E-Mail und SMS – ein Vergleich - Schreibkompetenz und neue

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E-Mail und SMS – ein Vergleich - Schreibkompetenz und neue
Christa Dürscheid
E-Mail und SMS – ein Vergleich
Erscheint in:
Ziegler, Arne/Dürscheid, Christa (Hrsg.) (2002): Kommunikationsform EMail. Tübingen: Stauffenburg.
Stand: 23.11.2001
1.
2.
2.1.
2.2.
2.3.
3.
3.1.
3.2.
3.3.
4.
5.
1.
Zum Untersuchungsrahmen
Kommunikative Aspekte
Terminologisches
Vor- und Nachteile des Mailens und Simsens
Nutzungshäufigkeit und Nutzungsmotive
Linguistische Analyse
Vorbemerkungen
Mediale Dimension
Konzeptionelle Dimension
Fazit
Literaturverzeichnis
Zum Untersuchungsrahmen
Telefon, Brief, Fax, E-Mail, Chat, SMS – wir verfügen heute über
verschiedene Möglichkeiten zur Kommunikation über räumliche Distanzen
hinweg. Wovon hängt es ab, welche dieser Kommunikationsformen wir
benutzen? Worin unterscheiden sie sich, welche Gemeinsamkeiten liegen
vor? Gibt es bestimmte Ausdrucksweisen, die ausschließlich in
Abhängigkeit vom gewählten Kommunikationsmedium auftreten, also
medienspezifisch sind? Diese und andere Fragen wurden in der Forschung
bereits diskutiert – sowohl mit Bezug auf die alten als auch die neuen
Medien (vgl. u.a. Holly/Biere 1998, Weingarten 1997). Doch blieb in diesen
Untersuchungen eine der neuen Möglichkeiten zum Informations- und
Nachrichtenaustausch
bislang
weitgehend
unberücksichtigt:
das
Verschicken von Kurznachrichten über das Handy. Das liegt zum einen
daran, dass diese Variante des mobilen Kommunizierens erst seit Ende der
90er Jahre intensiv genutzt wird, man also jetzt erst verstärkt Notiz davon
nimmt. Zwar gab es früher schon die Möglichkeit, kurze Nachrichten über
Funkruf-Dienste wie Quix und Telmi an mobile Endgeräte zu verschicken,
2
Christa Dürscheid
doch setzte sich dieses ‚Paging‘ in Deutschland nicht durch.1 Ein anderer
Grund mag sein, dass Kurznachrichten in der Regel auf maximal 160
Zeichen beschränkt sind, so dass durchaus die Frage berechtigt ist, ob sich
zu diesen kurzen Texten überhaupt linguistisch relevante Aussagen machen
lassen. Hinzu kommt, dass SMS-Texte – anders als Telefongespräche, EMails, Briefe oder auch Chat-Sequenzen – nur mit großem Aufwand
archivierbar sind. Es sind im eigentlichen Sinne flüchtige Mitteilungen.
Zwar kann der Handy-Besitzer eine SMS speichern, der Speicher muss aber
nach 10-15 Nachrichten geleert werden, um neue Nachrichten aufnehmen
zu können. Will man mittels solch gespeicherter SMS einen Korpus
erstellen, bleibt nur die mühevolle Arbeit, den Text vom Display
abzuschreiben2 – es sei denn, die SMS wurde vom Handy zum Computer
verschickt oder umgekehrt von einem der kostenlosen SMS-Dienste des
Internets zum Handy. In diesem Fall liegen die Kurznachrichten als Datei
vor. Derart erstellte und verschickte SMS zeigen aber möglicherweise nicht
die spezifischen Merkmale, die Handy-zu-Handy-SMS haben. Um die
charakteristischen Eigenschaften dieser ‚Handy-Postillen‘ herauszuarbeiten,
bietet sich ein Vergleich mit einer anderen elektronischen
Kommunikationsform an, mit der E-Mail. Dass gerade die E-Mail als
Vergleichsbasis für die SMS (und nicht etwa das Telefongespräch oder der
Chat) gewählt wird, hat folgende Gründe:
1. Sowohl die E-Mail- als auch die SMS-Kommunikation ist zeitversetzt.
Selbst wenn die Mitteilung anders als ein herkömmlicher Brief in
Sekundenschnelle beim Empfänger ist, ist die Kommunikation asynchron,
eine direkte Interaktion ist nicht möglich. Darin besteht der wesentliche
Unterschied zum Telefongespräch, aber auch zum Chat, wo Mitteilungen
quasi in Echtzeit ausgetauscht werden können.3
2. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen E-Mail und SMS ist darin zu
sehen, dass es sich bei beiden um eine Kommunikationsform im Medium
der Schrift handelt. Aus der medialen Schriftlichkeit (Koch/Oesterreicher
1994) ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Wahl der sprachlichen
Ausdrucksmittel (vgl. Abschnitt 3). Diese wiederum berechtigen dazu, die
SMS mit der E-Mail und nicht mit dem Telefongespräch in Beziehung zu
setzen, obgleich sowohl Kurzmitteilungen als auch Telefonate über das
1 „Allenfalls nie auffindbare Schulhausmeister oder wichtige Oberärzte schleppten die
vergleichsweise leistungsschwachen Teile mit sich herum“, so schreibt Haller (2000: 8).
2 Freilich besteht auch die Möglichkeit, das Handy per serieller Schnittstelle oder Infrarot
mit dem Rechner zu koppeln und auf diese Weise die Daten aus dem SMS-Speicher in
den Computer zu übertragen. Solche Angebote finden sich aber nur bei sehr teuren
Apparaten.
3 Allerdings gilt für den Chat, dass ein Kommunikationspartner den anderen nicht
unterbrechen kann. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum mündlichen Gespräch.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
3
Handy vermittelt werden und damit ein wichtiges Merkmal, die
Ortsungebundenheit der Kommunikation, für beide gilt.
3. Im prototypischen Fall handelt es sich sowohl beim Verschicken von EMails als auch von SMS um eine adressatengerichtete Eins-zu-EinsKommunikation. Es besteht zwar die Möglichkeit, eine E-Mail an eine Liste
von Teilnehmern (Mailingliste) oder in einer Newsgroup an viele
unbekannte Leser zu schicken. Auch können Handy-Nutzer einen InfoService abonnieren und sich Bundesliga-Ergebnisse, Börsennachrichten,
Freizeit-Tipps oder Bibeltexte über SMS zukommen lassen. Solche Fälle
öffentlicher Kommunikation werde ich hier ausklammern.4 Im Vordergrund
steht die für E-Mail und SMS bevorzugte Nutzungsvariante: die
individuelle, adressatengerichtete Kommunikation.
Halten wir fest: E-Mail und SMS weisen gemeinsame Eigenschaften auf.
Eine Vergleichsbasis ist also gegeben. Worin bestehen nun die
Unterschiede? Von welchen Faktoren hängen sie ab? Dies sind die
Leitfragen der vorliegenden Untersuchung. Die Vorgehensweise ist wie
folgt: Zunächst werden die kommunikativen Eigenschaften beschrieben, die
kennzeichnend für E-Mail und SMS sind (Abschnitt 2). Im Anschluss daran
stehen die in der SMS und in der E-Mail verwendeten Ausdrucksformen im
Mittelpunkt der Betrachtung (Abschnitt 3). Dass die Ausführungen zur
SMS hier detaillierter ausfallen als zur E-Mail, erklärt sich aus der
Forschungslage: Die E-Mail-Kommunikation ist ein in der Linguistik
bereits gut etablierter Forschungsgegenstand; an diese Untersuchungen wird
hier angeknüpft. Die Studien zum Sprachgebrauch in der SMS hingegen
sind noch unterrepräsentiert. Eine linguistische Untersuchung, deren
Ergebnisse ich in Kap. 3 einbeziehen werde, stammt von Jannis
Androutsopoulos und Gurly Schmidt (2001), eine andere von Peter
Schlobinski et al. (2001).5 In Abschnitt 4 schließlich werden die wichtigsten
Unterschiede zwischen E-Mail und SMS zusammengefasst, und es wird die
4 Ich schließe mich in der Verwendung des Terminus ‚öffentlich‘ der Terminologie von
Pansegrau (1997: 88) an, die mit Bezug auf Mailinglisten schreibt: „Der Terminus
‚öffentlich‘ bezieht sich auf die Tatsache, daß im Prinzip jeder Teilnehmer sein kann
und daß der Sender keinerlei Einfluß auf den Rezipientenkreis hat.“
5 Androutsopoulos/Schmidt (2001) untersuchen die gruppeninterne Kommunikation über
SMS mit den Methoden der ethnografischen Gattungsanalyse. Als Korpus dient ihnen
die SMS-Kommunikation von fünf Personen über einen Zeitraum von acht Wochen
hinweg. Die Verfasser richten ihr Augenmerk v.a. auf die Analyse der Dialogstruktur,
gehen aber auch auf binnenstrukturelle Merkmale der SMS ein. – Schlobinski et al.
