschunterricht wirkt die Aussicht auf eine Veröffentlichung in der PATZ motivierend. Es wird hier darauf geachtet,
dass jedes Leistungsniveau seinen gleichberechtigten Platz in der Zeitung erhält. Ein
einfacher Beitrag, vielleicht nur wenige Wörter lang, über Erlebtes wird genauso veröffentlicht wie ausgeteilte Texte von Schülern der Oberstufen-Gruppen. Entscheidend
allein ist der Einsatz, den der Schreiber gebracht hat und die dadurch gerechtfertigte
Anerkennung, die durch die Veröffentlichung erreicht wird.
So wird die PATZ zu einem Kaleidoskop der Themen und Niveaus. Jeder Schüler, der
darin seinen Beitrag mit seinem Namen wiederfindet, ist stolz. Dieser Erfolg gegenüber
relevanten sozialen Bezugspersonen oder Gruppen wie Mitpatienten, Ärzten oder Eltern baut auf. Er motiviert für weitere Anstrengungen und stabilisiert die angeschlagene
Psyche, in der sonst Gefühle der Minderwertigkeit Raum greifen können.
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Die PATZ hat sich wie die Treppenhaus-Galerie oder das Artcafe als sinnvolle Ergänzung, als Verlängerung des Therapie- oder Unterrichtsangebots nach außen, bewährt.
Es ist eben doch motivierender, ein konkretes Ziel, einen aus dem Lebensalltag geholten Zweck für seine Bemühungen vor Augen zu haben als sich im Unterricht lediglich für
die Ablage im Ordner und später im Altpapier anzustrengen.
Autor
Jörg Rinninsland
Sonderschullehrer und
Kunsttherapeut
63
Spaßmix
In vielen Kinderkliniken besuchen seit geraumer Zeit sogenannte “Clowndoktoren” die
kranken Kinder am Bett und heitern sie mit ihren “Visiten” auf. Einem ähnlichen Humorkonzept ist das Programm “Spaßmix” im Hegau-Jugendwerk verpflichtet.
Jede Woche dienstags um 18 Uhr 30 setzen engagierte, kreative und begabte Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen ihre Fähigkeiten ein, um den Kindern
des Kinderhauses und von Haus B (Frührehabilitation und Frühmobilisation) eine halbe
Stunde lang Unterhaltung und Spaß zu bringen. Mal gibt es Kasperletheater, mal kommt
die Märchentante. An anderen Dienstagen wechseln sich Zauberer, Jongleure, Clowns,
Musikanten, ein dressiertes Kamel, Mitmach- und Klanggeschichten ab. Nach ca. 6 8 Wochen wiederholt sich das Programm mit kleinen Varianten.
Die Kinder nehmen freiwillig an diesem Angebot teil, das meist im Foyer des Kinderhauses, bei schönem Sommerwetter auch draußen stattfindet. Die Kinder können sich
dabei in verschiedener Form aktiv einbringen oder sich einfach unterhalten lassen eben Spaß haben.
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Hauptziel dieser Aktion ist es, den Kindern Freude zu machen, Spaß und Lachen zu
vermitteln. In dem nicht immer freudvollen Alltag mit Therapien und Unterricht, mit der
Auseinandersetzung mit Einschränkungen und verlorengegangenen Fähigkeiten bringt
Lachen ein Stück Befreiung, Erleichterung und Vergessen.
Darüber hinaus wird durch die Regelmäßigkeit von Spaßmix der Woche ein kleiner
Fixpunkt für die Kinder beigefügt, auf den sie sich teilweise schon Tage vorher freuen:
Dienstag ist Spaßmixtag.
Durch die zunehmende Bereitschaft von Mitarbeitern, sich in diesem nebenberuflichen
Feld zu engagieren, kann das Programm erweitert, variiert und damit für die Kinder
noch abwechslungsreicher und spaßiger gemacht werden.
Spaßmix läuft seit 1998; die Reaktionen der Kinder und auch der Erwachsenen sind
durchweg positiv und bestätigen die positive Wirkung dieses Konzeptes.
