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Texte zur Medienpädagogik Niedersächsisches Landesverwaltungsamt Landesmedienstelle - Horst Heidtmann Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren aktuelle Entwicklungen, Tendenzen und Probleme Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren Horst Heidtmann Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren aktuelle Entwicklungen, Tendenzen und Probleme1 Mediatisierung der Gesellschaft Medienangebote und Mediennutzung haben sich in wenigen Jahrzehnten grundlegend verändert. Für Kinder in den 50er Jahren waren die gedruckten Medien die attraktivsten und oft auch die einzigen regelmäßig nutzbaren. Zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten gehörte noch 1953 "Aus dem Fenster sehen".2 Wer in den 60er Jahren geboren wird, hat dann im Fernsehapparat schon einen täglichen, doch nur zu sehr begrenzten Zeiten verfügbaren Begleiter der Kindheit. Die in den 80er Jahren Geborenen wachsen in einer multimedial geprägten Umwelt auf. In praktisch allen Haushalten sind heute Fernseh- wie Audiogeräte mehrfach vorhanden. Nach der Einführung privaten Fernsehens liefern seit 1983 immer mehr Kanäle rund um die Uhr Programme zur freien Wahl. Wir nutzen heute für die gesellschaftliche Kommunikation vorrangig die audiovisuellen und elektronischen Medien. Daten und Informationen, Geschichten und Unterhaltungsprogramme lassen sich damit problemlos an jedem Ort zu beliebiger Zeit verfügbar machen. Immer neue Medien sind zur Aufrechterhaltung komplexer Kommunikationsstrukturen, sind für das Funktionieren von Politik, Wirtschaft und Kultur notwendig. Auch für die Bewußtseins- und Meinungsbildung sind die Printmedien längst nicht mehr die Leitmedien. Rezeption und Wirkung von AV-Medien Die neuen Medien übermitteln ihre Botschaften vor allem in Bildern und gesprochener Sprache. Sie sind dadurch für Kinder wesentlich leichter verständlich als die geschriebene, durch Zeichen verschlüsselte Sprache, die erst im Kopf des Lesers, durch seine Phantasie in Bilder umgeformt wird. AV-Medien im engeren Sinne (Film, Fernsehen, Video) wirken realistischer, authentischer als Printmedien, ihre Botschaften werden über die gleichen Sinnesempfindungen, nämlich durch Auge und Ohr, wahrgenommen wie die reale Umwelt auch. Der (nicht zu krasse) Wechsel von optischen und akustischen Reizen wird vom Rezipienten als angenehm empfunden, ein breites Angebot unterhaltungsorientierter Inhalte verstärkt entsprechende Lustgefühle. Durch die gewachsene Programmvielfalt finden auch Kinder jederzeit Angebote, die mit ihren aktuellen Interessen und Stimmungen korrespondieren. Dank Audio- und Videorecordern sind ausgewählte Pro- gramme beliebig oft wiederholbar, durch Watchman, Walkman, Discman stehen sie praktisch jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung. Da gemeinsames Lesen oder Vorlesen in den Familien heute kaum noch stattfindet, Bücher individuell, vereinzelt, zurückgezogen rezipiert werden, zeichnet sich die AV-Medienrezeption durch eine im Vergleich zur Lektüre hohe soziale Komponente aus: Oft finden Familien nur noch vor dem Fernseher zusammen, entstehen Gespräche durch bzw. über das Fernsehen. Kino- und Videofilme werden von den Heranwachsenden bevorzugt im Kreis von Gleichaltrigen rezipiert und kommentiert.3 Die Nutzung von AV-Medien kann eher beiläufig stattfinden, sie erlaubt Sekundärtätigkeiten. Kinder und Jugendliche verrichten beim Fernsehen, beim Rundfunk- und Kassettenhören weitere Tätigkeiten, sie können gleichzeitig mehrere Medien nebeneinander nutzen, können durch die Bündelung von Reizen den Lustgewinn weiter steigern. Kinderkultur heute: Serienbildung, Medienverbund, Internationalisierung4 Worum sich die Konsumgüterindustrie durch Markenprodukte bemüht, nämlich wiederkehrende, regelmäßige Käufer zu gewinnen, deren Erwartungen dann vom Produkt wiederholt bestätigt werden, das versuchen die Medienanbieter durch Serienbildung zu bewirken. Die Fernsehsender bieten an jedem Werktag etwa 80 Serienfolgen. Obwohl die einzelnen Folgen immer wieder gleichbleibende Bilder, Motive und Figuren variieren, kommen sie offenkundig Bedürfnissen bei jungen wie erwachsenen Zuschauern entgegen.5 Serien sind auf Überschaubarkeit angelegt, Einzelepisoden sind klar, übersichtlich gegliedert. Das Gute siegt über das Böse. Biene Maja oder David Hasselhoff kommen am Schluß unbeschadet aus allen noch so gefährlichen Abenteuern heraus. Gewinne lassen sich durch die multimediale Verwertung von Figuren, Geschichten, Requisiten steigern, die im Idealfall alle Sinnesempfindungen anspricht: - Sehsinn, über Film/ Fernsehen/ Video/ Comics/ Bilder auf Gebrauchsgegenständen; - Hörsinn, über Tonkassetten/ Schallplatten/ CDs; - Tastsinn, über Figuren/ Spielzeug/ Kleidung; - Geschmackssinn, über Fruchtgummi/ Speiseeisfiguren; - Geruchssinn, über parfümierte Figuren; Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren - Gedächtnis, über Computer- und Videospiele, Bücher. Diese multimediale Verwertung weitet sich immer mehr aus. Spezialisierte Merchandising-Agenturen übernehmen von Verlagen, Autoren, Filmproduzenten die Urheberrechte, verkaufen Reproduktionsrechte an Comicoder Spielzeughersteller. Führende "Agentur für Urheber-Nebenrechte" ist in der BRD die zur Leo KirchGruppe gehörende "Merchandising München", die u.a. die Rechte an ALF, Batman, Bugs Bunny, Garfield, an Game Shows und Schauspielern (z.B. David Hasselhoff) hält. Film- und Fernsehproduktionen der USA dominieren den Weltmarkt, dominieren auch die multinationalen Medienverbundsysteme für Kinder. Die amerikanischen Serien vermitteln in aller Welt die politischen Normen und kulturellen Werte des Herstellungslandes. Diese Internationalisierung (oder überwiegend auch Amerikanisierung) führt zum Verlust nationaler und regionaler kultureller Identitäten, Traditionen, führt zu weltweiter Nivellierung der Kinder- und Jugendkultur. Neuere Marktforschungsstudien6 gehen davon aus, daß vor allem durch die europaweit rezipierten Jugendprogramme des Satellitenfernsehens (MTV) die "jungen Leute der neunziger Jahre, die Eurokids" übernational zu einem "einheitlichen Marktpotential" verschmolzen werden. Vermischung von Stoffen, Motiven, Genres Kultureller Nivellierung leisten Medienverbundsysteme dadurch Vorschub, daß sie die gesamte Populärkultur plündern, daß sie Versatzstücke aus unterschiedlichen Genres, Kulturkreisen und Zeitaltern nehmen. Die 'großen' Hollywoodfilme von Steven Spielberg und Georg Lucas nähern sich formal eher dem Märchen als der eigentlich realistischeren Abenteuergeschichte, sie sind zudem durch die Vielzahl eingearbeiteter Muster nicht mehr auf ein Genre zu beschränken. Lucas1 Film "Krieg der Sterne" läßt in einem simplen Märchenschema einen jugendlichen Haupthelden agieren, der dem Bild eines Popstars entspricht; sein Mitstreiter gleicht einem 'edlen' Westernhelden; ein 'Schneewittchen-Verschnitt' als Prinzessin ist zu retten; ein Asterix und Obelix (oder Laurel und Hardy) nachempfundenes Androidengespann sorgt für Komik. Die Handlung zitiert - technisch-futuristisch aufbereitet - vor allem Kampfszenen aus Western, Kriegs- sowie Mantel-undDegen-Filmen. Lucas' Erfolgsrezepte werden von den Schöpfern anderer Verbundsysteme fast bis ins Detail kopiert ("Masters of