LUFA-NRW: Traditionell gut aufgestellt

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LUFA-NRW: Traditionell gut aufgestellt
GERSTEL Aktuell Porträt
Die LUFA im Wandel der Zeit
Traditionell gut aufgestellt
Technischer Fortschritt ist ein Segen, nährt aber regelmäßig Hoffnungen und Erwartungen,
mit denen er selbst kaum Schritt halten kann. Das bekommen auch die Hersteller von
Analysegeräten und nicht minder deren Nutzer zu spüren – auf der Stelle zu treten,
kann sich niemand mehr leisten. Um den Wandel im Labor hautnah mitzuerleben, hat
„GERSTEL Aktuell“ die Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt (LUFA)
im westfälischen Münster besucht. Das anerkannte, alteingessene Auftragslabor wurde im
Jahre 1871 als exklusiver Dienstleister für die Landwirtschaft gegründet und hat sich heute
im Wettbewerb mit anderen Laboratorien zu behaupten.
N
evinghoff 40: Nur die Anschrift erinnert noch an das hier
einst zu bewundernde mittelalterliche Rittergut, von dem
einzig die Gräfte übrig geblieben ist. Gräfte, das ist nicht etwa ein Münsterländer Adelstitel, so wurde vielmehr der Wassergraben genannt, der Haupt- und Wirtschaftsgebäude vor feindlichen Übernahmen schützen sollte. Für die wenigen verbliebenen
Überreste des Gutes kam 1978 der Abriss, denn es galt Platz für einen Neubau zu schaffen; auf dem freigewordenen Areal entstand
ein architektonisch ambitionierter, in sich verschachtelter Gebäudekomplex, in den die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen einzog. Zu Hause ist hier auch die Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt (LUFA), deren Anfänge ins
Jahr 1871 zurückreichen. „Wir sind ein akkreditiertes Auftragslabor, das historisch bedingt den Schwerpunkt auf die Analyse von
Agrarprodukten legt“, sagt der stellvertretende Leiter der LUFA,
Dirk Wilke, und fügt hinzu: „Unser Labor deckt die gesamte landwirtschaftliche Produktionskette von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zum Endprodukt für den Verbraucher ab, was auch
die Umweltanalytik einschließt.“
Wilke sitzt im geschichtsträchtigen Konferenzraum: Hinter ihm
an der Wand hängt in Reih und Glied die „Ahnengalerie“, schwarzweiße Porträtfotos der Männer, denen seit Gründung der LUFA die
Leitung oblag. Rechts neben Wilke imponiert die alles überragende
Büste von Joseph König, dem „Vater der deutschen Lebensmittelchemie“ und Gründer der „Landwirtschaftlichen Versuchsstation
GERSTEL Aktuell – März 2008
Westphalen-Lippe“,
dem Vorläufer der
LUFA. Es sei nicht
zuletzt Königs Verdienst, betont Wilke, „dass immer weniger Erzeuger immer mehr Menschen mit Agrarprodukten versorgen können“.
Rückblende: Die
industrielle Revolution erreicht Mit- Aus dem Schatten des Gründers Joseph König (Büste)
te des 19. Jahrhun- herausgetreten. Dirk Wilke: „Unser Labor deckt
derts ihren Höhe- die gesamte landwirtschaftliche Produktionskette
punkt. Große Teile einschließlich Umweltanalytik ab.“
der Landbevölkerung zog es in die Städte, um in den sich rasant entwickelnden Fabriken den Lebensunterhalt zu verdienen, der vielen Bauern infolge von Missernten wieder und wieder verwehrt geblieben war. Ihr
Bestreben war daher, die Existenzsicherung unabhängig von derart unberechenbaren Faktoren wie Wetter und Klima zu machen.
Doch der Besitz von „wunderbaren Produktionsmitteln“ brachte
nicht den ersehnten Wohlstand, wie es Albert Einstein in ähnlicher
Weise einmal formulierte, sondern neue Sorgen und Hunger.
