Gremels, Paul Gerhardt.pmd
Transcription
Gremels, Paul Gerhardt.pmd
Vorwort: Leuchtfeuer des Glaubens „Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl ...“ Wegen einer Ausführung zu diesem Vers fragte mich meine Verlegerin Anne Meiß, ob ich in dieser Art etwas zum 400. Geburtstag von Paul Gerhardt schreiben könne. Damit öffnete sie bei mir eine Quelle der Ideen und Inspirationen. Ich will und kann weder all seine Lieder auslegen noch seine ganzen Strophen erklären. Da wird es andere, Berufenere geben. Aber einzelne Verse herausgreifen, die mich auf meinem Lebensweg berührt haben oder die mich ins Nachdenken bringen, das traue ich mir zu. So liegt es nun vor: ein Buch zu einigen von Paul Gerhardts Liedern aus dem Evangelischen Gesangbuch, das „geflügelte Worte“, Verse und Bilder aus seinen Liedern meditiert. Doch wie dieses Buch nennen? Es ist ja weder eine Biographie noch eine Untersuchung über seine Lieder, geschweige denn eine Mischung von beidem. Anfangs wollte ich als Titel einen Vers aus seinen Liedern nehmen nach dem Vorbild anderer: „Geh aus mein Herz“ oder „Nichts nimmt mir meinen Mut“ oder „Fröhlich soll mein Herze springen“. Nein, das alles passt nicht zu dem, was mir als Gegenpol zu Paul Gerhardts Liedern so zu schaffen macht: die Gottesverdunkelung, die sich in der Wissensgesellschaft ausbreitet. Es passt auch nicht zu den vielen Zweifeln, die sein elementarer Glaube bei vielen Menschen heute auslöst. Es ist, als habe sich mit dem Fortschritt ein weiterer Kreis des Lebens aufgetan. Dorthin dringt das Licht Gottes aus den alten Quellen nur noch schwach. Da stieß ich auf das Wort Leuchtfeuer. „Zwölf Leuchtfeuer“ will die Evangelische Kirche in Deutschland bis 2030 entzünden, um sich für die Zukunft als „Kirche der Freiheit“ zu rüsten. Genau das könnten einzelne Verse und Bilder sein, die aus dem reichen Liedgut Paul Gerhardts aufblitzen: Leuchtfeuer in gottesdunkler Nacht! 7 Vorwort Leuchtfeuer: Sie geben Orientierung in der Finsternis, wie es in einem alten, mir vertrauten Kehrreim heißt: „Lasst die Küstenfeuer brennen, lasst sie leuchten weit hinaus, denn sie zeigen manchem Schiffer sicherlich den Weg nach Haus.“ Leuchtfeuer: Menschen kommen und gehen wie die Gezeiten im Meer. Aber die Leuchtfeuer bleiben und erfüllen unermüdlich ihre Aufgabe, auch 400 Jahre nach Paul Gerhardt: Sie weisen den Weg durch gefährliches Gewässer. Aus der Ferne sind sie zwar nur schwach zu sehen, aber je näher man ihnen kommt, desto heller strahlen sie. Leuchtfeuer: Sie blitzen nur kurz auf. Genauso wie die Auslegungen kurzer Verse und Bilder nur ein Aufblinken aus dem reichen Werk sein können, das uns Paul Gerhardt übergeben hat. Doch vielleicht wecken gerade diese Lichtblitze in der Dunkelheit unsere Aufmerksamkeit! Leuchtfeuer des Glaubens: Brauchen wir sie noch? Sie verblassen doch genauso wie Mond und Sterne in der Nachthelle unserer Stadtkultur. Sie sind längst überholt durch Satellitennavigation, Funkortung und Radar. Überholt, wie vielen auch Gott und der Glaube überholt zu sein scheinen. Dunkel ist es jedoch nach wie vor auf dieser Erde. Denn an Leid und Tod, an Krieg und Chaos, an Lug und Trug ist die Welt nicht ärmer geworden. Leuchtfeuer des Glaubens: Wohlstand und Wissenschaft schieben solche elementaren Erfahrungen weit hinaus an den Rand des Alltäglichen. Man muss schon dorthin geraten, um die alten Feuer wieder aufblitzen zu sehen, um Gott