Frühe Sprachentwicklung

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Frühe Sprachentwicklung
Frühe Sprachentwicklung:
Normaler Verlauf, spezifische Störungen
und Fördermöglichkeiten
Prof. Dr. Wolfgang Schneider
Doris Wittstadt
Lehrstuhl für Psychologie IV
Begabungspsychologische Beratungsstelle
Entwicklung der Sprache
Überblick
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Bedeutung der Sprachentwicklung
Komponenten der Sprache
„Meilensteine“ der Sprachentwicklung
Theorien zum Spracherwerb
Sprachentwicklungsstörungen
Diagnose und Förderkonzepte
Bedeutung der Sprachentwicklung
• Erwerb der Sprache gehört zu den besonders
wichtigen „Entwicklungsaufgaben“ im Kindesalter
• Sprache als Kommunikationsmittel:
– Ausdruck der eigenen Intentionen und Wünsche
– Verständnis der sozialen Umwelt
• Aufgabe der Sprache:
vorbei ziehender Lautstrom der Umweltsprache und
relevante Merkmale der Situation müssen gefiltert,
verarbeitet und untergliedert werden sowie Regeln
abgeleitet werden
Sprachentwicklung nach Grimm (2002)
Was heißt es, im „Besitz“ von Sprache zu sein?
(1) Beherrschung des sprachlichen Ausdrucksmittels
(grammatisches Regelsystem)
(2) Sich anderen Menschen verständlich zu machen
Spracherwerb – Erwerb von „linguistischer“ und
„kommunikativer“ Kompetenz
Beide Aspekte greifen ineinander; keiner ist dem
anderen logisch vorgeordnet
Komponenten der Sprache
Komponenten
Funktion
erworbenes Wissen
Prosodische (lautliche)
Komponente
Betonung, prosodische
Gliederung
Prosodische Kompetenz
Phonologie
Organisation von
Sprachlauten (Reime)
Linguistische
Kompetenz
Morphologie
Syntax
Lexikon
Semantik
Wortbildung
Satzbildung
Wortbedeutung
Satzbedeutung
Sprechakte
Sprachliches Handeln
Diskurs
Qualität der
Kommunikation
Aus Oerter & Montada, 6. Auflage; Sprachentwicklung S.503
Pragmatische
Kompetenz
Komponenten der Sprache
Phonologie (Organisation von Sprachlauten)
Die Phonologie bezieht sich auf die Lautestruktur der
Sprache. Als Phonetik bezeichnet man dabei die Lehre von
der Lautbildung und deren Analyse (Franke 1998). Es geht
hier um die Produktion der Laute durch die Sprechorgane
genauso wie um die Lautrezeption im Hörorgan.
Phoneme sind kleinste, bedeutungsunterscheidende
lautliche Einheiten. Beispiel: Wird z.B. bei dem Wort ‚Haus‘
der Anfangslaut durch ein ‚M’ ersetzt, ergibt sich eine
Bedeutungsverschiebung. ‚Haus‘ – ‚Maus‘ unterscheiden
sich nur in einem Phonem, dem ‚H‘ bzw. ‚M‘. Dieser Laut ist
bedeutungsunterscheidend, also Untersuchungsgegenstand der Phonologie.
Komponenten der Sprache
Morphologie (Wortbildung)
Hierbei geht es um die Regeln der Wortbildung.
Morphologie an sich ist ein Teilbereich der Grammatik und
zwar jener, der sich mit Morphemen beschäftigt. Morpheme
sind die kleinsten, bedeutungstragenden Einheiten einer
Sprache (im Gegensatz zu bedeutungsunterscheidenden
Einheiten bei Phonemen). In dem Wort ‚suchte‘ sind zwei
Morpheme enthalten: ‚such‘ als Wortstamm oder freies
Morphem und die Endung ‚te‘ als gebundenes Morphem,
das in diesem Fall die Person und die Zeit der Handlung
näher bestimmt: Beide sprachlichen Einheiten sind folglich
bedeutungstragend, also Morpheme.
