Finanzierung von Dolmetscherleistungen in öffentlichen
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Finanzierung von Dolmetscherleistungen in öffentlichen
Janine Dahinden Unter Mitarbeit von Fabienne Stants Auftraggeber: Bundesamt für Gesundheit (BAG) Finanzierung von Dolmetscherleistungen in öffentlichen Spitälern: Ideen aus anderen Ländern © 2007 SFM SWISS FORUM FOR MIGRATION AND POPULATION STUDIES (SFM) AT THE UNIVERSITY OF NEUCHÂTEL RUE ST-HONORÉ 2 – CH-2000 NEUCHÂTEL TEL. +41 (0)32 718 39 20 – FAX +41 (0)32 718 39 21 [email protected] – WWW.MIGRATION-POPULATION.CH Inhalt Zusammenfassung 1 Auftrag 1.1 Grenzen des Mandats 2 Methodisches Vorgehen 2.1 Phase 1: Auswahlverfahren 2.2 Phase 2: Telefoninterviews mit ExpertInnen 3 Kurzbeschreibungen der Finanzierungsmodalitäten von Übersetzungstätigkeiten in den befragten Spitälern 3.1 Belgien 3.2 James Connolly Memorial Hospital, Dublin, Irland 3.3 Azienda USL di Reggio Emilia, Italien 3.4 Niederlande 3.5 Uppsala University Hospital, Schweden 3.6 Hospital Punto de Europa (Andalusien), Spanien 3.7 Bradford Hospitals, Bradford Royal Infirmary, Grossbritannien 4 Allgemeine Ergebnisse und Faktoren, welche die Entstehung der Modelle beeinflussten 5 Typisierungen der Finanzierungsmodelle 5.1 ‚Pilotprojekt’ versus ‚Etabliertes und strukturell verankertes Modell’ 5.2 ‚Direktfinanzierung durch staatliche Akteure’ versus ‚ Spitalinterne Globalbudgets’ 5.3 Asyl Suchende 6 Wege für die Schweiz? 7 Bibliographie 5 8 9 11 11 12 15 15 17 18 19 20 21 22 24 25 25 27 29 30 33 3 Zusammenfassung Die sprachliche Vielfalt der Migrationsbevölkerung bringt es mit sich, dass eine Gesundheitsversorgung ohne Dolmetschen heutzutage in vielen Situationen undenkbar ist. Dennoch und obwohl Dolmetschertätigkeiten von verschiedenen Seiten einhellig als Schlüsselelement einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung betrachtet werden, ist die Finanzierung dieser Leistungen im Schweizerischen Gesundheitswesen bis heute nicht geregelt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist deshalb auf der Suche nach praktikablen Lösungen für dieses Problem. Sie hat das SFM in einem Kleinauftrag beauftragt, anhand von Beispielen aufzuzeigen, wie Dolmetschertätigkeiten im Gesundheitsbereich in anderen Ländern finanziert werden. Die vorliegende Kurzforschung verlief in zwei Phasen: Die erste Phase diente dazu, ExpertInnen in Spitälern im Ausland zu finden, die uns kompetent über die vorliegende Thematik Auskunft geben konnten. Ziel der zweiten Phase war es, das Wissen der ExpertInnen zum Thema optimal abzuholen. Hierfür wurden telefonische Interviews mit ExponentInnen verschiedener Spitäler (oder anderer institutioneller Einbindung) im Ausland durchgeführt. Auf diese Weise wurden sieben verschiedene Finanzierungsmodelle erhoben, die im Bericht vorgestellt werden. Der Überblick über die Fallstudien enthüllt eine Bandbreite von Möglichkeiten, wie Dolmetschertätigkeiten finanziert werden können. Als ein erstes Ergebnis unserer Analyse zeichnet sich folgendes ab: Die meisten der aktuell umgesetzten Modelle haben sich im Laufe einer ‚Try-and-Error-Politik’ herausgebildet: Interessant wäre nun weiterzufragen, weshalb sich diese Modelle etablieren konnten. Wie kam es z.B. in einigen Fällen so weit, dass es für das Dolmetschen in den Spitälern eine gesetzliche Grundlage gibt, die gleichzeitig ja die Basis für die Finanzierungsregelung darstellt, in anderen Ländern hingegen nicht? Ein zweites wichtiges Ergebnis ist, dass es nicht ein System der Finanzierung gibt, sondern dass die vorgefundenen Finanzierungsformen für Dolmetschertätigkeiten zweifelsohne in enger Koppelung an die jeweils vorherrschenden kontextuellen und historischen Gegebenheiten entstanden sind. Es können verschiedene Faktoren ausgemacht werden, die einen direkten Einfluss auf die Form der Finanzierung der Dolmetschertätigkeiten zeigen. Insbesondere sind entsprechend unserer Analyse (mindestens) folgende Faktoren entscheidend: a) Die Einwanderungsgeschichte eines Landes und damit verbunden der Zeitraum, während dem in einem Spital bereits Erfahrungen mit DolmetscherInnen gesammelt werden konnten; b) Die 5 Ausrichtung der Integrationspolitik bezüglich MigrantInnen und/oder Minderheiten im betreffenden Land; d) Die allgemeine Funktionsweise des Gesundheitssystems und die generelle Ausrichtung der Sozialpolitik; e) Die Existenz gesetzlicher Grundlagen bezüglich des Dolmetschens oder die Haltung der Verantwortlichen. Diese Achsen ergeben in unterschiedlichen Kombinationen verschiedene Idealtypen von Finanzierungsmodellen. Eine erste Kombination der oben erwähnten Einflussfaktoren ergibt zwei verschiedene Idealtypen: Pilotprojekte resp. etablierte Modelle. Der Idealtyp ‚Pilotprojekt’ zeichnet sich dadurch aus, dass Übersetzungstätigkeiten erst vor kurzem in den Spitälern eingeführt wurden und sich noch in einer Art Testphase befinden. Meist werden sie über Projektgelder finanziert. Bei diesem Idealtyp ist die Form und Struktur der zukünftigen Finanzierung noch unklar. Diese Modelle entstanden in Ländern, die erst seit kurzem mit der Einwanderungsthematik konfrontiert sind und in denen sich noch keine eigentliche Integrationspolitik entwickeln konnte. Auch ein Umgang mit sprachlicher Vielfalt steht noch in den Kinderschuhen. Die Fallstudien aus Spanien und Irland wären diesem Idealtyp zuzuschreiben. Der Idealtyp etablierte und strukturell verankerte Modelle zeichnet sich dadurch aus, dass Übersetzungstätigkeiten in den Spitälern seit längerem an der Tagesordnung sind. Es wurden unterschiedliche Modelle der Finanzierung gefunden: Die Dolmetschertätigkeiten werden entweder über Globalbudgets oder über direkte staatliche Zuschüsse finanziert, nie über Projektgelder. Diese Modelle entstanden in Ländern, die seit langem mit der Einwanderungsthematik konfrontiert sind und die in den letzten Jahrzehnten eigentliche Integrationspolitiken ausgearbeitet haben und diese umsetzen. Der Umgang mit sprachlicher Vielfalt ist institutionell fortgeschritten. Die Niederlande, Belgien oder auch Grossbritannien sind diesem Idealtyp zuzuordnen. Das Fallbeispiel aus Italien könnte als Mittelding zwischen den beiden hier beschriebenen Idealtypen gelten: In Italien wurde in einem Spital durch das MFH-Projekt das Thema Übersetzen eingeführt, unterdessen wurde es aber auf alle Spitäler der Region ausgeweitet. Diese Dolmetschertätigkeiten werden unterdessen nicht mehr über Projektgelder finanziert, sondern im Rahmen des Globalbudgets steht hierfür ein limitierter Posten zur Verfügung. Mit anderen Worten, das Pilotprojekt gab den Anstoss für die Ausweitung und strukturelle Verankerung eines Finanzierungsmodells. Ein zweites Gegensatzpaar zeigt sich bezüglich der Art der Finanzierung: Beim Idealtyp Direktfinanzierung stellt die Regierung spezifische Gelder für die Übersetzungstätigkeiten bereit und finanziert diese direkt. Meist ist eine solche Finanzierung an gewisse Bedingungen geknüpft (Nachweis eines Qualitätsstandards der Übersetzenden, Rückgriff auf spezifische 6 Vermittlungsagenturen, etc.). Diesem Typ entsprechen die Beispiele aus Belgien, den Niederlanden sowie Italien. Beim entgegengesetzten Idealtyp Globalbudget müssen die Spitäler für die anfallenden Kosten für Übersetzungen über das von der Regierung zugesprochene Globalbudget aufkommen und hierfür einen spezifischen Posten reservieren. Gleichzeitig haben die Spitäler in der Ausgestaltung der Organisationsform der Dolmetschertätigkeiten freiere Hand, die Entscheidungskompetenz ist auf Stufe Spital angesiedelt. Was lässt sich auf dieser Basis für die Schweiz ableiten? Zunächst muss darauf verwiesen werden, dass sich gerade das Schweizer Gesundheitswesen durch eine hohe Komplexität auszeichnet und durch den Föderalismus charakterisiert wird. Jegliche weiterführenden Überlegungen müssten diesen Umständen Rechnung tragen. Darüber hinaus empfehlen wir folgende Punkte zu prüfen, wenn man ein Modell erarbeiten möchte: a) Gibt es Möglichkeiten einer Anstossfinanzierung über Projektgelder? Und wie kann