Schizophrenie

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Schizophrenie
Schizophrenie
Quelle:
Wolfgang Gaebel
(Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der Heinrich-Heine-Universität / - LVR-Klinikum Düsseldorf -)
Inhalte
Krankheitsbild
Symptomatik
Diagnostik
und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
Inhalte
Krankheitsbild
Symptomatik
Diagnostik
und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
Das Krankheitsbild
„Schizophrenie“
was Schizophrenie nicht ist:
Schizophrenie ist keine Persönlichkeitsspaltung
(nicht mehrere - multiple - Persönlichkeiten)
Schizophrenie ist kein unheilbarer, fortschreitender,
zum völligen geistigen Abbau führender Prozess
Schizophrenie ist keine Willensschwäche
An Schizophrenie Erkrankte sind nicht primär
unberechenbar, unzurechnungsfähig und gefährlich
Schizophrenie ist nicht ansteckend
Das Krankheitsbild
„Schizophrenie“ I
Schizophrenie bedeutet „Spaltung des Geistes“
Form der Psychose (psychische Störungen mit
Verlust des Realitätsbezuges)
Dazu zählen:
schizophrene Psychosen
(Schizophrenie,
schizoaffektive Störungen)
affektive Psychosen
(Depression, Manie,
manisch-depressive Störung)
organische Psychosen
(z.B. Delir)
Das Krankheitsbild
„Schizophrenie“ II
Erkrankungen des Gehirns mit Störungen bei der
Übertragung und Verarbeitung von Nervenimpulsen.
Dies kann u.a. dazu führen, dass
Sinneseindrücke falsch verarbeitet werden,
Denk- und Konzentrationsstörungen auftreten,
es zu „Ich-Störungen“ kommt,
emotionale Störungen auftreten.
Schizophrene Wahnthemen
Stompe T.,
Journal für
Neurologie,
Neurochirurgie
und Psychiatrie
2008
Inhalte
Krankheitsbild
Symptomatik
Diagnostik
und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
Schizophrenie: Symptomatik I
Halluzinationen = Wahrnehmungen von objektiv
nicht vorhandenen Reizen / Objekten
z.B. dialogisierende oder kommentierende Stimmen
Wahn = unkorrigierbar falsche Überzeugung
von der Realität
z.B. Verfolgungswahn, Beziehungswahn
Denkstörungen = Störung des Denkablaufs
z.B. Gedankenabreißen, Vorbeireden, zerfahrenes
Denken
„Ich-Störungen“ = Störung der „Ich-Umwelt-Grenzen“
z.B. De-realisation / De-personalisation, Gefühl
der Gedankeneingebung / des Gedankenentzugs
Schizophrenie: Symptomatik II
Störungen der Affektivität (Parathymie)
= Affekte die nicht dem Denkinhalt entsprechen
oder entgegengesetzt sind
z.B. Gefühlsarmut, läppisches Verhalten,
aggressive Gespanntheit, Misstrauen, Angst
Störung des Antriebs, der Psychomotorik
und des Sozialverhaltens
z.B. Interesseminderung, sozialer Rückzug,
Agitiertheit (Unruhe, gesteigerte körperliche
Erregbarkeit), gesteigerte Erschöpfbarkeit,
Verwahrlosungstendenz
Schizophrenie: Symptomatik III
Störungen in kognitiven Prozessen
(Abläufe der Informationsaufnahme,
-verarbeitung, -speicherung):
Aufmerksamkeit und Wahrnehmung
(Aufnahme und Interpretation von Reizen)
Problemlösen und Planen (exekutive Prozesse)
(Informationsverarbeitung)
Lernen und Gedächtnis
(Erwerb von Wissen,
Speicherung von Informationen)
Schizophrenie: Symptomatik IV
Störung in sozial-kognitiven Prozessen
(Abläufe die der sozialen Interaktion zugrunde liegen)
Soziale Wahrnehmung
(Interpretation von sozialen Situationen)
Affektdekodierung
(Interpretation von mimischem
und prosodischem(1) Affektausdruck)
Empathie
(Fähigkeit, sich in die Gedanken
und die Gefühle von anderen Menschen
hineinversetzen zu können)
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Krankheitsbild
Symptomatik
Diagnostik
und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
Diagnose „Schizophrenie“
Schizophrenie wird klinisch anhand der Symptomatik
- dem Vorhandensein von „Leitsymptomen“ - gestellt
(internationale Diagnosesysteme: ICD-10(1), DSM-IV(2))
Leitsymptome: u.a. dialogisierende oder kommentierende
Stimmen, Wahnwahrnehmungen