Komponenten der Sprache
Syntax (Satzbildung)
Auf einer höheren Organisationsebene enthält die
syntaktische Komponente diejenigen Kategorien und
Regeln, die die Kombination von Wörtern zu Sätzen
erlauben. So werden z.B. ganz unterschiedliche
Bedeutungen allein durch unterschiedliche
Wortordnungen ausgedrückt.
‚Stoiber liebt Merkel‘
‚Merkel liebt Stoiber‘
‚Liebt Merkel Stoiber?‘
Komponenten der Sprache
Lexikon und Semantik (Wort- und Satzbedeutung)
Die semantisch-lexikalische Ebene bezeichnet die
Bedeutungskomponente von Sprache. Semantik ist als
Lehre von den Bedeutungen und Inhalten von Wörtern und
Sätzen definiert. Was z.B. mit dem Begriff ‚Katze‘ gemeint
ist, wird von der Semantik untersucht. Das Lexikon bezieht
sich eher auf den gesamten, im Gehirn gespeicherten
Wortschatz eines Menschen, darauf, welche
phonologischen Repräsentationen der einzelne für
bestimmte Dinge hat (vgl. Braun 1999, 252). Nach
Chomsky (1977, 101) besteht das semantische Lexikon aus
lexikalischen Einheiten, die mitsamt ihren phonologischen,
semantischen und syntaktischen Eigenschaften gespeichert
sind. Zusätzlich sind im Lexikon alle möglichen Formen
eines Wortes enthalten.
Meilensteine der Sprachentwicklung
Phonologisch-prosodische Entwicklung
Der Erwerb der Sprache beginnt lange vor den ersten
produktiven Wortäußerungen der Kinder, nach neuerer
Befundlage sogar schon vor der Geburt:
rezeptiv
- ab Geburt gelingt Unterscheidung von menschlicher
Sprache gegenüber anderen Lauten
- Lautunterscheidung: zunächst universell, dann eingegrenzt
auf Muttersprache, dafür aber spezialisierter
- von Geburt an sensibel für Prosodie (Melodie) der
Muttersprache im Vergleich zu der einer Fremdsprache (im
Mutterleib gelernt?)
- Vorliebe der Mutter für ausgeprägte Prosodie („baby-talk“; =
deutliche Gliederung, übertriebene Intonationsstruktur, hohe
Tonlage)
Meilensteine der Sprachentwicklung
• Gurren (im Alter von 6 – 8 Wochen beginnt der Säugling
zu gurren)
• Lachen und Lautbildung (zwischen dem 2. und 4.
Lebensmonat)
• Wichtig: Nachahmung vorgesprochenen Vokale (a, i)
• Lallen (Silbenwiederholung) = wichtiger Prädiktor
• Erste Wörter mit 10-14 Lebensmonaten; Vorläufer sind
Gesten
• Betreffen Menschen (Mama, Papa), Fahrzeuge (Auto,
Traktor), Haushalt (Schlüssel)
• Hohe kognitive Anforderungen: erster Worterwerb
langsam
• Einwortphase: Bedeutung wird bestimmt durch Kontext
Veränderung der Sprachwahrnehmung
Bereits mit 6 Monaten Vorliebe für
grammatikalisch richtige Sätze
vorhanden.
100%
90%
Anteil der Kinder mit
Unterscheidungsvermögen (%)
80%
70%
Lautkombinationen der
Muttersprache
werden von Lautkombinationen in
anderer Sprache unterschieden:
Englischsprachige
Säuglinge unterscheiden Hindi von
Nthlakapmx.