eine solche längerfristig in eine strukturelle Finanzierung überführt werden? b) Soll eine zentralisierte staatliche Direktfinanzierung eingeführt werden oder soll Dolmetschen über die Globalbudgets der Spitäler verrechnet werden? Wäre etwa eine zentralisierte Variante im föderalistischen Schweizerischen System von vornherein zum Scheitern verurteilt? Und auf welche Art und Weise könnten die verschiedenen Instanzen auf nationaler und kantonaler Ebene fruchtbar miteinander kooperieren? Wäre es sinnvoll, die Entscheidungskompetenz auf der Ebene der Spitäler anzusiedeln, vor allem dann, wenn man diese längerfristig in die Übernahme mindestens eines Teils der Dolmetscherkosten involvieren möchte? c) Weshalb konnte sich z.B. in Belgien eine gesicherte Finanzierung durchsetzen? Welche Bedingungen müssen hierfür erfüllt sein? d) Welches Dolmetschermodell wäre für die Schweiz interessant? Sind die belgischen und britischen Modelle vielleicht die vielversprechendsten und welche Herausforderungen stellen sich? e) Welche anderen Möglichkeiten gibt es, weitere Ideen zum Thema zu sammeln? Wie ist in der Schweiz in anderen gesellschaftlichen Bereichen die Finanzierung von Dolmetschenden gesichert, etwa im Justizbereich? 1 Auftrag Dolmetschen wird im Gesundheitswesen in der Schweiz häufig praktiziert und die Fachleute sind sich einig: Die sprachliche Vielfalt der Bevölkerung bringt es mit sich, dass eine Gesundheitsversorgung ohne Dolmetschen heutzutage in vielen Situationen undenkbar ist. Dolmetschertätigkeiten gewährleisten den Zugang zum Gesundheitswesen auch für Fremdsprachige. Angesichts von Vielsprachigkeit sind sie ebenfalls bedeutsam um eine angemessene Qualität der allgemeinen Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten (Bischoff et al. 2005; Bischoff und Loutan 2000). Indes betonen nicht nur Fachleute aus dem Gesundheitswesen die Bedeutsamkeit von Dolmetschertätigkeiten für das Gesundheitswesen, in Befragungen äussert auch die Migrationsbevölkerung selbst diesbezüglich einen hohen Bedarf (Rommel et al. 2006). Der Bund hat diese Notwendigkeit seit längerem erkannt und im Rahmen der Umsetzung der Strategie ‚Migration und Gesundheit 2002 – 2007’ spezifische Ausbildungsgänge und Zertifizierungsmodalitäten für DolmetscherInnen im Gesundheits- und Sozialwesen geschaffen. Ziel war es, einen gewissen Qualitätsstandard dieser Tätigkeiten zu fördern. Obwohl Dolmetschertätigkeiten also von verschiedenen Seiten einhellig als Schlüsselelement einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung betrachtet werden, ist die Finanzierung dieser Leistungen im Schweizerischen Gesundheitswesen bis heute nicht geregelt. Meist werden in den verschiedenen Institutionen des Gesundheitswesens ad hoc Lösungen gesucht, und aktuell ist keine nachhaltige Finanzierung dieser Dienstleistungen absehbar. Der Wunsch nach einer nachhaltigen Finanzierung von Dolmetschertätigkeiten war indes ein Punkt, der von den im Rahmen der wissenschaftlichen Grundlagenerarbeitung für die Nachfolgestrategie ‚Migration und Gesundheit’ befragten ExpertInnen häufig erwähnt wurde (Dahinden et al. 2006). Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) möchte dieses Dilemma gelöst sehen. Das BAG interessiert sich daher dafür, wie Dolmetschertätigkeiten im Gesundheitsbereich in anderen Ländern finanziert werden. Konkret möchte das BAG Antworten auf folgende Fragen bekommen: o Auf welche Art und Weise wird Dolmetschen im Gesundheitsbereich in anderen Ländern finanziert? o Gibt es originelle Modelle? Das BAG hat das SFM damit beauftragt, diese Fragen zu beantworten. Ziel des Mandats ist es, einen allgemeinen Überblick über die Modalitäten der Finanzierung solcher Dienstleistungen in anderen Ländern zu gewinnen und 7 8 Ideen zu sammeln im Hinblick auf die Lösungssuche für den Schweizer Kontext. Da für dieses Mandat nur ein beschränktes Budget zur Verfügung stand, musste die anfänglich sehr weite Fragestellung aus forschungsökonomischen Gründen weiter eingegrenzt werden. Wir zeigen deshalb im vorliegenden Papier auf, wie Dolmetschen in öffentlichen Spitälern in anderen Ländern finanziert wird. Ziel ist es, ein möglichst breites Spektrum an Ideen zu sammeln, wie solche Tätigkeiten finanziert werden könnten, welche Akteure auf welche Art und Weise involviert sind und an welche Bedingungen eine Finanzierung geknüpft ist. oder gar in sehr positivem Licht. Wir haben diese Schilderungen übernommen, was zur Folge hat, dass sich die einzelnen Kurzbeschreibungen in Stil und Inhalt beträchtlich unterscheiden. Sollte sich das BAG für das eine oder andere Modell im Detail interessieren, wäre eine vertiefte Analyse vorzunehmen. Trotz all dieser Einschränkungen sind wir der Überzeugung, dass es uns gelungen ist, interessante Modelle zu erfassen, die mit Blick auf die Situation in der Schweiz zu weiterführenden Reflexionen anregen. Aufbau des Berichts In einem ersten Kapitel beschreiben wir kurz das methodische Vorgehen. Anschliessend werden die erhobenen Fallstudien nacheinander dargestellt. Ein nächstes Kapitel ist der Analyse der Fallstudien gewidmet. Schliesslich sollen vorsichtig einige für die Schweiz mögliche Lösungswege angedacht werden. 1.1 Grenzen des Mandats Wie bereits in der Projektskizze vermerkt möchten wir darauf hinweisen, dass wir nur einen oberflächlichen Überblick über die in den ausgewählten Spitälern geltenden Regelungen zur Finanzierung von Dolmetschertätigkeiten geben können. Es war aus Budgetgründen nicht möglich, einen vertieften Einblick in die verschiedenen Finanzierungsmodelle in ausländischen Spitälern zu geben. Die vorliegende Thematik gestaltet sich zudem komplex, weil sich die Gesundheitssysteme in den einzelnen Ländern in hohem Masse unterscheiden. Es war uns im Rahmen dieses Mandats nicht möglich, diese Aspekte in unsere Überlegungen mit einzubeziehen, obwohl sie in unseren Augen unbedingt zu berücksichtigen wären. Zudem ist es uns wichtig anzumerken, dass die erhaltenen Informationen zu den einzelnen Spitälern meist nur aus einer oder aus zwei Quellen stammen. Wir konnten die gelieferten Informationen nicht systematisch kontrollieren, nachprüfen oder vertiefen. Einzelne Aspekte gingen vielleicht verloren, andere wurden möglicherweise einseitig beleuchtet. Unter Umständen könnte dieser Sachverhalt zur Folge haben, dass die Modalitäten der Finanzierung von Dolmetschertätigkeiten in einem Spital von anderen ExpertInnen anders gewichtet würden als von den von uns befragten Personen. Einige ExpertInnen präsentierten uns ihre Modelle mit kritischer Distanz und brachen Verbesserungsvorschläge ein, andere ExpertInnen schilderten sie neutraler 9 10 2 Methodisches Vorgehen Methodisch verfuhren wir in zwei Phasen. Die erste Phase diente dazu, ExpertInnen in Spitälern zu finden, die uns kompetent über die vorliegende Thematik Auskunft geben konnten. Ziel der zweiten Phase war es, das Wissen der ExpertInnen zum Thema optimal abzuholen. Hierfür wurden telefonische ExpertInnen-Interviews mit ExponentInnen unterschiedlicher Spitäler im Ausland durchgeführt. Zusätzlich wurde die verfügbare Sekundärliteratur beigezogen und analysiert (Gesetze, wwwAdressen, Dokumente, die uns von den ExpertInnen zugestellt wurden, etc.). 2.1 Phase 1: Auswahlverfahren Um die Forschungsfragen adäquat beantworten zu können, mussten wir zunächst öffentliche Spitäler im Ausland auswählen, von denen angenommen werden konnte, dass dort Dolmetschen in beträchtlichem Ausmass praktiziert wird und darum Finanzierungsfragen geklärt oder mindestens andiskutiert sind. Um Zugang zu für unsere Studie geeigneten Spitälern zu finden, griffen wir auf zwei Strategien zurück: Drei Spitäler wurden nach ersten Kontakten fallen gelassen: Es zeigte sich, dass auch erneutes Nachfragen vermutlich keine für uns interessanten Informationen generieren würde. Dies waren die Spitäler in Dänemark, Finnland und Griechenland (vgl. Tabelle 1 für die Gründe). An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass die erwünschten Informationen nur schwierig zu erhalten waren. Es bedeutete einen enormen Aufwand, an die Person zu gelangen, die exakt und kompetent über das Thema Auskunft geben konnte. Infolgedessen gestaltete sich diese erste Phase sehr arbeitsintensiv: Wir standen insgesamt mit über 30 Personen in Kontakt, meist gingen mehrere emails und/oder Telefonate zwischen uns und diesen Personen hin und her, bis wir an die Person gelangen konnten, mit der wir später ein Interview durchführten. 