Autor
Hans-Georg Lauer
Konrektor und
Initiator des
Spaßmix-Programms
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Die Zirkus-AG
Eines der verschiedenen nebenunterrichtlichen Angebote der Wilhelm-Bläsig-Schule
ist die Zirkus-AG. Mit einem breiten Spektrum zirzensischer Aktivitäten bietet sie vielen Kindern des Kinderhauses – auch denen, die nicht in allen Bereichen beweglich
sind und sogar im Rollstuhl sitzen - eine Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu entdecken
und zu trainieren: Jonglage und Zauberei, Diabolo und Devil-Stick, Stelzenlaufen und
Tellerdrehen – für die meisten Kinder, die Lust und Interesse haben, gibt es eine
passendes Angebot. Sowohl das gemeinsame Spielen und Trainieren in der Gruppe
als auch die individuelle Beschäftigung mit dem entsprechenden Gerät finden Platz in
der wöchentlichen Doppelstunde am Ende eines Schultages – in den Sommermonaten auf der Wiese mit viel Auslaufmöglichkeiten.
Wenn die äußeren Umstände es zulassen, können die jungen Künstlerinnen und Künstler
ihr Können dem neugierigen Publikum vorführen – auf der Augustwiese , bei einer Feier
oder bei einer eigens dafür ins Leben gerufenen Veranstaltung. Im Vordergrund steht
allerdings der Spaß, die druckfreie Freude an Spiel und Bewegung. Vor diesem Hintergrund bietet die Zirkus-AG, die zunächst nur ein außerschulisches Angebot zu sein
scheint, ein breites Lernfeld für kognitives, motorisches und soziales Lernen, für das
Einüben einer konstruktiven Arbeitshaltung und das Trainieren der Phantasie: Bevor
ein Zaubertrick gekonnt vorgeführt werden kann, muss der Zauberlehrling verschiedene Anforderungen bestehen: der Ablauf muss intellektuell erfasst und in einen
Handlungsplan umgesetzt werden. Die dafür notwendigen Bewegungen müssen ausprobiert und trainiert werden und bei der Vorführung wird das Ganze meist sprachlich
und mit entsprechender Mimik begleitet. Was spielerisch leicht aussieht, musste mit
Ausdauer und Geduld immer wieder geübt werden. Ähnliches wird bei allen andern
Zirkustechniken den jungen Künstlern abverlangt: Wie oft muss sich ein angehender
Jongleur bücken, bis er 3 Bälle in der Luft halten kann! Nicht nur der Gesäßmuskel,
auch die Frustrationstoleranz wird hier ordentlich strapaziert. Dies alles nehmen die
Kinder gerne in Kauf, haben sie doch das Ziel vor Augen, einen Zaubertrick oder eine
Zirkustechnik zu beherrschen. Das gemeinsame Üben und die spielerische Abwechslung garantieren die gemeinsame Freude.
Autoren
66
Hans-Georg Lauer
Michael Deuschle
Sonderschullehrer
Die Schreibwerkstatt
Die Schreibwerkstatt ist ein pädagogisch ausgerichtetes Freizeitangebot für
RehabilitandInnen. Einzige Voraussetzung zur Teilnahme ist die Begeisterung für das
Schreiben. In einer ungezwungenen Atmosphäre soll jede/r die Möglichkeit haben,
seinem eigenen Arbeitsrhythmus zu folgen – soweit dies in einem vorgegebenen
Zeitrahmen möglich ist. Der Schreibplatz kann entweder am PC eingenommen werden
oder ganz klassisch an einem Tisch mit Stift und Papier. Im Gegensatz zum
Deutschunterricht, in dem Inhalte vorgegeben werden, ist hier die Themenwahl offen.
Egal, ob man eine Geschichte, ein Gedicht oder einfach nur einen Brief an jemanden
schreiben möchte, alles ist möglich. Doch vielfach wird das Angebot auch gerne dazu
genutzt, sich mit der eigenen Biographie, die durch einen Unfall oder eine Krankheit
geprägt wurde, schriftlich auseinanderzusetzen. Dabei muss besonders die Intimspäre
der Autoren geschützt werden. So ist es jedem freigestellt, ob der entstandene Text
veröffentlicht werden soll (z.B. in der Patientenzeitung PATZ) oder nicht.
