Cover KuS 04-2013_Kus-Titel 2013

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Cover KuS 04-2013_Kus-Titel 2013
 Cover KuS 04-2013_Kus-Titel 2013 09.08.13 12:49 Seite 1
Kommunikation
&
Gewaltfreie Kommunikation • NLP • Business
Seminar
4
August 2013
22. Jahrgang • € 9,00 • 19183 • ISSN 1862-3131
Coaching • Mediation • Pädagogik • Gesundheit
Ab jetzt mit Mediation
Wie beide Parteien gewinnen können
Sie haben
da was!
Auf nach
Moskau!
Frage der
Haltung
Thies Stahl
über Konflikte
Inneres Team
auf Reise
Bei Widerstand:
Humor!
Junfermann
V e r l a g
Kommunikation & Seminar 4/2013
w w w. k s m a g a z i n . d e
KuS-04-2013_KuS-2013 08.08.13 10:04 Seite 3
Editorial
Regine Rachow
Chefredakteurin
Prinzip Hoffnung
as Mitgefühl wird oft unterschätzt: eine liebenswerte, leicht sentimentale Schwäche“, schrieb der Spiegel
„ Mitte Juli in der „Hausmitteilung“ zu seinem Titelthema1. Und: „Die Forschung weiß es heute besser.“ So
ist es in der Tat. Forscher entdecken, dass die Fähigkeit, emotionale Zustände eines Gegenübers mitzuerleben und
zu spiegeln, eine Grundvoraussetzung für das Menschsein ist. In den Spiegelneuronen etwa sehen sie „eine direkte,
intuitive Kopplung zwischen Mensch und Mensch“. Tief im Hirn verankert. Inzwischen sind Hirnforscher der Meinung, dass der Mensch „auf dem Umweg über die Beobachtung anderer“ zum Bewusstsein seiner selbst kommt.
D
s gibt auch eine andere Erzählung vom Menschsein, jene von Frank Schirrmacher in seinem aktuellen Buch
„Ego“. Er beschreibt, auf welche Weise Börsenhändler und Google-Nutzer ihre Entscheidungen treffen: gesteuert von Algorithmen, und zwar auf der Grundlage der Spieltheorie und der Theorie der rationalen Entscheidung. Diese Theorien dienten schon den Militärs im Kalten Krieg dazu, den „Weltkonflikt als ökonomisches Optimierungsproblem“ zu behandeln. Wie finde ich die beste Strategie gegen einen Konkurrenten, der über das gleiche Drohpotenzial verfügt wie ich selbst? Indem ich sein komplexes Wesen stark vereinfache, etwa durch Prämissen. In der Spieltheorie lautet eine solche Annahme: Menschen handeln stets eigennützig, sie wollen den Anderen
reinlegen und glauben, dass auch der Andere dies will. Mit solchen Formeln hatten die Militärs im Nuklearzeitalter
das Gleichgewicht des Schreckens geschaffen. Später tauchten diese Formeln als Präferenzen des Homo oeconomicus auf. Auch der stellt natürlich ein Modell dar. Auf der Basis dieser Modelle regeln heute Computerprogramme
unser Verhalten in der digitalen Welt – gleichviel ob an der Börse oder bei Facebook. Es sind lernende Systeme, gefüttert mit Daten, die uns bei jeder Gelegenheit abgefordert werden. Inzwischen ist uns auch der Zugang zu diesen
Daten durch Geheimdienste bekannt.
E
as haben wir dem entgegenzusetzen? Vielleicht, wieder einmal, die Frage, worauf es uns wirklich ankommt.
Was uns von unserem Wesen her wichtig ist und uns leitet. Wir würden erkennen, dass Lustmaximierung auf
Kosten des Anderen ein sehr schlichtes Modell ist, das mit unserer Realität nicht viel zu tun hat. So wie es widerstreitenden Parteien geht, wenn sie gewahr werden, dass es ihnen nicht unbedingt darum geht „recht zu haben“.
Wenn sie erkennen, worum es ihnen im Grunde geht. Dann fallen Begriffe wie Anerkennung, Zugehörigkeit, Vertrauen. Und das ist, wenn ich Mediatorinnen und Mediatoren davon berichten höre, immer wieder berührend.
W
elbst wenn sie Teile von Algorithmen geworden sind und uns in der nächsten Kaufempfehlung bei Amazon begegnen: die Werte bleiben uns. Und wenn sie in meinem digital geprägten Alltag zu weit weg rücken, ist es ein
aufmerksamer Zeitgenosse, der sie mir zuweilen vor Augen hält. Vor kurzem etwa Friedrich Schorlemmer, Theologe, der in seiner Schrift über „Das Prinzip Gier“ den Wert Hoffnung nahe legte2. Hoffnung auf die Verwandlung
„des Gewinnwitternden in einen Mitfühlenden“. Das nehme ich gern an.
S
Ich wünsche Ihnen Freude und Einsicht bei der Lektüre!
1 Der Spiegel, Nr. 29/2013
2 Friedrich Schorlemmer: Das Prinzip Gier. In: Die Zeit Nr. 29/2013
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Kommunikation & Seminar
3
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4/2013 In diesem Heft
22
35
38
Als Mediator allparteilich?
Nicht immer.
Aber immer öfter.
Passen Sie zu mir?
Fragen eines Klienten
an seinen Coach
TITEL
8
Völlig unmöglich!