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
6-8
8-10
10-12
Alter in M onaten
Hindi
Nthlakapmx
Die Fähigkeit von Säuglingen,
sprachliche Laute zu unterscheiden,
die nicht in ihrer Muttersprache
vorkommen, nimmt zwischen 6 und
12 Monaten ab.
Aus: Werker, 1989
Meilensteine der Sprachentwicklung
Aussprachefehler und metasprachliche
Kompetenz
•
•
•
•
•
Wiederholen von Silben: Baba für Baby
Auslassung unbetonter Silben: Aff für Affe
Reduktion von Konsonantenverbindungen: tinken für trinken
„nicht sichtbare“ Konsonanten schwierig: g, k
Aber: metasprachliche Kompetenz: Fis-Phänomen (Fis für
Fisch selbst gesprochen; andere werden „korrigiert“)
Meilensteine der Sprachentwicklung
Lexikalische Entwicklung
• 18 Monate: 50-Wort-Grenze erreicht: nun wird alles
benannt und kategorisiert, zunächst soziale Wörter („winke
winke“), dann Objekte
Typische Fehler in dieser Phase: Übergeneralisierung
(Wauwau für alle Vierbeiner) und Überdiskriminierung
(Flasche nur für Milchflasche)
• ab 30 Monate: schnelles Lernen von Wörtern (auch
Verben)
• Mit 2 Jahren: 200 Wörter + täglich ca. 9 Wörter hinzu
• Erstklässler: ca. 4.000 Wörter aktiv, ca. 12.000 Wörter
passiv
• Jugendliche: ca. 10.000 Wörter aktiv, ca. 60.000 Wörter
passiv
Meilensteine der Sprachentwicklung
Wirken von Lernbeschränkungen (constraints)
– Ganzheitsbeschränkung: Benennung bezieht sich auf Objekt
als Ganzes und nicht seine Teile oder Eigenschaften
– Taxonomische Beschränkung: neu erworbenes Wort
bezieht sich auch auf andere Objekte der gleichen Kategorie,
Probleme bei Objekten mit ähnlicher Form aber
unterschiedlicher Funktion (Ball für alles, was rund ist, ≠ Ei)
– Disjunktionsbeschränkung: ab 1,5 Jahre: neu erlerntes Wort
bezieht sich auf das Objekt, das bislang noch „keinen Namen“
hat; jedes Objekt hat zunächst nur einen Namen, verhindert
Ausweitung von Wortbedeutungen
Einfluss von Vorlesen auf Worterwerb
Eltern lasen nur vor
Eltern lasen Bücher vor
und fragten Kinder über
Inhalt
Wichtig ist aktive Rolle beim
Wortlernen, sonst werden
unbekannte Worte einfach ignoriert
Einfluss von Fernsehen auf Worterwerb
„Sesamstrasse“ Schauen im
Alter von 3 Jahren hat
positive Auswirkungen auf
Wortschatzentwicklung;
nicht mehr bei älteren
Kindern
Wichtig ist aktive Rolle beim
Fernsehen, wie etwa durch
„Sesamstrasse“ ausgelöst;
bei „Cartoons“ ist dieser
Effekt nicht vorhanden
Sprachentwicklung im 2. / 3. Lebensjahr
• Die lexikalische Entwicklung stellt eine der zentralen
Entwicklungsaufgaben im zweiten Lebensjahr dar.
Im gleichen Zeitraum beginnen die Kinder erste
Wortkombinationen zu bilden und grammatische
Regelhaftigkeiten zu verstehen.
• Das dritte Lebensjahr ist besonders durch den
Erwerb der grundlegenden Satzbaupläne und
morphologische Fortschritte gekennzeichnet. Es
erfolgt der Übergang von der „telegraphischen
Sprache“ (Telegrammstil) zu ersten vollständigen
Sätzen.
Meilensteine der Sprachentwicklung
Grammatikalische Entwicklung (Wortbildung,
Satzbildung, Satzbedeutung)
• Menschliches Bedürfnis, Grammatik zu lernen, ist
intrinsisch motiviert
• Früh grammatikalisches Wissen vorhanden: mit ca.18
Monaten können Kleinkinder unterscheiden zwischen
„Bär kitzelt Vogel“ vs. „Vogel kitzelt Bär“
• Zwei-Wort-Sätze: Wortsequenzen, telegrafischer Stil
• ab 2,5 Jahren: Fragesätze
Meilensteine der Sprachentwicklung
Grammatikalische Entwicklung (Wortbildung, Satzbildung,
Satzbedeutung)
•
Beleg: Übergeneralisierung von Regeln, z.B.