Der Lehrperson kommt eine begleitende und unterstützende Rolle zu. Anders als beim
Schulunterricht soll hier nicht der Korrekturstift das Kommando führen. Die Teilnehmer
werden vielmehr dazu angeleitet, so weit wie möglich ihre Texte selbst zu überarbeiten.
Außerdem werden zum individuellen Schreibprozess, je nach Situation, Impulse gegeben
– und manch einer braucht erst einmal die Erlaubnis, einfach „drauf los“ zu schreiben
– ohne sich Gedanken über Einleitung, Hauptteil und Schluss oder sonstige Kategorien
zu machen. Das Ergebnis ist oft für den Schreiber selbst überraschend und regt zum
weiteren Ausprobieren und Experimentieren mit Perspektiven, Formulierungen, Rollen
etc. an.
Autoren
Antje Tresp
GHS-Lehrerin
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Der Mathematik-Garten
Auf dem Gelände des Hegau-Jugendwerks verwirklichten Mathematiklehrer der WBS
den sogenannten Mathematikgarten. Was ist das überhaupt? Allgemein formuliert ist
es ein Ort unter freiem Himmel mit Objekten, die zu mathematischen Fragestellungen
und deren Beantwortung anregen. Lage, Ausmaß, Anordnung, Material und Konstruktion
der ausgestellten Objekte sowie Begehbarkeit der Anlage haben Bedeutung und sollen
folgenden Gesichtspunkten genügen:
1. Darstellung mathematischer Wahrheiten und Gesetzmäßigkeiten
2. Erforschbarkeit und Beschreibbarkeit auf unterschiedlichem Niveau: Von der
Kunst des Abzählens bis in die Graphentheorie und die analytische Geometrie
reicht das Spektrum.
3. Umfassende Wahrnehmung und Handlungsorientierung: Auch selten benutzte
Wahrnehmungskanäle wie Berührung und Sich-umgeben-fühlen mit den
Objekten, sollen angeregt werden.
4. Kulturhistorische und fachübergreifende Dimension: Die vermeintlich isolierte
Stellung der Mathematik als „trockene“ Disziplin wird gesprengt.
5. Künstlerisch-ästhetische Gesichtspunkte:
Eine der wichtigsten mathematischen Qualitäten ist, dass etwas „gut aussieht“.
Im Mathematikgarten ist die zentrale Einheit ein kreisförmiger Platz, der durch kreisrunde
Pflastersteine eingefasst ist. Ringsherum sind Kantenmodelle der 5 Platonischen Körper
(Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder). Zum Entdecken gibt es viel! Als
Beispiele seien genannt: Symmetrieachsen und -ebenen, Schlegeldiagramme, ein
Näherungswert der Kreiszahl π, die Goldene Schnittzahl φ , die Eulersche
Polyederformel Umfangswinkelsatz. Eine vollständige Beschreibung des
Mathematikgartens und seiner didaktischen Nutzung kann im Rahmen dieser Schrift
nur angedeutet werden.
Idee und Grundlage sind zum Teil verknüpft mit Erkenntnissen der Neurodidaktik
(Prof. G. Preiß, PH Freiburg). Wichtig vor allem ist der Aspekt der ganzheitlichen
Erfahrung mathematischer Inhalte und ihrer Verbindungen, insbesondere deren
Wahrnehmung, Verankerung, Assoziierung und Vernetzung im Gedächtnis - auch über
traditionell eher ungenutzte Kanäle. Bei der Herausarbeitung der Goldenen Schnittzahl
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zum Beispiel steht zunächst die Handlungsorientierung im Vordergrund: Von fünf
regelmäßig verteilten Kreispunkten aus werden von Schülern Schnüre gespannt und
gehalten, so dass ein Fünfeck und ein Fünfstern (Pentagramm) entstehen. Auch die in
diesem Zusammenhang gebildeten gleichseitigen Dreiecke können auf einer konkreteren
Ebene als üblich erfahren werden. Dies erleichtert die Abstraktion von der konkreten
hin zur symbolischen Ebene. Spezielle geometrisch-algebraische Betrachtungen und
Schlüsse führen dann zu einer Gleichung 2. Grades, deren Lösung die Zahl φ ist.
