Gremels, Paul Gerhardt.pmd

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Gremels, Paul Gerhardt.pmd
Vorwort: Leuchtfeuer des Glaubens
„Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl ...“ Wegen einer
Ausführung zu diesem Vers fragte mich meine Verlegerin Anne
Meiß, ob ich in dieser Art etwas zum 400. Geburtstag von Paul
Gerhardt schreiben könne. Damit öffnete sie bei mir eine Quelle der Ideen und Inspirationen. Ich will und kann weder all seine
Lieder auslegen noch seine ganzen Strophen erklären. Da wird
es andere, Berufenere geben. Aber einzelne Verse herausgreifen,
die mich auf meinem Lebensweg berührt haben oder die mich
ins Nachdenken bringen, das traue ich mir zu. So liegt es nun
vor: ein Buch zu einigen von Paul Gerhardts Liedern aus dem
Evangelischen Gesangbuch, das „geflügelte Worte“, Verse und
Bilder aus seinen Liedern meditiert.
Doch wie dieses Buch nennen? Es ist ja weder eine Biographie
noch eine Untersuchung über seine Lieder, geschweige denn eine
Mischung von beidem. Anfangs wollte ich als Titel einen Vers
aus seinen Liedern nehmen nach dem Vorbild anderer: „Geh aus
mein Herz“ oder „Nichts nimmt mir meinen Mut“ oder „Fröhlich soll mein Herze springen“.
Nein, das alles passt nicht zu dem, was mir als Gegenpol zu
Paul Gerhardts Liedern so zu schaffen macht: die Gottesverdunkelung, die sich in der Wissensgesellschaft ausbreitet. Es
passt auch nicht zu den vielen Zweifeln, die sein elementarer
Glaube bei vielen Menschen heute auslöst. Es ist, als habe sich
mit dem Fortschritt ein weiterer Kreis des Lebens aufgetan.
Dorthin dringt das Licht Gottes aus den alten Quellen nur noch
schwach.
Da stieß ich auf das Wort Leuchtfeuer. „Zwölf Leuchtfeuer“
will die Evangelische Kirche in Deutschland bis 2030 entzünden, um sich für die Zukunft als „Kirche der Freiheit“ zu rüsten.
Genau das könnten einzelne Verse und Bilder sein, die aus dem
reichen Liedgut Paul Gerhardts aufblitzen: Leuchtfeuer in gottesdunkler Nacht!
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Vorwort
Leuchtfeuer: Sie geben Orientierung in der Finsternis, wie es
in einem alten, mir vertrauten Kehrreim heißt: „Lasst die Küstenfeuer brennen, lasst sie leuchten weit hinaus, denn sie zeigen
manchem Schiffer sicherlich den Weg nach Haus.“
Leuchtfeuer: Menschen kommen und gehen wie die Gezeiten
im Meer. Aber die Leuchtfeuer bleiben und erfüllen unermüdlich ihre Aufgabe, auch 400 Jahre nach Paul Gerhardt: Sie weisen den Weg durch gefährliches Gewässer. Aus der Ferne sind sie
zwar nur schwach zu sehen, aber je näher man ihnen kommt,
desto heller strahlen sie.
Leuchtfeuer: Sie blitzen nur kurz auf. Genauso wie die Auslegungen kurzer Verse und Bilder nur ein Aufblinken aus dem
reichen Werk sein können, das uns Paul Gerhardt übergeben
hat. Doch vielleicht wecken gerade diese Lichtblitze in der Dunkelheit unsere Aufmerksamkeit!
Leuchtfeuer des Glaubens: Brauchen wir sie noch? Sie verblassen doch genauso wie Mond und Sterne in der Nachthelle
unserer Stadtkultur. Sie sind längst überholt durch Satellitennavigation, Funkortung und Radar. Überholt, wie vielen auch
Gott und der Glaube überholt zu sein scheinen. Dunkel ist es
jedoch nach wie vor auf dieser Erde. Denn an Leid und Tod, an
Krieg und Chaos, an Lug und Trug ist die Welt nicht ärmer
geworden.
