Die Zivilrechtsstation im Referendariat Teil 2 - matthias

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Die Zivilrechtsstation im Referendariat Teil 2 - matthias
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Die Zivilrechtsstation im Referendariat
Teil 2:
Prozessuale Sonderkonstellationen
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Inhaltsverzeichnis Teil 2:
1.
Anspruchshäufung
3
2.
Objektive Klageänderung
5
3.
Subjektive Klageänderung (Parteiänderung)
11
4.
Anerkenntnis und Klagerücknahme; Verzicht
15
5.
Erledigung des Rechtsstreits
18
6.
Verspätetes Vorbringen, § 296 f. ZPO
25
7.
Das Versäumnisverfahren
28
8.
Aufrechnung und Widerklage
39
9.
Streitgenossenschaft
53
10.
Streithilfe und Streitverkündung
66
11.
Das Mahnverfahren
69
12.
Prozesskostenhilfe und vorprozessuale Beratungshilfe
73
13.
Einstweiliger Rechtsschutz
78
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1. Anspruchshäufung
In der Regel verlangt der Kläger vom Beklagten Zahlung aufgrund eines bestimmten
Sachverhalts. Zulässig aber ist auch, dass Kläger in demselben Prozess mehrere
Ansprüche verfolgt. Das ist ein Fall der objektiven Klagehäufung, § 260 ZPO. Entweder
stellt er in diesem Fall mehrere Klageanträge oder er stellt einen Antrag, begründet den
aber aus mehreren Lebenssachverhalten. Stützt der Kläger sein Begehren hingegen auf
mehrere Anspruchsgrundlagen ist dieses keine Klagehäufung. Denn aufgrund eines gleich
bleibenden Sachverhalts soll eine bestimmte Rechtsfolge ausgesprochen werden.
Die objektive Klagehäufung ist – und das ist für Prüfungsaufbau und Begründung wichtig –
in verschiedenen Varianten möglich:
Unbedingt nebeneinander (kumulative Anspruchshäufung):
Der Kläger verlangt mehrere Leistungen, Feststellungen oder Gestaltungen bedingungslos
nebeneinander. Das Gericht hat dann über jeden Sachverhalt und jede begehrte Rechtsfolge zu entscheiden und bei der Kostenentscheidung eine Gesamtschau vorzunehmen in
welchem Verhältnis der Kläger zu seinem Begehren obsiegt hat. Der typische Antrag hier
lautet:
„den Beklagten zu verurteilen,
1) an ihn EUR 4.500,00 zu zahlen sowie
2) die von dem Beklagten genutzte 3-Zimmer Wohnung belegen im
Hause Bahrenfelder Straße 120, 22765 Hamburg geräumt an ihn
herauszugeben“
Die Anspruchshäufung kann entstehen durch einen ursprünglichen entsprechenden Antrag des Klägers, durch eine nachträgliche Klagerhöhung oder durch einen Verbindungsbeschluss des Gerichts, § 147 ZPO. Sie endet durch Rücknahme (§ 269 ZPO) aller Ansprüche bis auf einen, durch Teilvergleich oder Teilurteil oder durch Prozesstrennung.
Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen insoweit als das Prozessgericht für
alle einzelnen Ansprüche zuständig sein muss und im Hinblick auf den Streitwert auch für
alle kumulierten Ansprüche zuständig bleibt. Die gewählte Prozessart muss für alle
Ansprüche zulässig sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die verschiedenen
Ansprüche in irgendeinem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang zueinander
stehen. Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen werden für jeden Anspruch
getrennt geprüft. Ist also eine bestimmte Prozessart (z.B.: Urkundsverfahren) für einen der
Ansprüche nicht statthaft, wird dieser und nur dieser als unstatthaft zurückgewiesen, im
Übrigen materiell über die Klage entschieden.
Im weiteren Verfahren ist über die verbundenen Anträge einheitlich zu verhandeln, Beweis
zu erheben und zu entscheiden. Auch die Kostenentscheidung ergeht einheitlich. Der
Streitwert errechnet sich grundsätzlich aus der Summe der Einzelwerte (§§ 5 ZPO, 39
Abs. 1 GKG).
In der Klausur sollte auf die Zulässigkeit der kumulativen Anspruchshäufung in der Regel
nicht eingegangen werden. Nur wenn eine der oben genannten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen fraglich ist, bedarf es der Entscheidung über die (Teil-) Zulässigkeit dieses Anspruchs. Gesetzlicher Aufhänger für die Prüfung ist dann § 260 ZPO.
Hilfsweise hintereinander (Eventuelle Klagenhäufung)
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Der Kläger stellt neben einem unbedingten Hauptantrag hilfsweise für den Fall, dass er mit
diesem nicht durchdringt, einen oder mehrere Hilfsanträge. Um eine solche eventuelle Anspruchshäufung handelt es sich übrigens auch in den nicht seltenen Fällen in denen der
Kläger einen bestimmten Sachverhalt behauptet, hilfsweise aber vorträgt selbst wenn es
anders gewesen sein sollte, würde sich der Anspruch aus folgendem begründen.
Das Gericht hat in diesen Fällen in einer Art Stufenprüfung zunächst über den Hauptantrag und nur wenn dieser nicht voll durchgreift auch über etwaig gestellte Hilfsanträge
zu entscheiden. Der Vorteil für den Kläger bei einem solchen Vorgehen liegt in der Kostenfolge. Die Hilfsanträge wirken sich kostenmäßig nur aus, wenn über sie auch entscheiden
wird. Ein Hilfsantrag ist prozessual zulässig, wenn er unter der Bedingung gestellt wird,
dass der Hauptantrag zumindest zum Teil scheitert. Zudem muss das Gericht für Hauptund Hilfsantrag zuständig sein, die gewählte Prozessart muss für alle erhobenen Ansprüche statthaft sein. Schon in der Klagschrift kann der Kläger Hilfsanträge ankündigen, er
kann diese aber auch im Laufe des Rechtsstreits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellen.
Ganz wichtig für die Klausur und das Urteil ist die mit dem Hilfsantrag verbundene Wirkung. Im Sinne des § 308 Abs. 1 ZPO nämlich schreibt Kläger durch Haupt- und Hilfsantrag dem Gericht zwingend die Prüfungsreihenfolge vor. Während im normalen Verfahre
das Gericht entscheiden kann, aus welchem von mehreren in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen der Anspruch zuerkannt wird, darf das Gericht über den Hilfsantrag
nur entscheiden, wenn es den Hauptantrag als unzulässig oder unbegründet abweist.
Auch bei Haupt- und Hilfsanträgen ergeht eine einheitliche Kostenentscheidung. Bei der
ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei der Berechnung des Streitwertes, also auch der
Quote des jeweiligen Obsiegens die Einzelwerte von Haupt- und Hilfsantrag nur dann addiert werden, wenn das Gericht über beide entscheidet und die jeweiligen Streitgegenstände nicht identisch sind, § 45 Abs. 1 S. 2, 3 GKG.
Alternative Klagenhäufung
Um eine solche handelt es sich, wenn der Kläger eine von mehreren in Betracht kommenden Leistungen fordert und die Auswahl dem Gericht oder Beklagten überlässt. Eine solche alternative Klagehäufung aber ist unzulässig. Doch kommen entsprechende Anträge
in der Praxis (wenn auch versteckt) häufiger vor:
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Rückzahlung von Kaution in
Höhe von EUR 1.500,00. Der Beklagte behauptet Ansprüche
gegenüber
dem
Kläger
aufgrund
nicht
ausgeführter
Schönheitsreparaturen in Höhe von insgesamt EUR 4.500,00 zu
haben. Er legt entsprechende Rechnungen eines Malers vor. Der
Sachverhalt wird vom Kläger nicht bestritten. Der Beklagte erklärt in
Höhe der Klageforderung Aufrechnung mit dem ihm zur Seite
stehenden Ansprüchen auf Schadensersatz.
Die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung ist unwirksam. Der Beklagte nämlich überlässt unzulässig dem Gericht bzw. dem Kläger, mit welchem konkreten Anspruch er der
Klagforderung gegenüber aufrechnet. Ein auch praktisches Problem entstünde spätestens
dann, wenn der Beklagte in einem weiteren Prozess - dann als Kläger - von dem jetzigem
Kläger weiteren Schadensersatz wegen nicht ausgeführter Schönheitsreparaturen verlangen würde. Es wäre nämlich nicht zu klären, ob der nun eingeforderte Anspruch nicht bereits durch Aufrechnung im Vorprozess untergegangen ist.
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2. Objektive Klageänderung
Des Kläger bestimmt, über welchen Antrag und über welchen Lebenssachverhalt
gestritten wird. Grundsätzlich kann er seine ursprüngliche Klage während des Prozesses
ändern. Dem steht allerdings oft das Interesse des Beklagten gegenüber, der sich auf die
zunächst erhobene Klage eingelassen hat, weil er - vermeintlich oder tatsächlich - die
besseren Argumente hatte. Ändert sich die Begründung kann sein Interesse zum einen
darauf gerichtet sein, dass über die alte Klagebegründung noch entschieden wird, zum
anderen, dass er sich gegen die neue (ihn womöglich überzeugende Begründung) nicht
verteidigen will.
Dem Ausgleich dieser Interessen dienen die in §§ 263 bis 268 ZPO vorgesehenen Regelungen. Die zentrale Vorschrift bildet § 263 ZPO. Eine Klageänderung ist demnach zulässig, wenn sie sachdienlich ist.
Die Frage nach einer Einwilligung des Beklagten bzw. der Sachdienlichkeit aus Sicht des
Gerichts stellt sich allerdings nur, wenn überhaupt eine Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO
vorliegt. Erster Prüfungsschritt ist also die Frage, ob tatsächlich eine Klageänderung vorliegt. Eine solche Klageänderung ist gegeben, wenn sich der Streitgegenstand der Klage
nach Eintritt der Rechtshängigkeit ändert. Nach der Rechtsprechung gilt dabei in Anlehnung an § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO ein zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff: Danach wird
der Streitgegenstand in erster Linie vom Antrag des Klägers bestimmt. In zweiter Linie ist
der Klagegrund, also der zur Begründung des Antrags vorgetragene Lebenssachverhalt,
heranzuziehen. Eine Klageänderung ist demnach anzunehmen, wenn
•
ein neuer Antrag gestellt wird oder/und
•
der Antrag mit einem neuen Lebenssachverhalt begründet wird.
Nichts anderes besagt übrigens auch die in § 264 Ziff. 1 ZPO enthaltene Regelung. Diese
benennt Konstellationen, bei denen es sich gemäß der gerade genannten Positivdefinition
gerade um keine Klageänderung handelt. Bei diesen Fallgruppen nämlich werden ohne
Änderung des Klagegrundes die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt. Keine Klageänderung liegt daher vor,
•
wenn der Kläger einen in der Klage enthaltenen Schreibfehler korrigiert;
•
wenn der Kläger sein Tatsachenvorbringen mit Substanz anreichert, z.B. bei einer Klage aus § 985 BGB anstelle der bloßen Behauptung, Eigentümer zu sein, nähere Einzelheiten zum Eigentumserwerb vorträgt.
Das Gesetz bestimmt sodann in § 264 Ziff. 2 und 3 ZPO Fallgruppen, bei denen es sich
tatsächlich (entgegen der Überschrift) um eine Klageänderung handelt, die aber ohne
Rücksicht auf die in § 263 ZPO vorgesehenen Einschränkungen zulässig sein sollen, weil
sie den Beklagten nicht zur vollständigen Umstellung seiner Verteidigung veranlassen und
ihm daher zugemutet werden können. Es handelt sich um folgende beiden Fallgruppen:
•
Der Klageantrag wird ohne Änderung des Klagegrundes in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt (§ 264 Ziff. 2 ZPO).
Hierher gehören vor allem quantitative Erhöhungen oder Ermäßigungen der Klagesumme
bei gleich bleibendem Lebenssachverhalt, z.B.:
Der Kläger hat seine Schadensersatzklage aus Kostengründen auf einen Teilbetrag
seines angeblichen Schadens beschränkt. Nach aus seiner Sicht erfolgreicher Durchführung einer Beweisaufnahme macht er nunmehr den gesamten von ihm angenom-
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menen Schaden zum Gegenstand des Rechtsstreits.
Der Kläger lässt seinen auf Ersatz eines Zinsschadens von 12 % p.a. gerichteten
Zinsantrag fallen, nachdem es ihm nicht gelungen ist, eine entsprechende Bankbescheinigung zu beschaffen, und verlangt jetzt nur noch Zinsen in gesetzlicher Höhe.
Unter § 264 Ziff. 2 ZPO fallen aber auch qualitative Änderungen des Antrags bei gleich
bleibendem Lebenssachverhalt, z.B.:
Der Kläger beantragt anstelle der Zahlung eines Geldbetrags die Feststellung, dass
sich der Rechtsstreit nach Erfüllung durch den Beklagten in der Hauptsache erledigt
habe (einseitige Erledigungserklärung).
Der Kläger geht vom Feststellungs- zum Zahlungsantrag über, nachdem ihn das Gericht auf den Vorrang der Leistungsklage vor der Klage auf Feststellung einer Leistungspflicht hingewiesen hat (BGH NJW 1992, 2296 f.).
Der Kläger geht von der Auskunftsklage zur Zahlungsklage über (BGH NJW 1979,
926).
Keine Klageänderung liegt weiterhin vor, wenn statt des ursprünglich geforderten Klagegegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand
oder das Interesse gefordert (§ 264 Ziff. 3 ZPO), z.B.:
Der Kläger hat gemäß § 985 BGB Herausgabe eines von ihm verliehenen Pkw verlangt. Im Laufe des Rechtsstreits wird der Pkw zu Schrott gefahren. Der Kläger kann
jetzt seinen Antrag auf Schadensersatz gemäß §§ 989, 990 BGB umstellen.
Dem Beklagten steht bei einer Klageänderung, die § 263 ZPO unterfällt, frei, in die Klageänderung einzuwilligen (§ 263 ZPO) und damit auf eine Entscheidung über den ursprünglichen Streitgegenstand zu verzichten. Die Einwilligung kann in der mündlichen Verhandlung über den geänderten Antrag erklärt werden. Sie ist aber auch schon wirksam, wenn
sie in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten ist, sobald dieser dem Gegner zugeht.
Das Gericht kann nicht verhindern, dass auf diese Weise die Streitgegenstände ausgewechselt werden. Es muss die Klageänderung als zulässig behandeln. Es kann die Klageänderung auch nicht gemäß § 296 ZPO als verspätet zurückweisen. Nach dem Wortlaut
jener Vorschrift nämlich können nur Angriffs- oder Verteidigungsmittel (also insbesondere
Tatsachenbehauptungen und Beweisantritte) verspätet sein. Bei der geänderten Klage
aber handelt es sich um den Angriff selbst.
Eine Zustimmung des Beklagten zur Klageänderung wird zudem unwiderleglich vermutet,
wenn er sich rügelos auf die geänderte Klage eingelassen hat, § 267 ZPO. Eine rügelose
Einlassung liegt vor, wenn der Beklagte, ohne der Änderung zu widersprechen (ausdrücklich oder konkludent durch Bezugnahme auf einen die Klageänderung als unzulässig rügenden Schriftsatz), über die geänderte Klage mündlich verhandelt, d.h. einen Antrag
(meist: auf Abweisung der geänderten Klage) stellt. Ein Bestreiten etwaiger neuer Klagebehauptungen ist nicht als Widerspruch gegen die Klageänderung anzusehen, sondern
besagt im Gegenteil, dass sich der Beklagte auf die geänderte Klage eingelassen hat. Die
Wirkung des § 267 ZPO tritt nach allgemeiner Ansicht übrigens selbst dann ein, wenn der
Beklagte mit seinem Verhalten keine Zustimmung signalisieren wollte, weil er von der Bedeutung einer rügelosen Einlassung nichts wusste.
Ist die Klageänderung nicht schon aus den eben ausgeführten Gründen zulässig, so muss
geprüft werden, ob sie sachdienlich ist. Die Sachdienlichkeit ist unter Berücksichtigung der
objektiven Prozesslage und der Prozesswirtschaftlichkeit zu beurteilen. Häufig liest man,
dass sie gegeben sei, wenn durch die Zulassung der Klageänderung ein neuer Rechts-
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streit vermieden werden könne. Dieser Gesichtspunkt trifft praktisch in jedem Fall zu und
hilft daher nicht viel weiter. Hinzukommen muss vielmehr, dass im bisherigen Verfahren
gewonnene Prozessergebnisse für den neuen Streitgegenstand auch nutzbar gemacht
werden können. Für eine Sachdienlichkeit der Klageänderung spricht es also, wenn wenigstens Teile des bisherigen Parteivortrags oder des Beweisergebnisses weiterhin verwendet werden können. Dagegen fehlt eine Sachdienlichkeit in der Regel, wenn mit dem
neuen Anspruch ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird. Kein entscheidender Hinderungsgrund für die Zulassung der Klageänderung soll es sein, wenn sich das Verfahren
hierdurch verzögert, weil neue Parteierklärungen oder Beweiserhebungen erforderlich
werden oder der Beklagte eine Tatsacheninstanz verliert (BGH NJW-RR 1990, 505 f.).
Allerdings können diese Gesichtspunkte im Rahmen einer Abwägung mit dem Gedanken
der Prozesswirtschaftlichkeit eine Rolle spielen.
Die (zulässige) Klageänderung erfolgt
•
durch Zustellung eines Schriftsatzes (§ 261 Abs. 2 ZPO) oder
•
durch Verlesung bzw. durch Bezugnahme auf einen zu Protokoll zu reichenden Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung (§§ 261 Abs. 2, 297 ZPO).
Der Schriftsatz muss die gleichen Anforderungen erfüllen wie sie an eine ordnungsgemäße Klagschrift gestellt werden (§ 253 Abs. 2 ZPO). Ist der Streitwert der geänderten Klage
höher als derjenige der ursprünglichen Klage, so soll das Gericht (was aber in der Praxis
oft übersehen wird) bis zur Einzahlung eines die höhere Verfahrensgebühr abdeckenden
Vorschusses keine den geänderten Antrag betreffenden Verfahrenshandlungen (insbesondere: Zustellung des klageändernden Schriftsatzes) vornehmen (§ 12 Abs. 1 Satz 2
GKG).
Zu beachten ist im Übrigen, dass sich bei der Klageerweiterung (§§ 504, 506 ZPO), nicht
aber bei der Klagereduzierung (§ 261 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO) die sachliche Zuständigkeit ändern kann. Wird also nun statt Feststellung, dass ein Schaden von EUR 5.000,00 entstanden sei Schadensersatz in Höhe von EUR 6.000,00 gefordert, hat das Amtsgericht auf
seine sachliche Unzuständigkeit hinzuweisen und gegebenenfalls zu verweisen. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Klageänderung kann durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO
– in der Praxis sehr selten) erfolgen. Anderenfalls wird darüber im Endurteil befunden.
In der Klausur wird – wenn es darauf ankommen sollte – im Endurteil im Rahmen der Zulässigkeit über die Frage der Klageänderung zu entscheiden sein. Die Entscheidung des
Gerichts, dass eine Änderung der Klage nicht vorliegt oder dass die Änderung zuzulassen
ist, ist allerdings unanfechtbar, § 268 ZPO. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung
also zwingend den beurteilten geänderten Klageantrag zugrunde zu legen, auch wenn es
die angenommene Klageänderung für unzulässig hält. Die Zulässigkeit der Klageänderung
ist dabei eine besondere Sachurteilsvoraussetzung für die neue Klage (BGH LM Nr. 1 zu §
268 ZPO a.F.).
Erweist sich die Klage mit dem geänderten Streitgegenstand als unzulässig, so ist sie insoweit durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. Im Übrigen stellt sich dann noch
die Frage, ob über den ursprünglichen Streitgegenstand zu entscheiden ist. Die Beantwortung hängt in erster Linie vom Willen des Klägers ab, der durch Auslegung zu ermitteln ist.
Er kann die alte Klage (gegebenenfalls mit Zustimmung des Beklagten) zurücknehmen,
durch Verzicht aufgeben, für erledigt erklären oder hilfsweise aufrecht erhalten. Nur im
letztgenannten Fall ergeht zusätzlich zum Prozessurteil über den unzulässigerweise geänderten Streitgegenstand ein Sachurteil über den ursprünglichen Streitgegenstand.
Wenn der Kläger bei unzulässiger Klageänderung mit einer hilfsweise aufrechterhaltenen
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alten Klage Erfolg hat, so darf man nicht vergessen, die Klage im Übrigen, nämlich wegen
des geänderten Streitgegenstands, abzuweisen.
Die Kostenentscheidung im Falle der erfolgten unzulässigen Klageänderung richtet sich
nach dem endgültigen Ausgang des Rechtsstreits. Bleibt die Rechtsverfolgung des Klägers im Ergebnis erfolglos, weil hinsichtlich der unzulässigerweise geänderten Klage ein
Prozessurteil ergeht und hinsichtlich der ursprünglichen Klage eine wirksame Klagerücknahme oder ein Verzicht erklärt wird, im Falle einer Erledigungserklärung eine Kostenentscheidung zum Nachteil des Klägers erfolgt, ein Versäumnisurteil zu Lasten des Klägers
oder im Falle einer hilfsweisen Aufrechterhaltung der ursprünglichen Klage ein klagabweisendes Sachurteil ergeht, so trägt der Kläger die Kosten des Rechtsstreits. Nur wenn der
Kläger bei unzulässiger Klageänderung mit einer hilfsweise aufrechterhaltenen alten Klage
Erfolg hat, muss eine Kostenquote gebildet werden, wie dies auch sonst bei Haupt- und
Hilfsanträgen der Fall ist.
Im Falle einer zulässigen Klageänderung ist über den geänderten Streitgegenstand in der
Sache zu entscheiden. In der Zulässigkeit ist knapp auf die Gründe für die Zulässigkeit der
Klageänderung einzugehen. Die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Streitgegenstands
endet mit Klageänderung. Bei vollständiger Auswechselung des Streitgegenstands liegt
eine Klagrücknahme nicht vor; denn die Klageänderung ist in diesem Fall nicht auf unmittelbare Beendigung des Rechtsstreits gerichtet. Insofern bedarf es daher keiner Einwilligung des Beklagten gemäß § 269 Abs. 1 ZPO (Thomas/Putzo, a.a.O., § 263 Rdn. 14). Es
ergeht dann auch keine Klagabweisung im Übrigen bzgl. des fallengelassenen Anspruchs!
Besondere Probleme stellen sich allerdings, wenn - wie insbesondere im Fall des § 264
Ziff. 2 ZPO - mit der Klageänderung eine Ermäßigung des Klageantrags verbunden ist.
Nach der Rechtsprechung muss der nicht mehr verfolgte Teil des Anspruchs nach den
sonst geltenden Verfahrensvorschriften dem Streit der Parteien entzogen werden. Hierfür
kommen wiederum, je nach der Willensrichtung des Klägers, die Klagerücknahme, der
Klageverzicht oder die Erledigung der Hauptsache in Betracht. Es ist dann zu prüfen, ob
zusätzlich zu den Voraussetzungen der §§ 263 f. ZPO diejenigen der Klagerücknahme,
des Klageverzichts oder der Erledigung der Hauptsache vorliegen.
Erfolgt eine Klageänderung nach Beginn der mündlichen Verhandlung, also nachdem
streitige Anträge gestellt worden sind, so ist sie auch bei Sachdienlichkeit i.S.d. § 263 ZPO
nur wirksam, wenn der Beklagte gemäß § 269 Abs. 1 ZPO bzw. § 269 Abs. 2 S. 4 ZPO
eingewilligt hat. Fehlt eine solche Einwilligung so bleibt der ursprüngliche Streitgegenstand
rechtshängig. Stellt der Kläger keinen entsprechenden Antrag mehr, so ist er säumig. Das
Gericht weist dann die alte Klage auf Antrag des Beklagten durch Versäumnisurteil ab (§§
330, 333 ZPO). In der Praxis aber wird dies dadurch vermieden, dass das Gericht nach §
139 ZPO den Kläger anhalten wird, seinen überschießenden ursprünglichen Klageantrag
zurückzunehmen
Auch bei der zulässigen Klageänderung richtet sich die Kostenentscheidung grundsätzlich
nach dem endgültigen Ausgang des Rechtsstreits. Es gelten allerdings folgende Besonderheiten:
Ist wegen der ursprünglichen Klage eine Beweisaufnahme durchgeführt worden, welche
durch die Klageänderung überflüssig geworden ist, so können die damit verbundenen
Kosten entsprechend § 96 ZPO dem Kläger auferlegt werden, und zwar auch wenn er in
der Hauptsache obsiegt. Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, bei denen Kostentrennung zulässig und notwendig ist. der Tenor lautet dann
Die durch die Beweisaufnahme vom ... veranlassten Kosten trägt der Kläger. Im
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Übrigen trägt der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits.
Liegt eine Ermäßigung des Klageanspruchs vor, die als teilweise Klagrücknahme zu werten ist, so gehen die damit verbundenen Mehrkosten zu Lasten des Klägers, auch wenn er
mit dem ermäßigten Antrag voll obsiegt. Insofern ist eine Kostentrennung nicht vorgesehen. Es muss also eine Kostenquote errechnet werden, in die die Gesichtspunkte der teilweisen Klagrücknahme und des Obsiegens mit der ermäßigten Klage eingehen. Die Kostenentscheidung ist dabei mit folgenden Schritten zu ermitteln:
•
Welche Kosten sind tatsächlich angefallen? (Kosten hinsichtlich Streitwert bis Klageänderung und dann weiter angefallene Gebühren nach Klageänderung)
•
Welche Kosten wären angefallen, wenn von vornherein nur der ermäßigte Betrag eingeklagt worden wäre?
•
In welchem Verhältnis steht die Differenz von 1. und 2. (also die auf den zurückgenommenen Betrag entfallenden Mehrkosten) zu 1. (also den tatsächlich angefallenen
Kosten)?
•
Das Ergebnis entspricht der vom Kläger aufgrund der teilweisen Klagrücknahme zu
tragenden Quote.
Zusammengefasst hat die Klageänderung in Urteil und damit in der Klausur folgende
Relevanz: Bei der gedanklichen Prüfung in der Praxis und in der Klausur ist stets davon
auszugehen, was der Kläger zuletzt beantragt und vorgetragen hat. Vorrangig stellen sich
die Fragen, ob die Klage mit dem geänderten Streitgegenstand ordnungsgemäß erhoben
und die Klageänderung zulässig ist. Der schriftlichen Erörterung in den
Entscheidungsgründen eines Urteils bedürfen diese Fragen nur dann, wenn
durchgreifende oder zumindest ernsthafte Bedenken bestehen oder die Parteien darüber
streiten. Hat der Beklagte ausdrücklich in die Klageänderung eingewilligt oder sich rügelos
auf die geänderte Klage eingelassen, so sind Ausführungen in aller Regel entbehrlich. Es
kann dann ohne weiteren Kommentar sogleich darauf eingegangen werden, ob die Klage
in der zuletzt zur Entscheidung gestellten Fassung zulässig (nur im Falle erwähnenswerter
sonstiger Sachurteilsvoraussetzungen) und begründet ist.
Hat der Beklagte der Klageänderung dagegen widersprochen, so ist in den Entscheidungsgründen an erster Stelle die Zulässigkeit der Klageänderung zu behandeln. Ist die
Klageänderung unzulässig und der vorherige Antrag nicht hilfsweise aufrechterhalten
geblieben, so ist die geänderte Klage schon deshalb abzuweisen; die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen können, die Fragen zur Begründetheit der Klage müssen logischerweise
dahinstehen. Anschließend ist – je nach Einlassung der Parteien (Klagrücknahme, Verzicht, Erledigung, Hilfsantrag, Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils) – noch das ursprüngliche Begehren zu erörtern.
Im Falle einer zulässigen Klageänderung reicht es im Rahmen eines Urteils aus, denjenigen Gesichtspunkt zu nennen, unter dem sich diese Sachurteilsvoraussetzung am einfachsten feststellen lässt. Ist z.B. die Frage, ob es sich überhaupt um eine Klageänderung
handelt, schwierig zu beantworten, kann man sie auch mit der Begründung offen lassen,
dass jedenfalls die Sachdienlichkeit oder eine andere der o.g. Zulässigkeitsvoraussetzungen zu bejahen sei.
In den Tatbestand eines Urteils gehört die Tatsache der Klageänderung nur dann, wenn
darauf in den Entscheidungsgründen noch eingegangen wird, und sei es lediglich im
Rahmen der Kostenentscheidung. Es handelt sich um Prozessgeschichte, die an der Stelle des Tatbestands dargestellt werden sollte, an der sie sich am besten einfügt. In der Re-
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gel wird dies vor Erwähnung der aktuellen Anträge sein. Insbesondere dann, wenn es auf
die Klageänderung nur noch für die Kostenentscheidung ankommt, sollte in einem Urteil
allerdings von der Möglichkeit von Verweisungen großzügig Gebrauch gemacht werden,
um eine Kopflastigkeit des Tatbestands gegenüber den Entscheidungsgründen zu vermeiden.
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3. Subjektive Klageänderung (Parteiänderung)
Eine subjektive Klageänderung (Parteiänderung oder Parteiwechsel) ist gegeben, wenn
während eines laufenden Rechtsstreits statt der ursprünglich klagenden bzw. verklagten
Partei eine andere Partei klagt oder verklagt wird.
Auch durch wen und gegen wen Rechtsschutz begehrt wird, legt der Kläger in der den
Rechtsstreit einleitenden Erklärung, insbesondere in der Klagschrift, fest. Gemäß § 253
Abs. 2 Ziff. 1 ZPO nämlich muss die Klagschrift die Bezeichnung der Parteien enthalten.
Name, Stand oder Gewerbe sowie der Wohnort der Parteien und gegebenenfalls ihr gesetzlicher Vertreter sollen angegeben werden (§§ 253 Abs. 4, 130 Ziff. 1 ZPO). Zumindest
muss die Partei aber ohne weitere Ermittlungen des Gerichts eindeutig individualisierbar
sein. Anderenfalls fehlt es bereits an der Zulässigkeit der Klage. Die Parteibezeichnung in
der Klagschrift ist dabei Bestandteil einer prozessualen Willenserklärung, die der Auslegung zugänglich ist. Erweist sie sich "äußerlich", also ihrem Wortlaut nach, als unrichtig,
so ist grundsätzlich die Person als Partei anzusehen, welche bei objektiver Würdigung des
Erklärungsinhalts erkennbar gemeint sein sollte. Soweit die Identität der Partei gewahrt
bleibt, ist die Berichtigung einer falschen Parteibezeichnung nicht als Parteiwechsel anzusehen und damit ohne weiteres zulässig. Eine bloße Berichtigung des Rubrums liegt z.B.
vor, wenn eine Partei infolge Eheschließung ihren Namen geändert hat. Entsprechendes
gilt, wenn die den Beklagten vertretende Person bzw. Stelle berichtigt werden soll.
Eine nur geänderte Parteibezeichnung wird vom Gericht berücksichtigt, indem es die betreffende Partei fortan unter dem neuen Rubrum führt. Ein gerichtlicher Beschluss ist hierfür grundsätzlich nicht vorgeschrieben, aber aus Zweckmäßigkeitsgründen verbreitet üblich. In das Rubrum eines Urteils wird nur die berichtigte Parteibezeichnung aufgenommen. Soweit noch Veranlassung zur Abgrenzung der Rubrumsberichtigung von einem
Parteiwechsel gegeben ist, stehen die entsprechenden Ausführungen in der Regel am
besten am Beginn der Entscheidungsgründe. Dann sollte im Tatbestand als Prozessgeschichte auf die Rubrumsberichtigung hingewiesen werden. Selbst nach Erlass eines Urteils kann das Rubrum noch berichtigt werden, wenn feststeht oder erkennbar ist, wer als
Partei gemeint war und Interessen Dritter durch die Berichtigung nicht berührt werden
(Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 319 Rdn. 14), nämlich durch Beschluss gemäß § 319 ZPO.
Dagegen ist eine Parteiänderung nur unter den nachfolgenden inhaltlichen und formellen
Voraussetzungen zulässig.
Die ZPO regelt einige Sonderfälle, in denen kraft Gesetzes ein Parteiwechsel stattfinden
muss (§§ 239 bis 242 ZPO) oder darf (§§ 75 bis 77, 265 Abs. 2 Satz 2, 266 Abs. 1 ZPO).
Die praktisch wichtigsten sind:
•
Tod einer Partei
Stirbt eine Partei während eines laufenden Rechtsstreits, so werden kraft Gesetzes (§
1922 BGB, 239 ZPO) ihre Erben Partei. Ist kein Anwalt vorhanden, so tritt eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch einen Rechtsnachfolger ein (§ 239
ZPO). War die verstorbene Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, so wird
das Verfahren ohne weiteres fortgesetzt (§ 246 ZPO). Nur auf Antrag setzt das Gericht
das Verfahren aus, damit etwaige Streitigkeiten über die Rechtsnachfolge und die weitere
Prozessführung in Ruhe geklärt werden können (§ 246 ZPO).
•
Insolvenz einer Partei
Wird während eines laufenden Rechtsstreits das Insolvenzverfahren über das Vermögen
einer Partei eröffnet, so verliert diese Partei die Prozessführungsbefugnis über die zur In-
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solvenzmasse gehörende Ansprüche. Das Verfahren wird dann (auch bei anwaltlicher
Vertretung) unterbrochen. Der Insolvenzverwalter kann es als Partei kraft Amtes aufnehmen. Anderenfalls bleibt das Verfahren unterbrochen, bis das Insolvenzverfahren beendet
wird (§ 240 ZPO).
In allen Fällen gesetzlichen Parteiwechsels muss die neue Partei den Rechtsstreit in der
Lage übernehmen, in der sie ihn vorfindet. Sie ist also an die früheren Prozesshandlungen
des Gerichts (z.B. Zwischenentscheidungen, Beweiserhebungen) und der alten Partei
(z.B. Geständnisse, Anerkenntnisse, Verzichte) gebunden.
Für die praktisch wichtige Frage, unter welchen Voraussetzungen ein sogenannter gewillkürter Parteiwechsel – also ein solcher der gesetzlich nicht vorgesehen ist - zulässig ist,
sieht das Gesetz keine allgemeine Regelung vor. Das Folgende ist die im Wesentlichen
von der Rechtsprechung vertretene Meinung für den häufigeren Fall eines Parteiwechsels
auf Beklagtenseite.
Die Rechtsprechung behandelt den gewillkürten Parteiwechsel in erster Instanz wie eine
Klageänderung. Danach ist der neue Beklagte Partei des Rechtsstreits geworden, wenn er
entweder eingewilligt bzw. sich rügelos eingelassen hat oder das Gericht die Sachdienlichkeit des Parteiwechsels annimmt (BGHZ 65, 264, 268; NJW 1962, 347). Maßgebend
für die Frage der Sachdienlichkeit ist - wie bei der objektiven Klageänderung - der Gesichtspunkt der Prozessökonomie. Stellt der Kläger seine Ansprüche nicht auf eine gänzlich neue tatsächliche Grundlage, so wird die Sachdienlichkeit seines Vorgehens in aller
Regel bejaht.
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der bisherige Beklagte bei einem Parteiwechsel in erster Instanz wirksam aus dem Prozess ausscheidet, hat sich der BGH nicht
eindeutig geäußert. Wohl aber dürfte für das Ausscheiden des bisherigen Beklagten nach
Beginn der mündlichen Verhandlung gemäß § 269 Abs. 1 ZPO dessen Zustimmung erforderlich sein. Dies nämlich entspricht der Rechtsprechung zur objektiven Klageänderung
bei Ermäßigung des Klageantrags (s.o.).
Denkbar ist auch ein gewillkürter Parteiwechsel auf Klägerseite. Diesem Parteiwechsel
müssen jedenfalls der neue und der alte Kläger zustimmen. Weder kann ein Kläger gegen
seinen Willen aus dieser Prozessstellung verdrängt werden, noch kann jemand gegen seinen Willen Kläger werden.
