Mit Heft, Stift und Tornister
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Mit Heft, Stift und Tornister
16 AUS ALLER WELT AUFGEPUSTET Russland erhält eine aufblasbare Kirche Moskau. Weil die Behörden der ostrussischen Halbinsel Kamtschatka den Bau einer katholischen Kirche ablehnen, will die Pfarrei nun ein aufblasbares Gotteshaus nutzen. In der Gummikirche sollen ab Mitte September Gottesdienste gefeiert werden. Das gotische Kirchenmodell misst sechs mal zehn Meter und lässt sich wie eine Kinderhüpfburg aufblasen. Der zuständige Pfarrer Krzysztof Kowal sagte, er habe sich acht Jahre lang erfolglos um eine Baugenehmigung bemüht. Nun lasse er das 100 Kilo schwere Modell aus seiner polnischen Heimat einfliegen. Wegen des Fehlens einer Kirche wüssten viele Menschen in der Region nicht einmal, dass es einen katholischen Priester gebe. AUFGEZEIGT Raffaels Madonnen kommen für den Papst Dresden. Die berühmten Madonnendarstellungen des Malers Raffael (1483-1520) werden aus Anlass des Papstbesuches erstmals gemeinsam in Dresden gezeigt. Ab dem 6. September sind sie in der Gemäldegalerie Alte Meister zu sehen. „Exklusiv und erstmalig“ verlasse die Altartafel „Madonna di Foligno“ die Vatikanischen Museen für diese Schau, so die Veranstalter. Insgesamt werden 20 Exponate zu bewundern sein. AUFGEHEIZT Erste britische Kirche mit Solaranlage London. Die Kathedrale von Bradford erzeugt als erste in Großbritannien Energie mit Hilfe einer Solaranlage auf dem Dach. Wie die Tageszeitung „Yorkshire Post“ berichtet, hat die Installation der Sonnenkollektoren begonnen. Obwohl bereits Energiesparglühbirnen verwendet worden seien, habe die jährliche Stromrechnung bei Tausenden Pfund gelegen. Die Solaranlage soll nun zum Sparen beitragen. Kirchen seien ideale Gebäude für Solarkollektoren, da sie üblicherweise ein großes, nach Süden gerichtetes Dach hätten, erklärt Dekan David Icon. Wie viel Geld auf diese Weise tatsächlich eingespart werden kann, werde allerdings erst in einem Jahr feststehen. AUFGEFALLEN Geschiedener sammelt Verkehrsschilder ein Toulouse. Ein französischer Rentner hat nach seiner Scheidung durch Abschrauben von Verkehrs- und Hinweisschildern versucht, die Erinnerung an verlorene glückliche Momente seiner Ehe zu bewahren. Wie die Zeitung „La Depeche“ berichtet, fand die Polizei in Südwestfrankreich eine Sammlung von mehr als 100 Wegweisern am Wohnsitz des 67-Jährigen. Der Mann habe seine ungewöhnliche Kollektion vor etwa zwei Jahren begonnen. Ihm wurde verordnet, sich einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. MOSAIK RuhrWort · Jahrgang 53 · Nr. 35 · 3. September 2011 Mit Heft, Stift und Tornister Schulmaterialkammern erleichtern bedürftigen Familien den Schulstart Nicht bei mir Von Paula Konersmann Ein Heft gibt’s ab 30 Cent, ein stabiler Bleistift kostet um einen Euro, für einen modisch bedruckten „Motivordner“ können bis zu vier Euro über die Ladentheke gehen. Und erst der Tornister – unter 100 Euro ist kaum einer zu haben. Bei diesen Summen verwundert es nicht, dass der Schulanfang bei einkommensschwachen Familien eher Ängste weckt als Vorfreude. „Es gibt Eltern, die schicken ihre Kinder gar nicht zum ersten Schultag“, weiß Bettina Reuß (Name geändert) aus Duisburg. Sie ist selbst Hartz-IV-Empfängerin und begleitet ihre Tochter Anne zur Schulmaterialkammer der Caritas. Die Sechsjährige wünscht sich einen Tornister mit Prinzessin Lillifee, Mama ist bescheidener: „Hauptsache, wir bekommen alles für den ersten Schultag zusammen“, sagt sie. Darüber muss sie sich in der Schulmaterialkammer am Norbertuskirchplatz keine Sorgen machen. Gebrauchte Tornister und neue Farbkästen gibt es hier, sogar ein paar Schultüten – zu einem fairen Preis. „Wir sagen immer, es wäre schön, wenn wir zehn Prozent des Neupreises bekommen“, erklärt Leiterin Hiltrud Wagener. „Viele geben zumindest fünf Euro für das Rundum-Paket.