und Glauben wiederzuentdecken. Solche Wege bis an die Ränder des Gewohnten und Vorgestellten verlangen die hier vorgelegten Meditationen: Dass jemand den Mut hat, sich an seine Grenzen zu wagen. Leuchtfeuer des Glaubens: Wer sich darauf einlässt, stößt dabei auf Befremdliches. Paul Gerhardts Gottesvorstellung mutet uns viel zu. Denn er nimmt nicht nur das Schöne, sondern auch das Schwere aus Gottes Hand. Nicht nur von der freundlichen, son8 Leuchtfeuer des Glaubens dern auch von der abweisenden Seite zeigt sich ihm Gott. So fern er von unseren heutigen Vorstellungen ist, so nahe ist er an denen der Bibel. Deswegen lässt sich da nichts glätten und schönen, ohne die Heilige Schrift als Ganze in Frage zu stellen. Leuchtfeuer Gottes: Nötiger denn je ist es, dass wir uns wieder an diese Mitte erinnern lassen, um die sich Kosmos und Geschichte drehen. Denn das wichtigste Feuer ist die leuchtende Liebe des Gottes, den wir Christen als Vater, Sohn und Geist bekennen. Daran lässt Paul Gerhardt aber keinen Zweifel. Gott ist das ens realissimum, d. h. das allerwirklichste Wesen. Um ihn dreht sich alles. Alles kommt von ihm, besteht in ihm und wird sich einmal zu ihm kehren. Leuchtfeuer entdecken: Dazu möchten die folgenden Meditationen anregen; Abstand zu nehmen, um alte Leuchtfeuer von neuem aufblitzen zu sehen; neugierig zu machen auf mehr von Paul Gerhardt, weil nur Weniges aus der barocken Fülle seiner Lieder herausgegriffen ist; herauszurufen aus dem Gewohnten, um durch das Befremdliche einen Weg zu Gott zu bahnen. Also erinnern will ich an den größten Dichter der lutherischen Kirche und zu eigenen Entdeckungsreisen verleiten. Für Anregungen und Korrekturen danke ich Dr. Ulrich Mitzlaff und meiner Frau Dorothea. Hermannsburg, im Dezember 2006 Georg Gremels 9 Einleitung Wer war Paul Gerhardt? „Am Fuß des Leuchtturms ist es dunkel.“ Dieses Sprichwort trifft auf das Leben Paul Gerhardts zu. Das Leuchtfeuer seiner Lieder gibt Menschen seit Jahrhunderten Orientierung und spendet vielen Trost. Aber von ihm selbst bleibt das meiste hinter seiner Dichtung verborgen. Der heimliche Wunsch, von seinem Leben auf sein Dichten zurückzuschließen, bleibt daher weitgehend verwehrt. Doch folgen wir kurz dem, was im Halbschatten der Überlieferung von ihm sichtbar wird. Paul Gerhardt wurde am 12. März 1607 in Gräfenheinichen zwischen Halle und Wittenberg geboren. Sein Vater Christian Gerhardt ist dort einer der drei Bürgermeister, außerdem Ackerbauer und Gastwirt. Seine Mutter Dorothea geb. Starcke – Tochter eines Superintendenten – stammt aus einer alten Pastorenfamilie. In der Herkunft seiner Eltern verbinden sich zwei Wurzeln, die sein Dichten ausmachen. Vom Vater hat er seine gesunde Naturbeziehung und Lebensfreude geerbt. Sie macht die Volkstümlichkeit seiner Lieder aus. Von der Mutter erbte er seinen tiefen, lutherischen Glauben und seinen Beruf als Pfarrer. Über seine Kindheit kann man nur Vermutungen anstellen. Paul gehört durch seine Familie zur führenden Schicht seiner Heimatstadt. Aber schon früh verliert er seine Eltern. 1619 stirbt sein Vater und 1621 seine Mutter. Mit vierzehn Jahren wird er Vollwaise wie sein älterer Bruder Christian und seine zwei jüngeren Schwestern Anna und Agnes. Offensichtlich gibt es genug Vermögen, um beide Söhne Paul und Christian auf die Lateinschule nach Grimma zu schicken. Von 1622 bis 1627 besucht Paul die dortige Fürstenschule. 