Vergangenheits-formen, Pluralbildung
•
Verlauf: erst allgemeine Regel erkennen, dann Ausnahmen
lernen
•
„Preparedness“ : menschliches Gehirn ist auf diese Art von
sprachlichem Lernen vorbereitet
•
Grammatik ist humanspezifisch: Primaten erlernen
Wortbedeutungen, aber keine Grammatik
•
Grammatikerwerb hat eine sensible Phase, in der Lernen am
besten/schnellsten geht
•
andere Hirnaktivitäten bei Grammatikerwerb im Vergleich zum
Wortlernen
Sensible Phase für Spracherwerb
Kinder, die lange in Isolation
aufwuchsen und in der kritischen
Phase keinen Kontakt zu
Menschen hatten, entwickeln sich
in ihrer Sprachfähigkeit meist
nicht über die eines Kleinkindes
hinaus.
• „Wolfskind“ Viktor
(Frankreich)
• Genie (1970 in den USA)
Abschneiden im Grammatik-Test von
Erwachsenen, die zu unterschiedlichen
Zeitpunkten von China o. Korea in die USA
migriert waren.
Entwicklung der pragmatischkommunikativen Kompetenz
Bei der Entwicklung der pragmatischen Kompetenz geht es vor
allem um den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten des
situations- und kontextangemessenen Gebrauchs der
Sprache.
Dies schließt sowohl den Aufbau soziokultureller Kenntnisse
als auch das Wissen um die Gefühle und Bedürfnisse anderer
ein. Die Sprache muss immer an einen bestimmten Kontext
angepasst werden, z.B. an einen bestimmten Zeitpunkt, an
einen bestimmten Ort, an eine bestimmte Absicht, an einen
bestimmten Partner (Franke 1998). Mit einem kleinen Kind
wird man sich anders unterhalten, als wenn man seinen
Arbeitgeber um eine Gehaltserhöhung bittet.
Entwicklung der pragmatischkommunikativen Kompetenz
• 3-4 Monate: Säuglinge sind still, wenn Erwachsener mit ihnen
spricht
• 8-10 Monate: Kommunikation mittels Gesten
• 2 Jahre: Sprechpausen werden genutzt
• 3 Jahre: wenn Gegenüber nicht antwortet, wird Frage
wiederholt
• 4 Jahre: Kinder können Alter und Vorwissen des Gegenüber
berücksichtigen
• Achten auf Aufmerksamkeit des Gegenübers
• Unklarheiten, Widersprüche in der Äußerung des Gegenübers
werden bis ins Schulalter hinein nicht zuverlässig erkannt
Bedeutung individueller Unterschiede
Normalerweise sprechen westlich zivilisierte Kinder ihr
erstes Wort mit etwa 10-13 Monaten, erleben den
Vokabelspurt mit 18-20 Monaten und fangen im Alter von
24 Monaten an, einfache Sätze zu sprechen.
Es findet sich jedoch eine enorme Streuung in diesen
Daten. Abweichungen in Richtung verzögerter
Spracherwerb sind von daher nicht gleich problematisch, da
spätere Aufholmöglichkeit besteht („late talkers“, „ late
bloomers“). Dennoch sollte hier die Entwicklung besonders
aufmerksam verfolgt werden.