Spiegeln von
Widersprüchen
TITEL & THEMEN
29
Vom Nutzen der Fehler
PRINZ STERNHAGEL:
Abgeschmettert
Die Mediation gilt als neue Streitkultur. Sie beginnt bei einem
neuen Umgang mit Fehlern. Von Anita von Hertel
Content Marketing in sechs Akten. Teil 4. Von Mathias Maul
11
30
Welchen großen öffentlichen Konflikt
hätten Sie gern mediiert?
Mit dem Inneren Team in Moskau
Ad-hoc-Umfrage: Vier Fragen an vier Mediatoren
Kulturelle Unterschiede im Training.
Von Regine Heiland und Heike Pfitzner
13
35
Welche Ausbildung passt zu mir?
Auf dem Weg zum Mediator, zur Mediatorin – Kosten, Trainer
und Lehrinhalte. Von Jürgen von Oertzen
18
38
„Sie haben da was!“
Tiefer gelegte, ausgelagerte und konstruktiv vertagte Konflikte
in der Mediation. Von Thies Stahl
22
Nicht immer. Aber immer öfter.
Passen Sie zu mir?
Auf der Suche nach einem guten Coach –
Fragen eines potenziellen Kunden. Von Clemens Kappes
Auf diese Idee kommen nicht einmal Sie!
Frank Farrelly und das Spiegeln von Widersprüchen.
Von Frank Wartenweiler
42
Da, wo mein Herz ist
Wie allparteilich bin ich als Mediatorin? Von Daniela Sarrazin
NLP-Arbeit für Menschen mit Behinderungen.
Von Barbara Westphal
25
46
Die Klarheit der schwierigen Gefühle
Wahrheit geht vor Schönheit bei der Konfliktlösung mit der
Klärungshilfe. Von Daniela Dujmic-Erbe
4
Kommunikation & Seminar
4/2013
Vor dem Anfang
Leadership-Matrix und Auftragsklärung im Coaching-Prozess.
Von Ueli R. Frischknecht
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www.klett-cotta.de
Einer der führenden
Krebsmediziner
gibt Antworten
auf Fragen seiner
sterbenden Frau
58
42
Da, wo mein Herz ist
NLP für Menschen
mit Behinderungen
65
Schreibblockade?
Zettel's Traum
Memory und
Emotionen
528 Seiten, geb. mit SU, Abb., € 24,95 (D),
ISBN 978-3-608-94594-2
Rubriken
50
5000 Euro
für Aschenbrödel
„Blue Bossa“ auf dem Saxophon.
Eine Anleitung in 30 Minuten.
Von San Ra Weckert
3
Editorial
6
Pinnwand
7
Nachgefragt bei ...
News
Ich kann lernen
60
Kinder im Umgang mit
einschränkenden Glaubenssätzen.
Von Renate Duschnig
64
Buchbesprechungen
82
Vorschau
82
Impressum
52
54
Eine Frage der Haltung
Martin Bleif verbindet sachliche
Informationen über Krebs mit seinen
sehr persönlichen, berührenden
Schilderungen: Seine Frau Imogen
erkrankte wenige Monate nach der
Geburt ihrer Tochter an Brustkrebs.
Er beantwortet Fragen, die sich viele
Krebskranke und ihre Angehörigen
täglich neu stellen, wie z. B.:
Was ist Krebs und warum entsteht
er?
Warum trifft der Krebs mich? Habe
ich etwas falsch gemacht?
Trainingsalltag: Humor im Umgang
mit Widerständen. Von Eva Ullmann
und Kareen Seidler
58
Wie setzt sich der Körper zur Wehr?
Diese Rubriken finden
Sie im Service-Teil am
Ende des Hefts:
DER NLP-COACH:
„Zettel's Traum“
Mit Shakespeare, Arno Schmidt
und einem handfesten Mord gegen
die Schreibblockade.
Von Gabriele Lönne
68
Trainer-Porträts
72
Seminarkalender
Gibt es verborgene Risiken, die man
kennen muss?
Welche Behandlungsmethoden hat
man?
Gibt es dauerhafte Heilung?
Wie und wo zeigt sich ein Rückfall?
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Kommunikation & Seminar
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Welche Ausbildung passt zu mir?
Von Jürgen von Oertzen
Auf dem Weg zum Mediator, zur Mediatorin –
Nachdenken über Kosten, Trainer und Lehrinhalte.
ie wird man Mediatorin oder Mediator? So unterschiedlich wie die Motivationen für diese Tätigkeit
sind auch die Ausbildungsangebote, die rasch zunehmen:
unterschiedlich in ihrem Mediationsverständnis, ihrem
Aufbau und ihrer Methodik sowie nicht zuletzt in den Kosten, die Ausbildungswillige investieren müssen. Da viele
Mediatoren ihre erste Ausbildung retrospektiv als prägend
für ihre mediative Tätigkeit wahrnehmen, sollten Sie also
sorgfältig abwägen: Was genau wollen Sie lernen? Bei
wem wollen Sie lernen? Und wie soll das Lernen vor sich
gehen?
