Predigt zu Exodus 33,18.23
Transcription
Predigt zu Exodus 33,18.23
Predigt über Ex 33, 18-23 Pfr. Michael Pues, ESG Bonn 26.04.2015 Schlosskirche Bonn I Hinführung zu Lesung und Predigt (Prediger steht im Rücken der Gemeinde im hinteren Teil der Kirche). Ich stehe hinter Ihnen. Bin sozusagen in ihrem Rücken. Und ich sehe hinter Ihnen her. Schaue Ihrem Blick nach. Versuche auszumachen, wohin Sie gerade schauen Aus dieser Perspektive bleibt einiges im Ungewissen: Von hinten bin ich unsicher, wer da eigentlich wirklich vor mir sitzt. Ich weiß nicht, mit welchem Gesichtsausdruck sie gerade schauen. Unsere Kommunikation ist eingeschränkt. Der Kontakt bleibt ein Stück weit anonym. Sie ahnen es vielleicht schon. Ich stehe hinter Ihnen, schaue Ihnen hinterher. Um nachzuvollziehen, was da von Mose und Gott erzählt wird. Mose schaut Gott hinterher. Dieser Moment bildet das Ende einer Begegnung, eines Gespräches zwischen Gott und Mose. Alles beginnt mit dem einen Wunsch, den ich gut nachvollziehen kann: Gott, lass mich Deine Herrlichkeit sehen. Gott, Dich sehen in einem umfassenden, vollständigen Sinn. Von vorne mit offenem Visier. von Angesicht zu Angesicht. Das wär‘s, Gott. Wir hören die Lesung aus dem 33. Kapitel des 2. Buches Mose Lesung: Ex 33, 18-23 Credo (stehend) Lied: Lied: Wind kannst Du nicht sehen (568,4.5) 1 II Predigt Schön, Sie wieder von vorne zu sehen… „Gott, lass mich Deine Herrlichkeit sehen“. Wie kommt Mose zu diesem ungeheuren Wunsch. Warum ist ihm das gerade jetzt wichtig? Um das zu verstehen, müssen wir zurückblicken. Wir sind am Sinai. Gott schließt einen Bund mit dem Volk Israel. Schenkt den Israeliten die 10 Gebote als die große Richtschnur für ein gelingendes Leben. Anschließend darf Mose sich der verhüllten Herrlichkeit Gottes auf dem Berg nähern. Und Gott offenbart Mose ausführliche Rechts- und Kultordnungen. Währenddessen bahnt sich am Fuß des Berges eine gewaltige Krise im Verhältnis des Volkes Israel mit seinem Gott an. Das Goldene Kalb. Es ist das uralte Dilemma, in dem wir uns bis heute befinden. Wir sollen glauben, obwohl wir nicht sehen. Wir sollen von einem Gott reden, der nicht eindeutig zu beschreiben ist. Der johanneische Jesus sagt: „Selig sind die Menschen, die nicht sehen und dennoch glauben!“ Gott ist nicht von dieser Welt, der Mensch soll und kann sich kein Bild von ihm machen. Schon gar kein 3-dimensionales Bild, welches in Stein gemeißelt wäre. Doch: Wie soll ich eine persönliche Beziehung zu einem göttlichen Gegenüber aufbauen, wenn ich keine Vorstellung von ihm habe? Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, sagt der Volksmund. Was sagt uns ein Gott ohne Bild? Das Volk jedenfalls verliert das Vertrauen in den sich verhüllenden Gott, schafft sich selber einen sichtbaren und mit Händen zu greifenden Gott. Und Gottes spontane Reaktion lautet: Dieses Volk werde ich ausrotten. Doch Mose erinnert ihn an seine ursprünglichen Verheißungen. Nachkommenschaft! Eigenes Land! So rückt Gott von seinem ursprünglichen Plan ab. 2 Als Mose schließlich das Ausmaß der Krise zwischen Volk und Gott mit eigenen Augen sieht, zerbricht er die Gesetzestafeln und zerstört das Goldene Kalb. Ein Teil des Volkes muss jetzt doch zur Strafe sterben. Mose bittet Gott erneut um Vergebung. Gott gewährt den Weiterzug, allerdings will