1628 beginnt er in Wittenberg Theologie zu studieren. Nichts wissen wir über seinen inneren Werdegang: Wie fand er in den Glauben hinein? Wann wurde er sich seiner Berufung gewiss? Welche Lehrer und Freunde standen ihm nahe? 11 Einleitung An Martin Luthers Universität wehte der scharfe Wind lutherischer Orthodoxie: Ein heftiger Streit über die rechte, reine Lehre trieb Lehrer und Studenten um. Nach wie vor zog der Geist des Reformators von weither Studierende an. So brauchte die Universität trotz Krieg und Pest niemals die Pforten zu schließen. Hier wird Paul Gerhardt ein treuer Lutheraner. Die reine Lehre des Evangeliums durchdringt seine Lieder. Jedoch wird sie ihn am Ende seines Lebens in einen tragischen Konflikt verwickeln. Der Dreißigjährige Krieg überschattet das erste Drittel seines Lebens. Der Kampf der Konfessionen und Regierenden beginnt 1618. Paul Gerhardt ist damals elf Jahre alt. Das Kämpfen aller gegen alle in Deutschland endet mit dem Westfälischen Frieden 1648. Dazwischen wogt der Kampf zwischen Katholiken, Reformierten und Protestanten hin und her. Mord und Totschlag, verbrannte Städte und Dörfer sowie die Pest sind an der Tagesordnung. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung wird ausgerottet. Auch Gräfenhainichen wird 1637 durch die Schweden ein Raub der Flammen. Danach breitet sich die Pest aus und nimmt seinen Bruder Christian mit in den Tod. Wie Paul Gerhardt diesen grausamen Krieg erlebt, klingt in seinen Liedern hier und dort an. Trotz des Krieges wird er auch schöne Stunden erlebt haben. Anders lässt sich seine tiefe Lebensbejahung nicht verstehen. Nach seinem Studium wird er 1634 – wie damals üblich – Hauslehrer, zunächst in Wittenberg, dann ab 1642 in Berlin beim Kammergerichtsadvokaten Andreas Berthold. Sein Unterricht bleibt nicht folgenlos. Denn später wird er die Tochter des Hauses, Anna Maria, heiraten. Sie ist damals 19 Jahre alt. Die beiden werden noch dreizehn lange Jahre aufeinander warten müssen. Berlin wird seine geistige Heimat und zur Brunnenstube seines Dichtens. 1641 mit 34 Jahren wird sein erstes deutsches Gedicht veröffentlicht. Er hat selbst niemals eigene Gedichtoder Liedbände herausgegeben. Das macht die genaue Datierung seiner Lieder schwer. Sein großes Glück sind aber die Kantoren Johann Krüger und Georg Ebeling an St. Nicolai/Berlin. 12 Wer war Paul Gerhardt? Sie vertonen nicht nur viele seiner Lieder, sondern veröffentlichen sie auch in ihren Liedsammlungen. 1647 erscheinen achtzehn geistliche Lieder Gerhardts in Johann Krügers Berliner Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica“, das 1653 und 1656 erweitert aufgelegt wird. Georg Ebeling gibt 1666 erstmals eine Gesamtausgabe heraus, die 1667 unter dem Titel „Pauli Gerhardti Geistliche Andachten“ erscheint. Auf diese Weise lässt sich der Lebensabschnitt ermitteln, in dem seine Lieder entstehen. Paul Gerhardt ist inzwischen 44 Jahre alt und hat sich als Liederdichter einen Namen gemacht. Nun endlich wird er 1651 ordiniert und schriftlich auf die lutherischen Bekenntnisschriften verpflichtet. Er beginnt als Pfarrer und Propst in Mittenwalde. Damit wird ihm auch die Aufsicht über die umliegende Pfarrerschaft erteilt. Arm sind die Verhältnisse. Von den ursprünglich tausend Einwohnern Mittenwaldes hatte der Krieg drei Viertel dahingerafft. Die Bauern haben Mühe, den Zehnten aufzubringen, um ihren Pfarrer zu ernähren. Dennoch: 1653 