the Universe"). Selbst Vorschulmagazine wie die "Sesamstraße" verfahren ähnlich. Stellenwert, Nutzung, Perspektiven der einzelnen Medien 1. Kinder- und Jugendbücher 1.1. Marktentwicklungen Zur aktuellen Printmediennutzung liegen divergierende Angaben vor, doch eindeutig ist, daß immer größere Teile der Bevölkerung (wohl mehr als 50 Prozent) keine belletristische Literatur mehr lesen. Auch bei Kindern und Jugendlichen "hat sich der Stellenwert des Buchlesens verringert, und zwar sowohl bezüglich der Reichweite als auch bezüglich der Dauer".7 Mehr als die Hälfte der Schüler hat gegenwärtig "am Ende der Pflichtschulzeit keine stabile Beziehung zum Medium Buch aufgebaut".8 1992 sind (It. Börsenverein des Deutschen Buchhandels) insgesamt 4.780 Titel erschienen, die sich der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) zuordnen lassen (davon 3.224 als Erstauflagen). An der gesamten Titelproduktion erreicht die KJL damit einen Anteil von rund sieben Prozent. Nach Branchenschätzungen dürfte bei der Zahl der jährlichen Novitäten der Gipfelpunkt überschritten sein, für die KJL zeichnen sich - wie für den gesamten Buchmarkt - Titelreduzierungen ab.9 Branchenmagazine haben bereits im Verlauf des Jahres 1992 mehrfach Umsatzeinbrüche für die KJL beklagt, die dann im Weihnachtsgeschäft offenkundig wieder aufgefangen werden konnten. Die Anzahl der Kinderbuchkäufer ist derzeit noch nicht signifikant rückläufig, aber von zwei Dritteln aller deutschen Haushalte wird kein einziges Kinderbuch im Jahr gekauft! 1992 kauften in den alten Bundesländern lediglich 28 Prozent aller Haushalte ein Kinderbuch (oder mehr), in den neuen Bundesländern (wo der Kinderanteil höher liegt) waren es 35 Prozent der Haushalte. Das Auftreten jugendlicher Käufer ist marginal (liegt in den neuen Bundesländern etwas höher). Fast ausschließlich Erwachsene kaufen Kinderbücher für zumeist eigene oder verwandte Kinder und Jugendliche. Mit steigender Bildung und wachsendem Haushaltseinkommen erhöht sich auch überproportional die Bereitschaft, mehr Geld für Kinderbücher auszugeben. Die Verlagsprogramme der größeren Verlage konzentrieren sich seit Jahren auf Klein- und Vorschulkinder sowie das frühe Grundschulalter. Programme und Reihen sind für die Umsatzhitlisten unerheblich. Zwischen den traditionellen Segmenten des Kinderbuchmarktes lassen sich deutlich Akzentverlagerungen erkennen. Die tradierten Unterhaltungsgenres (Abenteuer, Krimi, Science Fiction) sind stark rückläufig; Sachbücher und Sachbilderbücher legen zu10, märchenhafte Stoffe, die aus anderen Medien übernommen werden, erreichen überproportionales Umsatzwachstum. Mit zunehmender Mediatisierung der Kinderkultur übernehmen Kinderbücher seit den 70er Jahren in immer größerem Umfange Stoffe und Figuren aus anderen Medien, vor allem Film und Fernsehen. Auf die dauerhaftesten Erfolge (und entsprechende Umsätze) mit medialen Verbünden kann die Disney Company verweisen, die Buchrechte in der BRD bislang -einmalig wie längerfristig - an verschiedene Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren ■ lizenznehmende Verlage vergeben hat.11 Seit dem 1.7.92 hat der Schneider Verlag exklusiv die DisneyRechte für den deutschsprachigen Kinderbuchmarkt übernommen, hat Bücher zu älteren Disney-Filmen in Neuauflagen zwischen 50.000 und 100.000 Exemplaren herausgebracht und allein vom Band "Die Schöne und das Biest" (zum Weihnachtsfilm 1992) innerhalb eines guten halben Jahres 300.000 Stück abgesetzt.12 Dank der Disney-Rechte ist der Schneider-Umsatz 1992 (besonders im letzten Quartal) um insgesamt 20 Prozent gestiegen, Schneider seit Dezember 1992 Marktführer bei den Verkäufen an Privathaushalte. Franz Schneider fächert diesen Erfolg gegenwärtig weiter auf, liefert in unterschiedlichen Preiskategorien im Herbst 93 vier verschiedene Ausgaben zu "Aladdin", vermarktet Disney-Filmstoffe im teuren Albenformat wie in einer niedrigpreisigen "Mini-Bibliothek"13. Der Zwang zur seriellen Produktion in den AVMedien fördert auch die Serienproduktion im Kinder-und Jugendbuchbereich. Die vom ersten Band seiner "Knickerbockerbande" ausgelösten Erwartungen bestätigt der Österreicher Thomas Brezina den jungen Lesern in den folgenden so gleichbleibend markengerecht, daß er weitere Serien nachreichen darf ("BrontiSuper-Saurier")1.2. Funktionswandel der KJL Die Funktionen des Kinder- und Jugendbuches haben sich kontinuierlich verändert. Durch die neuen und vervielfachten Medienangebote ändert sich die Mediennutzung auch qualitativ. Unterhaltungsbedürfnisse, die in den 60er und 70er Jahren noch überwiegend von genregebundener Unterhaltungsliteratur befriedigt worden sind, haben sich heute auf entsprechende Fernsehserien verlagert. Die Wünsche von Kindern und Jugendlichen nach Action, Spannung werden - wie die neuere Leserforschung übereinstimmend belegt - heute vorrangig durch Filme und Fernsehserien erfüllt, die den gleichen Stoff kompakter bieten, in weniger Zeit inten-, siver erlebbar machen. Die filmischen Medien wecken - auch bei jungen Zuschauern - eher Informationsbedürfnisse als daß sie diese befriedigen. Für Kinder werden Printmedien durch die spezifische Art der Informationsaufbereitung und die entsprechenden Rezeptionsmöglichkeiten - als Informationsvermittler immer wichtiger. Bei Umfragen unter Jugendlichen nennen mehr als zwei Drittel Bücher als das beste und wichtigste Medium für die Weiterbildung, die Hälfte hält Bücher für besonders gut geeignet, um sich über ein Thema gründlicher zu informieren.14 Für Männer sind generell - im Gegensatz zu Frauen "kognitive und informatorische Lesebedürfnisse" vorrangiger Grund, ein Buch in die Hand zu nehmen.15 Mit zunehmender Zahl von Fernsehsendern, und wohl auch im Zusammenhang mit der Verflachung der Programme und der Dominanz des Unterhaltenden, verliert das Fernsehen derzeit seine Bedeutung als Informa- tionsvermittler an die Printmedien. Diese Tendenz wird sich, nach Erhebungen des Londoner Marktforschungsinstituts Euromonitor, fortsetzen; bereits jetzt erreicht Non-Fiction weltweit auf den meisten nationalen Buchmärkten einen Umsatzanteil von 80%.16 Auch für den deutschen Kinder- und Jugendbuchmarkt gilt das Sachbuch mit derzeit 20% Marktanteil als zukunftsträchtiges Marktsegment.17 Steigen wird auch die Bedeutung des Buches als spezifischer Bestandteil von medialen Verbundsystemen. So konnte 1993 allein der Kölner vgs-Verlag von 10 Bänden zur "Beverly Hills 90 210"-TV-Serie zwei Millionen Stück, vorrangig an die Altersgruppe der Zehn- bis Fünfzehnjährigen, verkaufen. Kinder und Jugendliche schätzen es (wie viele Erwachsene), durch erzählende Literatur Erlebnisse zu wiederholen, in spezifischer Weise noch einmal nachvollziehen zu können, die sich bereits vorher in Filmen, Fernsehserien oder Computerspielen als Medienereignis realisiert haben. Durch die Lektüre - in produktiver Einsamkeit, Selbstversunkenheit - kann das Kind anders als beim Film seine Phantasie schweifen lassen oder sich mit Figuren identifizieren. Die Marktführer sowie alle vorwiegend auf Nichtbuchhandelsschienen verkaufenden Verlage haben auf diesen Trend bereits reagiert. Das Buch als Ergänzung zum Film oder zur Femsehserie dürfte somit zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen. Beibehalten wird das Kinderbuch unterhaltende Funktionen (die sich mit der Funktion des Nacherlebens von Medienereignissen überschneiden können). Insbesondere einfache Formen der Unterhaltung bleiben bedeutsam, die aber nur einen geringen Zeit- und Lektüreaufwand erfordern dürfen (also keine voluminöse Abenteuerprosa oder Entwicklungsromane), die Erwartungen nach vertrauten Bildern bestätigen, die nicht verunsichern, die möglichst beliebige Ein- und Ausstiege ermöglichen sollten. Vor allem Mädchen nutzen eskapistische Funktionen literarischer Unterhaltung, erwarten Ansprache emotionaler und affektiver Bedürfnisse.18 Wenngleich die Lektüreinteressen von älteren Kindern und Jugendlichen außerordentlich vielfältig sind,19 dürfte der Kreis junger Leser, der von der erzählenden KJL Belehrung über ethische und soziale Probleme erwartet, zunehmend kleiner werden. So ist das Kinder- und Jugendbuch zukünftig vor allem als ein spezifisches Segment einer multimedial strukturierten Kinderkultur zu begreifen. Diese Kinderkultur verzahnt sich zudem immer enger mit der gesamten Popularkultur. Produktion wie Vermittlung von KJL müssen von dieser Einbindung ausgehen. 2. Kindercomics Comics gehören weltweit zu den populärsten Formen von Literatur, in Deutschland sind sie gleichzeitig die meist diffamierte. Sie wird von tradierter Literatur- und Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren Medienpädagogik bis in die Gegenwart hinein als jugendgefährdende "Analphabetenliteratur" abgelehnt. Nachdem die Comics in den 70er Jahren das "Ghetto" der Kinder- und Jugendlektüre verlassen, Genrestereotypen überwunden haben, muß man heute davon ausgehen, daß Comics kein "Phänomen" mehr sind, aber auch kein eigenes Medium, sondern eine spezifische Form von Literatur, nämlich die "Literaturform der gezeichneten Bilderfolge", die durch unterschiedliche Trägermedien, nämlich Hefte, Alben, Bücher, Zeitungsseiten, vermittelt wird.20 Nach Branchenschätzungen gibt es derzeit jährlich etwa 400 bis 600 Novitäten allein in Albenform, etwas weniger im Taschenbuch. Der Titelanteil der Heftserien ist gesunken; für den Kinder-Comic ist das, billigere, Heft aber weiterhin wichtigstes Trägermedium. Der Comic-Vertrieb läuft über zwei Schienen: für die teureren Alben und die Bücher für ältere Leser über den allgemeinen Buchhandel und Comic-Spezialgeschäfte, für die Heft-Serien, für Alben und Taschenbücher in Massenauflagen, für alle auflagenstärkeren KinderComics also, über das Presse-Grosso, über Kiosk, Supermarkt, Kaufhaus. Etwa 90 Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Comic-Produktion, und damit weitgehend den Kinder-Comic-Sektor, teilen sich derzeit drei Verlagsgruppen, der verbleibende Rest entfällt auf die Vielzahl der für den Buchhandel produzierenden Verlage. Größter Comicanbieter Deutschlands ist der Stuttgarter Ehapa Verlag, dessen marktführende "Micky Maus" nach der Wiedervereinigung noch an Auflage zugelegt hat. Ehapa erreicht mit etlichen, wöchentlich oder vierzehntägig ausgelieferten Serien Auflagen zwischen 300.000 und 700.000 Exemplaren. Zweitgrößter Kinder-Comicanbieter ist der Hamburger Heinrich Bauer-Konzern, mit den Töchtern Pabel-Moewig, Condor-Gruppe und Compart; ebenfalls mit Auflagen von weit über 100.000. An dritter Stelle liegt der Rastatter Bastei Verlag, vorrangig mit Gruselund Mädchen-Comics. Alle drei Verlage setzen auch Taschenbücher und Alben-Reihen, die nicht regelmäßig erscheinen, über Grosso-Vertrieb ab, ebenfalls vorrangig für junge Leser. Dauerbestseller Ehapas sind "Asterix", von dem die letzten Bände mit Erstauflagen zwischen zwei und drei Millionen auf den Markt gebracht wurden (mehr als im Ursprungsland), sowie "Lucky Luke". Von den über den Buchhandel vertreibenden ComicVerlagen ist der 1953 in Hamburg (für die dänische Kinderserie "Petzi") gegründete Carlsen Verlag heute Marktführer, erreicht Auflagen von 100.000 aber nur längerfristig mit Einzelserien; aktuelle Bestseller sind die "Marsupilami"-Reihen, Dauerbestseller Herges "Tim und Struppi". Massenauflagen erreichen noch die kostenlosen Comic-Werbezeitschriften, die sich an Form und Inhalt erfolgreicher kommerzieller Comics orientieren (z.B. "Knax" oder "Lurchi"). Etwa 90 Prozent aller Kinder lesen Comics, zumindest gelegentlich, Jungen häufiger als Mädchen. Für etwa 20 Prozent der Grundschüler sind sie die bevorzugte Lektüre. Sechs- bis Dreizehnjährige geben für Comics mehr Geld aus als für andere Printmedien oder Tonträger. Die Gruppe der Sechs- bis Neunjährigen nutzt Comics sogar zeitaufwendiger als Bücher. Mit zunehmendem Alter läßt bei den Kindern das Interesse an der Comiclektüre nach. Vielleser von Comics nutzen überdurchschnittlich das Fernsehen. Comics haben eine wesentliche Funktion ihrer Frühzeit, die - möglichst humoristische, possenhafte Kinderbelustigung bis heute beibehalten. Action- und Superhelden-Comics, die bis in die 70er Jahre das Bild des Marktes bestimmten, stoßen heute bei Kindern und Jugendlichen nur noch auf geringes Interesse und werden in Zukunft allenfalls "eine verschwindend geringe Rolle spielen."21 Früher als andere Kindheitsmedien sind Comics in mediale Verbundsysteme integriert worden und sind heute nachhaltiger von diesen abhängig. Bereits in den 60er Jahren entlehnen etliche Kindercomics ihre Stoffe aus TV-Serien und Hollywoodfilmen. Die Popularität von Trickfilmserien in den Vorabendprogrammen führt zu der - prinzipiell unkomplizierten - Übernahme dieser Serien ins ComicHeft ("Schweinchen Dick"), was Massen von Kindern Wiederholung, Nachvollziehen ermöglicht. Der 1972 gegründete Condor Verlag prosperiert durch die von US-Medienkonzernen übernommenen Serienrechte. Das Bastei-Comic-Programm verändert sich entscheidend, nachdem sich der Verlag die Rechte an den wichtigsten Trickserien des Kinderfernsehens sichern kann ("Biene Maja", "Heidi"). Durch den Verbund mit Fernsehserien sind Kindercomics zu einem "rasch verschleißenden Konsumartikel" geworden: Wenn die Serie im Ausgangsmedium eingestellt wird, läßt sie sich auch gedruckt nicht mehr vermarkten; oder umgekehrt: Das Comic-Programm eines Massenheft-Verlages ist von den Vorgaben in anderen Massenmedien abhängig. Die Comic-Figur ist nicht mehr, wie bei "Mecki" oder "Asterix", selbst Basis eines medialen Verbundes. , Seit Beginn der 90er Jahre orientiert sich der ComicMarkt stark an den Vorgaben der führenden Spielzeugkonzerne, die für ihre Figurenensembles einen 'Geschichtenhintergrund' benötigen. Comic-Projekte haben heute oft nur noch "eine Lebensdauer von 36 Monaten." 