Die Frage, inwiefern im Verhältnis zum Beklagten ein Parteiwechsel auf Klägerseite zulässig ist, beantwortet die Rechtsprechung ebenfalls wie bei der objektiven Klageänderung
(BGHZ 65, 265, 268 m.w.N.). Danach ist der neue Kläger Partei des Rechtsstreits geworden, wenn der Beklagte einwilligt, sich rügelos einlässt oder der Parteiwechsel sachdienlich erscheint. Für das wirksame Ausscheiden des alten Klägers bedarf es analog § 269
Abs. 1 ZPO nach Beginn der mündlichen Verhandlung der Einwilligung des Beklagten, die
auch nicht durch die Annahme der Sachdienlichkeit ersetzt werden kann (Zöller/Greger,
a.a.O., § 263 Rdn. 30 m.w.N.; so aber OLG München, NJW-RR 1998, 788 mit Anmerkungen von Deubner in JuS 1998, 541 f.). Alternativ zum Parteiwechsel hat der Kläger allerdings auch die Möglichkeit, sich die ursprüngliche Klageforderung vom Berechtigten abtreten zu lassen. Er kann dann im Prozess verbleiben, ohne dass der Erfolg der Klage vom
guten Willen des Beklagten oder des Gerichts abhängig ist.
Der gewillkürte Parteiwechsel setzt einen Schriftsatz des Klägers voraus, welcher im Hinblick auf die neue Partei den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen muss. Mit
der Zustellung des den Parteiwechsel enthaltenden Schriftsatzes entsteht ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den neuen Parteien. Die materiellen und prozessualen Wirkun-
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gen der Rechtshängigkeit treten ein. Erst ab diesem Zeitpunkt wird also zugunsten des
neuen Klägers die Verjährung unterbrochen oder gehemmt bzw. muss der neue Beklagte
Prozesszinsen zahlen.
Der Streitwert ändert sich durch den bloßen Parteiwechsel nicht. Es sind also keine weiteren Gerichtsgebühren vorauszuzahlen. Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Parteiwechsels ergeht im Endurteil und zwar dort in der Regel stillschweigend. Nur wenn die
Zulässigkeit problematisch erscheint, müssen entsprechende Ausführungen bei der Zulässigkeit erfolgen.
Erweist sich der Parteiwechsel auf Beklagtenseite nach der Lösung der Rechtsprechung
mangels Sachdienlichkeit als unzulässig, so wird die Klage gegen den neuen Beklagten
als unzulässig abgewiesen. Was mit der Klage gegen den alten Beklagten geschieht,
hängt wiederum vom Willen des Klägers ab. Will er den Parteiwechsel nur, wenn dieser
sich als zulässig erweist, hält er also seinen alten Antrag hilfsweise aufrecht, so ist eine
Sachentscheidung über das ursprüngliche Prozessrechtsverhältnis zu treffen.
Der Kläger kann aber auch seine Klage gegen den alten Beklagten zurücknehmen, für
erledigt erklären, auf den Anspruch verzichten oder säumig bleiben. Es ergeben sich dann
die gleichen Konsequenzen wie bei einer unzulässigen objektiven Klageänderung. Entsprechendes gilt für die Kostenentscheidung.
Im Falle des zulässigen Parteiwechsels wird der Rechtsstreit mit den neuen Parteien fortgesetzt. Bei einem Parteiwechsel auf Beklagtenseite ergeht also eine Sachentscheidung
zwischen dem Kläger und dem neuen Beklagten. Soweit der bisherige Beklagte aus dem
Rechtsstreit ausscheidet, kann er entsprechend § 269 Abs. 4 ZPO beantragen, dass seine
außergerichtlichen Kosten vorab durch Beschluss dem Kläger auferlegt werden. Anderenfalls wird darüber im Rahmen der das Verfahren abschließenden Kostenentscheidung von
Amts wegen befunden.
Nicht selten vertritt derselbe Anwalt sowohl den alten als auch den neuen Beklagten. Ob
er dann die angefallenen Gebühren doppelt abrechnen kann oder ob es sich um dieselbe
Angelegenheit handelt, so dass nur eine Prozessgebühr anfällt, die sich unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 Satz 1 RVG erhöht, ist streitig. Auf diese Streitfrage kommt
es jedoch nicht bei der Kostengrundentscheidung (die bleibt gleich), sondern erst bei der
Kostenfestsetzung der Höhe nach an.
Inwiefern der Kläger wegen seiner Klagrücknahme in Bezug auf den bisherigen Beklagten
einen Teil seiner eigenen außergerichtlichen Kosten und der Gerichtskosten tragen muss,
kann wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung ohnehin nicht
vor Erlass des verfahrensabschließenden Urteils festgelegt werden. Erst wenn man weiß,
ob der Kläger hinsichtlich des neuen Beklagten obsiegt oder unterliegt, macht es Sinn,
sich über eine Kostenquote Gedanken zu machen.
Bei der im Endurteil zu treffenden Kostenentscheidung ist davon auszugehen, dass der
Parteiwechsel eine Teil-Rücknahme der Klage enthält. Wenn man die Auffassung vertritt,
der Kläger müsse in Fällen dieser Art lediglich die auf den zurückgenommenen Teil entfallenden Mehrkosten tragen (s.o.), so ergibt sich eine einfache Lösung. Außer den meist
bereits vorab durch Beschluss verteilten außergerichtlichen Kosten des bisherigen Beklagten sind nämlich keine Mehrkosten entstanden. Die Verfahrensgebühr für das Gericht fällt
bei einem Parteiwechsel nicht ein zweites Mal an. Entsprechendes gilt nach überwiegender Ansicht für die vom Anwalt des Klägers verdienten Gebühren (Zöller/Greger, a.a.O., §
263 Rdn. 32). Die Kostenentscheidung im Endurteil richtet sich daher einfach nach dem
Prozessausgang im Verhältnis zwischen Kläger und neuem Beklagten.
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4. Anerkenntnis und Klagerücknahme; Verzicht
Sowohl der Kläger als auch der Beklagte haben grundsätzlich die Möglichkeit den
Rechtsstreit durch eigene Prozesserklärung ohne streitiges Urteil zu beenden. Dieses
kann – auch gegenüber einem Vergleich - Kostenvorteile haben. Bei Gericht fallen nämlich
zwei zusätzliche Gebühren an, wenn eine streitige Entscheidung geht, also entweder
Urteil mit Gründen oder auch Beschluss (§ 91a) mit Begründung.
Die prozessuale Möglichkeit des Beklagten, der keine Verteidigungsmöglichkeiten sieht,
verhältnismäßig günstig davon zu kommen, ist das Anerkenntnis, § 307 ZPO. Bei
zumindest zwei beteiligten Rechtsanwälten bietet sich kostenmäßig für ihn aber auch die
Überlegung an, ein Versäumnisurteil zu kassieren (dazu ausführlich Schröder/Riechert in
NJW 2005, 2187 f.).
Das Anerkenntnis ist die einseitige Erklärung des Beklagten an das Gericht, der
Klageanspruch bestehe zu Recht. Es besteht auch die Möglichkeit des
Teilanerkenntnisses über das gegebenenfalls durch Teilurteil zu entscheiden ist. Das
Anerkenntnis ist reine Prozesshandlung, daher auch nicht mit § 781 BGB zu verwechseln.
Die Wirkung des Anerkenntnisses ist, dass das Gericht nur noch die Zulässigkeit der
Klage zu prüfen hat, materiell aber an das abgegebene Anerkenntnis gebunden ist. Es
erfolgt also keine Schlüssigkeitsprüfung mehr. Der Beklagter kann auch einen
unbegründeten Anspruch anerkennen, Das Gericht ist an die Erklärung gebunden.
Das einmal abgegebene Anerkenntnis ist grundsätzlich unwiderruflich. Nur über den
Arglisteinwand des § 242 BGB kann es im Extremfall treuwidrig sein, den Beklagten an
seinem Anerkenntnis festzuhalten.
Voraussetzung für die Zulässigkeit des Anerkenntnisses ist die Prozessfähigkeit des
Abgebenden. Vor dem Landgericht kann schon im schriftlichen Vorverfahren nur der
Anwalt ein solches für den Mandanten abgeben, § 78 Abs. 1 ZPO. Ein bedingtes
Anerkenntnis (z.B.: „Für den Fall, dass das Gericht die Klage für begründet hält, erkenne
ich den Anspruch aus Kostengründen an.“) ist unzulässig. Allerdings liegt keine Bedingung
vor, wenn das Anerkenntnis nur für den Fall der Zulässigkeit der Klage abgegeben wird
oder wenn das Anerkenntnis unter Protest gegen die Kostentragung abgegeben wird. In
beiden Fällen nämlich handelt es sich um Bedingungen die ohnehin von Amts wegen zu
prüfen sind.
Durch das Anerkenntnis selber ist der Prozess noch nicht beendet, doch vermag nach
§ 307 ZPO sofort ohne mündliche Verhandlung ein Anerkenntnisurteil zu ergehen, das das
Verfahren sodann beendet. Das Anerkenntnisurteil bedarf weder des Tatbestandes noch
der Entscheidungsgründe, wenn der klägerische Anspruch insgesamt anerkannt worden
ist. Das Urteil ist genauso vollstreckbar wie ein streitiges Urteil. Die Kostenfolge ist in der
Regel § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, eine wichtige Ausnahmeaber bildet § 93 ZPO.
Bei einem sofortigen Anerkenntnis nämlich trägt Kläger die Kosten des Rechtsstreits. Der
Gedanke, der dahinter steht, lautet: Der, der auch ohne Gerichtsprozess gezahlt hätte,
hätte man ihn zur Zahlung nur aufgefordert, soll die Kosten des Rechtsstreits nicht zahlen
müssen.
Anlass zur Klageerhebung gibt dabei der, der sich nichtvertragsgemäß verhält, sich mit
der Zahlung z.B. im Verzug befunden oder die Forderung vorprozessual bestritten hat.
„Sofort“ ist ein Anerkenntnis in der Regel nur, wenn zuvor nicht angezeigt worden ist, sich
gegen die Klage verteidigen zu wollen. Erklärt der Beklagte also im schriftlichen
Vorverfahren seine Verteidigungsbereitschaft, kann er grundsätzlich nicht mehr sofort
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anerkennen.
Allerdings kann das sofortige Anerkenntnis auch in einem schon lange laufendem
Verfahren ein wichtiges Mittel zur Verhinderung unnötiger Kosten sein, etwa dann, wenn
eine bislang nicht fällige Forderung durch weiteren Vortrag des Klägers im Laufe des
Rechtsstreits fällig wird.
Sollte in einer Klausur ein Teil des Klaganspruchs anerkannt worden sein, ergeben sich
daraus für den Aufbau folgende Besonderheiten:
Rubrum: „Teilanerkenntnis- und Schlussurteil“
Tatbestand:
Das ausgesprochene Teilanerkenntnis ist als Prozessgeschichte nach dem streitigen
Klägervortrag und nach dem Klägerantrag bringen. Bsp.:
„Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn EUR 1.500,00 zu zahlen.
Der Beklagte hat den Anspruch in Höhe von EUR 500,00 hinsichtlich des Kaufvertrags
über das Fahrrad anerkannt und beantragt im Übrigen
Die Klage abzuweisen“
E-Gründe materiell:
„Der Kläger hat Anspruch gegenüber dem Beklagten in Höhe von EUR 500,00 aufgrund
des vom Beklagten insoweit abgegebenen Teilanerkenntnisses. Die Klage hat auch im
Übrigen Erfolg: ...„
E-Gründe Kosten:
„Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die besonderen
Voraussetzungen des § 93 ZPO haben nicht vorgelegen. ….“
Die Klagerücknahme und der Verzicht sind die prozessualen Kapitulationsmöglichkeiten
des Klägers. Wenn der Kläger erkennt, dass seine Klage keine Erfolgsaussichten bietet,
weil er etwa Bedenken des Gerichts gegen die Schlüssigkeit nicht auszuräumen vermag
oder weil seine Beweismittel versagen, hat er die Möglichkeit den Rechtsstreit ohne
streitiges Urteil durch Zurücknahme der Klage zu beenden und damit verhältnismäßig
kostengünstig davon zu kommen, § 269 ZPO. Der Rechtsstreit gilt dann als nicht anhängig
geworden. Es tritt also dieselbe Situation ein, als habe der Kläger nie Klage erhoben. Eine
erneute Klagerhebung bleibt möglich!
Aber: Nach Beginn der mündlichen Verhandlung ist die Klagrücknahme nur wirksam,
wenn der Beklagte zustimmt. Diese Zustimmung wird gelegentlich davon abhängig gemacht, dass der Kläger durch Abgabe einer materiell-rechtlichen Erklärung für immer auf
den geltend gemachten Anspruch verzichtet. In einem solchen Fall bliebe eine erneute
Klage zwar zulässig, wäre aber unbegründet.
Eine andere Möglichkeit für den Kläger zur Kapitulation ist der Verzicht, § 306 ZPO. Es
ergeht dann ein Verzichtsurteil, und zwar entgegen dem Wortlaut des § 306 ZPO auch
dann, wenn der Beklagte ein streitiges Urteil beantragt, weil für einen solchen Antrag das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Klage ist dann aufgrund des Verzichts ohne
Rücksicht auf ihre Schlüssigkeit bzw. die Erheblichkeit der Verteidigung abzuweisen (also
Gegenstück zum Anerkenntnisurteil). Das Verzichtsurteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, § 708 Ziff. 1 ZPO. Es bedarf keines Tatbestandes und keiner Ent-
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scheidungsgründe, § 313 b ZPO. Der Zulässigkeit einer erneuten Klage stünde die
Rechtskraft des Verzichtsurteils entgegen
In beiden Fällen werden – grundsätzlich - die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Bei einer Klagrücknahme ist aber folgendes zu beachten: Die Auferlegung der Kosten
erfolgt nur dann, wenn der Beklagte einen entsprechenden Antrag stellt (§ 269 Abs. 4
ZPO). Ansonsten ergeht keine Kostengrundentscheidung. Zudem erfolgt die Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem
Ermessen gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor
Rechtshängigkeit (aber nach Anhängigkeit) weggefallen ist und der Kläger die Klage zurücknimmt.
Vor erneuter Neufassung des § 269 Abs. 3 S. 3 im Zuge des Justizmodernisierungsgesetzes zum 01.09.2004 fehlte in § 269 Abs. 3 S. 3 noch der Halbsatz, dass § 269 Abs. 3 S. 3
auch Anwendung findet, wenn die Klage nicht zugestellt ist. Teile der Rechtsprechung hatten argumentiert, dass die Anwendung der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 zwingend ein
Prozessrechtsverhältnis der Parteien und damit die Zustellung der Klage voraussetzt, eine
Entscheidung nach billigem Ermessen also nach § 269 Abs. 3 nicht in Betracht käme,
wenn der Anlass zur Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Der Gesetzgeber reagierte hierauf umgehend mit § 269 Abs. 3 S. 3 2. HS. Fraglich aber bleibt weiterhin, ob
eine Zustellung der Klage nicht gleichwohl erforderlich ist, nämlich um das notwendige
rechtliche Gehör für den Beklagten sicherzustellen und zu dokumentieren.
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5. Erledigung des Rechtsstreits
Erledigt sich die Klage während des Rechtsstreits, etwa dadurch, dass der Beklagte die
geltend gemachte Forderung doch noch erfüllt oder das anfangs vorhandene berechtigte
Interesse für einen Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht eines Schädigers für zukünftige Schäden entfällt, weil sich im Verlauf des Rechtsstreits herausstellt, dass mit zukünftigen Schäden nicht mehr zu rechnen ist, ergibt sich folgendes:
Mit Erledigung der Hauptsache hat die Klage keine Erfolgsaussichten mehr, weil sie jetzt
unzulässig (siehe oben Wegfall des Feststellungsinteresses) oder unbegründet (siehe oben Erfüllung) geworden ist. Hält der Kläger trotzdem an seinem ursprünglichen Antrag
fest, muss die Klage angesichts des erledigenden Ereignisses abgewiesen werden, da
das Urteil aufgrund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung ergeht. Nach § 91 Abs. 1 ZPO wären die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen. Auch im Falle der Säumnis des Beklagten wäre die Klage - im Wege
des unechten Versäumnisurteils – wegen der inzwischen eingetretenen Unzulässigkeit
oder Unbegründetheit abzuweisen. Auch in diesem Fall hätte der Kläger nach § 91 Abs. 1
ZPO die Kosten des Rechtsstreits selbst zu tragen.
Würde der Kläger die Klage wegen des erledigenden Ereignisses zurücknehmen oder
würde er im Termin säumig bleiben, würde er ebenfalls die gesamten – allerdings
reduzierten – Kosten des Rechtsstreits (§ 269 Abs. 3 ZPO bzw. § 91 Abs. 1 ZPO). Auch
§ 269 Abs. 3 S. 3 ZPO würde dem Kläger nicht helfen, dessen Anwendungsbereich
nämlich setzt voraus, dass der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit
weggefallen wäre.
All das aber erscheint nicht interessengerecht, hat der Beklagte doch die Ursache für die
durch Klage entstandenen Kosten gesetzt. Wenn eine anfangs aussichtsreiche Klage
durch ein während des laufenden Rechtsstreits eintretendes Ereignis gegenstandslos
wird, besteht der aus der Sicht des Klägers notwendige Weg daher darin, den Rechtsstreit
in der Hauptsache für erledigt zu erklären.
Hat der Kläger eine solche Erklärung abgegeben, den Rechtsstreit also für erledigt erklärt,
kann der Beklagte verschieden reagieren. Der Grundfall ist der, dass auch der Beklagte
eine Erledigungserklärung abgibt, sich also dem Antrag des Klägers anschließt. Diese
beiderseitige Erledigungserklärung hat folgende Wirkungen:
Die Rechtshängigkeit erlischt kraft Parteiwillens; die Parteien entziehen dem Gericht den
bisherigen Streitgegenstand. Da es also an einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache
fehlt, kann mangels Rechtskraft erneut geklagt werden. In dem Rechtsstreit bereits ergangene Entscheidungen (z.B. Versäumnis-Urteil, Teil-Urteil, Urteil 1.Instanz bei Erledigungserklärung in der 2.Instanz) bleiben nur dann wirksam, wenn sie schon rechtskräftig geworden sind, sonst werden sie infolge Wegfalls der Rechtshängigkeit von selbst wirkungslos
(§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog). Das Gericht hat nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden, und zwar auf der Grundlage des § 91 a ZPO durch Beschluss.
Formell kann die Erledigungserklärungen ausdrücklich oder konkludent in der mündlichen
Verhandlung oder per Schriftsatz oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 91 a Abs.1 Satz
1 ZPO) abgegeben werden. Das bedeutet auch, dass es gemäß § 78 Abs. 3 ZPO für die
Abgabe der Erledigungserklärung kein Anwaltszwang besteht.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Erledigungserklärung ist zunächst, dass die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit). Nach herrschender Meinung muss zudem spätestens zum Zeitpunkt der Erledi-
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gungserklärungen ein Prozessrechtsverhältnis vorliegen, das sich in der Hauptsache erledigen kann (= Rechtshängigkeit). Fehlt dieses ist nach § 269 Abs. 3 ZPO zu verfahren
(siehe Skript 11, Klagerücknahme). Nach ebenfalls herrschender Meinung ist es für die
Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 91 a ZPO hingegen nicht von Bedeutung, wann
das erledigende Ereignis eingetreten ist oder eingetreten sein soll: § 91 a ZPO ist also
auch dann einschlägig, wenn die Erledigung vor Anhängigkeit eingetreten ist, vorausgesetzt, dass die Klage noch zugestellt wird und nachträglich ein Prozessrechtsverhältnis
begründet wird.
Erledigungserklärungen sind möglich in allen kontradiktorischen Verfahren nach der ZPO
(z.B. Urteilsverfahren, Eilverfahren). Im PKH-Verfahren hingegen ist § 91 a ZPO nicht anwendbar, da es kein kontradiktorisches Verfahren ist, sondern eine Art Verwaltungsverfahren zwischen Antragsteller und Staatskasse.
Unerheblich für die Zulässigkeit der Erledigungserklärung und die mit ihr verbundenen
Wirkungen ist auch, ob tatsächlich ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Das Gericht
ist an die übereinstimmende Erklärung der Parteien gebunden.
Bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen beider Parteien bezüglich der gesamten
Hauptsache ergeht die Entscheidung des Gerichts immer durch Beschluss (§ 91 a Abs.1
Satz 2 ZPO).
Der Standardaufbau eines solchen Beschlusses sieht wie folgt aus:
•
vollständiges Rubrum mit den Angaben des § 313 Abs.1 Nr.1-3 ZPO;
•
falls eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist in das Rubrum der Tag der
letzten mündlichen Tatsachenverhandlung aufzunehmen,
Beispiel:
„... hat das Amtsgericht Hamburg auf die mündliche Verhandlung vom ... beschlossen: ...“;
hat keine mündliche Verhandlung stattgefunden ist im Rubrum der Tag der Entscheidung
anzugeben,
Beispiel:
•
„... hat das Amtsgericht Hamburg
Amtsgericht ... am ... beschlossen: ...“
durch
den
Richter
am
der Tenor besteht nur aus der Kostenentscheidung; der Tenor kann also lauten:
„Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger/Beklagte zu tragen.“
„Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu ... % und der Beklagte zu ...% zu
tragen.“
„Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.“
Eine Entscheidung in der Hauptsache darf natürlich nicht mehr erfolgen, weil diese nicht
mehr rechtshängig ist. Insbesondere darf also auch nicht tenoriert werden: „Die Hauptsache ist erledigt.“
Auch ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit darf nicht erfolgen, weil gemäß
§ 794 Abs.1 Satz 1 Nr.3 ZPO aus Entscheidungen, gegen die – wie hier – das Rechtsmittel der (sofortigen) Beschwerde gegeben ist, ohne weiteres die Zwangsvollstreckung stattfindet
•
der Beschluss ist allerdings zu begründen, da er angefochten werden kann (§ 91 a
Abs.2 ZPO), und zwar unter der Überschrift „Gründe“
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Der Aufbau der Gründe gleicht theoretisch dem Aufbau eines jeden Beschlusses, den das
Gericht erlässt. In der Praxis wird in der Regel der Sachverhalt in dem Beschluss nicht
dargestellt, sondern gleich die Kostenentscheidung begründet. Auch das gilt im Prinzip bei
allen Beschlüssen. In der Klausur hingegen muss der Beschluss nach den Weisungen des
GPA eine Sachverhaltsdarstellung enthalten. Der Aufbau der Sachverhaltsdarstellung erfolgt dabei analog dem Tatbestand eines Urteils (auch hier ist nur das zu bringen, was für
die (konkrete) Entscheidung gemäß § 91 a ZPO von Bedeutung ist). Die ursprünglichen
Klaganträge werden als Prozessgeschichte vor den aktuellen Anträgen (Erledigungserklärung) im Perfekt zu bringen sein, die Erledigungserklärungen selber im Präsens, Beispiel:
„Nunmehr erklären die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für
erledigt und stellen wechselseitige Kostenanträge.“
Es gibt im Übrigen einen einheitlichen auch formalen Aufbau für alle Beschlüsse, an den
Sie sich in Klausur halten sollten und zwar:
Überschrift:
Gründe
Sachverhaltsdarstellung:
I.
Begründung
(z.B. der Kostenentscheidung):
II.
Die Begründung der Kostenentscheidung leitet man zum Beispiel wie folgt ein:
„Nachdem beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führte zur Auferlegung der Kosten auf den Beklagten, da er ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses (…. (konkretes Ereignis benennen)…) in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach unterlegen wäre.
Dem Kläger stand gemäß § 433 Abs.2 BGB ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung des Kaufpreises für ... zu.“
Bei der materiellen Begründung der Entscheidung ist aufgrund des bisherigen Sach- und
Streitstandes zu prüfen, welche Partei den Prozess gewonnen hätte, wenn keine Erledigungserklärungen abgegeben worden wären. Gemäß dem in den §§ 91 ff. ZPO enthaltenen Prinzip entspricht es im Allgemeinen billigem Ermessen, dass die Partei, welche voraussichtlich unterlegen wäre, die Kosten des Rechtsstreits trägt. Daraus folgt:
Ist der Klägervortrag unschlüssig, muss der Kläger die Kosten tragen, denn er hätte auch
ohne Erledigung verloren. Ist der Klägervortrag schlüssig, das Beklagtenvorbringen aber
unerheblich, trägt der Beklagte die Kosten, weil er ohnehin verloren hätte. Ist der Klägervortrag schlüssig und auch das Beklagtenvorbringen erheblich, dann kommt es darauf an,
ob schon Beweis erhoben worden ist oder nicht:
ist noch kein Beweis erhoben, so hängt die Kostenentscheidung davon ab, ob die
beweisbelastete Partei Beweis angeboten hat. Wenn ja, so ist der Ausgang des
Rechtsstreits offen, so dass die Kosten grundsätzlich gegeneinander aufzuheben sind.
Wenn nein, dann hätte die beweisbelastete Partei verloren, deshalb trägt sie die Kosten.
Zulässig ist hier ausnahmsweise eine vorweggenommene Beweiswürdigung, nämlich
wenn das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussehbar erscheint. Denn es handelt
sich um eine Prognoseentscheidung nach billigem Ermessen.
Ist schon Beweis erhoben worden, dann erfolgt eine Beweiswürdigung wie bei einem streitigen Urteil. Ist nur teilweise Beweis erhoben worden, kommt es darauf an, ob sich schon
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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ein Beweisergebnis oder eine Tendenz abzeichnet, die das Gewicht zugunsten einer Partei verschieben kann (Kostenentscheidung dann z.B. 2/3: 1/3) (was auch nichts anderes
als eine zulässige vorweggenommene Beweiswürdigung ist) oder nicht, dann sind die
Kosten gegeneinander aufzuheben.
Ausnahmsweise kann es der Billigkeit entsprechen, eine von dem Sach- und Streitstand
abweichende Kostenentscheidung zu treffen und der Partei die Kosten aufzuerlegen, die
ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich verloren hätte. Insbesondere ist
im Rahmen des § 91 a ZPO nämlich auch der Rechtsgedanke des § 93 ZPO zu berücksichtigen. Hat also z.B. der Kläger den Beklagten nach Rechnungserteilung nie zur Zahlung aufgefordert, sondern ihn sofort mit einer Klage überzogen und zahlt der Beklagte
alsbald nach Klagezustellung den Rechnungsbetrag, so kann sich aus dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO eine Kostentragungspflicht des Klägers ergeben.
Für den Streitwert und die Gebührenberechnung bei übereinstimmender Erledigungserklärung ist folgendes zu bedenken: Alle Gebühren, die vor den Erledigungserklärungen anfallen, richten sich nach dem Streitwert der ursprünglichen Klage. Für die Gebühren, die ab den Erledigungserklärungen anfallen ist anstelle des Streitwerts der Hauptsache der Kostenstreitwert (Summe der bis dahin angefallenen Kosten) anzusetzen soweit
sie den bisherigen Wert der Hauptsache nicht übersteigen (herrschende Meinung). Der
Kostenstreitwert ist also maximal so hoch wie der Streitwert der ursprünglichen Klage.
Gegen einen Beschluss nach § 91 a ZPO kommt das Rechtsmittel der sofortigen
Beschwerde in Betracht (§ 91 a Abs.2 Satz 1 ZPO). Dieses Rechtsmittel ist allerdings
nicht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes (d.h. die Höhe der Kosten,
gegen deren Auferlegung sich der Beschwerdeführer zur Wehr setzt) nur 100,00 oder
weniger beträgt, § 567 Abs.2 Satz 1 ZPO, es sich um einen Beschluss des OLG handelt,
§ 567 Abs. 1 ZPO oder der Streitwert der Hauptsache den in § 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO
genannten Betrag (EUR 600,00) nicht übersteigt, die Sache also nicht berufungsfähig
wäre.
Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Notfrist von 2 Wochen ab Zustellung einzulegen
(§ 569 Abs.1 ZPO). Eine Abhilfe durch das Gericht, welches die angefochtene
Entscheidung erlassen hat, ist möglich, § 572 Abs. 1 S. 1, 1. HS ZPO.
Der Rechtsstreit kann auch nur teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt werden,
z.B. bei Teilzahlung des Schuldners im laufenden Rechtsstreit: Die Rechtshängigkeit
entfällt dann nur hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des
Rechtsstreits, im Übrigen wird der Sachantrag zur Entscheidung gestellt.
Wegen des Grundsatzes der Kosteneinheit ist ebenso wie bei einer teilweisen
Klagrücknahme über die Kosten des Rechtsstreits dann einheitlich im Urteil zu
entscheiden. Es gibt also keinen gesonderten Beschluss nach § 91 a ZPO bezüglich des
für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits. Es muss im abschließenden Urteil eine
einheitliche Entscheidung über die Kosten des für erledigt erklärten und des streitig
gebliebenen Teils des Rechtsstreits ergehen. Im Rahmen dieser Kostenentscheidung aber
sind die Grundsätze einer Kostenverteilung gemäß § 91 a ZPO bezüglich des für erledigt
erklärten Teils des Rechtsstreits anzuwenden, gegebenenfalls sind die Kosten des
Rechtsstreits zu quoteln.
Vor den Erledigungserklärungen richtet sich der Streitwert auch hier nach der
ursprünglichen Klageforderung. Streitig ist, ob sich der Streitwert ab den
Erledigungserklärungen nur noch nach dem Wert des noch streitig gebliebenen Teils der
Hauptsache ohne Zinsen und Kosten richtet oder ob noch die auf den erledigten Teil des
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Rechtsstreits entfallenden Kosten hinzuzurechnen sind.
Bei teilweiser Erledigungserklärung ergibt sich für den Aufbau des Urteils folgendes: Im
Tatbestand müssen alle Daten angegeben werden, die für eine (teilweise) Entscheidung
nach § 91 a Abs.1 ZPO von Bedeutung sind. Bezüglich der Anträge kann wie folgt
formuliert werden:
„Der Kläger hat ursprünglich einen Betrag in Höhe von ... geltend gemacht. Nachdem der
Beklagte am ... einen Betrag von ... an ihn gezahlt hat, haben die Parteien den
Rechtsstreit in Höhe von ... übereinstimmend für erledigt erklärt.“
In den Entscheidungsgründen des Urteils wird zunächst nur der noch verbliebene
Sachantrag in der üblichen Form abgehandelt, die teilweise übereinstimmenden
Erledigungserklärungen werden im Rahmen der Kostenentscheidung erörtert. Die auf § 91
a Abs.1 ZPO beruhende Kostenentscheidung muss dabei begründet werden und zwar
nicht nur wie sonst üblich mit Benennung des Gesetzestextes, sondern – da es sich um
eine Billigkeitsentscheidung handelt– umfassend. Das könnte etwa wie folgt aussehen:
„Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs.1, 91 a ZPO. Soweit die Parteien den
Rechtsstreit übereinstimmend in Höhe von ... in der Hauptsache für erledigt erklärt haben,
war über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des
bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führte
zur Auferlegung der insoweit entstandenen Kosten auf den Beklagten, da er ohne den
Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach
unterlegen wäre. Dem Kläger stand der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten
auf ... gemäß § ... zu. ...“
Gegen das Urteil, dessen Kostenentscheidung teilweise auf § 91 a Abs.1 ZPO beruht,
kann unter den in § 511 ff. ZPO genannten Voraussetzungen Berufung eingelegt werden.
Dabei wird auch die Kostenentscheidung, soweit sie gemäß § 91 a ZPO ergangen ist,
überprüft. Da aber den Parteien kein Nachteil daraus entstehen darf, dass wegen des
Grundsatzes der Kosteneinheit einheitlich durch Urteil entschieden wird, kann die
beschwerte Partei unter allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen daneben sofortige
Beschwerde gegen die gesamte Kostenentscheidung einlegen. Diese wird dann
gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren geändert, soweit sie auf § 91 a Abs.1 ZPO
beruht. Im Fall der Abänderung wird der Kostentenor dann insgesamt neu gefasst.
Der Beklagte muss sich der klägerischen Erledigungserklärung selbstverständlich nicht
anschließen. Es handelt sich dann um eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers.
Nach herrschender Meinung ist die einseitige Erledigungserklärung eine gemäß § 264
Ziff.2 ZPO jederzeit zulässige Klageänderung (Beschränkung des Klageantrags), die von
einer Zustimmung des Beklagten nicht abhängig ist. An die Stelle des ursprünglichen
Klageantrags tritt ein Sachantrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit in der
Hauptsache erledigt ist. Dieser Feststellungsantrag wird selten ausdrücklich formuliert. Er
ist in der Erledigungserklärung des Klägers konkludent enthalten.
Das für jede Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist
im Falle der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers generell zu bejahen. Das
Interesse an einer alsbaldigen Feststellung besteht, weil der Kläger bei nachträglicher
Erledigung ohne die begehrte Feststellung immer die Kosten des Rechtsstreits tragen
müsste.
Der in der einseitigen Erledigungserklärung enthaltene Feststellungsantrag ist begründet,
wenn der ursprüngliche Klagantrag zulässig und begründet war und sich durch den Eintritt
eines Ereignisses später erledigt hat, d.h. unzulässig oder unbegründet geworden ist. Es
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muss also – anders als bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen – nun geprüft
werden, ob der Anspruch ursprünglich bestanden hat und ein erledigendes Ereignis im
Laufe des Rechtsstreits tatsächlich eingetreten ist (z.B. Erfüllung, Aufrechnung).
Die Entscheidung des Gerichts bei einseitiger Erledigungserklärung ergeht in Form eines
Urteils. Der Tenor einer stattgebenden Entscheidung lautet:
„Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.“
War die Klage nur teilweise begründet, ist zu formulieren:
„Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe von ... Euro nebst Zinsen in der
Hauptsache erledigt ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“
Die Kostenentscheidung ergeht nach den allgemeinen Kostenregelungen (§§ 91, 92 ff.
ZPO), nicht hingegen auf der Grundlage des § 91 a ZPO. Das Urteil ist im Hinblick auf die
Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Feststellungstenor hat keinen
vollstreckbaren Inhalt. Im Tatbestand ist der Feststellungsantrag nur dann zu formulieren,
wenn der Kläger ihn ausdrücklich gestellt hat. Ansonsten sind die ursprünglichen Anträge
(im Perfekt, da Prozessgeschichte), die Erledigungserklärung des Klägers und der
Klagabweisungsantrag des Beklagten zu erwähnen.
Die Auslegung der Erledigungserklärung des Klägers dahingehend, dass darin konkludent
ein Antrag auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache enthalten
ist, erfolgt erst in den Entscheidungsgründen, beispielsweise wie folgt:
„Die Klage ist zulässig. Die Erledigungserklärung des Klägers enthält den Antrag auf
Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Es handelt sich insoweit
um eine jederzeit zulässige Klageänderung gemäß § 264 Ziff.2 ZPO. Das für eine
Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs.1 ZPO ist in
diesen Fällen immer gegeben.
Die Feststellungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Die ursprüngliche Zahlungsklage war
zulässig und begründet (I.) und hat sich durch ... im Laufe des Rechtsstreits erledigt.
(II.)...“
Umstritten ist, wie hoch der Streitwert des Feststellungsantrags ist. Nach einer Ansicht
entspricht der Streitwert des Feststellungsantrags dem Streitwert der ursprünglichen
Hauptsache. Nach anderer Ansicht ist wie bei einer sonstigen positiven Feststellungsklage
von dem ursprünglichen Streitwert ein Abschlag von 20-50% zu machen. Eine dritte
Meinung hält das Kosteninteresse für maßgeblich, d.h. sie bemisst den Streitwert des
Feststellungsantrags nach den bis zur Klageänderung angefallenen Kosten.
Gegen das Feststellungsurteil kann unter den Voraussetzungen der §§ 511 ff. ZPO
Berufung eingelegt werden. Der Rechtsmittelstreitwert bemisst sich nach den gesamten
Kosten der Instanz.
Über die einseitige Erledigungserklärung des Klägers kann auch durch Versäumnis-Urteil
entschieden werden, und zwar auch dann, wenn dem Beklagten die Erledigungserklärung
des Klägers nicht rechtzeitig vor der Verhandlung mittels eines Schriftsatzes mitgeteilt
worden ist. § 335 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO steht dem nicht entgegen. Sinn dieser Vorschrift ist
es, den säumigen Beklagten vor einer Verschlechterung seiner Position zu bewahren. Die
Erledigungserklärung ist aber für den Beklagten nicht nachteilig, da es sich insoweit nur
um eine Beschränkung des ursprünglichen klägerischen Antrags handelt.