Leuchtfeuer des Glaubens: Wohlstand und Wissenschaft schieben solche elementaren Erfahrungen weit hinaus an den Rand
des Alltäglichen. Man muss schon dorthin geraten, um die alten
Feuer wieder aufblitzen zu sehen, um Gott und Glauben wiederzuentdecken. Solche Wege bis an die Ränder des Gewohnten
und Vorgestellten verlangen die hier vorgelegten Meditationen:
Dass jemand den Mut hat, sich an seine Grenzen zu wagen.
Leuchtfeuer des Glaubens: Wer sich darauf einlässt, stößt dabei
auf Befremdliches. Paul Gerhardts Gottesvorstellung mutet uns
viel zu. Denn er nimmt nicht nur das Schöne, sondern auch das
Schwere aus Gottes Hand. Nicht nur von der freundlichen, son8
Leuchtfeuer des Glaubens
dern auch von der abweisenden Seite zeigt sich ihm Gott. So
fern er von unseren heutigen Vorstellungen ist, so nahe ist er an
denen der Bibel. Deswegen lässt sich da nichts glätten und schönen, ohne die Heilige Schrift als Ganze in Frage zu stellen.
Leuchtfeuer Gottes: Nötiger denn je ist es, dass wir uns wieder
an diese Mitte erinnern lassen, um die sich Kosmos und Geschichte drehen. Denn das wichtigste Feuer ist die leuchtende
Liebe des Gottes, den wir Christen als Vater, Sohn und Geist
bekennen. Daran lässt Paul Gerhardt aber keinen Zweifel. Gott
ist das ens realissimum, d. h. das allerwirklichste Wesen. Um ihn
dreht sich alles. Alles kommt von ihm, besteht in ihm und wird
sich einmal zu ihm kehren.
Leuchtfeuer entdecken: Dazu möchten die folgenden Meditationen anregen; Abstand zu nehmen, um alte Leuchtfeuer von
neuem aufblitzen zu sehen; neugierig zu machen auf mehr von
Paul Gerhardt, weil nur Weniges aus der barocken Fülle seiner
Lieder herausgegriffen ist; herauszurufen aus dem Gewohnten,
um durch das Befremdliche einen Weg zu Gott zu bahnen. Also
erinnern will ich an den größten Dichter der lutherischen Kirche und zu eigenen Entdeckungsreisen verleiten. Für Anregungen und Korrekturen danke ich Dr. Ulrich Mitzlaff und meiner
Frau Dorothea.
Hermannsburg, im Dezember 2006
Georg Gremels
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Einleitung
Wer war Paul Gerhardt?
„Am Fuß des Leuchtturms ist es dunkel.“ Dieses Sprichwort
trifft auf das Leben Paul Gerhardts zu. Das Leuchtfeuer seiner
Lieder gibt Menschen seit Jahrhunderten Orientierung und spendet vielen Trost. Aber von ihm selbst bleibt das meiste hinter
seiner Dichtung verborgen. Der heimliche Wunsch, von seinem
Leben auf sein Dichten zurückzuschließen, bleibt daher weitgehend verwehrt. Doch folgen wir kurz dem, was im Halbschatten der Überlieferung von ihm sichtbar wird.
Paul Gerhardt wurde am 12. März 1607 in Gräfenheinichen
zwischen Halle und Wittenberg geboren. Sein Vater Christian
Gerhardt ist dort einer der drei Bürgermeister, außerdem Ackerbauer und Gastwirt. Seine Mutter Dorothea geb. Starcke – Tochter eines Superintendenten – stammt aus einer alten Pastorenfamilie. In der Herkunft seiner Eltern verbinden sich zwei Wurzeln, die sein Dichten ausmachen. Vom Vater hat er seine gesunde Naturbeziehung und Lebensfreude geerbt. Sie macht die
Volkstümlichkeit seiner Lieder aus. Von der Mutter erbte er seinen tiefen, lutherischen Glauben und seinen Beruf als Pfarrer.
Über seine Kindheit kann man nur Vermutungen anstellen.
Paul gehört durch seine Familie zur führenden Schicht seiner
Heimatstadt. Aber schon früh verliert er seine Eltern. 1619 stirbt
sein Vater und 1621 seine Mutter. Mit vierzehn Jahren wird er
Vollwaise wie sein älterer Bruder Christian und seine zwei jüngeren Schwestern Anna und Agnes.