erscheinen in Krügers neu aufgelegtem Gesangbuch 64 Lieder von ihrem Pfarrer. Erst 1655 ist es so weit. Paul Gerhardt heiratet mit 48 Jahren seine Frau Anna Maria geborene Berthold, die inzwischen 32 Jahre alt ist. So glücklich die beiden gewesen sein mögen, über seiner Ehe liegt ein dunkler Schatten. Denn von den fünf Kindern, die ihnen geboren werden, überlebt nur eines. Zwischen 1656 und 1665 werden geboren und sterben in Jahresfrist Maria Elisabeth, Anna Katharina, Andreas und Andreas Christian. Nur der 1662 geborene Paul Friedrich überlebt als viertes Kind seiner Eltern bis 1716. Die Todesfälle zeigen die harten Bedingungen, unter denen damals die Menschen ihr Leben fristeten. Umso mehr leuchtet der Glaube auf, der dennoch an der Güte und Gnade Gottes festhält. Paul Gerhardt erlebt als Pfarrer an der St. Nikolaikirche in Berlin seit 1657 die besten Jahre seines Schaffens als Dichter. In enger Zusammenarbeit mit den Kantoren dort wird er zum größ13 Einleitung ten Liederdichter seiner Kirche. Doch gegen Ende dämmert ein Verhängnis über seinem Leben auf, das ihn Inspiration und Lebenskraft kosten wird. 1662 will der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Berlin und Brandenburg mit dem sogenannten „Toleranzedikt“ die Lutheraner nicht nur zur Toleranz, sondern auch zur Anerkennung der Reformierten zwingen. Das Erste wäre Paul Gerhardt möglich gewesen, zum Zweiten sieht er sich außerstande. Ausgerechnet er, der sich niemals zu Hetzreden hinreißen lässt, gerät an diesem Punkt mit seinem Fürsten aneinander. Als Lutheraner weiß er sich der reinen Lehre verpflichtet. Die Fürsprache von Freunden, das Kompromissangebot des Fürsten, sich mit einer mündlichen Erklärung zu begnügen – nichts kann ihn umstimmen. Eisern beharrt er auf seiner Treue zu den lutherischen Bekenntnisschriften. Für die Reinheit der Lehre hatten zuvor Unzählige in einem grausamen Krieg ihr Leben gelassen. Auch seine Vorfahren hatten wegen ihrer Bekenntnistreue gelitten. Sollte er diese Opfer mit einem Federstrich nutzlos machen? 1666 wird er seines Amtes enthoben, 1668 wird seine Stelle mit einem anderen besetzt. Im gleichen Jahr stirbt seine Frau Anna Maria. Er beginnt 1669 noch einmal neu als Pfarrer in Lübben. Aber es wird eine wenig glückliche Zeit für ihn. Zwischen ihm und der Gemeinde knirscht es schon bei der Renovierung des Pfarrhauses. Die letzten Jahre seines Lebens werden beschwerlich. Die fröhliche Stimme des Dichters verstummt. Am 27. Mai 1676 stirbt er. Das Testament Paul Gerhardts an seinen Sohn Paul Friedrich „Nachdem ich nunmehr das 70. Jahr meines Alters erreicht, auch dabei die fröhliche Hoffnung habe, dass mein lieber from14 Das Testament Paul Gerhardts an seinen Sohn Paul Friedrich mer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt habe: so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat. Daneben bitte ich von Grund meines Herzens, er wolle mir, wenn mein Stündlein kommt, eine fröhliche Abfahrt verleihen, meine Seele in seine väterlichen Hände nehmen, und dem Leibe eine sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben jüngsten Tage bescheren, da ich mit allen Meinigen, die nur vor mir gewesen und auch künftig nach mir bleiben möchten, wieder erwachen und meinen lieben Herrn Jesum Christum, an welchen ich bisher geglaubt und ihn doch nie gesehen habe, von Angesicht zu Angesicht schauen werde. Meinem einzigen hinterlassenen Sohne überlasse