Auch im Mathematik-Unterricht der WBS kommen neurodidaktische Prinzipien zur
Anwendung. Mathematik soll nicht als fertiges Produkt angeboten werden, sondern
als etwas Prozesshaftes, Offenes und Kreatives mit oft überraschenden Ergebnissen,
wo Fehler und Irrwege erlaubt sind und didaktisch genutzt werden können und sollen.
Autoren
Arno Fehringer
Peter Geist
Gymnasiallehrer
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Die kultur-klekse
Da bei langen Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalten die stationär besuchte
Einrichtung zum Lebensmittelpunkt der Rehabilitanden wird, sollte diese in vielerlei
Hinsicht die Qualität eines „Zuhauses auf Zeit“ besitzen. Ein wesentlicher Aspekt ist
hierbei ein attraktives kulturelles Angebot. Um zu gesunden ist es wichtig, dass alle und nicht nur die körperlichen - Bedürfnisse des Patienten einbezogen werden. Daher
ist es für unsere Rehabilitanden wichtig, auch Angebote außerhalb der Therapiezeiten
vorzufinden, die emotionale wie intellektuelle Auseinandersetzungen ermöglichen. Unter
Federführung der Wilhlem-Bläsig-Schule organisieren engagierte MitarbeiterInnen ein
Jahresprogramm unter dem Namen kultur-klekse, welches sich in drei Bereiche gliedert.
1. Die junge Galerie
Die junge Galerie ist seit 1996 im Verwaltungsgebäude des Hegau-Jugendwerks zu
Hause. Auf zwei Ebenen stehen ca. 50 m² Ausstellungswand zur Verfügung. Die junge
Galerie bietet jungen Künstlern der Region die Möglichkeit, sich ohne finanziellen
Einsatz der Öffentlichkeit vorzustellen.
Neben der Förderung junger Künstler ist die junge Galerie vor allem auch ein Angebot
an die Rehabilitanden des Hegau-Jugendwerks. Die Räumlichkeiten liegen in
unmittelbarer Nähe des Speisesaals und können von den Rehabilitanden problemlos
aufgesucht werden. Die Vernissagen finden mitten in der Woche und recht früh am
Abend statt, so dass die Rehabilitanden die Möglichkeit haben, an den kleinen
Eröffnungsfeiern teilzunehmen.
2. Die Matinées
Die kultur-klekse veranstalten regelmäßig Matinées jeweils sonntags von 10.30 bis
11.30 Uhr. Auch hier werden Nachwuchskünstler der Region angesprochen, die eine
Plattform geboten bekommen, sich zu erproben und Erfahrungen zu sammeln. Aber
auch Prominente präsentieren sich hier in Form einer Talk-Runde. Von den 5 Terminen
im Jahr sind drei Termine für Literatur-Lesungen, ein Termin für Musik und ein Termin
für Kleinkunst reserviert.
Besonders angesprochen sind wie bei der Galerie neben den Kulturinteressierten der
Region vor allem auch Patienten und deren Angehörige. Der Aspekt der Unterhaltung
und Ablenkung spielt sicher eine ebenso große Rolle wie die Möglichkeit der Reflexion
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und des Gesprächs. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Umstand, dass sich der
Klinikalltag mit dem „normalen“ Alltag draußen mischt und vielfältige Begegnungen
möglich werden.
3. Die Mitmach-Sachen
Als dritter Aspekt der kultur-klekse werden im Jahresprogramm verschiedenste
„Mitmach“-Angebote ausgeschrieben. Diese können je nach Konzeption für Patienten,
Angehörige und auch Externe angeboten sein. Auch Angebote für Mitarbeiter sind hier
möglich. In Form von AGs, Workshops, Kursen oder Vorträgen sind Themen wie die
Schreibwerkstatt, die Theater-AG für Mitarbeiter, das Begleitetes Malen für Angehörige,
ein Kurs „Selbstgemachte Cremes und Salben“ oder auch das kunsttherapeutische
Angebot für Geschwisterkinder im Programm.
Autor
Jörg Rinninsland
Sonderschullehrer
und Kunsttherapeut
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