Für Fußgänger gibt`s kein Bier

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Für Fußgänger gibt`s kein Bier
thema
BLICK 04 - 2008
Zigaretten, Kaugummis, Chips.
Das alles – und
manchmal auch
Benzin – verkauft
Achim Schmitt
nachts an der
Tankstelle. (Foto
Robert Emmerich)
Für Fußgänger gibt‘s kein Bier
24
Mathematikstudent Achim Schmitt schiebt Nachtdienst an einer Tankstelle
Die zwei jungen
Männer wollen
Bier. Aber Achim Schmitt verkauft ihnen keines – weil sie zu
Fuß unterwegs sind. Und so entspinnt
sich eine Diskussion, die der 26-Jährige schon in vielen Nächten geführt
hat, seit er an einer Tankstelle jobbt:
Zwischen acht Uhr abends und sechs
Uhr morgens darf er Alkohol nur in
bestimmten Mengen und nur als Reiseproviant verkaufen. Das heißt: Wer mit
dem Auto vorfährt, bekommt das Sixpack Bier oder die Flasche Wein, die er
verlangt. Wer mit dem Fahrrad kommt
oder zu Fuß, gilt nicht als Reisender
und geht leer aus. So sehen es die Bestimmungen vor, die das Ordnungsamt
der Stadt für die Tankstellen in Würzburg erlassen hat.
Autofahrer bekommen Alkohol, Fußgänger nicht. Diesen Sachverhalt, den
nicht jeder einsehen mag, trägt Achim
Schmitt höflich vor. „Darum darf ich
euch kein Bier verkaufen, tut mir leid.“
Die Männer murren zwar, trollen sich
aber. In einer solchen Situation ist es
beruhigend, eine dicke Scheibe zwi-
schen sich und den Kunden zu haben.
„Das ist alles Panzerglas, da habe ich
keine Angst vor Überfällen“, sagt der
Mathematikstudent. „Außerdem fährt
die Polizei mehrmals routinemäßig vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.“
In der Nachtschicht von Samstag auf
Sonntag arbeitet Achim Schmitt zwischen null und fünf Uhr ganz allein an
der Tankstelle. Der Verkaufsraum bleibt
in dieser Zeit zugesperrt; wer sein Benzin bezahlen oder den späten Hunger
stillen will, muss an den Nachtschalter.
Dort redet der Student mit den Kunden über eine knarzende Sprechanlage; Waren und Geld werden in einem
Kasten unter der Trennscheibe hin und
hergeschoben.
Nachtdienst an einer Tankstelle in Heidingsfeld: Das hört sich nach einem
ruhigen Job an. Ist es aber nicht. Immer wieder tauchen auf der geisterhaft
bläulich beleuchteten Fläche zwischen
den Zapfsäulen Fußgänger auf, immer
wieder fahren Autos vor. Polizisten
kaufen Zigaretten und Kaugummis.
Zwei kichernde junge Frauen klagen
darüber, dass heute in den Clubs nur
House-Musik gespielt werde und gönnen sich zum Trost eine Packung Chips.
Ein Taxifahrer holt sich eine kleine Salami. Und getankt wird zwischendurch
auch.
Neben dem Verkauf hat Achim Schmitt
noch andere Aufgaben zu erledigen.
Die Auslagen des Tankstellen-Bistros
ausräumen und sauber machen. Salat
putzen, Tomaten, Gurken und Eier
schneiden – damit es die Frühschicht
beim Belegen der Brötchen einfacher
hat. Die Sonntagszeitungen auslegen,
die mitten in der Nacht geliefert werden. Den Boden wischen und Staub
saugen. Tiefgefrorene Laugenbrezen,
Brötchen und Croissants backen – für
die aus den Diskotheken heimkommenden Nachtschwärmer. Aber auch
für all die Bettflüchter, die um sechs
Uhr in der Tankstelle frühstücken und
Zeitung lesen wollen.
Achim Schmitt sehnt sich um diese Zeit
schon nach Schlaf. Zu Hause in Rottendorf kommt er erst gegen 6:30 Uhr an,
doch bis er einschlafen kann, vergehen
ein bis zwei Stunden. Der Sonntag fällt
dann kurz aus, und am Montag geht
es weiter im Studium – oder in seinem
zweiten Job im Rechenzentrum, wo er
als Hiwi arbeitet.
Robert Emmerich