Der Kläger kann den Rechtsstreit auch nur teilweise in der Hauptsache einseitig für
erledigt erklären, z.B. wenn der Beklagte einen Teil der Klagsumme gezahlt hat. In den
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Entscheidungsgründen des Urteils sind dann nacheinander der noch übrig gebliebene
ursprüngliche Klagantrag und der in der teilweisen Erledigungserklärung des Klägers
enthaltene Feststellungsantrag abzuhandeln. Der Streitwert bemisst sich ab dem Zeitpunkt
der Erledigungserklärung nach dem Wert des noch verbleibenden Teils zuzüglich des
Wertes des Feststellungsantrages.
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6. Verspätetes Vorbringen, § 296 f. ZPO
Nach dem Gesetz ist Vortrag der Parteien bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung
zulässig. Diese Regel wird bestätigt durch § 296a ZPO, eingeschränkt allerdings durch §
296 ZPO. Zugleich besteht für die Parteien die Pflicht zur Prozessförderung, die in § 282
ZPO normiert ist. Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens ist die Frage zu beantworten,
wann welcher Vortrag der Parteien als verspätet zurückzuweisen ist.
Vorbringen einer Partei nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist nach § 296a ZPO
nicht nur verspätet sondern grundsätzlich unverwertbar. Ausnahmen sind in den §§ 139
Abs. 5, 156, 283 ZPO bestimmt.
Nach § 283 ZPO kann einer Partei in der mündlichen Verhandlung nachgelassen werden,
ergänzend vorzutragen, wenn nämlich der Schriftsatz der Gegenseite ihr nicht rechtzeitig
vor dem Termin zugegangen ist. Mindestens muss die Wochenfrist des § 132 Abs. 1 S. 1
ZPO eingehalten sein. Ein Schriftsatznachlass kann bei umfangreicheren Sachen aber
auch geboten sein, wenn weniger als zwei Wochen zwischen Eingang und Termin lagen.
Der gemäß § 283 ZPO nachgelassene Vortrag darf sich allerdings stets nur auf den Inhalt
des nicht rechtzeitig zugegangenen Schriftsatzes des Gegners beziehen.
§ 156 S. 1 ZPO erlaubt dem Gericht nach Ermessen die bereits geschlossene mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen. Unter Umständen ist das Gericht dazu sogar verpflichtet,
nämlich nach § 139 Abs. V, 156 Abs. 2 ZPO, etwa dann, wenn ein gerichtlicher Hinweis in
der mündlichen Verhandlung nach § 139 ZPO erfolgt ist und die Parteien sich hierzu nicht
erklären können oder der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif ist, weil nach einer Schriftsatzfrist für den Gegner nach § 283 ZPO entscheidungserhebliches eingeht und der anderen Seite rechtliches Gehör gewährt werden muss oder wenn die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Tatsachen eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung rechtfertigen.
§ 296 ZPO macht drei Ausnahmen von der gesetzlichen Regel, dass das Gericht alles zu
berücksichtigen hat, was bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgebracht wird:
Abs. 1 stellt den gesetzlichen Grundtatbestand dar, dessen Beachtung für das Gericht
zwingend ist: Versäumt eine Partei eine vom Gericht gesetzte Frist und wird durch das
hiernach vorgetragene Angriffs- oder Verteidigungsmittel der Prozess verzögert und entschuldigt die Partei die Verspätung nicht genügend, ist der Vortrag als verspätet zurückzuweisen
Abs. 2 von § 296 enthält zudem einen Auffangtatbestand, der dem Gericht einen
Ermessensspielraum eröffnet: Verletzt eine Partei grob nachlässig ihre Pflicht zur
Verfahrensförderung (§ 282) und wird der Prozess dadurch verzögert, kann der vor
Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Vortrag zurückgewiesen werden.
Schließlich enthält § 296 Abs. 3 ZPO eine zwingende Sonderregel für verzichtbare Prozessrügen: Wird eine Prozessrüge ohne Entschuldigung zu spät erhoben (§ 282 Abs. 3
ZPO), ist sie zwingend zurückzuweisen.
Bei der Anwendung von § 296 ZPO ist stets Art. 103 Abs. 1 GG im Hinterkopf zu behalten.
Durch Zurückweisung von Vorbringen als verspätet droht die Verletzung des Anspruchs
auf das rechtliche Gehör. Vor diesem Hintergrund hat sich in der Rechtsprechung die
Tendenz entwickelt § 296 ZPO eng auszulegen und nie analog anzuwenden. Folgende
Voraussetzungen müssen vorliegen, ehe Vortrag nach § 296 ZPO als verspätet zurückgewiesen zu werden vermag:
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§ 296 ZPO bezieht sich nur auf unselbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel, z.B. Behauptungen, Bestreiten, Einreden, aber nicht auf Sachanträge wie Klagerweiterung, Klageänderung, Widerklage und deren Begründung. Die nämlich sind der Angriff bzw. die
Verteidigung selbst. Diese können daher also auch taktisches Mittel sein, einem drohenden Verspätungseinwand zu begegnen: Kommt § 296 ZPO zu Lasten einer Partei in Betracht, kann die beispielsweise in der mündlichen Verhandlung einen Widerklageantrag
stellen und dadurch sicher sein, mit weiterem Sachvortrag nicht wegen des Verspätungseinwands abgeschnitten zu sein.
§ 296 Abs. 1 ZPO setzt weiterhin das Versäumen einer der dort genannten Fristen voraus.
Die Aufzählung ist abschließend. Eine analoge Anwendung von § 296 Abs. 1 ZPO auf andere vom Gericht gesetzte Fristen verbietet sich.
Weiterhin muss der Rechtsstreit sich infolge der Verspätung verzögern. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt hier der absolute Verzögerungsbegriff: Maßgebend ist, ob der
Rechtsstreit bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung. Auch hier ist vor Bejahung der Verzögerung Zurückhaltung angezeigt.
In Rechtsprechung hat sich die Tendenz herausgebildet mit Verzögerung und § 296 ZPO
nur im Extremfall zu arbeiten. Die Faustformel ist, dass Verzögerung vorliegt, wenn aufgrund der Verspätung ein neuer Termin anberaumt werden muss, der ohne verspäteten
Vortrag nicht hätte anberaumt werden müssen. Daraus folgt: Verzögerung kommt überhaupt nur in Betracht, wenn der neue Vortrag entscheidungserheblich und streitig ist.
Sonst nämlich kann ja trotz verspäteten Vortrags ohne Verzögerung in der Sache entschieden werden.
Droht tatsächlich eine Verzögerung des Rechtsstreits durch das verspätete Vorbringen,
etwa weil nun doch Beweis zu erheben wäre und die zu vernehmenden Zeugen aufgrund
des erst im Termin bekannt gewordenen Vortrags nicht zur Verfügung stehen, kann die
dem Einwand ausgesetzte Partei der Zurückweisung ihres neuen Vorbringens dadurch
entgegen wirken, dass sie keinen Antrag stellt. Die andere Partei nämlich kann dann lediglich Antrag auf Versäumnisurteil nach § 331 ZPO stellen. Gegen dieses wiederum kann
binnen zwei Wochen Einspruch eingelegt werden, § 338 ZPO. Das in diesem enthaltene
Vorbringen bleibt zwar auch weiterhin verspätet, verzögert aber den Rechtsstreit nicht
mehr. Das Gericht nämlich hat ohnehin bereits aufgrund des Einspruchs einen neuen
Termin anzuberaumen. Das Gericht hat damit aber auch die Möglichkeit die verspätet angeführten Beweismittel zu der neuen Verhandlung beizubringen. Für die Frage, ob es zu
einer Verzögerung gekommen ist, ist maßgebend also der Termin zur Verhandlung über
den Einspruch und nicht der versäumte. Dieses Verhalten wird auch als Flucht in die
Säumnis bezeichnet.
Die Möglichkeit der Flucht in die Säumnis entfällt allerdings dann, wenn eine Entscheidung
(Urteil) bereits nach Lage der Akten möglich ist (§§ 331a, 251a ZPO). Das ist der Fall,
wenn in einem früheren Termin schon mündlich verhandelt worden ist. Dann nämlich hat
das Gericht auf Antrag der anwesenden Partei auch bei Abwesenheit des anderen
materiell zu entscheiden. Die Möglichkeit der Flucht in die Säumnis bietet sich im übrigen
nicht, wenn bereits in der Verhandlung zuvor ein Versäumnisurteil zu Lasten der Partei
erging. Bei erneuter Säumnis nämlich würde nun ein zweites Versäumnisurteil verkündet
werden, gegen das lediglich noch das (zudem eingeschränkte) Rechtsmittel der Berufung
zulässig ist, §§ 345, 514 Abs. 2 S. 1 ZPO. Weitere Voraussetzung für die Zurückweisung
von Vorbringen als verspätet ist, dass die Partei, die verspätet vorträgt, keinen
Entschuldigungsgrund glaubhaft macht. Glaubhaftmachen muss sie allerdings erst auf
Aufforderung des Gerichts. Sonst genügt einfaches Behaupten von Tatsachen, aus denen
sich ergibt, dass die Verspätung unverschuldet erfolgt ist.
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7. Das Versäumnisverfahren
Im Zivilrecht gilt das Mündlichkeitsprinzip, § 128 Abs. 1 ZPO. Ohne vorherige mündliche
Verhandlung kann grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 128 Abs. 2; 495 a ZPO) kein verfahrensabschließendes Urteil ergehen. Erscheint nur eine Partei in dem anberaumten Verhandlungstermin oder stellt nur eine der erschienenen Parteien einen Antrag, kann eine
mündliche Verhandlung nicht stattfinden.
Um zu verhindern, dass eine Partei ein ihr ungünstiges Urteil allein dadurch verhindern
kann, dass sie zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint bzw. sich nicht vertreten lässt
oder keinen Antrag stellt, bedarf es gesetzlicher Vorkehrungen. Die Sanktion für Säumnis
besteht darin, dass die nicht erschienene bzw. vertretene Partei Gefahr läuft, den Prozess
allein wegen ihres Ausbleibens zu verlieren. Unter welchen Voraussetzungen dies im Einzelnen geschehen kann, steht in den Bestimmungen über das Versäumnisverfahren
(§§ 330 - 347 ZPO).
Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils ist zunächst, dass ein Termin zur
mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht bestimmt worden ist. Gleichgültig
ist, ob es sich um den ersten oder einen späteren Termin handelt, § 332 ZPO. Auch ein
Termin zur Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht dient zugleich zur Fortsetzung der
mündlichen Verhandlung, § 370 Abs. 1 ZPO. Während der Beweisaufnahme bedarf es
allerdings der Anwesenheit der Parteien bzw. Parteivertreter nicht, § 367 Abs. 1 ZPO. Ein
Versäumnisurteil kommt daher erst in Betracht, wenn über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt werden soll und eine Partei zu diesem Zeitpunkt säumig ist.
In der Praxis führt das oft zur Konsequenz, dass bei Nichterscheinen einer Partei vorsorglich die geladenen Zeugen gleichwohl vernommen werden, Beweisaufnahme also erfolgt,
bei Stellung der Anträge aber die Nichterschienene Partei säumig ist, die andere also Versäumnisurteil beantragen kann.
Zu den Verhandlungsterminen vor dem Prozessgericht gemäß § 331 Abs. 1 ZPO gehören
hingegen nicht: (Gesonderte) Güteverhandlung (§ 278 ZPO), Erörterungstermine im Prozesskostenhilfeverfahren (§ 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO), Termine vor dem beauftragten oder
ersuchten Richter (§ 375 ZPO), Verkündungstermine (§ 310 ZPO). Bei diesen also vermag
kein Versäumnisurteil zu ergehen.
Die Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergehen soll, muss säumig sein. Das ist der
Fall, wenn sie nach Aufruf der Sache am richtigen Ort (§ 219 ZPO) und zur richtigen Zeit
(nicht vor der festgesetzten Terminsstunde und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung) nicht erscheint (§§ 330, 331 ZPO) oder nicht verhandelt (333 ZPO). Der Kläger verhandelt, wenn er einen Sachantrag stellt (§ 137 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte braucht dagegen nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht ausdrücklich einen Antrag auf Abweisung der Klage zu stellen. Er verhandelt vielmehr schon dann, wenn
sich aus seinem Vorbringen ergibt, dass er sich gegen die Verurteilung wendet.
In Anwaltsprozessen (Landgericht, Familiensachen bei AG) kommt es nicht auf die Partei
selbst, sondern auf den bei Gericht zugelassenen Anwalt an. Die anwesende, aber postulationsunfähige Partei ist daher säumig, wenn sie ohne Rechtsanwalt erscheint.
Säumnis liegt nicht vor, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung erscheint, ihren
Antrag stellt und zur Sache verhandelt, aber am Schluss der Verhandlung nicht mehr vertreten ist (BGHZ 63, 94 ff.; BGH NJW 1994, 665). Das gilt namentlich auch, wenn zu Beginn eines zur Durchführung einer Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmten Termins Anträge gestellt worden sind und der Kläger nach Durch-
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führung der Beweisaufnahme erklärt, jetzt trete er nicht mehr auf.
Zwar sieht § 285 Abs. 1 ZPO vor, dass die Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Darlegung des Streitverhältnisses zu verhandeln haben. Dabei soll es sich
aber nach Auffassung des BGH nur um eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör handeln, von dem die Parteien keinen Gebrauch machen müssen. Da der
Termin eine Einheit bilde und eingangs bereits verhandelt worden sei, könne kein Fall der
Säumnis mehr eintreten (BGHZ 63, 94 ff.; OLG Hamm, MDR 1974, 407; a.A. Schneider,
Säumnis durch Nichtverhandeln, MDR 1992, 827 f.).
Die Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergehen soll, muss ordnungsgemäß geladen
worden sein (§ 335 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO), d.h. in der Regel durch Zustellung einer Ladung
(§ 329 Abs. 2 S. 2 ZPO; Ausnahme beim AG: § 497 ZPO) unter Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 ZPO: in Anwaltsprozessen mindestens eine Woche, in anderen Prozessen
mindestens drei Tage) oder durch verkündeten Beschluss, § 218 ZPO, der eine Ladung
entbehrlich macht.
Das tatsächliche mündliche Vorbringen der Gegenseite und die Sachanträge müssen der
säumigen Partei rechtzeitig mitgeteilt worden sein, §§ 335 Abs. 1 Ziff. 3, 132 ZPO. Macht
z.B. der Kläger die Klage erst im Termin „schlüssig“, darf kein VU gegen den Beklagten
ergehen, da der neue Vortrag ihm noch nicht mitgeteilt worden ist. Sinn hiervon ist, dass
der Beklagter womöglich bewusst zum Termin nicht gekommen ist, in der Meinung, ihm
könne bei der unschlüssigen Begründung des Klaganspruchs nichts passieren.
Es darf bei Erlass eines Versäumnisurteils auch kein Grund für eine Vertagung von Amts
wegen (§ 337 ZPO) ersichtlich sein, insbesondere dürfen keine Entschuldigungsgründe für
die Säumnis bekannt sein. Verschulden ist keine Erlassvoraussetzung und daher grundsätzlich nicht vom Gericht zu prüfen oder von der das VU beantragenden Partei vorzutragen. Nichtverschulden ist aber ein Erlasshindernis gem. § 337 ZPO, also vom Gericht bei
Kenntnis von Amts wegen zu beachten; das Nichtverschulden führt selbst bei Unkenntnis
des Gerichts zum ungesetzlichen Versäumnisurteil. Entsprechend kann der Säumige im
Nachhinein geltend machen, dass das Versäumnisurteil in nicht gesetzlicher Weise ergangen ist, da er unverschuldet Termin nicht wahrgenommen hat. Dieses hat Konsequenzen für Kostenfolge, § 344 ZPO.
Beispiele für unverschuldete Säumnis sind etwa der Verkehrsunfall auf dem Weg zum
Gericht, sowie die Erkrankung des Rechtsanwalts oder der Partei. Als
Entschuldigungsgrund kommen auch Konstellationen in Betracht, in denen die säumige
Partei bzw. ihr Parteivertreter darauf vertrauen durften, dass ein VU nicht ergehen werde,
z.B.: Die Parteien haben eine Absprache getroffen, wonach ein Versäumnisurteil nicht
beantragt werde, an die sich die erschienene Partei nicht hält; die Rechtsanwälte hatten
vereinbart, dass der eine RA auf den anderen wartet; trotzdem beantragt der RA unter
Bruch der Vereinbarung ein Versäumnisurteil; eine Partei hat ihr Kommen ausdrücklich
mit dem Hinweis angekündigt, sie werde - etwa wegen eines Verkehrsstaus - gehindert
sein, pünktlich zu erscheinen
Beispiele für nicht unverschuldete Säumnis sind etwa das Fernbleiben in der Annahme,
dem Vertagungsantrag werde schon stattgegeben werden (Schriftsatz: „Wird davon ausgegangen, dass der Termin abgesetzt wird“)
Bei Rechtsanwälten gilt es zum Teil noch immer als unehrenhaft ein Versäumnisurteil gegen einen nicht erschienenen Kollegen zu beantragen. Nach § 13 der Berufs- und Fachanwaltsordnung für Rechtsanwälte vom 11. März 1997 (Beilage zu Heft 19 der NJW 1997)
darf ein Rechtsanwalt bei anwaltlicher Vertretung der Gegenseite ein Versäumnisurteil
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grundsätzlich nur erwirken, wenn er dies zuvor dem Gegenanwalt angekündigt hat; erfordern es die Interessen des Mandanten, darf er den Antrag allerdings auch ohne Ankündigung stellen.
Das BVerfG hat durch Urteil vom 14. Dezember 1999 entschieden, dass diese Regelung
verfassungswidrig sei. Es werde damit eine Voraussetzung für den Erlass eines Versäumnisurteils statuiert, den die ZPO nicht vorsehe. Für eine solche – nicht nur die Berufsausübungsfreiheit der Anwälte, sondern auch die Handlungsspielräume der Prozessparteien
einschränkende – Satzungsbestimmung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Ein
Rechtsanwalt darf daher nicht mehr darauf vertrauen, dass sein Kollege aus standesrechtlicher Rücksicht ein Versäumnisurteil nicht ohne Ankündigung nehmen werde.
Weitere Voraussetzung zum Erlass eines Versäumnisurteils ist, dass die erschienene Partei einen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils stellt, §§ 330, 331 ZPO. Der erschienene Kläger muss außerdem zuvor den eigentlichen Sachantrag stellen, damit klar ist,
was im Versäumnisurteil zu tenorieren ist.
Da das VU ein Sachurteil ist, müssen auch die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, das
heißt, die Klage muss zulässig und schlüssig sein. Bei fehlender Zulässigkeit ergeht ein
Prozessurteil als so genanntes unechtes Versäumnisurteil (denn nicht die antragende Partei erhält das Versäumnisurteil, sondern ein ihr den Erfolg versagendes Urteil).
Die Säumnis des Klägers ist mit einem Verzicht (§ 306 ZPO) vergleichbar. Die Klage wird
bei Vorliegen der o.g. Voraussetzungen daher ohne Rücksicht auf ihre sachlichen Erfolgsaussichten abgewiesen, § 330 ZPO, es ist also keine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen.
Die Säumnis des Beklagten entspricht hingegen nicht dem Spiegelbild des Verzichts, dem
Anerkenntnis (§ 307 ZPO), sondern dem Geständnis (§§ 288 ff. ZPO): Das tatsächliche
mündliche Vorbringen des Klägers gilt im Falle der Säumnis des Beklagten als zugestanden; der Beklagte ist daher nur insoweit zu verurteilen, als dieses Vorbringen den geltend
gemachten Anspruch rechtfertigt, die Klage also schlüssig ist, § 331 ZPO. Dabei ist bedeutsam, dass die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO nicht für das Vorbringen
zur Zuständigkeit des Gerichts nach §§ 29 Abs. 2, 38 ZPO (Gerichtsstandsvereinbarungen) gilt, es hier also bei einem unechten Versäumnisurteil bleibt, wenn die Zuständigkeit
des angerufenen Gerichts sich nicht aus anderen Vorschriften begründet
Fehlt eine der formellen (nicht materiellen, dann unechtes Versäumnisurteil) Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteil, so ist der Antrag durch Beschluss zurückzuweisen (§ 336 ZPO; Rechtsmittel: sofortige Beschwerde) oder die Sache ist zu vertagen
(§§ 335 Abs. 2, 337 ZPO).
Liegen die formellen Voraussetzungen hingegen vor, ist die Klage schlüssig und ergeht
ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten spricht man von einem echten Versäumnisurteil. Es ist ein echtes Sachurteil, daher auch der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. Die Unterschiede zu einem „normalen“ streitigen Endurteil sind die folgenden:
-
das Versäumnisurteil muss als solches überschrieben werden, § 313 b Abs. 1 Satz
2 ZPO;
-
es ist immer ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, § 708
Ziff. 2 ZPO; § 711 ZPO findet keine Anwendung;
-
es bedarf grundsätzlich nicht des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe,
§ 313 b Abs. 1 Satz 1 ZPO
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es ist nur mit Einspruch anfechtbar, § 338 ZPO
Obwohl ein Versäumnisurteil deutlich weniger Arbeit macht als ein streitiges Urteil, ist es –
soweit es die Gerichtsgebühren betrifft - nicht unbedingt billiger. Für das erstinstanzliche
Verfahren fallen stets drei Gebühren an, die auch bei Erlass eines Versäumnisurteils –
anders als beim Erlass eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils – nicht teilweise zurückerstattet werden (HansOLG MDR 1998, 623). Dagegen kostet in der Berufungsinstanz das
Verfahren im allgemeinen nur 1,5 Gebühren. Hierzu kommen im Falle einer streitigen Entscheidung 3 Urteilsgebühren, die für ein Versäumnisurteil nicht erhoben werden.
Als unechtes Versäumnisurteil wird ein im Säumnistermin ergehendes streitiges Endurteil
gegen den anwesenden Kläger bezeichnet, durch das die Klage als unzulässig oder
unschlüssig abgewiesen wird, § 331 Abs. 2, 2. Alt. ZPO. Achtung: bei einem solchen
unechten Versäumnisurteil müssen Tatbestand und Entscheidungsgründe gefertigt
werden, § 313 b Abs. 1 ZPO gilt nicht. Das unechte VU unterscheidet sich in Form und
Inhalt auch ansonsten nicht von normalen Urteilen, die aufgrund einer streitigen
Verhandlung ergehen. Wie diese ist es auch nur mit der Berufung (§ 511 ZPO) anfechtbar.
Auch für den Vollstreckungsausspruch gilt nicht § 708 Nr. 2 ZPO, sondern §§ 708 Nr. 4 –
11, 711 ZPO oder § 709 ZPO.
Eine Entscheidung nach Lage der Akten kann abweichend von dem Mündlichkeitsgrundsatz unter den Voraussetzungen des § 251 a oder des § 331 a ZPO ergehen. Die Vorschriften dienen der Prozessförderung, insbesondere soll eine Prozessverschleppung
durch – wiederholte – Säumnis vermieden werden:
Bei § 251 a ZPO sind beide Parteien säumig und eine Entscheidung nach Lage der Akten
wird von Amts wegen beschlossen. Bei § 331 a ZPO ist nur eine Partei säumig und es ist
ein Antrag der anderen Partei erforderlich. Voraussetzung für beide Vorschriften ist, dass
mindestens einmal vorher streitig verhandelt worden ist. Bei einem Urteil nach Lage der
Akten ist der gesamte Prozessstoff, der mündlich oder schriftsätzlich bis zu dem versäumten Termin von beiden Parteien vorgetragen worden ist, der Entscheidung zugrunde zu
legen. Die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO gilt hier nicht. Ein Urteil nach Lage der
Akten schließt die Instanz endgültig ab. Hiergegen gibt es nur noch die Möglichkeit der
Berufung oder Revision. Es unterscheidet sich nach Form und Inhalt nicht von sonstigen
streitigen Urteilen nach mündlicher Verhandlung. Nur im Rubrum ist anstelle von „... auf
die mündliche Verhandlung vom ...“ zu formulieren: „... nach Lage der Akten am ... (versäumter Termin)“
Bei einem Urteil nach § 331a ZPO ist im Rahmen der vorläufigen Vollstreckbarkeit allerdings § 708 Nr. 2 ZPO zu beachten. Das Urteil ist also vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung und Abwendungsbefugnis.
Wird das schriftliche Vorverfahren gemäß § 276 ZPO angeordnet und teilt der Beklagte
nach Aufforderung durch den Vorsitzenden und Belehrung über die Säumnisfolgen nicht
innerhalb der Notfrist von zwei Wochen mit, dass er sich gegen die Klage verteidigen wolle, so kommt auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil ohne mündliche Verhandlung in
Betracht, § 331 Abs. 3 ZPO. Viele Anwälte stellen einen solchen Antrag bereits routinemäßig in der Klagschrift. Es ist aber auch möglich, den betreffenden Antrag in einem späteren Schriftsatz nachzuschieben. Manche Gerichte halten es für ausreichend, wenn dieser Antrag dem Beklagten erst bei oder nach Erlass des Versäumnisurteils zugeht (KG
NJW-RR 1994, 1344; dag. OLG München, MDR 1980, 235). Hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren gilt das bisher
zum Versäumnisverfahren Gesagte. Das Gericht erlässt ein Versäumnisurteil nach dem
Antrag des Klägers, wenn dessen Vorbringen zur Begründung der Klage ausreicht, d.h.
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die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind und der Vortrag schlüssig ist.
Umstritten war, ob im schriftlichen Vorverfahren auch der Erlass eines unechten Versäumnisurteils (also Klagabweisung durch unechtes VU) erlaubt ist, wenn die Klage also
unzulässig oder unschlüssig ist. Diese Frage hat nun der Gesetzgeber durch Neueinfügung von § 331 Abs. 3 S. 3 ZPO beantwortet. Nach vorherigem Hinweis an den Kläger ist
ein solches zulässig, wenn die Klage wegen einer Nebenforderung abgewiesen wird. Im
Umkehrschluss folgt daraus, dass ein unechtes Versäumnisurteil gegenüber dem Kläger
nun unzulässig ist, wenn es (auch zu einem nur ganz geringen Teil) die Hauptforderung
betrifft.
Gegen ein (echtes erstes) Versäumnisurteil ist der Einspruch statthaft, § 338 ZPO. Bei
dem Einspruch handelt es sich nicht um ein Rechtsmittel, sondern um einen Rechtsbehelf,
denn zwar hat der zulässige Einspruch einen Suspensiveffekt i.S.d. § 705 Satz 2 ZPO,
indem durch diesen der Eintritt der Rechtskraft gehemmt wird. Der zulässige Einspruch
hat aber keinen Devolutiveffekt. Zuständig bleibt also das Gericht, das bereits das Versäumnisurteil erlassen hat.
Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von folgenden Voraussetzungen abhängig:
Die Einspruchsfrist (eine Notfrist) beträgt zwei Wochen ab Zustellung des
Versäumnisurteils, § 339 ZPO (Berechnung: § 222 ZPO i.V.m. §§ 187, 188 Abs. 2 BGB).
Die Frist für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, das im schriftlichen Vorverfahren
erlassen worden ist, beginnt bei mehreren Beklagten erst mit der letzten der von Amts
wegen zu bewirkenden Zustellungen an die Parteien (BGH MDR 1995, 308).
Die Einspruchsschrift muss die in § 340 Abs. 2 ZPO genannten Angaben enthalten Zumindest muss die säumige Partei eindeutig zum Ausdruck bringen, dass und welches Versäumnisurteil sie nicht gegen sich gelten lassen will (BGH MDR 1995, 308 f.). Ein Schriftsatz, in dem sich ein Beklagter in Unkenntnis eines inzwischen gegen ihn ergangenen
Versäumnisurteils gegen die Klage verteidigt, erfüllt danach die Voraussetzungen des
§ 340 Abs. 2 ZPO nicht. Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass ein solcher Schriftsatz im Wege einer Umdeutung als Einspruch behandelt werden könne (OLG Braunschweig, FamRZ 1995, 237 f. m.w.N.; zu diesem Problemkreis auch Zugehör, NJW 1992,
2261 ff.).
§ 340 Abs. 3 ZPO enthält hingegen keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Der Verstoß dagegen (fehlende oder verspätete Einspruchsbegründung) führt nur zur denkbaren Verspätungspräklusion, § 296 ZPO.
Nach Eingang des Einspruchs stellt das Gericht die Einspruchsschrift der Gegenpartei zu,
§ 340 a ZPO. In diesem Zusammenhang prüft es von Amts wegen, ob der Einspruch zulässig ist, § 341 Abs. 1 ZPO. Etwaige Zulässigkeitsbedenken teilt es beiden Parteien mit.
Ein unzulässiger Einspruch wird verworfen, und zwar mit oder ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (sog. Verwerfungsurteil). Der Tenor lautet dann:
Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Hamburg vom
... wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Bei einer solchen Verwerfung des Einspruchs als unzulässig bleibt das Versäumnisurteil
selber bestehen. Da es bereits eine Kostenentscheidung enthält, ist mit der Einspruchsverwerfung nur noch über die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden, und zwar
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gemäß § 91 bzw. § 97 ZPO (str.). Ein großer Begründungsaufwand für das Urteil ist nicht
erforderlich. In den Tatbestand sind die den Zulässigkeitsmangel begründenden Tatsachen, z.B. bei nicht rechtzeitigem Einspruch der Zustellungszeitpunkt des genau zu bezeichnenden Versäumnisurteils und der Eingang des Einspruchs, aufzunehmen, während
die Entscheidungsgründe schlicht die Rechtsfolge wiedergeben, z.B. dass der Einspruch
als unzulässig zu verwerfen ist, weil er nach Ablauf der in § 339 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Zweiwochenfrist eingelegt worden ist.
Auch der zulässige Einspruch wird der Gegenpartei zugestellt. Ferner wird immer Termin
zur mündlichen Verhandlung anberaumt, § 341 a ZPO. Allerdings bedeutet dieses nicht,
dass der Termin zusammen mit der Zustellung anberaumt werden muss, sondern nur so
früh wie möglich (§ 272 Abs. 3 ZPO). Die Einspruchsbegründung und Erwiderung kann
zum Zwecke der Vorbereitung eines abschließenden Haupttermins also durchaus abgewartet werden.
Durch den zulässigen Einspruch bleibt das Versäumnisurteil bis zu seiner etwaigen Aufhebung durch ein Urteil gemäß § 343 Satz 2 ZPO unberührt und die Zwangsvollstreckung
ohne Sicherheitsleistung möglich. Auf Antrag kann jedoch die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nach §§ 707, 719 ZPO unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen
bis zur Entscheidung über den Einspruch eingestellt werden, und zwar grundsätzlich nur
gegen Sicherheitsleistung des Antragstellers.
Durch den Einspruch wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt
der Versäumnis befand, § 342 ZPO. Alle vor dem Versäumnisurteil gewonnenen Prozessergebnisse (Beweisergebnisse, Verzicht, Anerkenntnis, Geständnis) werden wieder erheblich. Wer sich zuvor rügelos eingelassen hatte, kann eine Zulässigkeitsrüge nicht mehr mit
Erfolg erheben.
Sind die Parteien sodann in der Einspruchsverhandlung vertreten, so ist wie bei einem
ersten Termin ohne Versäumnisurteil zu prüfen, ob die Klage zulässig und begründet ist
(nicht: ob der Einspruch begründet ist, vgl. § 342 ZPO). Maßgebend für die Zulässigkeit
und Begründetheit ist der Zeitpunkt der jetzigen abschließenden Entscheidung, § 343
ZPO.
Ergibt die Überprüfung eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten, dass die Klage unzulässig oder unbegründet ist, so wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage
abgewiesen, § 343 Satz 2 ZPO.
Bei der Kostenentscheidung ist § 344 ZPO zu beachten. Danach sind die durch die
Säumnis veranlassten Kosten grundsätzlich der säumigen Partei aufzuerlegen, obwohl sie
in der Hauptsache obsiegt. Es handelt sich um einen der seltenen Fälle einer gesetzlich
zulässigen Kostentrennung. Zusätzlich zu den üblichen Kosten ist durch den Antrag auf
Erlass eines Versäumnisurteils eine halbe Verhandlungsgebühr für den im ersten Termin
erschienen Anwalt nach Nr. 3105 RVG angefallen. Diese halbe Verhandlungsgebühr wird
nicht angerechnet, wenn im Einspruchstermin später streitig zur Hauptsache verhandelt
wird, muss also von der säumigen Partei grundsätzlich unabhängig vom Ausgang des
Rechtsstreits getragen werden.
Allerdings setzt eine Kostenentscheidung gemäß § 344 ZPO voraus, dass das Versäumnisurteil in gesetzlicher Weise ergangen war (s.o.), war z.B. die Säumnis des Beklagten im
Termin unverschuldet, dürfen ihm die Säumniskosten nicht gem. § 344 ZPO auferlegt
werden.
Die Kosten der Säumnis sind dem säumigen Beklagten grundsätzlich auch dann aufzuerlegen, wenn der Kläger die Klage nach ergangenem Versäumnisurteil zurückgenommen
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hat. Die Konkurrenz zu § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO hat der BGH (NJW 2004, 2309) in der Weise entschieden, dass § 344 ZPO vorgeht.
Über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus dem Urteil ist nach allgemeinen Grundsätzen zu
entscheiden, wobei gegebenenfalls zwei Regelungen (Vollstreckung gegen die unterliegende Partei und Vollstreckung gegen die säumige Partei) zu treffen sind.
Beispiel:
Der Kläger klagt 12.000,- ein. Im frühen ersten Termin am 05.01.2002 erscheint für den
Beklagten niemand. Es ergeht Versäumnisurteil gegen ihn. Sein Rechtsanwalt legt rechtzeitig Einspruch ein. Die Klage erweist sich als unbegründet.
Tenor:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Hamburg vom 05.01.2002 wird aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die Säumnis des
Beklagten im Termin vom 05.01.2002 veranlassten Kosten. Diese hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600,-abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 350,-- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
(gedankliche) Begründung:
Der Beklagte kann vollstrecken:
2,5 Anwaltsgebühren (Streitwert: 12.000 )
Auslagenpauschale
16 % Mehrwertsteuer
1.315,00
20,00
213,60
1.548,60 .
Der Kläger kann vollstrecken:
½ Anwaltsgebühr (Streitwert: 12.000 )
263,00
Auslagenpauschale
20,00
16 % Mehrwertsteuer
45,28
328,28 .
Erweist sich bei einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten die Klage als zulässig und
begründet, so wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten, § 343 Satz 1 ZPO. Wichtig: Es
darf nicht erneut verurteilt werden, weil sonst doppelte Vollstreckung möglich wäre; es existiert ja schon ein Vollstreckungstitel, nämlich das Versäumnisurteil. Auch die in dem
Versäumnisurteil enthaltende Kostenentscheidung bleibt bestehen. Nur über die weiteren
Kosten des Rechtsstreits ist gemäß § 91 ZPO zu entscheiden. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich nicht aus § 708 Ziff. 2 ZPO, weil nunmehr aufgrund
einer streitigen Verhandlung entschieden wird. Es ist vielmehr zu prüfen, ob aus dem Urteil nach allgemeinen Grundsätzen ohne (§§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO) oder mit Sicherheitsleistung (§ 709 ZPO) vorläufig vollstreckt werden darf.
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Dabei sind nach der jedenfalls in der Praxis ganz herrschenden Meinung die vor, durch
und nach Erlass des Versäumnisurteils entstandenen Kosten zusammenzurechnen. Man
muss also prüfen, ob das zu bestätigende Versäumnisurteil, wäre es als streitiges Urteil
ergangen, unter § 708 Nr. 11 (oder Nr. 4 – 10 ZPO) oder unter § 709 S. 1 ZPO fiele; § 709
S. 2 ZPO ergänzt nämlich S. 1 und setzt daher voraus, dass kein Fall des § 708 ZPO vorliegt. Liegt danach ein Fall der §§ 708 Ziff. 4 - 11, 711 ZPO vor, so gelten keine Besonderheiten.
In das Urteil muss der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit (wegen der weiteren Kosten) und die Abwendungsbefugnis aufgenommen werden. Fällt das Urteil unter
§ 709 ZPO, so muss es zunächst - wie auch sonst - heißen:
"Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von ... vorläufig vollstreckbar".
Anschließend ist gemäß § 709 Satz 2 ZPO auszusprechen, dass die Vollstreckung aus
dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden darf.
Im Beispielsfall würde der Tenor also lauten:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Hamburg vom 05.01.2002 wird aufrechterhalten.
Der Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 14.300,-- vorläufig vollstreckbar. Die
Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 05.01.2002 darf nur gegen Leistung dieser
Sicherheit fortgesetzt werden.