ich von irdischen Gütern wenig, dabei aber einen ehrlichen Namen, dessen er sich sonderlich nicht wird zu schämen haben. Es weiß mein Sohn, dass ich ihn von seiner zarten Kindheit an dem Herrn meinem Gott zu eigen gegeben, dass er ein Diener und Prediger seines heiligen Wortes werden soll. Dabei soll er nun bleiben und sich daran nicht kehren, dass er nur wenig gute Tage dabei haben möchte; denn da weiß der liebe Gott schon Rat zu und kann die äußerliche Trübsal mit inniglicher Herzenslust und Freudigkeit des Geistes genugsam ersetzen. Die heilige Theologie studiere in reinen Schulen und auf unverfälschten Universitäten, und hüte dich ja vor Synkretisten [d. h. die das reine Bekenntnis vermischen], denn sie suchen das Zeitliche und sind weder Gott noch Menschen treu. In deinem gemeinen Leben folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem Willen und Befehl deines Gottes. Insonderheit 1. Tue nichts Böses, in der Hoffnung, es werde heimlich bleiben, denn es wird nichts so klein gesponnen, es kommt an die Sonnen. 2. Außer deinem Amte und Berufe erzürne dich nicht. Merkst du dann, dass der Zorn dich erhitzet habe, so schweige stock15 Einleitung stille und rede nicht eher ein Wort, bis du ernstlich die 10 Gebote und den christlichen Glauben bei dir ausgebetet hast. 3. Der fleischlichen sündlichen Lüste schäme dich, und wenn du dermaleinst zu solchen Jahren kommst, dass du heiraten kannst, so heirate mit Gott und gutem Rat frommer, getreuer und verständiger Leute. 4. Tue Leuten Gutes, ob sie dir es gleich nicht zu vergelten haben, denn was Menschen nicht vergelten können, das hat der Schöpfer Himmels und der Erden längst vergolten, da er dich erschaffen hat, da er dir seinen lieben Sohn geschenkt hat und da er dich in der heiligen Taufe zu seinem Kinde und Erben aufund angenommen hat. 5. Den Geiz fliehe wie die Hölle, lass dir genügen an dem, was du mit Ehren und gutem Gewissen erworben hast, ob es gleich nicht allzu viel ist. Beschert dir aber der liebe Gott ein Mehreres, so bitte ihn, dass er dich vor dem leidigen Missbrauch des zeitlichen Gutes bewahren wolle. Summa, bete fleißig, studiere was Ehrliches, lebe friedlich, diene redlich und bleibe in deinem Glauben und Bekenntnis beständig, so wirst du einmal auch sterben und von dieser Welt scheiden willig, fröhlich und seliglich. Amen.“ Leuchtfeuer in der Dunkelheit Leuchtfeuer mahnen zur Kurskorrektur. Sie warnen vor Klippen und Sandbänken, an denen das Schiff des Lebens scheitern kann. Wer einen verkehrten Kurs verlässt und einen neuen einschlägt, der kehrt um. Das meint das alte Wort Buße. Sie ist Abkehr vom tödlichen Alten und Hinkehr zum belebend Neuen. Deswegen ist sie keine traurige, sondern eine durch und durch fröhliche Angelegenheit. Wer sich auf Paul Gerhardts Lieder einlässt, den ermutigen sie zur Umkehr. Denn die Umkehr zu Gott ist schon immer die Sache des Evangeliums und seiner Sänger gewesen. Leuchtfeuer weisen auch den Weg zum heimatlichen 16 Leuchtfeuer in der Dunkelheit Hafen. Denn nirgends in dieser Welt sind wir Menschen zu Hause, sondern tiefer findet unser Geist nur in Gott Ruhe, von dem er ausgegangen ist und zu dem er wieder zurückkehren wird wie ein Schiff in seinen Heimathafen. Kaum jemand aus der Wissens- und Wohlstandsgesellschaft lebt heute in der Welt eines Paul Gerhardt. Ackerbürgerstädte und bäuerliche Lebenskultur bestimmten sein Leben. Fremd ist sie uns