Vorurteile gegenüber Lehrern in Ödon von Horvaths „Jugend ohne

Transcription

Vorurteile gegenüber Lehrern in Ödon von Horvaths „Jugend ohne
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Erziehungswissenschaftliches Seminar
Dozent: Dr. H.-P. Gerstner
PS: Theodor W. Adorno: Tabus über den Lehrberuf
Vorurteile gegenüber Lehrern in Ödon von Horvaths
„Jugend ohne Gott“ und bei Theodor W. Adornos „Tabus
über dem Lehrberuf“
Silvia Bär
Lange Rötterstraße 78
68167 Mannheim
Tel.: 0621/7187821
[email protected]
1
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
S. 3
2. Inhalt des Romans
S. 4
3. Vorurteile im Vergleich
S. 5
4. Zusammenfassung
S. 8
Literaturverzeichnis
S. 8
2
1. Einleitung
Wie werden Lehrer in der Literatur charakterisiert? Die Verfasser literarischer Texte
zu allen Zeiten befassen sich mit der Lehrerexistenz und -tätigkeit bzw. mit dem
Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. Obwohl Bilder, Metaphern oder
Wertungen dem zeitlichen und kulturellen Wandel unterworfen sind, treten stets
wiederkehrende Motive auf. Diese Problemstellungen und Konflikte scheinen so alt
wie die Schule selbst zu sein. Das Lehrerbild der Literatur soll am Beispiel von Ödon
von Horvaths Roman „Jugend ohne Gott“ dargestellt werden. Darüber hinaus soll es
mit Theodor W. Adornos Text „Tabus über dem Lehrberuf“ und den heutzutage
herrschenden Vorurteilen verglichen werden. Zusammenfassend soll die Hausarbeit
Vorurteile und ähnliche Konflikte oder Gefahren zwischen damals und heute
herausfiltern und darstellen.
Das größte Spannungsfeld, in welchem sich der Lehrberuf befindet, ist einerseits die
erwartete Profession und andererseits die nicht minder erwünschte Erziehung. Diese
beiden Gegensätze scheinen nahezu unvereinbar, denn die Profession auf der
fachlichen Ebene droht die Aufgabe der Erziehung zu behindern bzw. unmöglich zu
machen. Dennoch wird vom Lehrer beides erwartet: Sowohl ein hohes Maß an
Wissenschaftlichkeit, dass zur Stoffvermittlung qualifizieren soll, als auch die
Disziplin, die Aufnahme von Wissen auf Seiten der Schüler erst ermöglicht. Wenn die
Gesellschaft und der Staat zusätzlich diese Problematik verstärken, so wie es der
Hauptfigur in Horvaths Roman zufällt, gerät der Lehrer in eine nahezu ausweglose
Situation und steht vor einem unüberwindbaren Widerspruch.
3
2. Inhalt des Romans
Der Roman „Jugend ohne Gott“ besitzt nicht nur eine äußere, sondern auch eine
innere Handlung. Der äußeren formalen Handlung nach liegt ein Kriminalroman vor,
in dem es um die Aufklärung eines Mordes an einem Schüler geht. Die innere
Handlung spielt sich auf der Ebene des sich allmählich wandelnden Denkens,
Empfindens, Beurteilens und Verhaltens einer Einzelperson, nämlich der des
Lehrers, ab.
Horvath (1901-1938) schrieb eine in mehreren Strängen angelegte Geschichte, die in
einem faschistisch-autoritären Staat spielt und 1937 in Amsterdam erstmals erschien.