Begründung hierfür:
Der Kläger kann vollstrecken:
Hauptforderung
12.000,00
3 Gerichtsgebühren (Streitwert: 12.000 )
657,00
2,5 Anwaltsgebühren (Streitwert: 12.000 )
1.315,00
1/2 Anwaltsgebühr (Streitwert: 12.000 )
263,00
Auslagenpauschale
20,00
16 % Mehrwertsteuer
255,68
============================================================
14.510,68 .
Ist das Versäumnisurteil nur teilweise sachlich richtig, werden die beiden o.g. Tenorierungsmöglichkeiten kombiniert. Wenn im Beispielsfall die Klage etwa nur i.H.v. 10.000,begründet ist, lautet der Tenor:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Hamburg vom 05.01.2002 wird aufrechterhalten,
soweit der Beklagte zur Zahlung von 10.000,- verurteilt worden ist.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte vorab die durch seine Säumnis im Termin am 05.01.2002 veranlassten Kosten zu tragen.
Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/6 und der Beklagte 5/6.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung
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in Höhe von DM 12.500,-- . Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen
Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 300,-abwenden,
wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Begründung:
Der Kläger kann vollstrecken:
Hauptforderung:
5/6 der Gerichtskosten von 657,-
10.000,-(s.o.)
547,50
5/6 der Rechtsanwaltskosten:
2,5 Geb.
Ausl.pausch.
16% MWSt
= 1.548,60
1.315,-20,-213,60
1.290,50
die volle durch die Säumnis des Bekl. entstandene ½ Verhandlungsgebühr von 263,-305,08
=
16% MWSt i.H.v. 42,08
Insgesamt
+
12.143,08
Der Beklagte kann vollstrecken:
1/6 seiner Rechtsanwaltskosten von 1.548,60
=
258,10
===============================================================
Bei der Formulierung eines streitigen Urteils nach Einspruch gegen ein Versäumnisurteil
(hier: gegen den Beklagten) ist im Übrigen folgendes zu beachteten:
Im Tatbestand ist im Rahmen der Prozessgeschichte zu erwähnen, dass ein
Versäumnisurteil ergangen ist, und zwar vor dem Antrag des Klägers, der anderenfalls
nicht verständlich wäre, weil er – ebenso wie der Urteilstenor – auf Aufrechterhaltung des
Versäumnisurteils gerichtet sein muss. Darüber hinaus sind die für die Prüfung der
Zulässigkeit des Einspruchs erforderlichen Daten im Rahmen der Prozessgeschichte
mitzuteilen.
Beispiel:
„Mit Versäumnisurteil vom 20.04.2004 ist der Beklagte verurteilt worden, an den Kläger
3.000,- zu zahlen. Gegen dieses ihm am 10.05.2004 zugestellte Versäumnisurteil hat
der Beklagte mit Schriftsatz vom 17.05.2004, eingegangen bei Gericht am24.05.2004,
Einspruch eingelegt
Der Kläger beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20.04.2004 aufrechtzuerhalten.
Der Beklagte beantragt,
das VU aufzuheben und die Klage abzuweisen
In den Entscheidungsgründen ist sodann zunächst (in der Regel kurz!) auszuführen, dass
und warum der Einspruch zulässig ist. Anschließend ist zu begründen, dass und warum
die Klage unzulässig, unbegründet oder begründet ist.
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Beispiel:
„Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 20.04.2004 ist gem. § 338
ZPO statthaft. Er ist auch fristgerecht, nämlich innerhalb der ab Zustellung des
Versäumnisurteils laufenden Einspruchsfrist von zwei Wochen (§ 339 Abs. 1 ZPO),
eingelegt worden. Die Formerfordernisse des § 340 Abs. 1 und 2 ZPO sind ebenfalls
gewahrt.
Der Einspruch hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet.
Der KIäger hat Anspruch gegen den Beklagten aus. § 433 Abs. 1 BGB auf Zahlung von
EUR 3.000,00“
oder kürzer (und AG-praxisnäher):
„Der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch hat in der Sache keinen Erfolg. Die
zulässige Klage ist begründet.“.
Wenn der Einspruch bereits unzulässig ist, muss er gem. § 341 Abs. 1 ZPO verworfen
werden. Wird hingegen terminiert und ist der Einspruchsführer erneut säumig, § 345 ZPO,
liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils vor. Ist
hingegen nun die Partei säumig, die das 1. VU erwirkt hat, wird dieses aufgehoben und
neues 1. VU gegen die jetzt säumige Partei erlassen
Achtung:
§ 345 ZPO bestraft nur den unmittelbar hintereinander liegenden zweiten
Säumnisfall, ohne dass es zwischen beiden Säumnisfällen zur Verhandlung
über die Hauptsache gekommen ist.
Der Einspruchsführer muss also säumig sein gerade im Einspruchstermin (dem gem. §
341 a ZPO bestimmten Termin) oder, wenn es dort nicht zur Verhandlung über die
Hauptsache gekommen ist und sofort vertagt wurde, im Vertagungstermin. Wurde jedoch
im Einspruchstermin schon zur Hauptsache streitig verhandelt und dann Termin zur
Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt (z. B. Beweisaufnahme) und ist dort
der Beklagte erneut säumig, scheidet § 345 ZPO aus. Zulässig ist dann nur ein erneutes
technisch erstes VU gem. § 331 ZPO, das lediglich wegen § 343 ZPO das erste VU
aufrechterhält und über die weiteren Kosten des Rechtsstreits befindet
Tenor dann:
„Das Versäumnisurteil vom ... bleibt aufrechterhalten. Die weiteren Kosten des
Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.“
Umstritten ist, ob vor Erlass des 2. Versäumnisurteils zu prüfen ist, ob das 1. VU
gesetzmäßig ergangen ist, ob das 1. VU also verfahrensmäßig in Ordnung war, die
formellen Voraussetzungen für seinen Erlass gegeben waren (Säumnis, keine
Erlasshindernisse). Sehr umstritten ist auch, ob vor Erlass des 2. VU erneut die
Schlüssigkeit der Klage zu prüfen ist. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass aus
Gründen der materiellen Gerechtigkeit eine erneute Schlüssigkeitsprüfung stattzufinden
habe bzw. stattfinden dürfe, bevor ein 2. VU ergehe. Anderenfalls wäre das Gericht
nämlich gezwungen, einen Rechtsfehler bei Erlass des ersten Versäumnisurteils
sehenden Auges durch Erlass eines zweiten Versäumnisurteils festzuschreiben. Durch
den zulässigen Einspruch werde das Verfahren gem. § 342 ZPO in den Zustand
zurückversetzt, in dem es sich vor der ersten Säumnis befunden habe. Daher dürfe auch
die Schlüssigkeit erneut geprüft werden.
Nach a.A. darf eine erneute Schlüssigkeitsprüfung nicht mehr durchgeführt werden. § 345
ZPO, der als Folge der zweiten Säumnis die Verwerfung des Einspruchs vorschreibe,
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gehe dem § 342 ZPO vor. Dass bei direkter Anwendung des § 345 ZPO keine
Schlüssigkeitsprüfung mehr erforderlich sei, ergebe sich aus einem Umkehrschluss aus §
700 Abs. 6 S. 1 ZPO.
Mit einem zweiten Versäumnisurteil wird der Einspruch verworfen. Es ist als solches zu
überschreiben. Dem Einspruchsführer sind die weiteren Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, § 91 ZPO bzw. § 97 ZPO. Das Urteil ist nach § 708 Ziff. 2 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Tenor lautet:
Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Hamburg vom
... wird verworfen.
Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Besonderheit des zweiten Versäumnisurteils besteht darin, dass dagegen kein Einspruch statthaft ist, § 345 ZPO. Es besteht nur die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln (Devolutiveffekt). Berufung oder Revision nämlich können eingelegt werden, aber:
Die Rechtsmittel sind auf Überprüfung der Frage beschränkt, ob ein "Fall der Versäumung" vorgelegen hat, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO! Darin liegt eine ganz erhebliche Sanktion
gegen die mit der wiederholten Säumnis verbundene Prozessverschleppung.
Allerdings ist die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil auch dann zulässig, wenn
die Berufungssumme nicht erreicht ist, §§ 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Damit soll dem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden.
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Aufrechnung und Widerklage
Zu den Möglichkeiten des Beklagten, auf eine Klage zu reagieren, gehört auch die Geltendmachung von Gegenansprüchen. Dies kann auf zwei Wegen erfolgen, nämlich:
•
im Wege der Aufrechnung oder
•
durch Erhebung einer Widerklage.
Die Aufrechnung stellt ein bloßes Verteidigungsmittel dar. Materiell-rechtlich handelt es
sich um ein Erfüllungssurrogat. Wenn die Aufrechnung durchgreift, erlischt die Klagforderung. Die Klage ist dann als unbegründet abzuweisen.
Erfolgt die Verteidigung des Beklagten ausschließlich mit der Aufrechnung, so spricht man
von einer Primäraufrechnung. Stellt die Aufrechnung dagegen nur eines von mehreren
Verteidigungsmitteln des Beklagten dar, so handelt es sich in der Regel um eine Hilfsaufrechnung. Im Zweifel ist zu unterstellen, dass der Beklagte die zur Aufrechnung gestellte
Forderung nur dann opfern will, wenn seine übrigen Verteidigungsmittel keinen Erfolg haben. Die Aufrechnung wird somit nur hilfsweise, d.h. für den Fall eines Misserfolgs der übrigen Verteidigungsmittel, erklärt.
Die Widerklage ist eine besondere Form der Klage, welche von dem Beklagten eines bereits rechtshängigen Rechtsstreits gegen den dortigen Kläger erhoben wird. Die Klagerhebung kann innerhalb, aber auch außerhalb des anderen Rechtsstreits erfolgen. Im letztgenannten Fall wird die zunächst selbständige Klage durch Verbindung (§ 147 ZPO) mit einem bereits rechtshängigen Rechtsstreit zur Widerklage. In der Widerklage liegt ein eigenständiger (Gegen-) Angriff. Sie unterscheidet sich in ihren Rechtswirkungen nicht von
einer Klage. Wenn die Widerklage zulässig und begründet ist, erlangt der Beklagte einen
vollstreckbaren Titel gegen den Kläger.
Im Detail: Die Aufrechnung
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer wirksamen Aufrechnung sind in den §§
387 ff. BGB geregelt. Dazu gehören:
•
eine - formlose - Aufrechnungserklärung,
•
die dem anderen zugehen muss und
•
nicht unter einer Bedingung erklärt werden darf (§ 388 BGB).
•
eine Aufrechnungslage,
die gegeben ist, wenn der Hauptforderung eine gegenseitige, auf eine gleichartige, fällige
und voll wirksame Leistung gerichtete Aufrechnungsforderung gegenübersteht (§§ 387,
390 BGB).
•
das Fehlen von gesetzlichen (§§ 393, 394 BGB), vertraglich vereinbarten oder aus der
Natur des Schuldverhältnisses herzuleitenden Aufrechnungsverboten.
Die erfolgreiche Aufrechnung bewirkt materiell das Erlöschen von Klage- und Aufrechnungsforderung, und zwar rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die jeweiligen Ansprüche erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB). Wenn die Aufrechnung
im Prozess geltend gemacht wird, führt sie nach § 204 Abs. 1 Ziff. 5 BGB zur Hemmung
der Verjährung.
Es liegt auf der Hand, dass diese Wirkung nur für die Aufrechnung von Interesse ist, die
nicht durchgreift, weil etwa ein Aufrechnungsverbot besteht oder weil es sich um eine nur
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hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung handelt und die Bedingung nicht eintritt. Denn
anderenfalls erlischt die Aufrechnungsforderung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage, so dass sich die Frage der Verjährung ohnehin nicht mehr stellt.
Im Übrigen ist eine Aufrechnung auch mit einer verjährten Gegenforderung zulässig, soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage noch nicht verjährt war (§ 215 BGB)!
Die verjährungshemmende Wirkung ist also nur dann von Bedeutung, wenn die durch Aufrechnung nicht verbrauchte Gegenforderung später klageweise geltend gemacht werden
soll.
Zu beachten ist schließlich § 204 Abs. 2 BGB. Danach endet die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung, d.h. nach Ablauf von sechs
Monaten nach Abschluss des Rechtsstreites, in dem die Aufrechnung erklärt wurde, läuft
der Rest der Verjährungsfrist ab; innerhalb dieses Zeitraumes muss die Forderung mithin
gerichtlich geltend gemacht werden.
Die verteidigungsweise Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess stellt eine Prozesshandlung dar. Als solche kann sie nur im Rahmen einer rechtshängigen Klage bis
zum Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt werden. Voraussetzung für ihre Wirksamkeit in prozessualer Hinsicht ist, dass die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit) vorliegen. Fraglich ist, ob
der Beklagte mit einer Forderung aufrechnen darf, die bereits anderweitig rechtshängig ist:
Nach herrschender, insbesondere auch von der Rechtsprechung vertretener Ansicht führt
die Aufrechnung nicht dazu, dass die Aufrechnungsforderung auch rechtshängig wird.
Denn die Rechtshängigkeit wird gemäß § 261 Abs. 1 ZPO durch die Erhebung einer Klage
(und nicht durch die Geltendmachung eines Verteidigungsmittels) herbeigeführt. Der Beklagte darf also mit einer Forderung aufrechnen, die er bereits in einem anderen Rechtsstreit einklagt (BGHZ 57, 242 ff.; NJW 1999, 1179 f.) oder aufrechnungsweise geltend
macht (BGH NJW 1986, 2767). Er ist auch nicht gehindert, eine Forderung, mit der er aufgerechnet hat, hilfsweise (z.B. für den Fall, dass ein vertragliches Aufrechnungsverbot
durchgreift) zum Gegenstand einer Widerklage zu machen (BGH LM Nr. 5 zu § 33 ZPO).
Diese Ansicht kann allerdings zu einer Doppelarbeit der Gerichte und zu widersprüchlichen Entscheidungen führen. Wenn mit einer Forderung aufgerechnet wird, über die anderweitig ein Rechtsstreit schwebt, müssen theoretisch beide Gerichte beurteilen, ob die
betreffende Forderung besteht, wobei sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Dieses Dilemma lässt sich vermeiden, wenn eines der beiden Gerichte den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO aussetzt, bis das andere Gericht
rechtskräftig entschieden hat. Zu der Frage, welches Verfahren ausgesetzt werden sollte,
gibt es unterschiedliche Empfehlungen:
Einige halten es für vorzugswürdig, zunächst das Verfahren durchzuführen, in dem die
Forderung klageweise geltend gemacht wird (im o.g. Beispiel also das vor dem Landgericht Hamburg; so OLG Dresden, NJW 1994, 139; MüKo/Peters, ZPO, 1992, § 145 Rdn.
30; Lindacher, a.a.O.). Dagegen spricht, dass im Verfahren vor dem Klagegericht auch
geprüft werden müsste, ob die Forderung des A gegen B durch die im Prozess vor dem
Aufrechnungsgericht erklärte Aufrechnung erloschen ist.
Daher empfehlen andere, das Verfahren, in dem aufgerechnet wird, vorrangig durchzuführen (Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 145 Rdn. 18a; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21.
Aufl. 1994, § 145 Rdn. 43).
Aus dem Grundgedanken, wonach die Aufrechnung nicht zur Rechtshängigkeit führt, folgt
weiter, dass es nicht darauf ankommt, ob die Aufrechnungsforderung in die sachliche oder
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örtliche Zuständigkeit des Gerichts fällt, vor dem sich der Beklagte auf dieses
Verteidigungsmittel beruft. Auch der Zuständigkeitsstreitwert wird durch die Aufrechnung
nicht erhöht.
Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit zu unterscheiden ist die Frage, ob die Entscheidung
über die Aufrechnungsforderung in Rechtskraft erwächst. Grundsätzlich korrespondiert der
Umfang der Rechtskraft mit dem Umfang der Rechtshängigkeit. Von diesem Grundsatz
enthält § 322 Abs. 2 ZPO eine (allerdings auf den ersten Blick missverständliche) Ausnahme, die auch für die prozessualen Voraussetzungen der Aufrechnung von Bedeutung
ist und daher bereits an dieser Stelle angesprochen werden soll. Gemeint ist folgendes:
Beispiel:
(1)
Der Kläger begehrt Zahlung von
10.000,--.
Der Beklagte rechnet auf mit einer Gegenforderung von
5.000,--.
Das Gericht hält die Klagforderung für begründet und die Gegenforderung für
unbegründet. Es gibt deshalb der Klage vollen Umfangs statt.
Die Entscheidung, dass die Gegenforderung von
Rechtskraft.
(2)
Der Kläger begehrt Zahlung von
Gegenforderung von 15.000,--.
5.000,-- nicht besteht, erwächst in
10.000,--. Der Beklagte rechnet auf mit einer
Das Gericht hält die Klagforderung für begründet und die Gegenforderung für unbegründet. Es gibt deshalb der Klage vollen Umfangs statt.
Die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, erwächst in Höhe von
10.000,-- (d.h. bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht
5.000,-- darf der Beklagte dagegen noch
worden ist), in Rechtskraft. Die restlichen
einklagen, wenn er sich davon Erfolg verspricht. Die Rechtskraft eines Urteils im
Erstprozess, in dem mit einem Anspruch auf Schadensersatz erfolgreich aufgerechnet
worden ist, steht der Forderung weiteren Schadensersatzes in einem neuen Prozess
jedenfalls dann nicht entgegen, wenn weitergehende Ansprüche im Erstprozess
vorbehalten wurden (BGH NJW 1998, 995 m. Anm. von Karsten Schmidt in JuS 1998, 561
f.).
(3)
Der Kläger begehrt Zahlung von
Gegenforderung von 5.000,--.
10.000,--. Der Beklagte rechnet auf mit einer
Das Gericht hält die Klagforderung und die Gegenforderung für begründet. Es gibt
deshalb der Klage nur in Höhe von 5.000,-- statt.
Die Entscheidung, dass die Gegenforderung von
5.000,-- bestanden hat, erwächst
ebenfalls in Rechtskraft. Mit dem Wortlaut des § 322 Abs. ZPO lässt sich dies in Einklang
bringen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Gegenforderung auch nach dieser
Entscheidung des Gerichts nicht mehr besteht, weil sie durch Aufrechnung mit der
Klagforderung erloschen ist. Es muss also eine - positive oder negative - Entscheidung
über die Begründetheit der Gegenforderung ergehen. Dies ist nicht der Fall, wenn das
Gericht die Aufrechnung aus prozessualen Gründen (z.B. weil nicht hinreichend deutlich
geworden ist, mit welchen Forderungen eigentlich aufgerechnet werden soll, BGH NJW
1994, 1538) oder aus materiell-rechtlichen Gründen (z.B. weil ein Aufrechnungsverbot
besteht) nicht für zulässig hält oder wenn über eine Hilfsaufrechnung überhaupt nicht
entschieden wird, weil schon die primäre Verteidigung (z.B. mit einem
Verjährungseinwand) durchgreift. Dagegen ergeht eine Entscheidung über das Bestehen
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der Gegenforderung, wenn das Gericht der Ansicht ist, diese sei nicht hinreichend
substantiiert und der Klage deshalb stattgibt (BGH NJW 1994, 1538; NJW-RR 1991, 971)
oder wenn die Aufrechnung als verspätet zurückgewiesen wird (BGH NJW-RR 1991, 971).
Auf Seiten des Beklagten muss also genau darauf geachtet werden, dass alle in den Prozess eingeführten Gegenforderungen hinreichend konkret und rechtzeitig dargetan werden, um deren unnötigen Verlust zu vermeiden.
Wegen der Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO unterliegt der Aufrechnungseinwand
auch dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Beklagte
muss also eindeutig abgrenzen, mit welcher Forderung er aufrechnen will. Werden mehrere Forderungen zur Aufrechnung gestellt, die in ihrer Summe die Klagforderung übersteigen, so muss klar sein, in welcher Reihenfolge bzw. mit welchen Teilbeträgen die einzelnen Forderungen aufgerechnet werden sollen. Anderenfalls ist die Berufung auf die Aufrechnung unzulässig (BGH NJW 1994, 1538).
Wie bereits erläutert, führt die Aufrechnung im Prozess nicht zur Rechtshängigkeit, unter
den Voraussetzungen des § 322 Abs. 2 ZPO aber zur Rechtskraft einer Entscheidung über die Aufrechnungsforderung. Wie für jedes Verteidigungsmittel gelten für die Aufrechnung die Verspätungsvorschriften (§§ 296, 530 ff. ZPO). Wird die Aufrechnung erstmals in
der zweiten Instanz erklärt, so ist zudem § 533 ZPO (§ 530 Abs. 2 a.F.) zu beachten. Für
die Aufrechnung in zweiter Instanz bedeutet das, dass die Aufrechnung, abgesehen von
Zustimmung des Gegners bzw. Sachdienlichkeit, auf Tatsachen gestützt sein muss, die
gemäß § 529 ZPO in der zweiten Instanz überhaupt zu berücksichtigen sind.
Um eine Prozessverschleppung durch eine Aufrechnung zu verhindern, gibt es außerdem
die Möglichkeit eines Vorbehaltsurteils nach § 302 ZPO. Wenn die Aufrechnungsforderung nicht in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Klagforderung steht (Parallele zu §
273 BGB), so kann vorab über die Klagforderung entschieden werden, sofern diese im
Gegensatz zur Aufrechnungsforderung entscheidungsreif ist. Diese Vorgehensweise bietet
sich an, wenn über die Aufrechnungsforderung umfangreicher Beweis erhoben werden
müsste, während die Klagforderung ohne weiteres begründet erscheint.
Da das Vorbehaltsurteil wie jedes Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist, kann
dem Kläger auf diese Weise Liquidität verschafft werden, auf die er sonst u.U. länger als
wirtschaftlich tragbar warten müsste (vgl. allerdings das Haftungsrisiko gemäß § 302 Abs.
4 ZPO).
Der Tenor eines solchen Vorbehaltsurteils lautet:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
... zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
... vorläufig vollstreckbar
bzw. mit Neufassung des § 709 ZPO:
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Entscheidung über die Aufrechnung des Beklagten mit einer angeblichen Forderung in Höhe von ... aus ... bleibt vorbehalten.)
Als prozessuales Verteidigungsmittel greift die Aufrechnung nur durch, wenn sowohl die
materiell-rechtlichen (Aufrechnungserklärung, Aufrechnungslage, kein Aufrechnungsverbot) als auch die verfahrensrechtlichen (Prozesshandlungsvoraussetzungen, Bestimmt-
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heit, keine rechtswegfremde Forderung) Voraussetzungen hierfür vorliegen. In materiellrechtlicher Hinsicht tritt dann Erfüllung ein.
Fraglich ist, ob es zu einer materiell-rechtlichen Erfüllungswirkung auch dann kommt,
wenn bei einer in einem Prozess erklärten Aufrechnung zwar die materiell-rechtlichen,
nicht aber die verfahrensrechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Beispiel:
Der Beklagte hat schriftsätzlich mit einer Gegenforderung aufgerechnet. Im nächsten Verhandlungstermin ist er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten, so dass gegen ihn
ein Versäumnisurteil ergeht. In diesem Versäumnisurteil wird über seine Aufrechnung
nicht entschieden, weil es allein auf die Schlüssigkeit des Klägervorbringens ankommt,
§ 331 ZPO, und selbst die Aufrechnungserklärung des Beklagten nur durch eine Bezugnahme in der mündlichen Verhandlung zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
hätte werden können, § 137 Abs. 3 ZPO.
Im Verhandlungstermin vor dem Landgericht erklärt der Beklagte persönlich die Aufrechnung mit einer Gegenforderung. Sein Prozessbevollmächtigter macht sich diese Erklärung
nicht zu eigen. Als prozessuales Verteidigungsmittel ist die Aufrechnung unwirksam, weil
es an einer Prozesshandlungsvoraussetzung fehlt.
Hat der Beklagte in beiden Fällen dennoch seine Gegenforderung verloren, weil er in
materiell-rechtlicher Hinsicht wirksam aufgerechnet hat?
Diese Frage wird einhellig verneint und zwar aufgrund analoger Anwendung des § 139
BGB: Die Aufrechnung sei insgesamt unwirksam, d.h. sowohl in prozessualer wie in materiell-rechtlicher Hinsicht, so dass der Mangel der Prozesshandlung auch das materielle
Rechtsgeschäft erfasse.
Aus ähnlichem Gedanken heraus hat der BGH kürzlich die lange umstrittene Frage entschieden, ob Erledigung des Rechtsstreits bei Aufrechnung durch den Beklagten mit
einer bereits zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit fälligen Forderung erklärt wird. Materiell
rechtlich wäre der Anspruch des Klägers nach erklärter Aufrechnung aufgrund der Wirkung des § 389 BGB von Beginn an unbegründet gewesen, so dass sich der Rechtsstreit
nicht erledigt hätte und der Kläger im Ergebnis auf den Kosten des Rechtsstreits sitzen
bliebe. Nach der Entscheidung des BGH (NJW 2003, 3134) aber, tritt Erledigung in dieser
Konstellation erst ab Vorliegen der materiellrechtlichen und der prozessualen Voraussetzungen der Aufrechnung, konkret also ab Aufrechnungserklärung ein.
Die Darstellung der Aufrechnung im Urteil
Da die Aufrechnung ein bloßes Verteidigungsmittel und kein selbständiger Angriff des Beklagten ist, hat sie auf die Parteirollen keinen Einfluss. Im Rubrum hat die Aufrechnung
daher nichts zu suchen. Entsprechendes gilt für den Tenor (Ausnahme: Vorbehaltsurteil).
Auch im Tatbestand darf der Umstand, dass eine Aufrechnung erklärt ist, nicht nach Art
eines Antrages dargestellt werden. Die Aufrechnungserklärung ist vielmehr als eine unstreitige Tatsache bzw. - falls sie nur in dem betreffenden Rechtsstreit abgegeben worden
ist – als ein Bestandteil der Prozessgeschichte auszuführen.
Hingegen wird das Vorbringen zur Begründung der Aufrechnungsforderung häufig streitig
sein. Dann bietet es sich an, den Umstand, dass die Aufrechnung erklärt worden ist, nicht
isoliert im unstreitigen Sachverhalt stehen zu lassen, sondern als eine Art Einleitung des
betreffenden streitigen Beklagtenvorbringens zu verwenden, indem man etwa schreibt:
„Unstreitig hat der Beklagte die Aufrechnung mit einer angeblichen Restwerklohnforderung aus dem Auftrag vom ... erklärt. Dazu behauptet er, ...“
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Immer an das Ende des Beklagtenvorbringens gehört die Hilfsaufrechnung, weil das Gericht darüber erst entscheiden darf, wenn das übrige Verteidigungsvorbringen nicht durchgreift. Dies gilt auch dann, wenn die hierzu vorgebrachten Tatsachen unstreitig sind, was
allerdings zum Ausdruck gebracht werden muss.
Werden zur Begründung der Hilfsaufrechnung streitige Behauptungen aufgestellt, die vom
Kläger qualifiziert (also mit einer inhaltlich abweichenden Sachdarstellung) bestritten werden, so ist ausnahmsweise eine Replik geboten.
Nicht immer stellt der Beklagte (in der Praxis) ausdrücklich klar, ob er eine Primär- oder
eine Hilfsaufrechnung erklären will. Dann muss das Gericht sein Vorbringen anhand der
eingangs genannten Entscheidungskriterien (einziges Verteidigungsmittel? dann notwendig Primäraufrechnung; sonst im Zweifel Hilfsaufrechnung) auslegen. (Nur) wenn diese
Auslegung zu einem ganz eindeutigen Ergebnis führt, darf sie ausnahmsweise schon bei
der Formulierung des Tatbestandes berücksichtigt werden, ohne dass darauf in den Entscheidungsgründen eingegangen werden müsste.
Im Rahmen der Entscheidungsgründe sind dann häufig Ausführungen zur Klagforderung
und zur Aufrechnung erforderlich. Wenn der Klage stattgegeben wird, versteht sich dies
von selbst, denn sowohl die Begründetheit der Klagforderung als auch die Erfolglosigkeit
der Aufrechnung gehören zu den die Entscheidung tragenden Gesichtspunkten. Aber
auch im Fall einer Klagabweisung darf nicht argumentiert werden, dass offen bleiben könne, ob die Klagforderung entstanden sei, weil sie jedenfalls durch Aufrechnung wieder erloschen sei, denn sonst bliebe der Umfang der Rechtskraft unklar (s.o.). Es ist hier also
ausnahmsweise zulässig, unter Verwendung des sonst in einem Urteil unangebrachten
"Zwar-aber-Stils" etwa wie folgt zu formulieren:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klagforderung ist zwar entstanden (I),
sie ist jedoch durch die vom Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung gemäß § 389
BGB erloschen (II).
I. Dem Kläger stand ursprünglich eine Forderung in Höhe von ... gemäß § ... zu.
Denn ... Die hiergegen in erster Linie geltend gemachten Einwände des Beklagten
greifen nicht durch ...
II. Die somit entstandene Forderung ist gemäß § 389 BGB infolge der vom Beklagten erklärten Hilfsaufrechnung erloschen. Denn ...
Auch darf nicht dahingestellt bleiben, ob eine Aufrechnung unzulässig ist oder mangels
Gegenforderung nicht durchgreift. Anderenfalls nämlich wäre unklar, inwiefern die Gegenforderung noch Gegenstand einer gesonderten Klage sein dürfte.
Wenn die Aufrechnung als unzulässig angesehen wird, ist es im Übrigen überflüssig, zusätzlich noch zur Begründetheit der Gegenforderung Stellung zu nehmen. Solche zusätzlichen Ausführungen sind ohnehin als nicht vorhanden zu behandeln (BGH NJW 1984,
128).
Gebührenstreitwert und Kosten der Primär- und Hilfsaufrechnung
Eine Primäraufrechnung hat keinen Einfluss auf den Gebührenstreitwert. Dieser ergibt sich
aus dem Wert der Klagforderung. Dagegen kann die Hilfsaufrechnung für den Gebührenstreitwert bedeutsam sein. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 GKG nämlich erhöht sich der
Streitwert um den Wert einer hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung, soweit sie bestritten ist und eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
Was das bedeutet, soll anhand der folgenden Beispiele erörtert werden:
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Klagforderung:
10.000,00
Streitige Gegenforderung:
15.000,00
Variante a:
Die Klage wird abgewiesen, weil die Klagforderung zwar entstanden, aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist.
Gebührenstreitwert
Klagforderung:
10.000,00
rechtskräftige Entscheidung über Gegenforderung:
10.000,00
Gebührenstreitwert:
20.000,00
Variante b:
Der Klage wird nur in Höhe von 5.000,00
stattgegeben, weil die Klagforderung zwar
entstanden, in Höhe von 5.000,00 aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist.
Im Übrigen wird die Gegenforderung nicht für gerechtfertigt gehalten.
Gebührenstreitwert:
wie oben.
___________________________________________________________________
Variante c:
Die Klage wird abgewiesen, weil die Klagforderung nur in Höhe von 5.000,00
den, insofern aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist.
entstan-
Gebührenstreitwert:
Klagforderung:
rechtskräftige Entscheidung über Gegenforderung:
Gebührenstreitwert:
10.000,00
5.000,00
15.000,00 .
Die Hilfsaufrechnung mit einer Gegenforderung kann also maximal eine Verdoppelung des
(Klage-) Streitwerts zur Folge haben.
Wird allerdings über mehrere hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderungen mit
Rechtskraftwirkung entschieden, so vervielfältigt sich der Gebührenstreitwert entsprechend der Anzahl der Gegenforderungen, jeweils begrenzt durch die Höhe der Klagforderung. Dies kann zu einem hohen Streitwert und damit zu hohen Kosten führen, was bei der
Geltendmachung dieses Verteidigungsmittels bedacht werden sollte.
Bei der Kostenentscheidung ergeben sich in folgenden Konstellationen keine Probleme:
-
Die Klage wird abgewiesen, weil die Klageforderung nicht entstanden ist; eine Entscheidung über die Hilfsaufrechnung ergeht nicht.
In diesem Fall trägt der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits, weil er in vollem Umfang unterlegen ist.
-
Der Klage wird stattgegeben, weil die Klagforderung entstanden ist und die Hilfsaufrechnung nicht durchgreift.
In diesem Fall trägt der Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die gesamten Kosten des
Rechtsstreits, weil er sowohl im Hinblick auf die Klagforderung als auch im Hinblick auf die
Aufrechnungsforderung in vollem Umfang unterlegen ist.
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Eine Quotelung der Kosten muss dagegen stattfinden, wenn die Klage abgewiesen wird,
weil die Klageforderung zwar entstanden, aber durch die Hilfsaufrechnung wieder untergegangen ist. In diesem Fall unterliegen nämlich sowohl der Kläger (soweit seine Klagforderung abgewiesen wird) als auch der Beklagte (soweit er mit seiner Hauptverteidigung
nicht durchdringt und seine Gegenforderung opfern muss). Die richtige Kostenquote gewinnt man hier, wenn man die Verlustquoten der Parteien hinsichtlich der Klageforderung
und der Gegenforderung getrennt errechnet und diese Beträge ins Verhältnis zu dem Gebührenstreitwert setzt.
Beispiel:
Klagforderung:
10.000,00
Streitige Gegenforderung:
15.000,00
Variante a:
Die Klage wird abgewiesen, weil die Klagforderung zwar entstanden, aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist.
Gebührenstreitwert: 20.000,00
Es unterliegen
Kläger mit
Beklagter mit
von der Klagforderung
--------------------
10.000,00
von der Gegenforderung
10.0000,00
-------------------
insgesamt
10.0000,00
10.0000,00
Kläger und Beklagter tragen je ½ der Kosten
Variante b:
Der Klage wird nur in Höhe von 5.000,00 stattgegeben, weil die Klagforderung zwar in
Höhe von 10.000,00 entstanden, in Höhe von 5.000,00 aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist. Im Übrigen wird die Gegenforderung nicht für gerechtfertigt gehalten.
Gebührenstreitwert: 20.000,00
Es unterliegen
Kläger mit
Beklagter mit
von der Klagforderung
--------------------
10.000,00
von der Gegenforderung
5.000,00
5.000,00
Insgesamt
5.000,00
15.0000,00
Der Kläger trägt
5.000,00
20.000,00
Der Beklagte trägt 15.000,00
20.000,00
= 1 der Kosten.
4
= 3 der Kosten.
4
Variante c:
Die Klage wird abgewiesen, weil die Klagforderung nur in Höhe von 5.000,00
den, insofern aber durch die Hilfsaufrechnung untergegangen ist.
Gebührenstreitwert: 15.000,00
Es unterliegen
Kläger mit
Beklagter mit
entstan-
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von der Klagforderung
5.000,00
5.000,00
von der Gegenforderung
5.000,00
-----------------
insgesamt
10.000,00
5.0000,00
Der Kläger trägt
10.000,00
15.000,00
Der Beklagte trägt
5.000,00
15.000,00
= 2 der Kosten.
3
= 1 der Kosten.
3
Im Detail: Die Widerklage
Ebenso wie für die wirksame Aufrechnung wird für die erfolgreiche Widerklage eine fällige
Forderung des Beklagten gegen den Kläger benötigt. Anders als bei der Aufrechnung
kann es sich aber auch um eine nicht gleichartige Forderung handeln. Außerdem steht
das Vorliegen von Aufrechnungsverboten der Erhebung einer Widerklage nicht entgegen.
Die erfolgreiche Widerklage hat auf den Erfolg der Klage keinen Einfluss. Es findet somit
anders als bei der Aufrechnung keine Saldierung von Klage- und Widerklageforderung
statt. Vielmehr führt die erfolgreiche Widerklage - ebenso wie die erfolgreiche Klage - zu
einem selbständig vollstreckbaren Titel. Der mit der Widerklage geltend gemachte (Gegen-) Anspruch wird rechtshängig. Es tritt also - im Ergebnis wie bei der Aufrechnung eine Hemmung der Verjährung ein, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ein.