“ Zum Start des neuen Schuljahres herrscht beim Caritas-Team aus Ehrenamtlern Hochbetrieb. Vor allem die Kinder, die in die erste oder in die fünfte Klasse kommen, sollen hier versorgt werden. Einzige Bedingung: Ein Nachweis über Bedürftigkeit – Hartz IV, Wohngeld, Kindergeldzuschlag – muss vorliegen. „Wie ein Bittsteller“ Seit fünf Jahren existiert die Schulmaterialkammer St. Norbert inzwischen, eine von sechs in Duisburg. In anderen Städten, etwa in Bochum und Paderborn, gibt es ähnliche Projekte. Die meisten Einrichtungen organisieren allerdings kurzfristige Spendenausgaben; das dauerhafte Angebot der Duisburger Caritas bildet eher die Ausnahme. „Wir haben einfach gemerkt, dass es großen Bedarf danach gibt“, erklärt Hiltrud Wagener schlicht. In Fit für den ersten Schultag: Elke Stöckigt, Hiltrud Wagener, Ralf Maßbaum und Gabi Kotterba (v. l. n. r.) arbeiten bei der Schulmaterialkammer in Duisburg-Hamborn. Foto: pko dem Raum, in dem das Team nun Füller, Lineale und Pinsel lagert, war früher ein Badezimmer. Seit der Gründung wurden in der Schulmaterialkammer rund 300 Kinder versorgt. Heute ist Familie Reuß an der Reihe. Mutter Bettina geht zwar arbeiten, aber da ihr Mann Frührentner ist, erhält die Familie die Aufstockung auf Hartz IV. „Es gibt viele Vorurteile“, sagt sie und fährt ihrer Tochter durch das blonde Haar. „Und natürlich kommt man sich komisch vor, wie ein Bittsteller. Ich kenne einige, die sich hier nicht hintrauen.“ Diese Beobachtung können die Caritas-Mitarbeiter bestätigen. „Viele schämen sich“, sagt Hiltrud Wagener. „Die sagen kaum etwas, blicken nur zu Boden.“ Ihre Kollegin Elke Stöckigt verlässt sich ganz auf die eigene Menschenkenntnis. „Wenn mir eine Frau anvertraut, dass sie sieben Kinder hat, der Mann die Arbeit verloren hat und sie nicht weiterwissen – dann erkenne ich doch die Notlage“, sagt sie. Allerdings machen die Mitarbeiter auch die umgekehrte Erfahrung: Sie erleben Leute, die fuchsteufels- wild werden, weil sie keinen zweiten Zirkel mitnehmen dürfen, oder die sich beschweren, die Bitte um eine Spende sei „unverschämt“. Darüber können die Helfer nur den Kopf schütteln: „Peinlich“, findet Elke Stöckigt, „vor allem für die Kinder. Und wir machen die Arbeit hier ja für die Kinder.“ Strahlen über Dino-Ranzen Die Kammer erhält ihre Materialien aus Spenden, teils aus Kollekten der Kirchengemeinde und von ortsansässigen Unternehmen, teils von Privatpersonen. „Ein Herr hat sich zu seinem achtzigsten Geburtstag keine Geschenke gewünscht, sondern Geld für uns“, erzählt Gabi Kotterba. Wer kein Geld spenden kann, dessen Hilfe ist trotzdem erwünscht: „Ohne Ehrenamtler läuft nichts, wie in vielen anderen Bereichen auch“, sagt Hiltrud Wagener, die einzige hauptamtliche Mitarbeiterin. Nur eine Einschränkung gibt es: Das Team nimmt keine neuen Schulranzen als Spenden an. „Wir hatten einmal 20, und als die weg waren, waren die Kinder so enttäuscht“, erinnert sich Elke Stöckigt. Deswegen gilt jetzt: ge- brauchte Tornister gern – neue nur, wenn für jeden ABC-Schützen einer dabei ist. Für Anne wird es daher diesmal kein Tornister mit Prinzessin Lillifee. Dennoch sind sie und Mutter Bettina zufrieden, als sie die Kammer verlassen. Schließlich gibt es auch schöne gebrauchte Ranzen. „Hauptsache pink“, schmunzelt Hiltrud Wagener – bei den Mädchen. Doch auch Jungen ist der erste Schultag wichtig. „Einmal haben Eltern einem Jungen hier einen Ranzen gekauft, den er nicht wollte“, erzählt Elke Stöckigt. „Er kam kurz darauf nochmal alleine rein und hat ihn umgetauscht, gegen einen mit Dinos. Der hat gestrahlt – das vergesse ich nie.“ Die Kammer St. Norbert (Norbertuskirchplatz 8) öffnet vom 5.-9.9., jeweils 15.30 bis 17 Uhr für alle Klassen. Weitere Adressen: CaKaDu Treff (Brückenstraße 30), 5.-9.9., jeweils 16.30 bis 18 Uhr. Centrum Meiderich (Laaker Str. 4), 5.-9.9., jeweils 15 bis 17 Uhr. St. Judas Thaddäus (Sittardsberger Allee 32), 5.