Arbeiten – nicht basteln

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Arbeiten – nicht basteln
Arbeiten – nicht basteln
14.03.2013 | NRZ/WAZ Duisburg West
Mitarbeiter Antonio Gonzalez, Gruppenleiter Henrik Lütkenhaus und Mitarbeiter
Rachid El-Haddar bei Schweißarbeiten an einem Auspuff, der zu einer Skulptur
umgearbeitet werden soll.
Besuch in der „W8zig“. In der Caritas-Werkstatt arbeiten 97 Menschen mit
psychischer Behinderung. Und 25 Gäste einer benachbarten Einrichtung.
Duisburg-Rheinhausen. Am Empfang in der Rheinhauser Caritas-Werkstatt „W8zig“
begrüßt die Gäste ein Wächter. „Der Wächter“, so heißt das nahezu zwei Meter hohe
Ungetüm, haben Beschäftigte der Einrichtung aus Schrottteilen zusammengebaut. In
der W8zig (siehe auch Infobox rechts) sind neben der üblichen 97 Beschäftigten mit
psychischer Behinderung aktuell auch 25 Frauen und Männer mit ähnlichem
Krankheitsbild untergebracht, die in der Einrichtung an der Hochstraße auf
unbestimmte Zeit nicht arbeiten dürfen. Das Bauordnungsamt der Stadt Duisburg
hatte die Werkstatt Ende Januar wegen mangelnden Brandschutzes geschlossen
(wir berichteten).
Ein Besuch an der Geitlingstraße: „Die Beschäftigten von der Hochstraße sind gut
aufgenommen worden, wir haben genügend Platz“, sagt Tanja Dudek vom Sozialen
Dienst. Neben der Näherei gibt es sieben Gruppen. Die Männer und Frauen arbeiten
mit Glas, Metall und Holz, einige sind zudem für den Verkauf im Geschenkladen an
der Hochstraße zuständig, andere in der Kfz-Gruppe. Sie waschen unter anderem
die Fahrzeuge der Fuhrparks anliegender Firmen im Gewerbegebiet.
„Wichtig ist allen, dass hier gearbeitet wird. Werkstatt für psychisch Behinderte heißt
nicht, dass hier nur ein bisschen gebastelt wird“, stellt Abteilungsleiter Paul Schnürer
klar. Dazu gehöre für die Beschäftigten ein nahezu kompletter Arbeitstag, lediglich
die Pausen sind etwas länger als in anderen Betrieben.
Ein langer Weg
Ziel sei es, die Beschäftigten wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Grob könne
man sagen, dass bis zu zwei Beschäftigte pro Jahr in ein Arbeitsverhältnis außerhalb
der Werkstatt vermittelt werden können. „Bei dieser Quote muss man auch sehen,
dass viele unserer Beschäftigten einen langen Weg hinter sich haben, bevor sie hier
anfangen“, sagt Dudek. Und zeigt einen typischen Verlauf auf: Am Anfang stehe eine
Depression, dann Hausarzt, Psychotherapeut, Psychiater, Kur, Eingliederung,
Umschulung, möglicherweise ein erneuter Zusammenbruch, irgendwann dann
schließlich W8zig. In der Regel steht vor der Aufnahme in die Werkstatt ein
Praktikum.
„Besonders am Anfang ist es wichtig, das Selbstvertrauen zu stärken. Bei manchen
geht das schnell, sie können trotz etwa einer Angststörung, sogar Kunden im Laden
bedienen“, so Dudek. Viele schafften den Weg zurück in den Arbeitsmarkt nicht,
einige blieben bis zur Rente bei der W8zig. Was zudem auffällt: Die Zahl der Fälle
von psychischer Behinderung steigt stetig an. Anfang des Jahrtausends waren 35
Beschäftigte in der W8zig tätig, heute sind es 97 plus 35 an einem anderen Standort
in Rheinberg.
Skulpturen, Bilderrahmen und mehr
Zurück in die Werkstatt: Hier fertigen die Männer und Frauen Rollos, stecken
Temperaturfühler für Stahlbecken zusammen, nähen Babyschlafsäcke oder bauen
Bilderrahmen und Halterungen für Gardinen. Aus Schrott entstehen Skulpturen, die
ebenso im Laden an der Hochstraße verkauft werden wie Bilderrahmen oder
Geschenkartikel aus Holz und Glas. „Die Idee mit den Skulpturen hatte ein
Gruppenleiter“, sagt Schnürer. Schrott bekäme man von umliegenden Firmen, die
Kreativität der Beschäftigten kennt keine Grenzen. So dienen Auspufftöpfe als
Körper für Vögel, Wasserhähne eignen sich prima als Nase. Nach etlichen
Arbeitsstunden war dann auch „der Wächter“ fertig, wer mag, kauft ihn für 240 Euro.
Bleibt die Frage, wer dann den Eingang bewacht. Irgendwer hat da aber bestimmt
eine gute Idee...
Info-Kasten: Der Name „W8zig“ ist in der Caritas-Werkstatt selbst entstanden. Das
„W“ steht für Werkstatt, der Begriff „80“ diente einst dazu darzustellen, dass die
Einrichtung 80 Plätze hat. Inzwischen sind es um die 100. Bei der Schreibweise
verzichtet man bewusst auf die „0“, Erklärung: „Wir sind keine Nullen“. Das „zig“ ist
im offiziellen Logo schräg geschrieben, „weil einige von uns nun mal auch ein
bisschen schräg sind“, sagt Tanja Dudek vom Sozialen Dienst. Die Einrichtung hat
sieben Gruppen, in denen die Beschäftigten montags bis donnerstags von 8 bis
15.45 Uhr und freitags bis 14.15 Uhr arbeiten. Der Laden an der Hochstraße, hier
werden unter anderem Glaskunst und Bilderrahmen verkauft, hat geöffnet montags
bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr und freitags bis 14.30 Uhr. In der Einrichtung der
Caritas überlegen sie aber derzeit, die Öffnungszeiten bis 18 Uhr zu verlängern und
auch samstags aufzumachen.
Daniel Cnotka

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