Die Städte schwollen an, zogen mehr und mehr Arbeitswillige aus ländlichen Gebieten ab, die zusehends verarmten. Mit einem Mal mangelte es an Bauern, fehlten Kartoffeln, Getreide und
Gemüse. Arbeit gab es in der Stadt zur Genüge, nicht aber ausreichend gesunde Nahrungsmittel. Das Volk litt Hunger. Die Notlage verschärfte sich vor allem in solchen Regionen, in denen die Agrarerträge aufgrund schlechter oder überbeanspruchter Äcker per
se spärlich ausfielen.
An der Lösung des Versorgungsproblems arbeitete zu jener
Zeit in seinem Gießener Labor der Chemiker Justus von Liebig
(1803-1873). In den Elendsjahren der deutschen Befreiungskriege (1813-1815) hatte der Sohn eines Drogisten am eigenen Leibe
erfahren müssen, was es hieß, Hunger zu leiden. Nach Abschluss
seines Chemiestudiums widmete er unzählige Stunden der Frage,
wie sich der Feldertrag steigern beziehungsweise die Qualität der
Ackerböden verbessern ließe.
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GERSTEL Aktuell Porträt
Bei der LUFA laufen derzeit zwei Projekte, bei denen unter anderem die
GERSTEL-SPE dazu eingesetzt wird, um Mykotoxine und Pestizide sensitiv und
effizient nachzuweisen.
Der Fünf-Kugel-Apparat
Abbildungen: Wikipedia
Der Fünf-Kugel-Apparat (Foto) ist eine von Justus von Liebig entwickelte Vorrichtung zur Elementaranalyse organischer Stoffe: Sie diente der
Feststellung, welche chemischen Elemente, insbesondere Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff
und Stickstoff, in einer Verbindung vorhanden
sind. Die Apparatur diente dazu, das Kohlendioxid aufzufangen und zu binden, welches bei
der Verbrennung der untersuchten Probe entstand. Sie wurde mit konzentrierter Kalilauge
gefüllt (daher rührt ihr ehemaliger Name KaliApparat) und der Massenzuwachs durch Bildung von Kaliumcarbonat durch Wiegen ermittelt. Die ReaktionsgleiK2CO3 + H2O. Hieraus lässt
chung lautet: 2 KOH + CO2
sich der Gehalt an Kohlenstoff in der Probe berechnen; eine wichtige Größe bei der Bestimmung der Summenformel einer organischen Verbindung. Die Apparatur war so
kompakt und leicht, dass sie ohne Aufarbeitung der enthaltenen Lösung gewogen werden konnte, was die Dauer der Analyse reduzierte.
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Bei der Zusammenlegung von Laborequipment suchte der stellvertretende
Leiter der LUFA, Dirk Wilke, kompetente Unterstützung: GERSTEL zeigte
großes Engagement und zählt heute zu den wichtigsten Partnern des
Instituts im Bereich der GC/MS und LC/MS.
In jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit gelang es dem Chemiker, unter anderem mit dem von ihm entwickelten Fünf-Kugel-Apparat (auch Kali-Apparat genannt), die elementare Zusammensetzung des Ackerbodens aus tierischen und pflanzlichen Bestandteilen aufzuklären. „Liebig untersuchte hunderte von Pflanzen, Pflanzenteilen und tierischen Produkten. Damit legte er den Grundstein für die organische und die Agrarchemie“, würdigt Wilke Liebigs Leistung.
Der Enthusiasmus, mit dem Liebig ans Werk ging, trug in vielerlei Hinsicht Früchte: Liebig erfand den Fleischextrakt, verbesserte so die Grundlagen der menschlichen Ernährung. Der Wissenschaftler entwickelte den Mineraldünger, entdeckte Chloroform
und Chloral und schuf neue Verfahren zur chemischen Analyse.