(2001) gehen der Frage nach, welchen Einfluss soziale und kommunikative Faktoren
(Alter der SMS-Schreiber, Geschlecht, Beruf, Adressatenkreis) auf die sprachliche
Gestaltung der SMS haben.
4
Christa Dürscheid
Frage gestellt, welche Konsequenzen sich daraus für die weitere Forschung
ergeben.
2.
Kommunikative Aspekte
2.1. Terminologisches
Bevor im folgenden Abschnitt die Vor- und Nachteile von E-Mail und SMS
beschrieben werden, ist eine Klärung der Frage erforderlich, wie diese
beiden Kommunikationstätigkeiten überhaupt zu bezeichnen sind. Für das
Kommunizieren über E-Mail hat sich im Sprachgebrauch bereits der
Terminus mailen (scherzhaft auch mehlen) etabliert. Wie aber wird das
Kommunizieren über SMS bezeichnet? In SMS-Ratgebern (vgl. Haller
2000, Schmidt 2001) und in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über SMS
findet man hierfür das Verb simsen. Dieses Kunstwort ist eine Ableitung
aus dem Initialsubstantiv SMS (Short Message Service).6 Das Verb wurde
mit einem Vokalbuchstaben versehen, um die phonetische Sprechweise zu
ermöglichen. Gelegentlich liest man auch SMSen (analog im Englischen to
SMS). Der Verbstamm besteht hier einzig aus den Initialbuchstaben SMS.
Die mit dieser Schreibung korrespondierende (und einzig mögliche)
Aussprache ist es-em-es-en. Diese Form wird sich, so meine Vermutung, in
der Kommunikation über SMS nicht durchsetzen. Es ist nach den
morphologischen Regularitäten des Deutschen zwar möglich, ein
Initialsubstantiv mit der Deklinationsendung -s zu versehen (vgl. LKWs,
EKGs), die Konjugation eines Initialwortes scheint aber ausgeschlossen
(vgl. ?ich smse, ?ich habe gesmst).
An dieser Stelle ist ein Blick auf die sprachliche Aneignung dieser
Kommunikationstätigkeit in anderen Sprachen interessant: Im Englischen
finden sich analog zum Deutschen die Konstruktionen to send an SMS/a
text message, im Französischen envoyer un mini-message/un SMS/un texto.
In beiden Sprachen gibt es außerdem die Möglichkeit, die Tätigkeit mit dem
denominalen Verb to text somebody bzw. texter quelqu‘un zu benennen. Im
Deutschen wird von dieser Möglichkeit (jemandem texten) ebenfalls
6 Mit SMS wird im Deutschen sowohl der Kommunikationsdienst als auch – weitaus
üblicher noch – die Kurznachricht selbst bezeichnet. In der letztgenannten Bedeutung
schließt das Kurzwort SMS – wie beispielsweise auch Bafög (siehe hierzu Steinhauer
2000: 9) – die Verwendung der lexikalischen Vollform aus (vgl. eine SMS/*eine Short
Message Service verschicken; Bafög beziehen/*Bundesausbildungsförderungsgesetz
beziehen). Hingewiesen sei auch darauf, dass in einem SMS-Ratgeber von „SMSMessages“ (Haller 2000) die Rede ist – ein Pleonasmus, da in dem Kürzel SMS bereits
das Wort Message enthalten ist.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
5
Gebrauch gemacht (Christa Bhatt, p.c.), doch scheint sich hier die Annahme
zu bestätigen, dass eine allgemein akzeptierte Bezeichnung für diese
Tätigkeit noch nicht existiert.7 Die meisten der von mir befragten Schüler
kannten diese Bezeichnung nicht.
Auch was das Verb simsen betrifft, stellt sich die Frage, ob dieses
Kunstwort tatsächlich in der Alltagskommunikation über SMS verwendet
wird. Meine Recherchen, die freilich keinen Anspruch auf Repräsentativität
erheben, ergaben, dass die meisten der befragten Nutzer von mailen oder
eine SMS schicken/schreiben/bekommen/lesen sprechen, nicht aber von
simsen. Beide Möglichkeiten eignen sich nicht zur Verwendung im
vorliegenden Beitrag. Das Verb mailen gestattet nicht die Unterscheidung
zwischen dem Kommunizieren über E-Mail und dem Kommunizieren über
SMS, um die es hier ja gerade geht. Das Verb-Objekt-Gefüge eine SMS
schicken (bzw. analog dazu eine SMS schreiben/bekommen/lesen)
bezeichnet jeweils nur einen Ausschnitt aus der SMS-Aktivität, nicht den
gesamten Vorgang. Dies gilt natürlich ebenso für das Verb texten und die
Nominalisierung das Texten sowie für die Komposita das SMSVerschicken/das SMS-Schreiben etc. und die Syntagmen das
Verschicken/das Schreiben von SMS. Aus diesen Gründen bevorzuge ich
hier das Tätigkeitsverb simsen, auch wenn dieses Kunstwort (noch) nicht in
den allgemeinen Usus eingegangen ist.
Halten wir fest: Im Folgenden werden die Verben mailen und simsen und
die Nominalisierungen das Mailen und das Simsen verwendet. Gemeint ist
damit der gesamte Ablauf der jeweiligen Kommunikationstätigkeit, d.h. das
Verfassen, das Versenden, das Empfangen, das Lesen und gegebenenfalls
das Beantworten des über den Computer (E-Mail) bzw. Handy (SMS)
übermittelten Textes.
2.2. Vor- und Nachteile des Mailens und Simsens
Die Vorteile, die die E-Mail gegenüber der papierenen Post aufweist,
werden von Runkehl/Schlobinski/Siever (1998: 28) aufgelistet; sie sollen
hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden. Vielmehr ist mit Blick auf
die SMS-Kommunikation zu fragen, 1. welche dieser Vorteile das Simsen
nicht und 2. welche Vorteile es darüber hinaus aufweist. Dies lässt
7 Vgl. auch die Telekom-Werbung „Das Festnetz kann jetzt SMS“. Obwohl in
Verbindung mit dem Modalverb können ein Verb erforderlich wäre, wird das Substantiv
SMS verwendet. Es dient als ‚eye catcher’. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang
auch, dass SMS nach einer Erhebung der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ neben
Schwarzgeldaffäre, BSE-Krise, Big-Brother-Haus, Greencard, brutalstmöglich,
Kampfhund, Leitkultur gegen Rechts und basta zu den Wörtern des Jahres 2000 zählt.
6
Christa Dürscheid
Rückschlüsse darauf zu, in welcher Situation die eine oder die andere
Kommunikationsform gewählt wird.
Zu den Vorzügen, die die SMS nicht mit der elektronischen Post teilt,
gehören die folgenden sieben Punkte:8
1. Die über das Handy empfangenen Nachrichten lassen sich nicht ohne
Aufwand weiterbearbeiten. Nur bei bestimmten Geräten kann das
Handy an den Computer angeschlossen und die SMS in ein
Textverarbeitungs- oder E-Mailprogramm übertragen werden. Einige
Handymodelle erlauben zwar das dialogische Einfügen von
Nachrichten, doch wird diese Option aufgrund der Zeichenbeschränkung
nur selten genutzt.
2. Solange die Mobilfunkbetreiber für das Übermitteln der SMS die GSMTechnik (Global System for Mobile Communications) nutzen, können
mit einer SMS weder Text-, Ton- noch Videodateien verschickt werden,
bei der E-Mail ist dies möglich. Geplant ist allerdings eine neue HandyTechnologie, MMS (Multimedia Messaging Services), die den
Austausch von Audio- und Videodateien über das Handy ermöglicht.9
3. In einer E-Mail können Links auf eine für den Empfänger interessante
Webseite gesetzt werden, in einer SMS ist dies nicht möglich.