3. Kinderzeitschriften Verändert hat sich bereits in den 70er und 80er Jahren das Angebot an kommerziellen Kinderzeitschriften, die mittlerweile vorrangig ebenfalls im Medienverbund vermarktet werden: "Sesamstrasse" durch die gleichnamige Vorschulfemsehserie, "Goldbärchen" mit Tonträgern, "Dumbo" mit Disney-Figuren. Seit Jahrzehnten ungebrochen ist die Nachfrage nach der 'Teenagerzeitschrift' "Bravo", die immer jüngere (zehn- bis zwölfjährige) Leserinnen erreicht, der spezifische, ebenso Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren konsumorientierte Folgeproduktionen für jüngere Mädchen nachgeschickt worden sind: "Bravo Girl", "Mädchen" und neuerdings "Minnie".22 Eine intensiv genutzte, spezifische Form der Kinderpresse sind die Kinderseiten in Publikumszeitschriften, die sich im "Stern" wie in der "ADAC Motor-Welt", in "Brigitte" wie "Emma" finden, meist standardisierte Unterhaltungs- und Beschäftigungsangebote, teils mit dem spezifischen Thema der jeweiligen Zeitschrift. Überhaupt muß sich die intentionale Kinder- und Jugendpresse gegen eine starke Konkurrenz der Publikumszeitschriften behaupten: Die von Mädchen zwischen sechs und siebzehn Jahren meistgenutzten Zeitschriften waren in den vergangenen Jahren (in dieser Reihenfolge): "Bravo", "Gong", "TV", "Brigitte", bei Jungen "Bravo", "Gong", "ADAC-Motor-Welt", "Hör zu".23 Zeitschriften werden von Kindern wie Jugendlichen einesteils zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib genutzt, andererseits aber stärker noch als andere Medien zur Vermittlung von Informationen, von Wissen. Junge Leser schätzen an Zeitschriften besonders kurz und überschaubar aufbereitete Informationen, die sich in entsprechend kurzen Lektüreeinheiten und mit geringem Lektüreaufwand rezipieren lassen.24 Die Bedeutung der Kinder- und Jugendzeitschriften dürfte in den kommenden Jahren weiter zulegen, da die werbetreibende Industrie diese zunehmend als Medium für eine besonders zielgruppengerechte Konsumgüterwerbung entdeckt. So sind in den USA seit 1989 eine Vielzahl neuer Kinderzeitschriften auf den Markt gekommen, die sich an Kinder verschiedener Altersgruppen sowie an Familien mit Kindern wenden.25 4. Fernsehen Praktisch alle bundesdeutschen Haushalte verfügen über mindestens ein Fernsehgerät. Mehr als die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von 15 Jahren besitzt allein (oder zusammen mit Geschwistern) einen eigenen Empfänger. Über 80 Prozent der Bevölkerung sieht täglich fern, im Durchschnitt etwa drei Stunden, verkabelte und verschlüsselte Haushalte nutzen das Fernsehen zeitaufwendiger. Kinder beginnen etwa im Alter von sechs Monaten vor dem Fernsehschirm auf Variationen von Bild- und Tonmaterial zu reagieren, im Alter von zwei oder drei Jahren setzt "gerichtetes und absichtsvolles Zuschauen" ein.26 Kinder lernen heute also das Fernsehen mehrere Jahre vordem Lesen. Mit wachsender Zahl verfügbarer TV-Programme wird das Fernsehen zu einem immer gewichtigeren Sozialisationsfaktor. In den USA, wo die Mediatisierung der Kindheit am weitesten vorangeschritten sein dürfte, verbringen Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren bereits Mitte der 80er Jahre durchschnittlich vier Stunden vor dem Fernsehapparat. Damit werden Mediennutzungspräferenzen geprägt, die sich in späteren Jahren mit dem Erwerb der Lesefähigkeit nur selten ändern. Die Zulassung privater Fernsehkanäle im Jahre 1983 hat zu einschneidenden Veränderungen in der gesamten Medienlandschaft geführt. Mit der wachsenden Zahl von Fernsehprogrammen rund um die Uhr verliert das Fernsehen als Medium jedoch gleichzeitig an Bedeutung, an Glaubwürdigkeit und an Aufmerksamkeitswert. So läuft in einem Durchschnittshaushalt der Fernsehapparat heute etwa sechs Stunden täglich, die Normalzuschauer verlassen während des eingestellten Programms jedoch immer öfter den Raum, sehen immer seltener Programme vollständig an. Zwei Drittel der Zuschauer von Spielfilmen und TV-Serien sind gleichzeitig mit anderen Tätigkeiten beschäftigt.27 Für etwa 95 Prozent der Kinder bis zum Alter von 14 Jahren ist Fernsehen die liebste Freizeitaktivität, noch vor Freunde besuchen. Im frühen Jugendalter beginnt das Interesse am Fernsehen zu sinken, bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren ist es am geringsten. Junge Erwachsene und Jugendliche widmen einen größeren Teil ihrer Freizeit anderen Medien und Außer-Haus-Aktivitäten. Am meisten Zeit verbringt die Altersgruppe der über 60jährigen vor dem Bildschirm. Für Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter ist das Fernsehen heute der wichtigste, oft einzige Geschichtenerzähler. Kinder und Jugendliche dürften gegenwärtig 100 bis 200 Spielfilme jährlich sehen, dazu kommt eine meist noch größere Zahl von Serienepisoden. Nur noch ein Bruchteil der von den Kindern rezipierten Geschichten erreicht diese durch die Lektüre von Büchern. In der letzten Zeit haben die privaten Fernsehsender die öffentlich-rechtlichen in der Gunst von Kindern und Jugendlichen deutlich überholt. Bei den Sechs- bis Dreizehnjährigen erreichen im Mai 1993 die meistgenutzten TV-Sender folgende Anteile28: RTL plus PRO 7 ARD SAT1 RTL 2 - 27% -17,5% - 12% - knapp 12% - 5% (ein Monat nach Auch die Nutzungspräferenzen haben sich deutlich verlagert. In den TV-Hitlisten fehlen die pädagogisch ambitionierten Vorschul- und Grundschulkinderprogramme völlig. In der Gunst der Sechs- bis Neunjährigen liegen zwar Trickfilmprogramme weiterhin mit vorn, aber Micky Maus, Asterix und die Feuersteins sind Figuren, die sich gleichzeitig an ein älteres Publikum wenden. Es dominieren bei den Kindern gegenwärtig Familienserien, vor allem Sitcoms: 'Abräumer1 ist die "Bill Cosby Show", gefolgt von "Unser lautes Heim" (beide bei PRO 7), erst danach kommt der "Disney Club". Bei den Zehn- bis Dreizehnjährigen bestehen ebenfalls Präferenzen für Familienserien und Sitcoms, Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren daneben für Unterhaltungsshows und für Reality-TV; am meisten eingeschaltet werden: "Beverly Hills 90 210", "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Explosiv", "Verstehen Sie Spaß?". Kinder nehmen also immer weniger die Programmangebote des intentionalen Kinder- und Jugendfernsehens an. Die Mediennutzung von Kindern und Erwachsenen wird sich damit immer weiter annähern. Andererseits interessiert sich die große Mehrheit der Kinder wesentlich weniger für gewalt- und actionbetonte Programme als die einschlägigen Medienkritiker und viele Pädagogen befürchten. "Superhelden und starke Kämpfer sind 'out'."29 Die konventionell unterhaltenden Erwachsenenprogramme sind für Kinder genauso attraktiv wie für ihre Eltern. Und die intellektuellen Anforderungen von "Verstehen Sie Spaß?" sind nicht unbedingt höher als die der "Sendung mit der Maus". Mit zunehmender Zahl von Fernsehkanälen wird das Angebot an Spielfilmen und Serien weiter steigen. Dank neuer Übertragungstechnologien werden US-amerikanische Kabelfernsehanbieter in Kürze ihren Kunden zwischen 150 und 500 Kanäle anbieten können. Der Konsument wird also jederzeit aus hunderten von Filmen seinen Wunschtitel wählen können ("Pay-perView").30 Damit wird sich aber gleichzeitig die Relevanz des Mediums wie auch die einzelner Beiträge weiter reduzieren. "Wo früher Einschaltquoten von 70 Prozent erreicht werden konnten, gelten heute bereits 20 Prozent als Spitzenwerte."31 5. Video Bedingt durch das große Filmangebot im privaten Fernsehen (aber auch durch die Konkurrenz anderer Medien, z.B. Computer- und Videospiele) ist die Zahl der kommerziellen Videotheken rückläufig, hat sich innerhalb von drei Jahren um ein Viertel auf heute weniger als 7000 Verleihstätten reduziert. Das Gesamtangebot an bespielten Videokassetten wächst jedoch weiterhin. Derzeit dürften (einschließlich Importen und Lagerbeständen) etwa 20.000 verschiedene Titel als Video lieferbar sein (aktuelle Videoprogramm-Verzeichnisse listen etwa 16.000 Titel auf). Der Videomarkt strukturiert sich allerdings sichtbar um: Im Jahre 1993 gehört bereits mehr als die Hälfte aller Titel zum "Special