2.2 Phase 2: Telefoninterviews mit ExpertInnen Anschliessend wurden mit den ausgewählten ExpertInnen Telefoninterviews vereinbart und durchgeführt. Den InterviewpartnerInnen wurde vorgängig ein e-mail mit den Hauptfragen zugestellt, so dass sie sich optimal auf das Gespräch vorbereiten konnten. Insgesamt wurden 10 ExpertInneninterviews durchgeführt. o Zum einen diente uns das europäische Projekt „Migrant Friendly Hospitals“ als Ausgangspunkt. Eine Web-Recherche ergab, dass sich insgesamt 12 Spitäler aus Europa an diesem Projekt beteiligt haben. Und was für uns besonders interessant war: Neun davon partizipierten an einem Projekt, in dem es um Dolmetscherdienste ging.1 Wir gingen davon aus, dass in diesen Spitälern die Finanzierung solcher Dienste auf irgendeine Art und Weise geregelt sein musste. Auch wenn wir uns ursprünglich auf Spitäler konzentrierten, ergab es sich aufgrund der institutionellen Verankerung einiger der Kontaktpersonen, dass die Aussagen über die Finanzierungsmodalitäten für Dolmetschertätigkeiten nicht einzelne Spitäler, sondern eine ganze Region oder ein Land betreffen. o Zum anderen dienten uns eigene berufliche Kontakte zu Personen im Ausland als Ausgangsbasis für erste Kontaktaufnahmen. Tabelle 1 :Übersicht Spitäler, Kontaktpersonen und ExpertInnen In einem ersten Schritt wählten wir 10 Spitäler aus, die wir per e-mail kontaktierten. Aufgrund der Rückmeldungen nahmen wir per e-mail oder per Telefon weitere Kontakte auf. Im Zuge dieser erstmaligen Kontaktaufnahme klärten wir ab, ob sich eine Vertiefung im jeweiligen Spital überhaupt lohnt, d.h. ob Dolmetschen überhaupt praktiziert und finanziert wird, ob geeignete Personen für Interviews zur Verfügung stehen und ob die Verantwortlichen eine uns geläufige Sprache sprechen. PHASE 1: AUSWAHLVERFAHREN Spital Erstkontakt 1. John Arne Sørensen, Director Dänemark Kolding 2. Anne Mette Rasmussen, CoHospital, ordinator of MFH subproject on Kolding translating 1 In der Tabelle 1 sind die Spitäler, die Kontaktpersonen sowie die ExpertInnen für die Telefoninterviews in einer Übersicht aufgeführt. Finnland Turku University Hospital, Turku http://www.mfh-eu.net/public/experiences_results_tools/interpreting.htm 11 12 1. Dr. Aki Linden, Hospital Director 2. Dr. Seija Paatero, Co-ordinator of MFH subproject on translating and Chief Executive Officer of Nursing 3. Marja-Liisa Moisander, Ergebnis Nicht weiter verfolgt. Sørensen arbeitet nicht mehr im Spital, Rasmussen hatte keine relevanten Informationen zur Hand, das ökonomische Departement des Spitals war für kein Interview bereit. Nicht weiter verfolgt: Diverse Telefonate mit mehreren Sekretärinnen der Kontaktpersonen blieben ohne Erfolg: Kontaktpersonen waren nie erreichbar. Griechenland Spital Spiliopoulio Agia Eleni Athen Leading Director of Nursing 1. Dr. Sotirios Zotos, General Manger and Co-ordinator of MFH subproject on translating PHASE 1: AUSWAHLVERFAHREN 1. Hans Verrept, Leiter Abteilung Belgien für interkulturelle Mediation, Nationaler Psychosocial Health Service, öffentlicher Brüssel Gesundheits2. Miranda Emmerechts, Flemish dienst Minority Center, social interpreter service Irland James Connolly Memorial Hospital, Dublin Italien Azienda USL di Reggio Emilia Niederlande Netherlands Academic Medical Center of the University of Amsterdam Schweden Uppsala University, Hospital Psychiatric Centre, Uppsala Spanien 1. Tom Gorey, Hospital Manager (pensioniert) 2. Angela Hughes, Audit/ICP coordinator & Co-ordinator of MFH subproject on translating 3. Bridget McGuane (working on national inititatives on cultural diversity and training) 4. Diane Nurse 1. Dr. Mariella Martini, Medical Director 2. Dr. Antonio Chiarenza, Coordinator of MFH subproject on translating 1. Dr. A. Wiegmann, Medical Director 2. Hanneke Hartog, Co-ordinator of MFH subproject on translating 3. Sjaak Molenaar, Co-ordinator of MFH subproject on translating 4 - Ivo Stroeken, account manager, Tolk- en Vertaal Centrum Nederland 5 – Loes Singels, Dutch Ministry of Health, Welfare and Sport 1. Dr. Per-Olof Sjöblom, Director 2. Prof. Dr. Frits-Axel Wiesel, Coordinator of MFH subproject on translating 3. Manuel Fernandez Gonzalez, Head of Departement, Psychiatric Centre 1. José Manuel Galiana Auchel, Nicht weiter verfolgt: Dr. Zotos arbeitet nicht mehr in diesem Spital, eine andere damalige MFH-Projektverantwortliche arbeitet nur noch sporadisch im Spital. Es gab aktuell keine Person im Spital, die über Informationen bezüglich Finanzierungsmodalitäten für Dolmetschertätigkeiten verfügt hätte. PHASE 2: EXPERTINNENINTERVIEWS 1 - Hans Verrept, Leiter Abteilung für interkulturelle Mediation, Psychosocial Health Service, Brüssel 2 - Miranda Emmerechts, Flemish Minority Center, social interpreter service 3 – Diverse Dokumente Hospital Punto de Europa, Algeciras, Andalusien UK Bradford Hospitals, NHS Trust, TOTAL 1 - Angela Hughes, Audit/ICP co-ordinator & Co-ordinator of MFH subproject on translating 2 – Diverse Dokumente 1 - Dr. Antonio Chiarenza, Co-ordinator of MFH subproject on translating 2 – Diverse Dokumente 1 - Ivo Stroeken, account manager, Tolk- en Vertaal Centrum Nederland 2 – Loes Singels, Dutch Ministry of Health, Welfare and Sport 3 – Diverse Dokumente 1 – Manuel Fernandez Gonzalez, Head of Departement, Psychiatric Centre 1 – Antonio Salceda de Alba, Co-ordinator of 13 14 General Director 2. Antonio Salceda de Alba, Coordinator of MFH subproject on translating 3. Federico Sierra Benitez, Coordinator of MFH subproject on translating 4. Dr. José Perea, Clinical director Hospital 5. José Antonio Millan, Financial Responsible 1. David Jackson, Chief Executive 2. Dilshad Khan, Director for Equality and Diversity 3. Surinder Sharma, Director for equality and diversity for the NHS at the Department of Health 30 ExpertInnen MFH subproject on translating 2 – Dr. Francisco Martos, Managing Director of Health Authority in the Province of Càdiz, Andalusia 1 - Dilshad Khan, Director for Equality and Diversity 10 ExpertInnen 3 Kurzbeschreibungen der Finanzierungsmodalitäten von Übersetzungstätigkeiten in den befragten Spitälern Als Grundlage der Analyse dienen die Beschreibungen der Modalitäten zur Finanzierung von Übersetzungstätigkeiten2 wie sie uns von den befragten ExpertInnen vermittelt wurden. In einem ersten Schritt werden deshalb die sieben Modelle kurz beschrieben. Anschliessend (Kapitel 4) werden auf dieser Basis einige idealtypische Momente der zuvor vorgestellten Modelle präsentiert. Zum Schluss präsentieren wir einige Überlegungen dazu, wie die Ergebnisse nun mit Blick auf die Situation in der Schweiz interpretiert werden könnten. 3.1 Belgien 3 In Belgien liegt die Finanzierung von Spitälern in nationaler Kompetenz. Eine ‚Royal Decision’ (Article 80, 2 de l’arrêté royal du 25 avril 2002) regelt nicht nur die allgemeine Finanzierung der Spitäler im Detail, sondern darüber hinaus ebenfalls die Finanzierung von Übersetzungsdiensten und interkultureller Mediation in den Spitälern. Anders ausgedrückt, die Finanzierung von Dolmetschertätigkeiten in den Spitälern ist gesetzlich geregelt: Die belgische Regierung wird darin beauftragt, einen bestimmten Betrag spezifisch für die Finanzierung der interkulturellen Mediation und der Übersetzungsdienste im Gesundheitssektor zu reservieren. Die Regierung legt also jährlich ein maximales Globalbudget für interkulturelle Mediation und Übersetzung für die Spitäler in ganz Belgien fest. Das Geld ist für die Anstellung von sogenannten interkulturellen MediatorInnen und/oder KoordinatorInnen in Sachen interkultureller Mediation in den Spitälern vorgesehen. Der Grossteil der Arbeit dieser interkulturellen MediatorInnen besteht aus Übersetzungen, nur ein Bruchteil aus eigentlicher Mediation. 