4. Die Zahl der in der E-Mail verwendeten Zeichen ist unbegrenzt.
Allenfalls die Kapazität des Rechners setzt dem Umfang einer E-Mail
Grenzen. Die Länge einer SMS ist hingegen auf 160 Zeichen beschränkt
(inklusive Leerzeichen).10 Wer eine längere Nachricht verschicken
möchte, muss eine zweite SMS verfassen – und abermals
Telefongebühren bezahlen.
5. Die Eingabe des Textes über die Computertastatur ist unkompliziert.
Beim Handy ist dies ein umständliches und langwieriges Unterfangen.
Erleichtert wird dies lediglich dadurch, dass manche Modelle eine
8 Die Punkte 4 bis 7 werden von Runkehl/Schlobinski/Siever (1998) nicht genannt, da sie
für ihre Studie irrelevant sind.
9 In einer FAZ-Beilage zur Computer- und Elektronikmesse CEBIT vom 20.3.2001, S.
B28 ist hierzu zu lesen: „Wer den Daheimgebliebenen Urlaubsgrüße zusendet, nutzt
künftig MMS. Eine an das Handy angeschlossene Kamera filmt den Strand von Capri,
die Hotelbar und das Nachtleben, kommentiert mit gesprochener Sprache und untermalt
von passender Musik.“ Die Nutzung dieser Dienste wird möglicherweise schon zum
dritten Quartal 2002 möglich sein – sofern der Aufbau des multimediafähigen
Mobilfunknetzes UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) bis dahin
abgeschlossen ist (vgl. http://www.teltarif.de/i/umts.html).
10 Zwar gibt es bei bestimmten Handy-Modellen die Möglichkeit, Kurznachrichten mit
459 Zeichen zu schreiben, doch erhält der Empfänger diese Nachricht nur dann, wenn er
ein ebensolches Handymodell besitzt. Auch besteht die Möglichkeit, mehrere SMS
aneinander zu reihen und sie von der Kurzmitteilungszentrale gemeinsam weiterleiten
zu lassen.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
7
automatische Worterkennung (sog. T9-Software) besitzen. Aber auch
dann müssen die Wörter, die im Lexikon dieser Eingabehilfe nicht
erfasst sind, durch vielmaliges Drücken eingegeben werden.
6. Anders als am Computer steht dem Schreiber am Handy nur ein kleines
Zeicheninventar zur Verfügung: die Buchstaben, die Ziffern, die
Satzzeichen und einige Sonderzeichen. Hinzu kommt, dass die Zeichen
in der SMS bislang noch nicht typographisch (kursiv, fett etc.) gestaltet
werden können.
7. Die E-Mail kann umstandslos ausgedruckt werden, die Handy-SMS nicht.
Soll sie in materialisierter Form auf dem Papier vorliegen, muss der Text
vom Display abgeschrieben werden. Zwar gestatten es die technischen
Möglichkeiten mittlerweile, eine SMS in den Rechner zu übertragen und
auszudrucken oder sie direkt über eine Infrarot-Schnittstelle an einen
Drucker zu senden, doch vermutlich werden nur wenige Handy-Nutzer
über diese Möglichkeiten verfügen.
Welches sind nun die Eigenschaften, die das Schreiben einer SMS trotz
dieser Einschränkungen auszeichnen? Der große Vorteil ist bekannt: Im
Gegensatz zum Mailen ist das Simsen überall möglich.11 Man benötigt weder
einen Computer noch einen Internetzugang noch eine E-Mail-Software. Ein
kleines, handliches, vergleichsweise günstiges Gerät, das man in die
Jackentasche stecken kann, genügt. Wer im Besitz eines solchen Geräts ist,
kann im Prinzip zu jeder Zeit, in jedem öffentlichen und privaten Raum eine
Nachricht verschicken und empfangen. Wie wir noch sehen werden,
resultieren aus dieser einen Eigenschaft zahlreiche andere, die sowohl die
Nutzungsgewohnheiten als auch die Ausdrucksmittel in der SMS betreffen.
An dieser Stelle sei noch ein kurzer Vergleich mit dem Telefonieren erlaubt.
Warum führen die Handybenutzer kein Gespräch, sondern machen sich die
Mühe, einen Text umständlich einzugeben, den sie zudem in aller Kürze
verfassen müssen? Ein Grund hierfür ist sicherlich die durch die Schrift
gewährleistete
Intimität
dieser
Kommunikation
(vgl.
Androutsopoulos/Gurly 2001: 28): Nachrichten können ausgetauscht
werden, ohne dass andere deren Inhalt erfahren. Häufig wird auch
argumentiert, dass das Simsen unaufdringlicher sei – und zwar sowohl für
den Adressaten, der nicht unmittelbar antworten muss, als auch für die im
11 Es sei denn, die Handynutzung ist aus Sicherheitsgründen verboten oder muss unterlassen
werden, weil sie gegen die Etikette verstößt. Letzteres führt zu einem neuen
Betätigungsfeld: Handysitter betreuen die Telefone von Restaurant- oder Theaterbesuchern,
nehmen Anrufe entgegen und holen bei großer Dringlichkeit die Handybesitzer an den
Apparat.
8
Christa Dürscheid
Raum Anwesenden, denen das Mithören erspart bleibt.12 Allerdings muss hier
mit Höflich (2001: 11) darauf hingewiesen werden, dass „auch die ständige
Beschäftigung mit der SMS [...] auf die Nerven gehen kann, sei es, dass man
sich durch das ständige Schreiben von SMS-Nachrichten durch andere
belästigt fühlt oder auch das Gefühl hat, andere durch eigene
Schreibaktivitäten zu belästigen.“ Es gilt also auch für das Simsen, was
Lehnert (1999: 90) in ihrem Essay Mit dem Handy in die Peepshow schreibt:
„Das Klingeln [oder Vibrieren, C.D.] – und die Beantwortung des Klingelns –
stört jedes Gespräch mit den körperlich Anwesenden und macht Ungestörtheit
des Zusammenseins [...] zu einem Traum von gestern.“ Kurz: Auch das
Erhalten, Lesen, Schreiben und Versenden einer SMS kann als Belästigung
empfunden werden. Im Unterschied zum Telefonieren stört es die
Anwesenden nur dann nicht, wenn sie ohnehin nicht mit dem Betreffenden
kommunizieren.
Bei einer von mir im Frühjahr 2001 durchgeführten schriftlichen Befragung
unter 30 Studenten und 23 Schülern zur Nutzung von SMS wurden noch
andere Vorteile des Simsens genannt (hier im Zitat wiedergegeben):
„Hemmschwelle gegenüber nicht so vertrauten Pers. bei Sms niedriger“,
„der Empfänger einer Sms kann mich nicht „volllabern“, „Sms u.U.
billiger“, „Sms: keinen direkten Kontakt, keine direkte Reaktion
notwendig“, „Sms ist billiger, überraschende Freude bei der Ankunft einer
Sms -> Spannung von wem“, „Sms ist kürzer, manchmal einfacher, da man
sich nicht unmittelbar mit Reaktion auseinandersetzen muß.“ Es scheint also,
dass es gerade auch die Mittelbarkeit der Kommunikation ist, die für das
Versenden einer SMS und gegen das Telefonieren spricht. Darauf weisen auch
Androutsopolous/Gurly
(2001:
29)
hin:
„Medial
schriftliche
Medienkommunikation, sei es Email, Chat oder SMS, bietet [...] die
Möglichkeit der Überlegtheit innerhalb der Spontaneität.“ In der Tat: Das
Simsen gibt den Kommunikationspartnern Gelegenheit, über die Antwort
nachzudenken, und es schützt vor Peinlichkeiten, die möglicherweise im
Gespräch offen zutage treten würden. Nicht von ungefähr dient das
Verschicken von SMS gerade unter Jugendlichen häufig zum Anbahnen einer
neuen Beziehung.
2.3. Nutzungshäufigkeit und Nutzungsmotive
12 Gertrud Lehnert beschreibt diese uns allen vertraute Situation sehr anschaulich: „Die
Handy-Besitzerinnen treffen intime Verabredungen, besprechen Privatestes mit
Abwesenden am kleinen Gerät im öffentlichen Raum, während andere, die – oft zufällig –
den öffentlichen Raum mit den Telefonierern teilen (müssen), mit angestrengt
unauffälligem Gesichtsausdruck drumherum sitzen und die Ohren spitzen“ (1999: 90).