W
Zunächst: „Mediator“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung; auch das Mediationsgesetz macht kaum Vorgaben
dazu, wer sich Mediator nennen darf.1 Eine bestimmte Ausbildung ist nicht erforderlich. Vorgesehen ist eine geschützte
Bezeichnung, „zertifizierter Mediator“, für die aber die
Rechtsverordnung noch aussteht.2 Ob Zertifikate unnötiger
Formalismus sind oder ein Qualitätsmerkmal auf dem Mediationsmarkt darstellen, ist auch in der Mediationsszene
umstritten. Derzeit vergeben eine Reihe von privaten Organisationen Zertifikate. So darf sich „Mediator BM“ nennen,
wer durch den Bundesverband Mediation e.V., die größte
1 vgl. § 5 MediationsG
2 vgl. § 5 Abs. 2 und 3 i. V. m. § 6 MediationsG. Informationsstand zu Redaktionsschluss Ende Juni
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Kommunikation & Seminar
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TITEL Welche Ausbildung passt zu mir?
Ad-hoc-Fragen an
Jürgen von Oertzen, Karlsruhe
Gibt es etwas an Ihrer Tätigkeit als Mediator bzw. als Konfliktklärer, das auch Ihr eigenes Leben verändert hat? Was
ist es?
Eine Mediationsausbildung kann Selbsteinschätzung,
Auftreten, Kommunikationsstil und vieles mehr verändern – und bei mir sei das geschehen, sagt meine Frau.
In einem üblichen Streit beharre ich zuweilen oder ich gebe
nach. Spielen diese Begriffe – Beharren und Nachgeben –
noch eine Rolle für Sie?
Ja! Beides ist menschlich und beides wird in der Mediation gebraucht: Sie beharren auf Ihrer Position – was ist
Ihnen daran wichtig? Sie geben nach – wie können wir
sicherstellen, dass Sie trotzdem bekommen, was Sie
brauchen?
In welchen Konflikten begleiten Sie als Mediator Menschen
besondern gern?
Bei Scheidungsmediationen springt am meisten raus –
für die Kinder. Andererseits: Geschäftsführer und Gesellschafter kleiner Unternehmen (z. B. Arztpraxen) finden in der Mediation meist effizient zu kooperativen Ergebnissen, die sie auch umsetzen können – und was
will man mehr?
Welchen großen öffentlichen Konflikt hätten Sie gern mediiert?
Dafür kann ich Ihnen gerne Spezialisten empfehlen. Ich
arbeite gerne vertraulich und im persönlichen Kontakt
mit den Beteiligten, also in Wirtschafts- und Familienstreitigkeiten.
deutsche Vereinigung von Mediatoren, zertifiziert wird. Dafür müssen die Interessenten eine Ausbildung mit bestimmten Kriterien absolvieren und weitere Anforderungen
erfüllen. Manche Ausbildungsinstitute vergeben an ihre Absolventen auch eigene Zertifikate oder die eines eng an das
Institut angebundenen Vereins.
Aller Voraussicht nach wird für die im Gesetz geregelte Zertifizierung eine 120-stündige Mediationsausbildung erforderlich sein;3 anerkannte Zertifikate der meisten Mediationsverbände sehen u.a. eine 200-stündige Mediationsaus-
3 siehe Bundestag-Drucksache 17/8058, 18
4 siehe Bundestag-Drucksache 17/8058, 19
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bildung vor. Einige Ausbildungsinstitute bieten diese
200 Stunden als Jahreskurs mit fester Lerngruppe an, andere in einem modularen Aufbau von Grund- und Vertiefungskursen, aus denen die Teilnehmer flexibel auswählen
können. Die Dauer der Ausbildung über ein Jahr oder länger wird vielfach als notwendig angesehen, damit die Teilnehmer die erforderlichen Fähigkeiten üben und sich persönlich weiterentwickeln können. Es gibt am Markt aber
auch kleinere und schnellere Ausbildungen. Einzelne Anbieter fordern ein Mindestalter oder einen bestimmten beruflichen Hintergrund, meist aber ist der Zugang für alle Interessierten offen. An zwei Universitäten, der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) sowie der FernUniversität Hagen, kann in einem etwas längeren Fernstudiengang
ein Master erworben werden, für den auch die wissenschaftlichen Hintergründe von Mediation bearbeitet werden
sollen. Voraussetzung dafür ist ein beliebiger anderer Studienabschluss.
Die Teilnahme an einer 200-stündigen Ausbildung kostet
nach unserer Übersicht derzeit zwischen etwa 2.000 und
über 10.000 Euro; hinzu kommen die Kosten für Materialien und ggf. Fahrten und Übernachtungen. Ein Wechsel
zwischen verschiedenen Anbietern ist in der Regel schwierig, weil Stil und Struktur der Ausbildungen nicht normiert
sind – noch ein Grund, den Anbieter sorgfältig zu wählen.
Was wollen Sie lernen?
Manche Ausbilder bieten ausdrücklich bestimmte Schwerpunkte an, z.B. für den Familien- oder Wirtschaftsbereich
oder, seltener, für Mediationen im öffentlichen Raum. So
können die Auszubildenden Routine mit typischen Problemen dieser Bereiche erwerben. Da andererseits bestimmte
Strukturen und Dynamiken von Konflikten in allen Feldern
ähnlich sind, sehen einige Ausbilder es als unproblematisch
an, eine größere Vielfalt von Anwendungsgebieten abzudecken. Modulare Angebote enthalten oft eine breite
Grundausbildung und dann Spezialisierungsmöglichkeiten.
Vereinzelt gibt es auch Ausbildungsangebote zur Mediation
im internationalen Bereich, z. B. im Rahmen von Friedensmissionen. Manche Ausbildungen geben im Rahmen eines
Vertiefungsmoduls einen Einblick in dieses Thema.