Interest"- bzw. "Nonfiction"-Bereich. Zum anderen produzieren die Videohersteller in wachsendem Umfange Kassetten zum Verkauf an den Endverbraucher. Wurden vor wenigen Jahren hochpreisige Kassetten vor allem für den Verleih angeboten, so erreichte der Anteil von Kaufkassetten 1992 bereits 40 Prozent am Gesamtumsatz. Branchenschätzungen gehen davon aus, daß 1993 der Anteil auf über 50 Prozent steigen wird. Neben billiger Massenfilmware zu Preisen unter DM 10,- werden zunehmend klassische Werke der Filmkunst sowie die aktuellen, massenwirksamen Hollywoodfilme zu Preisen um oder unter DM 30,- angeboten. Die Niedrigpreiskaufkassette tritt somit direkt in Konkurrenz zu den Printmedien: Ein Kinderfilm oder Krimi ist auf Video z.T. billiger als ein entsprechendes Taschenbuch. Genres wie Action, Horror oder Erotik haben am Gesamtangebot stark an Bedeutung verloren. Meistgekauft sind die Spielfilmtitel, die gleichzeitig oder einige Jahre zuvor auch die meisten Zuschauer ins Kino lockten, also fast ausschließlich Filme, die sich vorrangig an Kinder und Jugendliche wenden oder für die ganze Familie geeignet sind. So verkauft die DisneyTochter Buena Vista von ihren Videoproduktionen in der Regel Stückzahlen zwischen 500.000 und 2.000.000 Stück.32 Der Boom an Niedrigpreisvideos für Kinder geht u.a. zu Lasten des Verkaufs von Kinderhörspielserien. Die Haushaltsausstattung mit Videorecordern ist gewachsen, liegt bei über 50 Prozent, Nutzungshäufigkeit und Verweildauer sind jedoch rückläufig. Allerdings nutzen fünf bis zehn Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Video noch täglich, die Hälfte aller Jugendlichen zumindest ein- bis mehrmals wöchentlich.33 6. Kinofilm Aus Kindern und Jugendlichen rekrutiert sich hierzulande weitgehend das Kinopublikum: Nur noch zwei Prozent der Gesamtbevölkerung gehen wöchentlich mindestens einmal ins Kino, aber etwa sieben Prozent der Vierzehn- bis Zwanzigjährigen (und weniger als ein Prozent der über Fünfzigjährigen). Nachdem in den vergangenen Jahren die Kinozuschauerzahlen eher rückläufig und dann stagnierend waren, konnte die Kinobranche 1993 erstmals wieder erhebliche Umsatzsteigerungen verzeichnen. Private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender bieten zwar zusammen mehrere tausend Spielfilme im Jahr, doch auf "dem kleinen Bildschirm im Wohnzimmer..., zwischen Bücherwand und Zimmerpflanze" wirken Filmbilder so alltäglich, banal wie der Rest des häuslichen Ambientes.34 Das Ereigniskino hollywoodscher Provenienz wirkt auf der großen Leinwand stärker, emotional packender. Zudem sind die Filme nicht durch Werbeeinblendungen zerstückelt oder durch Schnitte den Vorgaben von Jugendschutz wie Programmschemata angepaßt worden. In den bundesdeutschen Kinos dominieren dementsprechend die aufwendig produzierten Hollywoodfilme, 1992/93 u.a. "Jurassic Park", "Aladdin", "Die Schöne und das Biest", "Demolition Man", Filme also, die sich vorrangig an ein juveniles Publikum wenden. Da zudem neugebaute 'Kinopaläste' wieder Großleinwände und neuartige Raumtontechnologien offerieren, dürfte die Attraktivität des 'Erlebnisraumes' Kino in den nächsten Jahren noch zulegen. Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren > 7. Hörfunk In den 90er Jahren zählt der Hörfunk wieder - nach einer Phase der "Hörmüdigkeit" in den 60er und 70ern -zu den meistgenutzten Medien in Deutschland. Mehr als 80 Prozent der Gesamtbevölkerung hören täglich Rundfunkprogramme; die Reichweite ist also nur unwesentlich geringer als die des Fernsehens. Mit etwa drei Stunden täglich (im Bevölkerungsmittel) werden Hörfunkprogramme genauso zeitaufwendig genutzt.35 Allerdings findet die Hörfunknutzung zum überwiegenden Teil nicht in der Freizeit statt. Kinder hören, nicht zuletzt deshalb, deutlich weniger Rundfunkprogramme als Erwachsene im mittleren Lebensalter.36 Radioapparate sind in praktisch jedem Haushalt vorhanden, im Durchschnitt drei Geräte. Etwa zwei Drittel aller Kinder im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren verfügen (allein oder zusammen mit Geschwistem) über einen eigenen Rundfunkempfänger, in der Regel einen Radiorecorder. Somit könnten heute fast alle Kinder im Vorschulalter Rundfunkprogramme ohne nennenswerte Einschränkung nutzen. Doch die Rundfunkhörerforschung geht derzeit davon aus, daß von den unter Zwölfjährigen nicht einmal die Hälfte täglich Rundfunkprogramme hört, daß von den intentionalen Kinderprogrammen nur ein Prozent der Zielgruppe erreicht wird,37 daß dieser die Existenz von Kinderfunkprogrammen überwiegend (mit wachsender Tendenz) nicht bekannt ist.38 Im Verlauf der 80er Jahre entstehen im gesamten Bundesgebiet kommerzielle Rundfunkgesellschaften, die den ARD-Anstalten Teile der Stammhörerschaft abnehmen müssen, um die Programmkosten zu decken, um möglichst hohe Werbeeinnahmen zu erzielen. In dieser Konkurrenzsituation stellen auch die ÖffentlichRechtlichen ihre Angebote um, reduzieren immer mehr Programme auf einen durchgängigen Musikteppich, der ein breites Publikum anspricht, zumindest nicht irritiert. Wortprogramme werden gestrichen, reduziert, in sehr kurze, allgemeinverständliche Informationseinheiten (zweiminütig) zerlegt. Die Komplexität der meistgehörten Rundfunkprogramme entspricht somit den kognitiven Fähigkeiten von Kindern. Für Minderheiten gedachte Sendungen, zu denen auch der Kinderfunk zählt, überleben - wenn überhaupt - an zeitlich ungünstigen Sendeplätzen, in dritten und vierten Programmen. Mit der Neustrukturierung der ostdeutschen Hörfunklandschaft haben auch dort die ehemals ambitionierten Programme für Kinder stark an Bedeutung eingebüßt. Kinder hören heute wie Erwachsene popmusikorientierte Mainstream-Sender, erwarten vom Medium Musik, erst weit danach Informationen. "63 Prozent aller 9-bis 15jährigen nennen Musikhören als eine wichtige und bedeutsame Freizeittätigkeit...Musik wird erlebt... baut...auf spezifische Körpererfahrungen auf, weil der Rhythmus der Musik Körperlichkeit spüren läßt. Kinder können sich vor allem in der Rock- und Popmusik wiedererkennen; so kann diese Musik dazu beitragen, emotionale Defizite zu kompensieren, eigene Bedürfnisse zu befriedigen oder kulturelle Umgangsstile auszudrücken."39 Kinder nutzen den Hörfunk als Sekundärmedium, hören Musik nachmittags bei den Hausaufgaben, beim Lesen von Comic-Heften oder Zeitschriften, beim Spielen. Jugendliche schätzen das Radio zudem als besonders mobiles Medium, das beim Autofahren wie "am Strand oder auf dem Campingplatz"40 die jeweils bevorzugte Popularmusik liefert. 8. Tonträger Von Eltern und Pädagogen nicht sonderlich be- oder geachtet, waren Kindertonträger dennoch über lange Jahre das vermutlich am intensivsten genutzte Kindermedium. Gegenwärtig substituieren Kinder Hörspielkassetten durch Fernsehserien, Videokassetten und zunehmend durch Video- und Computerspiele.41 So wurden 1992 insgesamt nur noch 17 Millionen Stück KinderMCs verkauft. Für 1993 werden bei den Marktführern Umsatzeinbrüche in zweistelliger Höhe erwartet. Die Kinderkassettenhersteller unterscheiden heute drei Zielgruppen: 1. Kleinkinder, bis Vorschulalter, für die Lieder und Märchenhaftes produziert werden. 2. Grundschulalter, etwa fünf bis acht oder neun Jahre, für die Hörspielserien, vorrangig im Medienverbund, produziert werden. 