Museumsdorf

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Museumsdorf
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Museumsdorf
Museumsdorf
Bayerischer
Wald
Bilder: Museumsdorf/Blockhome
Blockhausdorf am Dreiburgensee
Bayerns Holzbautradition ist in einem der größten Freilichtmuseen Europas präsent.
V
Der Gebäudebestand des Museumsdorfes wuchs Jahr um Jahr stetig an. Basierend auf der damals aufsehenerregenden
Rettungsaktion für die alte Mühle ereilten
das Ehepaar Höltl zahlreiche Anfragen:
Aus der gesamten Region meldeten sich
Besitzer von beachtenswerten historischen
Holzbauten, die sie zum Erhalt dem Museum übergeben wollten. Das Museum
war als ‘echtes’ Dorf konzipiert und nahm
über die Jahre kontinuierlich Gestalt an.
Heute kann der geneigte Besucher auf einer Fläche von 20 Hektar stattliche 150 historische Bauobjekte besichtigen, allesamt
im Originalzustand aus der Zeit von 1580
bis 1850.
60.000 Einzelstücke
Zu den Gebäuden gesellen sich rund
60.000 Objekte, bestehend aus bäuerlichem Hausrat, Mobiliar, Handwerksgeräten, Werkzeugen, religiösen Artefakten und
Regelmäßig ist die
Backstube in Betrieb
▲
or 37 Jahren errichtete der heimatverbundene Reiseunternehmer
Georg Höltl am malerischen Dreiburgensee im Landkreis Passau ein Ausflugshotel. Vor Ort erspähte er die zum
Abriss freigegebene, 500 Jahre alte Rothaumühle und beschloss, dieses architektonische Kunstwerk vor der Zerstörung zu retten. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Centa
erwarb er das massive Holzgebäude und
veranlasste seine originalgetreue Restaurierung. Zwei Jahre später präsentierte man
die Mühle der Öffentlichkeit als neues
Heimatmuseum – dies war der Startschuss
zum ‘Museumsdorf Bayerischer Wald’.
Denn fortan machten es sich Höltls zur
Lebensaufgabe, von Verfall und Abriss bedrohte, historisch wie bautechnisch wertvolle Gebäude nebst Gerätschaften und
Hausrat für die Nachwelt zu erhalten.
150 Blockhäuser aus vier Jahrhunderten
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Museumsdorf
Tradition erfahren
Krankenwagen
Leichenwagen
Beil und Kreuz als Zimmererzeichen
einem Pfettendach und Schindeleindeckung giebelseitig erschlossene Holzhaus hat in seiner über dreihundert Jahre
dauernden Nutzung recht unterschiedlichen Zwecken gedient. Die ursprüngliche
Gemeinde- und Pfarrschule wurde auch
als Rathaus, Gefängnis und später als
Wohnhaus genutzt.
Vielfalt der Handwerksberufe
Die vielen Utensilien
machen die Räume lebendig
lands, die einst als Schul- und Marktschreiberhaus der Gemeinde Simbach bei
Landau gedient hatte und 1977 ins Museum übertragen wurde. Das in Blockbauweise im Jahre 1670 fertiggestellte und mit
Der begehbare Schornstein
mit Räucherkammer
Älteste Volksschule Deutschlands
Die Gebäude im Museumsdorf stammen
aus dem gesamten Bayerischen Wald. Dieses waldreiche Mittelgebirge erstreckt sich
von der Donauebene Niederbayerns bis
zum Böhmerwald, vom Wegscheider Land
über das angrenzende österreichische
Mühlviertel bis zum Oberen Bayerischen
Wald bei Cham. Besondere Erwähnung
verdient die älteste Volksschule Deutsch-
Über dreieinhalb Jahrzehnte leistete
die Familie Höltl akribische und beharrliche Arbeit, um über Jahrhunderte tradiertes Fachwissen der Handwerksgilden
und einzigartige Artefakte einer bäuerlichen Subsistenzwirtschaft zusammenzutragen. Die Holzgebäude, die aus dem
gesamten Bayerischen Wald stammen,
mussten Stück für Stück, Balken für Balken ab- und im Museum wieder aufgebaut werden. Hierbei wurde mit größter
Sorgfalt und mit viel Liebe zum Detail
vorgegangen. Sämtliche Einzelteile der
Blockhäuser – Balken, Bretter, Türen,
Fenster, markante Steine – wurden vor
dem Abbau genau erfasst und fotografisch festgehalten.
Freudige Begegnung
von Jung und Alt
Beton für die Eichenschwellen
Über jedes Gebäude wurde im Zuge seines Abtransports vom
Originalstandort bis
zum Wiederaufbau im
Museumsdorf ein Film
erstellt. Erfahrene
Meister ihres Faches
leiteten die komplexen
Bautätigkeiten und
wendeten hierbei traditionelle Bau- und
Handwerkstechniken der alten Zeit an. Besondere Aufmerksamkeit schenkte man
den uralten ersten Balkenlagen aus Ei-
Warmwasserbecken an
der Ofenrückwand
chenholz, die wegen ihres direkten Kontakts zum Erdreich immens wichtig waren. Die Schweller mit über 50 Zentimeter
Stärke sind fast unverwüstlich.
