Hannah Hannah war stumm wie ein Fisch. Jeden
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Hannah Hannah war stumm wie ein Fisch. Jeden
Hannah Hannah war stumm wie ein Fisch. Jeden Morgen, wenn wir kamen, sie einkreisten, laut lachten, sagte sie nichts. Schrie nicht. Stumm wie ein Fisch. Ihr Schweigen ärgerte uns, damit entfernte sie sich, nahm nicht teil. Das nahm uns den Spaß. Wir wurden wütender, je länger Hannah stumm blieb. Egal wie wir zuschlugen, sie gab keinen Laut von sich, und jedes Mal zum Ende hin wurden unsere Bewegungen fahriger, unbeherrschter. Jedes Mal wurde es schlimmer. Oft waren wir außer Atem, wenn wir sie zurückließen und sie kam danach nicht in die Schule. Irgendwann merkte ich, wie abhängig wir waren. Wenn wir sie sahen, mussten wir sie schlagen, bis sie sich nicht mehr bewegte. Ich konnte nicht sagen, was wir von ihr wollten. Ich glaube, es wäre nicht so schlimm geworden, wenn sie geschrieen hätte. Stumm wie ein Fisch. Ich zeichnete gerne. Weil unser Dasein darum kreiste, wann oder wo wir Hannah trafen, fing ich an sie zu zeichnen. Auf meinem Blatt hatte sie Fischaugen, groß und wabblig. Ein Fischmaul. Dazu ihr Kleinmädchenkörper. Ich zeichnete sie in verschiedenen Variationen. Zuerst unversehrt, dann auf den Knien, dann blutig und dann am Boden. Mal bekam sie einen Fischkopf, dann ein Tattoo: ein Karpfen über ihrem Gesicht, die Flosse ging in die Haarspitzen über. Einen Fischschwanz. Alles, was Fisch an ihr war, blieb in meinen Zeichnungen unverletzt. Das behielt sie. Da kamen wir nicht heran. Die Zeichnungen zeigte ich den anderen nicht, sie hätten sie zerrissen. Es war das erste Mal, dass ich „die anderen“ dachte. Ich merkte, wie ich es zu verstecken suchte. Ich war brutal. Verhöhnte, schlug so gut ich konnte. Sah gleichzeitig, was die anderen taten. Nachts träumte ich von Karpfen. Danach kam ich nicht in die Schule. Jeden Besuch wimmelte ich ab. Als die anderen klingelten, für unsere allabendliche Runde, stellte ich mich schlafend. Träumte ohne zu träumen von Tümpeln und runden Telleraugen. Im Spiegel sah ich mein Gesicht. Meine Lippen wulstig. Meine Augen hell. Ich fühlte mich grau. Ich erbrach und schmeckte Schlamm. Wasser beunruhigte mich. Ich mied es, so gut ich konnte, und hielt meine Extremitäten beweglich. Vor allem die Beine. Denn immer wenn ich träumte, wachte ich auf und musste sie mit Gewalt auseinanderreißen. Eine Art Haut bildete sich um sie. Ich entschied, nicht mehr zu schlafen. Bald hatte ich Atemprobleme. Durst, das Verlangen nach Flüssigkeit. Meine Lippen trockneten aus, meine Augen auch. Mein Herz flatterte. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und badete. Mein Durst war so groß, dass ich mich nicht mühte, das Wasser zu wärmen. Ich füllte die Wanne bis zum Rand, ließ mich hineinfallen und trank, trank, trank bis meine Augen sich aufblähten vor Feuchtigkeit meine Lippen platzten meine Haut glitschte und schmierte. Wenn ich die Arme an meinen Körper und die Beine aneinanderpresste, konnte ich die Wanne durchschwimmen. Ich kam dabei nicht weit. Als mein Gesicht das Wasser teilte, erkannte ich den Wunsch, den ich immer gehabt hatte. Mit dem Maul nahm ich ein Handtuch und zog es in die Wanne. Dann wartete ich, bis es sich vollgesogen hatte, und wickelte mich, meine Lippen und die Bewegung meines Kopfes nutzend, darin ein. So gut es ging, stellte ich mich auf die Füße. Erst als mir das gelungen war, fiel mir auf, dass ich meine Beine nur noch von den Knien abwärts bewegen konnte. Ich sah nicht in den Spiegel. Langsam schlurfte ich durch die Gassen und kam an den Orten vorbei, wo wir uns amüsiert hatten. Ich begann zu vergessen. An kein Gesicht konnte ich mich mehr erinnern, keinen Weg wusste ich mehr. Es zog mich in eine bestimmte Richtung, es lag in der Luft. Nass Salzig Kühl Ich verließ mich nicht auf meine Augen, sehen konnte ich nicht gut. Mit den Lippen schmeckte ich die Qualität der Luft, prüfte, änderte meine Richtung um ein paar Grad. Es dauerte Stunden. Aber ich kam an. Inzwischen konnte ich auch nicht mehr humpeln. Ich ließ mich fallen und schob mich mit den Schultern und mit schlagendem Hinterteil den Steg entlang. Es wurde schwieriger für mich, meine Schultern zu fühlen und trotz des Handtuchs brannte meine Lunge. Ich saugte an dem Frotteestoff, wrang den letzten Tropfen hinaus. Beharrlich schlug ich mit meinem Schwanz auf die Holzplanken, bei den letzten Metern löste sich mein Handtuch, ich fühlte mich ausgeliefert an die trockene Luft bis mein Kopf über den Rand ragte. Mit einem letzten, verzweifelten Ruck meines Körpers fiel ich hinunter. Das Wasser umfing mich. - Franziska Braun -