Offensichtlich gibt es genug Vermögen, um beide Söhne Paul
und Christian auf die Lateinschule nach Grimma zu schicken.
Von 1622 bis 1627 besucht Paul die dortige Fürstenschule. 1628
beginnt er in Wittenberg Theologie zu studieren. Nichts wissen
wir über seinen inneren Werdegang: Wie fand er in den Glauben hinein? Wann wurde er sich seiner Berufung gewiss? Welche
Lehrer und Freunde standen ihm nahe?
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Einleitung
An Martin Luthers Universität wehte der scharfe Wind lutherischer Orthodoxie: Ein heftiger Streit über die rechte, reine Lehre
trieb Lehrer und Studenten um. Nach wie vor zog der Geist des
Reformators von weither Studierende an. So brauchte die Universität trotz Krieg und Pest niemals die Pforten zu schließen.
Hier wird Paul Gerhardt ein treuer Lutheraner. Die reine Lehre
des Evangeliums durchdringt seine Lieder. Jedoch wird sie ihn
am Ende seines Lebens in einen tragischen Konflikt verwickeln.
Der Dreißigjährige Krieg überschattet das erste Drittel seines
Lebens. Der Kampf der Konfessionen und Regierenden beginnt
1618. Paul Gerhardt ist damals elf Jahre alt. Das Kämpfen aller
gegen alle in Deutschland endet mit dem Westfälischen Frieden
1648. Dazwischen wogt der Kampf zwischen Katholiken, Reformierten und Protestanten hin und her. Mord und Totschlag,
verbrannte Städte und Dörfer sowie die Pest sind an der Tagesordnung. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung wird ausgerottet. Auch Gräfenhainichen wird 1637 durch die Schweden ein
Raub der Flammen. Danach breitet sich die Pest aus und nimmt
seinen Bruder Christian mit in den Tod.
Wie Paul Gerhardt diesen grausamen Krieg erlebt, klingt in
seinen Liedern hier und dort an. Trotz des Krieges wird er auch
schöne Stunden erlebt haben. Anders lässt sich seine tiefe Lebensbejahung nicht verstehen. Nach seinem Studium wird er
1634 – wie damals üblich – Hauslehrer, zunächst in Wittenberg,
dann ab 1642 in Berlin beim Kammergerichtsadvokaten
Andreas Berthold. Sein Unterricht bleibt nicht folgenlos. Denn
später wird er die Tochter des Hauses, Anna Maria, heiraten. Sie
ist damals 19 Jahre alt. Die beiden werden noch dreizehn lange
Jahre aufeinander warten müssen.
Berlin wird seine geistige Heimat und zur Brunnenstube seines Dichtens. 1641 mit 34 Jahren wird sein erstes deutsches
Gedicht veröffentlicht. Er hat selbst niemals eigene Gedichtoder Liedbände herausgegeben. Das macht die genaue Datierung seiner Lieder schwer. Sein großes Glück sind aber die Kantoren Johann Krüger und Georg Ebeling an St. Nicolai/Berlin.
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Wer war Paul Gerhardt?
Sie vertonen nicht nur viele seiner Lieder, sondern veröffentlichen sie auch in ihren Liedsammlungen.
1647 erscheinen achtzehn geistliche Lieder Gerhardts in
Johann Krügers Berliner Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica“,
das 1653 und 1656 erweitert aufgelegt wird. Georg Ebeling
gibt 1666 erstmals eine Gesamtausgabe heraus, die 1667 unter
dem Titel „Pauli Gerhardti Geistliche Andachten“ erscheint. Auf
diese Weise lässt sich der Lebensabschnitt ermitteln, in dem seine Lieder entstehen.
Paul Gerhardt ist inzwischen 44 Jahre alt und hat sich als Liederdichter einen Namen gemacht. Nun endlich wird er 1651 ordiniert und schriftlich auf die lutherischen Bekenntnisschriften
verpflichtet. Er beginnt als Pfarrer und Propst in Mittenwalde.
Damit wird ihm auch die Aufsicht über die umliegende Pfarrerschaft erteilt.
Arm sind die Verhältnisse. Von den ursprünglich tausend Einwohnern Mittenwaldes hatte der Krieg drei Viertel dahingerafft.