E-Mail und SMS – ein Vergleich
9
Nach einer im Januar 2001 von der GfK-Online Motor erhobenen Studie
nutzen mittlerweile 46% der 14-69-jährigen Deutschen das Internet. Davon
stellt das private Senden und Empfangen von E-Mails mit 52% die häufigste
Form
der
Internetnutzung
dar
(vgl.
http://www.marketingmarktplatz.de/eBusiness/Onlinemonitor7.htm).13 Auch das Simsen erfreut sich
immer größerer Beliebtheit. Im Jahr 2000 wurden in Deutschland über 15
Milliarden Kurznachrichten durch die vier deutschen Mobilfunknetze D1,
D2, Viag Interkom und E-Plus geleitet, die Tendenz ist weiter steigend. Andy
Haller (2000: 7) stellt denn auch fest: „SMS oder ‚Short Service Message
Service‘, der ‚Kurznachrichtendienst‘, hat längst den Siegeszug in der
nationalen und internationalen Mobilkommunikation angetreten. Ob in Bus
oder Bahn auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Schulhof, im Klassenzimmer
oder abends neben dem Fernsehprogramm: SMS ist immer dabei.“ Sitzend
oder stehend, den Kopf gesenkt, die Augen auf das Display gerichtet, mit dem
Daumen der rechten Hand über die Tastatur jagend – so erkennt man den
routinierten SMS-Schreiber. Dass es vor allem Jugendliche sind, die diesen
Dienst nutzen, wurde mittlerweile in verschiedenen Studien nachgewiesen
(vgl. Schlobinski et al. 2001: 4). So ergab eine von dem
Marktforschungsinstitut EARSandEYES unter 470 Handybesitzern
durchgeführte Befragung im April 2000, dass 46% der 10- bis 19-Jährigen
mehrmals täglich eine SMS verschicken. Unter den 20- bis 29-Jährigen waren
es noch 35%, unter den 30- bis 39-Jährigen nur noch 14%, unter den 40- bis
49-Jährigen schließlich noch 12%.
Welches sind nun die Gründe, die dazu veranlassen, eine E-Mail bzw. eine
SMS zu schicken? Die Motive der E-Mail-Nutzung sind bekannt: Sie reichen
vom schnellen Informationsaustausch (inkl. Datenübertragung) bis hin zur
Kontaktpflege unter guten Freunden. Was spricht aber nach Meinung der
Nutzer dafür, eine SMS zu schicken, obwohl dies doch weitaus umständlicher
als das Mailen ist? Hängt es v.a. damit zusammen, dass man auf diese Weise
jederzeit kommunizieren kann? Zur Beantwortung dieser Frage richte ich das
Augenmerk auf Jugendliche und junge Erwachsene. Einbezogen werden die
Ergebnisse einer von mir durchgeführten Befragung von Schülern und
Studenten (s.o.) sowie eines kommunikationswissenschaftlichen
Forschungsprojekts an der Universität Erfurt (vgl. Höflich 2001).14 Im
Rahmen dieses Projekts wurden im Juli 2000 die Nutzungsmotive
13 In vielen amerikanischen Büros gilt es mittlerweile als „unfein“, schreibt Gundolf
Freyermuth (2000) in seiner „Kommunikette“, den Kollegen anzurufen. Vieles würde nur
noch per elektronischer Post abgesprochen. Und nicht nur für die USA, auch für
Deutschland gilt: Informationen werden häufig nur noch über E-Mail weitergegeben. Wer
keine E-Mail-Adresse hat, erhält die Information nicht.
14 Die Untersuchung von Schlobinski et al. (2001) zum Nutzungsverhalten von 150 SMSSchreibern bestätigt im Wesentlichen die Ergebnisse der Erfurter Studie.
10
Christa Dürscheid
jugendlicher SMS-Schreiber ermittelt (vgl. Höflich/Rössler/Steuber 2000).
Die Studie ergab, dass unter den befragten 204 Jugendlichen im Alter von 14
bis 18 Jahren die SMS-Kommunikation eine größere Rolle spielt als die EMail-Kommunikation. Im Schnitt würden die Jugendlichen knapp sechs SMSNachrichten pro Tag schicken und empfangen, die Zahl der Handy-Telefonate
und E-Mail-Kontakte liege dagegen jeweils bei weniger als dreimal täglich.
Den Befragten wurde eine Reihe von möglichen Gründen für das Simsen
vorgelegt (u.a. Probleme besprechen, Ratschläge geben, in Erinnerung
bleiben, Kontakte erhalten, nach Befinden der Freunde fragen, eigenes
Befinden mitteilen, Verabredungen treffen, Langeweile vertreiben, immer
erreichbar sein). In der Auswertung ließen sich diese Motive auf die folgenden
fünf Nutzungsdimensionen reduzieren (in dieser Reihenfolge): gegenseitige
Rückversicherung, allgemeine Kontaktpflege, Verfügbarkeit des Mediums,
Lebenshilfe, Nutz-Spaß.15 Ähnliche Ergebnisse erbrachte auch die von mir
durchgeführte Untersuchung, in der keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben
waren: „Treffen, Termine abklären“, „Hallo-Sagen“, „Gute-Nacht-Sagen“,
„Freund über Tagesgeschehen informieren“, „aus Spaß“ – das waren einige
der Antworten, die gegeben wurden. Ein Student wies darauf hin, dass er
eine SMS versende, um dem Empfänger eine E-Mail anzukündigen. Dieser
Umstand weist zurück auf den zentralen Unterschied zwischen E-Mail und
SMS: Über das Handy ist der gewünschte Kommunikationspartner jederzeit
erreichbar, über den Computer nicht.
Wie die Erfurter Befragung weiter ergab, waren die bevorzugten Adressaten
der SMS „der jeweilige Partner; der beste Freund/die beste Freundin sowie
weitere Freunde/Freundinnen und Bekannte“ (Höflich 2001: 12). Nur ein
geringer Prozentsatz (ca. 5%) gab an, SMS an fremde Personen zu
verschicken. Ergänzend sei hinzugefügt, dass 52 der 53 von mir befragten
Schüler und Studenten die Frage, ob man SMS an Personen schicken würde,
die man sieze, verneinten. Das Simsen scheint also zumindest unter den 1425-Jährigen eine Kommunikation zu sein, die fast ausschließlich im privaten
Bereich stattfindet und in der Regel an vertraute Personen gerichtet ist.16 Darin
besteht ein Unterschied zur E-Mail-Kommunikation, die sowohl für private
als auch für nicht-private Zwecke (Jobsuche, Anfrage bei Dozenten etc.)
genutzt wird.
15 Mit dem Stichwort „Nutz-Spaß“ erfassen die Autoren die Einzelmotive „Technik
ausprobieren“, „Informationen abrufen“ und „Langeweile vertreiben“.
16 Spaßeshalber werden SMS gelegentlich an fremde Handynummern geschickt. Auch
SMS-Chats erfreuen sich immer größerer Beliebtheit (vgl. www.sms-flirt.de). Von
solchen Fällen, bei denen sich die Kommunikationspartner nicht kennen, wird hier
abgesehen.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
3.
11
Linguistische Analyse
3.1. Vorbemerkungen
In den folgenden Abschnitten führe ich die Analyse auf zwei Ebenen durch,
auf der medialen (Abschnitt 3.2.) und der konzeptionellen (Abschnitt 3.3.).
Als Bezugspunkt dient die von Koch/Oesterreicher (1994) vorgenommene
Unterscheidung zwischen der medialen und der konzeptionellen Dimension
sprachlicher Äußerungen. Zum einen wird es also um die Frage gehen, welche
Schreibweisen in der E-Mail und in der SMS auftreten (mediale Dimension),17
zum anderen um die Frage, wie sich die sprachliche Gestaltung von E-Mail
und SMS-Texten auf syntaktischer und pragmatischer Ebene unterscheidet
(konzeptionelle Dimension). Vorweg aber sind drei grundsätzliche
Bemerkungen zur Datengrundlage erforderlich:
1. Aus den in Abschnitt 2.3. genannten Gründen werden hier nur solche Texte
miteinander verglichen, die a) von Jugendlichen/jungen Erwachsenen
stammen, b) an vertraute Kommunikationspartner gerichtet sind und c) aus
privaten Gründen verschickt werden. Es handelt sich dabei vorwiegend um
solche Äußerungsformen, die im Sinne von Koch/Oesterreicher (1994) am
nähesprachlichen Pol zu lokalisieren sind und Merkmale konzeptioneller
Mündlichkeit aufweisen. Möglicherweise würden die Ergebnisse anders
ausfallen, wenn die Kommunikationsparameter (+/– Fremdheit der
Kommunikationspartner, +/– Öffentlichkeit der Kommunikation) andere
wären. Hierzu liegen mir keine Daten vor.
