Kino

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Kino
Kino
16
NUMMER 84
DONNERSTAG, 10. APRIL 2014
Bauklötze
staunen
Kino kompakt
SPUREN
3200 Kilometer durch
die australische Wüste
Eine junge Frau, vier Kamele, ein
Hund und die australische Wüste:
Nach der Autobiografie von Robyn
Davidson lässt Regisseur John
Curran in „Spuren“ die Mittzwanzigerin (Mia Wasikowska) 3200 Kilometer aus dem Herzen Australiens
bis an den Indischen Ozean marschieren. Ab und zu trifft sie auf ihrer entbehrungsreichen und teils
gefährlichen Reise mit dem Fotografen Rick Smolan (Adam
Driver) zusammen. Widerwillig hat
sie sich überreden lassen, sich von
ihm für das Magazin National Geographic porträtieren zu lassen. Behutsam, in beeindruckenden Bildern und trotz aller Intimität mit
einer gewissen Distanz erzählt Corran von dieser außergewöhnlichen
Reise. Mia Wasikowska („Alice im
Wunderland“) verkörpert diese faszinierende Frau von unglaublicher
Entschlossenheit und Verletzbarkeit. „Spuren“ ist ein sinnlicher
Film, der mit großartigen Landschaften besticht, die Kamerafrau
Mandy Walker ohne stilisierendes
Beiwerk einfängt. (dpa)
****
Filmstart in Augsburg, Ulm
O
„Lego Movie“ bringt
die Männchen in Fahrt
VON DIETER OSSWALD
Ständig in Sorge um seine Gesundheit: der französische Komiker Dany Boon als der eingebildete Kranke Romain Faubert in „Super-Hypochonder“.
Foto: Prokino
DIE POETIN
Der eingebildete Kranke
Die Einsamkeit
einer großen Liebe
Elizabeth kommt 1951 nach Brasilien, um eine Schaffenskrise zu
überwinden. Sie lernt die Architektin Lota kennen und beide Frauen
verlieben sich. Das Paar durchlebt
stürmische Jahre voller weniger
Hochs und vieler Tiefs. Elizabeth
bekommt als Dichterin wichtige
Auszeichnungen, Lota wird weltberühmt durch den von ihr entworfenen Flamengo Park in Rio de
Janeiro. Privat dominiert mehr
und mehr Düsternis. Der sensibel
inszenierte Film von Bruno Barreto („Last Stop 174 – Endstation
Hoffnung“) orientiert sich optisch
an den berühmten Gemälden des
Malers Edward Hopper. Dessen
farbintensive Bilder gelten als Zeugnisse der zunehmenden Vereinsamung. Auch im Film lauert überall
Traurigkeit hinter satter Schönheit. Miranda Otto und Glória Pires
bewegen sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Szenerie.
Allen Überschwang der Emotionen und jeden Moment der Verzweiflung gestalten sie mit fesselnder Authentizität. (dpa)
****
Noch nicht angelaufen in der Region
O
Weiter sehenswert
● Her *****
Erotik von Mensch zu Computer,
das Oscar-Werk von Spike Jonze
● Grand Budapest Hotel ****
Ralph Fiennes in einem surrealen
Epos des 20. Jahrhunderts
● Philomena *****
Judi Dench als starke Mutter
Unsere Wertungen
* sehr schwach
** mäßig
*** ordentlich
**** sehenswert
***** ausgezeichnet
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Super-Hypochonder Dany Boon landete mit den „Sch’tis“ einen Sensationserfolg, jetzt fürchtet
der Komiker ständig um seine Gesundheit – bis er in einem osteuropäischen Gefängnis landet
VON MARTIN SCHWICKERT
Mit „Willkommen bei den Sch’tis“
gelang Dany Boon 2008 der größte
Überraschungserfolg der französischen Filmgeschichte. Über 20 Millionen Zuschauer lockte die Geschichte eines südfranzösischen
Postlers, der in den hohen Norden
strafversetzt wird, in die Kinos.