2 International (wie auch national) sind zur Bezeichnung der Arbeit von DolmetscherInnen verschiedene Begrifflichkeiten im Umlauf: VermittlerInnen, interkulturelle MediatorInnen etc. Wir übernehmen im Folgenden die Terminologie, wie sie in den Interviews von den einzelnen ExpertInnen angewendet wurde. Bedeutsam ist aber, dass es in allen beschriebenen Fallstudien in erster Linie um Übersetzungstätigkeiten geht, die mündlich erfolgen – entweder face-to-face oder telefonisch. 3 Das Fallbeispiel bezieht sich auf den flämischen Teil Belgiens. 15 Die Allgemein- und psychiatrischen Spitäler können dem Service Publique Fédéral eine Anfrage zur Finanzierung von interkulturellen Mediatioren und/oder Koordinatoren für interkulturelle Mediation unterbreiten. Die Abteilung für interkulturelle Mediation innerhalb der Gesundheitsdirektion behandelt diese Anfragen wie sie auch die Evaluation und die Begleitung der Tätigkeiten der interkulturellen MediatorInnen sicherstellt. Die Gesamtsumme, die seitens der Spitäler für die Finanzierung dieser interkulturellen MediatorInnen angefragt wird, übersteigt gemäss dem befragten Experten in der Regel das von der Regierung festgelegte Globalbudget. Es liegen Anfragen für Finanzierungen in der Höhe von total ungefähr 3 Millionen Euro vor, das festgelegte Budget für 2006 lag hingegen bei rund 2 Millionen. Der von der Regierung bereit gestellte Betrag reicht laut dem Experten für die Finanzierung von interkulturellen MediatorInnen in rund 60 Spitälern, wohingegen meist rund 80 Spitäler eine Finanzierungsanfrage beim Staat deponieren. Um eine Selektion zu ermöglichen, hat die Regierung eine Liste mit Kriterien erarbeitet, die ein Spital erfüllen muss, möchte es von den Geldern profitieren (z.B. Zahl von PatientInnen aus nicht europäischen Staaten; Anzahl PatientInnen aus dem europäischen Ausland; für die Spitäler, die schon interkulturelle MediatorInnen oder einen Koordinator besitzen und die finanziert sind gilt: Resultate der Evaluation ihre Aktivitäten durch die Abteilung für interkulturelle Vermittlung. Des Weiteren ist die Finanzierung solcher interkultureller MediatorInnen an gewisse Bedingungen gebunden: o Die interkulturellen MediatorInnen müssen vordefinierten Standards entsprechen (z.B. gewisser Berufstitel, Absolvierung eines spezifischen Kurses); o Die Spitäler verpflichten sich zu einer jährlichen Evaluation der Mediationsaktivitäten; o Die interkulturellen MediatorInnen müssen direkt vom Spital angestellt werden, es ist den Spitälern nicht erlaubt, mit Freelancern zu arbeiten. Die ständige Anwesenheit der angestellten interkulturellen MediatorInnen im Spital bringt mit sich, dass in diesem Modell die meiste Übersetzung face-toface und mündlich erfolgt. Die Spitäler zielen darauf ab, mit diesen fest angestellten MediatorInnen möglichst viele und wichtige Sprachen abzudecken. Benötigt nun aber ein Spital Übersetzungen in einer anderen Sprache, eröffnet sich ein Problemfeld. Dieser Punkt stellt denn laut den Aussagen des Experten eine seriöse Lücke im Modell dar: Es steht den Spitälern theoretisch zwar frei, andere 16 ÜbersetzerInnen über sogenannte social interpreters services beizuziehen, diese Kosten werden aber nicht durch das Regierungsbudget gedeckt. Diese social interpreters services sind quasi ein zweites Bein des Übersetzungswesens wie es in Belgien entstand und sollen deshalb ebenfalls kurz beschrieben werden. Gemäss einer zweiten Interviewpartnerin gibt es zur Zeit im flämischen Teil Belgiens fünf solche Übersetzungsvermittlungsdienste (social interpreter services). Sie sind in der Regel durch verschiedene Regierungsstellen subventioniert, aber nicht unbedingt über den Gesundheitssektor, vielmehr entstanden sie in engem Zusammenhang mit der Integrations- und nicht der Gesundheitsthematik. Das Geld stammt teils von der lokalen Regierung, teils auch von den Integrationszentren. Diese Zentren setzen die belgische Minoritätenpolitik um und haben in diesem Rahmen die Möglichkeit, solche Übersetzungsdienste zu finanzieren. Insgesamt werden diese Übersetzungsdienste ausschliesslich über Projektgelder finanziert, es handelt sich also nicht um strukturelle Gelder. Nehmen die Spitäler die Leistungen dieser social interpreters services in Anspruch, müssen sie selbst für die Kosten aufkommen. Gemäss dem Experten ist zu beobachten, dass in solchen Fällen eher auf Verwandte und Freunde für die Übersetzungen zurückgegriffen wird. Dies, obschon sich die Kosten für diese Dienstleistungen dank der staatlichen Subvention in niedrigem Rahmen bewegen würden. 3.2 James Connolly Memorial Hospital, Dublin, Irland Während Belgien seit längerem mit Einwanderungen konfrontiert ist, stellt dies in Irland ein neueres Phänomen dar. Sprachliche Vielfalt ist in den Spitälern in Irland erst seit rund 5–10 Jahren ein Thema. Eine konkrete Folge davon ist, dass z.B. eine professionelle Übersetzung im James Connolly Memorial Hospital in Dublin erstweilig auf Projektbasis eingeführt wurde. In dieser irischen Fallstudie muss das Spital über sein Globalbudget für die Dolmetscherkosten aufkommen. D.h. es wird innerhalb dieses Globalbudgets ein Teil für die Dolmetscherkosten reserviert. In den letzten Jahren wurde das Budget aber nicht ausgeschöpft, denn gemäss der ExpertIn ist beim Personal noch wenig Bewusstsein für das Thema vorhanden. Durch die Einführung des MFH-Subprojekt Translating wurde der Beizug von DolmetscherInnen zwar um 10% gesteigert. Das präzise Budget wird in diesem Spital in Kürze neu überarbeitet und wird Inhalt von Diskussionen sein. Das Spital arbeitet mit zwei externen professionellen Übersetzungvermittlungsagenturen, die ihrerseits Freelancer beschäftigen. Die Agenturen organisieren und koordinieren sämtliche Einsätze und verrechnen sie anschliessend dem Spital. Diese Agenturen sind nicht primär für den 17 Gesundheitsbereich entstanden, sondern gingen aus Bedürfnissen im Justizbereich hervor (Asyl). 3.3 Azienda USL di Reggio Emilia, Italien In Italien, konkret in der Provincia Reggio Emilia, wird ebenfalls erst seit kurzem mit professionellen ÜbersetzerInnen in Spitälern gearbeitet. Es war das Subprojekt Translating des europäischen MFH-Projektes, welches für die Einführung von professionellen DolmetscherInnen den Anstoss gab. Das Modell, das im Rahmen des MFH-Projektes eingeführt und ausprobiert wurde, wurde unterdessen auf die anderen fünf Spitäler der Provinz ausgeweitet. Mit anderen Worten, die lokalen Gesundheitsbehörden von Reggio Emilia bieten Übersetzungen für sämtliche Spitäler der Provinz an. Insgesamt steht ihnen ein Budget von total 220'000 Euro pro Jahr für alle Dolmetschertätigkeiten zur Verfügung. Ein grosser Teil des Budgets ist für face-to-face Übersetzungen, respektive für die interkulturelle Mediation reserviert (60%, 1320'000 Euro), rund ein Drittel (66'000 Euro) für Telefonübersetzungen und ein kleiner Teil für schriftliche Übersetzungen (10%, 22'000 Euro). Das Budget ist limitierter Natur, es kann nicht überschritten werden. Der Interviewpartner erklärt sich diesen Umstand damit, dass die Übersetzungstätigkeiten seitens der Regierung noch immer als Projekte betrachtet und deshalb auch in dieser Logik finanziert werden. In Reggio Emilio wird ein Modell praktiziert, das ÜbersetzerInnen direkt vor Ort einsetzt: An 6 Tagen der Woche und an 5 Stunden pro Tag ist jeweils ein Übersetzer im Spital anwesend. Hierbei wird darauf geachtet, dass die am häufigsten nachgefragten Sprachen rotieren, d.h. ein Dolmetscher für Chinesisch, der während einer bestimmten Zeitspanne anwesend ist, wird anschliessend von einem anders sprachigen Übersetzer abgelöst, usw. Während ihrer Präsenzzeit arbeiten die Dolmetscher zum einen selbständig, d.h. sie gehen direkt auf die Fremdsprachigen zu, informieren sie über das Spital, etc. Andererseits übersetzen sie in dieser Zeit auch auf Wunsch des Personals. Schliesslich gibt es auch die Möglichkeit, dass das Fachpersonal mit den Dolmetschern eine Zeit vereinbart, wann ihre Übersetzungstätigkeiten erforderlich sind. Die DolmetscherInnen werden nicht direkt vom Spital angestellt, sondern die lokalen Gesundheitsbehörden der Provinz haben einen Vertrag mit zwei externen Personenvermittlungsagenturen abgeschlossen. Diese übernehmen den Einsatz und die Koordination der ÜbersetzerInnen. In dieser Provinz in Italien haben auch Personen ohne Krankenversicherung oder Aufenthaltsbewilligung Zugang zur Grundversorgung und zur 18 Übersetzung. Gemäss dem Interviewpartner wird momentan ein grosser Teil des Budgets für Übersetzungen für irregulär anwesende MigrantInnen aufgewendet. 