2. Was die Analyse der E-Mail-Texte betrifft, stütze ich mich auf eigene
Beobachtungen (Dürscheid 1999, 2000) sowie auf die Befunde in
Runkehl/Schlobinski/Siever (1998), insbesondere auf ihre Auswertung von
100 privaten E-Mails und 30 E-Mails zweier 15-jähriger Mädchen, die über
einen mehrwöchigen Zeitraum miteinander kommunizierten. Zur SMSKommunikation liegen mir 45 Texte vor. Dieses Korpus ist nicht nur kleiner
als das E-Mail-Korpus. Da es sich dabei um Texte mit maximal 160 Zeichen
(inkl. Leerzeichen) handelt, sind die Texte auch weitaus kürzer.18
3. Aus den genannten Punkten folgt: Die Analyse erhebt keinen Anspruch auf
Repräsentativität. Die im Folgenden vorgetragenen Überlegungen können
aber als Hypothesen verstanden werden, die es auf der Basis eines größeren
Datenkorpus zu überprüfen gilt. Sie werfen ein Schlaglicht auf eine neue
17 Der Terminus ‚medial‘ wird hier im Sinne von Koch/Oesterreicher (1994) auf die
beiden Realisationsformen von Sprache (mündlich/schriftlich) bezogen, nicht auf den
Kanal, über den die Nachricht übermittelt wird.
18 Zur Illustration: Der Satz, auf den sich diese Fußnote bezieht, enthält 116 Zeichen (inkl.
Leerzeichen und hochgestelltem Fußnotenzeichen).
12
Christa Dürscheid
Kommunikationspraxis, von der einige meinen, es handle sich um eine
„eigene Sprache“ (Kroker 2001: 145), um ein „Handysch“ (Schmidt 2001:
9).19
3.2. Mediale Dimension
Sowohl die E-Mail- als auch die SMS-Kommunikation ist schriftbasiert. Die
Realisierung erfolgt also, sieht man von multimedialen E-Mail-Dateianhängen
ab, nach der Terminologie von Koch/Oesterreicher (1994) in der medialen
Schriftlichkeit. Die Schriftzeichen werden über die Computer- bzw.
Handytastatur eingegeben und über Kabel bzw. einen Signalisierungskanal an
die nächste Antenne weitergeleitet. Letzteres ist der Grund dafür, dass nur eine
begrenzte Zeichenzahl transportiert werden kann (vgl. Lauer 2001: 18). Aus
beiden Faktoren (Eingabegerät/Zeichenbeschränkung) ergeben sich
Auswirkungen auf die (ortho-)graphische Gestaltung der Texte:
1. Die Zahl der Rechtschreib- und Tippfehler ist in der SMS größer als in
der E-Mail. Das Argument, dass in der SMS Schreibfehler auftreten, da sie
konzeptionell mündlich ist und Normverstöße in solchen Texten eher
toleriert werden, spielt dabei keine Rolle. Denn auch für die hier
betrachteten E-Mails gilt, dass sie konzeptionell mündlich sind. Die Gründe
sind vielmehr die folgenden:
a) Am Computer steht dem Schreiber eine Rechtschreibkontrolle zur
Verfügung, am Handy nicht. Lediglich die automatische Worterkennung
T9 kann einen Beitrag dazu leisten, orthographische Fehler zu
vermeiden.
b) Entdeckt der Schreiber in der E-Mail einen Fehler und will er diesen
korrigieren, so erfolgt die Korrektur schneller als in der SMS. Zu
vermuten ist daher, dass solche Fehler am Handy eher übergangen
werden.
c) Die Texteingabe am Handy ist weitaus umständlicher als am Computer.
Je nach Handymodell muss eine Taste ein Mal (z.B. für den Buchstaben
<a>) bis 15 Mal gedrückt werden, damit das Zeichen auf dem Display
erscheint. Ein Komma beispielsweise erfordert bei einem einfachen
Handymodell (Siemens C25) fünfmaliges, ein Punkt viermaliges
Drücken. Dass Satzzeichen unter diesen Bedingungen häufig
weggelassen werden, verwundert nicht. So gaben 26% der von mir
befragten Studenten an, sie würden keine Kommas setzen, unter den
Schülern waren es 13%. Schlobinski et al. kommen bei der Auswertung
ihres SMS-Korpus zu einem ähnlichen Befund: „In einem Drittel aller
19 Vgl. auch die Frage „Do you speak SMS?“ (Lauer 2001: 19) und die Schlagzeile der
BILD-Zeitung vom 15.8.01: „Die Geheimcodes der SMS-Sprache“.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
13
Fälle wird vom standardisierten Satzzeichengebrauch abgewichen“
(2001: 9).
d) Da über Handy in der Regel nur 160 Zeichen weitergeleitet werden
können und das Versenden einer weiteren SMS nochmals Gebühren
kostet, greifen die Schreiber auf Sparschreibungen zurück. Leerzeichen
zwischen Wörtern werden ausgelassen (z.B. KOMMEHEUTE), große
Anfangsbuchstaben werden gesetzt, um die Wortgrenze zu markieren
(KommeHeute) und damit eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. Die
Kennzeichnung der Wortart durch die Groß- und Kleinschreibung wird
auf diese Weise obsolet, die Großschreibung dient nur noch als
Segmentierungshilfe.
e) Eine weitere Verschriftungstechnik ist bereits aus E-Mail- und mehr
noch aus Chat-Texten gut bekannt (vgl. Dürscheid 2000): Auch in SMSTexten finden sich graphostilistische Mittel, deren Funktion es ist,
mediale Mündlichkeit zu kompensieren: Iterationen (z.B. „richtig
motivierend!!“),
Smileys
(z.B.
„VIEL
SPAß!
;-)“)
und
Großschreibungen zur Hervorhebung einzelner Wörter. Doch sind in
meinem SMS-Korpus nur zwei der genannten Merkmale belegt: Smileys
(2x) und die Wiederholung von Satzzeichen (1x). Die emphatische
Großschreibung fällt möglicherweise deshalb weg, weil der Text häufig
ohnehin in Großbuchstaben eingegeben wird, um weniger tippen (=
drücken) zu müssen. Grundsätzlich spielt auch der Faktor eine Rolle,
dass in der SMS nur ein 160-Zeichenvorrat zur Verfügung steht.
Eventuell verzichten die Schreiber deshalb auf Iterationen und Smileys.
Andererseits scheuen sie oft weder Mühe noch Kosten, um selbst
angefertigte oder für diesen Zweck eigens heruntergeladene SMS-Bilder
(Herz, Torte, Teddy, Häschen, Sternenhimmel mit „Gute Nacht“ usw.)
zu verschicken.
2. Das wichtigste Merkmal, das die SMS auf graphischer Ebene von der EMail unterscheidet (und sie in die Nähe des Telegramms rückt), ist das
Verwenden von Abkürzungen. Um Zeichen zu sparen, werden
Funktionswörter („HÖRE GERAD D. KOSAKENKASSET.U.TRAGE
SACHEN UM“), Namen („Ich hab j. Noch nicht gesehen“) und
Inhaltswörter („COMP. SPINNT NOCH“) graphisch verkürzt.20 Dass
insbesondere Funktionswörter (Präpositionen, Artikel, die Konjunktion und)
abgekürzt werden, verwundert nicht. Sie sind, wie Schlobinski et al. (2001:
18) schreiben, „sozusagen ‚semantisch entlastet’, d.h. sie können aufgrund des
grammatischen Zusammenhangs auch dann interpretiert werden, wenn ihr
Zeichenkörper stark reduziert ist.“ Auch für die Teilkürzung von
20 Alle hier und im Folgenden in Anführungszeichen genannten Beispiele stammen aus
dem SMS-Korpus. Sie werden in der originalen Schreibweise wiedergegeben.