Die Zulässigkeit der Widerklage ist grundsätzlich an die für jede Klage geltenden Voraussetzungen geknüpft. Im Ergebnis ebenso wie bei der im Prozess erklärten Aufrechnung müssen also in der Person des Widerklägers die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit) vorliegen. Der mit
der Widerklage geltend gemachte Anspruch darf nicht bereits anderweitig rechtshängig
sein. Dies wäre auch der Fall, wenn er mit dem Klaganspruch identisch, also insbesondere
nur auf eine Verneinung des Klaganspruchs gerichtet wäre (BAG NZA 1990, 987 f.). Eine
teilweise Identität der Streitgegenstände schadet hingegen nicht. Für die Zulässigkeit der
Widerklage reicht also aus, dass sie zumindest zum Teil über die Klage hinausgeht, z.B.:
Der Kläger beantragt die Feststellung, dass er Eigentümer einer Sache sei. Der
Beklagte beantragt widerklagend die Feststellung, dass das Eigentum an der Sache ihm zustehe.
Auch hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit gilt für die Widerklage zunächst nichts anderes als für die Klage. Wenn sie vor dem Landgericht erhoben werden soll, muss also
(abgesehen von dem Sonderfall des Amtshaftungsanspruchs) ein Streitwert von 5.000,00
überschritten sein. Es genügt nicht, wenn die Streitwerte von Klage und Widerklage zusammengerechnet diese Grenze übersteigen. Denn die Regelung des § 45 Abs. 1 GKG,
welcher eine solche Addition u.U. vorschreibt, gilt nur für den Gebühren-, nicht aber für
den Zuständigkeitsstreitwert, wie sich aus § 5 Halbsatz 2 ZPO ergibt. Betragen etwa die
Streitwerte von Klagforderung und Widerklageforderung jeweils 4.000,00 , so ist das
Amtsgericht zur Entscheidung berufen.
Besonderheiten bestehen, wenn nur für die Klagforderung, nicht aber für die Widerklageforderung die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gegeben ist. Wird in diesem Fall
die Widerklage dennoch vor dem Amtsgericht erhoben, so ist gemäß § 506 ZPO der gesamte Rechtsstreit (also auch die an sich in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts
fallende Klage) auf entsprechenden Antrag einer Partei an das Landgericht zu verweisen.
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Für den umgekehrten Fall (die Klage ist ihrem Streitwert entsprechend vor dem Landgericht anhängig; dort wird eine Widerklage erhoben, die ihrem Streitwert nach vor das
Amtsgericht gehört) fehlt eine gesetzliche Regelung. Fast allgemein anerkannt aber ist
dann, dass das Landgericht in einem solchen Fall auch über die Widerklage entscheiden
dürfe (so etwa Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 33 Rdn. 12; Mayer, JuS 1991, 678 f.; Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 6. Aufl. 1999, Rdn. 502). Argument: § 513
Abs. 2 ZPO bestimmt in entsprechender Weise, dass die Berufung nicht auf die fehlende
sachliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts gestützt werden kann. Ein weiteres
Argument liefert ein Umkehrschluss aus § 506 ZPO, der ja bei der Zuständigkeit des Landund Amtsgerichts von einer Gesamtzuständigkeit des Landgerichts ausgeht.
Für den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch muss ferner derselbe Rechtsweg eröffnet sein wie für den Klaganspruch. So darf etwa vor einem ordentlichen Gericht
keine Widerklage mit einer Forderung erhoben werden, die vor das Arbeitsgericht oder
das Verwaltungsgericht gehört, selbst wenn ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Klagforderung besteht. Schließlich muss ein Rechtsschutzbedürfnis für
die Widerklage gegeben sein.
Neben den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen jeder Klage gibt es einige besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, welche nur bei der Widerklage zu prüfen sind: Eine
Widerklage kann nur erhoben werden, wenn und solange die Klage rechtshängig ist. Der
früheste Zeitpunkt für die Erhebung einer Widerklage ist also die Zustellung der Klagschrift; der späteste Zeitpunkt liegt vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung (BGH
NJW-RR 1992, 1085). Letzteres ergibt sich insbesondere aus § 297 ZPO, wonach Sachanträge in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen, um Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein zu können. Entfällt nach Erhebung der Widerklage die
Rechtshängigkeit der Klage (z.B. durch Klagrücknahme, Erledigung, rechtskräftige Entscheidung), so berührt dies die Zulässigkeit der Widerklage aber nicht mehr.
Die zentrale gesetzliche Regelung betrifft auf den ersten Blick die örtliche Zuständigkeit.
Nach § 33 ZPO kann bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erhoben werden, wenn
der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln im Zusammenhang steht und für die Widerklage keine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. Dabei handelt es
sich um eine Privilegierung des Beklagten. Wenn es die Sondervorschrift des § 33 ZPO
nicht gäbe, müsste er den Kläger nämlich an dessen allgemeinen Gerichtsstand in Anspruch nehmen, was bei Ortsverschiedenheit für den Beklagten unbequemer wäre. Rühmen sich zwei Parteien gegenseitiger Ansprüche, kann es sich daher lohnen, darauf zu
warten, dass die andere Seite zunächst Klage erhebt, um die Gegenansprüche beim Gericht des eigenen Wohnsitzes im Wege der Widerklage geltend machen zu können
(Schneider, Prozesstaktischer Einsatz der Widerklage, MDR 1998, 21, 22). Die durch § 33
ZPO bewirkte Privilegierung ist zweckmäßig, weil hierdurch häufig erst eine prozessökonomische gemeinsame Verhandlung und Entscheidung von Klage und Widerklage ermöglicht wird. Es gilt dann der Satz: "Wo der Kläger sein Recht sucht, dort muss er auch Recht
nehmen".
Ob ein Zusammenhang i.S.d. § 33 ZPO besteht, ist unter Heranziehung der zu § 273 BGB
entwickelten Grundsätze zu beantworten. Die mit der Klage bzw. einem Verteidigungsmittel und der Widerklage verfolgten Ansprüche müssen also aus demselben rechtlichen
Verhältnis entstammen. Dieser Begriff ist im weitesten Sinne zu verstehen. Es ist ausreichend, aber nicht erforderlich, dass die beiderseitigen Ansprüche im selben Vertrag oder
Schuldverhältnis ihre Grundlage haben (rechtlicher Zusammenhang i.e.S.). Es genügt bereits, wenn ihnen ein innerlich zusammenhängendes einheitliches Lebensverhältnis
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zugrunde liegt (tatsächlicher Zusammenhang).
Die Streitfrage, ob die Bedeutung des § 33 ZPO auf die örtliche Zuständigkeit beschränkt
ist (so etwa Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 33 Rdn. 1 m.w.N.) oder ob es sich um eine stets
zu prüfende besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Widerklage (die sog. Konnexität)
handelt (so BGH NJW 1975, 1228), ist nur selten entscheidungserheblich. Sind die Voraussetzungen des § 33 ZPO erfüllt, so spielt dessen rechtliche Einordnung keine Rolle.
Die Widerklage ist - vorbehaltlich des Vorliegens der sonstigen Sachurteilsvoraussetzungen - jedenfalls zulässig. Ist ein Zusammenhang nicht gegeben, können sich die Parteien
dennoch vor dem an sich unzuständigen Gericht einlassen (§ 39 ZPO) bzw. die mangelnde Statthaftigkeit der Widerklage nicht rügen (§ 295 ZPO). In diesem Fall braucht die Frage der Konnexität nicht angesprochen zu werden. Liegt eine Rüge vor und ergibt sich die
örtliche Zuständigkeit auch nicht aus den für jede Klage geltenden Vorschriften, so ist die
Widerklage - mit welcher Begründung auch immer - unzulässig.
Es bleibt damit nur eine einzige, eher selten auftretende Konstellation, bei der der genannte Meinungsstreit ausdiskutiert werden muss:
Der Kläger wohnt in Hamburg. Er verklagt den in Bremen wohnenden Beklagten vor
dem dortigen Amtsgericht auf Zahlung eines Kaufpreises. Der Beklagte erhebt Widerklage auf Schadensersatz mit der Behauptung, der Kläger habe ihm anlässlich
eines Besuchs in Bremen absichtlich Kaffee über den Anzug geschüttet. Der Kläger
rügt Unzulässigkeit der Widerklage.
Nach der Literaturmeinung ist die Widerklage hier zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des
Amtsgerichts Bremen für die Schadensersatzforderung ergibt sich zwar nicht aus § 33
ZPO, weil ein Zusammenhang mit der vom Kläger geltend gemachten Kaufpreisforderung
nicht ersichtlich ist. In Bremen besteht aber ein Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
(§ 32 ZPO). Die Bedeutung des § 33 ZPO ist hier auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit
beschränkt.
Nach der Rechtsprechung ist die Widerklage im Beispielsfall dagegen nicht statthaft, weil
die Voraussetzungen des § 33 ZPO nicht vorliegen. Zwar ist die örtliche Zuständigkeit
gem. § 32 ZPO gegeben, aber nicht die besondere Voraussetzung der Konnexität. Die
Widerklage müsste daher von der Klage abgetrennt und gesondert verhandelt werden.
Die Prozessart der Klage muss schließlich noch eine Widerklage zulassen. Dies ist in einigen besonderen Verfahrensarten kraft Gesetzes (z.B. Urkundenprozess, § 595 Abs. 1
ZPO) bzw. aus der Natur der Sache heraus (z.B. Eilverfahren, selbständiges Beweisverfahren) nicht der Fall.
Für die Erhebung der Widerklage gelten im Vergleich zur Klage einige Vereinfachungen:
Insbesondere kann die Widerklage nicht nur durch Zustellung eines den Erfordernissen
des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechenden Schriftsatzes, sondern auch mündlich in der
Verhandlung über die Klage erhoben werden (§ 297 ZPO). Eine Vorausleistung der Gerichtsgebühren wie bei der Klage ist bei der Widerklage nicht erforderlich (§ 12 Abs. 2 Ziffer 1 GKG).
Anders als die Aufrechnung führt die Widerklage zur Rechtshängigkeit des geltend gemachten Anspruchs. Ähnlich wie die Aufrechnung hilfsweise unter der Bedingung erklärt
werden kann, dass andere Verteidigungsmittel keinen Erfolg haben, kann die Erhebung
der Widerklage unter einer - innerprozessualen - Bedingung erfolgen. So kann zum Beispiel mit einer Gegenforderung primär die Aufrechnung erklärt und für den Fall, dass die
Aufrechnung an einem Aufrechnungsverbot scheitert, Widerklage erhoben werden (BGH
LM Nr. 5 zu § 33 ZPO).
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Sinnvoll kann es auch sein, eine Hilfsaufrechnung mit einer Hilfswiderklage zu verbinden
(primär Verteidigung mit anderen Verteidigungsmitteln; hilfsweise Aufrechnung und für den
Fall, dass bereits die primären Verteidigungsmittel durchgreifen, Widerklage mit der zur
Aufrechnung gestellten Forderung). Auf diese Weise erreicht der Beklagte, dass über seine Gegenforderung unter allen Umständen entschieden wird.
Übersteigt die Gegenforderung die Klagforderung, so kann schließlich eine Kombination
von Hilfsaufrechnung, unbedingter Widerklage und Eventualwiderklage in Betracht kommen.
All diese Möglichkeiten haben ihren Grund in Kostenvorteilen gegenüber der Alternative
nach dem Rechtsstreit erneut nun selbst Klage zu erheben.
Soweit über die mit der Widerklage verfolgte Forderung entschieden wird, erwächst die
Entscheidung in Rechtskraft.
Ein u.U. wesentlicher Vorteil der Widerklage gegenüber der Aufrechnung besteht (wie
schon angesprochen) darin, dass die Aufrechnung als Verteidigungsmittel i.S.d. § 296
ZPO verspätet sein kann, während die Widerklage ein eigenständiger Angriff (und nicht
nur ein Angriffsmittel wie eine Behauptung oder ein Beweisantritt) ist, so dass die Erhebung einer Widerklage nicht als verspätet zurückgewiesen werden kann. Damit diese Unterscheidung nicht bedeutungslos wird, dürfen auch die zur Begründung der Widerklage
vorgebrachten Angriffsmittel nicht gemäß § 296 ZPO zurückgewiesen werden. Einer drohenden Präklusion wegen Verspätung kann man also nicht nur durch die bekannte "Flucht
in die Säumnis", sondern auch durch eine "Flucht in die Widerklage" entgehen. Grundsätzlich kann über die Widerklageforderung durch Teilurteil entschieden werden, wenn nur
diese schon zur Entscheidung reif ist. Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall für die
Klagforderung (zu den Voraussetzungen: OLG Stuttgart, NJW-RR 1999, 141 ff.). Allerdings darf auf jenem Wege nicht der Grundsatz unterlaufen werden, dass die Widerklage
und die zu ihrer Begründung aufgestellten Behauptungen nicht gemäß § 296 ZPO präkludiert werden dürfen. Wenn dieselben Behauptungen wegen des erforderlichen Sachzusammenhangs von Klage und Widerklage auch für die Klagforderung von Bedeutung sind,
darf die Klage nicht unter Berufung auf eine Verspätung durch Teilurteil abgewiesen werden (BGH NJW 1981, 1217).
Die Darstellung der Widerklage im Urteil
Im Rubrum des Urteils sind alle Parteirollen (Kläger und Widerbeklagter bzw. Beklagter
und Widerkläger) aufzuführen. Anschließend werden die Parteien nur noch mit ihrer ersten
Parteirolle (Kläger und Beklagter) bezeichnet!
Weiter ist zu berücksichtigen, dass mit der Widerklage (anders als mit der Aufrechnung)
selbständige Anträge gestellt werden, über die im Rahmen des Tenors gesondert zu entscheiden ist und die im Tatbestand nach den Anträgen zur Klage referiert werden müssen,
z.B.:
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
seit Klagzustellung zu zahlen.
10.000,-- nebst 4 % Zinsen
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend beantragt der Beklagte,
die Klägerin zu verurteilen, die Behauptung zu unterlassen, er sei nicht in der
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Lage, einen Zivilprozess sachgerecht zu führen.
Die Klägerin beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Im Übrigen hängt die Darstellung des Tatbestands davon ab, ob Klage und Widerklage auf
einem einheitlichen Vorgang (dann: zusammenhängende Darstellung der unstreitigen Tatsachen) oder auf verschiedenen Sachverhalten (dann in der Regel getrennte Darstellung
der unstreitigen Tatsachen) beruhen. Bei (in der Klausur regelmäßig gegebenen) übersichtlichen Sachverhalten kann die Darstellung wie gelernt erfolgen, also auch der streitige
Vortrag, der die Widerklage betrifft im Rahmen des jeweils streitigen Vorbringens dargestellt werden. Betrifft der Sachverhalt der Widerklage hingegen einen vollständig anderen
Komplex, bietet sich an, das unstreitige und streitige Vorbringen der Parteien nach dem
unstreitigen und streitigen Vorbringen zur Klage gesondert auszuführen. (Verschiedene
Schemata finden sich etwa bei Anders/Gehle, a.a.O., Rdn. 510).
Für den Aufbau der Entscheidungsgründe gilt, dass immer sowohl zur Klage als auch zur
Widerklage Ausführungen geboten sind, weil über beide entschieden wird. Zwingende
Vorgaben für die Prüfungsreihenfolge gibt es dabei nicht. Normalerweise aber wird man
mit der Begründung der Entscheidung über die Klage beginnen. Erfordert aber die Widerklage die umfassenderen Ausführungen zu den auch für die Entscheidung über die Klage
maßgeblichen Fragen, so kann es sich anbieten, dieses Schema auf den Kopf zu stellen
und mit der Widerklage zu beginnen. Es gilt auch hier das Prinzip: Möglichst Wiederholungen vermeiden, Bezugnahmen soweit möglich einbauen.
Gebührenstreitwert und Kosten
Der Gebührenstreitwert von Klage und Widerklage, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, ergibt sich aus § 45 Abs. 1 GKG. Soweit beide Klagen denselben Streitgegenstand betreffen, sind die Gebühren nach dem einfachen Wert dieses Gegenstands
zu berechnen. Anderenfalls sind die Gegenstände zusammenzuzählen. Wegen der Degression der Gebührentabellen treten in jedem Fall Kostenvorteile gegenüber einer isolierten Geltendmachung von Klage- und Widerklageforderung ein.
Wenn Klage und Widerklage denselben Streitgegenstand betreffen, handelt es sich streng
genommen um eine wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige Widerklage. Der
einfache Streitwert nach § 45 Abs. 1 GKG gilt aber nicht nur für diesen Fall, sondern auch
dann, wenn die Zuerkennung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs notwendig
die Aberkennung des mit der Widerklage geltend gemachten Anspruchs zur Folge hat.
Verschiedene Streitgegenstände sind gegeben, wenn die wechselseitigen Klagebegehren
möglicherweise beide Erfolg haben können. U.U. können die Gegenstände von Klage und
Widerklage auch nur teilweise identisch sein, z.B.:
Der Kläger klagt auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 2.500,00 . Der Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung, dass der Kaufvertrag nichtig sei. Er behauptet, der Kläger habe geäußert, bei Wirksamkeit des Kaufvertrages stünden ihm
(einschließlich seiner Kaufpreisforderung) Ansprüche in Höhe von insgesamt
4.000,00 zu.
Zu dem Streitwert der Widerklage (4.000,00 ) darf der Streitwert der Klage
(2.500,00 ) nicht hinzugezählt werden, weil es sich (in Höhe von 2.500,00 ) um
einen Teil desselben Streitgegenstands handelt. Der Streitwert von Klage und Widerklage beträgt also 4.000,00 .
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Die Entscheidung über die Kosten eines Rechtsstreits mit Klage und Widerklage muss
einheitlich erfolgen. Es ist also nicht zulässig zu tenorieren, das der Kläger die Kosten der
Klage und der Beklagte die Kosten der Widerklage zu tragen habe.
Keine Schwierigkeiten ergeben sich, wenn eine Partei sowohl hinsichtlich der Klage als
auch hinsichtlich der Widerklage voll obsiegt. Die Kosten sind dann der Gegenseite aufzuerlegen.
Nicht ganz so einfach ist die Kostenentscheidung, wenn Klage und/oder Widerklage nur
teilweise Erfolg haben, so dass eine Kostenquote gebildet werden muss.
Findet - wie in der Mehrzahl der Fälle - gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG eine Addition der
Streitwerte statt, so ermittelt man die Unterliegensanteile für Klage und Widerklage getrennt und setzt die Gesamtbeträge ins Verhältnis zum Gesamtstreitwert.
Sonderproblem: Drittwiderklage
Grundsätzlich muss die Widerklage zwischen den bisherigen Parteien der Klage erhoben
werden. Inwiefern im Wege einer Widerklage dritte, bisher nicht am Rechtsstreit beteiligte
Personen einbezogen werden dürfen, ist streitig (Überblick bei Uhlmannsiek, MDR 1996,
114 ff.). Nach der Rechtsprechung geht es nicht an, dass ein Dritter allein Widerklage erhebt oder allein im Wege der Widerklage verklagt wird. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Widerklage eine Privilegierung nur im Verhältnis zwischen den bereits
am Verfahren beteiligten Parteien darstelle und die Zulassung einer solchen Drittwiderklage das Verfahren nicht ökonomischer gestalten, sondern im Gegenteil unnötig verkomplizieren würde. Zweifelhaft ist auch die Zulässigkeit einer durch einen Dritten und den Beklagten erhobenen Widerklage (dafür OLG Schleswig, MDR 1992, 406; gegen eine Erhebung der Widerklage durch einen Dritten generell BGH MDR 1992, 600). Dagegen soll die
Erhebung einer Widerklage gegen den Kläger und einen Dritten als Streitgenossen in Betracht kommen.
Soweit es die Einbeziehung des Dritten angeht, handele es sich um einen Parteibeitritt,
der wie eine Klagänderung gemäß § 263 ZPO behandelt wird. Zusätzlich zu den übrigen
Voraussetzungen der Widerklage ist also nach der Rechtsprechung zu prüfen, ob der Dritte der Widerklage zustimmt oder ob seine Einbeziehung sachdienlich ist. Letzteres ist anzunehmen, wenn der sachliche Streitstoff im Rahmen des anhängigen Prozesses ausgeräumt werden, namentlich das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden
kann. Hinzutreten muss, dass der widerbeklagte Kläger und der neue Widerbeklagte
Streitgenossen nach §§ 59, 60 ZPO sind (BGH NJW 1991, 2838; 1975, 1228, 1229; OLG
Düsseldorf, MDR 1990, 728).
Allerdings gilt die Regelung des § 33 ZPO über den Gerichtsstand der Widerklage nicht für
eine am Rechtsstreit bislang nicht beteiligte Person (BGH NJW 1993, 2120). Vielmehr
greift in einem solchen Fall der § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ein, welcher eine Gerichtsstandsbestimmung durch das übergeordnete Gericht vorsieht (BGH NJW 1991, 2838; OLG
Karlsruhe, JurBüro 1998, 311 f.).
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Streitgenossenschaft
Sind an einem Rechtsstreit mehrere Kläger und/oder mehrere Beklagte beteiligt, so spricht
man von Streitgenossenschaft oder von subjektiver Klagenhäufung. Über die Streitgenossenschaft finden sich in der ZPO nur vereinzelte Regelungen, nämlich in:
•
§§ 59 ff. ZPO
(Zulässigkeit und Wirkungen)
•
§ 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO
(örtliche Zuständigkeit bei Streitgenossen)
•
§ 100 ZPO
(Kosten)
•
§ 449 ZPO
(Parteivernehmung).
Abgesehen von solchen vereinzelten Sonderregelungen läuft ein Rechtsstreit mit Beteiligung mehrerer Kläger und/oder Beklagter aber nicht anders ab als ein Rechtsstreit mit
Beteiligung nur eines Klägers und Beklagten. Wenn das Recht der Streitgenossenschaft
dennoch mitunter kompliziert erscheint, dann vor allem deshalb, weil ein Teil der materiellen Rechtsverhältnisse, um deren prozessuale Umsetzung es geht - wie z.B. das Gesellschaftsrecht - zu den dogmatisch besonders umstrittenen gehört. Die Feinsinnigkeit der
materiellrechtlichen Dogmatikdiskussion setzt sich dann im Verfahrensrecht fort.
Allerdings sind die meisten der in der Literatur erarbeiteten begrifflichen Differenzierungen
(z.B. aktive/passive Streitgenossenschaft; anfängliche/nachträgliche Streitgenossenschaft)
nur von systematischem Interesse. Praktisch wichtig ist lediglich die Unterscheidung zwischen einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft, die nachfolgend beschrieben werden soll.
Die einfache Streitgenossenschaft ist die bloß organisatorische Verbindung mehrerer
Prozessrechtsverhältnisse (d.h. der Klagen eines Klägers gegen mehrere Beklagte, mehrerer Kläger gegen einen Beklagten oder mehrerer Kläger gegen mehrere Beklagte) zu
einem einheitlichen Verfahren zwecks gemeinsamer Verhandlung, gegebenenfalls gemeinsamer Beweisaufnahme und gemeinsamer - nicht notwendig einheitlicher - Entscheidung.
Die Verbindung der verschiedenen Verfahren geschieht aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Leitgedanke ist das Prinzip der Verfahrensökonomie. Es soll nicht mehrfach geschehen, was auch einfach geschehen kann. Die Verbindung der mehreren Prozessrechtsverhältnisse kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung jederzeit erfolgen (§ 147
ZPO) und jederzeit wieder aufgehoben werden (§ 145 ZPO).
Das Gesetz unterscheidet drei Fallgruppen, in denen eine Verbindung mehrerer Prozessrechtsverhältnisse (zumindest) zweckmäßig erscheint, nämlich wenn
•
mehrere Personen hinsichtlich des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen (§
59 Alt. 1 ZPO),
•
aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grunde berechtigt oder verpflichtet sind
(§ 59 Alt. 2 ZPO) oder
•
wenn gleichartige und auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des
Rechtsstreits bilden (§ 60 ZPO).
Die genannten Voraussetzungen sind weit auszulegen und im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit immer dann zu bejahen, wenn keine Unübersichtlichkeit oder Verwirrung der
Prozessführung droht. Eine genaue Zuordnung zu einer der im Gesetz genannten Fall-
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gruppen ist unnötig. Beispiele einer einfachen Streitgenossenschaft sind:
•
die Klage des bei einem Verkehrsunfall Verletzten gegen Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des schädigenden Fahrzeugs (BGHZ 63, 51 ff.; weitere Nachweise
bei Liebscher, NZV 1994, 215 f.);
•
die Klage mehrerer geschädigter Kapitalanleger gegen einen Anlagebetrüger (vgl.
Wunderlich, DB 1993, 2269 ff.);
•
die Unterhaltsklage gegen mehrere, nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach
ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haftende (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) Unterhaltsschuldner (BayObLG MDR 1999, 807 f.);
•
die Klage von Mutter und Kind gegen den Klinikträger und sämtliche behandelnden
Ärzte wegen einer fehlerhaften Geburtsleitung.
Eine notwendige Streitgenossenschaft liegt hingegen vor, wenn die Sachentscheidung
für und/oder gegen mehrere Parteien aus Rechtsgründen (nicht allein: aus Gründen der
Logik oder der Zweckmäßigkeit) zwingend einheitlich erfolgen muss.
Aus dem materiellen Recht kann sich ergeben, dass ein Anspruch wirksam nur von mehreren Personen oder gegen mehrere Personen gemeinschaftlich ausgeübt werden kann.
Kommt es zum Rechtsstreit, so müssen alle diese Personen beteiligt sein. Durch das materielle Recht vorgeschrieben sind also eine gemeinschaftliche Prozessführung und eine
einheitliche Sachentscheidung. Man spricht dann von einer aus materiell-rechtlichen
Gründen notwendigen Streitgenossenschaft (BGHZ 30, 195, 196 ff.).Wann eine solche
Konstellation vorliegt, ist in vielen Fällen streitig. Die nachfolgende Darstellung orientiert
sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach ist eine Streitgenossenschaft aus
materiell-rechtlichen Gründen notwendig:
auf der Klägerseite
•
wenn Mitberechtigte - insbesondere Gesamthänder - klagen, z.B. Mitglieder eines nicht
rechtsfähigen Vereins (§ 54 BGB), in Gütergemeinschaft lebende Ehegatten bei Gesamtverwaltung (§ 1450 Abs. 1 BGB);
•
es sei denn, das Gesetz lässt ausdrücklich Einzelklagen der Mitberechtigten (Antrag
muss dann aber lauten: Leistung an alle!) zu, z.B. bei Miteigentümern (§ 1011 BGB),
Miterben (§ 2039 BGB), Mitgläubigern einer unteilbaren Leistung i.S.d. § 432 BGB;
•
oder die Rechtsprechung akzeptiert eine Einzelklage ausnahmsweise, z.B. bei der actio pro socio (ein Gesellschafter macht einen Sozialanspruch der Gesellschaft, z.B. auf
Leistung des vereinbarten Beitrags, gegen einen anderen Gesellschafter geltend);
auf der Beklagtenseite
•
wenn Mitverpflichtete in Anspruch genommen werden, die nur gemeinsam leisten können, z.B. die auf eine unteilbare Leistung - etwa Auflassung und Eintragungsbewilligung bezüglich eines Grundstücks - verklagten Miteigentümer bzw. Miterben;
•
nicht aber Gesamtschuldner, die auch allein erfüllen können, § 422 Abs. 1 BGB;
auf der Kläger- oder Beklagtenseite
•
bei personengesellschaftlichen Gestaltungsklagen, z.B. Auflösung einer Gesellschaft,
§ 133 HGB; Ausschluss eines Mitgesellschafters, § 140 HGB; Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis, §§ 117, 127 HGB.
Nach früher h. M., die insbesondere von der Rechtsprechung vertreten wurde, mussten
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Forderungen und Verbindlichkeiten, die zum Gesellschaftsvermögen einer BGBGesellschaft gehörten, durch bzw. gegen die Gesellschafter eingeklagt werden. Zwischen
den Gesellschaftern wurde eine notwendige Streitgenossenschaft angenommen. Hiervon
hat sich der zuständige Senat des BGH in einem als Sensation aufgefassten Grundsatzurteil vom 29. Januar 2001 (ZIP 2001, 330 ff.) abgekehrt. In der Entscheidung ging es darum, dass eine bauwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft (ARGE) in der Rechtsform einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Wechsel akzeptiert hatte, aus dem sie in Anspruch
genommen wurde. Der BGH hat ausgeführt, dass die ARGE wechselfähig sei. Der BGH
hat dort folgendes entschieden:
•
Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch
Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.
Dieser Ansatz entspricht der neueren BGH-Rechtsprechung, wonach die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts als Gesamthandsgemeinschaft ihrer Gesellschafter im Rechtsverkehr
grundsätzlich, das heißt, soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen, jede
Rechtsposition einnehmen kann. Anerkannt ist damit eine Dreiteilung zwischen natürlichen
Personen, juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften, wie sie bereits in § 14 Abs. 1 BGB und in § 11 InsO (Insolvenzfähigkeit der BGB-Gesellschaft!) ihren
gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Der BGH sieht in seiner Lösung ein praktikables
und weitgehend widerspruchsfreies Modell für die vom Gesetz (§§ 718 – 720 BGB) gewollte rechtliche Absonderung des Gesellschaftsvermögens vom Privatvermögen der Gesellschafter. Die Vorzüge der nach außen bestehenden Rechtssubjektivität der Gesellschaft bürgerlichen Rechts besteht insbesondere darin, dass ein Wechsel im Mitgliederbestand keinen Einfluss auf den Fortbestand der mit der Gesellschaft bestehenden
Rechtsverhältnisse hat und identitätswahrende Umwandlungen von Gesellschaften bürgerlichen Rechts in andere Rechtsformen und aus anderen Rechtsformen besser zu erklären sind (z.B.: Umwandlung einer BGB-Gesellschaft zur OHG allein dadurch, dass das
Unternehmen einen Umfang annimmt, welcher einen in kaufmännischer Hinsicht eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert).
•
Soweit die BGB-Gesellschaft rechtsfähig ist, ist sie zugleich im Zivilprozess aktiv und
passiv parteifähig (Konsequenz aus § 50 Abs. 1 ZPO).
Praktischen Schwierigkeiten, welche sich bei der bislang üblichen Konstruktion einer Klage durch oder gegen die BGB-Gesellschafter in notwendiger Streitgenossenschaft ergaben, fallen damit weg. Insbesondere decken sich jetzt Prozessführungsbefugnis und gesetzliche Vertretungsbefugnis. Wenn die BGB-Gesellschaft selbst, vertreten durch ihren
geschäftsführenden Gesellschafter, klagt bzw. verklagt wird, sind von vornherein nur die
Prozesshandlungen wirksam, welche in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vertretungsregeln erfolgen.
Dagegen gab es bei der notwendigen Streitgenossenschaft keine Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Vornahme von Prozesshandlungen. Vielmehr konnte jeder Streitgenosse, auch wenn es sich um einen nicht vertretungsbefugten Gesellschafter einer BGBGesellschaft handelte, unabhängig von den anderen Prozesshandlungen mit Wirkung für
sein Prozessrechtsverhältnis vornehmen.
Auch ist es nicht mehr nötig, die Namen und Anschriften aller (gegebenenfalls wechselnden) Gesellschafter in das Rubrum aufzunehmen. Vielmehr genügt – soweit vorhanden –
die Bezeichnung, unter der die BGB-Gesellschaft im Rechtsverkehr auftritt.
In der Regelung des § 736 ZPO, wonach zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen einer BGB-Gesellschaft ein gegen alle Gesellschafter ergangenes Urteil erfor-
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derlich ist, wird kein Hindernis für die Anerkennung einer Parteifähigkeit der BGBGesellschaft mehr gesehen. Dem BGH zufolge verlangt die Vorschrift weder vom Wortlaut
noch vom Zweck her ein Urteil gegen jeden einzelnen Gesellschafter. Ein gegen die Gesamtheit der gesamthänderisch gebundenen Gesellschafter als Partei ergangenes Urteil
soll ein Urteil gegen alle Gesellschafter i.S.d. § 736 ZPO sein.
•
Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts persönlich haftet, entspricht das Verhältnis zwischen der Verbindlichkeit der
Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen bei der OHG (Akzessorietät).
Der BGH empfiehlt, im Falle eines Passivprozesses neben der BGB-Gesellschaft als solcher immer auch die Gesellschafter persönlich zu verklagen (wie bei der OHG). Denn:
Falls sich herausstellt, dass es sich nicht um eine parteifähige Außengesellschaft handelt,
kann immer noch die Klage gegen die Gesellschafter persönlich erfolgreich sein.
Die höchstrichterliche Anerkennung der Parteifähigkeit der GbR führt zu keiner Änderung
der bisherigen Rechtslage, soweit es um Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern über
die Auslegung des Gesellschaftsvertrages, über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen oder über das Bestehen von Mitgliedschaftsrechten geht. Sie bleiben Sache der
Gesellschafter, während die Gesellschaft selbst nur Objekt des Rechtsstreits ist (Ulmer,
a.a.O., 592 m. w. N.).
Um eine notwendige Streitgenossenschaft handelt es sich auch, wenn Einzelklagen der
bzw. gegen die Streitgenossen zwar zulässig wären, im Falle einer gemeinsamen Klage
aber aus prozessualen Gründen zwingend eine einheitliche Entscheidung zu erfolgen
hat. Die Rechtsprechung fasst hierunter ausschließlich Fälle, in denen das Gesetz eine
Rechtskrafterstreckung vorschreibt. Wegen des verfahrensrechtlichen Anknüpfungspunkts
für die Einheitlichkeit der Sachentscheidung spricht man hier von einer notwendigen
Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen (BGHZ 30, 195, 198 ff.). Beispiel:
Gemäß § 327 Abs. 1 ZPO wirkt ein Urteil, das zwischen einem Testamentsvollstrecker
und einem Dritten über ein der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegendes
Recht ergeht, für und gegen den Erben. Der Dritte kann also zunächst allein den Testamentsvollstrecker verklagen. Nachdem er ein obsiegendes Urteil erstritten hat, kann er
sich unter den Voraussetzungen des § 728 ZPO eine Vollstreckungsklausel gegen den
Erben erteilen lassen. Anderenfalls kann er den Erben gerichtlich in Anspruch nehmen
und sich auf die Rechtskrafterstreckung gemäß § 327 Abs. 1 ZPO berufen. Der Prozess
gegen den Erben ist dann genauso zu entscheiden wie der Prozess gegen den Testamentsvollstrecker.
Der Dritte kann aber auch Testamentsvollstrecker und Erben gemeinsam in Anspruch
nehmen. Dann liegt eine aus prozessualen Gründen notwendige Streitgenossenschaft vor.
Die Entscheidung im Verhältnis zu Testamentsvollstrecker und Erben kann nur einheitlich
erfolgen.
Die Rechtskrafterstreckung bei einem Nacheinander von Prozessen führt also zur
prozessual notwendigen Streitgenossenschaft bei einem Miteinander der Prozesse.
Andere Fälle der Rechtskrafterstreckung sind:
-
§ 640 h ZPO (mehrere an einem Kindschaftsverhältnis Beteiligte bei einer Statusklage im Kindschaftsprozess)
-
§ 856 Abs. 4 ZPO (mehrere Pfändungsgläubiger bei Klage gegen Drittschuldner auf
Hinterlegung)
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-
§§ 146, 147 KO (mehrere bestreitende Gläubiger bei Klage auf Feststellung einer
Forderung zur Konkurstabelle) bzw. §§ 179, 180 und 183 InsO
-
§§ 1495, 1496 BGB (mehrere an einer fortgesetzten Gütergemeinschaft beteiligte
Abkömmlinge bei Klage auf Aufhebung der Gütergemeinschaft)
-
§§ 2342, 2344 BGB (mehrere gemäß § 2341 BGB Anfechtungsberechtigte bei Klage auf Erbunwürdigkeitserklärung eines Erben)
-
§§ 246, 248 Abs. 1 AktG (jeder Aktionär, jedes Vorstandsmitglied und jedes Aufsichtsratsmitglied bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss)
-
§ 75 GmbHG (jeder Gesellschafter oder Geschäftsführer bei Klage auf Erklärung
der Gesellschaft für nichtig).
Keine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen wird im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen angenommen, obwohl der BGH (NJW 1970, 279) entschieden hat, dass es auch hier eine "Rechtskrafterstreckung" gibt, indem sich der Bürge
gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Gläubiger gegenüber darauf berufen kann, dass die
Forderung gegen den Hauptschuldner rechtskräftig abgewiesen worden ist (BGH NJW
1969, 1480).
In manchen Anleitungsbüchern (z.B. Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 5. Aufl.