Die Hauptfigur, die als Ich - Erzähler durch die Geschehnisse führt, ist ein 34jähriger
Geographie- und Geschichtslehrer. Dieser verurteilt rassistische Propaganda und
sieht seine Schüler als Angehörige dieses Systems, dass von Gewalt, Raub, Mord
und Meineid geprägt ist und in dem Verbrechen des höheren Ideals wegen zur
gesellschaftlichen Linie umgestaltet und verformt werden. Der Konflikt mit seinen
Schülern spitzt sich zu, als er in seiner Rolle als Wissensvermittler die „Neger“ als
Menschen bezeichnet. Dies löst einen ungeheuren Wirbel aus: Nicht nur die Schüler
rebellieren gegen ihren Lehrer, sondern sie werden zusätzlich von ihren Eltern darin
unterstützt und bestärkt. Dadurch verliert der Lehrer nahezu den Boden unter den
Füßen.
Die Erzählung beschreibt die ideologische Beeinflussung der Jugend durch den
Missbrauch ihrer alterstypischen Abenteuerlust: Nach den Osterferien findet eine
vormilitärische Ausbildung in Form eines Zeltlagers statt, wobei der Lehrer als
Aufsichtsperson fungiert. Um einen Diebstahl aufzudecken, werden ausgewählte
Schüler als Wachen aufgestellt, die wiederum heimlich vom Lehrer beobachtet
werden. Dabei bemerkt er, dass ein Schüler namens Z. einen Brief zugesteckt
bekommt. Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, spricht der Lehrer mit N.,
dem Zeltnachbar des Z. Die beiden Schüler sind verfeindet und der Lehrer erfährt,
dass Z. ein Tagebuch führt. Da er mit seinen Ermittlungen nicht vorwärts kommt,
bricht der Lehrer heimlich dieses Tagebuch auf und erfährt, dass Z. ein
Liebesverhältnis zu einem „verwahrlosten Mädchen“, dass zur Diebesbande gehört,
unterhält. Sofort hat Z. natürlich den N. unter Verdacht und der Lehrer stellt den
Vorfall nicht richtig, um seine eigene Haut vor seiner Klasse zu retten.
4
Nur einen Tag später wird N. ermordet aufgefunden und Z. gesteht den Mord, obwohl
die Verteidigung des Z. von einem anderen Mörder ausgeht. Plötzlich sieht sich der
Lehrer herausgefordert, während des Prozesses die Wahrheit zu sagen, obwohl er
damit seine Stellung riskiert. In der Folge wird er zwar vom Lehramt suspendiert und
verliert seine bürgerliche Achtung vollkommen, dennoch wird er dadurch zum
positiven Vorbild für das ebenfalls befragte Mädchen. Diese entlastet Z., wird aber
nun selbst als Mörderin verdächtigt. Der Lehrer, dessen Lebensgefühl sich durch das
Sagen der Wahrheit verändert hat und der seine Angst auf diese Weise besiegt hat,
betätigt sich nun als Detektiv. Dabei wird er von einer Gruppe oppositioneller Schüler
unterstützt und sie können schließlich dem wahren Mörder, einem Schüler namens
T., auf die Spur kommen.1
3. Vorurteile im Vergleich
Welche Faktoren prägen das heutige Lehrerbild? Welche Vorurteile existieren
aktuell? Wo liegen ähnliche Ursachen oder Gefahren wie im Roman, die auch
Adorno bereits nennt? Die Vorurteile gegenüber Lehrern sind kein neuartiges
Phänomen. Sie existierten zu allen Zeiten. Was bedeutet für Adorno, den Verfasser
des dem Seminar zugrunde liegenden Textes, der Bergriff Tabu? Der Autor orientiert
sich dabei an den Erläuterungen Sigmund Freuds.2 Ursprünglich entstammt der
Tabubegriff aus der Religion polynesischer Stämme. Adorno meint damit nun
wiederum „unbewusste oder vorbewusste Vorstellungen“.3 Er sieht „Tabu“ in
Zusammenhang mit „Vorurteil“.