Symptomatik muss für eine gewisse Dauer bestehen
(mindestens 4 Wochen nach ICD-10)
Symptomatik darf nicht auf eine andere Erkrankung als
Ursache zurückzuführen sein (z.B. auf hirnorganische
Erkrankung, toxisches Geschehen)
Zusätzlich Differentialdiagnose zu anderen Psychosearten
erforderlich
Vorkommen
Lebenszeitprävalenz (Anzahl der Erkrankungsfälle)
ca. 1% der Bevölkerung betroffen (d.h. ca. 800.000
Menschen in Deutschland erkranken mindestens
einmal im Leben an einer schizophrenen Psychose)
Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungsfälle innerhalb einer
bestimmten Zeitspanne)
jährlich ca. 13.000 Neuerkrankungen in Deutschland
Erkrankungsbeginn
meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr
auch nach dem 40. Lebensjahr möglich (v.a. Frauen)
Erkrankungsrisiko
kein Geschlechterunterschied,
aber Männer erkranken oft früher als Frauen
Altersverteilung für Erstaufnahmen
nach Geschlecht
Patienten (%)
30
Weiblich
Männlich
20
10
12-14
15-19
20-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
Altersgruppen (Jahre)
Häfner et al. (1993)
Erste psychotische Episode
ungleich Erkrankungsbeginn
ca. 5 Jahre Prodromalstadium
(Stadium der Frühsymptome) vor Erstmanifestation
Unterscheidung psychoseferne
und psychosenahe Symptome
Verzögerter Behandlungsbeginn:
oft erst mehr als 1 Jahr nach dem ersten
manifesten Positiv-Symptom,
z.T. Jahre nach dem Auftreten
erster Symptome
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und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
URSACHEN
Komplexes ungeklärtes Ursachenkonstrukt:
Biologische Anlage
(Disposition, Vulnerabilität (seelische Verwundbarkeit))
Genetische Veranlagung / familiäre Erkrankungen
Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
sonstige frühkindliche Hirnschädigungen
+ Psychosozialer Stress
kritische / traumatische Lebensereignisse
emotional überreagierendes Umfeld
sonstiger (sozialer) Stress
+ Fehlen wirksamer Stressbewältigung
Erkrankung des Gehirns
Vulnerabilitäts-StressBewältigungsmodell I
Vulnerabilitäts-StressBewältigungsmodell II
Lebensphasen
vorgeburtlich
Risikofaktoren
gestörte
Funktionsfähigkeit
Gene
Geburt
Komplikationen
Genetischkonstitutionelle
Prädisposition
Kindheit
Jugend u. Adoleszenz
Drogenkonsum
emotionale
sozialer Stress usw.
Traumata
akute
Erkrankung
Prodromalstadium
Chronifizierung
Besserung
Erkrankungsschwelle
gesunde
Funktionsfähigkeit
Stress
Vulnerabilität
Psychosoziale Ebene
Biologische Ebene
Risikofaktor „Cannabis“
Cannabis wird zunehmend
früher und extensiver
konsumiert
fällt damit in eine kritische
Phase der Hirnentwicklung
männliche CannabisKonsumenten
entwickeln früher erste
Symptome
sind bei der ersten
psychotischen Episode jünger
D. Veen et al.
(2004)
Risikofaktor „Vererbung“ I
(Schizophrenie ist keine reine Erbkrankheit)
1%
2%
Lebens4%
langes
Risiko
13%
für
Schizophrenie 17%
Allgemeinbevölkerung
Onkel/Tanten
Verwandte 2. Grades
Neffen/Nichten
Geschwister
Verwandte 1. Grades
Zweieiige Zwillinge
Eineiige Zwillinge
48%
10
20
30
40
50
Erkrankungsrisiko in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad
Risikofaktor „Vererbung“ II
(Schizophrenie ist keine reine Erbkrankheit)
Biologische Faktoren führen zu Störungen
im Gehirn bzw. der Hirnentwicklung
Schizophrenie als Störung des Gehirns
Anatomische Befunde:
geringe Erweiterung der inneren Hirnkammern
sowie der Furchen des Stirn- und Schläfenhirn
Anomalien der Zellanordnung im Schläfenhirn
z.T. Fehlen der normalen Strukturasymmetrie
Risikofaktor „Vererbung“ III
(Schizophrenie ist keine reine Erbkrankheit)
biochemische Befunde:
Überaktivität im Dopamin-Überträgerstoffsystem
Unteraktivität im GlutamatÜberträgerstoffsystem
Ungleichgewicht in bzw. zwischen
verschiedenen Überträgerstoffsystemen
funktionelle Befunde:
Minderaktivität (v.a. im Stirnhirn) bei bestimmten
kognitiven Aufgaben