3.4 Niederlande In den Niederlanden werden sämtliche im Gesundheitswesen anfallenden Übersetzungsleistungen direkt vom Dutch Ministry of Health, Welfare and Sport (VWS) übernommen. Dies funktioniert folgendermassen: Alle im Gesundheitssektor tätigen Institutionen können bei Bedarf einen Übersetzer bei der TVCN (Tolk– en Vertaal Centrum Nederland), einer Übersetzervermittlungsfirma anfordern. Das TVCN ist die grösste Uebersetzungsfirma in den Niederlanden: Sie bietet Uebersetzungsdienste in über 100 Sprachen an und beschäftigt über 1000 MitarbeiterInnen. Nach dem Einsatz stellt die TVCN der VWS die Kosten – gemäss einer determinierten Preisliste – in Rechnung. Es steht den Institutionen im Gesundheitswesen zwar frei mit anderen Übersetzungsanbietern zu arbeiten, für diese müssen sie aber finanziell selbst aufkommen. Aus diesem Grunde werden in der Praxis die meisten Übersetzungen im Gesundheitswesen durch die TVCN übernommen und vom VWS finanziert. Die TVCN entstand in den 1970ern als Teil des Justizministeriums, als dieses der wachsenden Nachfrage nach Übersetzungstätigkeiten im Asylbereich nachkommen musste. Bald entwickelte sich die TVCN zur Dienstleistung aller Ministerien und wurde mit staatlicher Unterstützung ausgebaut. Bis zum 1. Januar 2006 war das Justizministerium mit der Kontrolle des Budgets für die Ministerien betraut, die mit der TCVN zusammenarbeiteten. Im Jahre 2004 wurde ein Bericht über die Organisation, Finanzierung und Qualität der Übersetzungstätigkeiten in den Niederlanden publiziert, der die niederländische Regierung zur einer Neustrukturierung veranlasste. Im Gesundheitsbereich wurde der Auftrag im Submissionsverfahren an Manpower vergeben, die unterdessen mit TVCN fusioniert hat. Auf diese Art und Weise wurde die TVCN aus der Regierung herausgelöst und privatisiert. TCVN/Manpower schloss einen Exklusivvertrag mit dem Gesundheitsministerium für sämtliche Übersetzungstätigkeiten im Gesundheitsbereich - aber auch mit fünf anderen Ministerien (Ministries of Health, Justice, Finance, Internal Affaires, Defence and Social Affairs) ab. TVCN arbeitet mit Freelancern und stellt nicht selbst ÜbersetzerInnen an. Interessant ist, dass in den Niederlanden ein Grossteil der Übersetzungen am Telefon erfolgt (70% der mündlichen Übersetzungen), der Rest face-to-face 19 (30% der mündlichen Übersetzungen). Ein Teil des Budgets wird auch für schriftliche Übersetzungen ausgegeben (rund 15%). Bei Übersetzungen für Asyl Suchende werden die Rechnungen an die Dutch Asylum Organisation respektive an das Justizministerium gestellt. Allerdings werden schlussendlich auch diese Kosten vom VWS übernommen. Gemäss einem Interview mit einem Experten vom TVCN existiert für diese Dolmetschertätigkeiten kein Maximalbudget, es handelt sich also um unlimitierte Mittel, die für diese Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Er begründete dies damit, dass die niederländische Regierung den Beizug von professionellen Übersetzungstätigkeiten fördern und unterstützen möchte: Es ist ihr ein Anliegen, ihren rechtlichen Verantwortlichkeiten nachzukommen. Falls durch eine schlechte oder inadäquate Übersetzung etwas passieren würde, wäre nämlich die VWS die haftende Instanz. Überdies sind ÄrztInnen verpflichtet, PatientInnen in einer für sie verständliche Sprache über die beabsichtigte Behandlung zu informieren (informed consent). 3.5 Uppsala University Hospital, Schweden Die finanzielle Verantwortlichkeit für das Gesundheitswesen liegt in Schweden bei den einzelnen Provinzen. Aus diesem Grunde sind die Modalitäten der Finanzierung von Dolmetschertätigkeiten von Provinz zu Provinz unterschiedlich geregelt. In Uppsala werden Übersetzungstätigkeiten durch die Spitäler selbst abgedeckt: D.h. Übersetzungstätigkeiten sind im Globalbudget eingeschlossen, das dem Spital Uppsala jährlich zugesprochen wird und über dessen Verwaltung und Budgetposten es selbst entscheidet. In Stockholm hingegen bezahlen die lokalen Autoritäten die Übersetzungstätigkeiten direkt, d.h. die Spitäler erhalten spezifische Gelder für diese Dienstleistungen. Das jährliche Globalbudget für das Spital in Uppsala liegt bei 1.5 Billionen Schwedischen Kronen (166 Millionen Euro). Von diesem Budget werden laut dem befragten Experten rund 1 Million Kronen für die Übersetzungstätigkeiten aufgewendet (110'844 Euro). Gemäss dem interviewten Experten liegt der Unterschied zwischen den zwei Modellen Stockholm und Uppsala nicht unbedingt darin, dass in einem Modell mehr oder weniger Finanzen für die Dolmetscher zu Verfügung stehe als im anderen. Vielmehr beeinflusse das jeweilige Modell die Haltung der Mitarbeitenden: In Uppsala sei das Personal weniger geneigt, DolmetscherInnen beizuziehen, weil der Eindruck vorherrsche, durch die verursachten Kosten würde die Finanzierung anderer notwendiger Leistungen gefährdet. 20 In Uppsala werden die Dolmetschertätigkeiten über einen Posten von sogenannt ‚flexiblen’ Geldern abgerechnet: Dieser Posten deckt verschiedene Bedürfnisse ab, unter anderem auch jenes nach Dolmetschertätigkeiten. Wichtig ist festzuhalten, dass in diesem Sinne kein vorab bestimmter Maximalbetrag für Übersetzungstätigkeiten reserviert ist, sondern dass auch finanziert wird was aufgewendet wird. In der Praxis bedeutet dies, dass gegebenenfalls mehr Gelder für Übersetzungstätigkeiten verwendet werden können als ursprünglich vorgesehen waren. Das Spital Uppsala arbeitet mit vier externen Übersetzungsfirmen zusammen. Ein Grossteil der Übersetzungen erfolgt persönlich, d.h. face-to-face (rund 80%), der Rest per Telefon. Übersetzungen werden auch für illegal anwesende MigrantInnen und Asyl Suchende bezahlt: Die finanziellen Mittel für diese Personengruppen werden allerdings aus einem anderen Pool gespiesen: Hierfür kommt der Staat auf. Die Provinzen vergüten den Spitälern Kosten für Übersetzungen für Asyl Suchende und illegal anwesende MigrantInnen mit nationalen Geldern. 3.6 Hospital Punto de Europa (Andalusien), Spanien ÜbersetzerInnen etabliert sein, das seine Dienste in ganz Andalusien anbieten würde. Eine Spezifität dieses spanischen Spitals – mindestens im Vergleich zu den anderen hier untersuchten Spitälern – ist, dass sich das Dolmetschen ausschliesslich auf Telefondolmetschen beschränkt. Die Dienstleistung wird denn über spezifisch ausgerüstete Mobiletelefone gewährleistet. 