Welche Vorurteile gegenüber dem Lehrberuf nennt Adornos Text? Hier folgen einige
Beispiele: In den Köpfen vieler Menschen war lange Zeit die materielle
Benachteilung eines Lehrers vorherrschend, weshalb im Text vom Lehrberuf als
„Hungerberuf“4 die Rede ist. Auch der Ich-Erzähler des Romans spielt auf die
Problematik der Existenzgrundlage an: Zwar sieht er sich nicht in einem Hungerberuf
verfangen, sondern im Gegenteil: die Ausübung des Berufs scheint ihm materiell
Sicherheit zu verleihen. Allerdings weiß er sehr wohl darum, wie schnell ihm Gefahr
1
Die Zusammenfassung richtet sich nach: Kiper, Hanna, Kulturelle Wertungen der LehrertätigkeitEine Reflexion der Lehrerbilder in literarischen Texten, S. 14ff.
2
Freud, Sigmund, Seelenleben von Neurotikern, 1912.
3
Adorno, T. W., Tabus über dem Lehrberuf, S. 1.
4
Ebd.
5
droht: Wenn er sich nicht so verhält, wie man es von ihm erwartet und beharrlich
weiter erzählt, dass „Neger“ Menschen sind, so droht ihm nicht nur eine
Disziplinarstrafe, sondern es bedeutet für ihn zugleich „Brot verlieren“, „Keine Kleider,
keine Schuhe, kein Dach...“5
Geschlechtsspezifisch werden bei Adorno einige Unterscheidungen vorgenommen.
Männliche Lehrende werden als „Pauker“ oder „Steißtrommler“ bezeichnet. Zum Teil
wird der Lehrer immer noch mit dem Soldat assoziiert und dies erklärt das aus dem
Militärischen stammende Vokabular. Auch im Roman existiert die Nähe zum
Militärischen, denn während des Feldlagers arbeitet der Lehrer, wenn auch
gezwungenermaßen, mit einem ehemaligen Feldwebel zusammen und muss
militärisches Verhalten, wenn auch nicht lehren, so jedoch tolerieren und
respektieren. Hingegen werden von Adorno Frauen
„alte, verdorrte Jungfrauen“
(englisch schoolmarm).6 genannt. „Jugend ohne Gott“ thematisiert weniger
geschlechtsspezifische Unterscheidungen unter den Lehrenden, jedoch kommt eine
Problematik auf Seiten der Schüler zum Vorschein: Damals wurde noch in rein
gleichgeschlechtlichen Klassen unterteilt und ein Kollege der Hauptperson, in der
Geschichte stets „der Plebejer“ genannt, wurde aufgrund einer klischeehaften
Beziehung, nämlich der zu einer minderjährigen Schülerin, vom Mädchengymnasium
an eine Schule ausschließlich für Jungen versetzt.7
Missgunst ruft
außerdem – wie bei Adorno erwähnt - die Eingliederung in die
Beamtenhierarchie hervor, was mit Faulheit und Trägheit in Verbindung gebracht
wird.8 Eine weitere Bezeichnung aus dem politisch-militärischen Bereich ist
„Schultyrann“9, womit die Macht des Lehrers, der nur arme Opfer, nämlich hilflose
Kinder, tyrannisiert.
Welche Vorurteile bestehen heute noch? Inzwischen haben sich – wie wir in der
Diskussion im Seminar feststellten – die Vorurteile verändert. Militärische Metaphern
sind mittlerweile eher rückläufig. Die aktuellen Konflikte kommen uns ein wenig
differenzierter vor, dennoch stimmen sie im Grundton noch mit Adorno überein. Als
Lehrer sieht man sich jetzt mit folgenden Vorurteilen konfrontiert:
5
von Horvath, Ödon, Jugend ohne Gott, Frankfurt 1994, S. 23.
Adorno, Tabu, 2.
7
Horvath, Jugend ohne Gott, 27.
8
Adorno,Tabu, 5.
9
Ebd.
6
6
Weiterhin gilt der Lehrer als faul und rechthaberisch. Dies bestätigen Sprüche wie
„Morgens haben alle Lehrer recht und mittags frei“, „Schwellenunterricht“ oder der
Vorwurf, dass sie zuviel Urlaub zu haben.