er „nur“ einen Engel voranschicken. Mose bleibt hartnäckig und kämpft leidenschaftlich darum, dass Gott selber voranziehen möge. Schließlich wird ihm auch das gewährt. Und jetzt will Mose einmal die letzte Schranke durchbrechen: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“ In der Krise sehnt Mose Gottes Gegenwart herbei. Lass mich Dich einmal sehen. Eindeutig und unwiderlegbar. So könnte ich sicherer sein auf dem langen Weg durch die Wüste inmitten der drohenden Lebensgefahr. Gott weist den Wunsch von Mose zurück. Und stellt ihm gleichzeitig etwas in Aussicht. Gott sagt zu Mose: Das würde kein Mensch aushalten, auch Du nicht, Mose. In diesem Leben von Angesicht zu Angesicht mir gegenüberzutreten. Ich werde an Dir vorübergehen. In diesem Moment werde ich Deine Augen verdecken. Von vorne kannst Du mich nicht sehen. Aber in der Rückschau. Du kannst hinter mir her schauen. Und sozusagen Spuren von mir entdecken. Hier steckt eine tiefe Wahrheit darüber, wie ich meinen Glauben erlebe. Nicht in seiner ganzen Herrlichkeit. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Aber: Gott hinterher geschaut. Vielleicht sollte ich anders betonen: Gott hinterher geschaut. Erst in der Nachschau, im Rückblick, im Nachdenken über meinen Weg, den ich gegangen bin. Vieles verstehe ich im Moment nicht. Und gerade in krisenhaften Momenten – wie Mose hier unzweifelhaft einen erlebt – sehe ich den Sinn zunächst nicht. Aber dann ist da auf einmal der Gedanke: Neben der leidvollen Erfahrung, neben der Enttäuschung, dem Zerbrechen der Beziehung, der Krankheit, dem schmerzvollem Abschied ist mir auch so viel Gutes begegnet. Gerade im tiefsten Tal habe ich die 3 Kraft bekommen, die ich gebraucht habe. Haben Menschen mein Leben so sehr bereichert. Habe ich einen anderen Blick auf das Leben gewonnen. Erst in der Rückschau verstehe ich – vielleicht auch nur in Ansätzen – warum etwas so und nicht anders passiert ist. Und auch, wenn ich es nicht verstehe – ich sehe doch: Mein Weg ist weitergegangen. Anders als gehofft und erwünscht. Und doch: ich konnte weitergehen. „Wir müssen das Leben vorwärts leben. Verstehen tun wir es rückwärts.“ (Sören Kierkegaard) Genauso ergeht es Mose: Er kann Gott nur nachschauen. Seinem eigentlichen Wunsch wird nicht entsprochen. Auch in Zukunft wird manches anders kommen, als er sich das vorgestellt hat. Er wird sterben, bevor sie im verheißenen Land ankommen. Aber auch dann: Der Weg geht weiter. Josua übernimmt den Stab. Hinterher geschaut. Gott hinterherschauen, Spuren seines Wirkens entdecken. Wir bleiben in diesem Leben bei dieser Blickrichtung des Hinterher. Da bleibt auch manches ungewiss, unsicher. In der Rückschau spüre ich: Da war Gott am Werk. Gott ist mir vorangegangen, hat mir einen neuen Weg aufgezeigt. Ich sehe es erst in der Erinnerung. Dazu brauche ich Momente, in den ich innehalte, zur Ruhe komme. Ich muss mir Zeit nehmen für die Nachschau. Für das Erinnern, das Erzählen von Lebensgeschichten. Vielleicht in einem Tagebuch, in einer Unterbrechung, einer Einkehr, im Gespräch mit anderen. In einem Jahresrückblick, einem Resümee, vielleicht am Ende des Lebens. So kann der Glaube an einen sich immer wieder verhüllenden Gott gelingen. Sich erinnern, vergegenwärtigen und erzählen. Und dabei die Spuren von Gottes Handeln entdecken. 4