Die Bauern haben Mühe, den Zehnten aufzubringen, um ihren
Pfarrer zu ernähren. Dennoch: 1653 erscheinen in Krügers neu
aufgelegtem Gesangbuch 64 Lieder von ihrem Pfarrer. Erst 1655
ist es so weit. Paul Gerhardt heiratet mit 48 Jahren seine Frau
Anna Maria geborene Berthold, die inzwischen 32 Jahre alt ist.
So glücklich die beiden gewesen sein mögen, über seiner Ehe
liegt ein dunkler Schatten. Denn von den fünf Kindern, die
ihnen geboren werden, überlebt nur eines. Zwischen 1656 und
1665 werden geboren und sterben in Jahresfrist Maria Elisabeth,
Anna Katharina, Andreas und Andreas Christian. Nur der 1662
geborene Paul Friedrich überlebt als viertes Kind seiner Eltern
bis 1716. Die Todesfälle zeigen die harten Bedingungen, unter
denen damals die Menschen ihr Leben fristeten. Umso mehr
leuchtet der Glaube auf, der dennoch an der Güte und Gnade
Gottes festhält.
Paul Gerhardt erlebt als Pfarrer an der St. Nikolaikirche in
Berlin seit 1657 die besten Jahre seines Schaffens als Dichter. In
enger Zusammenarbeit mit den Kantoren dort wird er zum größ13
Einleitung
ten Liederdichter seiner Kirche. Doch gegen Ende dämmert ein
Verhängnis über seinem Leben auf, das ihn Inspiration und Lebenskraft kosten wird. 1662 will der Kurfürst Friedrich Wilhelm
von Berlin und Brandenburg mit dem sogenannten „Toleranzedikt“ die Lutheraner nicht nur zur Toleranz, sondern auch zur
Anerkennung der Reformierten zwingen. Das Erste wäre Paul
Gerhardt möglich gewesen, zum Zweiten sieht er sich
außerstande.
Ausgerechnet er, der sich niemals zu Hetzreden hinreißen lässt,
gerät an diesem Punkt mit seinem Fürsten aneinander. Als Lutheraner weiß er sich der reinen Lehre verpflichtet. Die Fürsprache von Freunden, das Kompromissangebot des Fürsten, sich
mit einer mündlichen Erklärung zu begnügen – nichts kann ihn
umstimmen. Eisern beharrt er auf seiner Treue zu den lutherischen Bekenntnisschriften. Für die Reinheit der Lehre hatten
zuvor Unzählige in einem grausamen Krieg ihr Leben gelassen.
Auch seine Vorfahren hatten wegen ihrer Bekenntnistreue gelitten. Sollte er diese Opfer mit einem Federstrich nutzlos machen?
1666 wird er seines Amtes enthoben, 1668 wird seine Stelle
mit einem anderen besetzt. Im gleichen Jahr stirbt seine Frau
Anna Maria. Er beginnt 1669 noch einmal neu als Pfarrer in
Lübben. Aber es wird eine wenig glückliche Zeit für ihn. Zwischen ihm und der Gemeinde knirscht es schon bei der Renovierung des Pfarrhauses. Die letzten Jahre seines Lebens werden
beschwerlich. Die fröhliche Stimme des Dichters verstummt.
Am 27. Mai 1676 stirbt er.
Das Testament Paul Gerhardts an seinen
Sohn Paul Friedrich
„Nachdem ich nunmehr das 70. Jahr meines Alters erreicht,
auch dabei die fröhliche Hoffnung habe, dass mein lieber from14
Das Testament Paul Gerhardts an seinen Sohn Paul Friedrich
mer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein
besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt
habe: so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue,
die er mir von meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an
Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat.
Daneben bitte ich von Grund meines Herzens, er wolle mir,
wenn mein Stündlein kommt, eine fröhliche Abfahrt verleihen,
meine Seele in seine väterlichen Hände nehmen, und dem Leibe
eine sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben jüngsten Tage
bescheren, da ich mit allen Meinigen, die nur vor mir gewesen
und auch künftig nach mir bleiben möchten, wieder erwachen
und meinen lieben Herrn Jesum Christum, an welchen ich bisher
geglaubt und ihn doch nie gesehen habe, von Angesicht zu Angesicht schauen werde.