Entwicklung der Sprache im Schulalter
• Sprachliche Fähigkeiten nehmen quantitativ und qualitativ zu
• Allgemein wächst das Verständnis für Wortbedeutungen,
wobei individuelle Unterschiede jedoch sehr groß sind
• Wortschatz ist in den ersten 4 Schuljahren vorwiegend
konkret-gegenständlich
• Sprache und Erzählen wird weniger kontextabhängig
• Temporalsätze werden seltener, Attributiv- und Kausalsätze
häufiger
Wichtige Einflussfaktoren
•
•
•
•
Intelligenz des Kindes
Sprachliches Vorbild der Familie
Schulische Förderung
Individuelle Sprachbegabung
Theorien zum Spracherwerb:
2 Theoriefamilien
„Outside-in“-Theorien
„Inside-out“-Theorien
Annahme genereller
Lernmechanismen
Sprachlernen unterscheidet
sich von anderen
Lernprozessen
Es gibt keine angeborenen
Sprachvoraussetzungen
Kind ist mit angeborenem
sprachspezifischen
Fähigkeiten ausgestattet
zwei Varianten:
•kognitive und
•sozial-interaktive Theorien
zwei Versionen:
•Starke Version:
Universalgrammatik
•schwache Version: basiert
auf empirischen Ergebnissen
der Säuglingsforschung
Spracherwerb als Folge von
Umwelterfahrungen (Outside-In)
Lernen am Erfolg (SKINNER)
Kind erhält von der Mutter positive Verstärkung
(Aufmerksamkeit, Lob) für seine Sprachäußerungen; das
Befolgen richtiger Regeln soll Sprachlernprozess formen.
Problem: Aufbau des grammatikalischen Systems und der
Verständigungsfähigkeit wird damit nicht erklärt.
Imitation (Nachahmung)
Dieser Lernvorgang scheint wesentlich, kann jedoch für sich
genommen den Vorgang des Spracherwerbs nicht völlig
aufklären.
Eigenkonstruktionen des Kindes sind für den Spracherwerb
wesentlich und durch Imitationslernen nicht zu erklären.
Folie 28
Inside-out-Theorien des Spracherwerbs
Spracherwerb als biologisch fundierter, eigenständiger
Phänomenbereich
•
Spracherwerb ist humanspezifisch
(2)
Fähigkeit zum Spracherwerb ist beim Menschen sehr
robust
(3)
Sprachleistungen in der Kindheit werden nicht in gleicher Weise
von denselben Hirnregionen vermittelt wie im Erwachsenenalter
(4)
Spracherwerb ist auch bei eingeschränkten kognitiven
Fähigkeiten möglich
Sprachentwicklungsstörungen
• Grimm (1999) geht davon aus, dass kein anderer
Bereich der geistigen Entwicklung so störanfällig
ist wie der sprachliche Bereich.
• Wichtig ist die Unterscheidung zwischen
„Sprachstörung“ und „Sprechstörung“. Letztere
sind Störungen des Redeflusses (Stottern,
Poltern, Artikulation); erstere beziehen sich auf
Probleme mit dem Regelsystem der Sprache
(Grammatik, Syntax).
Sprachentwicklungsstörungen -2Merkmale spezifischer Sprachentwicklungsstörungen:
• die Störung ist primärer Natur, nicht auf Hörschäden
oder geistige Behinderung zurückzuführen
• Sprachbeginn ist verspätet und verläuft stark
verlangsamt
• sprachliches Verständnis ist deutlich besser als die
Sprachproduktion
• Grammatik und Syntax sind gestörter als Wortschatz /
Sprachverständnis
• Intelligenz ist im Normalbereich
Sprachentwicklungsstörungen -3• Beispiele für Sprachäußerungen (Samuel, 3 Jahre):
-
„Ich heute gehen raus“
„soviel ich hab“
„da ich wohn“
„hez nomal probier“
„nicht hole kann“
Sprachentwicklungsstörungen -4Wenn es auch therapeutisch in einigen Fällen
gelingen kann, die Kinder von ihren auffallend
falschen Sätzen abzubringen, so erweist sich ihr
syntaktisches Problem als überdauernd und
kaum grundsätzlich lösbar.
Es handelt sich meist nicht um eine einfache
Entwicklungsverzögerung, sondern um eine
massive Störung des Sprachlernprozesses.
Sprachentwicklungsstörungen -5Mögliche Ursachen
• Keine einfache Antwort möglich
• Störung hat viele mögliche Ursachen und wohl auch
einen genetischen Hintergrund
• Mütterliches Sprachangebot nicht optimal?