Neben der fachlichen Ausrichtung differieren auch das
Menschenbild, die Sicht auf Konflikte und damit das Mediationsverständnis von Anbieter zu Anbieter. Liegt die Betonung eher auf der effizienten Lösung des konkreten Konflikts, also auf interessenorientierter Verhandlungsunterstützung? Oder sollen Menschen im Sinne einer Konflikt-
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Mediation will Konfliktparteien dabei unterstützen, für ihren Konflikt eigenverantwortlich eine nachhaltige Lösung
zu finden, der alle Konfliktparteien aus freiem Herzen zustimmen können. Das ist nicht ganz einfach, weil bei einem
Konflikt typischerweise sowohl unvereinbare Positionen in
der Sache als auch starke Emotionen eine Rolle spielen.
Es gibt in Deutschland eine Anzahl Mediatorinnen und Mediatoren, die Mediation zu ihrem Hauptberuf gemacht haben. Daneben wenden viele Menschen ihre mediativen Fähigkeiten in ihren beruflichen Positionen gewinnbringend
an. So haben Führungskräfte, Mitarbeiter in Personal- oder
Rechtsabteilungen und auch im Vertrieb sowie Betriebsräte
oft mit Streitigkeiten zu tun. Die Erfahrung zeigt: Schon
wenn nur wenige Mitarbeiter eine Mediationsausbildung
absolviert haben, strahlt das auf das Betriebsklima insgesamt positiv aus.
Auch Rechtsanwälte, Unternehmensberater und Angehörige verwandter Professionen begegnen in ihrem Beruf re-
Transformation dabei unterstützt werden, sich ihrer selbst
bewusster zu werden und ihre gegenseitige Kommunikation
zu verbessern, sodass nachhaltig eine Stärkung der (Arbeits-)Beziehung und eine eigenverantwortliche Konfliktklärung erfolgen kann? Diese Nuancen zu erkennen stellt
bisweilen eine nicht ganz so leicht zu meisternde Herausforderung dar. Begriffe wie „Mediation“, „Konflikt-Moderation“, „Konfliktmanagement“ etc. sind nicht klar definiert
– lassen Sie sich davon nicht verwirren, sondern fragen Sie
die Anbieter, was sie jeweils genau unter „Mediation“ verstehen, was aus ihrer Sicht der „Kern“ von Mediation ist.
Treffen die Aussagen das, was Sie lernen wollen?
Alle Ausbilder sollten Auskunft geben können über die Inhalte, die sie vermitteln. Oft ist es aber nicht so einfach, sie
zu erkennen. Fragen Sie also nach, wenn Sie konkrete Inhalte interessieren. Welche sind für Sie besonders wichtig?
Eine Orientierung wird die Rechtsverordnung zum Mediationsgesetz geben können, deren Inhalt in der Begründung
zum Gesetzentwurf skizziert ist.4
Für die Zertifizierung durch die Verbände werden typischerweise vier dokumentierte und teils supervidierte Mediations-Fälle von Ihnen gefordert. Die Akquise dieser Fälle
kann eine Herausforderung sein. Die Ausbildungsinstitute
geben dafür in deutlich unterschiedlichem Ausmaß Unterstützung, z.B. durch die Möglichkeit, bei Ihrem Ausbilder in
einer Mediation zu hospitieren, oder durch Ausbildungs-
gelmäßig Konflikten. Mediatoren aus solchen „konfliktnahen“ Berufen berichten, dass ihnen die in der Mediationsausbildung erworbenen zusätzlichen Kompetenzen wie Empathie und aktives Zuhören beim konstruktiven Aushandeln
von Konfliktlösungen weiterhelfen. Manche Anwälte und
Berater erleben es dabei als spannende Herausforderung,
sich auf Allparteilichkeit und Neutralität einzulassen.
Einige Unternehmen übernehmen die Kosten einer Mediationsausbildung oder beteiligen sich daran; gelegentlich ist
auch eine staatliche Unterstützung bei den Kosten möglich,
z.B. über eine Bildungsprämie.
Es ist die Erfahrung vieler, dass die Mediationsausbildung
sie persönlich weitergebracht hat: Dank ihres neuen Wissens um Konfliktentstehung, Konfliktdynamik und Deeskalationstechniken reagieren sie auch im privaten Umfeld auf
Emotionen und Meinungsverschiedenheiten angemessener und flexibler als bisher und finden Lösungen, von denen
alle profitieren.
einheiten zum Thema Fall-Akquise. Die Supervision Ihrer
Erfahrungen mit Ihren ersten Fällen ist meist in der Ausbildung enthalten.
Von wem wollen Sie lernen?
Die Bezeichnung als Mediationsausbilder oder -trainer ist
ebenfalls nicht geschützt. Einige Anbieter blicken auf eine
längere Tradition als Mediationsausbilder zurück, andere
sind neu im Ausbildungsgeschäft; ebenso hat mancher viel,
mancher wenig eigene Erfahrung mit Mediation. Machen
die Anbieter dazu klare, vertrauenswürdige Angaben? Eine
gewisse Prüfung der Qualifizierung als Ausbilder übernehmen wiederum Verbände, die einzelne Ausbilder (z. B. im
Falle des BM) oder ganze Institute mit ihrem Ausbildungskonzept (z.B. im Falle der Bundesarbeitsgemeinschaft für
Familienmediation – BAFM und des Bundesverbandes Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt e.V. – BMWA) zertifizieren.