Und Liebig inspirierte nicht zuletzt Studenten aus dem In- und Ausland, die scharenweise in seine Lehrveranstaltungen strömten. Unter ihnen befand sich auch Joseph König (1843-1930). Als Sohn eines Bauern aus dem westfälischen Haltern war König mit den Verhältnissen in der Landwirtschaft wohlvertraut. Er sah die Chancen, die der Einsatz von Dünge- und Futtermitteln verhieß. Zugleich war ihm schmerzlich bewusst, dass es an fundierten praktischen Erfahrungen noch mangelte. Es fehlte bis dato der groß angelegte Freilandversuch, der die empirische Grundlage für einen
planmäßigen Einsatz von Mineraldünger mit vorhersehbaren Resultaten hätte abgeben können.
Das änderte sich, als König 1871 Gründungsdirektor der „Landwirtschaftlichen Versuchsstation Westphale-Lippe“ wurde. Träger
und Nutznießer der Einrichtung war der Landwirtschaftliche Provinzialverein, aus dem später die Landwirtschaftskammer hervorging. Für die darin organisierten Landwirte ermittelte König den
Nährstoffbedarf der Ackerböden und führte Versuche durch, wie
sich Brachland und Moorböden wirkungsvoll kultivieren ließen.
„Damals schon bot König auch privaten Auftraggebern seine analytischen Fähigkeiten zu einem bestimmten Tarif an“, weiß Dirk
Wilke. Der Weg zum klassischen Auftragslabor war allerdings noch
weit. König etablierte die Untersuchung und Kontrolle von Boden, Futter- und Düngemitteln, Saatgut und Wasser, und an diesem Spektrum änderte sich bis Anfang des Zweiten Weltkrieges
nichts. Während der Kriegsjahre waren die Aktivitäten des Instituts stark eingeschränkt. Die Landwirtschaftliche Versuchsstation
wurde schließlich sogar geschlossen, 1945 aber, kurz nach Kriegsende, als LUFA wiederbelebt.
Das Institut knüpfte in der Folgezeit an die Kernkompetenz
der einstigen Versuchsstation an. In den 70er Jahren bescherten
dann die boomende Verkehrsentwicklung und die dadurch ver-
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ursachte Umweltbelastung der analytischen Chemie neue Perspektiven. Agrarproben sollten auf mögliche Schadstoffe, vor allem Schwermetalle, untersucht werden. Trinkwasserproben wurden auf Kontaminationen überprüft. Recycling war nicht mehr nur
in aller Munde, wurde auch zunehmend praktiziert, sodass zusätzlich Sekundärrohstoffe auf schädliche Rückstände zu untersuchen
waren. „Dank der zunehmenden Technisierung unserer Laboratorien waren wir als LUFA in der Lage, den Probendurchsatz zu steigern und deutlich mehr Aufträge abzuwickeln. Die Automatisierung von Arbeitsabläufen, die Einführung leistungsfähiger, rechnerunterstützter Laborsysteme taten das Ihrige dazu, die Effizienz
des Labors zu steigern“, erinnert sich Wilke.
Trotzdem geriet die LUFA stark unter Wettbewerbsdruck, denn
das analytische Potenzial der Landwirtschaft rief konkurrierende Labore auf den Plan, die ihr Stück vom Kuchen abhaben wollten. Kompetenz allein genügte nicht mehr, Nachfrage zu induzieren und mit ausreichend Aufträgen bedacht zu werden. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben“, rechtfertigt Wilke, „blieb nichts anderes
übrig, als kleinere von uns betriebene Labore zu schließen und zusammenzufassen, was nach der Jahrtausendwende hier in Münster geschah. Zu dieser Zeit hatte GERSTEL die Gelegenheit, sich
in unserem Institut vorzustellen.“
Die LUFA löste den Laborbereich am Standort Bonn auf. Das
technische Equipment wurde nach Münster gebracht und dort installiert. „Beim Ab- und Aufbau der Gas- und Flüssigchromatigraphen, die teilweise mit GERSTEL-Geräten und -Systemen aufgerüstet waren, zeigten die Mülheimer großes Engagement“, lobt Wilke.