Sprachbezogenes Kurzzeitgedächtnis der Kinder ist
eingeschränkt
• Sprachverarbeitung ist sehr langsam
Zusammenfassung
(1)
Die Sprache ist humanspezifisch und hat eine
biologische Basis
(2)
Das Kind ist für den Spracherwerbsprozess vorbereitet;
ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis dieses
Prozesses befindet sich demnach in der Zeit davor
(3)
Ohne eine sprachliche Umwelt wäre der Erwerbsprozess
nicht möglich
(4)
Die inneren Voraussetzungen des Kindes und die
äußeren Umweltfaktoren müssen in optimaler Weise im
Sinne einer gelungenen Passung zusammenwirken; bei
spezifischen Sprachentwicklungsstörungen ist dies nicht
der Fall, wobei die Ursachen weitgehend unklar sind
Sprachförderung
Überblick
1)
2)
3)
4)
Das intuitive Elternprogramm
Sprachdiagnose
Sprachförderprogramme
Sprachförderung im Alltag
1) Das intuitive Elternprogramm
Das „intuitive Elternprogramm“
1. Lebensjahr: Ammensprache („baby talk“)
- Funktion: Spracherkennung
- Hoher Tonfall, übertriebene Satzmelodie
- Einfache und deutlich betonte Sätze
- Häufige Fragen, z.B. „ja, wo ist er/sie denn?“
2. Lebensjahr: Stützende Sprache
- Funktion: Wortschatzerweiterung
- Das Vermitteln neuer Begriffe läuft nach einem festgelegten
Schema ab:
(1)Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken („oh, schau“)
(2)Nach dem Gegenstand / der Sache fragen („was ist das
nur?“)
(3)Die Sache benennen („das ist…“)
(4)Nochmals bestätigen („ja stimmt, das ist…“)
Das „intuitive Elternprogramm“
Ab 24 bis 27 Monaten: Lehrende Sprache
- Funktion: Grammatikerwerb, das Sprechen des Kindes
anregen
- Modellierende Sprachlehrstrategie: akzeptierende
Wiederholung, Erweiterung und Korrektur der kindlichen
Äußerung. Bsp. für eine korrigierende Rückmeldung
(gleicher Inhalt, bessere Gestalt):
Kind „Und da kommt des alles ins Lastwagen“
Mutter „Jetzt kommt das alles in den Lastwagen“
- Sozial-kommunikativer Austausch: Die Mutter regt ihr Kind
durch Aufforderungen und Fragen zur Sprachproduktion an
2) Sprachdiagnose /
Identifikation von Risikokindern
Beobachtungsbögen
• Grobe Einteilung der Fähigkeiten
• Handlungsbedarf bei auffälligen und andauernden
Abweichungen von den genannten Leistungen
• Verschiedene Quellen, z.B. Handbuch für Sprachförderung
in der Kindertagesstätte (online kostenlos verfügbar:
http://www.leipzig.de/imperia/md/content/53_gesundheitsa
mt/handbuch_sprachf__rderung.pdf)
Beobachtungsbögen
Elternfragebögen
• Die Eltern schätzen die Fähigkeiten ihres Kindes ein
(Wortschatz, Gesten, etc.)