Aber auch in Deutschland war das
Lustspiel mit 2,3 Millionen verkauften Tickets ein Hit. Mit seiner
Grenzerkomödie „Nichts zu verzollen“ versuchte der französische Komiker zwei Jahre später an den Erfolg vergeblich anzuknüpfen.
Jetzt hat sich Boon wieder mit seinem „Sch’ti“-Kompagnon Kad Merad zusammengetan und sich in seiner neuen Komödie „Super-Hypochonder“ aus der Provinz heraus
nach Paris gewagt. Denn in Metropolen gedeihen Neurosen am besten. Romain Faubert (Dany Boon)
ist 39, hat keine Frau, keine Kinder,
kein Haus, aber panische Angst vor
Bakterien, Viren, Mikroben, Streptokokken, Milben und allem, was
ihn krank machen könnte.
Bevor er den Türcode eingibt,
sprüht er die Sprechanlage mit Desinfektionsmittel ein. In der Metro
führt er absurde Gleichgewichtsübungen aus, weil er die unhygienischen Haltegriffe nicht berühren
will. In der Küche hat er ein Wandregal voller Medikamente und im
Internet bringt er sein Hypochonderwissen auf den neusten Stand.
Romains einziger Freund ist sein
Hausarzt Dimitri Zvenka (Kad Merad). Dass es weniger feindliche
Bakterien sind, die Romain zu
schaffen machen, als die Einsamkeit,
weiß Dimitri nur zu genau und so
versucht er seinen besten Kunden
an die Frau zu bringen. Aber die
Einladung zur Silvesterparty endet
im Desaster, als Romain sich um
Mitternacht den auf ihn einstürmenden, hochinfektiösen Neujahrsküsschen gewaltsam entzieht. Auch
die Anmeldung bei einer Partnerschaftsbörse im Internet bringt kei-
nen Erfolg, weil die Treffen mit
fremden Frauen nicht mit Romains
Hygienevorstellungen in Einklang
zu bringen sind.
Und so entscheidet sich Dimitri,
seinen Patienten mit in ein Flüchtlingslager zu nehmen, wo er als Arzt
ehrenamtlich arbeitet, um ihm zu
zeigen, dass andere Menschen weitaus größere Sorgen haben. Dort
wird Romain mit einem Revolutionsführer aus dem wilden Osten
verwechselt und gerät in dieser Rolle ausgerechnet an Dimitris Schwester Ana (Alice Pol), die dem Guerilla-Charme des vermeintlichen Freiheitskämpfers hoffnungslos verfällt.
Solange Boon seine neurotische
Figur aufbaut, funktioniert „Super-
Der Schauspieler Kad Merad
● Kad Merad (*27. März 1964 in Sidi
bel Abbès, Algerien) startete seine
Karriere im Club Méditerranée, doch
bald wechselte er ans Theater. 1991
traf er beim Pariser Radiosender „Oui
FM“ auf Olivier Baroux, sie bildeten das Comedy-Duo „Kad
et Olivier“.
Seinen Durchbruch im Kino
hatte Kad Merad 2004 im
Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“. Für
die ernste Rolle des Vaters im Film
„Keine Sorge, mir geht’s gut“ erhielt
er 2007 den César als Bester Nebendarsteller. In der Komödie „Willkommen bei den Sch’tis“ spielte er 2008
einen verbannten Postboten und
arbeitete zum ersten Mal mit Regisseur Dany Boon. Als Rivale von
Jean Reno trat er im Krimi „22
Bullets“ auf. 2011 gab er mit
„Monsieur Papa“ sein Regiedebüt. (loi)
Jeder muss sich einordnen
Hypochonder“ bestens. Detailliert
und einfallsreich lotet er das komische Potenzial des Psycho-Zwangs
aus. Situationskomik, schlagfertige
Wortgefechte und Slapstick greifen
geschmeidig ineinander. Aber dann
gerät die Angelegenheit ins Stocken.