„Wir kamen ins Gespräch, diskutierten unseren künftigen Bedarf
und über die Vorteile, Analysensysteme aus einer Hand zu erhalten.“ Attraktiv erschien der LUFA-Leitung auch, sich ausschließlich auf eine einzige, anwenderfreundliche Steuersoftware einzuschießen, nämlich die MAESTRO-Software von GERSTEL, die in
die ChemStation von Agilent Technologies eingebunden ist.
Derzeit laufen an der LUFA Projekte zum Nachweis von Pestiziden und von Mykotoxinen mittels der automatisierten Festphasenextraktion von GERSTEL. Damit geht für die LUFA auch in Zeiten
agrarischer Überproduktion die Rechnung eines Joseph König auf,
die Arbeit im Labor in den Dienst der Agrochemie zu stellen: Wer
die Aufgaben der Gegenwart annimmt und sich innovativen Methoden nicht verschließt, trägt Tradition nicht als Bürde, sondern
als wertvolle Mitgift mit sich, die hilft, die Zukunft zu meistern.
„Zukunft braucht Herkunft“, schrieb schon der Philosoph Ernst
Bloch allen vernunftbegabten Wesen ins Stammbuch.
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Mit den Aufgaben wächst der Bedarf an adäquaten Analysegeräten und -systemen.
GERSTEL-Vertriebsrepräsentant Markus Funcke (re.) bespricht mit Laborleiter
Patrick Bussmann (M.) und Mitarbeiter Sebastian Köckling das Anforderungsprofil
künftiger LC-Anwendungen.
„Schafskopf“ und Jahrhundertgenie
Justus von Liebig wurde als Sohn
eines Drogisten und Farbenhändlers
in Darmstadt geboren. Das Umfeld
im väterlichen Betrieb stimulierte
seine Neigung zur Chemie wohl
ebenso wie die Faszination chemischer Experimente, die Schausteller
auf den Jahrmärkten vorführten.
Das Gymnasium beendete
Liebig bereits in der Untersekunda, wohl auf Drängen
eines Lehrers, der wenig von
intellektuellen Fähigkeiten
hielt: „Du bist ein Schafskopf! Bei dir reicht es nicht mal zum
Apothekerlehrling.“
Tatsächlich brach Liebig eine Apothekerlehre in Heppenheim vorzeitig ab. Er kehrte nach Darmstadt zurück und
half seinem Vater in der Werkstatt. Nebenher besuchte er
oft die großherzogliche Bibliothek und bildetet sich mehr
oder weniger autodidaktisch in Chemie fort.
Dem Vater blieb das Interesse seines Sohnes nicht
verborgen. Durch seine Vermittlung begann Justus im
Herbst 1819 ein Chemiestudium in Bonn bei Karl Wilhelm
Gottlob Kastner, der sein Talent erkannte und ihn als
Assistenten in seinem Labor beschäftigte. Liebig promovierte bei Kastner: „Über das Verhältnis der Mineralchemie
zur Pflanzenchemie“. Nach Aufenthalten an der Pariser
Universität Sorbonne kehrte er nach Deutschland zurück,
wo der Naturforscher Alexander von Humboldt auf ihn
aufmerksam wurde. Auf Grund von Humboldts Empfehlung an den hessischen Großherzog wurde der damals erst
21-jährige Liebig im Mai 1824 außerordentlicher Professor
für Chemie und Pharmazie an der Universität Gießen, ein
Jahr später wurde er ordentlicher Professor.
Seine Lehrmethode, seine Entdeckungen und Schriften
machten Liebig bald in ganz Europa bekannt und berühmt
mit der Folge, dass neben vielen Deutschen auch zahlreiche Ausländer, darunter 84 Engländer und 18 Amerikaner, nach Gießen kamen, um seine Vorlesungen über
Chemie und Pharmazie zu hören. 1845 wurde Liebig für
seine Verdienste mit dem Titel Freiherr geadelt.
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Abbildungen: Wikipedia
GERSTEL-Service-Technikerin Gudrun Bölck beschreibt Laborleiter Patrick
Bussmann eine neue Funktion des MultiPurposeSamplers (MPS).

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