-9.9. sowie 12.9., jeweils 15 bis 17 Uhr. ERFURTER DOM: „GLORIOSA“ LÄUTET ZUM PAPSTBESUCH Besuch bei einer alten Dame Einmal im Jahr sucht ein Glockensachverständiger den voluminösen Klangkörper nach Schäden ab. Momentan befindet sich die Glocke in bestem Zustand. Gefertigt wurde die Gloriosa direkt am Erfurter Dom, so belegen es Ausgrabungsfunde, die bei Bauarbeiten zufällig entdeckt wurden. Das bestätigt: Der Domberg von Erfurt war über Jahrhunderte nicht nur Begräbnisstätte, sondern auch Glockengießort. Es war ihr großer Tag. Der 15. August 1497 – die Gloriosa wird im provisorischen Glockenhaus aufgehängt und zu Mariä Himmelfahrt, dem Patronatsfest des Domstiftes zu Erfurt, zum ersten Mal geläutet. Der Niederländer und Glockengießermeister Gerhard van Wou, ein Großer seiner Zunft, schlug die noch heute größte freischwingende, mittelalterliche Glocke der Welt selbst an. Bis heute ist das ein besonderes Ereignis. Denn sie wird nur selten geläutet. Sowohl für Besucher als auch für jene, die häufig mit ihr zu tun haben, ist der Glockenklang immer wieder ein Erlebnis. Auch für Glockenwart Ernst Bünge; seit sieben Jahren ist der 62Jährige für das Wohl der „alten Dame“, wie er sie nennt, zuständig. Er führt Besucher zur Gloriosa und organisiert die Wartung des riesigen Instruments. Beim Papstbesuch wird er sie in Gang setzen. Große Glocke: Die frisch restaurierte Gloriosa im Erfurter Dom wird exklusiv zum Papstbesuch geläutet. Foto: Bornemann Noch heute lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren, mit welchen Mitteln diese schwere Glocke in den Turm gewuchtet wurde. Die Gloriosa diente immer wieder als Vorlage für eine Reihe großer Glocken. Im März 2006 wurde sie mit einem neuen, 366 kg schweren Klöppel ausgestattet. Acht Männer waren nötig, um ihn in den Turm zu transportieren. Jetzt holt die „alte Dame“ wieder alles aus sich heraus, wenn sie geläutet wird. jb „Das weiß man doch vorher“, pflegte meine gestrenge Schwiegermutter zu sagen, wenn ich durch ihren Sohn oder ihre Enkel Beeinträchtigungen erlebte. Natürlich wissen wir, dass alles im Leben zwei Seiten hat, aber es ist ein Unterschied, ob wir um den Nachteil wissen oder ob wir ihn am eigenen Leibe spüren. Genau das wollen wir nicht. Die Bewohner der teuren Wohnungen im Rheinauhafen bewarfen Schiffer mit faulen Eiern, weil die nachts ihre Kutter, wie üblich, mit rasselnden Ketten verankern. Oder: Leute kauften Grundstücke in der Nähe des Flughafens, weil diese eben wegen dieser Nähe preiswerter sind und Lärmschutzmaßnahmen beim Hausbau bezuschusst werden. Heute protestieren die Hausbesitzer gegen Fluglärm. Genauso geht es beim Atomausstieg. Ausdrücklich wurde in der Regierungserklärung darauf hingewiesen, was die Umstellung auf andere Energien bedeutet: mehr Kosten, mehr Windräder, Kohlekraftwerke und Hochspannungsmasten... Der Schock durch Fukushima war wohl (zu Recht) groß genug, dass dies keine Beachtung fand. Bislang... Doch schon beginnt es zu rumoren in deutschen Landen. In der Oberpfalz sammeln sich Gemeinden gegen den Bau der „unästhetischen“ Windkraftparks, die Landschaft zerstören und / oder die Sichtachsen zu Wallfahrtskirchen unterbrechen. Schon ist vom Eingriff in die Unversehrtheit der Natur die Rede und vom unerträglichen Lärm der Windräder. Auch im Zusammenhang mit den neuen Hochspannungsleitungen gibt es bereits erste Proteste gegen den „Landfraß“ durch den Bau von Strommasten. Architekten haben zwar alternative Modelle von Hochspannungsmasten entworfen, die gefälliger aussehen und eher einer Kunstinstallation gleichen. Aber auch die müssen geerdet werden. Verstärkt werden für flüssiges Kohlendioxid aus den Kohlekraftwerken unterirdische Lagerstätten (wie solche in Norwegen) gesucht; argwöhnisch beäugt von ausdrücklichen Befürwortern des Atomausstiegs, die von gesundheitsgefährdenden Endlagern reden und mit der Wahl dieses Vokabulars Atommüll und Kohlendioxid unzutreffend auf eine Stufe stellen. Solche Leute werden heutzutage „Nimby“ genannt: „not in my backyard“ – nicht bei mir. Offenbar gilt das auch für das Vorhaben, den Atomausstieg durch eine drastische Reduzierung des eigenen Energieverbrauchs zu erleichtern. Schließlich wollen wir im gebügelten Hemd auf der Demo erscheinen und im PC das Spruchband erstellen: „Energie – Thema der Zukunft“ …