Hirsutismus – eine Erkrankung mit tiefgreifenden Folgen
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Hirsutismus – eine Erkrankung mit tiefgreifenden Folgen
FORTBILDUNG + KONGRESS 0970-0972 FORT_Hahn_08 10.11.09 13:12 Seite 970 Hirsutismus – eine Erkrankung mit tiefgreifenden Folgen Susanne Hahn Vermehrte Körperbehaarung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen haben. Ob es sich dabei um den Ausdruck einer eventuell medikamentös zu behandelnden Erkrankung oder lediglich um ein „kosmetisches Problem“ handelt, sollte in jedem Fall geklärt werden. 5–15% (1) der weiblichen Bevölkerung leiden unter unerwünschter Körperbehaarung und für die betroffenen Frauen ist das oftmals alles andere als nur ein kosmetisches Problem! In etwa 95% d er Fälle fin det si ch beim Hirsutism us ein e beni gne Grunderkrankung. Häufi gste Ursachen sind das Polyzystische Ovarsyndrom (PCOS, etwa 80%), der idiopathische Hirsutismus (etwa 10–15%) und das heterozygote Adrenogenitale Syndrom (AGS, etwa 2%). Im Gegensatz zu den benignen Erkrankungen ist die klinische Symptomatik bei malignen Ursachen des Hirsutismus (Ovarial- und Nebennierentumore) rasch progredient und von Virilisi erungszeichen (z.B. tiefe Stimme) begleitet. Der anlag ebedingte idiopathische Hirsutismus ist die einzige Hirsutismus-Form, die mit keinen anderen klinisch en Symptom en (z.B . Zyklusstörungen) einhergeht. Vermehrte Behaarung entsprechend männlichem Behaarungsmuster Beim Hirsutismus wirken Androgene, hier besonders das Dihydrotestosteron, auf die Haarfollikel ein, sodass es zu ein er zeitlichen Verlängerung der An agenphase d es H aarfollikels kommt, verbunden mit ein er Verlängerung, V erdickung un d d unkleren Pigmentierung der feinen Vellushaare. Aus Vellushaaren werden Terminalhaare an den männlichen Vorzugsstellen wi e Oberlippe , Kinn, Brust, Bauch, Linea alba, suprapubische Region, Oberarme, Oberschenkel, Rücken und in d er Steiß-Region. Der Hirsutismus ist nicht nur eine Erkrankung des Haars. Vielmehr ist er die Folge ei- 970 FRAUENARZT n 50 (2009) n Nr. 11 ner erhöh ten An drogenproduktion, 5α-Reduktase-Aktivität oder Androgenwirkung am Haarfollikel. Diagnostik In der Diagnostik des Hirsutismus ist der Nachweis zu erbrin gen, ob tatsächlich eine endokrine Störung als Ursache vorliegt. Hierfür bedarf es der Bestimmung bestimmter hormoneller Parameter. Eine besondere Rolle für den Nachweis einer Hyperandrogenämie spielt der freie Androgenindex (FAI = Gesamt-Testosteron [nmol/l] x 100/SHBG [nmol/l]). Des Weiteren ist eine Bestimmung von Androstendion, DHEAS (an drogenproduzierende Tumore der Nebenniere), LH, FSH, Östradiol (Ovarialinsuffizienz), Prolaktin (Prolaktinom), T SH (Schild drüsenfunktionsstörung) un d 17-H ydroxyprogesteron (AGS) notwendig. Eine zusätzliche Bestimmung von Cortisol (Cushing-Syndrom) und IGF-1 (Akromegalie) ist nur bei entsprechendem klinischem V erdacht erf orderlich. Liegt ein Verdacht auf androgenproduzierende Tumore des Ovars bzw. der Glandula supr arenalis vor , z.B . bei Testosteron >1,5 ng/ml, DHEAS >600 g/dl und/oder bei fehlender Androgensuppression im De xamethasonHemmtest, sin d au ch bild gebende Verfahren angezeigt (2, 3). Des Weiteren eignet sich für eine objektive Bewertung, ob ein Hirsu tismus vorliegt, der Ferriman-GallweyIndex, ein im Jahr 1961 entwickelter Diagnostik-Score (4) (Erh ebungsbogen s. Abb.) Therapie Zur hormonellen Therapie des endokrinen Hirsutismus ist die Hemmung der An drogensynthese d urch or ale Kontrazeptiva g eeignet – zum Beispiel mit Antiandrogenen wie Cyproteronacetat, Dienogest, Drospirenon oder Chlormadinonacetat als Gestagenanteil. Auch andere Kontrazeptiva könn en bis zu ein em g ewissen Grad wirksam sein, weil ihr Estrogenanteil indirekt (über ein e Erhöhung des SHBG) freies Testosteron zu binden vermag. Weitere effektive Substanzen wie Spironolacton, Flutamid und Finasterid können aufgrund ihrer fehlenden