2001, § 16 Rdn. 39 ff.) kann man lesen, dass bei der Bearbeitung eines Falles mit Beteiligung mehrerer Kläger bzw. Beklagter zu prüfen sei, ob es sich um eine zulässige subjektive Klagehäufung handele. Diese Empfehlung ist zumindest missverständlich. Denn es
bedarf keines gesonderten Prüfungspunkts "Zulässigkeit der Streitgenossenschaft", der in
jedem Fall mit Beteiligung mehrerer Parteien vorab anzusprechen wäre. Die vielfach sogenannten "Zulässigkeitsvoraussetzungen" der Streitgenossenschaft sind nämlich keine
Sachurteilsvoraussetzungen. Selbst wenn sie nicht vorliegen sollten, wäre die Klage nicht
automatisch als unzulässig abzuweisen. Vielmehr müssten die verschiedenen Prozessrechtsverhältnisse dann (auch ohne Antrag der Parteien) gemäß § 145 ZPO getrennt, gesondert verhandelt und entschieden werden. Wenn der Rechtsstreit bereits umfassend
entscheidungsreif ist (wie es bei einer Examensklausur meist der Fall sein wird) macht es
allerdings keinen Sinn mehr, über eine solche Abtrennung nachzudenken. Vielmehr ist
dann eine Endentscheidung zu entwerfen!
Die Frage, ob eine Streitgenossenschaft zulässig ist und ob es sich gegebenenfalls um
eine einfache oder eine notwendige Streitgenossenschaft handelt, kann allerdings von
Bedeutung für das Vorliegen einzelner Sachurteilsvoraussetzungen, im Rahmen der materiellen Begründetheitsprüfung und hinsichtlich der Wirksamkeit bestimmter Verfahrenshandlungen sein. Nur dann und nur dort ist auf die eingangs erörterten Abgrenzungen einzugehen.
Erforderliche Prüfung im Urteil bei Streitgenossenschaft
Gedanklich ist das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen bezüglich jedes Streitgenossen gesondert zu prüfen. Die Anforderungen an die Zulässigkeit einer Klage sind dieselben wie bei einem Rechtsstreit mit Beteiligung nur eines Klägers und/oder Beklagten.
Ebenso wie dort sind Ausführungen zur Zulässigkeit lediglich dann geboten, wenn die Parteien darüber streiten oder wenn sich ernsthafte, insbesondere durchgreifende Bedenken
ergeben.
Der Grundsatz, dass die Zulässigkeit der Klage für jedes Prozessrechtsverhältnis
gesondert zu prüfen ist, gilt an sich auch für die örtliche Zuständigkeit. Da hierfür im
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allgemeinen der Wohn- bzw. Geschäftssitz des Beklagten maßgeblich ist (§§ 12 ff. ZPO)
können sich Probleme ergeben, wenn mehrere Beklagte in Anspruch genommen werden
sollen, die nicht am selben Ort wohnen oder ihren Geschäftssitz haben und wenn auch ein
gemeinsamer besonderer Gerichtsstand (z.B. Gerichtsstand der Erbschaft, §§ 27 f. ZPO,
vgl. hierzu BayObLG FamRZ 1999, 1175 f.; Gerichtsstand des Erfüllungsorts, § 29 ZPO;
Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, § 32 ZPO) nicht besteht. Sind sich alle Parteien
einig, so können diese Probleme durch die Vereinbarung eines einheitlichen
Gerichtsstands (§ 38 ZPO) oder durch eine rügelose Verhandlung vor einem an sich völlig
oder teilweise unzuständigen Gericht (§ 39 ZPO) gelöst werden. Mitunter kommt eine
solche Einigung aber nicht zustande, weil jeder Beklagter aus Prinzip oder aus
Bequemlichkeit darauf beharrt, vor seinem Gerichtsstand in Anspruch genommen zu
werden. Um auch für solche Fälle die verfahrensökonomischen Vorteile einer einfachen
Streitgenossenschaft zu erhalten und eine Rechtsverfolgung gegen notwendige
Streitgenossen zu ermöglichen, gibt es die Regelung des § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO. Danach
wird das zuständige Gericht auf Antrag einer Partei durch das im Rechtszuge zunächst
höhere Gericht bestimmt, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren
allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand
verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand nicht
begründet ist.
Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache
befasste Gericht gehört, § 36 Ziff. 2 ZPO. Ist noch kein Gericht mit der Sache befasst,
sondern eine Klage erst beabsichtigt, so soll dem Antragsteller ein Wahlrecht zukommen.
Ein Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO kann aber auch noch nach Rechtshängigkeit
und Rüge der Zuständigkeit durch den Beklagten gestellt werden. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, ob die Streitgenossenschaft zulässig ist. Die Bestimmung des
zuständigen Gerichts erfolgt gegebenenfalls nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.
Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit hat der BGH entschieden, dass eine
Zuständigkeitsbestimmung bei zulässiger Streitgenossenschaft in analoger Anwendung
des § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO erfolgen kann, falls für die zu verklagenden Streitgenossen
verschiedene sachliche Zuständigkeiten begründet sind und eine gemeinsame Klage
zweckmäßig erscheint (BGH NJW 1984, 1624 ff.). Zwar kann hierdurch eine Partei
gezwungen werden, einen Rechtsstreit im Anwaltsprozess zu führen, obwohl für sie
eigentlich die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts vorgesehen ist. Auch bei der vom
Gesetz vorgesehenen Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit schließt aber die Tatsache
der Entstehung von Mehrkosten die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO nicht aus.
Den Interessen der betroffenen Partei wird - bei der Bestimmung der örtlichen wie der
sachlichen Zuständigkeit - dadurch genügt, dass im Rahmen der Prüfung eines Antrags
nach § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO auch dem Kostengesichtspunkt angemessen Rechnung zu
tragen ist.
Dasselbe gilt übrigens auch für den Fall, dass für die zu verklagenden Streitgenossen eine
unterschiedliche funktionelle Zuständigkeit (allgemeine Zivilkammer/Kammer für
Handelssachen) begründet ist (OLG Frankfurt, NJW 1992, 2900), nicht aber - wegen der
erheblich abweichenden Verfahrensgestaltungen - für die Eröffnung verschiedener
Rechtswege (BGH NJW 1994, 2032).
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Wenn sich nach gesonderter Prüfung die Klage eines einzelnen Streitgenossen - aus welchen Gründen auch immer - als unzulässig erweist, so kommt es auf die Unterscheidung
zwischen einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft an.
Bei der einfachen Streitgenossenschaft wird dann die Klage nur hinsichtlich des von Zulässigkeitsbedenken betroffenen Streitgenossen abgewiesen. Diese Entscheidung berührt
die übrigen Streitgenossen nicht, denn die einfachen Streitgenossen sind im Prozess zwar
faktisch verbunden, rechtlich aber unabhängig. Wenn die Klage hinsichtlich der übrigen
Streitgenossen noch nicht entscheidungsreif ist, so ergeht das Prozessurteil als Teilurteil
vorab. Anderenfalls ist über den gesamten Rechtsstreit durch Urteil zu entscheiden, welches zum Teil auf der Unzulässigkeit der Klage, zum Teil auf materiell-rechtlichen Erwägungen beruht.
Dasselbe gilt bei der aus prozessualen Gründen notwendigen Streitgenossenschaft. Hier
bleiben die restlichen Klagen auch nach Wegfall der unzulässigen Klage statthaft, da von
Anfang an auch Einzelklagen hätten erhoben werden können. Dem steht die Notwendigkeit einer einheitlichen Sachentscheidung nicht entgegen, da das Prozessurteil kein Sachurteil darstellt. Bei der aus materiellrechtlichen Gründen notwendigen Streitgenossenschaft kommt in einem solchen Fall eine nur teilweise Klagabweisung als unzulässig definitionsgemäß nicht in Betracht. Vielmehr ist die Klage auch hinsichtlich der übrigen Streitgenossen abzuweisen.
Fraglich ist nur, ob es sich dabei um ein Prozessurteil oder um ein Sachurteil handelt.
Nach der Rechtsprechung fehlt es in einem solchen Fall stets an der Prozessführungsbefugnis, also an der Zulässigkeit der Klage, gleichgültig ob die notwendigen Streitgenossen
auf der Aktivseite (vgl. etwa OLG Celle NJW-RR 1994, 854; OLG Rostock, NJW-RR 1995,
381) oder auf der Passivseite stehen (vgl. etwa BGHZ 36, 187 ff.). Ebenso ist zu entscheiden, wenn bei einer aus materiellrechtlichen Gründen notwendigen Streitgenossenschaft
von vornherein nicht alle Streitgenossen klagen bzw. verklagt werden. Die von der Rechtsprechung vertretene Lösung (Erlass eines Prozessurteils) hat den Vorteil, dass eine erneute Klage unter Einbeziehung aller notwendigen Streitgenossen nicht ausgeschlossen
ist. Streitlustige notwendige Streitgenossen auf der Aktivseite haben also weiterhin die
Möglichkeit, den oder die übrigen Streitgenossen (notfalls gerichtlich) zum Mitmachen zu
bewegen; notwendige Streitgenossen auf der Passivseite können erneut und nunmehr
sämtlich verklagt werden.
Begründetheit der Klage bei Streitgenossenschaft
Entsprechend dem maßgeblichen Differenzierungskriterium zwischen der notwendigen
und der einfachen Streitgenossenschaft kommt bei ersterer nur eine einheitliche Entscheidung in der Sache in Betracht. Naturgemäß darf daher im Verhältnis zu den notwendigen
Streitgenossen auch nur eine einheitliche Beantwortung von Rechtsfragen bzw. eine einheitliche Beweiswürdigung erfolgen. Entsprechendes gilt bei der einfachen Streitgenossenschaft, wenn über die verbundenen Prozessrechtsverhältnisse gemeinsam entschieden wird. Zwar sind hier theoretisch unterschiedliche Ergebnisse nicht ausgeschlossen,
das Gericht kann jedoch logischerweise nicht gleichzeitig mehrere unterschiedliche Überzeugungen von derselben Rechts- oder Beweisfrage haben.
Grundsätzlich kann jeder Streitgenosse allein wirksam alle Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, also Behauptungen aufstellen, Behauptungen des Gegners bestreiten oder
Beweise antreten. Dies gilt sowohl hinsichtlich der einfachen als auch hinsichtlich der notwendigen Streitgenossenschaft. Das Vorbringen des einen Streitgenossen wird nicht kraft
Prozessrechts dem anderen Streitgenossen zugerechnet. Dies folgt aus der in § 61 ZPO
enthaltenen Regelung, wonach die Handlungen des einen Streitgenossen im Zweifel dem
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anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen. Tatsächlich ist ein abweichender
Tatsachenvortrag bei Streitgenossen auf der Aktivseite allerdings eher selten, weil sich die
Kläger i.d.R. miteinander verabredet haben und häufig von nur einem Prozessbevollmächtigten vertreten werden, der dann einer einheitlichen Argumentationslinie folgt.
Dagegen ist es bei einer Mehrheit von Streitgenossen auf der Passivseite keineswegs sicher, dass sie sich übereinstimmend verhalten. Im Haftpflichtprozess ist die Haftpflichtversicherung aufgrund der Versicherungsbedingungen allerdings berechtigt, einem Anwalt
ihrer Wahl nicht nur im eigenen, sondern auch im Namen und in Vollmacht des Versicherungsnehmers Prozessvollmacht zu erteilen, um auf diese Weise eine übereinstimmende
Verteidigung zu gewährleisten.
In beiden Fällen gilt ferner die tatsächliche Vermutung, dass sich der eine Streitgenosse
die Angriffs- und Verteidigungsmittel des anderen Streitgenossen zu eigen machen will,
wenn sie auch ihn angehen und er keine abweichenden Erklärungen abgibt. Im (gegebenenfalls gemäß § 139 ZPO aufzuklärenden) Zweifel ist daher von einem einheitlichen Vorbringen der Streitgenossen auszugehen. Im übrigen können materiell-rechtliche Gründe
dazu führen, dass sich das Vorbringen des einen Streitgenossen auch auf die anderen
Prozessrechtsverhältnisse auswirkt. Dies ist bei der notwendigen Streitgenossenschaft per
definitionem der Fall, weil die Sachentscheidung hier nur einheitlich ergehen darf. Bei der
einfachen Streitgenossenschaft sind unterschiedliche Prozessergebnisse zwar nicht ausgeschlossen. Auch hier kann jedoch das Angriffs- und Verteidigungsvorbringen des einen
Streitgenossen materiell-rechtliche Konsequenzen für die Begründetheit der Klage in Bezug auf den anderen Streitgenossen haben wie z.B. bei der Klage gegen Gesamtschuldner, weil hier die Leistung des einen Streitgenossen auch die anderen Streitgenossen befreit (§ 422 Abs. 1 BGB).
Besonderheiten gelten für das gerichtliche Geständnis (§ 288 ZPO). Weil ein Geständnis die Gefahr abweichender Sachentscheidungen begründet, ist es bei der notwendigen
Streitgenossenschaft nur wirksam, wenn es von allen Streitgenossen abgegeben wird. Ein
unwirksames, weil nicht von allen notwendigen Streitgenossen abgegebenes Geständnis
kann nur als einfaches Indiz bei der richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigt werden.
Bei der einfachen Streitgenossenschaft kann dagegen ein einzelner Streitgenosse wirksam gestehen mit der Folge, dass nur über die entscheidungserheblichen Behauptungen
des anderen Streitgenossen noch Beweis zu erheben ist. Bei der Würdigung dieses Beweisergebnisses darf ebenfalls berücksichtigt werden, dass der andere Streitgenosse die
betreffende Tatsache zugestanden hat. Dennoch besteht bei einer solchen Konstellation
die Gefahr abweichender Ergebnisse. Beispiel:
Gesteht der Darlehensnehmer die Darlehensgewährung förmlich zu (§ 288 ZPO), während
der als Streitgenosse ebenfalls in Anspruch genommene Bürge sie bestreitet, so steht
diese Tatsache im ersten Prozessrechtsverhältnis für die Beteiligten fest, während im
zweiten Prozessrechtsverhältnis über sie Beweis erhoben werden muss. Ergibt nun die
Beweisaufnahme, dass das Darlehen nicht gewährt wurde, so kann nicht in einem Urteil
sowohl die Gewährung als auch die Nichtgewährung eines Darlehens als feststehend
zugrunde gelegt werden. In diesem Fall geht die aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme
folgende materielle Wahrheit der aus der gesetzlichen Fiktion des Geständnisses
folgenden formellen Wahrheit vor. Die Klage ist also in beiden Prozessrechtsverhältnissen
abzuweisen (vgl. BGH NJW-RR 1992, 253 f.; a.A. wohl Thomas/Putzo, a.a.O., § 61 Rdn.
12).
Verfahrensablauf bei Streitgenossenschaft
Sowohl bei der einfachen als auch bei der notwendigen Streitgenossenschaft erfolgen alle
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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den technischen Ablauf des Verfahrens betreffenden Prozesshandlungen gemeinsam. Es
wird nur ein Termin anberaumt; sämtliche Streitgenossen bzw. deren Vertreter sind hierzu
zu laden (§ 63 ZPO); rechtliches Gehör ist zu allen Tatsachen zu gewähren, nicht nur zu
den das eigene Prozessrechtsverhältnis betreffenden.
Die Prozesshandlungen der Streitgenossen sind grundsätzlich gesondert zu beurteilen (§
61 ZPO), wenn sich aus dem Prozessrecht (§ 62 ZPO) oder aus ihrer materiell-rechtlichen
Verbundenheit nichts anderes ergibt. Auf die Unterscheidung von einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft kommt es für den Prozessbetrieb an, wenn trotz ordnungsgemäßer Ladung einer der Streitgenossen im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint oder vertreten ist.
Bei der einfachen Streitgenossenschaft ergeht dann auf Antrag des Gegners ein Versäumnisurteil gegen den Säumigen, während mit dem erschienen bzw. vertretenen Streitgenossen streitig verhandelt wird. Bei dem Versäumnisurteil handelt es sich um ein Teilurteil, weil nur über einen Teil der durch die subjektive Klagehäufung verbundenen Prozessrechtsverhältnisse entschieden wird. Es ist also mit dem Wort "Teil-Versäumnisurteil" zu
überschreiben.
Bei der notwendigen Streitgenossenschaft kommt ein Versäumnisurteil gegen einen der
Streitgenossen nicht in Betracht, weil sonst eine einheitliche Entscheidung nicht gewährleistet wäre. Deshalb sieht § 62 ZPO vor, dass die säumigen Streitgenossen durch die
nicht säumigen als vertreten anzusehen sind. Streitig ist, ob der nicht säumige Streitgenosse für den säumigen Streitgenossen anerkennen oder verzichten darf (dafür: MüKo/Schilken, a.a.O., § 62 Rdn. 43; dagegen: Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. 1993, § 62
Rdn. 27).
Der einfache Streitgenosse darf gemäß § 61 ZPO über seinen Streitgegenstand wirksam
verfügen, ohne dass er hierzu der Zustimmung des anderen Streitgenossen bedürfte. Er
darf also die Klage zurücknehmen, seine Zustimmung zur Klagrücknahme des Gegners
erteilen, ein Anerkenntnis oder einen Verzicht aussprechen, den Rechtsstreit für erledigt
erklären oder sich nach Belieben vergleichen. Das Verfahren des anderen Streitgenossen
bleibt von solchen Verfügungen unberührt.
Bei der notwendigen Streitgenossenschaft ist wegen der gebotenen Einheitlichkeit der
Sachentscheidung ein Anerkenntnis oder ein Verzicht nur bei gemeinsamer Erklärung aller
Streitgenossen wirksam. Ebenso wie das Geständnis eines einzelnen Streitgenossen
können dessen Anerkenntnis oder Verzicht aber bei der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden.
Wegen seiner fehlenden materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis kann sich ein einzelner
notwendiger Streitgenosse i.d.R. auch nicht wirksam vergleichen. Hinsichtlich der Wirksamkeit einer Klagrücknahme oder einer Erledigungserklärung ist zu differenzieren:
Prozessual notwendige Streitgenossen können solche Erklärungen unbedenklich allein
abgeben. Denn der verbliebene Streitgenosse hätte auch von Anfang allein klagen oder
verklagt werden dürfen. Es spricht daher nichts dagegen, dass die anderen Streitgenossen die Rechtshängigkeit ihrer Klage beenden und einer den Prozess allein weiterführt.
Bei der aus materiell-rechtlichen Gründen notwendigen Streitgenossenschaft ist die Wirksamkeit entsprechender Erklärungen streitig. Nach einer Meinung darf ein prozessmüder
Streitgenosse aus dem Rechtsstreit ausscheiden. Die Klage des verbleibenden wird dann
aber mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig (so etwa OLG Rostock, NJW-RR
1995, 381 f.). Er hat nur noch die Möglichkeit, den prozessmüden Streitgenossen in einem
neuen Rechtsstreit auf Mitwirkung oder Schadensersatz zu verklagen.
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Wegen dieses für den verbleibenden Streitgenossen misslichen Ergebnisses lehnt eine
andere Meinung ein Ausscheiden einzelner Streitgenossen durch Klagrücknahme oder
Erledigungserklärung von vornherein ab (so etwa RGZ 78, 104; Zöller/Vollkommer, a.a.O.,
§ 62 Rdn. 25).
Notwendige Streitgenossen können immer nur als Partei, nie als Zeuge vernommen werden, da alle im Prozess behandelten Fragen für die einheitliche Sachentscheidung
zugrunde gelegt werden und damit für alle Prozessverhältnisse von Bedeutung sind.
Einfache Streitgenossen sind nach Ansicht des BGH (BGH MDR 1984, 47) und der im
Schrifttum herrschenden Meinung nur hinsichtlich solcher Tatsachen Partei, die (auch) ihr
eigenes Prozessrechtsverhältnis betreffen. Ein Streitgenosse kann daher Zeuge sein, soweit es sich um Tatsachen handelt, die nur im Prozessrechtsverhältnis des anderen
Streitgenossen eine Rolle spielen.
Ein beliebter anwaltlicher Trick ist es, als Zeugen in Betracht kommende Personen mit
mehr oder weniger hergeholter Begründung mitzuverklagen, um sie als Beweismittel auszuschalten. Man kann versuchen, derartigen Bestrebungen dadurch entgegenzusteuern,
dass die Klage in Bezug auf solche Streitgenossen vorab durch Teilurteil abgewiesen wird.
Als Zeugen stehen sie aber erst dann wieder zur Verfügung, wenn das Teilurteil rechtskräftig geworden ist.
Es stellt sich die Frage, ob es angängig ist, das Verfahren gegen den verbliebenen Streitgenossen entsprechend § 148 ZPO bis zur Rechtskraft eines derartigen Teilurteils auszusetzen, um dann die Beweisaufnahme durchführen zu können. Das OLG Köln hat diese
Frage verneint. Auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit rechtfertige
eine Aussetzung nicht, selbst wenn der Kläger seine Parteistellung durch eine Zession
erlangt habe und ihm der Zedent als Zeuge zur Verfügung stehe (ein ebenfalls beliebter
anwaltlicher Trick mit umgekehrter Zielrichtung; OLG Köln, NJW-RR 1999, 140 f.).
Bei der notwendigen Streitgenossenschaft ist ein Teilurteil gegen einen einzelnen Streitgenossen wegen der zwingend einheitlichen Entscheidung von vornherein nicht zulässig.
Ergeht aber dennoch ein Teilurteil, so führt dies nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit der Entscheidung. Soweit eine solche Anfechtung unterbleibt, erwächst das
unzulässige Teilurteil in Rechtskraft, allerdings nur gegenüber denjenigen Streitgenossen,
gegen die es ergangen ist.
Die Bedenken gegen den Erlass eines Teilurteils gelten nicht bei der einfachen Streitgenossenschaft. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass ein Teilurteil nach allgemeinen Grundsätzen nur dann zulässig ist, wenn die Gefahr eines Widerspruchs zwischen
diesem Teilurteil und einem späteren Schlussurteil ausgeschlossen ist. Ist also etwa eine
Klage gegen einen Arzt und eine Hebamme wegen Falschbehandlung im Zusammenhang
mit einer Geburt gerichtet, so kann ein Teilurteil (z.B. Abweisung der Klage gegen die Hebamme) unzulässig sein, wenn eine noch durchzuführende Beweisaufnahme in Bezug auf
den Arzt wegen der sich teilweise überschneidenden Pflichtenkreise von Arzt und Hebamme die Richtigkeit der bereits getroffenen Entscheidung in Frage stellen könnte. Dabei
ist zu bedenken, dass Teil- und Schlussurteil angefochten werden können und die nächste
Instanz die Rechts- und/oder Beweislage möglicherweise abweichend beurteilt.
Im Falle eines Teilurteils ergibt sich bei der Kostenentscheidung das Problem, dass zu
diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht, wie der Rechtsstreit hinsichtlich des anderen Streitgenossen enden wird. Eine einheitliche Kostenentscheidung, gegebenenfalls unter Anwendung der Baumbach'schen Kostenformel, kann also noch nicht ergehen. Sicher ist
aber schon, dass die durch Teilurteil unterliegende Partei die eigenen außergerichtlichen
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Auslagen tragen muss.
Die Kostenentscheidung lautet daher: "Der ... trägt seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst ....; im übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten."
Sowohl bei der einfachen als auch bei der notwendigen Streitgenossenschaft können
Rechtsmittel von jedem Streitgenossen gesondert eingelegt werden. Für den Wert der Beschwer, der u.a. für das Erreichen der Berufungssumme von Bedeutung ist, wird unter den
Voraussetzungen des § 5 ZPO das Interesse aller Rechtsmittelführer zusammengerechnet. Ein Unterschied besteht aber bezüglich der Wirkungen eines nur von einem Streitgenossen erhobenen Rechtsmittels. Bei der einfachen Streitgenossenschaft wird die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der übrigen Streitgenossen rechtskräftig. Lediglich die
Kostenentscheidung kann auch zu ihren Lasten abgeändert werden (BGH MDR 1981,
928). Bei der notwendigen Streitgenossenschaft hindert die Einlegung eines einzigen
Rechtsmittels den Eintritt der Rechtskraft für alle Streitgenossen. Sie sind dann in der 2.
Instanz Partei, aber nicht Rechtsmittelführer (arg. § 62 Abs. 2 ZPO; zu den praktischen
Konsequenzen vgl. MüKo/Schilken, a.a.O., Rdn. 52).
Die Darstellung der Streitgenossenschaft im Urteil
Im Rubrum sind sämtliche Streitgenossen aufzuführen, für die die Entscheidung relevant
ist. Sie werden fortlaufend nummeriert (Kläger zu 1., Kläger zu 2, ...) und nachfolgend nur
noch mit ihrer Ordnungsziffer bezeichnet. Streitgenossen, die schon früher, z.B. durch ein
Teilurteil, aus dem Rechtsstreit ausgeschieden sind, sind nur dann im Rubrum zu erwähnen, wenn die Kostenentscheidung sie noch betrifft.
Auch bei Beteiligung mehrerer Kläger bzw. Beklagter muss (wegen der degressiven Kostentabelle) eine einheitliche Kostenentscheidung ergehen. Folgende Grundkonstellationen
sind zu unterscheiden:
Zwei Kläger erheben Klage gegen einen Beklagten. Die Klage
wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu je ½ (§ 100
Abs. 1 ZPO).
Ein Kläger erhebt Klage gegen
zwei Beklagte. Die Beklagten
werden in vollem Umfang verurteilt.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten zu je ½ (§ 100
Abs. 1 ZPO).
Ein Kläger erhebt Klage gegen
zwei Beklagte. Die Beklagten
werden als Gesamtschuldner in
vollem Umfang verurteilt.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner (§ 100 Abs. 4 ZPO).
Ein Kläger erhebt Klage gegen
zwei Beklagte. Der Beklagte zu 1.
veranlasst eine Beweisaufnahme.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner in vollem Umfang
verurteilt.
Der Beklagte zu 1. trägt die Kosten der Beweisaufnahme. Im übrigen tragen die Beklagten die
Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner (§ 100 Abs. 3
ZPO).
Ein Kläger erhebt Klage gegen
zwei Beklagte. Der Beklagte zu 1.
wird in vollem Umfang verurteilt.
Gegen den Beklagten zu 2. wird
Die Gerichtskosten werden dem
Kläger und dem Beklagten zu 1.
je zur Hälfte auferlegt. Von den
außergerichtlichen Kosten tragen
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die Klage abgewiesen.
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der Kläger die des Beklagten zu
2. voll und ½ der eigenen, der
Beklagte zu 1. die eigenen und ½
der dem Kläger erwachsenen (§
92 Abs. 1 ZPO; Baumbach’sche
Kostenformel).
Die bereits bekannte Baumbach'sche Kostenformel kommt also insbesondere zum Einsatz, wenn die Streitgenossen mit ihren Anträgen unterschiedlichen Erfolg bzw. Misserfolg
haben.
Für jedes der bei der Streitgenossenschaft zusammengefassten Prozessrechtsverhältnisse muss eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergehen. Je nach Prozessausgang können unterschiedlich hohe Sicherheitsleistungen anzuordnen sein. Für
den praktisch häufigsten Fall einer Klage gegen mehrere Gesamtschuldner, gilt folgendes:
Hat die Klage Erfolg, so kann der Kläger nach seiner Wahl gegen jeden der Gesamtschuldner vollstrecken. Insgesamt steht ihm der Verurteilungsbetrag (Hauptforderung, Nebenforderung und Kosten) aber nur einmal zu. Der Verurteilungsbetrag stellt damit die
Höchstgrenze eines möglichen Vollstreckungsschadens gemäß § 717 ZPO dar. Die vorläufige Vollstreckung ist also von einer Sicherheitsleistung in dieser Höhe abhängig zu
machen bzw. es ist bei der Festlegung des Prozentsatzes gemäß § 709 S. 1 und S. 2 ZPO
dieser Aspekt zu berücksichtigen.
Wird die Klage abgewiesen, so steht jedem der Beklagten ein eigener Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger zu. Wenn die Beklagten durch verschiedene Prozessbevollmächtigte vertreten waren, so kann jeder Beklagte wegen der damit verbundenen Kosten
vorläufig vollstrecken.
Wenn die Beklagten durch einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten vertreten waren,
erhält der Rechtsanwalt nach Nr. 1008 der Gebührentabelle zum RVG je zusätzlich betreuter Parteien eine um 0,3 je Partei, insgesamt aber maximal um 2,0 erhöhte Gebühr.
Welcher der Auftraggeber im Innenverhältnis welchen Teil der Gebühren gezahlt hat oder
noch zahlen wird, ist dem Gericht bei Erlass des Urteils i.d.R. unbekannt. Es wird deshalb
im Zweifel für die Vollstreckung jedes Beklagten eine Sicherheitsleistung in Höhe der maximal entstandenen Anwaltsgebühr festsetzen bzw. dies bei der Festlegung des Prozentsatzes gem. § 709 S. 1 und S. 2 oder § 711 ZPO berücksichtigen.
Im Tatbestand ist das Vorbringen mehrerer Streitgenossen nur dann gesondert darzustellen, wenn und soweit es sich unterscheidet. Wie oben ausgeführt, ist im Zweifel davon
auszugehen, dass die Angriffs- und Verteidigungsmittel eines Streitgenossen auch von
den übrigen Streitgenossen übernommen werden sollen. Dann leitet man das streitige
Vorbringen wie folgt ein:
Die Kläger (oder die Beklagten) behaupten (übereinstimmend), dass ...
Weicht der Vortrag der Streitgenossen voneinander ab, so muss er auch gesondert dargestellt werden. Im Zweifel empfiehlt es sich, soweit vorhanden, zunächst das übereinstimmende Vorbringen beider Streitgenossen und dann die abweichenden Behauptungen einzelner Streitgenossen (eingeleitet etwa durch den Satz: "Darüber hinaus behauptet der
Kläger zu 1., dass ...) zu referieren. Dabei bringt man am besten das umfassendere Angriffs- bzw. Verteidigungsvorbringen zuerst.
Wenn es sich allerdings um verschiedene Lebenssachverhalte (z.B. zur Klagforderung
und zur Aufrechnungsforderung) handelt, erscheint es aus Gründen der Verständlichkeit
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besser, den Vortrag der Parteien nach Komplexen geordnet etwa wie folgt zusammenzufassen:
Zur Klagforderung behaupten die Beklagten übereinstimmend, dass ... Darüber hinaus
behauptet der Beklagte zu 1., dass ...
Zur Aufrechnungsforderung sind die Beklagten übereinstimmend der Meinung, dass ...
Darüber hinaus behauptet der Beklagte zu 2., dass ...
Im Rahmen der Entscheidungsgründe kann man die Zulässigkeit und Begründetheit der
Klage für jeden Streitgenossen getrennt erörtern. Ein solcher Aufbau bietet sich an, wenn
hinsichtlich der mehreren Kläger oder Beklagten unterschiedliche Anspruchsgrundlagen in
Betracht kommen, wenn also etwa ein Beklagter als Hauptschuldner und der andere als
Bürge oder ein Beklagter als Halter eines Kfz nach § 7 StVG und der andere als Fahrer
nach § 18 StVG haften soll. Ein getrennter Aufbau führt aber zu Wiederholungen, wenn wie häufig - dieselben Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind und sich auch das tatsächliche
Vorbringen der Streitgenossen nicht unterscheidet. Geschickter erscheint dann eine zusammengefasste Würdigung, welche im Vergleich zu der Darstellung der Entscheidungsgründe bei Beteiligung nur eines Klägers und Beklagten keine Besonderheiten bietet.
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10. Streithilfe und Streitverkündung
Streitgenossen können sowohl auf Kläger als auch auf Beklagtenseite auch dadurch an
dem Rechtstreit beteiligt werden, dass sie diesem beitreten und zwar entweder indem die
dritte Partei dem Rechtsstreit von sich aus beitritt (Streithilfe, §§ 66 bis 71 ZPO) oder auf
Aufforderung (Streitverkündung, §§ 72 bis 74 ZPO) einbezogen wird, indem sie nach Aufforderung als Reaktion auf eine Streitverkündung dem Rechtsstreit auf Seiten des Streitverkündenden beitritt.
Der Sinn der Streitverkündung und Streithilfe erschließt sich für den Streitverkündenden
aus folgendem Fall:
K verklagt B weil die bei B gekaufte Maschine Mängel hat. B hat seinerseits Regressansprüche gegen seinen Lieferanten L, sollten die Mängel tatsächlich vorliegen. Welche
(rechtliche) Gefahr droht B? Wie kann er der begegnen?
Im Rechtsstreit K-B droht B eine Verurteilung wegen Sachmangel der Maschine, § 437
BGB. Nimmt er sodann in einem weiteren Rechtstreit L vor einem anderen Gericht in Anspruch droht, dass der dortige Richter die Sachlage anders beurteilt und einen Mangel der
Kaufsache verneint. B bliebe auf seinem Schaden sitzen. Die Lösung lautet: Bindung des
L an das Ergebnis des Prozesses K-B, nämlich durch Streitverkündung, §§ 72, 68 ZPO.
Hierfür muss er einen den Anforderungen des § 73 ZPO genügenden Schriftsatz in dem
Rechtsstreit K-B einführen. In der Praxis werden hierfür zur Information des Streitverkündeten die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze in Kopie eingereicht nebst
kurzer Zusammenfassung des Verfahrensstandes. Zugleich ist die Erklärung abzugeben,
dass dem L der Streit verkündet wird und dieser aufgefordert wird, dem Rechtsstreit auf
seiner Seite beizutreten. Das Gericht prüft hierauf nicht, ob die Voraussetzungen des § 72
ZPO wirklich vorliegen, belehrt den L auch nicht, sondern stellt die Streitverkündung diesem lediglich zu.
19.2 Bedeutung der Streitverkündung und Streithilfe aus Sicht des Beitretenden
Der Sinn der Streithilfe und des Beitritts auf erfolgte Streitverkündung ergibt sich aus
folgendem:
Fallbeispiel wie oben. Welche Reaktionsmöglichkeiten hat L?
(1) L kann untätig bleiben, § 74 Abs. 2 ZPO; Konsequenz: Er ist am weiteren Prozess
K-B nicht beteiligt; er kann weiterhin Zeuge des Rechtsstreits sein; dieser wird ganz
normal weiter geführt; die ausgesprochene Streitverkündung wird weder im Rubrum
noch im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen erwähnt; sie ist für den anhängigen Rechtstreit vollständig bedeutungslos
Jedoch: Durch Zustellung des Schriftsatzes über die Streitverkündung und Untätigkeit des L tritt diesem gegenüber die Interventionswirkung des § 74 Abs. 3, 68 ZPO
ein, er ist also an die Feststelllungen des Richters im Rechtstreit K-B künftig gebunden.
(2) L kann auch dem Rechtstreit auf Seiten der Partei, die ihm den Streit verkündet hat
(hier also B) beitreten, § 74 Abs. 1, 66 ZPO. Dieses geschieht durch Einreichung
eines Schriftsatzes in dem Beitritt erklärt wird, § 70 ZPO. Wirkung: L wird nicht zur
Partei, wohl aber zum Streithelfer. Ihm sind im folgenden sämtliche Schriftsätze,
Ladungen usw. mitzuteilen, § 71 Abs. 3 ZPO. Er kann nun selber Schriftsätze einreichen, prozessuale Erklärungen abgeben und Beweis anbieten und zwar neben
oder anstelle des B. Er darf nun etwa auch selber einem weiteren Dritten den Streit
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verkünden. Allerdings darf er keine Verfügungen über den Streitgegenstand selbst
treffen, insbesondere also kein Anerkenntnis oder Verzicht für den B abgeben oder
sollte K den Streit verkündet haben, die Klage zurücknehmen. Auch darf er grundsätzlich keine Erklärungen abgeben, die in Widerspruch zu Erklärungen der Partei
stehen, § 67 ZPO. Zugleich steht er weiter als Zeuge zur Verfügung, da er eben
nicht Partei des Rechtsstreits ist.
Ein Beitritt ist sinnvoll, wenn L meint somit den Sieg des B gegen A erreichen oder
fördern zu können und dadurch eine eigene Regressname durch B verhindern zu
können. Erscheint B zum Termin etwa nicht, kann L VU dadurch verhindern, dass
er Abweisungsantrag stellt.