Sie gelten immer noch als spießig. Dies findet sich eventuell auch im Roman
angedeutet, denn der Lehrer wohnt in ordentlichen Verhältnissen, wobei er streng
von der „Hausfrau“, seiner Vermieterin beaufsichtigt wird.10
Auch hat sich an dem Kernproblem, dem Konflikt, zugleich Wissen zu vermitteln und
die Aufgabe als Erzieher ernst zu nehmen, nichts geändert. Nicht nur die fachliche,
sondern auch die pädagogische Ausbildung käme im Studium zu kurz. Man kritisiert,
dass der Lehrer über die Schule hinaus, also in einem anderen Beruf Erfahrungen
sammeln, nie gekommen ist. Darüber hinaus wirft man ihnen vor, dass zu wenig
Überprüfungen stattfinden. Dies ist im Roman eher gegensätzlich ausgedrückt, denn
der Lehrer sieht sich ständig indirekten Überprüfungen durch Eltern und Staat
ausgesetzt.11
Was kritisiert denn Adorno am Lehrer? Im Wesentlichen bemängelt er das
mangelnde Selbstbewusstsein der Lehrer.12 Er übt Kritik an dem Widerwillen, den
Lehrer gegenüber ihrer Lehrerrolle zu verspüren scheinen. Diese Haltung kritisiert
auch Horvath. Solange der Lehrer niedergeschlagen und sich selbst beklagend in
seiner Unterwürfigkeit verweilt, ist er ein ängstliches, gedrücktes Wesen. Als er
jedoch über seinen Schatten springt, ist er plötzlich erfolgreich und ein geachteter
Mann. Interessanterweise jedoch, wird es ihm sofort von diesem Moment an
verwehrt, weiterhin den Lehrberuf, zumindest in der üblichen Form, auszuüben. Und
erst nach seiner Suspension sehen manche Schüler in ihm ein Vorbild.
Die anderen Vorurteile sieht Adorno im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen
Erwartungen an den Lehrer und tritt als einer, der sich mit diesen Lehrerbildern
auseinandersetzt und der den Lehrberuf letztendlich verteidigt, auf. Ebenso
wiederum Horvath, der den Lehrer gleichermaßen als Opfer des Systems darstellt.
10
Horvath, Jugend ohne Gott, 30.
Ders. 17ff.
12
Adorno, Tabu, 1.
11
7
4. Zusammenfassung
Die
überaus
ähnlichen
Gedankengänge
und
das
gleiche
Empfinden
für
Widersprüchlichkeiten zwischen Adorno und Horvath sind beeindruckend. Ein
Zusammenhang besteht vielleicht darin, dass beide über lange Zeit hinweg Wien
zum Aufenthaltsort hatten und Adorno darum Horvaths Gedanken, Prägungen etc.
nachvollziehen konnte und sich dadurch so etwas wie ein gemeinsames
Gedankengut entwickeln konnte.
Die Grundproblematik und die daraus resultierenden Vorurteile sind nicht nur bei
Adorno und Horvath identisch, sondern finden sich auch heutzutage wieder. Die
Lehrer befinden sich stets in einer gewissen Abhängigkeit von Staat und Gesellschaft
und müssen zugleich Wissen vermitteln und erziehen. Auch heute ist vorstellbar,
dass der Lehrer zunächst eine Form von Selbstbewusstsein – wie die Hauptfigur des
Romans und wie es von Adorno gefordert wird13 - entwickeln muss, bevor er eine
anerkannte Position einnehmen kann.
Literaturverzeichnis
Adorno, T. W., Tabus über dem Lehrberuf.
Freud, Sigmund, Seelenleben von Neurotikern, Wien 1912.
Ödon von Horvath, Jugend ohne Gott, Frankfurt 1994.
Kiper, Hanna, Kulturelle Wertungen der Lehrertätigkeit-Eine Reflexion der Lehrerbilder in literarischen
Texten.
13
Adorno, Tabu, 1.
8