3. Kinder in der mittleren Kindheit, von 10 bis etwa 13 Jahren, die sich in der Regel vom Kinderhörspiel ab- und anderen Medien zugewen det haben, die lediglich noch von "Nischen- oder Kultprodukten" zu erreichen sind (z.B. Pferdegeschichten, "Wendy"-Serie). 1992 teilen sich drei Unternehmensgruppen rund 95 Prozent des Gesamtumsatzes: Marktführer mit 38 Prozent Umsatzanteil ist die Polygram-Gruppe (im Besitz der holländischen Philips), zu der u.a. die Deutsche Grammophon (DGG), Polydor, Phonogram, Metronom und das Niedrigpreislabel KARUSSELL (mit "ALF" und Serien nach Disney) gehören. An zweiter Stelle folgt mit gut 30 Prozent Anteil die Bertelsmann Music Group (BMG) mit den Töchtern Ariola und dem 1989 zugekauften EUROPA-Label ("TKKG", "Airwolf', "Masters of the Universe"). Den dritten Rang nimmt mit 25 Prozent die Berliner ITP Ton- und Bildträger GmbH ein, die ihr Label KIOSK 1978 mit "Benjamin Blümchen" startete. Die führenden Serien erreichten bislang Auflagen, die für den Bereich des Kinderbuches z.B. kaum vorstellbar sind. "Abräumer" ist die von der Kinderbuchautorin Elfie Donnelly konzipierte Serie "Benjamin Blümchen" mit über 70 Folgen. Allein für ihn gab es 1992 noch 21 goldene Schallplatten, seine Hexenkollegin "Bibi Blocksberg "erhielt 13, für DisneyCharaktere gab es sieben und je zwei für die "Turtles" und "Pipi Langstrumpf'. Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren Eine Tendenz zur Infantilisierung des Marktangebotes ist absehbar. Das Einstiegsalter der gängigen Serien hat sich über die Jahre nach unten verlagert. So lehnen heute manchmal schon Achtjährige Benjamin Blümchen als "Kleinkinderkram" ab. Und immer früher, schon im Alter von neun oder zehn Jahren nutzen Kinder Tonträger nur noch zur Vermittlung von Musik. Am Musiktonträgermarkt hat sich die CD als Trägermedium weitgehend durchgesetzt (kleinformatige CDs oder digitale Kassetten lassen sich vorläufig nur minimal verkaufen). Die Vinyllangspielplatte erreicht nur noch einen Marktanteil von etwa zwei bis drei, die Musikkassette kommt noch auf etwa 25 Prozent. Marktbeherrschende Musiktrends sind zu Beginn der 90er Jahre nicht auszumachen. Europaweit und in Deutschland erfolgreich sind Techno, Dancefloor, Heavy Metal und neuerdings Rock'n'Roll 'unplugged'. In Deutschland haben sich inländische Pop- und Rockinterpreten sowie Volksmusik einen gewachsenen Marktanteil erobert.42 Auch die musikalischen Präferenzen junger Hörer sind vielfältig (wenngleich nicht unbedingt individuell). Von der Geräteausstattung und den Nutzungspräferenzen her können Musiktonträger als die Jugendmedien par excellence gelten. Fast alle Jugendlichen besitzen persönlich mindestens ein und mehr als drei Viertel sogar mehrere Musikabspielgeräte. Vor allem die Dreizehn- bis Achtzehnjährigen hören täglich ihre Lieblingsmusik. Mit zunehmendem Lebensalter, Familiengründung etc. verliert das Musikhören dann allerdings rapide an Bedeutung.43 9. Computer- und Videospiele Mehr als ein Viertel der bundesdeutschen Haushalte verfügt gegenwärtig über einen Homecomputer oder einen privat genutzten PC, die Hälfte der Geräte wird ausschließlich, der Rest überwiegend genutzt, um zu spielen. Die Mehrheit der Kinder bis zum Alter von 13 Jahren lebt in Haushalten, die mindestens über einen PC oder eine Videospielkonsole verfügen. Der Spielemarkt erfährt durch einen 1990 beginnenden zweiten Videospiel-Boom neue Akzentsetzungen. Japanische Konzerne führen eine neue Generation von miniaturisierten Spielecomputern ("Handheld Games") ein, mit LCD-Monitor und eingebautem Lautsprecher eher Taschenfernsehern gleichend (mit Spielmodulen, auswechselbaren, aber nicht schwarz kopierbaren Einsteckkarten). Branchenschätzungen gehen davon aus, daß hierzulande Ende 1993 mindestens jedes dritte Kind im Grundschulalter einen Handhold-Spielecomputer mit dazugehöriger Software besitzen dürfte. Vermehrt verkauft werden derzeit allerdings die leistungsfähigeren und teureren Videospiel-Konsolen mit größeren Rechnerkapazitäten. Marktführer im gesamten Videospielsektor ist die japanische Firma Nintendo, die 1992 mit nur 900 Mit- arbeitern einen Gesamtumsatz von 10 Milliarden Mark erwirtschaftete, mit einem ausgewiesenen Gewinn von 2,4 Millarden Mark vor Steuern.44 Damit macht das Unternehmen mittlerweile mehr Gewinn als die größten Elektronikkonzerne Japans. Um die spielenden Kinder noch enger an die Konzernprodukte zu binden, hat Nintendo eigene Fan-Clubs gegründet, deren Mitglieder regelmäßig mit einer eigenen Club-Zeitschrift beliefert werden und über eine Hotline Rat bei schwierigen Spielsituationen abrufen können. Im Sommer konnte der Club Nintendo Deutschland schon das einmillionste Mitglied begrüßen.45 Und da derzeit in der gesamten Computerbranche die Gewinnspannen schrumpfen, engagieren sich die führenden Hersteller von Computern und Unterhaltungselektronik im prosperierenden Computerspielgeschäft. Marktanteile sollen vor allem durch die Entwicklung neuer Spieltechnologien gewonnen werden, durch die Erhöhung von Speicherkapazität und Rechnerschnelligkeit, die dann entsprechend höhere Bildauflösungen, immer feinere Grafik und immer komplexere Spielgeschichten erlauben. Waren die ersten Handhold-Erfolgsspiele, der Gameboy von Nintendo und der Game Gear von Sega, noch mit einer 8-Bit-Struktur ausgestattet, so arbeitet Ataris Handheld-Spiel Lynx bereits auf einer 16-BitGrundlage. Der japanische Hauptkonkurrent von Nintendo, die Firma SEGA, vertreibt bereits seit einigen Jahren größere Spielekonsolen, die an den Fernseher angeschlossen werden, mit 16-Bit-Technologie. Zu den 16-Bit-Konsolen, SEGA Megadrive oder Super Nintendo, treten jetzt die erheblich schnelleren 32-BitKonsolen von Commodore und Panasonic in Konkurrenz. Zielgruppe aller Computer- und Videospielhersteller sind gleichermaßen Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Beim Game Boy sind sieben Prozent der Benutzer jünger als sechs Jahre, 46 Prozent sind im Alter zwischen sechs und siebzehn Jahren, fast die Hälfte sind Erwachsene. Für Kinder sind die neuen Computer- und Videospiele außerordentlich attraktiv, weil hier - wie in der unterhaltenden Kinderliteratur oder anderen Medien Geschichten erzählt werden, die mit einer Vielzahl von Versatzstücken arbeiten, die den Kindern aus der Literatur oder dem Femsehen bekannt sind. Im Gegensatz zu den eher passiv rezipierten Büchern, Hörspielen oder Trickfilmserien nimmt das Kind an der Spielhandlung aber aktiv teil. Es kann den Fortgang der Geschichte mitgestalten. Wenn Super Mario, und damit das spielende Kind, in ein Labyrinth oder verwunschenes Schloß kommt, dann begegnet es, je nachdem wie es sich wendet, dort bösen Zwergen oder hilfreichen Feen. Das Kind als Spieler muß Feinde mit List oder der gewaltsamen Anwendung von Klempnerwerkzeugen überwinden, muß die linke oder die rechte Tür öffnen. Und je nachdem, wie sich der Akteur entscheidet, wie er die Aufgabe löst, entwickelt sich die Geschichte weiter, wird vom Computerprogramm ein neues Handlungsver- Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren satzstück angefügt; es entsteht also eine in jedem Spieldurchgang anders ablaufende Geschichte. In solchen "interactive novels", Mitspielgeschichten, erreicht bei entsprechend origineller und genauer graphischer Wiedergabe der Spielwelt - das Medium