Die halsbrecherische Wendung hin
zu einer Verwechslungskomödie, in
der der Held nicht nur romantisch
versorgt, sondern auch noch in ein
absurdes Actionabenteuer hineingetrieben wird, wirkt wie eine dramaturgische Verzweiflungstat. Was als
amüsante Charakterstudie begann,
verliert sich in hektischer Betriebsamkeit, die den paranoiden Helden
in eine unglaubwürdige Katharsis
stürzt und einem käsigen Happy
End entgegentreibt.
Verwandlung durch Verwechslung ist ein traditionsreiches Komödienmotiv, aber dass Romain in ein
osteuropäisches Gefängnis verschleppt werden muss, um seine
Seele auszukurieren, wirkt doch ein
wenig überspannt. Im Gegensatz zu
den „Sch’tis“ ist „Super-Hypochonder“ weniger aus einem komödiantischen Guss, sondern wirkt wie
ein Flickwerk, in dem viele komische Einfälle einfach kein lustiges
Ganzes ergeben wollen.
**
O
Filmstart in Augsburg, Neu-Ulm,
Kempten, Penzing, Ulm
Smarte Ideen schlagen bisweilen jedes Spezialeffekt-Spektakel. Jedenfalls haben die schlichten LegoMännchen die US-Kinos im Sturm
erobert. Wunderbar gesellschaftskritisch gerät bereits der Auftakt:
Wie gut gelaunte Zombies marschieren die Konformisten-Massen
morgens zur Arbeit, stolz das
„Everything is awesome“-Liedchen
trällernd. Brav befolgen sie ihre
„Immer nur lächeln“-Ratgeber. Für
das brave Lego-Männchen Emmet
Brickowski wird sein absolut durchschnittliches Leben jäh unterbrochen: Die wilde Wyldstyle entführt
ihn, glaubt sie doch, in Emmet jenen
Meisterbauer gefunden zu haben,
den die Prophezeiung angekündigt
hat als letzten Retter vor dem bösen
Präsidenten namens „Business“.
So ganz mag der wackere Normalo seinen überraschenden Superhelden-Status nicht glauben. Sein ruppiger „Bad Cop“-Verfolger sowie
der Charme der Rebellin lassen
Emmet jedoch kaum eine Wahl. Im
Anarcho-Paradies „Wolke Kuckucksland“ versammelt sich die
Riege aus Weltenrettern, die von
Batman, Gandalf und Superman bis
zu Robin Hood, Abraham Lincoln,
Pirat Eisenbart oder Einhorn Kitty
reicht. „Ich bin nicht smart oder
kreativ, sondern eher feige“, solche
Bekenntnisse will keiner von Emmet hören. So bleibt dem Helden
wider Willen nur eines übrig: Er
muss über sich hinauswachsen.
Wenngleich den Plastikfigürchen
nicht viel Mimik zur Verfügung
steht, gelingt dem Regie-Duo Phil
Lord und Chris McKay („Wolkig
mit Aussicht auf Fleischbällchen“)
das Kunststück, ihre steifen Stars
mit reichlichen Emotionen zu unglaublichem Leben zu erwecken.
Mit Liebe zu Details und Einfallsreichtum verwandeln sie das dänische Bauklötzchensystem in ein
überbordendes Fantasie-Reich, das
einen Bauklötze staunen lässt. ***
O Filmstart in vielen Kinos der Region
Die Lego-Kampfgruppe: Emmet, Wyldstyle und Batman.
Foto: Warner Bros.