• Die Fragebögen sollen im Rahmen der U-Untersuchungen
vorgelegt werden:
• Entscheidend ist, ob bestimmte kritische Werte
unterschritten werden. Falls ja, entscheidet der Kinderarzt,
welche Schritte nötig sind (Gehör untersuchen,
Sprachentwicklungstest, …)
Elternfragebögen: ELFRA-1 und -2
ELFRA-1 (U6)
-
Sprachproduktion und -verständnis
Gesten
Feinmotorik
ELFRA-2 (U7)
-
Sprachproduktion
Satzbildung
-
Grammatik
Elternfragebögen: SBE-2-KT / -3-KT
SBE-2-KT (U7) – verfügbar in 18 Fremdsprachen
- Sprachproduktion
- Satzbildung (1 Frage zu Mehrwortsätzen)
SBE-3-KT (U7a)
- Sprachproduktion
- Grammatik (15 Fragen)
Inkl. Handbuch kostenlos verfügbar auf der Homepage
der LMU München (http://www.kjp.med.unimuenchen.de/sprachstoerungen/SBE-3-KT.php)
Elternfragebögen: Onlinetest
• Kurztests für 1- und 2-jährige online unter
www.stern.de / Gesundheit / Kinderkrankheiten /
Tests & Service / Entwicklungs-Check
Sprachentwicklungstest: SETK-2
• Altersbereich: 2,0 bis 2,11 Jahre (danach: SETK3-5)
• Ziel: Erfassung der Sprachverarbeitungsfähigkeiten (rezeptiv und produktiv)
• Testaufbau:
- Verstehen 1: Wörter
- Verstehen 2: Sätze
- Produktion 1: Wörter
- Produktion 2: Sätze
Diagnostischer Prozess
Elternfragebogen 1
(ELFRA-1)
12 Monate (U6)
Diagnose: normale Entwicklung
24 Monate (U7)
Diagnose: Risikokind
Elternfragebogen 2
(ELFRA-2 oder SBE-2-KT)
Diagnose: normale Entwicklung
Sprachentwicklungstest
(SETK-2)
Diagnose: Risikokind
3) Sprachförderprogramme
Sprachförderprogramme
Schlüsselkompetenz Sprache.
Sprachliche Bildung und Förderung
im Kindergarten. Konzepte, Projekte
und Maßnahmen
von
Karin Jampert
Petra Best
Angela Guadatiello
Doris Holler
Anne Zehnbauer
Sprachförderprogramme < 3
„Sprache und frühkindliche Bildung“ nach Zvi
Penner
-
Zielgruppe: Kinder von 0-6 Jahren mit Spracherwerbsstörungen
oder Deutsch als Zweitsprache
Gruppentraining: 4-10 Kinder, täglich 10-15 Minuten
Ziel: Sensibilisierung für sprachliche Regelmäßigkeiten
Drei Module: Sprachrhythmus und Wortbildung, Grammatik,
Sprachverstehen
Schulung der Erzieher/in empfohlen (6 x ½ Tag, Kosten: 288 Euro
inkl. Programmhandbuch)
Materialien: ca. 600 € (Gesamtpaket) bzw. ca. 730 €
(Einzelmodule nacheinander)
Informationen: www.kon-lab.com
Sprachförderprogramme < 3
Sprachliche Frühförderung nach R. Tracy
- Zielgruppe: Kinder ab 3 mit geringen Deutschkenntnissen
- Gruppentraining: 3 Kinder, tägliche Förderung, mind. 6
Monate
- Ziel: Aktivierung des „biologischen Sprachlernprogramms“
- Förderempfehlungen je Meilenstein des Spracherwerbs:
Einwort-Äußerungen, erste Wortkombinationen, einfache
Sätze, komplexe Sätze
- Schulung: 5x½ Tag, 1 Tag Workshop zur
Sprachstandsdokumentation, Kosten auf Anfrage
- Materialien: keine – die Erzieherinnen entwickeln selbst
Material und passen es an den Sprachstand der Kinder an
- Informationen: Forschungs- und Kontaktstelle
Mehrsprachigkeit der Universität Mannheim
Sprachförderprogramme < 3
Sprache macht stark!
