Der erste Satz
Transcription
Der erste Satz
Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de mir 188 andere für den ausgeschriebenen Job berufen fühlen? Foto: Archiv/Wila Bonn Bitte nicht langweilen n BEWERBUNG Der erste Satz Eine große Hürde beim Anfertigen einer Bewerbung ist die Einstiegsformulierung. Wer es sich leicht machen will, nutzt eine gängige Floskel, langweilt den Leser aber mit überflüssiger Desinformation. Wie formuliert man einen neugierig machenden ersten Satz? | Andreas Pallenberg D ann sitzt man da als gestandener Akademiker und will sich bewerben. Das Anschreiben will formuliert werden. Selbstverständlich kann man mit Texten umgehen, kann formulieren und komplizierte Dinge auf den Punkt bringen. Kein Problem – normalerweise. Man hat ja schließlich schon seitenweise Lesenswertes produziert, von Referaten über Hausarbeiten bis zur Abschlussarbeit, mindestens. Aber jetzt ist Bewerben angesagt und dann passiert es – nämlich nichts. Der blanke Bildschirm strahlt und mahnt unerbittlich. Erste Versuche fallen sofort der Löschtaste zum Opfer, und man bedauert, dass sich digitale Texte arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN nicht zerknüllen, zerreißen und in die nächste Ecke werfen lassen. Es geht um den ersten Satz im Anschreiben: Jetzt geht es um die Wurst. Bloß keine Floskel, keine üblichen Formulierungen, obwohl das natürlich praktisch wäre, bloß kein Bürokratendeutsch, obwohl es sich aufdrängt. Bloß nicht langweilen, damit der strapazierte Leser nicht sofort gähnt und das 08/15-Elaborat gequält auf den falschen Haufen wirft. Aber muss ich wirklich den Personalchef oder seine Adjutanten mit Formulierungen bespaßen, um wahrgenommen zu werden? Muss ich auf Deubel-kommraus originell sein, nur weil sich neben 1 Tatsache ist, dass es oft genug weit mehr als 188 Konkurrenten um eine ausgeschriebene Stelle gibt. Ebenfalls steht fest, dass das Bearbeiten von Bewerbungsunterlagen, egal ob auf elektronischem oder postalischem Weg verschickt, beim Arbeitgeber richtig viel Arbeit macht. Und was macht der Mensch, wenn er viel Arbeit hat? Er macht sich die Arbeit einfacher, beschleunigt das Tempo und pfeift auf Gründlichkeit. Beim Sichten von Bewerbungen geht es dann Schlag auf Schlag: Erster Eindruck – Foto – kurzes Reinlesen in das Anschreiben – Blick auf den Lebenslauf – abschließendes Hin- und Herblättern, dann die Entscheidung: interessant oder sofort auf den Haufen Absagen. Wenn dann nichts da ist, was den Leser irgendwie neugierig macht, dann dauert dieser Vorgang 60 bis 90 Sekunden, wenn überhaupt. Wenn aber nach dem ersten Eindruck über Aufmachung, Foto und die weiteren Anlagen schon der Einstiegssatz des Anschreibens zum Weiterlesen animiert, dann ist eine wesentliche Hürde genommen. Meine Werbebotschaft Man schreibt ja keinen Geschäfts- oder Behördenbrief, sondern es geht um eine Werbebotschaft. Um deutlich zu machen, wie sich Werbebotschaft von Floskel unterscheidet, reicht ein Blick auf die Pharma-Werbung. Sobald der vorgeschriebene Hinweis auf die Packungsbeilage, den Arzt und den Apotheker in seiner ganzen Atemlosigkeit ertönt, wird beim Hörer innerlich abgeschaltet! Ebenso wirkt eine Einstiegsformulierung wie: „Hiermit bewerbe ich mich auf die von Ihnen im General-Anzeiger vom 12.12.2012 ausgeschriebene ....“ Ja was denn sonst? Das Ganze ist doch eine Bewerbung. Das muss ich hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Reuterstr. 157, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de doch nicht noch einmal über mehrere Zeilen ausformulieren. Und solche Sätze können richtig lang werden mit Nebensätzen und mit ersten Andeutungen, dass man irgendwie glaubt, total gut auf diese Stelle zu passen. Aber der routinierte Personalmensch überfliegt mehr oder weniger gütig solcherlei Wortwust. Geduldig bleibt er auch, wenn er die zweitbeliebteste Variante liest, nämlich die, mit der der Bewerber dem Stellenausschreiber noch einmal darlegt, was er überhaupt sucht: „Sie suchen einen berufserfahrenen, flexiblen und teamorientierten Projektmanager, der neue Impulse für die Entwicklung ....