Es gibt Ausbildungen, bei denen Sie einen oder zwei verantwortliche, beständig anwesende und ansprechbare Ausbilder vorfinden, die für bestimmte Einzelthemen GastTrainer einladen. Ist es Ihnen wichtig, dass diese Gast-Trainer selbst Mediatoren sind? Andere Ausbildungen bieten
Ihnen ein breiteres Spektrum an mehr oder weniger gleichberechtigten Ausbildern, deren Mediationsstil sich unterscheiden kann und die sich sehr gut koordinieren müssen,
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TITEL Welche Ausbildung passt zu mir?
um Ihnen eine konsistente Ausbildung zu ermöglichen, und
nicht nur unzusammenhängende Bausteine. Fragen Sie
nach, wie die Institute diese Koordinierung sicherstellen!
Auf jeden Fall sollte ohne Weiteres erkennbar sein, wer
überhaupt die Trainer sind.
Das Betreuungsverhältnis in den Kursen kann sehr unterschiedlich sein; wichtig ist die Frage nach der Teilnehmerzahl pro anwesendem Trainer (ohne Assistenten, Hospitanten etc.) und danach, wie viel Zeit (wenn überhaupt) sich
Ihr Ausbilder allein für Sie nehmen wird.
Wie wollen Sie lernen?
Mediatoren sind bei der Vermittlung in angespannten Situationen speziellen Anforderungen ausgesetzt. Um ihnen
angemessen zu begegnen, ist es am wichtigsten, dass sich
die Mediatoren ihrer selbst bewusst und gleichzeitig empathisch sind, sich also in die Konfliktparteien hineinfühlen
können. Empathie ist eine Fähigkeit aller Menschen, die in
der Mediationsausbildung herausgearbeitet und mit den zugehörigen Techniken trainiert wird. Die große Mehrheit der
Ausbilder halten daher Selbstreflexion sowie Rollenspiele
mit Feedback für die zentralen, wenn nicht sogar unentbehrlichen Methoden der Mediationsausbildung.
Falls Sie etwas Sorge wegen der Rollenspiele haben: Sie
sind nicht allein! Eine gute Ausbildung wird Sie angemessen heranführen und dann diesen Methoden viel Raum geben. Daneben wird in den Ausbildungen oft eine Vielzahl
weiterer Methoden der modernen Erwachsenenbildung angewandt, um ein abwechslungsreiches und erfolgreiches
Lernen zu ermöglichen. Manche Trainer führen auch selbst
Mediationen vor (als Rollenspiel oder per Video), weil sie
glauben, dass durch die Präsentation einiges anschaulicher
wird. Andere vermeiden das, um den Teilnehmern zu ermöglichen, ihren eigenen Stil freier zu entwickeln.
Unterschiedlich viel Gewicht wird auf begleitendes Unterrichtsmaterial gelegt, das von den meisten Anbietern selbst
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mehr oder weniger professionell erstellt und teilweise für
die Bedürfnisse jeder aktuellen Teilnehmergruppe neu konzipiert wird. Bequem ist es, darauf online zugreifen zu können.
In den meisten Ausbildungen werden aus den Teilnehmern
kleinere Peergroups oder Intervisionsgruppen gebildet und
diese teils intensiv unterstützt, um ein vertiefendes Lernen
ohne Ausbilder zu ermöglichen. Viele Mediatoren haben
die Arbeit in diesen Gruppen in guter und intensiver Erinnerung. Es lohnt sich daher zu fragen, welche Mit-Auszubildenden Sie in Ihrer Ausbildung antreffen werden: Menschen, die Ihnen ähnlich sind? Oder Menschen, die Sie auf
den ersten Blick als „anders“ empfinden?
Ihr Weg zum Mediator
So bunt wie die Mediationswelt derzeit ist, so unterschiedlich entwickeln sich auch die Menschen, die in sie eintauchen. Kaum einer kommt aus der Ausbildung unverändert
heraus, und selbst diejenigen, die nach der Ausbildung nicht
als Mediator aktiv werden, berichten übereinstimmend von
dem großen persönlichen Gewinn, den sie aus dieser Zeit
mitnehmen. Wie wird es bei Ihnen sein?
Quelle: Jürgen von Oertzen, Fachartikel v. 2.11.2012, www.mediationaktuell.de, Online-Fachportal des Wolfgang Metzner Verlages
Dr. Jürgen von Oertzen, M.A. (Mediation), Mediator (BM) und Konfliktmanager in Karlsruhe, Mediationsausbilder (BM).
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THEMEN Da, wo mein Herz ist
Da, wo mein Herz ist
Von Barbara Westphal
Wie Menschen mit geistiger Behinderung von
der Arbeit mit NLP profitieren und damit vor
allem ihr Selbstwertgefühl stärken können.
ohl kaum jemand, der nicht täglich Menschen mit geistiger Behinderung begegnet oder selbst betroffen ist,
hat eine Vorstellung davon, was es bedeutet, ständig auf die
Hilfe anderer angewiesen zu sein. Sehr oft erfahren diese
Menschen das Gefühl, weniger wert zu sein als andere. Nach
meiner Erfahrung verhält sich selbst professionelles Personal ihnen gegenüber zuweilen unangemessen, Menschen, die
es im Grunde besser wissen müssten: Angehörige und Betreuer, Sozialarbeiter und anleitende Fachkräfte in Werkstätten, Begleiter im betreuten Wohnen. Oft geschieht dies aus
Zeitdruck, denn gerade in diesen Bereichen wird die Arbeit
immer kompakter und die Zeit für den Einzelnen immer kürzer. Oft ist jedoch Gedankenlosigkeit der Grund. Von Machtmissbrauch einmal ganz zu schweigen.