14
Christa Dürscheid
Inhaltswörtern gilt, dass die Vollversion meist auf innersprachlicher Ebene
erschließbar ist, sofern es sich nicht ohnehin um konventionalisierte
Abkürzungen wie Nr. oder z.B. handelt.21 Für Städtenamen stehen häufig die
Autokennzeichen, für bekannte Grußformeln die Kürzel CU (see you), G&K
(Gruß & Kuss), VLG (Viele liebe Grüße), BB (Bis bald oder Bye-Bye) und
MFG (Mit freundlichen Grüßen). Bei CU handelt es sich um eine
Schreibung nach dem Rebusprinzip; der englische Lautwert der
Buchstabenzeichen <c> und <u> wird übernommen, die Zeichen aber mit
anderer Bedeutung belegt. Weitere solche Kurzschreibungen, die auch in
der E-Mail- und Chat-Kommunikation Verwendung finden, sind: Gute N8,
4u, 2L8.
Während in Bezug auf alle diese Beispiele noch argumentiert werden kann,
dass sie nicht nur verwendet werden, um Zeichen zu sparen, gibt es eine
andere Verschriftungstechnik, die unbestritten auf den beschränkten
Zeichenvorrat der SMS zurückzuführen ist. Das Phänomen ist bekannt und
viel propagiert: In der SMS treten Sparschreibungen für Sätze und
komplexe Phrasen auf. Beispiele hierfür sind HDGDL (Hab dich ganz doll
lieb), HDL (Hab dich lieb), GNGN (Geht nicht, gibt‘s nicht), HEGL
(Herzlichen Glückwunsch) und HASE (Habe Sehnsucht). Es handelt sich
dabei um Initial- und Mischabkürzungen. Die Bezeichnungen sind
angelehnt an die Kurzwortklassifikation von Kobler-Trill (1994), die zu
Beginn ihrer Arbeit die Kurzwörter von den Abkürzungen abgrenzt:
Kurzwörter werden phonetisch als solche realisiert (z.B. Bafög),
Abkürzungen sind ausschließlich an die Schrift gebunden (d.h., usw., bzgl.).
Nur um Letztere geht es im Folgenden. Natürlich dienen auch die
Kurzwörter dem Einsparen von Zeichen; ihr Auftreten ist aber bereits gut
erforscht (vgl. zuletzt Steinhauer 2000) und nicht SMS-spezifisch.
Mit den Kurzwörtern gemeinsam haben die SMS-Abkürzungen ihre
Bildungsweise. Kobler-Trill (1994) unterscheidet unisegmentale und
multisegmentale Kurzwörter (Demo, Bafög), eine Unterscheidung, die auch
für Abkürzungen gilt (u.; d.h.). Multisegmentale Kurzwörter klassifiziert sie
weiter in Initialkurzwörter (ARD), Silbenkurzwörter (Kripo) und
Mischkurzwörter (Schiri), wobei Letztere dadurch gekennzeichnet sind,
dass sich die Kurzwortsegmente und die Silbensegmente der Basislexeme
nicht decken (vgl. Schiri < Schieds-rich-ter). Analoges finden wir bei den
Abkürzungen: HDL ist eine Initialabkürzung (Hab dich lieb), Hadili (Hab
dich lieb) eine Mischabkürzung. Eine multisegmentale, in der SMS
21 Den Terminus „konventionalisierte Abkürzung“ übernehme ich von Schlobinski et al.
(2001: 17). Die Autoren rechnen hierzu auch die Abkürzungen von Namen und
Wochentagen. Diese müssen aber in jedem einzelnen Fall aus dem Kontext erschlossen
werden (z.B. „ „J. war heute wieder unausstehlich“), sie sind nicht konventionalisiert.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
15
gebräuchliche Silbenabkürzung ist mir nicht bekannt, als konstruiertes
Beispiel kann komspä (komme später) genannt werden. In der Regel werden
bei den SMS-Abkürzungen die Abkürzungspunkte weggelassen. Dies
diente ursprünglich nur dazu, Zeichen einzusparen, ist mittlerweile aber
bereits zum Standard geworden. Das wiederum führt dazu, dass die
Abkürzungen, zumindest sofern sie auch gebunden gesprochen werden (vgl.
LAMAWI), wortähnlichen Charakter bekommen.
Nun mag man einwenden, dass Abkürzungen in der elektronischen, aber
auch in der nicht-elektronischen Kommunikation ohnehin gebräuchlich
sind, wie die Beispiele MFG, V.i.S.d.P., u.A.w.g. und auch die Belege aus
dem E-Mail-Korpus von Runkehl/Schlobinski/Siever (1998) zeigen. Eine
neue Entwicklung zeichnet sich in der SMS-Kommunikation dennoch ab:
Zum einen wird das Abkürzungsverfahren auf die Schreibung ganzer Sätze
angewandt und zum anderen wird es produktiv eingesetzt. Warum dies
bislang nicht üblich war, liegt auf der Hand: Je komplexer die Abkürzung,
desto schwerer ist es, sie aufzulösen. Bei multisegmentalen Abkürzungen ist
dies im Prinzip nur noch dann möglich, wenn sie bereits in den allgemeinen
Usus übergegangen sind. Warum aber treten solche Abkürzungen nun
verstärkt in der SMS auf?
Es lässt sich natürlich anführen, dass Zeichen gespart werden müssen. Doch
stellt sich auch in der SMS-Kommunikation das Problem, wie solche
Abkürzungen vom Rezipienten aufgeschlüsselt werden können. Für einige
SMS-Schreiber scheint es geradezu ein kreatives Spiel geworden zu sein,
Abkürzungen zu gebrauchen und den Empfänger damit vor ein Rätsel zu
stellen. Diese Vermutung wird auch durch die Tatsache belegt, dass die
Schreiber homographe Formen konstruieren (z.B. FKK = Fahre Kaugummi
kaufen, COLA = Come later, BSE = Bin so einsam), die den Leser bei der
Dekodierung auf eine falsche Fährte führen. In meinem SMS-Korpus findet
sich allerdings keine einzige multisegmentale Abkürzung. Eine aus diesem
Grund im Juni 2001 unter 85 Studenten durchgeführte Befragung ergab,
dass 34% bzw. 62% der Befragten die Abkürzungen HDGDL bzw. HDL
verwendeten; alle anderen von mir genannten Beispiele lagen unter der 5%Marke. Die 21 Beispiele hatte ich Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über
SMS entnommen. In diesen Artikeln, aber auch in SMS-Ratgebern (vgl.
Schmidt 2001) und neuerdings auch in einem SMS-Abkürzungslexikon,
werden zahlreiche Abkürzungen aufgelistet, die man, so ist zu lesen, kennen
sollte.22 Ob sie aber in der Praxis tatsächlich verwendet werden, kann
bezweifelt werden. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen,
dass die BILD-Zeitung im November 2000 mit Beispielen wie Zumiozudi,
22 Ein besonders kurioses Beispiel ist DUWIPA (Du wirst Papa), ein anderes BILD
(Bärchen, ich liebe dich).
16
Christa Dürscheid
Wamaduheu und Dubidodo dazu aufforderte, über Handy weitere Kürzel
einzuschicken, von denen die „witzigsten“ mit einem Preis (natürlich einem
Handy) prämiert und in der Zeitung veröffentlicht wurden. Diese Aktion,
von der vor allem die Netzbetreiber profitierten, hat bei den Lesern
möglicherweise den Eindruck geweckt, solche Abkürzungen würden
tatsächlich jeden Tag zu Abertausenden verschickt. Ähnliches gilt für die
Talkshow „Sabine Christiansen“, in der die Moderatorin in der
Diskussionsrunde zum Thema „Man spricht Deutsch – aber wie?“
(29.7.2001) Abkürzungen wie BGS (Brauche Geld, sofort) und BSE (Bin so
einsam) als Beispiele nennt. Nach meinem Dafürhalten wird hier in den
Medien ein Bild aufgebaut, das nicht der Realität entspricht. Und noch
etwas sei zum öffentlichen Diskurs über SMS kritisch angemerkt: Wenn mit
Bezug auf SMS-Abkürzungen davon die Rede ist, es handle sich um eine
„SMS-Sprache“ (Kroker 2001: 145), dann ist diese Einschätzung falsch.
Was sich durch den Gebrauch der Abkürzungen ändert, ist die graphische
Gestaltung der Texte. Die Sätze selbst werden dadurch nicht kürzer,23 und
sie verändern durch die Abkürzungen auch nicht ihre syntaktische Struktur.