3.7 Bradford Hospitals, Bradford Royal Infirmary, Grossbritannien In Grossbritannien müssen die einzelnen Gesundheitsinstitutionen ihre Übersetzungsdienste ebenfalls in Eigenregie finanzieren, d.h. sie müssen Teile ihres vom Gesundheitsdepartement zugesprochenen Globalbudgets für diese Dienstleistungen reservieren. So bekommt auch das Bradford Royal Infirmary jährlich ein gewisses Globalbudget zugesprochen, das von der Spitalleitung selbst verwaltet wird. Mit diesen Geldern müssen sämtliche Übersetzungstätigkeiten abgedeckt werden. Wie in Spanien überhaupt befinden sich auch in der Region von Càdiz Übersetzungstätigkeiten im Gesundheitsbereich vorläufig in einer Pilotphase. Dies liegt unter anderem daran, dass Spanien – bis vor kurzem ein Auswanderungsland – erst in jüngster Vergangenheit zu einem Einwanderungsland geworden ist. Die Thematik ist demnach verhältnismässig neu. Gemäss den Aussagen des befragten Experten hat das Bradford Royal Infirmary ein Budget von jährlich 220'000 Millionen Euro. Von diesem werden rund ½ Million Euro für Dienstleistungen im Bereich der Übersetzungen verwendet (0.23% des Budgets). Das Budget für die Dolmetschertätigkeiten unterliegt aber keiner Begrenzung, jede Übersetzung wird über diese Gelder bezahlt. Ähnlich wie im italienischen Fallbeispiel legte das MFH-Subprojekt Translating den Grundstein für sämtliche heute in Spitälern angebotenen Dolmetschertätigkeiten. Gemäss dem Experten aus dem Hospital Punto de Europa gab es vor dem MFH-Projekt in diesem Spital keine ÜbersetzerInnen. Der grösste Teil dieser halben Million wird für ein sogenanntes ‚fixed’ budget (400'000 Euro) aufwendet, d.h. ÜbersetzerInnen werden vom Spital selbst direkt angestellt. Beim Rest der Gelder handelt es sich um ein sogenannt ‚reaktives’ Budget: Freelancer ergänzen die angestellten ÜbersetzerInnen und werden beigezogen, sobald spezifische Sprachen benötigt werden. Momentan werden die Übersetzungstätigkeiten im Rahmen des Globalbudgets des Spitals ausgerichtet: Allerdings ist kein fester oder maximaler Betrag reserviert, sondern die Dolmetscherleistungen werden wie im schwedischen Fallbeispiel über einen ‚flexiblen’ Budgetposten abgerechnet. Dies bedeutet, dass es in der Testphase keine Beschränkungen gibt, was die Häufigkeit des Beizugs von ÜbersetzerInnen, aber auch was die Höhe der Ausgaben für deren Dienstleistung betrifft. Das Spital unterhält seit 2006 einen Vertrag mit einer externen Personenvermittlungsfirma, die sämtliche Übersetzungen anbieten, organisieren und koordinieren. Ein solcher Vertrag ist auch für 2007 und 2008 in Vorbereitung. Das Gesundheitsdepartement von Andalusien verfolgt längerfristig jedoch einen anderen Plan: So soll ab 2009 ein Zentrum für 21 Zur Zeit sind im Bradford Royal Infirmary 12 ÜbersetzerInnen für die gebräuchlichsten Sprachen direkt angestellt (über das ‚fixed’ Budget). 25 ÜbersetzerInnen werden komplementär dazu regelmässig beigezogen und für jede Intervention bezahlt. Des Weiteren sind rund 250 ÜbersetzerInnen auf einer Liste für seltene Sprachen vermerkt. In diesem englischen Fallbeispiel erfolgt ein Grossteil der Übersetzungen faceto-face, nur ein Bruchteil der Übersetzungen geschieht am Telefon. Ausserdem liegt eine (informelle) Datenbank vor, die Angaben zu den Sprachkenntnissen der Spitalangestellten enthält. Laut dem befragten Experten wird jedoch so wenig wie möglich darauf zurück gegriffen. Hingegen besteht die Absicht, möglichst zweisprachiges Personal anzustellen: Hat man einen 22 Chirurgen zu Hand, der eine Behandlung auch in einer anderen Sprache durchführen kann, so benötigt man für PatientInnen der betreffenden Sprachgruppe keinen Dolmetscher mehr, ist hier die zugrunde liegende Logik. Dolmetscherleistungen für Asyl Suchende werden nicht über das spitalinterne, sondern über ein zentralisiertes Budget finanziert. Dieses ist nicht auf den Gesundheitsbereich beschränkt, sondern ist für alle Dolmetschertätigkeiten für Asyl Suchende bestimmt. 4 Allgemeine Ergebnisse und Faktoren, welche die Entstehung der Modelle beeinflussten Der im vorangegangenen Kapitel skizzierte Überblick über die Fallstudien enthüllt eine Bandbreite von Möglichkeiten, wie Dolmetschertätigkeiten finanziert werden können. Als ein erstes Ergebnis unserer Analyse zeichnet sich folgendes ab: Die meisten Modelle haben sich im Laufe einer ‚Try-andError-Politik’ herausgebildet und schliesslich etabliert. Interessant wäre es nun weiterzufragen, weshalb sich diese aktuell implementierten Modelle haben durchsetzen können. Wie kam es z.B. in Belgien so weit, dass es für das Dolmetschen in den Spitälern eine gesetzliche Grundlage gibt, die gleichzeitig ja die Basis für die Finanzierungsregelung darstellt? Ein zweites wichtiges Ergebnis ist, dass es nicht ein System der Finanzierung gibt, sondern dass die vorgefundenen Finanzierungsformen für Dolmetschertätigkeiten zweifelsohne in enger Koppelung an die jeweils vorherrschenden kontextuellen und historischen Gegebenheiten entstanden sind. So können verschiedene Faktoren ausgemacht werden, die einen direkten Einfluss auf die Form der Finanzierung der Dolmetschertätigkeiten zeigen. Insbesondere sind entsprechend unserer Analyse (mindestens) folgende Faktoren entscheidend: a) Die Einwanderungsgeschichte eines Landes und damit verbunden der Zeitraum, während dem in einem Spital bereits Erfahrungen mit DolmetscherInnen gesammelt werden konnten; b) die Ausrichtung der Integrationspolitik bezüglich MigrantInnen und/oder Minderheiten im betreffenden Lande; c) die allgemeine Funktionsweise des Gesundheitssystems und die generelle Ausrichtung der Sozialpolitik d) die Existenz gesetzlicher Grundlagen bezüglich des Dolmetschens oder die Haltung der Verantwortlichen. Diese Variablen ergeben in unterschiedlichen Kombinationen verschiedene Idealtypen von Finanzierungsmodellen, die im folgenden Kapitel beschrieben werden. Anzumerken bleibt, dass wir auf die verschiedenen Gesundheitssysteme als solche nicht eingehen können, da die Vertiefung dieses Aspekts den Rahmen dieses Mandats gesprengt hätte. 23 24 5 Typisierungen der Finanzierungsmodelle Wir möchten in diesem Kapitel auf einige grundsätzliche Dimensionen der vorgestellten Finanzierungsmodelle eingehen und nach Gemeinsamkeiten resp. Verschiedenheiten in den Modellen suchen. Idealtypen Erneut möchten wir auf die Grenzen dieses komparativen Unterfangens hinweisen: Um eine eigentlich politologisch konsistente vergleichende Analyse tätigen zu können, hätten wir mehr Informationen zur Hand haben müssen. Gleichwohl scheint es uns möglich – mit aller Vorsicht – einige grundlegende Momente anzusprechen und sie in einen vergleichenden Rahmen zu stellen. Hierfür arbeiten wir im Folgenden mit Idealtypen. Ein Idealtypus ist in Anlehnung an Max Weber als Hilfsmittel zur begrifflichen Erfassung sozialer Phänomene zu verstehen. Idealtypen sind Gebilde abstrakter Natur und dienen der Theoriebildung, da in ihnen Zusammenhänge der Realität abstrahiert und konstruiert werden (Weber 1991 [1904]). Mit anderen Worten, die vorgestellten Modelle werden in verschiedene Kategorien typisiert, um so eine vergleichende Analyse gewährleisten zu können. 5.1 ‚Pilotprojekt’ versus ‚Etabliertes und strukturell verankertes Modell’ Eine erste Kombination der oben erwähnten Einflussfaktoren ergibt zwei verschiedene Idealtypen: Pilotprojekte resp. etablierte Modelle. Der Idealtyp ‚Pilotprojekt’ zeichnet sich dadurch aus, dass Übersetzungstätigkeiten erst vor kurzem in den Spitälern eingeführt wurden und sich noch in einer Art Testphase befinden. Meist werden sie über Projektgelder finanziert. Bei diesem Idealtyp ist die Form und Struktur der zukünftigen Finanzierung noch unklar. Diese Modelle entstanden in Ländern, die erst seit kurzem mit der Einwanderungsthematik konfrontiert sind und in denen sich noch keine eigentliche Integrationspolitik entwickeln konnte. Auch ein Umgang mit sprachlicher Vielfalt steht noch in den Kinderschuhen. Die Fallstudien aus Spanien, Italien4 und auch Irland wären diesem Idealtyp zuzuschreiben: Spanien war traditionell seit dem 2. Weltkrieg ein 4 Italien steht zwischen den beiden Idealtypen: Wir haben es aber hier eingereiht, weil das Land erst auf eine kurze Einwanderungsgeschichte zurückblicken kann. 25 Auswanderungsland und wandelte sich erst während der letzten Jahren zu einem Einwanderungsland. Die Spitäler sind daher erst seit kurzem mit einer sprachlichen Vielfalt ihrer Klientel konfrontiert. Gleiches gilt für das italienische und das irische Fallbeispiel. In diesen Beispielen legte das MFHSubprojekt Translating die Basis für die Einführung von Übersetzerdiensten in den Spitälern und den Grundstein zur Auseinandersetzung mit sprachlicher Vielfalt in den Spitälern. Da Spanien, Italien und auch Irland erst in jüngster Vergangenheit zu Einwanderungsländern geworden sind, ist ebenfalls noch nicht klar, welche Richtung eine zukünftige Integrationspolitik nehmen wird (Assimilation, Diversitätsparadigma, etc.). Der Idealtyp ‚etablierte und strukturell verankerte Modelle’ zeichnet sich dadurch aus, dass Übersetzungstätigkeiten in den Spitälern seit längerem an der Tagesordnung sind. Es