W
Durch einen Zufall habe ich Kontakt zu einer Werkstatt für
Menschen mit Behinderung bekommen. Die suchte jemanden für einen Kurs zur Gewichtsreduktion in einer Inklusionsgruppe von Frauen mit starkem Übergewicht, einige unter ihnen mit geistiger Behinderung. Das war mein erster
Kontakt zu Menschen mit solchen Behinderungen, ich war
gespannt. Einige Frauen konnten nicht oder nur sehr bruchstückhaft lesen und schreiben. Meine Vorbereitung bestand
also auch darin, die Inhalte mit so wenig Schrift wie nötig
und so vielen Bildern wie möglich aufzubereiten. Ich
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Kommunikation & Seminar
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schöpfte dabei, wie bei all meinen Trainings, überwiegend
aus dem reichen Repertoire des Neurolinguistischen Programmierens. Unterstützt wurde ich durch eine langjährige
Mitarbeiterin der Werkstatt, die die Frauen und das Umfeld
sehr gut kennt.
Zehn Wochen dauerte der Kurs, die Zeit reichte natürlich
nicht, um ein Idealgewicht zu erreichen. Doch es passierte
etwas ganz anderes in dieser Zeit mit den Frauen.
Einige unter ihnen hatten bisher so viele negative Erfahrungen im Kontakt mit anderen, auch mit ihrem Betreuungspersonal, gemacht, dass sie dem Leben buchstäblich
nichts Positives mehr abzuringen wussten. Als eine meiner
ersten Aufgaben sah ich es deshalb an, ihnen eine Idee davon zu vermitteln, dass sie in ihrem Leben durchaus Wahlmöglichkeiten besitzen und auch Einfluss auf ihr Wohlbefinden nehmen können. Ich arbeitete vor allem mit Metaphern und Submodalitäten sowie mit unterschiedlichen Formaten.
Besonders fiel mir das Bedürfnis der Frauen nach einer ungestörten Privatsphäre auf. Sich zurückzuziehen ist nicht
leicht, Störungen reichen bis ins private Umfeld, etwa durch
Mitbewohner der Wohngemeinschaft oder deren Betreuer.
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Deutlich wird das in der Arbeit mit dem magischen Kreis,
in den sich Annette1, so nenne ich sie einmal, begab. Annette bewegt sich ausschließlich im Rollstuhl. Sie sieht immer zu anderen Menschen auf.
Coach: Fehlt noch etwas bei deinem Turm?
Annette: Nein, so ist alles gut.
Annette: Hm, na ja, noch nicht so richtig (lächelt unsicher).
Coach: Gut, dann lade ich dich ein, jetzt in deinen magischen Kreis zu rollen, zu genießen und die Kraft aufzunehmen. Tauche ganz ein. Spüre den Schutz, genieß die Ruhe
und Stille und sieh ganz klein, unten am Fuße des Turms
deine Mitbewohner und Betreuer, die nicht zu dir hinauf
können, denn die Tür ist ja verschlossen und nur du kannst
sie öffnen und auch nur dann, wenn du es willst.
Coach: Okay, mal angenommen, du könntest dir diesen
Kreis vorstellen, einen Kreis, der dir ganz allein gehört, in
dem du völlig ungestört und allein bist. Wie würde der aussehen?
Annette rollt in ihr Kraftfeld und ich kann sehen, wie sie
diese Situation mit all ihren Sinnen genießt und wie sie
strahlt. Ihre Mit-Teilnehmerinnen in der Runde schauen fasziniert auf das, was gerade mit Annette passiert.
Annette: Na, das wäre ein hoher Turm (lächelt, aber immer
noch etwas unsicher).
Gute Erfahrungen habe ich auch in der Submodalitäten-Arbeit mit den Kursteilnehmerinnen gemacht. Den Alltag der
Frauen bestimmen häufig viele unangenehme Gefühle, also
ist es lohnenswert, genauer auf diese Gefühle zu schauen
und die Situationen, in denen sie zu spüren sind. Was siehst,
hörst, fühlst, schmeckst und riechst du? Mit Fragen nach
der Wahrnehmung bekamen die Frauen einen neuen, auch
einen bewussteren Zugang zu ihren Gefühlen. Und sie lernten, diese Gefühle durch Steuerung der Submodalitäten zu
verändern.
Coach: Annette, kannst du dir hier am Boden einen Kreis
vorstellen, der dein magischer Kreis werden wird, deine
Kraftquelle für eine ungestörte Privatsphäre?
Coach: Ein Turm! Wo ist dieser Turm, wo kannst du ihn hier
sehen?
Annette: Er ist hier, direkt vor mir.
Coach: Und wie sieht dieser Turm aus?
Annette: Der ist grau und aus Stein und ich stehe ganz oben.
Coach: Kannst du nach unten sehen?
Annette: Ja, unten sind meine Mitbewohner und die Betreuer. Alle sind ganz klein, wie Ameisen (sie strahlt). Sie
schauen nach oben zu mir. Und es gibt nur ein kleines Tor,
das ist von innen verschlossen und nur ich kann es öffnen.
Karina fühlt sich besonders häufig durch einen Kollegen gestört. Er ist sehr laut und durch seine psychische Beeinträchtigung wiederholt er ständig seine Worte und Sätze. Karina
wird dann wütend und sehr ärgerlich und kann sich nicht
mehr auf ihre Arbeit konzentrieren. Am liebsten wäre ihr natürlich, der Kollege würde das einfach „abstellen“ und sich
ändern. Doch sie weiß, dass das nicht geht. Sie lässt sich darauf ein, zu schauen, wie sie damit besser umgehen kann.