Zulassung nur im Off-LabelUse eingesetzt werden und müssen zwingend mit einer sicheren Kontrazeption kombiniert werden. Als einzige topische Therapie für den Gesichtsbereich steh t bislan g ein e Creme mit dem Wirkstoff Eflornithin zur Verfügung. Eflornithin ist ein irreversibler H emmstoff d es Enzym s Ornithin-Decarboxylase, das die Umwandlung von Ornithin in Putr escin katalysiert, eines der Polyamine, das an der Regulation von Zellwachstum im Haarfollikel beteiligt ist. Als Resultat wird die Bildung des Haares verlangsamt. Lästi ge Bartschatten verschwinden. Die gleichzeitige Anwendung einer systemischen antiandrogenen Therapie ist möglich. Gute Erfolge erzielt auch die Lasertherapie, bei der die Haarwurzel zerstört wird. Allerdings eignet sich diese Methode nicht für größere Flächen (Zeitfaktor). Daher ist gängige Praxis, die additive Wirkung von EflornithinCreme un d Laser in d er K ombinationstherapie zu nutzen (5).Während Erhebung der Symptomatik mit dem Ferriman-Gallwey-Index. Eflornithin die Ornithin-Decarboxylase hemmt, beruht die Wirkung des Laserlichtes auf dem Prinzip der selektiven Photothermolyse: Das Eumelanin des Haarpigments absorbiert die Lichtenergie des Lasers, wandelt sie in Wärme um und führt so zur Schädigung des Haarfollikels. Da blon de, rotblonde und weiße Haare kein Eumelanin enthalten, stößt di e Laser epilation hier an ihre Grenzen, ebenso wi e bei fein en, wei chen V ellushaaren. Kombiniert man EflornithinCreme mit der Lasertherapie, wird das Haarwachstum durch zwei verschi edene Therapieansätze gehemmt. Auge und Feingefühl gefragt: Wirkt die Patientin mit Damenbart schüchtern, verschämt oder meidet sie den direkten A ugenkontakt? Ben utzt si e besonders viel Make-up, um einen Bartschatten zu überschminken? Dies sollte für d en Gynäk ologen ein Si gnal sein, behutsam nach einer eventuellen Belastung durch die vermehrte Behaarung zu fragen. Nach der differenzialdiagnostischen Abklärung der Hirsutismus-Ursachen steh en d em behandelnden Gynäkologen effektive topische un d systemisch e Substanzen für eine unkomplizierte und Erfolg versprechende Behandlung zu Verfügung. Fazit Literatur Haare an der falschen Stelle, zum Beispiel im Gesicht der Frau, sind in unserer aufgeklärten Gesellschaft immer noch ein Tabuthema und mit starken Schamgefühlen behaftet. Im P atientengespräch sind daher ein wachsames 1. Azziz R.: The evaluation and management of hirsutism. Obstet Gynaecol 101 (2003) 995–1007. 2. Joint LWPES/ESPE CAH Working Group: Consensus statement on 21-Hydroxylase deficiency from the Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society and the European Society for Pediatric Endocrinology. J Clin Endocrinol Metab 87 (2002) 4048–4053. 3. New MI et al.: Prenatal diagnosis for congenital adrenal hyperplasia in 532 pregnancies. J Clin Endocrinol Metab 86 (2001) 5651–5657. 4. Der Ferriman-Gallwey-Index kann angefordert werden bei der Medical Consulting Group, Fax-Nr. 0211/516045-179. 5. Hamzavi I, Tan E et al.: A randomized bilateral vehicle-controlled study of eflornithine cream combined with laser treatment versus laser treatment alone for facial hirsutism in women. J Am Acad Dermatol 57 (2007) 54–59. FORTBILDUNG + KONGRESS 0970-0972 FORT_Hahn_08 10.11.09 13:12 Seite 971 Autorin PD Dr. med. Susanne Hahn Praxis für Endokrinologie Hahn Heckmann Mengel Hauptstr. 