wurden unterschiedliche Modelle der Finanzierung gefunden: Die Dolmetschertätigkeiten werden entweder über Globalbudgets oder über direkte öffentlich-staatliche Zuschüsse finanziert, nie über Projektgelder. Diese Modelle entstanden in Ländern, die seit langem mit der Einwanderungsthematik konfrontiert sind und die in den letzten Jahrzehnten eigentliche Integrationspolitiken ausgearbeitet haben und diese umsetzen. Der Umgang mit sprachlicher Vielfalt ist institutionell fortgeschritten. Die Fallstudien aus den Niederlanden, Schweden, Belgien oder Grossbritannien stehen stellvertretend für den Idealtyp eines etablierten und strukturell verankerten Modells. Man hat hier zwar unterschiedliche Modelle der Finanzierung gefunden, aber in allen Beispielen werden Dolmetschertätigkeiten nicht über Projektgelder, sondern über Globalbudgets der Spitäler oder unlimitierte direkte staatliche Zuschüsse finanziert. Die entstandenen Modelle sind im weiteren Kontext zu verankern: Die Niederlande, Grossbritannien und Belgien haben eine lange Geschichte nicht nur der Kolonialisierung, sondern auch der späteren Einwanderungen aus den Kolonien. Zudem verfolgten diese Länder über Jahrzehnte spezifische Integrationspolitiken für ihre Minderheiten (Mahnig 1997), und sie erfuhren seit den 1980er Jahren eine verstärkte Diversifizierung der Einwandernden bezüglich Herkunft, rechtlichem Status, Bildung etc. (Grillo 2005; Vertovec und Wessendorf 2006). Wir möchten an dieser Stelle z.B. daran erinnern, dass Grossbritannien seit Jahrzehnten eine Gleichstellungspolitik für seine ethnischen Minderheiten verfolgt: Mittels verschiedener Race-Relations Amendments Acts wird und wurde auf eine Gleichheit und eine Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen für alle abgezielt. In diesem Sinne wird die Finanzierung von 26 Dolmetschertätigkeiten als Instrument für die Herstellung von Equality behandelt und seitens der Regierung mit Priorität verfolgt. Ähnliches ist in den Niederlanden zu beobachten. Die Grundprämisse ist, wie ein Experte im Interview meinte, dass Dolmetschen gefördert werden muss, um rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.5 Bei diesem Idealtyp ist ein Umgang mit sprachlicher Vielfalt institutionell weit fortgeschritten: Dies kann sich unter Umständen daran zeigen, dass die zur Verfügung stehenden Gelder für Dolmetschen nicht ausreichen, wie im Fall Belgiens. Umgekehrt haben wir gesehen, dass in Irland, das dem ersten Idealtyp zuzuschreiben ist, das Budget nicht ausgeschöpft wird, unter anderem deshalb, weil das Personal noch wenig Wissen im Umfang mit sprachlicher Vielfalt hat und nur zögerlich Dolmetschende beizieht. Das Fallbeispiel aus Italien könnte als Mittelding zwischen den beiden hier beschriebenen Idealtypen gelten: In Italien wurde in einem Spital durch das MFH-Projekt das Thema Übersetzungsleistungen eingeführt, unterdessen wurde das Projektmodell aber für alle Spitäler der Region übernommen. Die Dolmetschertätigkeiten werden in diesen Spitälern unterdessen nicht mehr über Projektgelder finanziert, sondern im Rahmen des Globalbudgets steht hierfür ein nach oben limitierter Posten zur Verfügung. Mit anderen Worten, das Pilotprojekt gab den Anstoss für die Entwicklung eines etablierteren Modells. 5.2 ‚Direktfinanzierung durch staatliche Akteure’ versus ‚ Spitalinterne Globalbudgets’ Idealtyp ‚Direktfinanzierung’: Hier stellt die Regierung spezifische Gelder für die Übersetzungstätigkeiten bereit und finanziert diese direkt. Meist ist eine solche Finanzierung an gewisse Bedingungen geknüpft (Nachweis eines Qualitätsstandards der Übersetzenden, Rückgriff auf spezifische Vermittlungsagenturen, etc.). Dem Idealtyp der ‚Direktfinanzierung’ entsprechen die Modelle der Fallbeispiele aus Belgien, den Niederlanden sowie aus Italien. In Belgien stellt das Gesundheitsministerium ein Budget für die Finanzierung von ÜbersetzerInnen in Spitälern zur Verfügung. Die Spitäler können demnach direkt beim Staat um eine Finanzierung von interkulturellen MediatorInnen anfragen. Deren Finanzierung durch den Service Publique Fédéral ist 5 Wir sind uns durchaus bewusst, dass diese Aussagen sehr rudimentär und oberflächlich bleiben: Nichtsdestotrotz scheint es uns in diesem Zusammenhang wichtig, auf diese Aspekte hinzuweisen. 27 allerdings an bestimmte Bedingung geknüpft: Die DolmetscherInnen müssen vom Spital angestellt werden und gewisse Qualitätsstandards einhalten. In den Niederlanden können sämtliche Institutionen des Gesundheitswesens wann immer sie eine/n Übersetzer/in benötigen eine/n solche/n bei einer spezifischen und vorab bestimmten Personenvermittlungsfirma anfordern. Diese Firma unterhält einen Exklusivvertrag mit dem Gesundheitsministerium (und anderen Ministerien), das für sämtliche anfallenden Dolmetscherkosten aufkommt, solange sie über diese Firma laufen. In Italien stellt die lokale Regierung direkt ein jährliches Globalbudget für Dolmetschertätigkeiten zur Verfügung, das die Spitäler nutzen können. Bedingung ist hier, dass die DolmetscherInnen exklusiv über zwei bestimmte externe Übersetzungsvermittlungsfirmen rekrutiert werden. Idealtyp ‚Globalbudget’: Bei diesem Idealtyp müssen die Spitäler für die anfallenden Übersetzungskosten über das von der Regierung zugesprochene Globalbudget aufkommen und hierfür einen spezifischen Posten reservieren. Gleichzeitig haben die Spitäler in der Ausgestaltung der Organisationsform der Dolmetschertätigkeiten freiere Hand. Die Fallbeispiele aus Schweden, Spanien, Grossbritannien und auch Irland sind dem Idealtyp ‚Globalbudget’ zuzuordnen. In all diesen Modellen werden die Dolmetschertätigkeiten über das von der Regierung verabschiedete spitalinterne Globalbudget bezahlt. Interessant scheint uns, dass in allen Beispielen ein Modus gefunden wurde, der es erlaubt, sehr flexibel auf Schwankungen in der Nachfrage und damit auch in den spitalinternen Gesamtkosten der Dolmetschertätigkeiten zu reagieren. Meist verhält es sich so, dass Übersetzungsleistungen über ein sogenannt ‚flexibles’ Budget verrechnet werden. Es entsteht auf der Basis der Fallbeispiele der Eindruck, dass die Spitäler bei diesem Idealtyp in der Ausgestaltung der Modalitäten des Dolmetscherwesens mehr Freiheiten haben. Während beim Idealtyp ‚Direktfinanzierung’ die Übersetzungsleistung immer an gewisse Bedingungen geknüpft war, ist dies hier nicht der Fall. In einem der Modelle werden Teile der Gelder dafür aufgewendet, ÜbersetzerInnen direkt im Spital anzustellen (Grossbritannien), in anderen Modellen hingegen arbeitet man mit externen Vermittlungsfirmen (Schweden, Spanien, Irland). Allerdings ist anzumerken, dass bei diesem Punkt idealerweise die Ebenen ‚Bedürfnisfinanzierung’ und ‚Entscheidungskompetenz’ unterschieden und betrachtet werden müssten: Ist ein Budget vorhanden, das sämtliche Bedürfnisse nach Dolmetschen abdeckt, und wer hat die Kompetenz, über diese Gelder zu entscheiden? Erfolgt diese Entscheidung zentralisiert oder auf 28 Ebene der Spitäler? Leider lassen sich auf Grund der Interviews diese zwei Ebenen nicht klar voneinander trennen, stellte doch dieser Punkt ein zentrales Problem für die Kontaktpersonen dar: Sie waren meist über die eine oder die andere Ebene informiert, selten aber über beide. 