Hirsutismus – eine Erkrankung mit tiefgreifenden Folgen

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Hirsutismus – eine Erkrankung mit tiefgreifenden Folgen
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Hirsutismus – eine Erkrankung
mit tiefgreifenden Folgen
Susanne Hahn
Vermehrte Körperbehaarung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen haben. Ob es sich dabei um den Ausdruck einer
eventuell medikamentös zu behandelnden Erkrankung oder lediglich um ein „kosmetisches Problem“ handelt, sollte in jedem Fall geklärt werden. 5–15% (1) der weiblichen Bevölkerung leiden unter unerwünschter Körperbehaarung und für die
betroffenen Frauen ist das oftmals alles andere als nur ein
kosmetisches Problem!
In etwa 95% d er Fälle fin det si ch
beim Hirsutism us ein e beni gne
Grunderkrankung. Häufi gste Ursachen sind das Polyzystische Ovarsyndrom (PCOS, etwa 80%), der idiopathische Hirsutismus (etwa 10–15%)
und das heterozygote Adrenogenitale Syndrom (AGS, etwa 2%). Im Gegensatz zu den benignen Erkrankungen ist die klinische Symptomatik bei
malignen Ursachen des Hirsutismus
(Ovarial- und Nebennierentumore)
rasch progredient und von Virilisi erungszeichen (z.B. tiefe Stimme) begleitet. Der anlag ebedingte idiopathische Hirsutismus ist die einzige
Hirsutismus-Form, die mit keinen anderen klinisch en Symptom en (z.B .
Zyklusstörungen) einhergeht.
Vermehrte Behaarung
entsprechend männlichem
Behaarungsmuster
Beim Hirsutismus wirken Androgene,
hier besonders das Dihydrotestosteron, auf die Haarfollikel ein, sodass
es zu ein er zeitlichen Verlängerung
der An agenphase d es H aarfollikels
kommt, verbunden mit ein er Verlängerung, V erdickung un d d unkleren
Pigmentierung der feinen Vellushaare. Aus Vellushaaren werden Terminalhaare an den männlichen Vorzugsstellen wi e Oberlippe , Kinn, Brust,
Bauch, Linea alba, suprapubische Region, Oberarme, Oberschenkel, Rücken
und in d er Steiß-Region. Der Hirsutismus ist nicht nur eine Erkrankung
des Haars. Vielmehr ist er die Folge ei-
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ner erhöh ten An drogenproduktion,
5α-Reduktase-Aktivität oder Androgenwirkung am Haarfollikel.
Diagnostik
In der Diagnostik des Hirsutismus ist
der Nachweis zu erbrin gen, ob tatsächlich eine endokrine Störung als
Ursache vorliegt. Hierfür bedarf es der
Bestimmung bestimmter hormoneller
Parameter. Eine besondere Rolle für
den Nachweis einer Hyperandrogenämie spielt der freie Androgenindex
(FAI = Gesamt-Testosteron [nmol/l] x
100/SHBG [nmol/l]). Des Weiteren ist
eine Bestimmung von Androstendion,
DHEAS (an drogenproduzierende Tumore der Nebenniere), LH, FSH, Östradiol (Ovarialinsuffizienz), Prolaktin
(Prolaktinom), T SH (Schild drüsenfunktionsstörung) un d 17-H ydroxyprogesteron (AGS) notwendig. Eine
zusätzliche Bestimmung von Cortisol
(Cushing-Syndrom) und IGF-1 (Akromegalie) ist nur bei entsprechendem
klinischem V erdacht erf orderlich.
Liegt ein Verdacht auf androgenproduzierende Tumore des Ovars bzw. der
Glandula supr arenalis vor , z.B . bei
Testosteron >1,5 ng/ml, DHEAS >600
g/dl und/oder bei fehlender Androgensuppression im De xamethasonHemmtest, sin d au ch bild gebende
Verfahren angezeigt (2, 3).
Des Weiteren eignet sich für eine objektive Bewertung, ob ein Hirsu tismus vorliegt, der Ferriman-GallweyIndex, ein im Jahr 1961 entwickelter
Diagnostik-Score (4) (Erh ebungsbogen s. Abb.)
Therapie
Zur hormonellen Therapie des endokrinen Hirsutismus ist die Hemmung
der An drogensynthese d urch or ale
Kontrazeptiva g eeignet – zum Beispiel mit Antiandrogenen wie Cyproteronacetat, Dienogest, Drospirenon
oder Chlormadinonacetat als Gestagenanteil. Auch andere Kontrazeptiva könn en bis zu ein em g ewissen
Grad wirksam sein, weil ihr Estrogenanteil indirekt (über ein e Erhöhung
des SHBG) freies Testosteron zu binden vermag. Weitere effektive Substanzen wie Spironolacton, Flutamid
und Finasterid können aufgrund ihrer
fehlenden Zulassung nur im Off-LabelUse eingesetzt werden und müssen
zwingend mit einer sicheren Kontrazeption kombiniert werden.