76 42349 Wuppertal [email protected] FRAUENARZT n 50 (2009) n Nr. 11 971 FORTBILDUNG + KONGRESS 0970-0972 FORT_Hahn_08 10.11.09 13:12 Seite 972 Psychosoziale Genese bei Hirsutismus Expertengespräch mit Prof. Dr. med. Uwe Gieler, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Allergologie & Umweltmedizin, Zentrum für Psychosomatische Medizin der Universität Gießen ? „Weibliche Gesichtsbehaarung“ scheint auf den ersten Blick kein verbreitetes Problem zu sein – von wie vielen Betroffenen gehen Sie aus? Prof. Gieler: Wir gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 30 bis 40 Prozent der Frauen mehr oder weniger stark von ein er übermäßig starken Behaarung betroffen sind. Etwa 10 Prozent leiden sogar unter einem Hirsutismus – also einer Behaarung, wie sie normalerweise bei Männ ern vorkommt. Auch besonders Dunkelhaarige un d Südlän derinnen, z.B . Griechinnen oder Perserinnen, leiden unter d em Phän omen Dam enbart, denn bei ihn en fallen die dunklenHärchen im Gesicht natürlich besonders auf. ? Kann ein „Damenbart“ für die Betroffenen zu einem psychischen Problem werden? Prof. Gieler: In der Tat begegnen mir in meiner Tätigkeit als Psychodermatologe Patientinnen, die sogar sehr stark unter ihrer Gesichtsbehaarung leiden: Hirsutismus kann das feminine Selbstemp finden stark beeinträchtigen und führt nicht selten zu einer schweren Identitätskrise. Die Folge sind soziale Vermeidungsstrategien, Ängste, Depression und soziale Isolation. Ein Beispiel: Eine meiner Patientinnen hatte ihren Beruf als Masseurin aufgegeben, da sie von Kunden immer wieder auf ihr e starke Behaarung angesprochen wurde. Andere ergreifen erst gar keinen Beruf, bei d em sie mit v ielen Menschen in Kontakt kommen könnten. 972 FRAUENARZT n 50 (2009) n Nr. 11 Prof. Dr. med. Uwe Gieler ? Lässt sich ein Zusammenhang zwischen Behaarungsintensität und Leidensdruck herstellen? Prof. Gieler: Einen direkten Zusammenhang zwischen der Menge störender Haare und Leidensdruck gibt es nicht: Es gibt durchaus Frauen, die ihre offensichtlich starke Gesichtsbehaarung zwar als Schönheitsmakel empfinden, aber d amit kein großes Problem haben. Andere Frauen leiden dagegen unter schweren psychosozialen Störungen, auch wenn sie objektiv gesehen viel weniger behaart sind. In un serem Zentrum für psychosomatische M edizin tr effe i ch häufig auf Fr auen, di e un ter ein er übersteigerten Selbstwahrnehmung des Makels Damenbart leiden: Auch wenn für an dere der Bartwuchs gar nicht bzw. nicht auffällig sichtbar ist, leiden sie extrem darunter und sind stark in ihrem Verhalten eingeschränkt. Als die eben genannte Patientin bei mir vorstellig wurde, trug sie sich sogar mit Selbstmordgedanken – obwohl objektiv betrachtet ihre Behaarun g gar ni cht so e xtrem ausgeprägt war. ? Wie häufig führt der Damenbart die Betroffenen in die Depression? Prof. Gieler: Eine Fixi erung auf einen körperlichen Makel – wie man sie z.B . au ch von Essg estörten kennt – ist gar ni cht so selten und wird auch körperdysmorphe Störung oder Dysmorphophobie genannt. Die Frauen verbringen gedanklich bis zu acht Stunden pro Tag mit ihrer Behaarung, k ontrollieren stän dig ihr Gesicht im Spiegel, fahren mit den Händen prüfend über d as Gesicht, denken permanent daran, dass anderen M enschen ihr e Gesi chtsbehaarung auffällt. Dadurch sind sie in ihrem Sozi alleben n atürlich stark beeinträchtigt und in der Regel gar nicht zu ein er Partnerschaft fähig. Aber au ch Fr auen mit ver gleichsweise moderatem Leidensdruck berichteten nach einer erfolgreichen Therapie mit ein er Cr eme, di e d as Haarwachstum im Gesi cht h emmt, über eine wesentlich verbesserte Lebensqualität: Di e Sozi alkontakte verbesserten si ch, K ontakte mit Fremden und am Arbeitsplatz wurden als angenehmer empfunden und die Fr auen zei gten n ach d er Behandlung eine erheblich positivere Einstellung zu Zärtli chkeiten un d ein en tspannteres P artnerschaftsverhalten. ? An wen wenden sich die Frauen mit Damenbart Ihrer Erfahrung nach? Prof. Gieler: Die große Schwierigkeit ist, dass die Frauen meist nicht von sich aus über di eses Problem sprechen – ganz o ft aus An gst, ni cht ernst genommen zu werden. Obwohl wir in ein er auf geklärten Gesellschaft leben, ist d as Thema „Haare an der falschen Stelle“ imm er noch sehr schambehaftet un d weder Betroffene n och Ärzte spr echen es offen an. Der richtige Ansprechpartner ist aber auf jeden Fall der Gynäkologe od er ein Derm atologe, d er sich auf H aarerkrankungen spezian lisiert hat.