geworden, diese Welt. Wir romantisieren sie und betrachten sie in Museen. Wagenräder und Dreschflegel schmücken Scheunenkaffees. Was früher harter Arbeit und dem Kampf ums Überleben diente, dient heute zur Muße und Erholung. Hart war das Leben zwar, aber doch im Einklang mit der Natur. Ein heller Schein der Liebe zur Schöpfung strahlt aus seinen Liedern in unsere Zeit. Schon längst hat sich die künstliche Welt von Wissenschaft und Technik zwischen uns und die Natur geschoben. Was uns Wohlstand und Fortschritt beschert, bedroht die Natur. Ob Ozonloch oder Wärmekatastrophe, ob Erhalt der Artenvielfalt oder Schutz der Regenwälder: Überall gefährdet der Mensch die Natur, deren Teil er doch selbst ist. Damit gefährdet er sich auch selbst. Der Strahl unverfälschter Liebe zu einer in die Natur gebetteten Kultur kann in seinem Lied „Geh aus mein Herz“ zum Leitstrahl werden, wie auch wir uns mit der Natur versöhnen. Seit 400 Jahren sind wir Menschen erwachsener geworden. Wir haben uns von Gott emanzipiert, d. h. befreit. Wörtlich heißt der lateinische Begriff Emanzipation: das Leben aus der Hand des Vaters in seine eigene zu nehmen. Nun sorgen wir für uns selbst und bestimmen uns selbst. Das ist gut so. Da stellt sich vieles Alte als naiver Wunderglaube heraus. Da zeigt sich der naturgemäß begrenzte Horizont mancher Schriften der Vergangenheit. Je weiter jedoch der Herrschaftsraum des Menschen ausgedehnt wird, desto ferner rückt Gott. Denn innerhalb der Grenzen unseres Wissens haben wir das Steuer unseres Lebens selbst in der Hand. Dort fragen wir nicht nach Gott, sondern gebrauchen unseren nüchternen Verstand. 17 Einleitung Wenn wir jedoch an die Grenzen unserer so erweiterten Welt stoßen, dann ist sie plötzlich da, die Gottesfrage. Doch dann leider mit vielen Vorwürfen gegen den Gott, den wir so lange vergessen hatten. Nun soll er es plötzlich richten! Und wenn er es nicht tut, ertönt sie weiter, die unlösbare Frage nach dem Warum. Wir klagen ihn an; aber kaum jemand wendet sich bittend an ihn, von dem doch alles kommt. Kaum jemand findet zu dem Vertrauen, das ein Paul Gerhardt durch Krieg, Tod und Leid trug. Er hielt in der größten Dunkelheit an der Güte Gottes fest. Sein Gottvertrauen strahlt wie ein helles Feuer des Glaubens in die Dunkelheit unseres Fragens. Die Dunkelheiten des Lebens konnte Paul Gerhardt nicht einfach wegschieben. Zu bedrängend waren sie für ihn. Zu häufig und zu heftig fielen schwarze Schatten und stellten die lichten Momente seines Lebens infrage. Wir dagegen beginnen uns in der Welt einzurichten. Wohnlich und gemütlich soll sie werden. Das geht aber nur so lange, wie die Schatten hinausgeschoben werden können. Sobald sie aber in unsere Welt einbrechen, wird es auch bei uns dunkel. Dann können Paul Gerhardts Lieder zu einem hellen Leuchtfeuer werden. Denn er hält der Versuchung stand: Weder lässt er die Güte Gottes fahren, um sich in der Welt einzurichten, noch lässt er das Leben in der Welt fahren, um sich an Gott zu hängen. Nein, gerade in der Tiefe seines Leidens hält er an der Güte Gottes fest. Durch nichts ist er davon abzubringen: Er ist ein Leuchtfeuer des Glaubens! Und noch ein Letztes: Sein ganzes Leben ist auf Gott ausgerichtet. Er ist die Mitte seiner Existenz, an ihm hängt er, ihm klagt er, ihm vertraut er. So werden seine Lieder zu Leuchtfeuern, die uns den Weg zur Mitte weisen, zu dem Gott, in dem wir leben, weben und sind. 18