“ Da wird der Arbeitgeber erst einmal nicken müssen: „Jawohl, den suchen wir“ und behält vielleicht seine bejahende Grundhaltung für die weitere Lektüre. Vielleicht liest er das aber auch schon zum dritten oder zum zwölften Mal an einem Vormittag. Das kann ganz schön auf die Laune gehen, denn er weiß ja eigentlich, was er sucht. Nicht dass wir jetzt alle Mitleid entwickeln müssten mit den Personalentscheidern dieser Welt – die haben schließlich ihren Job, und wir wollen erst noch einen haben. Aber diese Leute entwickeln ihre Routinen, ob wir das wollen oder nicht. Bewerbungsverfahrens ist. Manche schwören drauf, wie zum Beispiel eine Teilnehmerin unseres letzten Bewerbungscafés: „Ich rufe immer vorher an, da bin ich inzwischen radikal ...“. Couragierte und routinierte Telefonierer haben also einen echter Vorteil, schon wegen der zahlreichen Zusatzinformationen, die im Inserat nicht auftauchen, im Gespräch aber vermittelt werden können. Wenn dieser Weg aber nicht möglich ist, dann muss man strategisch anders vorgehen. Viele Ratsuchende wünschen sich dafür knackige Vorschläge für den Einstiegssatz. Das ist verständlich, aber – sorry – nicht möglich. Es gibt höchstens diskussionswürdige Anregungen, die man dann modifiziert und weiterentwickelt oder von denen man sich distanziert und seine Alternative entwickelt. Was bewegt mich? Die eigene Motivationsanalyse ist oft der beste Weg für eine neugierig machende Einstiegsformulierung. Warum will ich denn unbedingt zum Beispiel in die Entwicklungszusammenarbeit? Gibt es da vielleicht ein persönliches Schlüsselerlebnis? „Am 26. Dezember 2004 war ich Zeuge der verheerenden Tsunami-Katastrophe in Thailand ....Das Ereignis hatte mich zutiefst erschüttert und gleichzeitig dazu animiert...“ Genau mit dieser Aussage im ersten Satz war ein ehemaliger Redaktionspraktikant erfolgreich und bekam seine Stelle in einem Entwicklungshilfe-Projekt in Thailand. Das persönliche Erlebnis hatte er in seinem Entwurf zunächst weit hinten aufgeführt und für den Einstieg eine übliche Floskel gewählt. Unser Rat lautete: Weg mit der Floskel und her mit der starken Aussage für den ersten Satz. Man kann auch mit einem Motto einsteigen, zum Beispiel: „Interkulturelle Bildung eröffnet neue Horizonte...“, wenn es um die Besetzung eines Fachbereiches Sprachen und Kultur bei einer Volkshochschule geht. Oder mit einem aktuellen Bezug wie „Biosprit macht keinen satt“, wenn es um eine Stelle bei der Welthungerhilfe geht. Ob das wirkt, weiß keiner, vielleicht rennt man damit offene Türen ein. Aber langweilig ist das nicht, denn der Leser will ja schließlich wissen, was diese – nicht gerade neuen – Aussagen hier sollen. Oder man nutzt ein Zitat wie: „Ausbildung ohne Bildung Kontakt aufbauen Gut hat man es, wenn vorher telefonischer Kontakt bestand. Dann gibt es zum Entree eine Formulierung wie „Sehr geehrte Frau Dr. Dingwort, vielen Dank für das freundliche Telefonat am 29.03.2013, bei dem ich Ihnen meine Vorstellungen zum Thema („Qualitätssicherung“, „Personalentwicklung“, „Fundraising“ o.ä.) erläutern konnte. ...“ Das wird Frau Dr. Dingwort garantiert nicht überlesen, sich gegebenenfalls auch an das Telefonat erinnern und gespannt sein, wie es weitergeht. Und wenn in einer Stellenanzeige eine Telefonnummer aufgeführt ist, dann ist das ein deutlicher Hinweis, dass vorherige Kontaktaufnahme nicht nur möglich, sondern auch erwünscht und vielleicht sogar Teil des Wenn es partout nicht gelingen will mit dem ersten Satz, versuchen Sie es mit dem zweiten. Dann ist die Blockade weg, und der Einstieg ergibt sich. Foto: Archiv/Wila Bonn arbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN 2 hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Reuterstr. 157, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15 © Andreas Morlok/pixelio.de Berichte und 300 Stellenanzeigen aus dem Arbeitsmarkt Umweltschutz sind Woche für Woche im arbeitsmarkt Umweltschutz l Naturwissenschaften. Informationen zum Abonnement unter www.wila-arbeitsmarkt.de führt zu einem Wissen ohne Gewissen“ (Daniel Goeudevert), wenn es um eine Stelle in der curricularen Entwicklung einer Bildunginstitution geht. Oder man entwickelt den „roten Faden“, der einen schon früh in die angestrebte berufliche Richtung führte: „Schon als Jugendlicher war ich aktiv als Freizeitbetreuer bei den Jusos und entwickelte ....