Als einzige topische Therapie für den
Gesichtsbereich steh t bislan g ein e
Creme mit dem Wirkstoff Eflornithin
zur Verfügung. Eflornithin ist ein irreversibler H emmstoff d es Enzym s
Ornithin-Decarboxylase, das die Umwandlung von Ornithin in Putr escin
katalysiert, eines der Polyamine, das
an der Regulation von Zellwachstum
im Haarfollikel beteiligt ist. Als Resultat wird die Bildung des Haares
verlangsamt. Lästi ge Bartschatten
verschwinden. Die gleichzeitige Anwendung einer systemischen antiandrogenen Therapie ist möglich.
Gute Erfolge erzielt auch die Lasertherapie, bei der die Haarwurzel zerstört wird. Allerdings eignet sich diese Methode nicht für größere Flächen
(Zeitfaktor). Daher ist gängige Praxis,
die additive Wirkung von EflornithinCreme un d Laser in d er K ombinationstherapie zu nutzen (5).Während
Erhebung der Symptomatik mit dem Ferriman-Gallwey-Index.
Eflornithin die Ornithin-Decarboxylase hemmt, beruht die Wirkung des Laserlichtes auf dem Prinzip der selektiven Photothermolyse: Das Eumelanin des Haarpigments absorbiert die
Lichtenergie des Lasers, wandelt sie
in Wärme um und führt so zur Schädigung des Haarfollikels. Da blon de,
rotblonde und weiße Haare kein Eumelanin enthalten, stößt di e Laser epilation hier an ihre Grenzen, ebenso wi e bei fein en, wei chen V ellushaaren. Kombiniert man EflornithinCreme mit der Lasertherapie, wird das
Haarwachstum durch zwei verschi edene Therapieansätze gehemmt.
Auge und Feingefühl gefragt: Wirkt die
Patientin mit Damenbart schüchtern,
verschämt oder meidet sie den direkten A ugenkontakt? Ben utzt si e besonders viel Make-up, um einen Bartschatten zu überschminken? Dies sollte für d en Gynäk ologen ein Si gnal
sein, behutsam nach einer eventuellen Belastung durch die vermehrte Behaarung zu fragen. Nach der differenzialdiagnostischen Abklärung der Hirsutismus-Ursachen steh en d em behandelnden Gynäkologen effektive topische un d systemisch e Substanzen
für eine unkomplizierte und Erfolg versprechende Behandlung zu Verfügung.
Fazit
Literatur
Haare an der falschen Stelle, zum Beispiel im Gesicht der Frau, sind in unserer aufgeklärten Gesellschaft immer
noch ein Tabuthema und mit starken
Schamgefühlen behaftet. Im P atientengespräch sind daher ein wachsames
1. Azziz R.: The evaluation and management of hirsutism. Obstet Gynaecol 101
(2003) 995–1007.
2. Joint LWPES/ESPE CAH Working Group:
Consensus statement on 21-Hydroxylase
deficiency from the Lawson Wilkins Pediatric Endocrine Society and the European
Society for Pediatric Endocrinology. J Clin
Endocrinol Metab 87 (2002) 4048–4053.
3. New MI et al.: Prenatal diagnosis for congenital adrenal hyperplasia in 532 pregnancies. J Clin Endocrinol Metab 86
(2001) 5651–5657.
4. Der Ferriman-Gallwey-Index kann angefordert werden bei der Medical Consulting
Group, Fax-Nr. 0211/516045-179.
5. Hamzavi I, Tan E et al.: A randomized bilateral vehicle-controlled study of eflornithine cream combined with laser treatment versus laser treatment alone for facial hirsutism in women. J Am Acad Dermatol 57 (2007) 54–59.
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Autorin
PD Dr. med.
Susanne Hahn
Praxis für Endokrinologie
Hahn Heckmann Mengel
Hauptstr. 76
42349 Wuppertal
[email protected]
FRAUENARZT n 50 (2009) n Nr. 11
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Psychosoziale Genese
bei Hirsutismus
Expertengespräch mit Prof. Dr. med. Uwe Gieler, Facharzt für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für
Haut- und Geschlechtskrankheiten, Allergologie & Umweltmedizin, Zentrum für Psychosomatische Medizin der Universität
Gießen
?
„Weibliche Gesichtsbehaarung“ scheint auf den ersten
Blick kein verbreitetes Problem
zu sein – von wie vielen Betroffenen gehen Sie aus?