Computerspiel eine durchaus eigenständige künstlerische Qualität. Es kann darüber hinaus durch die Einbeziehung des spielenden Kindes in eine komplexe Handlung, die von diesem manchmal auch soziales Mit- und Vorausdenken fordert, zur Entwicklung von Kreativität, kognitiven wie sozialen Kompetenzen beitragen. So gehen dann auch Marktuntersuchungen der Unterhaltungsindustrie davon aus, daß Kinder heute "aktiv in ihre Phantasiewelt eintauchen" wollen und daß dieses Bedürfnis derzeit wohl am erfolgreichsten von den Videogames befriedigt wird. Das Adventure-Game unterscheidet sich von Abenteuergeschichten in anderen Medien allerdings dadurch, daß das Spielgeschehen immer Entscheidungen fordert, daß der Spieler ständig und sofort zu reagieren hat. Anders als beim Lesen bleibt hier für die Identifikation mit Figuren wenig Raum, "da fast alle Aufmerksamkeit auf die jeweils unmittelbar notwendigen Aktionen bzw. Reaktionen verwendet werden muß, wenn man im Spiel bleiben will."46 Das Computerspiel reiht also, genau besehen, nur noch die Spannungssituationen "zu einer eigentümlichen neuen Mischung". Nicht mehr die Geschichte ist unterhaltsam, sondern die Aneinanderreihung von Höhepunkten."47 Das Computerspiel übersteigert damit noch die Dramaturgie des kommerziellen Kindertrickfilms, der sich auch vielfach nur auf das Aneinandereihen beliebig abfolgender Handlungshöhepunkte beschränkt. Es scheint absehbar, daß diese Erzähldramaturgie auch Rezeptionsvermögen und -gewohnheiten beeinflussen kann. Andererseits ist der Computer für die heute aufwachsende Kindergeneration zu einem ganz alltäglichen Gerät geworden. Der Gebrauch von Computerspielen, die negativen wie positiven Auswirkungen sind weitgehend abhängig von der Situation, der Umwelt. Die Spekulationen über deformierte Computerkids, die in den letzten Jahren durch die Presse gingen, haben sich nach den vorliegenden, abgesicherten Untersuchungen als haltlos erwiesen: "Kinder, die sich mit dem Computer beschäftigen, werden durch dieses Gerät weder völlig absorbiert und elektronische Autisten, noch in ihrer kognitiven Entwicklung besonders gefördert".48 Resümee Nicht nur die kognitive Entwicklung von Kindern verläuft heute anders und schneller als bei der Generation der heutigen Erwachsenen, sie werden heute auch früher als Konsumenten angesprochen und umworben, sie entscheiden heute auch früher und selbstbewußter über ihre Medienpräferenzen und ihre Freizeitgestaltung. Mit wachsendem Wohlstand und immer vielfältigeren Medienangeboten steht auch Kindern heute eine breite Palette medialer Unterhaltung zur Verfügung. Kinder und Jugendliche wollen die ganze Bandbreite der zur Verfügung stehenden Unterhaltungsmöglichkeiten nutzen, sie wollen von allem etwas, "aber von allem nur ein bißchen..., die Hinwendungszeit zu einzelnen Handlungsalternativen...sinkt" dadurch.49 Die Mehrheit unserer Kinder geht heute "erstaunlich selbstsicher und unkompliziert mit neuen Medien und Techniken um. Der Versuchung, die eigenen kulturelle Identität (einschließlich der Medien-, Spiel- und Unterhaltungskultur) von vornherein als wertvoller anzusehen, sollten wir Erwachsenen widerstehen."50 Die Kulturpolitik der Bundesrepublik, das Schul- und Bildungswesen werden von "Buchfundamentalisten" (Christian Doelker, Schweizer Medienwissenschaftler) dominiert. Lehrer und Lehrerinnen haben hierzulande in ihrer Mehrheit offenkundig ein gestörtes Verhältnis zum Bild, zu den audiovisuellen Medien. Die Schule reagiert auf neue Medien vorrangig durch bewahrpädagogische oder "medienscheltende" Ansätze: Mit dem Aufkommen des Films zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Verbreitung des Fernsehens als Massenmedium in den 50er und 60er Jahren soll im Unterricht vor allem diesen Medien "entgegengewirkt", sollen die Schüler "vor vermuteten oder für erwiesen gehaltenen Schäden bewahrt werden."51 Wenn neben der gesprochenen und geschriebenen Sprache weitere Zeichensysteme, nämlich visuelle Codes, Sprache von Film und Fernsehen als Übermittler von Informationen und Geschichten getreten sind, dann ist es mehr als überfällig, daß sich der Deutschunterricht diesen Sprachsystemen und den entsprechenden Medien öffnet. Das Buch ist heute ein Medium unter vielen, mit den audiovisuellen mehr oder minder eng verzahnt. Lesen bringt immer noch spezifischen Nutzen, gilt in der neueren Forschung als Training für die Herausbildung der kognitiven Fähigkeiten. Vielleser sind die besseren, genaueren Fernseher, sie entnehmen Filmprogrammen mehr Informationen, zeichnen sich durch bessere Verstehensleistungen aus.52 Literaturpädagogische Arbeit mit Kindern ist heute aber nur noch dann erfolgversprechend, wenn sie von einem gleichberechtigten Nebeneinander der Medien ausgeht, wie es die meisten Kinder auch selbst tun, wenn sie die mediale Sozialisation, die Mediatisierung der Kindheit, die Vorerfahrungen der Kinder mit Serien und Medienverbundsystemen in Rechnung stellt, wenn die Medienvorlieben der Kinder ernst, wenn die Inhalte der von ihnen genutzten Mediendarbietungen zumindest zur Kenntnis genommen werden. Anmerkungen: 1. Dieser Beitrag basiert auf dem Einleitungsreferat Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren eines Seminars über Kindermedien, veranstaltet von der AG Jugendliteratur und Medien der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Niedersachsen, im September 1993 in Wilhelmshaven. Der Text wurde für die schriftliche Fassung aktualisiert und mit Anmerkungen versehen. 2. Vgl. die Auswertungen von zeitgenössischen Erhebungen des Allensbach-Institutes bei Horst W. Opaschowski: Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre, Hamburg 1990, S.21. 3. Zu den 'gruppendynamischen', sozialen Aspekten jugendlichen Fernsehkonsums vgl. die Beobachtungen von Paul Willis: Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemein samen Kultur, Hamburg u. Berlin 1991. - Bereits ältere Untersuchungen belegen übereinstimmend, daß die Vereinzelung vor dem Bildschirm kaum ein bei Kindern und Jugendlichen zu konstatierendes Phänomen ist, sondern eher bei älteren Menschen auffällt. Mit zu nehmendem Lebensalter, besonders nach Erreichen des Rentenalters, steigt nicht nur die Zeitdauer des täglichen Fernsehkonsums, sondern werden Fernseh programme vor allem individuell, isoliert rezipiert. 4. Zur ausführliche Darstellung von Historie und Entwicklung der einzelnen Kindermedien und über greifender gemeinsamer Tendenzen vgl. Horst Heidtmann: Kindermedien, Stuttgart 1992 (Sammlung Metzler 270). 5. Vgl. hierzu Horst Heidtmann: "Fernsehzeit ist Serien zeit. Von der zunehmenden Notwendigkeit des Seriellen im Fernsehen", in: Praxis Deutsch, H. 121, Sept. 1993, 5. 18-25. 6. Vgl. Simon Silvester (Agentur ALTO): EUROKIDS The Single Youth of the Single Market, London 1992. 7. Vgl. Heinz Bonfadelli u. Angela Fritz: Lesesozialisation Band 2: Leseerfahrungen und Lese karrieren, Gütersloh 1993 (Studien der Bertelsmann Stiftung), S.47. 8. Vgl. u.a. Rolf Zitzlsperger: "Leseförderung in der Bundesrepublik Deutschland Grundlagen, Maßnahmen und Projekte", in: Leser und Lesen in Gegenwart und Zukunft, hg. vom Institut für Verlagswesen und Buchhandel der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1990, S. 62. 