Diagnose Schizophrenie:
Daten und Fakten
Psycho-sozialer (oder auch biologischer) Stress
führt zu einer Überlastung eines schon
geschwächten Systems
kritische / traumatische Lebensereignisse
emotional überreagierendes Umfeld
Überforderungen im familiären oder im Berufsleben
Überforderungen in Zusammenhang mit Übergang
zu eigenständiger Lebensführung (Berufswahl,
Partnerwahl, eigene Wohnung,
)
früher und extensiver Drogenkonsum
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Symptomatik
Diagnostik
und Vorkommen
Ursachen
Verlauf, Behandlung
und Prognose
Verlaufstypen
schizophrener Störungen
Nur eine Episode,
kein Residuum
Mehrere Episoden mit
keinem oder minimalem
Residuum
Residuum nach der ersten
Episode mit
Exazerbationen, ohne
Rückkehr zur Normalität
Mit jeder Episode
zunehmendes Residuum,
ohne Rückkehr zur
Normalität
(%)
20
33,5
8,5
38
Watt et al. (1983)
Behandlung orientiert sich
am Krankheitsverlauf
Frühintervention
Ersterkrankung
Rückfallverhütung
Langzeittherapie
an der Response (Therapieansprechen)
an der Compliance (Bereitschaft zur Mitarbeit)
Die Rückfallwahrscheinlichkeit und der weitere
Verlauf hängen stark von der Behandlung
(-sbereitschaft) ab!
Behandlung
Die Therapie besteht aus mehreren Bausteinen:
Pharmakotherapie (Antipsychotika) Verhinderung
der Rückfälle
Psychotherapie
Soziotherapie
Prognose
Eine ungünstige Verlaufsprognose begünstigen:
früher, schleichender Erkrankungsbeginn
initial vorherrschende Negativsymptomatik
soziale Isolation
schlechte Anpassung und berufliche
Desintegration bereits vor dem Ausbruch der
Erkrankung
Notwendigkeit häufiger und längerer stationärer
Aufenthalte bereits in den ersten Stadien der
Erkrankung und Substanzmissbrauch (Alkohol,
Drogen, Nikotin)
Begleiterkrankungen
und Lebenserwartung I
Psychische Begleiterkrankungen
hohe Komorbidität (Begleiterkrankungen) mit
Suchterkrankungen (79-90% Nikotinabhängigkeit, bis zu
50% Alkohol- oder Tablettenmissbrauch oder abhängigkeit, 20-40% illegale Rauschmittel) und
Depressionen
Körperliche Begleiterkrankungen
bis zu 80% behandlungsbedürftige somatische
Erkrankungen bei stationär behandelten Patienten
bis zu 40% bei ambulanten Patienten
in knapp 50% verschlechtern sie den psychischen
Zustand
Begleiterkrankungen
und Lebenserwartung II
Sterberisiko erhöht
hohe Selbsttötungsrate von 10–15%
hohes Risiko für kardiovaskuläre und
metabolische Erkrankungen
Psychosoziale Folgen I
Psychische Folgen
hohe psychische Belastung
(auch für Angehörige)
Störungen der Kommunikationsund Kontaktfähigkeit
Kognitive Leistungseinschränkungen
Einschränkungen in der Selbstversorgung
und bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben
Psychosoziale Folgen II
Störungen der sozialen Rollenerfüllung
häufige Frühberentung in deutlich jüngerem
Alter als andere, die aus Gesundheitsgründen
früh berentet werden
hohe Arbeitslosenrate
Unterstützungsbedarf durch Herkunftsfamilie
Soziale Integration wird durch
Funktionseinschränkungen, aber auch durch
Stigmatisierung und Diskriminierung behindert
Kosten
Schizophrene Psychosen gelten als die
kostenintensivste psychische Erkrankung
Sie beanspruchen 50% der Mittel für
psychiatrische Versorgungsleistungen
Direkte medizinische und rehabilitativ-soziale
Versorgungskosten machen nur 20-30% der Kosten
für Schizophrenie aus (ca. 3,5 Milliarden € / Jahr)
Indirekte Kosten (v.a. frühe Ausgliederung aus dem
Erwerbsleben, aber auch finanzielle
Sekundärbelastung von Angehörigen)
sind ca. 4-mal höher als die direkten Kosten
Zusammenfassung
Schizophrenie
ist individuell und bezüglich Symptomatik
und Verlauf sehr unterschiedlich
ist hinsichtlich der Ursachen sehr komplex
hat vielfältige, zum Teil schwerwiegende Folgen
ist in der Mehrzahl der
Fälle recht gut behandelbar
Früherkennung und
Frühintervention
verbessern die Prognose
Behandlungsstrategie