Prof. Gieler: Wir gehen davon aus,
dass in Deutschland etwa 30 bis 40
Prozent der Frauen mehr oder weniger stark von ein er übermäßig starken Behaarung betroffen sind. Etwa
10 Prozent leiden sogar unter einem
Hirsutismus – also einer Behaarung,
wie sie normalerweise bei Männ ern
vorkommt. Auch besonders Dunkelhaarige un d Südlän derinnen, z.B .
Griechinnen oder Perserinnen, leiden
unter d em Phän omen Dam enbart,
denn bei ihn en fallen die dunklenHärchen im Gesicht natürlich besonders auf.
?
Kann ein „Damenbart“
für die Betroffenen zu einem
psychischen Problem werden?
Prof. Gieler: In der Tat begegnen mir
in meiner Tätigkeit als Psychodermatologe Patientinnen, die sogar sehr
stark unter ihrer Gesichtsbehaarung
leiden: Hirsutismus kann das feminine Selbstemp finden stark beeinträchtigen und führt nicht selten zu
einer schweren Identitätskrise. Die
Folge sind soziale Vermeidungsstrategien, Ängste, Depression und soziale Isolation. Ein Beispiel: Eine
meiner Patientinnen hatte ihren Beruf als Masseurin aufgegeben, da sie
von Kunden immer wieder auf ihr e
starke Behaarung angesprochen wurde. Andere ergreifen erst gar keinen
Beruf, bei d em sie mit v ielen Menschen in Kontakt kommen könnten.
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Prof. Dr. med. Uwe Gieler
?
Lässt sich ein Zusammenhang
zwischen Behaarungsintensität
und Leidensdruck herstellen?
Prof. Gieler: Einen direkten Zusammenhang zwischen der Menge störender Haare und Leidensdruck gibt
es nicht: Es gibt durchaus Frauen, die
ihre offensichtlich starke Gesichtsbehaarung zwar als Schönheitsmakel
empfinden, aber d amit kein großes
Problem haben. Andere Frauen leiden
dagegen unter schweren psychosozialen Störungen, auch wenn sie objektiv gesehen viel weniger behaart
sind. In un serem Zentrum für psychosomatische M edizin tr effe i ch
häufig auf Fr auen, di e un ter ein er
übersteigerten Selbstwahrnehmung
des Makels Damenbart leiden: Auch
wenn für an dere der Bartwuchs gar
nicht bzw. nicht auffällig sichtbar ist,
leiden sie extrem darunter und sind
stark in ihrem Verhalten eingeschränkt. Als die eben genannte Patientin bei mir vorstellig wurde, trug
sie sich sogar mit Selbstmordgedanken – obwohl objektiv betrachtet ihre Behaarun g gar ni cht so e xtrem
ausgeprägt war.
?
Wie häufig führt der Damenbart die Betroffenen in die
Depression?
Prof. Gieler: Eine Fixi erung auf
einen körperlichen Makel – wie man
sie z.B . au ch von Essg estörten
kennt – ist gar ni cht so selten und
wird auch körperdysmorphe Störung
oder Dysmorphophobie genannt. Die
Frauen verbringen gedanklich bis zu
acht Stunden pro Tag mit ihrer Behaarung, k ontrollieren stän dig ihr
Gesicht im Spiegel, fahren mit den
Händen prüfend über d as Gesicht,
denken permanent daran, dass anderen M enschen ihr e Gesi chtsbehaarung auffällt. Dadurch sind sie in
ihrem Sozi alleben n atürlich stark
beeinträchtigt und in der Regel gar
nicht zu ein er Partnerschaft fähig.
Aber au ch Fr auen mit ver gleichsweise moderatem Leidensdruck berichteten nach einer erfolgreichen
Therapie mit ein er Cr eme, di e d as
Haarwachstum im Gesi cht h emmt,
über eine wesentlich verbesserte Lebensqualität: Di e Sozi alkontakte
verbesserten si ch, K ontakte mit
Fremden und am Arbeitsplatz wurden als angenehmer empfunden und
die Fr auen zei gten n ach d er Behandlung eine erheblich positivere
Einstellung zu Zärtli chkeiten un d
ein en tspannteres P artnerschaftsverhalten.
?
An wen wenden sich
die Frauen mit Damenbart
Ihrer Erfahrung nach?
Prof. Gieler: Die große Schwierigkeit
ist, dass die Frauen meist nicht von
sich aus über di eses Problem sprechen – ganz o ft aus An gst, ni cht
ernst genommen zu werden. Obwohl
wir in ein er auf geklärten Gesellschaft leben, ist d as Thema „Haare
an der falschen Stelle“ imm er noch
sehr schambehaftet un d weder Betroffene n och Ärzte spr echen es
offen an. Der richtige Ansprechpartner ist aber auf jeden Fall der Gynäkologe od er ein Derm atologe, d er
sich auf H aarerkrankungen spezian
lisiert hat.