- Sprachförderkonzept für 2- bis 4-jährige, angelehnt an das
Konzept von Rosemarie Tracy; wurde im Rahmen der
„Offensive Bildung“ in 18 Kitas implementiert
- Eckpfeiler:
(1) Qualifikation von 2-3 Erzieherinnen zu
Sprachförderkräften
(2) Sprachförderung in Kleingruppen: 4 Kinder, dreimal pro
Woche, 1 Stunde, sprachlicher Input zu
alltagsrelevanten Themen
(3) Sprachförderung im pädagogischen Alltag
(4) Sprachförderung in Eltern-Kind-Gruppen
- Informationen: www.offensive-bildung.de
Sprachförderprogramme < 3
Heidelberger Elterntraining
- Zielgruppe: Eltern 2- bis 3-jähriger Kinder mit verzögerter
Sprachentwicklung
- Gruppentraining: 5-10 Teilnehmer (ohne Kinder)
- Inhalte z.B.: Bilderbücher ansehen, Sprachförderung im
Alltag, Fragen gezielt einsetzen
- Evaluation: 77% der Kinder konnten den Rückstand bis
zum 3. Geburtstag aufholen (in der Kontrollgruppe: 43%)
- Trainings in Würzburg: Sozialpädiatrisches Zentrum, JosefSchneider-Straße 2 ( Ulrike Mittelstedt, Tel. 20 12 77 09, EMail: [email protected])
Sprachförderung in Bayern
•
-
Zielgruppe:
alle Kinder (auch die unter Dreijährigen)
Kinder mit Migrationshintergrund
Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung
• Förderschwerpunkte:
- Sprache
- Vorläuferfähigkeiten für den Erwerb der Schriftsprache
• Zentrales Projekt: Sprachberatung in
Kindertageseinrichtungen
Projekt: Sprachberatung in Kitas
• Beratung und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte in
Kinderkrippen, Kindergärten, Horten und Kinderhäusern
• Das Ziel ist die Optimierung der sprachlichen Bildung aller
Kinder in Kitas
• Das Team wird dabei unterstützt, Bestehendes zu prüfen,
den Bedarf an Weiterentwicklung zu ermitteln und eigene
Lösungen zu finden.
• Die Sprachberater sind pro Einrichtung 170 Stunden tätig
• In Würzburg (Stadt und Land) gibt es vier Sprachberater
• Vermittlung über die Träger der öffentlichen Jugendhilfe
oder über den eigenen Verband
• Informationen:
www.stmas.bayern.de/kinderbetreuung/bep/sprachfoerd.htm
4) Sprachförderung im Alltag
Sprachförderung im Alltag
(Schon) mit den Allerkleinsten sprechen und interagieren,
z.B.
- „Lallduette“, auf das Lallen oder Brabbeln des Kindes
reagieren
- Alltägliche Handlungen versprachlichen, z.B. beim
Anziehen: „jetzt kommt das rechte Ärmchen, jetzt kommt
das linke Ärmchen“
- Handlungen des Kindes versprachlichen, z.B. beim Spielen:
„Da hast Du aber einen großen Turm gebaut“
- Auf das fragende „da?“ oder Deuten der Kinder reagieren,
Gegenstände benennen
- Wenn das Kind „antwortet“ (durch Lallen, Mimik, Gestik):
Lächeln = positives Feedback, Erfolgserlebnis für das Kind,
emotionale Zuwendung
Sprachförderung im Alltag
Verbesserte Wiederholung: „Falsche“ Wörter oder Sätze
noch einmal richtig anbieten, ohne dabei das Kind auf seine
Fehler aufmerksam zu machen, z.B.
- Kind: „Ich habe eine Sonne demalt“
- Erwachsener: „Du hast eine Sonne gemalt? Zeig doch
mal. Ja, eine große gelbe Sonne hast Du gemalt“
Das was das Kind lernen soll, häufiger verwenden oder
betonen, z.B.
„Das ist ein großer Baum. Siehst Du dort den kleinen
Baum?“
Sprachförderung im Alltag
Die Kinder ermutigen, viel und möglichst lange zu
erzählen (z.B. im Stuhlkreis- in Zweier- oder
Dreiersituationen)
Mit den Kindern sprechen: die Kinder ansehen, Interesse
zeigen, Zuhören, Ausreden lassen, auf das Gesagte
eingehen
Sprache an die Kinder anpassen und auf einem etwas
höheren Niveau anbieten: kurze Sätze, langsam und
deutlich sprechen, evtl. unbekannte Begriffe erklären
Wichtige Informationen mit verschiedenen
Formulierungen wiederholen, z.B.
„Morgen braucht ihr kein Frühstück mitzubringen. Wir essen
alle zusammen. Ihr müsst also gar keine Taschen
mitbringen.“
Sprachförderung im Alltag
Sprachanlässe
- Alltagssituationen
- Spielsituationen
- Bilderbuchbetrachtung
- Geschichten erzählen oder vorlesen
- Einfache Lieder, Fingerspiele, Reime
- …