In einer Urteilsklausur ist denkbar, dass auf einer Seite Beitritt erfolgt ist, dann ist
formal zu beachten, dass Streitverkündeter im Rubrum nach der Partei als Streitverkündeter aufzuführen ist, der er beigetreten ist; sein ggfs. abweichender streitiger Tatsachenvortrag ist im Tatbestand nach dem Vorbringen der Partei, der er
beigetreten ist, zu erwähnen. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 101 ZPO;
Faustformel: Gewinnt Nebenintervenient trägt sein Gegner die Kosten, verliert er,
trägt er sie selbst; die Partei, die ihm den Streit verkündet hat, trägt seine Kosten
jedenfalls nicht
In Anwaltsklausur ist ein Klausurtyp denkbar, bei der möglicher Nebenintervenient
ihr Mandant ist; aus dessen Sicht müssen sie dann die Rechtslage begutachten
und empfehlen, ob beigetreten werden sollte oder nicht; dieses werden sie etwa
dann tun, wenn die Hauptpartei eine rechtlich erhebliche Einwendung bislang übersehen also nicht gebracht hat, z.B. Einrede der Verjährung
(3)
L könnte theoretisch auch auf Seiten des K beitreten; dies wäre dann Streithilfe
nach § 66 ZPO, wofür freilich ein rechtliches Interesse des L erforderlich wäre; das
ist im Beispielsfall nicht denkbar; gegenüber B würde diese Reaktion als unterlassener Beitritt mit der bereits beschriebenen Interventionswirkung behandelt werden.
Verkünden B und K dem L den Streit, muss er sich entscheiden auf welcher Seite
er beitritt, für wen er also Stellung nimmt; ein Beitritt auf beiden Seiten ist nicht möglich
(4)
Schließlich hat L auch die Möglichkeit zunächst abzuwarten und bei ungünstigem
Ausgang des Rechtstreits für ihn in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels dem Streit beitreten, § 66 Abs. 2 ZPO
Die Bindungswirkung der Entscheidung im Rechtsstreit K-B zu Lasten des L entfaltet sich
nur dann, wenn die Streitverkündung von B gegenüber L nach § 72 ZPO zulässig war und
die Form des § 73 ZPO gewahrt gewesen ist. Dieses wird erstmals in dem Prozess geprüft, in dem der ehemals Streitverkündete in Anspruch genommen wird. Die Streitverkündung ist nach § 72 nur bei folgenden Fallgruppen zulässig:
(1) Gewährleistung wegen Sach- und Rechtsmängeln
(2) Anspruch auf (vollständige) Schadloshaltung (z.B.: Ausgleichsanspruch B gegen L
aus § 426 Abs. 1)
(3) Besorgnis (Befürchtung) des Anspruchs eines Dritten, Kläger also befürchtet wegen
der vom Beklagten geforderten Klageforderung durch Dritten in Anspruch genommen zu werden; dann wird er Dritten den Streit verkünden um Gefahr zu begegnen
im Prozess K-B nichts zu bekommen für eben diesen Anspruch aber sodann durch
Dritten in Anspruch genommen zu werden
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(4) Anspruch aus Alternativverhältnis; Bsp.: Kläger begehrt von Beklagtem Anspruch
auf Werklohn, sollte der aber bei Vertragsschluss wie er behauptet von Vertreter
ohne Vertretungsmacht vertreten worden sein, von V
Unzulässig hingegen ist Streitverkündung, wenn Beklagter und Streitverkündeter
nebeneinander haften etwa im Falle der reinen Gesamtschuldnerschaft
Materiell rechtlich wird ab Streitverkündung drohende Verjährung im Verhältnis Streitverkünder zu Streitverkündetem gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB. Prozessual muss der
Streitverkündete im Folgeprozess grundsätzlich alle tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen gegen sich gelten lassen, auf denen das Urteil im Vorprozess beruht. Von der Bindungswirkung umfasst sind allerdings nur die tragenden Gründe, also nicht obiter dicta
Ausführungen.
Demjenigen, gegen den die Bindungswirkung sich zu entfalten droht, bleiben folgende
Einwendungen:
(1) Mangelhafte Prozessführung des Streitverkünders in der Zeit vor möglichem Beitritt,
§ 68 HS 2, 1. Alt.
(2) Behinderung der Prozessführung des L durch Prozessführung des B (z.B.: Abgabe
eines Anerkenntnisses), § 68 HS 2, 2. Alt.
(3) Absichtliches Nichtgeltendmachen von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln durch
Streitverkünder, die Streitverkündendem im Vorprozess unbekannt geblieben sind
(4) Tatsachenvortrag oder Prozesserklärungen, die im Vorprozess wegen § 67 ZPO
(kein widersprechender Vortrag durch Streitverkündeten) nicht geltend gemacht
werden konnten
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11. Das Mahnverfahren
Um einen vollstreckbaren Titel zu erlangen, kommt als Alternative zur Erhebung einer Klage das Mahnverfahren in Betracht (§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Der Antragsteller muss für
den Mahnantrag den amtlichen Vordruck verwenden (§§ 703 c Abs. 2, 691 Abs. 1 Satz 1
ZPO i.V.m. der VO zur Einführung von Vordrucken für das Mahnverfahren vom 6. Mai
1977). Zwischenzeitlich ist in HH auch möglich Mahnverfahren online über Internet zu
betreiben.
Der notwendige Inhalt eines Mahnantrags ist in § 690 ZPO bestimmt. Ausschließlich zuständig ist das Amtsgericht, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand
hat, § 689 ZPO.
Für das Mahnverfahren fällt eine halbe Gerichtsgebühr nach Ziff. 1100 des Kostenverzeichnisses zum GKG an. Die Zahlung dieser halben Gebühr muss der Antragsteller im
nichtautomatisierten Verfahren durch Aufkleben von Gerichtskostenmarken, durch Aufdruck eines Gebührenfreistemplers oder durch einen Überweisungsbeleg nachweisen.
Anderenfalls wird der Mahnbescheid nicht erlassen. Im automatisierten Mahnverfahren
erfolgt die Gebührenanforderung aus technischen Gründen erst nach dem Erlass des
Mahnbescheids. Dort sollte also die Übersendung des vorbereiteten Überweisungsvordrucks durch das Gericht abgewartet werden. In diesem Fall ist der Erlass des Vollstreckungsbescheids von der Erfüllung der Vorschusspflicht abhängig, § 65 Abs. 3 GKG.
Das Mahnverfahren fällt in die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers, § 20 Nr. 1
RpflG. Der Rechtspfleger prüft (§ 691 Abs. 1 ZPO),
ob die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen,
ob die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Mahnbescheids
nach § 688 ZPO gegeben sind, d.h.:
-
es muss sich um einen Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme in Euro
handeln (bei Ansprüchen in ausländischer Währung: Umrechnung);
-
der Anspruch darf nicht von einer Gegenleistung abhängig sein oder die Gegenleistung
muss bereits erbracht sein (keine Zug-um-Zug-Verurteilung im Mahnverfahren)
-
es darf nicht erforderlich sein, den Mahnbescheid durch öffentliche Bekanntmachung
zuzustellen.
Eine Schlüssigkeitsprüfung findet nicht statt! Der Rechtspfleger darf den Mahnantrag jedoch nach ganz überwiegender Meinung zurückweisen, wenn die Forderung bereits nach
ihrer stichwortartigen Bezeichnung unsinnig bzw. unklagbar ist oder sonst offensichtlich
nicht bestehen kann (z.B. Naturalobligationen wie Entgelt für eine Heiratsvermittlung, §
656 BGB; Entgelt für eine Partnervermittlung, § 656 BGB analog; Zinseszinsen, § 289
BGB; bei Verbraucherkrediten pauschalierter Verzugsschaden bei „Neufällen“ von mehr
als 5 % über dem Basiszinssatz § 497 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB bzw. bei
„Altfällen“ von mehr als 5 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank § 11 Abs. 1
VerbrKrG). Zur Begründung wird u.a. auf das Rechtsstaatsprinzip verwiesen, mit dem es
nicht vereinbar sei, wenn das Mahngericht gezwungen wäre, formell einwandfreie, materiell aber eindeutig unbegründete Ansprüche mit Rechtskraftwirkung (vgl. § 796 Abs. 2
ZPO) zu titulieren.
Liegen die Voraussetzungen für den Erlass des Mahnbescheids nicht vor, so kommt nach
pflichtgemäßem Ermessen des Rechtspflegers eine Zwischenverfügung, eine telefonische
Rückfrage oder - bei offensichtlichen Fehlern - eine Berichtigung von Amts wegen in Be-
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tracht. Anderenfalls wird der Antrag, ggfs. nach Anhörung des Antragstellers, durch begründeten Beschluss zurückgewiesen (§§ 691 Abs. 1, 329 Abs. 3 ZPO). Gegen den zurückweisenden Beschluss ist die (sofortige) Erinnerung gegeben, über die – wenn der
Rechtspfleger nicht abhilft – gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 RpflG der Amtsrichter entscheidet.
Dem steht der auf den ersten Blick irritierende § 691 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht entgegen,
weil diese Vorschrift nur die Beschwerde betrifft. Der Mahnantrag kann aber auch jederzeit
wiederholt oder der Anspruch (sogar unter Aufrechterhaltung einer Verjährungsunterbrechung durch Einreichung des Mahnantrags, § 691 Abs. 2 ZPO) im Klagewege geltend
gemacht werden.
Sind die Voraussetzungen erfüllt, so erlässt der Rechtspfleger den Mahnbescheid, ohne
zuvor den Antragsgegner zu hören (§ 702 Abs. 2 ZPO). Die Ausfertigung des Mahnbescheids wird dem Antragsgegner von Amts wegen zugestellt (§ 693 Abs. 1 ZPO). Hiervon
wird der Antragsteller benachrichtigt (§ 693 Abs. 3 ZPO).
Gegen den Mahnbescheid kann der Antragsgegner Widerspruch einlegen, § 692 Abs. 1
Ziff. 3, 694 ZPO. Die Widerspruchsfrist beträgt zwei Wochen ab Zustellung des Mahnbescheids. Es reicht aber aus, wenn der Widerspruch vorliegt, solange der Vollstreckungsbescheid noch nicht verfügt ist (§§ 692 Abs. 1 Nr. 3, 694 Abs. 1 ZPO). Der Widerspruch
kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 702 Abs. 1 ZPO). Der Antragsgegner soll, muss sich aber nicht des dem
Mahnbescheid beigefügten Vordrucks bedienen (§ 692 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Der Widerspruch braucht nicht begründet zu werden. Er kann auf einen Teil des Anspruchs beschränkt werden.
Wenn ein Widerspruch eingeht, so wird der Antragsteller davon in Kenntnis gesetzt (§ 695
ZPO). Der Antragsteller kann nun die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragen.
Ein solcher Streitantrag kann aber auch bereits mit dem Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids gestellt werden (§ 696 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Auf den ersten Blick erscheint
es praktisch, von dieser zeitsparenden Möglichkeit Gebrauch zu machen. Tatsächlich tritt
aber nur bei kosten- und gebührenbefreiten Antragstellern (§ 2 GKG) eine Zeitersparnis
ein, weil in den übrigen Fällen eine Abgabe an das Prozessgericht ohnehin erst nach
Zahlung der restlichen (30/10 abzüglich 5/10) Prozessgebühr erfolgt (§ 65 Abs. 1 Satz 2
GKG).
Der vorsorglich gestellte Streitantrag kann sogar eine Kostenfalle darstellen. Nach
herrschender Meinung bewirkt er, dass sich die Prozessgebühren nach dem bei
Beantragung des Mahnbescheids maßgeblichen Streitwert richten, § 15 GKG, was z.B. im
Falle einer Teilerledigung im Mahnverfahren zu erheblichen Mehrkosten führen kann
(HansOLG MDR 1998, 1121 f.) und dass mit der Erhebung des Widerspruchs stets eine
erhöhte Prozessgebühr anfällt, auch wenn der Antragsteller das Verfahren nicht weiter
betreibt. Es ist daher zu empfehlen, jenes „Servicefeld“ erst gar nicht anzukreuzen. In den
Ausfüllhinweisen für den Mahnantrag im automatisierten Mahnverfahren wird auf das
hiermit verbundene Kostenrisiko hingewiesen.
Die Abgabe erfolgt an das im Mahnantrag bezeichnete Gericht. Die Zuständigkeit dieses
Gerichts wird nicht bei der Abgabe, sondern erst in dem anschließenden Urteilsverfahren
geprüft. Streitig ist, ob hierbei auf die Sach- und Rechtslage bei Einreichung des Mahnantrags (wohl herrschende Rechtsprechung) oder zum Zeitpunkt des Eingangs beim Streitgericht abzustellen ist, was etwa relevant werden kann, wenn der Schuldner nach Zustellung des Mahnbescheids, aber vor Eingang der Akten bei einem ursprünglich sachlich zuständigen Landgericht zahlt.
Mit Zugang der Akten nach Abgabe ist das Mahnverfahren beendet, das Urteilsverfahren
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
Version 2.2
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anhängig (§ 696 ZPO). Die Parteibezeichnungen wechseln. Antragsteller und Antragsgegner werden Kläger und Beklagter. Die Geschäftsstelle fordert den Kläger auf, binnen zwei
Wochen eine Anspruchsbegründung einzureichen (§ 697 Abs. 1 ZPO). Das Verfahren
läuft dann im wesentlichen wie ein durch Klage eingeleiteter Rechtsstreit ab.
Der Vorsitzende bestimmt also, ob ein früher erster Termin oder ein schriftliches Vorverfahren stattfindet (§ 697 Abs. 2 ZPO). Versäumt der Kläger die Frist für die Anspruchsbegründung, so tritt ein Verfahrensstillstand ein. Nur dann, wenn der Beklagte es beantragt,
wird terminiert und gleichzeitig eine richterliche Frist zur Anspruchsbegründung gesetzt (§
697 Abs. 3 ZPO). Wird dann eine Anspruchsbegründung bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung nicht vorgelegt, so ist streitig, ob die Klage als unzulässig abzuweisen ist,
weil eine Sachurteilsvoraussetzung (§§ 697 Abs. 1, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) fehlt oder ob
die Klage unbegründet ist. Geht ein Antrag des Beklagten auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht ein, so wird die Akte nach 6 Monaten weggelegt.
Wenn der Antragsgegner nicht bzw. nicht rechtzeitig Widerspruch erhoben hat, erlässt der
Rechtspfleger auf der Grundlage des Mahnbescheids auf Antrag des Antragstellers einen
Vollstreckungsbescheid (§ 699 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Antrag kann frühestens nach
Ablauf der Widerspruchsfrist gestellt werden (§ 699 Abs. 1 Satz 2 ZPO), also - anders als
der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens - nicht bereits im Mahnantrag. Der
Grund hierfür ist, dass der Antragsteller veranlasst werden soll zu prüfen, ob der
Antragsgegner - wie häufig - auf den Mahnbescheid hin Zahlungen geleistet hat, bevor er
einen vollstreckbaren Titel erwirkt. Spätestens muss der Antrag sechs Monate nach
Zustellung des Mahnbescheids gestellt werden, da dieser sonst verfällt (§ 701 ZPO).
Der Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids wird zurückgewiesen, wenn sich
herausstellt, dass das Mahnverfahren von vornherein unzulässig war, wenn die Frist des §
701 Satz 1 ZPO versäumt, der Mahnbescheid nicht zugestellt wurde oder ein Wechsel der
Parteien vor Rechtshängigkeit eingetreten ist. Gegen den zurückweisenden Beschluss ist
das Rechtsmittel der (unbefristeten) Erinnerung gegeben.
Sind die Voraussetzungen erfüllt, so erlässt der Rechtspfleger den Vollstreckungsbescheid, ohne zuvor den Antragsgegner zu hören, § 702 Abs. 2 ZPO. Die Ausfertigung des
Vollstreckungsbescheids wird dem Antragsgegner von Amts wegen zugestellt (§ 699 Abs.
4 Satz 1 HS 1 ZPO); auf Antrag ist auch eine Zustellung im Parteibetrieb möglich (§ 699
Abs. 4 Satz 1 HS 2 ZPO i.V.m. § 191 ZPO).
Der Vollstreckungsbescheid steht einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich (§ 700 Abs. 1 ZPO). Ergänzend zum 7. Buch der ZPO (Mahnverfahren) sind
daher die Vorschriften über das Versäumnisurteil (§§ 338 ff. ZPO) heranzuziehen. Danach
kann der Antragsgegner innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Einspruch einlegen.
Unterlässt er dies, so liegt nunmehr ein rechtskräftiger Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1
Ziff. 4 ZPO) vor.
Der Einspruch kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 702
Abs. 1 ZPO). Er unterliegt keinem Formularzwang und bedarf keiner Begründung. § 700
Abs. 3 Satz 2 ZPO erklärt § 340 Abs. 3 ZPO ausdrücklich für nicht anwendbar. Gemäß §§
700 Abs. 1, 340 Abs. 2 ZPO muss er nur den Vollstreckungsbescheid bezeichnen sowie
die Erklärung enthalten, dass gegen ihn Einspruch eingelegt wird. Der Einspruch hemmt
die Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids, beseitigt aber nicht die vorläufige Vollstreckbarkeit.
Der Schuldner hat aber die Möglichkeit, nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO die einstweilige
Einstellung der Zwangsvollstreckung (i.d.R. gegen Sicherheitsleistung) zu beantragen.
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Wird Einspruch eingelegt, so gibt der Rechtspfleger die Sache an das im Mahnbescheid
als für das streitige Verfahren zuständig bezeichnete Gericht ab. Dies geschieht - anders
als die Abgabe nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid - von Amts wegen (§ 700
Abs. 3 ZPO). Immerhin hat der Antragsteller mit dem Vollstreckungsbescheid einen Titel in
der Hand, so dass es nicht mehr allein in seinem Interesse liegt, was mit der Sache weiter
geschieht.
Der weitere Verlauf des Verfahrens ist der gleiche wie nach Widerspruch gegen den
Mahnbescheid (§ 700 Abs. 4 ZPO), nur dass bei Ausbleiben der Anspruchsbegründung aus den o.g. Gründen - auch ohne Antrag des Beklagten Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen ist (§ 700 Abs. 5 ZPO). Der Urteilstenor kann in der Hauptsache lauten:
unzulässiger Einspruch:
Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid vom ... wird als unzulässig verworfen.
zulässiger Einspruch; Klage zulässig und begründet:
Der Vollstreckungsbescheid vom ... wird aufrechterhalten.
zulässiger Einspruch; Klage unzulässig oder unbegründet:
Der Vollstreckungsbescheid vom ... wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
zulässiger Einspruch; Klage z.T. zulässig und begründet:
Der Vollstreckungsbescheid vom ... wird in Höhe von ... aufrechterhalten; im übrigen wird
er aufgehoben und die Klage abgewiesen.
zulässiger Einspruch; Säumnis im Einspruchstermin (2. Versäumnisurteil):
Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid vom ... wird verworfen.
Wegen der Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit sowie zu
dem Verfahren bei Ausbleiben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung über seinen
Einspruch siehe Unterlagen zum Versäumnisverfahren.
Mahnverfahren im Urteil und in der Klausur
Der Umstand, dass dem streitigen Prozessverfahren ein Mahnverfahren vorangegangen
ist, stellt Prozessgeschichte dar. Sie wird in dem Urteil wie bekannt nur dann erwähnt,
wenn sie für die Entscheidung von Bedeutung sein kann. Dies ist beim Mahnverfahren
i.d.R. nicht der Fall, so dass darauf nicht einzugehen ist.
Anders ist es nur dann, wenn es auf die materiellrechtlichen Wirkungen des Mahnverfahrens (insbesondere Unterbrechung der Verjährung) ankommt oder wenn der Antrag sonst
nicht verständlich wäre (Antrag auf Aufrechterhaltung des Vollstreckungsbescheids). Die
materiellrechtliche Wirkung der Verjährungsunterbrechung, also § 696 Abs. 3 ZPO hat
hohe Klausurrelevanz. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass der Kläger in der
mündlichen Verhandlung keinen Klagantrag formuliert, sondern lediglich "den Antrag aus
dem Mahnbescheid" stellt.
In diesem Fall ist es üblich, im Sachbericht bzw. Urteilstatbestand die im Mahnbescheid
erwähnten Haupt- und Nebenforderungen (Zeile 6 und 7 des Mahnbescheids, nicht aber
Zeile 8 oder 9, weil über die Kosten des Verfahrens eine gesonderte Kostenentscheidung
ergeht) in Form eines normalen Klagantrags wiederzugeben. Ist ein Vollstreckungsbescheid ergangen, ist aufbautechnisch wie bei einem Versäumnisurteil vorzugehen.
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12. Prozesskostenhilfe und vorprozessuale Beratungshilfe
Wer sein Recht vor Gericht sucht, muss mit u.U. erhebliche Kosten rechnen, die er aufzubringen hat. Bei niedrigeren Streitwerten können die aufzubringenden Kosten schon zu
Beginn der ersten Instanz höher sein als der Betrag, um den gestritten wird. Es liegt auf
der Hand, dass es unter diesen Umständen einer Regelung bedarf, welche den Zugang
zum Recht auch für die minderbemittelte Partei ermöglicht.
Durch Grundgesetzes hat Forderung nach einem "gleichen Zugang zum Recht für alle"
den Charakter eines verfassungsrechtlichen Gebots (vgl. Art. 3, 19 IV GG, Sozial- und
Rechtsstaatsprinzip). Eine Ausprägung hiervon ist das Prozesskostenhilferecht (§§ 114 bis
127 a ZPO).
Zur Verbesserung des vor- bzw. außergerichtlichen Rechtsschutzes trat 1981 zugleich das
Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz, Schönfelder Nr. 98 b) in Kraft. In Hamburg wird die außerprozessuale
Rechtsberatung für Minderbemittelte durch die ÖRA (Öffentliche Rechtsauskunft- und
Vergleichsstelle) gewährt. Grundlage für die heutige Tätigkeit der ÖRA sind die VO über
die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle vom 4. Februar 1946, die Geschäftsordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle vom 15. November 1946,
die Gebührenordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle vom 1. Dezember 1998 sowie § 14 Abs. 1 BerHG. Die ÖRA ist organisatorisch und haushaltsrechtlich der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales zugeordnet. Sie besteht aus einer
Hauptstelle (Holstenwall 6, 20355 Hamburg 36) und Bezirksstellen in zahlreichen Stadtteilen (einschließlich Wohnschiffe und Justizvollzugsanstalt).
Die ÖRA hilft
auf allen Rechtsgebieten,
wenn keine anderweitige Hilfe gegeben ist (z.B. Vertretung durch Gewerkschaften,
Mieterverein),
die Ratsuchenden in Hamburg wohnen oder sich hier nicht nur vorübergehend aufhalten
und deren Einkommen unter Abzug angemessener Miet- und Heizkosten, Versicherungen, Schuldentilgungsraten und Unterhaltsverpflichtungen den dreifachen Sozialhilferegelsatz eines Haushaltsvorstandes gemäß § 22 BSHG (seit 1. Juli 2000 DM
1653,00) überschreitet (außer auf dem Gebiet des Sozialrechts, wo auch "Besserverdienende" beraten werden).
Mit der ÖRA vergleichbare Einrichtungen existieren heute noch in Bremen, Berlin und Lübeck. Anderenorts wird die Hilfe bei der Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens durch Rechtsanwälte gewährt. Eine Beratungshilfe durch Rechtsanwälte kommt inzwischen auf nahezu allen wichtigen Rechtsgebieten (außer im Steuerrecht) in Betracht. Für die Inanspruchnahme von Beratungshilfe nach dem BerHG benötigt
man einen Berechtigungsschein, welcher vom Amtsgericht (Rechtspfleger) des Bezirks
ausgestellt wird, in dem der Rechtssuchende seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Beratungshilfe nach dem BerHG erhält nur, wer die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung erfüllt. Mit dem
Berechtigungsschein hat der Rechtssuchende Anspruch auf Beratungshilfe durch einen
Rechtsanwalt seiner Wahl. Der angesprochene Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet,
die Beratungshilfe nach dem BerHG zu übernehmen. Er kann die Beratungshilfe nur im
Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen (§ 49 a BRAO).
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Wenn aus den Umständen erkennbar ist, dass der Mandant zum anspruchsberechtigten
Personenkreis gehören könnte, muss der Anwalt ihn auch ungefragt auf die Möglichkeit
der Beantragung von Beratungshilfe hinweisen. Anderenfalls macht er sich wegen § 280
Abs. 1 in Verbindung mit § 611 BGB schadensersatzpflichtig mit der Folge, dass der Mandant über die auch bei Inanspruchnahme von Beratungshilfe anfallende Gebühr hinaus
kein Honorar zu zahlen braucht.
Die Prozesskostenhilfe im Detail
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe hängt ab
von den hinreichenden Erfolgsaussichten und der fehlenden Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung;
von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Partei;
von den voraussichtlichen Kosten der Prozessführung.
Die Entscheidung über sämtliche Voraussetzungen ist in der Hand des Gerichts konzentriert. Der Gang zum Sozialamt entfällt. Die Bewilligung der PKH erfolgt nur auf Antrag.
Dieser Antrag ist bei dem Prozessgericht, also dem Gericht, welches für die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zuständig ist, zu stellen, und zwar schriftlich
oder zu Protokoll der Geschäftsstelle, § 117 Abs. 1 ZPO.
Vor der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn dies nicht aus besonderen Gründen unzweckmäßig erscheint,
§ 118 Abs. 1 ZPO. Ihm sind jedoch grundsätzlich nur die Ausführungen des Antragstellers
zu übersenden, aus denen sich die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung ergeben sollen. Die Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen darf dem Antragsgegner nur mit Zustimmung
des Antragstellers zugänglich gemacht werden, § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Deshalb wird
diese Erklärung in einem gesonderten Anlagenheft aufbewahrt. Wenn eine Stellungnahme
des Antragsgegners erfolgt, so erhält der Antragsteller Gelegenheit zur Erwiderung.
Das Gericht kann dem Antragsteller zur Klärung der Voraussetzungen für die Gewährung
von Prozesskostenhilfe Auflagen machen und selbst Erhebungen anordnen, § 118 Abs. 2
ZPO. Zeugen oder Sachverständige werden aber grundsätzlich nicht vernommen. Es soll
nämlich vermieden werden, dass das Gericht die im Hauptprozess durchzuführende Beweisaufnahme schon im PKH-Verfahren vorwegnimmt.
Ein PKH-Antrag ohne gleichzeitige Einreichung einer (unterschriebenen) Klagschrift führt
weder zur Anhängigkeit noch zur Rechtshängigkeit der Klage. Ein PKH-Antrag mit gleichzeitiger Einreichung einer Klagschrift führt zur Anhängigkeit der Klage. Erst mit der Bewilligung der PKH wird die Klage zugestellt und damit rechtshängig.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt zunächst voraus, dass die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. Bei der Auslegung der Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht ist der Zweck des Instituts der Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen, wonach der Unbemittelte einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden soll, der seine
Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Eine solche "vernünftige Person" würde von einer Klage absehen, wenn ein Erfolg schlechthin ausgeschlossen wäre oder nur eine entfernte Erfolgschance bestünde. Andererseits
würde sie ihren Entschluss zur Klagerhebung nicht davon abhängig machen, dass der
Prozesserfolg schon gewiss sein müsse (BVerfG NJW 1991, 413 ff.). Konkret bedeutet
das:
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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Eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechtsverfolgung setzt in der Regel voraus, dass der Antragsteller seinen Anspruch schlüssig dargetan hat. Es muss
also grundsätzlich eine vollständige rechtliche Prüfung wie in der Klägerstation einer
Relation bzw. vor Erlass eines echten Versäumnisurteils stattfinden. Entsprechend sind
bei Beantragung von PKH für eine Rechtsverteidigung dieselben Überlegungen wie in
der Beklagtenstation einer Relation anzustellen.
Hängt die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger, bislang ungeklärter (insbesondere noch nicht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworteter) Rechtsfragen ab, so ist auf jeden Fall Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Ergibt sich aus der Stellungnahme des Antragsgegners, dass Tatsachenbehauptungen
des beweisbelasteten Antragstellers erheblich bestritten werden, so muss der Antragsteller tauglichen Beweis antreten
Schließlich ist im PKH-Verfahren - anders als im Hauptsacheverfahren - eine vorweggenommene Beweiswürdigung wenn auch in engen Grenzen ausnahmsweise zulässig
(BVerfG NJW 1997, 2745). Ergibt sich dabei, dass ganz erhebliche (belegbare) Bedenken dagegen bestehen, dass der angetretene Beweis erfolgreich geführt werden
kann, so soll es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehlen (OLG Koblenz, a.a.O.).
Zumindest aber wird eine vorweggenommene Würdigung des Beweiswerts einer unterstellten Zeugenaussage für vertretbar gehalten (OLG Köln, NJW-RR 1995, 1405).
Wegen Mutwilligkeit ist die Gewährung von PKH zu versagen, wenn eine verständige,
nicht unbemittelte Partei in einem gleichgelagerten Fall ihre Rechte nicht in der vom Antragsteller beabsichtigten Weise verfolgen würde. Daran ist insbesondere zu denken,
wenn der erstrebte Zweck prozessual auf wesentlich einfacherem oder billigerem Wege
erreicht werden könnte, z.B.:
Der Antragsteller will eine unbestrittene Forderung beim LG einklagen, statt sich zur
Titulierung des Anspruchs des Mahnverfahrens zu bedienen
Der Antragsteller will eine Unterhaltsklage erheben, obwohl der Antragsgegner bislang regelmäßig freiwillig Unterhalt gezahlt und der Antragsteller ihn in Höhe dieses
Betrages nicht zuvor vergeblich zur kostenlosen außergerichtlichen Titulierung beim
Jugendamt nach § 59 SGB VIII aufgefordert hat.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist die Verweigerung von PKH wegen Mutwilligkeit
allerdings auf gravierende Fälle zu beschränken, weil der Zugang zu den staatlichen Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden darf
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ferner, dass die betreffende
Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, § 114 ZPO. Gemäß § 115
Abs. 2 ZPO erhält die Partei keine Prozesskostenhilfe, soweit es ihr zumutbar ist, die anfallenden Prozesskosten aus ihrem Vermögen aufzubringen. Inwiefern das Vermögen einzusetzen ist, ergibt sich aus § 88 BSHG. In § 115 Abs. 1 ZPO ist geregelt, ob und in welchem Ausmaß der Einsatz von Einkommen zum Bestreiten von Prozesskosten zugemutet
werden kann.
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Kommen nach der anzustellenden Berechnung einkommensabhängige Ratenzahlungen
oder vermögensabhängige Teilzahlungen in Betracht, so gilt dies nur dann, wenn die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten und die aus dem Vermögen aufzubringenden
Teilbeträge nicht übersteigen, § 115 Abs. 3 ZPO. Dabei ist es erforderlich, die Höhe der
voraussichtlichen Kosten zu prognostizieren.
Die Entscheidung über die Gewährung der Prozesskostenhilfe erfolgt ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, § 127 Abs. 1 ZPO.Im Falle der Bewilligung von PKH hat der
Beschluss eine Begründung nur zu enthalten, wenn sie die beantragende Partei belastet,
also PKH versagt oder nur mit Raten bewilligt wird. Im Falle der Versagung von PKH lautet
der Tenor:
Der Antrag des ... vom ... auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ist zu begründen, und zwar - wie auch sonst bei Beschlüssen - nicht mit
Tatbestand und Entscheidungsgründen, sondern im Rahmen von "Gründen", in denen die
die Entscheidung tragenden tatsächlich und rechtlichen Erwägungen zusammengefasst
sind.
Die Bewilligung von PKH hat folgende Wirkungen: Der Antragsteller wird von der Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten befreit, § 122 Abs. 1 Ziff. 1 a ZPO. Er braucht
also weder einen Verfahrenskostenvorschuss noch einen Vorschuss für die Kosten einer
Beweisaufnahme (z.B. Auslagen von Zeugen, Kosten eines Sachverständigengutachtens)
zu zahlen, § 14 Abs. 1 GKG. Auch wenn er entgegen der im Prozesskostenhilfeverfahren
gestellten Prognose mit seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unterliegt, darf
die Staatskasse etwa noch offene Gerichtskosten nicht gemäß § 29 Ziff. 1 GKG von ihm
erheben. Sie soll auch nicht den obsiegenden „reichen“ Prozessgegner als Zweitschuldner
in Anspruch nehmen, weil die Gerichtskostenlast sonst im Wege der Kostenerstattung
doch wieder die unterliegende „arme“ Partei träfe, § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Wie inzwischen das BVerfG entschieden hat, ist der „arme“ unterliegende Beklagte auch
nicht verpflichtet, dem „reichen“ obsiegenden Kläger aufgrund eines Kostenfestsetzungsbeschlusses Gerichtskosten zu erstatten, die der Kläger im Zusammenhang mit der Klagerhebung verauslagt hat. Dieser Entscheidung liegt die Überlegung zugrunde, dass die
vom Gesetzgeber eingeräumte Gerichtskostenfreiheit der unbemittelten Partei ungeachtet
ihrer Stellung als Kläger oder Beklagter zukommen müsse. Diese verfassungskonforme
Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 1 GKG hat zur Folge, dass dem obsiegenden Kläger ein
Anspruch auf Rückerstattung der von ihm verauslagten Gerichtskosten gegen die Staatskasse analog § 2 Abs. 5 GKG zusteht
An die Stelle der im Falle des Unterliegens zu tragenden Gerichtskosten treten die im
PKH-Beschluss angeordneten Ratenzahlungen sowie der danach zumutbare Einsatz des
Vermögens. Ist dem Rechtsuchenden Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt
worden, so ist die Gegenpartei aus Gründen der Waffengleichheit ebenfalls von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Gerichtskosten entbunden, §§ 122 Abs. 2, 125
Abs. 2 ZPO.
Die bedürftige Partei wird ferner von der Vergütungspflicht gegenüber dem beigeordneten
Rechtsanwalt befreit, § 122 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO. Der beigeordnete Rechtsanwalt erhält als
Ausgleich einen Anspruch auf Vergütung gegen die Staatskasse, § 45 Abs. 1 RVG. Die
aus der Staatskasse zu vergütenden Gebühren sind allerdings geringer als die Gebühren,
welche der Rechtsanwalt sonst berechnen darf, § 49 RVG.
Wenn aber durch die von der betreffenden Partei geleisteten Ratenzahlungen zunächst
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
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die Gerichtskosten und sodann die von der Staatskasse nach § 49 RVG gezahlte Vergütung gedeckt ist, erhält der Rechtsanwalt eine weitere Vergütung bis zur Höhe der Regelgebühren, § 50 RVG. Die von der Staatskasse nach § 49 RVG gezahlte Vergütung ist Teil
der Gerichtskosten, die die Staatskasse gegen den unterliegenden Gegner geltend macht,
§ 59 RVG.
Trotz all dieser Vorteile ist eine Klage nach Bewilligung von PKH für die bedürftige Partei
nicht ganz ohne Kostenrisiko. Denn nach § 123 ZPO hat die Bewilligung der PKH auf die
Verpflichtung, die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen, keinen Einfluss. Das bedeutet, dass die bedürftige Partei im Falle ihres Unterliegens jedenfalls die Anwaltskosten
tragen muss, welche ihrem Gegner entstanden sind. Eine großzügige Bewilligung von
PKH kann sich auf diese Weise als Bumerang entpuppen, weil der Gegner beim Zugriff
auf das Vermögen der bedürftigen Partei nicht an die Zumutbarkeitsgrenzen des § 115
Abs. 2 ZPO gebunden ist, sondern bis an die Grenzen des Existenzminimums pfänden
darf.
Die Anfechtung der Prozesskostenhilfeentscheidung
Gegen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts im PKH-Verfahren hat der
Antragsteller, grundsätzlich das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, soweit er beschwert ist, § 127 Abs. 2, 3 ZPO. Dies ist bei zurückweisenden Entscheidungen, bei Auferlegung von Ratenzahlungen bzw. dem Einsatz von Vermögen oder bei Ablehnung der
Beiordnung eines Rechtsanwalts der Fall.
Die Frist zur Einreichung der sofortigen Beschwerde beträgt (ausnahmsweise) vier Wochen ab Zustellung der PKH Entscheidung. Ist dem Antragsteller Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlung bewilligt worden, kann sich die Staatskasse beschweren, § 127 Abs. 3 ZPO.
Von diesem Beschwerderecht macht der zuständige Bezirksrevisor stichprobenhaft
Gebrauch.
Der Antragsgegner ist nie beschwert, weil das PKH-Verfahren nicht seinen Interessen zu
dienen bestimmt ist. Er hat demzufolge auch kein Anfechtungsrecht.