9. Ausführliche Markt- und Trendanalysen (unter Verwendung aktueller, interner Marktforschungsstudien) finden sich bei Horst Heidtmann: "Kinder- und Jugendbuchmarkt - Entwicklungen, Probleme, Prognosen", in: Beiträge Jugendliteratur und Medien H. 3, 1993, S.146-170. 10 10. Sachbuchzuwächse sind auch im Bibliotheksbereich überproportional, so daß der nachfolgend für Privat haushalte ermittelte Anteil von ca. 19% insgesamt noch höher liegen dürfte. 11. In den USA vergibt Disney praktisch keine Neben rechte für Printmedien mehr, sondern produziert Kinderbücher wie Comics seit 1992 in eigenen Verlagen. 12. Vgl. Boris Langendorf: "Gekaufte TV-Lizenzen sind für Buchverlage schon bald normale Programmbe schaffung", in: Buchreport 24, 1993, S.38-39. 13. Walt Disneys Klassiker in der Mini-Bibliothek werden an den Handel nur in einem Paket von jeweils 18 Exemplaren im Verkaufsdisplay ausgeliefert. 14. Vgl. Stiftung Lesen (Hg.): Lesen. Zahlen, Daten, Fakten über Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und ihre Leser, Mainz 1990, S.52. 15. Vgl. die Zusammenfassung von Forschungser gebnissen zu diesem Thema bei Martina Gilges: Lesewelten. Geschlechtsspezifische Nutzung von Büchern bei Kindern und Erwachsenen, Bochum 1992. 16. Vgl. "Telegramme", in: Buchreport 34/92, S.38. 17. Es werden in der Branche zwar Umsatzeinbrüche bei einigen Sachbuchprogrammen diskutiert, deren Ursachen aber wohl eher im Bereich der Programm planung oder des Marketings gesucht werden sollten. Wenn parallel 10 Titel über Saurier oder über Ritter und Mittelalter angeboten werden, ist es einsichtig, daß nicht alle am Markt Erfolg haben. Wenn 10 Verlage neben einander Lizenztitel von Dorling-Kindersley überneh men, die sich in Umschlaggestaltung und Layout ähneln, dann muß darunter irgendwie auch das Profil, der "Markencharakter" der lizenznehmenden Verlage leiden. 18. Vgl. hierzu Martina Gilges, a.a.O. 19. Vgl. hierzu die aktuellen Untersuchungen von Heinz Bonfadelli u. Angela Fritz: Leseerfahrung und Lese karrieren, a.a.O. 20. Zu den Entwicklungen und der erreichten künstlerischen Vielfalt der Comics vgl. u.a. Bernd DolleWeinkauff: Comics. Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945, Weinheim u. Basel 1990. 21. Vgl. H. Jürgen Kagelmann u. Gisela Kriz: "Kindercomics in Deutschland", in: Bodo Franzmann u.a.: Comics zwischen Lese- und Bildkultur. Comics Anno 2, München u. Wien 1991, S.91-104. Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren 22. Mit "Minnie", die u.a. Mädchengeschichten unter Verwendung der Disneyschen Figurenarsenale enthält, bietet Ehapa sozusagen 'Ducks in Love'. 23. Vgl. hierzu Bernhard Meier: "Jugendzeitschriften und ihre Leser", In: Informationen des Arbeitskreises für Jugendliteratur H.3, 1985, S. 29-39. 24. Vgl. hierzu u.a. die aktuellen Befunde der Lese forschung bei Heinz Bonfadelli u. Angela Fritz, Leseerfahrungen und Lesekarrieren, a.a.O. 25. Nach neueren Marketingstudien, die tendenziell auf Deutschland übertragbar sind, haben bereits Kinder im Vorschulalter entscheidenden Einfluß auf das Kauf verhalten von Familien. Vgl. H.H. Sevilla: "Fallbeispiel USA: Wettrennen zwischen Fernsehen und KinderZeitschriften", in: Spielzeug-Markt H. 9, 1993, S.53-54. 26.Vgl. u.a. D.F. Roberts u. CM. Bachen "Mass communication effects", in: Annual Review of Psychology, 32 (1981), pp. 246-255. 27. Vgl. Gerhard Naeher: Mega-schrill und super-flach. Der unaufhaltsame Aufstieg des Fernsehens in Deutschland, Frankfurt/New York 1993, S.155. 28. Vgl. hierzu die Auswertung laufender Einschalt quotenforschungen bei Horst Heidtmann: "Aus für die Maus? Aktuelle Einschaltquoten, veränderte Fernseh präferenzen von Kindern", in: Beiträge Jugendliteratur und Medien H. 3, 1993, S.178-181. 29. Vgl. hierzu die vom Institut Jugend Film Fernsehen (UFF) erstellte Studie von Bernd Schorb u.a.: Wenig Lust auf starke Kämpfer. Zeichentrickserien und Kinder, München 1992 (BLM-Schriftenreihe 19). 30. Vgl. DER SPIEGEL H.14, 1993, a.a.O., S. 151. 31. Vgl. DER SPIEGEL H. 52, 1993, S.166. 32. Vgl. hierzu die vom Bundesverband Video erhobene Hitliste der meistverkauften Videofilme 1992: 1. Aschenputtel (Disney) 2. Pretty Woman (Disney) 3. Bernard & Bianca im Känguruhland (Disney) 4. Basil, der große Mäusedetektiv (Disney) 5. Ein Hund namens Beethoven (C) 6. Robin Hood - König der Diebe (Screen) 7. JFK - Tatort Dallas (Warner) 8. Duck Tales (Disney) 9. Kevin - Allein zu Haus (Vox) 10. Benjamin Blümchen und der Weihnachtsmann (ITP) 33. Vgl. hierzu die Umfragen des Hamburger BAT Freizeit-Forschungsinstituts von August 1993 bei Horst W. Opaschowski: "Medienfreizeit: abwählen statt aus wählen. Die stille Revolution einer neuen Generation", in: medien praktisch H. 4, 1993, S.9-93. 34. Vgl. Claudius Seidl: "Die Echten und die Rechten", in: DER SPIEGEL H. 52, 1993, S.168ff. 35. Zur Mediennutzung vgl. u.a.: Media Perspektiven. Daten zur Mediensituation in Deutschland. Basisdaten 1991, Frankfurt/M. 1992. 36. Repräsentative Daten zur Rundfunknutzung wie zur Mediennutzung überhaupt werden in Deutschland in der Regel erst beginnend mit der Altersgruppe ab 14 Jahren regelmäßig erfaßt. Zur Mediennutzung von Kindern lie gen erst in neuerer Zeit Einzelerhebungen und Einzel fallstudien vor, so daß sich - insbesondere für das Vor schulalter - nur Tendenzen belegen bzw. beschreiben lassen. 37. Vgl. u.a. Jan-Uwe Rogge: "Zur Bedeutung und Funktion des Radios und des Kinderfunks im Alltag von Kindern. Ein Forschungsüberblick", in: Media Perspek tiven 8/1988, S.522-528; Joe Gröbel / Walter Klinger: "Kinder und Medien 1990", in: Media Perspektive H. 5, 1990, S. 311-322. 38. Vgl. die Umfrageergebnisse von Thomas VoßFeldmann: "Funkt's im Kinderfunk?", in: merz H. 3, 1992, S. 152-154. 39. Vgl. Jan-Uwe Rogge: Zur Bedeutung und Funktion des Radios und des Kinderfunks, a.a.O., S. 522-528. 40. Vgl. Opaschowski: Medienfreizeit, a.a.O., S.9f. 41. Vgl. "Interview Rolf Lerschmacher: 'Vergeßt die Kin der von gestern'", in: Spielzeug-Markt H. 3, 1993, S.93f. 42. Vgl. zu den aktuellen Markttrends die Beiträge in Phono Press H. 1, 1993. 43. Vgl. Opaschowski: Medienfreizeit, a.a.O., S.9ff. 44. Vgl. Harald Fette u. Oliver Wanke: "Klempner an die Macht." Die Welt der Videospiele. Report, in: Chip H. 11, 1993, S.30ff. 45. Vgl. "Nintendo-Fanclub wächst und wächst", in: Spielzeug-Markt 6-7/1993, S.63. 46. Vgl. Johannes Fromme: "Abenteuer im Super Mario-Land. Die Spiel- und Unterhaltungswelt der 'Game-Boy-Generation'", in: Deutsches Jugendinstitut (Hg.): Was für Kinder. Aufwachsen in Deutschland, München 1993, S.415. 11 Horst Heidtmann: Kinder- und Jugendmedien in den 90er Jahren 47. Vgl. ebd. S. 416. 48. Vgl. Hans Rudolf Leu: "Nützliches Werkzeug oder Alleskönner? Computervorstellungen von Kindern", in: Deutsches Jugendinstitut (Hg.): Was für Kinder, a.a.O., S.406. 49. Vgl. Interview mit Rolf Lerschbauer, a.a.O., S. 92. 50. Vgl. Johannes Fromme: Abenteuer im Super-MarioLand, a.a.O., S.418. 51. Vgl. Hartmut Binder: "Zur Geschichte und Entwicklung schulischer Medienerziehung", in: Wolfgang Schill u.a. (Hg.): Medienpädagogisches Handeln in der Schule, Opladen 1992, S. 17-31. 52. Vgl. Bettina Hurreimann: "Lesen als Schlüssel zur Medienkultur", in: Medienkompetenz als Herausfor derung an Schule und Bildung. Kompendium zu einer Konferenz der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1992, S. 249-265. 12