Coach: Gibt es noch was zu sehen?
Annette: Ja, der Turm hat nur ganz kleine Fenster.
Coach: Kannst du auch etwas hören?
Coach: Karina, du hast mir gesagt, dass du wütend wirst
und dich ärgerst, wenn dein Kollege so laut ist und immer
wieder das Gleiche sagt. Angenommen, du kannst dir aussuchen, welches Gefühl anstelle von Wut und Ärger du gern
hättest: Welches Gefühl wäre das?
Annette: Nein, es ist ganz ruhig und still (sie strahlt).
Karina: Na ja, Ruhe.
Coach: Und was fühlst du, da oben auf deinem Turm, auf
dem es ganz ruhig und still ist, wo du ganz allein bist und
du deine Mitbewohner und Betreuer unten nur ganz klein
siehst?
Coach: Okay, Ruhe. Du kennst bestimmt Situationen, in denen du ganz ruhig bist. Denk mal nach. Hast du eine?
Karina nickt.
Annette: Ich fühle mich wohl und geschützt. Es ist schön,
ganz allein zu sein.
Coach: Gut. Wo hast du die Ruhe gefühlt?
1 Alle Namen geändert
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THEMEN Da, wo mein Herz ist
Karina: In meinem Körper.
Coach: Wo in deinem Körper hast du sie gefühlt?
Karina: Da, wo mein Herz ist.
Coach: Kannst du mir das noch genauer beschreiben? Hat
das Gefühl vielleicht eine Form oder eine Farbe?
Karina (schaut ganz überrascht): Ja, das ist wie eine Kugel,
wie eine rote Kugel.
Coach: Eine rote Kugel für Ruhe. Wie ist das Rot? Eher
hell oder dunkel?
die Linke genau so.) – Sehr gut. Schau auf deine linke Hand
und erinnere dich an das Gefühl von Ärger und Wut. Da ist
die hellrote Kugel in deinem Bauch, heiß wie Feuer. Sehr
gut! (Karinas Atem geht schwerer und ihre Gesichtsfarbe
wird etwas dunkler.) – Jetzt bitte ich dich, deine linke Hand
kurz auszuschütteln.
Das Gleiche machen wir jetzt mit Karinas rechter Hand.
Handfläche nach oben, der Ort für Ruhe. Und die Vorstellung,
wie es ist, ganz ruhig zu sein. „Da ist der dunkelrote warme
Ball, genau dort, wo dein Herz ist, und dieser dunkelrote
warme Ball schlägt wie dein Herz. Genau!“ Karinas Gesichtszüge entspannen sich. Ich warte, bis ihr Atem tief und
ruhig ist. Sie lächelt. Sie hat bis hierhin gut mitgearbeitet.
Coach: Eine dunkelrote Kugel. Wie groß ist sie? Und ist sie
warm oder kalt?
Coach: Jetzt schüttle deine rechte Hand kurz aus. Heb nun
beide Hände mit den Handflächen nach oben. Je nachdem,
auf welche Hand du achtest, wirst du wütend oder ruhig.
Links ist Wut und Ärger und rechts Ruhe. Geht das?
Karina: Die ist wie ein Ball und schön warm.
Karina: Ja, das geht. Rechts ist schöner (sie lacht).
Coach: Und gibt es da noch etwas? Eine Bewegung vielleicht? Oder etwas zu hören?
Coach: Und nun stell dir vor, dass in der Mitte zwischen
deinen Händen ein Regler ist. Kannst du ihn sehen?
Karina: Sie schlägt wie mein Herz. – Weiter ist da nichts
(sie fängt an zu strahlen).
Karina: Noch nicht.
Karina: Dunkelrot.
Coach: Gut, dann lassen wir die Ruhe für einen Moment
beiseite. Sehen wir uns jetzt einmal deine Wut und deinen
Ärger an. Kannst du dich daran erinnern, wie es ist, auf deinen Kollegen ärgerlich und wütend zu sein?
Coach: Es könnte ein Knopf zum Drehen sein, so wie früher am Radio, oder so ein Schieber, den man von einer Seite
zur anderen schieben kann. Siehst du ihn jetzt?
Karina: Ja, jetzt sehe ich ihn. Es ist ein schwarzer Knopf
zum Drehen.
Karina: Oh, ja!!!
Karina: Das ist in meinem Bauch.
Coach: Sehr gut. Dann dreh den Knopf bitte einmal ganz
nach rechts, sodass du ganz ruhig wirst. Du spürst den dunkelroten Ball, dort wo dein Herz ist, und er schlägt auch wie
dein Herz.
Coach: Die Fragen, die jetzt kommen, kennst du ja schon.
Dieses Gefühl von Ärger und Wut, hat das eine Form?
Karina: Ja, das geht (sie atmet tief und hat entspannte Gesichtszüge).
Karina: Ja, das ist auch eine Kugel, die ist hellrot.
Coach: Und was passiert, wenn du den Regler nach links
drehst? Probier das einmal aus.
Coach: Dann sag mir doch bitte, wo du das Gefühl spürst?
Coach: Ist die hellrote Kugel eher warm oder eher kalt?
Karina: Die ist heiß wie Feuer und wird immer größer, je
wütender ich werde. Dann kann ich gar nicht mehr richtig
atmen.