Meinem einzigen hinterlassenen Sohne überlasse ich von irdischen Gütern wenig, dabei aber einen ehrlichen Namen, dessen
er sich sonderlich nicht wird zu schämen haben. Es weiß mein
Sohn, dass ich ihn von seiner zarten Kindheit an dem Herrn
meinem Gott zu eigen gegeben, dass er ein Diener und Prediger
seines heiligen Wortes werden soll. Dabei soll er nun bleiben
und sich daran nicht kehren, dass er nur wenig gute Tage dabei
haben möchte; denn da weiß der liebe Gott schon Rat zu und
kann die äußerliche Trübsal mit inniglicher Herzenslust und Freudigkeit des Geistes genugsam ersetzen.
Die heilige Theologie studiere in reinen Schulen und auf unverfälschten Universitäten, und hüte dich ja vor Synkretisten
[d. h. die das reine Bekenntnis vermischen], denn sie suchen das
Zeitliche und sind weder Gott noch Menschen treu. In deinem
gemeinen Leben folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem
Willen und Befehl deines Gottes. Insonderheit
1. Tue nichts Böses, in der Hoffnung, es werde heimlich bleiben, denn es wird nichts so klein gesponnen, es kommt an die
Sonnen.
2. Außer deinem Amte und Berufe erzürne dich nicht. Merkst
du dann, dass der Zorn dich erhitzet habe, so schweige stock15
Einleitung
stille und rede nicht eher ein Wort, bis du ernstlich die 10 Gebote und den christlichen Glauben bei dir ausgebetet hast.
3. Der fleischlichen sündlichen Lüste schäme dich, und wenn
du dermaleinst zu solchen Jahren kommst, dass du heiraten
kannst, so heirate mit Gott und gutem Rat frommer, getreuer
und verständiger Leute.
4. Tue Leuten Gutes, ob sie dir es gleich nicht zu vergelten
haben, denn was Menschen nicht vergelten können, das hat der
Schöpfer Himmels und der Erden längst vergolten, da er dich
erschaffen hat, da er dir seinen lieben Sohn geschenkt hat und
da er dich in der heiligen Taufe zu seinem Kinde und Erben aufund angenommen hat.
5. Den Geiz fliehe wie die Hölle, lass dir genügen an dem,
was du mit Ehren und gutem Gewissen erworben hast, ob es
gleich nicht allzu viel ist. Beschert dir aber der liebe Gott ein
Mehreres, so bitte ihn, dass er dich vor dem leidigen Missbrauch
des zeitlichen Gutes bewahren wolle.
Summa, bete fleißig, studiere was Ehrliches, lebe friedlich,
diene redlich und bleibe in deinem Glauben und Bekenntnis
beständig, so wirst du einmal auch sterben und von dieser Welt
scheiden willig, fröhlich und seliglich. Amen.“
Leuchtfeuer in der Dunkelheit
Leuchtfeuer mahnen zur Kurskorrektur. Sie warnen vor Klippen und Sandbänken, an denen das Schiff des Lebens scheitern
kann. Wer einen verkehrten Kurs verlässt und einen neuen einschlägt, der kehrt um. Das meint das alte Wort Buße. Sie ist
Abkehr vom tödlichen Alten und Hinkehr zum belebend Neuen.
Deswegen ist sie keine traurige, sondern eine durch und durch
fröhliche Angelegenheit. Wer sich auf Paul Gerhardts Lieder einlässt, den ermutigen sie zur Umkehr. Denn die Umkehr zu Gott
ist schon immer die Sache des Evangeliums und seiner Sänger
gewesen. Leuchtfeuer weisen auch den Weg zum heimatlichen
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Leuchtfeuer in der Dunkelheit
Hafen. Denn nirgends in dieser Welt sind wir Menschen zu
Hause, sondern tiefer findet unser Geist nur in Gott Ruhe, von
dem er ausgegangen ist und zu dem er wieder zurückkehren
wird wie ein Schiff in seinen Heimathafen.
Kaum jemand aus der Wissens- und Wohlstandsgesellschaft
lebt heute in der Welt eines Paul Gerhardt. Ackerbürgerstädte
und bäuerliche Lebenskultur bestimmten sein Leben. Fremd ist
sie uns geworden, diese Welt. Wir romantisieren sie und betrachten sie in Museen. Wagenräder und Dreschflegel schmücken Scheunenkaffees. Was früher harter Arbeit und dem Kampf
ums Überleben diente, dient heute zur Muße und Erholung.