Völlig berauscht
Die Bestimmung Die junge Tris rebelliert gegen eine strikte Gesellschaft Sabotage Arnold Schwarzenegger am Tiefpunkt
VON FRED DURAN
Die Sehnsucht, dazuzugehören, und
der Unwille, sich einzuordnen, ist
eine Konstante des Jungseins. Denn
zwischen der Anpassung und der
Reibung an vorgegebenen sozialen
Strukturen entsteht die Energie, die
jeder Teenager zur Persönlichkeitsfindung braucht. Daran dockt „Die
Bestimmung“ nach der gleichnamigen Bestseller-Trilogie von Veronica Roth an. Eine starke, junge Heldin steht im Zentrum eines postapokalyptischen Zukunftsszenarios mit
einer rigiden Gesellschaftsordnung.
Anders als in „Die Tribute von Panem“ ist es hier kein diktatorisches
Regime, mit dem die junge Tris
(Hollywoods Shootingstar Shailene
Woodley, „The Descendants“) in
Konflikt gerät, sondern die subtile
Gewalt einer Gesellschaft, die vom
Individuum eine strikte Gruppenzuordnung einfordert.
„Die Zukunft gehört denen, die
wissen, wo sie hingehören“, lautet
das Motto des Systems, das nach einem zerstörerischen Krieg die launische Natur des menschlichen Wesens durch strenge Einordnung auszutricksen versucht. Doch Tris will
nicht irgendwo hingehören. Eine
Liebesgeschichte mit dem etwas älteren Ausbilder Four (Theo James)
wird schmalzfrei erzählt und stellt
nur einen von mehreren Aspekten
im Selbstfindungsprozess der Heldin dar. Regisseur Neil Burger
(„Ohne Limit“) findet zwischen
Romantik, Action, Thriller-Elementen und Philosophie eine gute
Balance, auch wenn „Die Bestimmung“ eher als Pilotfilm für weitere
Folgen zu sehen ist.
***
O Filmstart in vielen Kinos der Region
Tori (Maggie Q) unterzieht Tris (Shailene Woodley) dem Eignungstest. Foto: Concorde
VON GÜNTER H. JEKUBZIK
Letztens war der Ex-Gouverneur als
mäßig verkleideter Fitnesstrainer
nur mäßig spaßig. Als schlecht
verkleideter Drogenfahnder-Opa
macht er in „Sabotage“ ganz bitterernst, und das ist nicht mal mehr unfreiwillig komisch, das ist unerträglich. Diese nächste, unnötige Folge
von hüftsteifer Altherren-Action
beginnt extrem brutal mit einem
Foltervideo und einem alten Mann
davor. Dass John „Breacher“ Wharton (Arnold Schwarzenegger) verbittert die Mörder von Frau und
Sohn rächen will, spielt in dem wirren Film nur anfangs und im noch
verunglückteren Finale eine Rolle.
Zwischendurch beklaut sein wildes Team von Drogenfahnder-Bullen mitten im Einsatz die Bösen und
den Staat. Als ihnen jedoch ihr Beifang von zehn Millionen Dollar von
Unbekannten weggeschnappt wird
und sie dann auch noch selbst verdächtig sind, dreht das Team aus
durchgeknallten Typen – tätowiert
verkörpert von meist mittelmäßigen
Schauspielern – komplett durch. Einer nach dem anderen wird spektakulär ermordet, die ermittelnde
Polizistin taucht als einzig interessanter Charakter auf, bis sie bei einer völlig unglaubwürdigen Affäre
mit dem wesentlich älteren und
dämlicheren Breacher auch zur
Witzfigur wird.
Eine wenig originelle, blödsinnige
Auflösung (Breacher klaute selbst
die Millionen, um sich rächen zu
können) krönt dieses grob zusammengeschusterte Unglück. Selbst
wenn Brutalität, Selbstjustiz, Spießertum und eine Racheorgie nicht
so verachtenswert wären: Regisseur
David Ayer („End of Watch“,
„Street Kings“) hat wahrscheinlich
so viel Koks vom Set eingeatmet,
dass er die Kontrolle über den Seniorenfilm völlig verlor.
*
O
Filmstart in Augsburg, Aichach, NeuUlm, Kempten, Ulm

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