“ wenn es um die Mitarbeit bei einer politischen Organisation geht. Natürlich kann man alle diese Beispiele in der Luft zerreißen und sich vornehm davon distanzieren. Wie sie wirken und ob sie wirken, steht auf einem anderen Blatt. Sie passen eben nur auf eine bestimmte Stelle und zu einem individuellen Bewerber mit seiner entsprechenden Vita im Hintergrund. Und ob der Einstieg klappt, hängt entscheidend davon ab, wie der Einstieg im weiteren Kontext entwickelt wird. Ein isolierter Gag am Anfang ist schnell als solcher entlarvt. Wenn die Einstiegsaussage aber intelligent weitergedacht wird und die individuelle Motivationslage des Kandidaten darstellt, dann kann das beim Leser mit besonderer Aufmerksamkeit honoriert werden. Das kann natürlich auch daneben gehen, weil man den Nerv des Personalchefs nicht trifft. Es geht ja auch immer um einen Balanceakt zwiarbeitsmarkt UMWELTSCHUTZ | NATURWISSENSCHAFTEN schen Konformität und Originalität. Wer sich bei einer Behörde oder bei einem Finanzdienstleister bewirbt, wird sich weniger weit von üblichen Schemata entfernen als jemand, der sich der Kreativbranche empfiehlt. Wer unsicher ist, sollte sich Rat im eigenen Umfeld, bei Freunden und Bekannten holen. Es ist ja so: Irgendwann weiß man nicht mehr, wie die eigenen Formulierungen wirken. Viele zaudern dann und fallen aus Verunsicherung doch wieder auf die alten ÜBERLEGENSWERT • das beste und stärkste Argument für die Bewerbung gehört in den ersten Satz • dazu die eigene Motivation zur Bewerbung umfassend analysieren und auf den Punkt gebracht darstellen und/oder • aktuell recherchierte Herausforderungen benennen und sich als Problemlöser mit guten Argumenten empfehlen oder • wohl überlegte Werbebotschaften, hinter denen man auch steht, als Aufmacher, Slogan oder als Motto voranstellen und unmittelbar für den Bewerbungskontext erläutern oder • eine Story liefern, ein Schlüsselerlebnis oder eine Weichenstellung im beruflichen Werdegang beschreiben, aus denen sich die Bewerbungsmotivation überzeugend darstellen lässt oder • vielleicht auch mit dem zweiten Satz anfangen und sich nicht am ersten festbeißen. Wenn die Argumentation dann steht, wird der erste Satz als kompakter Aufmacher formuliert, • noch besser: Vorher Kontakt aufbauen und sich im ersten Satz auf das Gespräch mit der Kontaktperson beziehen. 3 Floskeln zurück. Spontanes Feedback von guten Freunden kann dann beflügeln und Mut machen. Die Kirche bleibt im Dorf Trotzdem muss man den Effekt relativieren. Millionen von Bewerberinnen und Bewerbern haben schließlich auch mit Standardfloskeln ihre Stellen bekommen. Dann waren sie offensichtlich nicht nur formal und inhaltlich die Besten, sondern konnten auch persönlich überzeugen. Und selbst die beste Einstiegsformulierung kann eindeutige Defizite beim Bewerber nicht kompensieren. Wenn es aber um Wunsch- bzw. Traumstellen geht, wo alles stimmt, wo auch das eigene Qualifikationsprofil ideal passt, dann geht es darum, unter den gleichermaßen gut gerüsteten Mitbewerbern so aufzufallen, dass der Personalchef entscheidet: „Die schau ich mir an ...!“ oder „Den will ich kennenlernen!“ UNBEDINGT VERMEIDEN • Floskeln mit bürokratisch wirkender Desinformation • Langweilen mit Formulierungen aus den Bewerbungshandbüchern • Übertriebene Lobhudeleien des potenziellen Arbeitgebers • Nichtssagende Floskeln: „Wie ich Internetrecherchen entnehmen konnte ...“ • Phrasen wie „...glaube ich, in besonderer Weise Ihren Anforderungen zu entsprechen ...“, „... können Sie sicher sein, dass ich ...“ • Wiederholungen von Formulierungen aus dem Anzeigentext: „Sie suchen einen ....“ • Das Behaupten von Fähigkeiten ohne irgendwelche Realitätsbezüge • Wiederholungen dessen, was auch im Lebenslauf steht • künstlich wirkende „Originalität“ hrsg. vom Wissenschaftladen Bonn e.V., Reuterstr. 157, 53113 Bonn [email protected], Tel. 0228/20161-15