Den Punkt abschließend bleibt festzuhalten: Unbestritten ist, dass in der
SMS das Abkürzungsverfahren eine wichtige Rolle spielt. Unbestritten ist
auch, dass es sich nicht nur auf bereits standardisierte Formen, sondern auch
auf Konstruktionen erstreckt, die von diesem Verfahren bislang ausgespart
wurden. Wie frequent diese Formen tatsächlich sind, muss hier offen
bleiben. In einem repräsentativen Korpus muss geprüft werden, welche
Abkürzungen tatsächlich gebraucht werden, welche nur ad-hoc-Bildungen
sind und welche, auch weil sie in den Medien immer wieder als Beispiele
angeführt werden, in den allgemeinen Usus übergehen.
3.3. Konzeptionelle Dimension
In diesem Abschnitt geht es um die sprachlichen Ausdrucksmittel, die in der
E-Mail und in der SMS Verwendung finden. Vorab aber sei noch einmal daran
erinnert, dass die hier ausgewählten Daten der konzeptionellen Mündlichkeit
zuzuordnen sind. In beiden Korpora treten Merkmale auf, die dies belegen:
Reduktionsformen und Assimilationen („WAS IST DAS DENN FÜR NE
EINSTELLUNG!“, „umwerfend wars“), Gesprächspartikeln („cool was?“),
Interjektionen („OHH“), umgangssprachliche Ausdrücke („Darauf hab ich
echt keinen Bock!!“, „SCHEIßE WOLL?“), Dialektismen („Mir kucken
grad fotos an“), phonetische Schreibungen („BUA“) und parataktische Sätze.
Sie sollen hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden, da sie kennzeichnend
23 Der Meinung ist offensichtlich die BILD-Zeitung, die ihre Plakataktion als „SMSAktion gegen lange Sätze“ betitelte.
E-Mail und SMS – ein Vergleich
17
für beide Datenbereiche sind.24 Im Mittelpunkt stehen vielmehr solche
Merkmale, die die nähesprachliche E-Mail- von der nähesprachlichen SMSKommunikation unterscheiden. Wenn die Kommunikationsparameter auf
diese Weise konstant gehalten werden, dann kann angenommen werden, dass
die zu beobachtenden Unterschiede auf das Kommunikationsmedium
zurückzuführen sind.
Beginnen wir mit der syntaktischen Ebene. Auch wenn das SMS-Korpus sehr
klein ist, fällt ein Phänomen ins Auge: Unter den 45 Texten gibt es nur fünf,
die syntaktisch voll expliziert sind. In 31 Fällen ist es das Subjektpronomen,
das ausgelassen wurde (vgl. „Drück Dir ganz fest die Daumen für die
Klausur. !Du schaffst das! Melde mich dann!Ciao!“). Die Schreiber folgen
hier einer syntaktischen Regularität, die typisch für die gesprochene Sprache
ist.25 Das Subjekt-, aber auch das Objektpronomen (vgl. _ Bin gleich wieder
da. _ Mach ich später) kann im Vorfeld wegfallen, wenn es aus dem Kontext
heraus verstehbar und nicht emphatisch hervorgehoben ist. Im Mittelfeld ist
die Auslassung des Subjekts nicht möglich (vgl. *Gleich bin _ wieder da).
Neu ist die Konstruktion also nicht, neu ist lediglich, dass diese Konstruktion
in der SMS so frequent ist. Auch andere Auslassungen treten in der SMS
verstärkt auf: Sätze stehen ohne finites Verb (z.B. „WIEDER IN
DEUTSCHLAND, ABER MÜDE!“), Substantive stehen ohne Artikel,
(„MUSS ERST COMPUTER HEILE MACHEN“), Konjunkte werden
asyndetisch gereiht („VERBRINGE HEUTE EINEN FAULEN TAG:
PENNEN LESEN BADEN“). Hierbei handelt es sich um sog.
Strukturellipsen: Diese sind nicht an konzeptionelle Mündlichkeit
gebunden, sondern ein Merkmal medial schriftlicher Texte, in denen
Wortmaterial eingespart wird (z.B. Schlagzeilen, Hinweisschilder). In der
Analyse solcher Reduktionsphänomene ist zwischen situativen Ellipsen und
Strukturellipsen zu unterscheiden (vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2001: 22).
Nur erstere resultieren aus dem Dialogcharakter der SMS.
Auch auf der pragmatischen Ebene lassen sich Frequenzunterschiede
zwischen E-Mail- und SMS-Texten feststellen: Zum einen fällt auf, dass 31
der 45 SMS-Texte ohne Begrüßungs- und Verabschiedungsformel verfasst
sind. In den übrigen Texten treten verschiedene Variationen auf. So kommt
es vor, dass zum Schluss zwar eine Formulierung wie Ciao oder Bye-bye
verwendet wird, aber der Name fehlt oder umgekehrt der Name steht, aber
die Verabschiedungsformel fehlt. Für die Begrüßung gilt nur Ersteres (z.B.
„HI! DANKE FÜR DEINE MAIL“); der Fall, dass nur der Name des
24 Zu weiteren Beispielen für Reduktionen und Assimilationen vgl. Schlobinski et al.
(2001: 15–17).
25 Beispiele finden sich auch in der von Runkehl/Schlobinski/Siever (1998: 41) zitierten
E-Mail einer Jugendlichen (z.B. „aber hab nicht mit ihm geredet“).
18
Christa Dürscheid
Adressaten steht, ist nicht belegt. Nun kann argumentiert werden, dass es in
unserer Briefkultur nicht üblich ist, einem Schreiben lediglich den Namen
des Adressaten voranzustellen, doch entspricht auch das Weglassen des
eigenen Namens am Ende des Briefes nicht den Gepflogenheiten.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die SMS-Texte überhaupt an solchen
Maßstäben gemessen werden können. Es scheint, als würden hier die im
Vergleich zum herkömmlichen Brief und auch zur E-Mail bekannten
Muster nicht gelten. Ob dies nur auf das ökonomische Schreiben
zurückzuführen ist, ist fraglich. Möglicherweise hängt das Weglassen des
Adressaten- bzw. Absendernamens damit zusammen, dass die Schreiber
damit eine Kommunikationspraxis verbinden, bei der eben dies üblich ist:
das Aufschreiben einer kurzen Mitteilung für den Abwesenden (z.B.
Komme heute später. Kannst du das Essen machen?). Ein anderer Grund ist
der, dass viele SMS in kurzen Abständen hin und her geschickt werden.
Aus dieser Dialogstruktur ergibt sich, dass der Adressat einer SMS seine
Antwort nicht mit einer Begrüßungsformel beginnen lässt, sondern – wie in
einem Gespräch auch – direkt auf den Inhalt der Nachricht Bezug nimmt.
Allerdings gilt weiterhin, dass es sich bei der SMS-Kommunikation nicht
um eine direkte Interaktion handelt. Aus diesem Grunde kann auch der Chat
nicht (wie dies Schlobinski et al. 2001 tun) als Vergleichsbasis für die SMS
herangezogen werden. Je kürzer die Abstände zwischen dem Senden einer
SMS und dem Erhalt der Antwort aber sind (und gelegentlich sind es nur
wenige Minuten), desto stärker wird der Dialogcharakter der SMS.
Ein weiteres, in semantisch-pragmatischer Hinsicht wichtiges Merkmal ist das
folgende: Eben weil eine SMS im Prinzip jederzeit und überall gelesen und
geschrieben werden kann, sind die Texte stark situationseingebunden. Sie
stehen meist im Präsens; außerdem finden sich häufig temporaldeiktische
Ausdrücke („HAB GRAD VERS. DICH ANZURUFEN“; „BIN IN 2 STD
DA““ „GEHE JETZT KRÄUTER SAMMELN“ „ICH GEH HEUTE
HIN“). Insbesondere das Temporaladverb gerade, das einen Bezug zur
Äußerungssituation herstellt, tritt in meinem Korpus mehrfach (7x) auf. Auch
die Rezeptionssituation des Empfängers wird thematisiert, häufig in Form von
Fragehandlungen: „HAST DU JETZT EINEN TEXT?“; „NA, WIE
KOMMST DU MIT MATHE ZURECHT?“; „Hast Du Lust und Zeit heute
abend ins Kino zu gehen?“; „HAT ES GEKLAPPT?“. Weitaus mehr als bei
einer E-Mail kann der SMS-Schreiber davon ausgehen, dass der Empfänger
die Nachricht unmittelbar nach Erhalt liest. Es ist also einfacher, auf die
Origo des Empfängers Bezug zu nehmen. In diesem Zusammenhang sei
noch einmal an die Motive für das Versenden einer SMS erinnert. An erster
Stelle der Nutzungsmotive steht – so lautete das Ergebnis der Befragung von
Höflich/Rössler/Steuber (2000: 13), die „gegenseitige Rückversicherung – zu
erfahren, was die Freunde oder der Partner machen und ob es ihnen gut geht
E-Mail und SMS – ein Vergleich
19
bzw. selbst mitzuteilen, was man macht und wie es einem geht.“ Hier möchte
man ergänzen: An erster Stelle geht es darum mitzuteilen, was man selbst
gerade macht bzw. zu erfahren, was die Freunde oder der Partner gerade
machen.