Hart war das Leben zwar, aber doch im Einklang mit der Natur.
Ein heller Schein der Liebe zur Schöpfung strahlt aus seinen
Liedern in unsere Zeit. Schon längst hat sich die künstliche Welt
von Wissenschaft und Technik zwischen uns und die Natur geschoben. Was uns Wohlstand und Fortschritt beschert, bedroht
die Natur. Ob Ozonloch oder Wärmekatastrophe, ob Erhalt
der Artenvielfalt oder Schutz der Regenwälder: Überall gefährdet der Mensch die Natur, deren Teil er doch selbst ist. Damit
gefährdet er sich auch selbst. Der Strahl unverfälschter Liebe zu
einer in die Natur gebetteten Kultur kann in seinem Lied „Geh
aus mein Herz“ zum Leitstrahl werden, wie auch wir uns mit
der Natur versöhnen.
Seit 400 Jahren sind wir Menschen erwachsener geworden.
Wir haben uns von Gott emanzipiert, d. h. befreit. Wörtlich
heißt der lateinische Begriff Emanzipation: das Leben aus der
Hand des Vaters in seine eigene zu nehmen. Nun sorgen wir für
uns selbst und bestimmen uns selbst. Das ist gut so. Da stellt
sich vieles Alte als naiver Wunderglaube heraus. Da zeigt sich
der naturgemäß begrenzte Horizont mancher Schriften der Vergangenheit. Je weiter jedoch der Herrschaftsraum des Menschen
ausgedehnt wird, desto ferner rückt Gott. Denn innerhalb der
Grenzen unseres Wissens haben wir das Steuer unseres Lebens
selbst in der Hand. Dort fragen wir nicht nach Gott, sondern
gebrauchen unseren nüchternen Verstand.
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Einleitung
Wenn wir jedoch an die Grenzen unserer so erweiterten Welt
stoßen, dann ist sie plötzlich da, die Gottesfrage. Doch dann
leider mit vielen Vorwürfen gegen den Gott, den wir so lange
vergessen hatten. Nun soll er es plötzlich richten! Und wenn er
es nicht tut, ertönt sie weiter, die unlösbare Frage nach dem
Warum. Wir klagen ihn an; aber kaum jemand wendet sich bittend an ihn, von dem doch alles kommt. Kaum jemand findet
zu dem Vertrauen, das ein Paul Gerhardt durch Krieg, Tod und
Leid trug. Er hielt in der größten Dunkelheit an der Güte Gottes fest. Sein Gottvertrauen strahlt wie ein helles Feuer des Glaubens in die Dunkelheit unseres Fragens.
Die Dunkelheiten des Lebens konnte Paul Gerhardt nicht einfach wegschieben. Zu bedrängend waren sie für ihn. Zu häufig
und zu heftig fielen schwarze Schatten und stellten die lichten
Momente seines Lebens infrage. Wir dagegen beginnen uns in
der Welt einzurichten. Wohnlich und gemütlich soll sie werden. Das geht aber nur so lange, wie die Schatten hinausgeschoben werden können. Sobald sie aber in unsere Welt einbrechen,
wird es auch bei uns dunkel. Dann können Paul Gerhardts Lieder zu einem hellen Leuchtfeuer werden. Denn er hält der Versuchung stand: Weder lässt er die Güte Gottes fahren, um sich
in der Welt einzurichten, noch lässt er das Leben in der Welt
fahren, um sich an Gott zu hängen. Nein, gerade in der Tiefe
seines Leidens hält er an der Güte Gottes fest. Durch nichts ist
er davon abzubringen: Er ist ein Leuchtfeuer des Glaubens!
Und noch ein Letztes: Sein ganzes Leben ist auf Gott ausgerichtet. Er ist die Mitte seiner Existenz, an ihm hängt er, ihm
klagt er, ihm vertraut er. So werden seine Lieder zu Leuchtfeuern, die uns den Weg zur Mitte weisen, zu dem Gott, in dem
wir leben, weben und sind.
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