Kachelofen mit Kochplatte
und Backfächern
▲
Kleidungsstücken. Diese Gegenstände sind
nach Funktionalität geordnet und in den
entsprechenden Gebäuden ihrer vormaligen Nutzung zur Ansicht aufbereitet worden. In insgesamt 18 Dauerausstellungen,
von den ‘Fuhrwerken aus alter Zeit’ über
die ‘Utensilien zum Brotbacken’ bis zu
den ‘Zeugnissen der Volksfrömmigkeit’,
lebt hier die vorindustrielle bayerische
Siedlungs-, Wirtschafts- und Holzbaugeschichte weiter fort.
Am Beispiel der alten Schule und ihrer
abwechslungsreichen Geschichte zeigt sich
auch die Vielfalt dieser ländlichen Lebensgemeinschaften. Über 40 verschiedene Handwerksberufe wurden in den Dörfern ausgeübt. Tagelöhner lebten neben
Groß- und Kleinbauern, an den Höfen
dienten Mägde, Knechte und Dienstboten
und nirgends fehlten Pfarrer, Lehrer, Richter und Dorfmedici.
Imposante einteilige Eichenschwelle
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Museumsdorf in
der Wintersonne
Museumsdorf
mitmachen …
Die älteste Volksschule
Deutschlands von 1670
Unterbau einer Putzdecke
Hartholzsplinte
halten den Putz
Herrgottswinkel
Schulraum
Töpferausstellung
tung und Steinaufschüttungen befestigt. Zudem wurden die Gebäude nicht nur in den
Kontext ihrer vormaligen Bewirtschaftung
gesetzt, sondern auch in exakt der alten
Himmelsrichtung wieder aufgebaut. Hammerschmieden und Mühlen bekamen
gemäß ihrer ursprünglichen Nutzung folglich einen Platz am Bach oder in der Nähe
des Dreiburgensees zugewiesen.
Einmaliges Häuser-Ensemble
Speckstein-Druck
Reise auf historischen Pfaden
Orientierung am Dorfcharakter
Grundidee, Plan und Leitbild des Museumsdorfes folgen der Überzeugung, ein
möglichst authentisches Bild des alten bäuerlich-handwerklichen Daseins in einer
historischen Dorfgemeinschaft darzustellen. Da die einzelnen Gebäude überwiegend alten Ortschaften, Weilern und kleineren Siedlungsverbänden entstammen,
orientierte man sich bei der Anordnung
im Museum an den Dörfern des bayerischen Waldes des 16. bis 19. Jahrhunderts.
Zudem zog man wissenschaftlich belegte
Überlieferungen und Schriften zu Rate,
studierte alte Kupferstiche und Fotografien
und erfasste die mündlich weitergegebenen
Berichte einstiger Zeitzeugen.
Die Besucher des Museumsdorfes erleben eine spannende Zeitreise. Schon der
Weg durch die Anlage lässt sie auf wahrhaft
historischen Pfaden schreiten – denn diese
wurden gemäß den recherchierten Wegebautechniken einzig durch BodenverdichHistorische Wohnstube
Die Art und Weise, in der im Museumsdorf Bayerischer Wald die vorindustrielle
ländliche Kultur lebendig gehalten wird,
schafft ein wohl weltweit einmaliges Ensemble: Massive Block- und Holzständerbauten unterschiedlichster Form und Nutzung bilden mehr als ein vollständiges
Dorf und lassen in der gebotenen Vielfalt
kaum Wünsche offen. Hier warten ganze
Bauernhöfe, Scheunen und Sägewerke,
Mühlen, Dorf- und Wegekapellen, Backstüberl, Flurdenkmäler, Wohnhäuser, Getreidekästen und Saatgutbatterien auf die
interessierten Besucher. In Tittling kann
sich der Gast auf eine Reise in die Vergangenheit aufmachen und mag sich über
die enge Verbindung des damaligen Lebens mit dem Blockhaus wundern.
… und lernen
Erstaunliche Geschichten
Spannend ist die Geschichte des heimgekehrten Soldaten aus dem NapoleonFeldzug, der geschworen hatte, eine Kapelle zu bauen, so er gesund heimkehren
würde. Gut erhalten und farbenfroh ist dieses Mahnmal im Museum ein Kleinod.
Hier und da sieht man, dass man schon
früher weiße Wände in einem Blockhaus
kannte. Stellenweise sind die Wandputze
geöffnet, um den Aufbau zu dokumentieren. Strohmatten unter der Decke oder
Hartholzsplinte, die in die Wand getrieben wurden, fixieren den Kalkputz auf dem
Holz. Vorzugsweise wurde die gute Stube
gekalkt. Denn in einer schlichten Zimmerecke befand sich der Herrgottswinkel
mit Christkreuz.
Mahnmal des Napoleonkrieges
Märkte, Theater und Handwerkskurse
Komplettiert wird die Zeitreise durch historische Bauernmärkte, Theater- und Konzertaufführungen, Lesungen, Kunstausstellungen und Kurse für traditionelles Handwerken wie Filzen und Töpfern, die die
ganze Saison stattfinden.
Das Museum und seine zahlreichen Ausstellungen wie auch das eindrucksvolle
Gasthaus ‘Mühlhiasl’ von 1760 ist von
Palmsonntag bis Oktober geöffnet. Im Winter machen sich die Museumsfachleute ans
Werk, die Objekte zu pflegen, neue Veranstaltungen zu planen und weitere AusBH
stellungen ins Leben zu rufen.
Napoleonkapelle von innen
Ausstellung zum
30-jährigen Jubiläum
Weitere Informationen
Museumsdorf Bayerischer Wald
Herrenstraße 11
D-94104 Tittling
Telefon 0049-(0)8504-8482
Internet www.museumsdorf.com

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