5.3 Asyl Suchende 6 Wege für die Schweiz? Was lässt sich aus dieser Analyse für die Schweiz ableiten? Wir möchten in diesem Kapitel einige wenige Überlegungen präsentieren, die allerdings mehr einleitenden denn abschliessenden Charakter haben. Idealtypisch zeigt sich in den meisten Fallstudien, dass die Modelle für die Finanzierung der Übersetzungen für alle MigrantInnen mit Ausnahme der Asyl Suchenden gelten. Für die Letzteren anfallende Dolmetscherkosten werden in der Regel über andere Quellen finanziert: Häufig trägt diese Kosten nicht speziell der Gesundheitssektor, sondern eine übergreifende nationale Autorität Die Situation in der Schweiz zeichnet sich dadurch aus, dass Sprachenvielfalt in den Spitälern eine Realität ist und dass bisher häufig ad hoc Lösungen für die Finanzierung der Dolmetschertätigkeiten gefunden wurden und werden. Es kann in unseren Augen auf keinen Fall von einem etablierten und strukturell verankerten Modell gesprochen werden. Hingegen werden – auch wenn die Informationen lückenhaft bleiben – Dolmetscherleistungen für irregulär anwesende MigrantInnen über die gleichen Gelder und Modelle finanziert wie für den Rest der fremdsprachigen Klientel. Diese Kategorie von MigrantInnen scheint also in den Modellen eingeschlossen zu sein, während für Asyl Suchende andere Modelle gelten. Zudem möchten wir darauf verweisen, dass sich gerade das Schweizer Gesundheitswesen durch eine hohe Komplexität auszeichnet und durch den typisch schweizerischen Föderalismus charakterisiert wird. Jegliche weiterführenden Überlegungen müssten diesen Umständen Rechnung tragen. Im Allgemeinen ist die Frage der Übernahme von Dolmetscherkosten für Asyl Suchende und Sans Papiers aber in erster Linie an das vorherrschende System des Sozial- und Gesundheitswesens gekoppelt. Haben diese Gruppen Zugang zur Regelversorgung, so haben sie in der Regel ebenfalls Zugang zu Dolmetscherleistungen. Ist ihre Gesundheitsversorgung speziell und ausserhalb der Regelversorgung geregelt, müssen auch für die Finanzierung von Dolmetscherleistungen neue Wege gefunden werden. Ein Detail, aber nichtsdestotrotz von Interesse, ist, dass viele der aktiven Übersetzervermittlungsfirmen ursprünglich in Reaktion auf sich im Asylbereich manifestierende Bedürfnisse entstanden sind. Aufgrund der vorangegangen Darstellungen lassen sich einige Überlegungen anstellen, die wir kurz in Form von Fragen diskutieren möchten: Gibt es im Fall der Schweiz die Möglichkeit einer Anstossfinanzierung über Projektgelder? Wichtig scheint uns an dieser Stelle festzuhalten, dass Dolmetschertätigkeiten kurzfristig über Projektgelder finanziert werden könnten. Im Beispiel von Italien war es das MFH-Projekt, das zu einer Anstossfinanzierung führte: Diese wurde unterdessen ausgeweitet, von der lokalen Regierung aufgenommen und auf andere Spitäler übertragen. Die Finanzierung hat somit eine erste strukturelle Verankerung erreicht. Es wäre zu überlegen, ob eine solche Anstossfinanzierung nicht auch im Falle der Schweiz längerfristig zu einer Übernahme durch die Kantone oder den Bund führen könnte, resp. wie eine solche Weiterentwicklung vielleicht auch konzeptionell und mit finanziellen Anreizen angegangen werden könnte. Wäre in der Schweiz eine zentrale Finanzierung möglich oder sollten die Tätigkeiten über die Globalbudgets der Spitäler verrechnet werden? Aufgrund unserer Kenntnisse der lokalen Situation wären für die Schweiz beide hier vorgestellten Modelle denkbar, sie hätten allerdings unterschiedliche Konsequenzen und bedürften verschiedener Überlegungen. Eine zentrale Finanzierung könnte über den Bund oder die Kantone erfolgen. Möglich wäre sowohl eine Variante ‚Belgien’ (Anfrage der Spitäler und Kriterien für die Auswahl der Spitäler, die von einer Finanzierung profitieren könnten) wie auch eine Variante ‚Niederlande’ (Zugriff zur Dienstleistung über eine ÜbersetzerInnenvermittlungsfirma, die ihrerseits den Behörden die Rechnung stellt). Allerdings drängten sich hier weiterführende Untersuchungen und Überlegungen auf: Wäre etwa eine solcherart 29 30 zentralisierte Variante im föderalistischen Schweizer System von vornherein zum Scheitern verurteilt? Und auf welche Art und Weise könnten die verschiedenen Instanzen auf nationaler und kantonaler Ebene fruchtbar miteinander kooperieren? Würde man mit einer spezifischen Personenvermittlungsfirma zusammenarbeiten wollen und existiert eine solche in der Schweiz? Oder sollten eher mehrere solcher Vermittlungsfirmen sprachregional angesiedelt sein? Könnten diese Organisationsen definierte Qualitätsstandards für ÜbersetzerInnen gewährleisten? An welche Kriterien wäre die Finanzierung durch den Staat gekoppelt? (ÜbersetzerInnen vor Ort, Telefondolmetschen, etc.)? Gibt es noch andere Möglichkeiten, Ideen zum Thema zu sammeln? Schliesslich möchten wir darauf hinweisen, dass es sich durchaus auch lohnen könnte, in anderen gesellschaftlichen Bereichen nach Finanzierungsmodellen Ausschau zu halten, z.B. im Justizbereich, in dem ein Recht auf Übersetzung auch in der Schweiz existiert (Bischoff et al. 2005). Es könnte auch eine Finanzierungsmodalität ins Auge gefasst werden, die Synergien mit anderen gesellschaftlichen Bereichen so nutzen kann, dass die Kosten tiefer gehalten werden könnten. Auch hier wären aber konkrete weitere Überlegungen notwendig. Die gängige Praxis in den Schweizer Spitälern entspricht momentan wohl eher dem Idealtyp der ‚Globalbudgets’. Aus diesem Grunde wäre zu überlegen, wie dieser Idealtyp gestärkt werden könnte, insbesondere wie die Budgets für Dolmetschen ausgeweitet und vielleicht auch für eine gewisse Zeit unbegrenzt definiert werden könnten. Zudem scheint es sinnvoll, die Entscheidungskompetenz auf der Ebene der Spitäler anzusiedeln, mindestens dann, wenn man diese längerfristig in die Übernahme mindestens eines Teils der Dolmetscherkosten involvieren möchte. Möglich wäre auch eine Mischform der zwei Idealtypen: Eine zentrale Finanzierung für die Globalbudgets der Spitäler. Auch diese Form würde es den Spitälern erlauben, ihre je eigenen Ausgestaltungsformen zu entwickeln und bedürfte keines ‚zentralistischen Modells’. Wie kommt es zu einer gesicherten Finanzierung von DolmetscherInnen? Die Finanzierung scheint in denjenigen Ländern oder Spitälern eher gesichert zu sein, in denen a) seit längerem eine ‚Try-and-Error’-Politik durchgeführt wurde, b) eine gesetzliche Grundlage existiert, die das Dolmetschen in den Spitälern regelt (Belgien), c) die Regierung eine klare Haltung hierzu vertritt (Niederlande). Hier wäre es interessant weiterzudenken und der Frage nachzugehen, wie und weshalb es z.B. in Belgien zur gesetzlichen Grundlage kommen konnte. Welches Dolmetschermodell wäre für die Schweiz interessant? Auch auf diese Frage kann keine abschliessende Antwort gegeben werden. Gleichwohl scheinen uns nach dieser Analyse die Modelle aus Belgien und Grossbritannien die vielversprechendsten: Eine Kombination aus von im Spital festangestellten ÜbersetzerInnen – die zusätzliche Aufgaben übernehmen – ergänzt durch komplementäre DolmetscherInnen, die die fehlenden Sprachen bei Bedarf abdecken. Aber auch hier wären weitere Abklärungen notwendig, um die Potentiale und Herausforderungen dieser Modelle detaillierter zu erfassen. 31 32 7 Bibliographie Bischoff, Alexander et al. (2005). Wirkt interkulturelle Mediation integrierend? Materialienband des Projektes NFP 51 - 405140-69224. Basel. Bischoff, Alexander N. und Louis Loutan (2000). Mit anderen Worten : Dolmetschen in Behandlung, Beratung und Pflege. Bern: Bundesamt für Gesundheit. Dahinden, Janine, Chantal Wyssmüller und Denise Efionayi (2006). Interner Arbeitsbericht zu Modul 2 - Projekt „Grundlagen für die Erarbeitung einer Nachfolgestrategie des Bundes im Bereich Migration und Gesundheit“. Grillo, Ralph (2005). Backlash Against Diversity? Identity and Cultural Politics in European Cities. Center on Migration, Policy and Society. Working Paper No. 14. University of Oxford. Mahnig, Hans (1997). Migrationspolitik in sechs westlichen Industriestaaten : Deutschland, Frankreich, Niederlande, USA, Australien und Kanada. Neuchâtel: Forum suisse pour l'étude des migrations. Rommel, Alexander, Caren Weilandt und Josef Eckert (2006). Gesundheitsmonitoring der schweizerischen Migrationsbevölkerung. Bonn: WIAD (Wissenschaftliches Institut der Ärzte Deutschlands). Vertovec, Steven und Susanne Wessendorf (2006). "Cultural, Religious and Linguistic Diversity in Europe: An overview of issues and trends." in Pennix, Rinus, Maria Berger und Karen Kraal (Hg.), The Dynamics of International Migration and Settlement in Europe. Amsterdam: Amsterdam University Press, S. 171-200. Weber, Max (1991 [1904]). "Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis", in Sukale, Michael (Hg.), Max Weber. Schriften zur Wissenschaftslehre. Stuttgart: Philipp Reclam, S. 21-101. 33