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
Version 2.2
Seite 76
Der vorläufige Rechtsschutz
Der vorläufige Rechtsschutz soll die verfassungsrechtlich garantierte (Art. 19 Abs. 4 GG;
Rechtsstaatsprinzip) Effektivität des Rechtsschutzes gewährleisten. Er bietet die Chance,
innerhalb kurzer Zeit eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken, mit der verhindert werden kann, dass vor Abschluss eines normalen Prozesses "vollendete Tatsachen" geschaffen werden. Er dient also einer schnellen allerdings dafür auch nur vorläufigen (Prognose-)
Entscheidung.
Der vorläufige Rechtsschutz ist mit dem Risiko behaftet, dem Gegner schadensersatzpflichtig zu werden, wenn das Ergebnis des summarischen Verfahrens einer späteren Überprüfung nicht standhält, § 945 ZPO. Die Höhe derartiger Schadensersatzpflichten kann
verheerend sein, etwa bei der Verhinderung der Auslieferung einer Tageszeitung. Nach
der neuen Rechtsprechung des BGH allerdings, gilt für den Richter auch bei Verkündung
einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes durch Beschluss das sogenannte
Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH Urt. v. 09.12.2004, Az III ZR
200/04, ausdrücklich anders noch BGH Z 10, 55 (60)). Nach diesem kommt eine Haftung
des Richters also nur dann in Betracht, wenn dessen Pflichtverletzung in einer Straftat besteht.
Überblick über die gesetzlichen Regelungen
Der vorläufige Rechtsschutz ist in §§ 916 ff. ZPO als fünfter Abschnitt des 8. Buchs der
ZPO (Zwangsvollstreckung) geregelt. Allerdings ist er keine besondere Form des Vollstreckungs-, sondern eine besondere Form des Erkenntnisverfahrens. Die Regelungen über
den vorläufigen Rechtsschutz sind dabei wie folgt gegliedert:
•
Vorschriften über den Arrest (§§ 916-934 ZPO).
•
Vorschriften über die einstweilige Verfügung (§§ 935-942 ZPO), die weitgehend auf
die Arrestvorschriften Bezug nehmen.
•
Regelungen, die für beide Formen des vorläufigen Rechtsschutzes gelten (§§ 943-945
ZPO).
In der Praxis allerdings spielt die einstweilige Verfügung die weitaus wichtigere Rolle als
der Arrest. Wichtige Sonderregelungen über den vorläufigen Rechtsschutz finden sich
•
für das Wettbewerbsrecht im UWG
•
für das Presserecht in den Pressegesetzen der Länder (hier: § 11 des Hamburgischen
Pressegesetzes betr. Gegendarstellungen)
•
für das Familienrecht in §§ 620 ff. ZPO.
Unterscheidung Arrest und einstweilige Verfügung
Ob das eine oder andere zu wählen ist, hängt von Art des zu sichernden Anspruchs ab.
Der Arrest (§ 916 BGB) sichert den Erfolg der beabsichtigten Zwangsvollstreckung wegen
einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs, der in eine Geldforderung übergehen
kann (z.B. als Schadensersatzforderung bei Nicht- oder Schlechterfüllung, d.h. im Ergebnis bei allen vermögensrechtlichen Ansprüchen, BGHZ 131, 95, 105).
Die Sicherung erfolgt in erster Linie durch Zugriff auf das gesamte Vermögen des Schuldners (dinglicher Arrest, §§ 917, 930 ff. ZPO), subsidiär auch durch Zugriff auf die Person
des Schuldners (persönlicher Arrest mit Freiheitsbeschränkungen wie Wegnahme von
Ausweispapieren, Meldepflicht, Hausarrest bis hin zur Haft, §§ 918, 933 ZPO).
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Teil 2: Prozessuale Sonderkonstellationen
Version 2.2
Seite 77
Die Vollziehung des Arrests führt nie zu einer Befriedigung des Gläubigers, sondern nur zu
seiner Sicherung. Bewegliche Sachen werden daher lediglich gepfändet, nicht aber versteigert (§ 930 ZPO). Eine Forderung wird ebenfalls nur gepfändet, nicht aber überwiesen
(§ 930 ZPO). Die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen kann entsprechend ausschließlich durch Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 932 ZPO: Arresthypothek) erfolgen.
Die einstweilige Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) kommt in allen anderen Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes in Betracht. Sie erlaubt grundsätzlich jede Maßnahme, die dem Gericht zur Erreichung des Sicherungszwecks erforderlich erscheint (§ 938 Abs. 1 ZPO). Das
Gesetz nennt zwei Unterformen der einstweiligen Verfügung, nämlich
•
Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO)
zur Sicherung eines Anspruchs, der nicht auf Geld, sondern auf eine andere Leistung (Individualanspruch) gerichtet ist, z.B. Sicherung eines Herausgabeanspruchs gemäß § 985
BGB durch Herausgabe an einen Sequester, d.h. an eine mit der Verwahrung und Verwaltung beauftragte Vertrauensperson, etwa einen Gerichtsvollzieher und
•
Regelungsverfügung (§ 940 ZPO)
zur Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses, z.B. unter ehemaligen Partnern einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft, unter Gesellschaftern, im Rahmen eines Vereins oder im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern.
Kennzeichnend für die Sicherungs- und Regelungsverfügung ist, dass durch ihren Erlass
die Hauptsache nicht vorweggenommen werden darf. Sie dient ebenso wie der Arrest nur
der Sicherung des status quo. Dadurch unterscheiden sich diese Eilanordnungen von der
durch die Rechtsprechung entwickelten dritten und praktisch wohl bedeutsamsten Form
der einstweiligen Verfügung, nämlich der
- Leistungsverfügung (§ 940 ZPO analog)
Bei der nämlich ist im Gegensatz zur Regelungsverfügung ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache erlaubt. Voraussetzung ist, dass bloß einstweiliger Rechtsschutz
dem verfassungsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes genügt, der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs also dringend angewiesen ist und die Interessen des Antragstellers die Nachteile überwiegen, die dem Antragsgegner durch den Erlass der Maßnahme drohen.
Bei der Leistungsverfügung geht es vor allem um folgende Fallgruppen:
Leistungsverfügung betr. Zahlung einer Geldsumme
Es muss eine Notlage gegeben sein, der nur durch Erlass einer einstweiligen Verfügung
begegnet werden kann, z.B. Beschaffung von Geld für den Lebensunterhalt, zur Erhaltung
der Gesundheit oder zur Abwendung bedeutender Vermögensschäden.
Leistungsverfügung betr. Unterlassung von Handlungen
Praktisch wichtiger Bereich: Wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten, Persönlichkeitsschutz;
Gedanke: Unterlassungsansprüche sind häufig so sehr zeitgebunden, dass unabhängig
davon, ob die einstweilige Verfügung ergeht oder nicht, in jedem Fall endgültige Zustände
geschaffen würden. Auch lässt sich drohende rechtswidrige Handlung nachträglich nicht
wiedergutmachen.
Leistungsverfügung betr. Herausgabe einer Sache
Ausnahmsweise darf im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die Herausgabe einer Sa-
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che an den Antragsteller selber (und nicht nur an einen Sequester, dann Sicherungsverfügung) erzwungen werden, wenn es sich um Besitzschutzansprüche wegen verbotener
Eigenmacht (§§ 861 f. BGB) handelt Begründet wird diese Möglichkeit damit, dass sich
bereits aus dem BGB (§ 863) die besondere Eilbedürftigkeit der Befriedigung dieser Ansprüche ergibt. Ferner wird auf § 940 a ZPO verwiesen: Wenn man mit einer einstweiligen
Verfügung im Falle der verbotenen Eigenmacht sogar Wohnraum herausverlangen könne,
müsse entsprechendes erst recht für andere Sachen gelten. Nachdem die verbotene Eigenmacht den Rechtsfrieden gewaltsam gestört hat, soll zuerst und sofort der alte Zustand
wiederhergestellt werden, bevor man über das bessere Recht zum Besitz streitet und entscheidet
Darüber hinaus wird die Herausgabe durch e. V. angeordnet werden können, wenn der
Gläubiger auf die betreffenden Sachen dringend angewiesen ist (z.B. Arbeitspapiere)
Praktische Bedeutung der Unterscheidung
Die Wahl der richtigen Verfahrensart (Arrest oder e.V.) ist wesentlich für die Zulässigkeit
des Antrags. Auch unterscheiden sich einige maßgebliche Verfahrensvorschriften.
Über die Einordnung einer einstweiligen Verfügung in die eine oder andere Kategorie hingegen kann man häufig fruchtlos streiten. Hiervon nämlich hängt praktisch nichts ab, die
Abgrenzung hat lediglich systematische Bedeutung. In der Praxis folgt hierzu daher auch
in der Regel keine Entscheidung
Die Voraussetzungen für eine Eilentscheidung
Allgemeine Voraussetzungen für den Erlass einer Eilentscheidung
Das Gericht prüft,
•
ob die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen dargetan sind
•
ob der Arrest- bzw. Verfügungsanspruch dargetan ist
•
ob der Arrest- bzw. Verfügungsgrund dargetan ist
•
ob die vorgenannten Voraussetzungen glaubhaft gemacht worden sind
•
bei einstweiligen Verfügungen: welche Anordnungen zur Erreichung des Rechtsschutzziels erforderlich sind
Zu: Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen
Folgende Besonderheiten sind zu beachten:
Vertretung des Antragstellers
Die Vertretung durch einen postulationsfähigen Anwalt ist nicht erforderlich, und zwar auch
nicht vor LG oder OLG (arg. §§ 920 Abs. 3, 78 Abs. 3 ZPO). Anwaltszwang besteht vor
dem LG und OLG allerdings, wenn im Eilverfahren mündlich verhandelt wird.
Bestimmtheit des Antrags
In dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz muss bestimmt angegeben werden, was der
Antragsteller begehrt, also insbesondere
• beim Arrest die Bezeichnung als dinglich oder persönlich sowie Grund und Höhe der
zu sichernden Forderung einschließlich Zinsen;
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Aber: In welche Vermögensgegenstände beim dinglichen Arrest vollstreckt werden soll, ist
grundsätzlich (Ausnahme: Forderungspfändung gemäß § 930 Abs. 1 Satz 3 ZPO) nicht
durch das Arrestgericht festzusetzen. Vielmehr kann der Gläubiger - wie bei anderen Titeln auch - bei der sich anschließenden Vollstreckung aus dem Arrestbefehl wählen, worauf er diese richten will.
Bei der einstweiligen Verfügung bedarf es einer genauen Bezeichnung des Rechtsschutzziels. Zu unbestimmt ist etwa der Antrag eines Verbots, den Gläubiger "nicht zu behindern". Durch welche Maßnahme das Rechtsschutzziel zu erreichen ist, muss allerdings
nicht im Antrag stehen. Es reicht also etwa die Formulierung:
„Es wird beantragt sicherzustellen, dass der Antragsgegner den Pkw (Marke, Zulassungsnummer, Fahrgestellnummer) bis zur Entscheidung über den Herausgabeanspruch des
Antragstellers nicht weiter benutzt und/oder veräußert.“
Anregungen können aber zweckmäßig sein. Wird eine Unterlassungsverfügung beantragt, so empfiehlt es sich dringend, gleichzeitig einen Antrag auf Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft zu stellen (§ 890 Abs. 2 ZPO; Tenorierung wie Gesetzeswortlaut), da eine Vollstreckung ohne vorherige Androhung unzulässig ist und ein erst
nach Erlass der einstweiligen Verfügung gestellter Antrag einen erheblichen Zeitverlust
bedeuten kann.
Zuständigkeit
Die Zuständigkeit ist geregelt
•
für das Arrestverfahren in § 919 ZPO
•
für das einstweilige Verfügungsverfahren in §§ 937 Abs. 1, 942 ZPO.
Danach ist für beide Verfahrensarten das Gericht der Hauptsache (§ 943 ZPO) zuständig.
Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht,
•
bei dem der Streit im normalen Prozess anhängig ist oder
•
anhängig zu machen wäre.
Die sachliche Zuständigkeit des Amts- bzw. Landgerichts als Gericht der Hauptsache ist
vom Zuständigkeitsstreitwert der Hauptsache, nicht vom i.d.R. niedrigeren (Gebühren-)
Streitwert für die einstweilige Verfügung abhängig.
Daneben kommt eine Zuständigkeit des sog. Amtsgerichts der Zwangsbereitschaft in Betracht, und zwar
•
beim Arrest wahlweise neben dem Gericht der Hauptsache
•
bei der einstweiligen Verfügung nur in dringenden Fällen, zu denen immer die Eintragung einer Vormerkung oder eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit des Grundbuchs gehören.
Amtsgericht der Zwangsbereitschaft ist
•
beim Arrest das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der mit Arrest zu belegende Gegenstand bzw. die in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränkende Person befindet
•
bei der einstweiligen Verfügung das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet.
Rechtsschutzbedürfnis
An einem Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass eines Arrests bzw. einer einstweiligen
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Verfügung fehlt es, wenn der Antragsteller bereits anderweitig hinreichend gesichert ist
(z.B. durch Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung, Pfandrechte, vgl. auch § 648 a
Abs. 4 BGB) oder der Antragsteller auf billigere und einfachere Weise zum Ziel gelangen
kann (z.B. wenn er bereits über ein ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Urteil verfügt).
Zu: Arrest- bzw. Verfügungsanspruch
Der Antragsteller muss schlüssig dartun, dass ihm der zu sichernde Anspruch zusteht.
Grundsätzlich entspricht die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach h.M dabei
derjenigen im ordentlichen Verfahren. Es ist also im Prinzip eine Schlüssigkeitsprüfung
hinsichtlich der Frage des bestehenden Anspruchs durchzuführen. Allerdings: Die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat keine bindende Wirkung für das
Hauptsacheverfahren. Denn ihr Streitgegenstand ist nur das Recht auf Sicherung, nicht
der Anspruch selbst.
Fehlt es an einem Arrest- bzw. Verfügungsanspruch, so ist der Eilantrag unbegründet. Besteht ein solcher Anspruch, kommt der Erlass prinzipiell in Betracht
Arrest- bzw. Verfügungsgrund
Hinzukommen muss allerdings beim Arrestverfahren die schlüssige Darlegung des Arrestgrundes (§§ 917, 918 ZPO) und bei der einstweiligen Verfügung des Verfügungsgrundes
(§§ 935, 940 ZPO). Dieser Grund liegt in einer besonderen Gefährdungslage, die eine Eilentscheidung ohne Abwarten der Hauptsache erfordert. Eine solche Gefährdungslage liegt
vor:
•
beim Arrest
wenn zu befürchten ist, dass ohne die Arrestanordnung die Zwangsvollstreckung vereitelt
oder wesentlich erschwert würde.
Dies wird z.B. angenommen wenn ein Urteil im Ausland außerhalb des Geltungsbereichs
der in § 917 Abs. 2 Satz 2 ZPO genannten Übereinkommen vollstreckt werden müsste
(etwa: Schuldner hat konkrete Maßnahmen getroffen, die Bundesrepublik zu verlassen)
oder wenn zu befürchten ist, dass Vermögenswerte – z.B. durch Verschwendung oder
Verschiebung - dem Zugriff der Gesamtheit aller Gläubiger entzogen werden. Ein Arrestgrund liegt auch vor bei Aufgabe des festen Wohnsitzes oder häufigem Wohnsitzwechsel
und bei Straftaten des Schuldners zum Nachteil des Gläubigervermögens.
Ein Arrestgrund liegt hingegen noch nicht vor bei schlechter Vermögenslage eines
Schuldners, solange keine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse droht (BGHZ
131, 95, 105), oder bei drohendem Zugriff anderer Gläubiger auf einen bestimmten Vermögensgegenstand. Der Arrest dient nämlich nicht einem Gläubigerwettlauf.
•
bei der einstweiligen Verfügung
liegt ein Verfügungsgrund vor, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies wird z.B. angenommen
•
bei konkret drohendem Verkauf von herauszugebenden Sachen
•
bei übermäßiger Nutzung von herauszugebendem Gegenstand, wenn nämlich durch
Nutzung eine so erhebliche Wertminderung herbeigeführt wird, dass es bei einer Voll-
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streckung des Herausgabetitels wirtschaftlich nichts mehr wert wäre
aber nicht schon:
•
bei Fortsetzung der bestimmungsgemäßen Nutzung eines vom Eigentümer überlassenen Gebrauchsgegenstands nach Wegfall des Nutzungsrechts (z.B.: Herausgabe von
Gewerberäumen nach Kündigung wegen Nichtzahlung der Miete)
Der im Wettbewerbsrecht entwickelte Gedanke der sog. Selbstwiderlegung lässt sich
auch auf andere Rechtsgebiete übertragen, d.h. ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller trotz ursprünglich bestehenden Regelungsbedürfnisses zu lange zugewartet
hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt. „Lange“ ist dabei relativ auszulegen,
nämlich unter Beachtung des das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren prägenden
Gedankens der besonderen Eilbedürftigkeit. An einem Verfügungsgrund kann es daher –
je nach Umständen des Einzelfalls – bereits dann fehlen, wenn der Berechtigte mit der
Antragstellung sechs Wochen abgewartet hat.
Zu beachten ist allerdings auch, dass In Ausnahmefällen die Darlegung eines Arrest- bzw.
Verfügungsgrundes vollständig entbehrlich ist. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich hier bereits
aus dem Anspruch selbst, Fallgruppen sind etwa:
•
bei einstweiligen Verfügungen betr. die Eintragung einer Vormerkung, z.B. für eine
Bauhandwerkersicherungshypothek, § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB
•
bei einstweiligen Verfügungen betr. die Eintragung eines Widerspruchs gegen die
Richtigkeit des Grundbuchs, § 899 Abs. 1 Satz 2 BGB
•
bei der Geltendmachung von Unterhalt für die ersten drei Monate nach der Geburt eines nichtehelichen Kindes nach § 1615 o Abs. 3 BGB
•
aus der Natur der Sache bei auf verbotene Eigenmacht gestützten Herausgabebegehren (LG Bremen, MDR 1989, 1111) und anderen Besitzschutzansprüchen; das Gesetz
lässt in § 863 ZPO nämlich erkennen, dass es die Befriedigung der Besitzschutzansprüche für besonders eilbedürftig hält.
Das Gericht darf unstreitig einen Eilantrag ohne Prüfung des Arrest- bzw. Verfügungsgrundes abweisen, wenn ohne weiteres festgestellt werden kann, dass es an einem Arrest- bzw. Verfügungsanspruch fehlt. Das gleiche gilt andersherum, es gibt hier keine
zwingende Prüfungsreihenfolge.
Glaubhaftmachung von Anspruch und Grund
Arrest- bzw. Verfügungsanspruch und Arrest- bzw. Verfügungsgrund müssen glaubhaft
gemacht werden (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO). Die Glaubhaftmachung (§§ 920 Abs. 2, 294
ZPO) erfordert einen geringeren Grad der richterlichen Überzeugung gegenüber dem vollen Beweis nach § 286 ZPO. Es muss keine an Sicherheit grenzende, sondern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens vorhanden sein (BGH
VersR 1976, 928, 929). Zusätzlich zu den Beweismitteln des Strengbeweises ist die Versicherung an Eides Statt zulässig (§ 294 Abs. 1 ZPO) und zwar sowohl von der Partei selbst
als auch von etwaig im Hauptverfahren in Betracht kommenden Zeugen.
Auswahl der zu treffenden Maßnahmen (Erforderlichkeit)
Die zu treffende erforderliche Maßnahme steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts,
insbesondere ist das Gericht nicht an den Wortlaut des Antrags des Antragstellers gebunden Allerdings sind diesem folgende Grenzen gesetzt:
•
Es darf nicht ein anderer Anspruch gesichert und nicht mehr zugesprochen werden als
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beantragt war.
•
Die Maßnahme darf (außer bei Leistungsverfügungen) nicht zur Befriedigung des
Gläubigers führen.
•
Es darf nichts angeordnet werden, was nicht im Wege der Zwangsvollstreckung vollzogen werden kann.
•
Die einstweilige Verfügung darf sich nur gegen den Schuldner und Antragsgegner richten; sie darf also weder in Rechte Dritter eingreifen noch Amtspersonen oder Behörden
bestimmte Amtshandlungen befehlen.
Ausnahme hiervon: Hat eine Eintragung in das Grundbuch, das Schiffsregister oder das
Schiffsbauregister zu erfolgen, so ist das Gericht befugt, das Grundbuchamt oder die Registerbehörde um die Eintragung zu ersuchen, § 941 ZPO
•
Von mehreren zulässigen und geeigneten Maßnahmen ist die kostengünstigste zu
wählen. Zur Sicherung von Herausgabeansprüchen stehen etwa die Möglichkeiten der
Sequestration durch einen Gerichtsvollzieher oder Rechtsanwalt, der amtlichen Verwahrung, z.B. in einem behördeneigenen Pfandhaus oder bei einem Spediteur, und
der Belassung beim Antragsgegner unter Ausspruch eines Veräußerungsverbots, gegebenenfalls mit Siegelung, zur Verfügung
Der prozessuale Ablauf des Eilverfahrens
Entscheidungsmöglichkeiten nach Eingang des Antrags
Grundsätzlich kommen bei einem Eilantrag zwei verschiedene gerichtliche Verfahrensweisen in Betracht:
(1)
Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung und womöglich sogar ohne
Anhörung des Antragsgegners sofort
Diese Möglichkeit besteht im Arrestverfahren immer (§§ 921 Abs. 1 ZPO), im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nur bei beabsichtigter Zurückweisung des Antrags oder in dringenden Fällen (§ 937 Abs. 2 ZPO).
(2)
Das Gericht beraumt kurzfristig (vgl. §§ 274 Abs. 3, 217, 226 Abs. 1 ZPO) Termin
zur mündlichen Verhandlung an.
Dem Antragsgegner wird dann mit der Ladung der Eilantrag zugestellt. Das Gericht
darf, muss aber nicht Zeugen zum Termin laden, auf die sich die Beweisführer in ihren vorbereitenden Schriftsätzen bezogen haben. Neue Tatsachen und Mittel der
Glaubhaftmachung können von beiden Parteien in den Prozess eingeführt werden.
Die Vorschriften über die Präklusion verspätet vorgebrachter Angriffs- und Beweismittel (§ 296 ZPO) sind nicht anwendbar! Sistierte (d.h. von den Parteien mitgebrachte) Zeugen sind zu hören! Vertagungen (§ 227 ZPO) oder Schriftsatznachlässe (§ 283 ZPO) sind nur ganz ausnahmsweise zulässig.
Die Entscheidung ergeht sodann nach mündlicher Verhandlung durch Endurteil (§§
922 Abs. 1, 936 ZPO).
Der Aufbau der Entscheidung im einstweiligen Verfahren
Rubrum
Zu beachten ist die richtige Parteibezeichnung im Beschlussverfahren: Antragsteller und
Antragsgegner, im Urteilsverfahren: (Arrest- bzw.) Verfügungskläger und (Arrest- bzw.)
Verfügungsbeklagter. Man spricht nicht von „Prozessbevollmächtigten", sondern von „Ver-
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fahrensbevollmächtigten".
Tenor
Bei der zurückweisenden Entscheidung lautet der Tenor:
Der Antrag vom .... auf Erlaß eines Arrestes/einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen
Der Antragsteller/Arrestkläger/Verfügungskläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Bei der stattgebenden Entscheidung muss der Tenor enthalten:
beim Arrest (sog. Arrestbefehl)
•
Bezifferung der zu sichernden Forderung (einschließlich geschätzter Höhe des Kostenerstattungsanspruchs)
•
Angabe, ob dinglicher oder persönlicher Arrest erlassen wird
Beispiel:
Wegen und in Höhe einer Werklohnforderung des Antragstellers/Arrestklägers gegen den
Antragsgegner/Arrestbeklagten aus dem Bauvertrag vom ... von 75.000,-- nebst .... Zinsen .... seit ... und einer Kostenpauschale von 6.000,-- wird der dingliche Arrest in das
Vermögen des Antragsgegners/Arrestbeklagten angeordnet.
•
bei der einstweiligen Verfügung
bestimmte Angabe der Anordnung gemäß § 938 ZPO
Beispiel:
Dem Antragsgegner wird verboten, die Behauptungen aufzustellen und zu verbreiten, der
Antragsteller kaufe gestohlene Kraftfahrzeuge an, fälsche die Fahrgestellnummern und
verändere den Tachostand, bevor er die Fahrzeuge weiterverkaufe.
Weiter ist gemäß § 91 Abs. 1 ZPO eine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners/Arrestbeklagten/Verfügungsbeklagten zu treffen.
„Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner / Arrestbeklagte / Verfügungsbeklagte
zu tragen.“
Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, wenn dem Antrag
entsprochen wird. Beschlüsse sind ohnehin stets vorläufig vollstreckbar (vgl. § 794 Abs. 1
Nr. 3 ZPO). Im Übrigen, also bei Urteilen, ergibt sich die vorläufige Vollstreckbarkeit aus
dem Wesen einer Eil- und Sicherungsmaßnahme ohne weiteres; Arrest und einstweilige
Verfügung sind schon kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbar.
Wird der Arrest bzw. die einstweilige Verfügung im Urteilswege hingegen abgelehnt, so ist
das den Antrag zurückweisende Urteil zusätzlich nach § 708 Nr. 6 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Gleichzeitig ist dem Arrest- bzw. Verfügungskläger Vollstreckungsschutz nach § 711 S. 1 ZPO zu gewähren.
Statt Sicherheitsleistung Lösungssumme bei Arrest
Der Arrestbefehl muss allerdings eine sog. Lösungssumme enthalten, also die Festsetzung eines Geldbetrags, durch deren Hinterlegung der Schuldner die Vollziehung des Arrest abwenden kann und der Schuldner zu dem Antrag auf Aufhebung eines vollzogenen
Arrestes berechtigt wird (§ 923 ZPO). Die Höhe der Lösungssumme wird nach der zu sichernden Forderung, Zinsen und einer Kostenpauschale bemessen. Die Aufhebung einer
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einstweiligen Verfügung gegen Sicherheitsleistung kann nur unter besonderen Umständen
gestattet werden, § 939 ZPO.
Die Anordnung bzw. Vollziehung sowohl des Arrestes als auch der einstweiligen Verfügung können indes von einer Sicherheitsleistung des Gläubigers abhängig gemacht werden (§§ 936, 921 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Eine solche Anordnung kommt z.B. in Betracht,
wenn zu befürchten ist, dass der durch die Eilmaßnahme zu erwartende Schaden des
Gegners besonders hoch sein wird oder die Vermögensverhältnisse des Gläubigers es
bezweifeln lassen, ob dieser etwaige Schadensersatzansprüche des Gegners erfüllen
kann.
Gründe
Die zurückweisende Entscheidung ist mit Gründen (im Beschlussverfahren) bzw. Tatbestand und Entscheidungsgründen (im Urteilsverfahren) zu versehen. Auch das stattgebende Urteil (also das nach mündlicher Verhandlung ergangene) enthält gemäß § 313
ZPO Tatbestand und Entscheidungsgründe. Der stattgebende Beschluss wird in der Praxis üblicherweise hingegen nicht begründet.
Zustellung der Entscheidung
•
Erfolgt die Eilentscheidung durch Urteil, so wird sie verkündet.
•
Im Beschlussverfahren gilt folgendes:
Die zurückweisende Entscheidung wird dem Antragsteller formlos mitgeteilt. Eine Zustellung an den Antragsgegner erfolgt nicht (§ 922 Abs. 3 ZPO). Die stattgebende Entscheidung wird dem Antragsteller bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigten zugestellt, und zwar
förmlich. Grund: Nachweis des Beginns der Vollziehungsfrist (s.u. Ziff. 4).
Das Vollstreckungsverfahren bei erwirkten Titeln im einstweiligen Verfahren
Die Vollziehung von Eilanordnungen ist in §§ 929 bis 934 ZPO besonders geregelt. Ergänzend ist auf die allgemeinen Vorschriften über die Zwangsvollstreckung zurückzugreifen, §§ 928, 704 ff. ZPO. Vollstreckungstitel ist der Arrestbefehl bzw. die einstweilige Verfügung. Eine Vollstreckungsklausel ist nur erforderlich, wenn die Vollziehung für oder gegen einen anderen als den in der Eilanordnung Bezeichneten erfolgen soll, §§ 929 Abs. 1,
936 ZPO.
Die Zustellung des Arrestbefehls bzw. der einstweiligen Verfügung an den Antragsgegner
erfolgt ausnahmsweise nicht von Amts wegen, sondern ist vom Antragsteller zu bewirken,
§§ 922 Abs. 2, 936 ZPO. Der Antragsteller hat dadurch die Möglichkeit, den Antragsgegner mit der Vollziehung zu überraschen und erst dann die stattgebende Entscheidung zustellen zu lassen, § 929 Abs. 3 ZPO. Dabei sind jedoch Fristen zu beachten:
Die Vollziehung des Arrestbefehls bzw. der einstweiligen Verfügung muss binnen eines
Monats seit der Zustellung (im Beschlussverfahren) bzw. Verkündung (im Urteilsverfahren) der Entscheidung erfolgen, § 929 Abs. 2 ZPO!
dabei genügt es, wenn innerhalb der Frist ein Antrag auf Zwangsvollstreckung an das
zuständige Organ gestellt wird (BGHZ 112, 356 ff.).
Die Zustellung an den Antragsgegner kann nach Vollziehung erfolgen, muss dann aber
spätestens binnen einer Woche nachgeholt werden und ebenfalls binnen der Monatsfrist erfolgen!
Bei Fristversäumnis verlieren Eilentscheidung und gegebenenfalls schon erfolgte Vollziehungsmaßnahmen ihre Wirkung! Ergeht die Eilentscheidung aufgrund mündlicher Ver-
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handlung in Urteilsform, so beginnt die Vollziehungsfrist mit der Verkündung des Urteils (§
929 Abs. 2 Alt. 1 ZPO), sonst mit Zustellung der Entscheidung an den Antragsteller.
Für die Vollziehung des Arrestes
•
in bewegliches Vermögen (§ 930 ZPO: nur Pfändung, keine Versteigerung)
•
in Forderungen (§ 930 ZPO: nur Pfändung, keine Überweisung)
•
in ein eingetragenes Schiff (§ 931 ZPO: nur Pfändung, keine Versteigerung)
•
in ein Grundstück (§ 932 ZPO: Arresthypothek, keine Versteigerung)
gibt es des Weiteren Sondervorschriften, die gewährleisten sollen, dass es – dem Zweck
des Eilverfahrens entsprechend – nur zu einer Sicherung, nicht aber zu einer Befriedigung
des Gläubigers kommt.
Rechtsbehelfe
Gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen
Verfügung im Beschlusswege kann der Antragsteller sofortige Beschwerde (§ 567 Abs.
1 Ziff. 2 ZPO) einlegen. Gegen ein entsprechendes Urteil (also nach mündlicher Verhandlung) ist die Berufung zulässig (§ 511 ZPO).
Wenn der Arrest bzw. die einstweilige Verfügung aufgrund mündlicher Verhandlung durch
Urteil erlassen (oder nach Widerspruch durch Urteil bestätigt) wurde, so kann der Antragsgegner Berufung einlegen. Gegen einen im Beschlussverfahren erlassenen Arrest
bzw. einstweilige Verfügung – also ohne mündliche Verhandlung - ist der Widerspruch
beim entscheidenden Gericht zulässig (§ 924 Abs. 1 ZPO).
Er ist - anders als die Berufung - nicht fristgebunden. Nach § 924 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist
der Widerspruch zu begründen. Es handelt sich aber nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Der Widerspruch hat keine die Vollziehung hemmende Wirkung. Der Antragsgegner kann aber beantragen, dass die Vollziehung ganz oder teilweise, gegen oder ohne
Sicherheitsleistung eingestellt wird (§§ 707, 924 Abs. 2 ZPO).
Das Gericht hat sodann grundsätzlich mündliche Verhandlung anzuberaumen, § 924
Abs. 2 Satz 2 ZPO und zwar – was sich wieder aus der Natur der Sache ergibt – so
schnell wie möglich. In der mündlichen Verhandlung werden dann Arrest- (Verfügungs-) anspruch und Arrest- (Verfügungs-) -grund in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht neu
überprüft. Zum Beweis ist die Glaubhaftmachung aufgrund der präsenten Beweismittel
möglich und zulässig. Es werden also praktisch diejenigen Erwägungen nachgeholt, die
bei einer mündlichen Verhandlung vor Erlass des Arrestes bzw. der einstweiligen Verfügung angestellt worden wären. Allerdings kommt es darauf an, ob die Eilmaßnahme nach
jetzigem Stand gerechtfertigt ist, nicht, ob sie ursprünglich gerechtfertigt war.
Die Entscheidung ergeht in Form eines Endurteils (§ 925 Abs. 1 ZPO), das den in § 925
Abs. 2 ZPO beschriebenen Inhalt haben kann. Bleibt es durch dieses bei dem Arrestbefehl
bzw. der einstweiligen Verfügung, so wird diese bestätigt und der Beklagte hat auch die
weiteren Kosten zu tragen. Der Tenor lautet etwa:
„Die einstweilige Verfügung vom ... (die am ... angeordnete e.V.) wird bestätigt. Die weiteren Kosten des Verfahrens hat der Verfügungsbeklagte zu tragen.“
Es erfolgt auch hier kein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit! Erweist sich der
Antrag auf Erlass des Arrests / der einstweiligen Verfügung als unzulässig oder unbegründet, wird der Arrestbefehl / die einstweilige Verfügung aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen:
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„Die einstweilige Verfügung / der Arrestbefehl vom ... wird aufgehoben. Der Antrag des
Verfügungsklägers / Arrestklägers vom ... auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung / auf
Anordnung eines Arrests wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungskläger / Arrestkläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger / Arrestkläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. ... abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte / Arrestbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.“
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach den §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO (falls nicht
berufungsfähig, gilt § 713 ZPO). Die Höhe der Sicherheitsleistung bemisst sich bei einem
Arrest und den einstweiligen Verfügungen, die mit Vollstreckungsmaßnahmen verbunden
sind, nach dem Wert der aufgehobenen Hauptsache und der Höhe der gegen den Kläger
vollstreckbaren Kosten; dies folgt daraus, dass der Kläger mit der Sicherheitsleistung die
Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen (§ 775 Nr. 1 ZPO) muss abwenden können.
Anders ist die Sachlage bei einstweiligen Verfügungen, die lediglich Gebote oder Verbote
zum Gegenstand haben; diese treten mit der aufhebenden Entscheidung von selbst außer
Kraft (§ 717 Abs. 1 ZPO), so dass sich die Abwendungsbefugnis nicht hierauf, sondern nur
auf die Vollstreckung der Kosten beziehen kann.
Der Arrest / die einstweilige Verfügung kann auch teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben werden. Die Tenorierung ergibt sich dann aus einer Kombination der beiden oben
beschriebenen Fallkonstellationen, etwa:
„Die e.V. vom ... wird bestätigt, soweit dem Verfügungsbeklagten verboten worden ist, ....
Im Übrigen wird die e.V. aufgehoben und der Antrag des Verfügungsklägers vom ... auf
Erlass einer e.V. zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungsbeklagte zu ...% und der Verfügungskläger
zu ...% zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung i.H.v. ... abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.“
Alternativ hat der Antragsgegner die Möglichkeit, vom Arrest- oder Verfügungsgericht die
Anordnung zu verlangen, dass der Antragsteller binnen einer in der Anordnung zu bestimmenden Frist Klage in der Hauptsache zu erheben hat (§ 926 Abs. 1 ZPO). Er wird
dies tun, wenn er im Hauptverfahren bessere Erfolgs- und Beweischancen sieht als im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Die Anordnung ergeht durch den Rechtspfleger (§ 20 Nr. 14 RPflG).
Kommt der Antragsteller der Aufforderung nicht fristgemäß nach, so ist auf Antrag des Antragsgegners Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, in dem der Arrest bzw.
die einstweilige Verfügung durch Endurteil aufzuheben ist (§ 926 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsgegner kann die gerichtliche Entscheidung aber auch zunächst akzeptieren
und gegebenenfalls später (z.B. wegen versäumter Vollziehungsfrist, aufgrund seines Erbietens zur Sicherheitsleistung, nach einer ihm günstigen rechtskräftigen Entscheidung in
der Hauptsache) Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände stellen (§ 927 ZPO).