Coach: Jetzt kann ich mir vorstellen, wie es ist, wenn du
ganz ruhig bist und wenn du wütend und ärgerlich bist. Jetzt
heb einmal bitte deine linke Hand mit der Handfläche nach
oben. Das ist jetzt der Ort für Wut und Ärger. (Karina hebt
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Kommunikation & Seminar
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Karina: Oh, das ist nicht schön. Da ist wieder die heiße
hellrote Kugel (ihr Atem geht schwerer und ihre Gesichtsfarbe wird dunkler).
Coach: Was passiert, wenn du den Regler ganz langsam zur
Mitte drehst?
Karina (überrascht): Wut und Ärger werden weniger.
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Coach: Dann dreh ihn mal weiter nach rechts. Verändert
sich etwas?
Karina: Ja, ich werde ganz ruhig.
Coach: Und jetzt versuch einmal mit dem Regler zu spielen, mal drehst du ihn nach rechts, mal nach links. Geht
das?
Karina: Ja, aber ich bleib lieber auf der rechten Seite
(lacht).
Coach: Sehr gut. Weißt du, was du machen kannst, wenn
dein Kollege oder auch jemand anderes laut ist?
Karina: Ja, dann drehe ich den Regler einfach nach rechts.
Das ist ja toll. Das versuche ich beim nächsten Mal, wenn
ich mich wieder ärgere.
Weil die Frauen diese Arbeit des Lernens als so wohltuend
empfanden, führen wir diesen Kurs inzwischen unter anderem Namen weiter: „Mit NLP zu mehr Selbstvertrauen und
Selbstsicherheit“. Wir trafen uns anfangs wöchentlich, jetzt
kommen wir alle 14 Tage zusammen: Acht Frauen, die langsam, aber sicher etwas über ihre Rechte lernen und wie sie
sie einfordern können. Die lernen, wie sie Schikanen, Gedankenlosigkeit und Missachtung abwehren können.
Was die Frauen immer wieder beschäftigt, ist, wie wenig
sie sich vom Werkstattpersonal geachtet fühlen, und dass
sie schlecht angeleitet und ungerecht behandelt werden. Mit
dem Inselmodell lernen sie Stück für Stück, dass ihre Betreuer und Anleiter andere Landkarten über die Wirklichkeit besitzen als sie selbst. Es hilft ihnen zu erkennen, dass
ein Verhalten ihnen gegenüber ganz anders gemeint sein
kann, als es bei ihnen ankommt. Und sie beginnen zu akzeptieren, dass ihr Gegenüber auf seiner eigenen Insel und
eben mit einer ganz anderen Landkarte im Kopf sich eben
auch anders verhält, als sie es nach den Maßstäben ihrer eigenen Landkarte erwarten.
Dazu haben wir noch nicht mit NLP-Formaten gearbeitet.
Noch geht es um die Bereitschaft der Frauen, sich auf die
Position eines anderen Menschen einzulassen, der ihnen all
das entgegenbringt, was sie stört und verstört: Unverständ-
nis, Gleichgültigkeit, Ungeduld oder Ungerechtigkeit. Oft
höre ich dann: „Der muss doch merken, dass das ungerecht
ist und dass ich wütend bin.“ Doch im Laufe der Zeit merke
ich, dass die Frauen zunehmend nachdenklich werden,
wenn es um die Position ihrer Anleiter und Betreuer geht.
Und irgendwann werden sie reif für die Arbeit mit den drei
Positionen sein.
Schon jetzt entwickelten die Frauen ein hohes Maß an gegenseitigem Respekt und Achtung voreinander. Und sie erfahren Vertrauen. Für die Mitarbeiterin und mich, die wir
an den Prozessen beteiligt sein dürfen, schärft sich das Bewusstsein für die ganz eigene Welt dieser Frauen – gleichviel ob mit Behinderung oder ohne. Wir werden sensibel
für ihre Sorgen, die Umstände, in denen sie leben und arbeiten. Die Frauen lernen es, dort, wo sie es können, für
sich einzustehen. Sie haben z.B. den Mut aufgebracht, ihrer
Betreuerin vom übergriffigen Verhalten eines Mitarbeiters
des Fahrdienstes zu erzählen. Und erleben, dass sich etwas
ändert, der Fahrer ersetzt wird. Vielleicht sind sie beim
nächsten Mal schon in der Lage, selbst angemessen auf unverschämtes Verhalten zu reagieren.
Die Frauen setzen sich Ziele. Ilona, eine Frau mit geistiger
Behinderung, hat durch unsere gemeinsame Arbeit ihre
„Bestimmung“ gefunden. Zunächst hat sie Annette, die
ständiger Betreuung, zum Beispiel beim Waschen, bedarf,
zu einer Tagung in eine fremde Stadt begleitet und ihr zur
Seite gestanden. Sie absolvierte verschiedene Praktika in
Einrichtungen der Werkstatt und wird nun eine Ausbildung
zur Alltagshelferin beginnen. Bei Ilona war der Knoten bei
der Wunderfrage geplatzt: Stell dir vor, du wachst morgen
auf und alles wäre so, wie du es dir wünschst … Zum Glück
hat auch die pädagogische Leiterin der Einrichtung Ilonas
Möglichkeiten erkannt und ihre Entwicklung bestens unterstützt.
Barbara Westphal, Berlin, Psychotherapeutin nach Heilpraktikergesetz, NLPMaster und -Coach (DVNLP).
Website: www.westphal-coaching.de
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