In dem oben angeführten Beispiel „HAT ES GEKLAPPT?“ tritt ein
weiteres interessantes Phänomen auf: Das Referenzobjekt wird nicht
explizit genannt; allenfalls aus der vorangestellten Anrede „HALLO
POWERPÜNKTCHEN“ kann es erschlossen werden. Wenn die
Nachrichten schnell hin und her wechseln, ist es offensichtlich nicht
erforderlich, eindeutige anaphorische Bezüge herzustellen. Dies zeigt auch
die Äußerung „DANKE!FREU MICH DRAUF!“, die unmittelbar zu
Beginn einer SMS steht. Die SMS-Kommunikation kommt auch in diesem
Punkt einem Dialog gleich. In der E-Mail-Kommunikation ist eine solche
implizite Bezugnahme in der Regel nur dann möglich, wenn Sequenzen aus
einer E-Mail in das eigene Schreiben eingefügt werden (vgl. Pansegrau 1997:
93).
Ein letzter Punkt, der auf pragmatischer Ebene relevant ist und die SMS von
der E-Mail unterscheidet, ist der folgende: War es früher üblich, der Freundin
einen Spruch ins Poesiealbum zu schreiben, so findet man diese Praxis nun
auch in der fernschriftlichen Mobilkommunikation. Allerdings ist hier
anzumerken, dass die Sprüche selbst sich gewandelt haben. Oft dienen sie der
Liebesbeteuerung, dem „Anbaggern“, dem „Warmhalten“ (Haller 2000: 32)
(vgl. Du bist mein Glück, du bist mein Stern/ auch wenn du spinnst, ich hab
dich gern; Heimlich still und leise/ schicke ich diese SMS auf Reise/ Sie
kommt heimlich und mit Grüßen/ sie soll dir den Tag versüßen). Sie sollen
den Empfänger erfreuen, überraschen, amüsieren (vgl. Wollte dir etwas
unbeschreiblich Schönes, Liebes, Einfühlsames, Erotisches und Prickelndes
senden. Aber leider passe ich nicht aufs Display). Viele dieser Texte (auch
„SMS-Jokes“ genannt) erinnern aber auch an ordinäre Klosprüche und
Graffiti (vgl. www.sms-sprueche.de), andere sind witzige Textbricolagen
(Tag Harry, hier Stefan. Alles klar?; Hallo, ich bins, Boris Becker. Sie
können mich nicht sehen? Na klar, ich bin drin!) oder harmlose
Verballhornungen (Das dümmste Ding auf Erden/ sollte einst der Affe
werden/ doch der Plan, der ging daneben/ und der Mann begann zu leben).
Legt man die Klassifikation der Sprechakttheorie zugrunde, dann gilt: In den
meisten Beispielen dieser Art ist der propositionale Gehalt der Äußerung
sekundär. Im Vordergrund stehen der illokutive und der perlokutive Akt, d.h.
die Intention des Schreibers und die Wirkung, die er mit der SMS erzielen
möchte. Diese Analyse trifft ebenso auf solche SMS zu, in denen nur kurze
Grüße (z.B. Gute Nacht. Schlaf schön) oder SMS-Bilder (s.o.) verschickt
werden. Hier liegt die Hauptfunktion der SMS auf der Beziehungsebene; der
20
Christa Dürscheid
Nachrichtencharakter steht im Hintergrund. In der E-Mail-Kommunikation
finden sich solche Beispiele in der Regel nicht. Hingewiesen sei aber
darauf, dass einige Schreiber in der Signatur, mit der sie ihre Briefe
abschließen, einen Spruch (z.B. Bitte beachten Sie auch das Kleingedruckte
auf der Rückseite dieses Schreibens) oder ein Zitat einfügen (vgl. hierzu
Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 33).
4.
Schluss
In diesem Beitrag wurden die Grundlagen der E-Mail- und der SMSKommunikation beschrieben (Abschnitt 2) und die sprachlichen
Besonderheiten von E-Mail- und SMS-Texten (Abschnitt 3) herausgearbeitet.
Dabei stand die SMS im Mittelpunkt der Betrachtung, da diese
Kommunikationsform auf sprachlicher Ebene bislang noch weitgehend
unerforscht war. Für alle hier betrachteten SMS-Texte gilt, dass sich die
Kommunikationspartner gut kennen. Verglichen wurden diese mit solchen EMails, die ebenfalls durch eine Vertrautheit der Kommunikationspartner
gekennzeichnet sind. Auf diese Weise war eine Vergleichsbasis gegeben, die
es ermöglichte, solche Eigenschaften herauszuarbeiten, die aus der
Kommunikationsform selbst resultieren. In der Rückschau auf die Ergebnisse
lässt sich nun das folgende Fazit ziehen:
Die SMS weist Merkmale auf, die in der E-Mail nur sehr begrenzt auftreten.
Auf der medialen Ebene (im Sinne von Koch/Oesterreicher 1994) sind dies
multisegmentale Abkürzungen und graphische Darstellungen (SMS-Bilder),
auf der konzeptionellen Ebene situationsdeiktische Elemente und dialogische
Strukturen. Außerdem tritt der propositionale Gehalt der Mitteilung häufig in
den Hintergrund. Auch das Auslassen des Subjektpronomens im Vorfeld von
Aussagesätzen, das Fehlen oder die Kürzung von Begrüßungs- und
Verabschiedungssequenzen und der Wegfall von Funktionswörtern sind
charakteristische Merkmal der SMS. Diese Ellipsen sind es im Übrigen, die zu
den SMS-typischen kurzen Sätzen führen, nicht die Abkürzungen.
An dieser Stelle bleibt zu fragen, ob sich die hier beschriebenen Muster auch
in der distanzsprachlichen SMS-Kommunikation finden und ob sie
möglicherweise in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen werden. Zur
Beantwortung der ersten Frage bietet es sich an, in einer weiteren Studie
distanzsprachliche SMS zu analysieren. Dies können Kurzmitteilungen an
Geschäftspartner und Außendienstmitarbeiter sein, Bestellungen an Pizzerien
und andere Dienstleister, Anfragen an Dozenten und Lehrer,
Terminabsprachen mit Arbeitskollegen usw. Dass künftig immer mehr solche
SMS verschickt werden, dass die Daten also vorhanden sein werden, ist zu
E-Mail und SMS – ein Vergleich
21
vermuten. Schon jetzt gibt es Ratschläge zum Abfassen von geschäftlichen
SMS in SMS-Ratgebern (vgl. Schmidt 2001) sowie in einschlägigen
Handbüchern (z.B. Knaurs Handbuch Reden und Musterbriefe. München
2001).
Was die zweite Frage, den Einfluss des SMS-Schreibens auf den allgemeinen
Sprachgebrauch, betrifft, so ist abschließend folgendes Resümee zu ziehen:
Wie gezeigt werden konnte, sind die spezifischen Ausdrucksformen in der
SMS durch die spezifischen Gegebenheiten des Kommunikationsmediums
und durch die dialogische Struktur der SMS-Kommunikation bedingt. Sie
treten also in Abhängigkeit von der Kommunikationssituation auf. Wer es
gelernt hat, sich situationsangemessen auszudrücken, wird dies auch
weiterhin tun. Die SMS ist in diesem Sinne nicht nur eine neue
Kommunikationsform, sie stellt auch eine neue Ebene funktionalen
Schreibens dar.
5.
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