Sommers Zeit - Michael Ohnewald

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Sommers Zeit - Michael Ohnewald
Titelthema: Architekten und Bauingenieure
Sommers Zeit
Fast vierzig Jahre ist es her, dass Hans Sommer ein kleines Ingenieurbüro mit aus der Taufe
gehoben hat. Heute ist Drees & Sommer der Branchenprimus im Projektmanagement und zählt
weltweit mehr als 1.000 Mitarbeiter. Von Michael Ohnewald
Sein Haar ist pfeffergrau wie der Nachmittag in Stuttgart.
Ein Vorhang aus feinen Regentropfen hängt über der
Stadt. Draußen ist Winter, drinnen ist Sommer, Vorname
Hans, ein fröhlicher Abendländer, 68 Jahre und kein
bisschen müde.
Ein Espresso, bevor er seine Geschichte erzählt. Die
Geschichte eines Mannes, der klein angefangen hat und
jetzt Aufsichtsratsvorsitzender einer weltweit agierenden
Unternehmensgruppe ist, deren Zahlen für sich sprechen.
Betreutes Jahres-Bauvolumen 6,6 Milliarden Euro,
1.050 Mitarbeiter, 137 Millionen Euro Konzernumsatz.
„Ich bin nach wie vor von Stuttgart 21 begeistert.
Die Vorteile werden im Ausland ganz anders
gesehen als bei uns. Das ist ein Geniestreich.“
China, Russland, Türkei, Vietnam, Spanien, Italien
Deutschland – das Leben von Hans Sommer ist konserviert in vielen Mauern und Großbauten. Aqua City
Palace in Moskau, Silver Star Tower in Dubai, Potsdamer
Platz in Berlin, Daimler in Möhringen.
Den Anfang macht Stuttgart. Hans Sommer wird 1941
geboren. Sein Vater ist Beamter beim Autobahnamt in
der Jägerstraße. Der Bub treibt sich am Bahnhof auf
ungenutzten Gleisen herum. Dort verhilft er nicht nur
seinen Lederhosen zu speckig glänzender Patina,
sondern sich selbst auch zur Erkenntnis, dass Stuttgart
ein Tor zur Welt ist, wenn man es bloß richtig anstellt.
Beide Eltern sterben früh, weshalb die Gebrüder Sommer
sechs Jahre auf dem Internat der evangelischen Brüdergemeinde in Korntal verbringen. Mit 15 Halbwüchsigen
teilen sich die beiden einen Schlafsaal. Hans Sommer,
der ein schlechter Schüler ist, lernt eine wichtige Lektion:
„Gemeinschaft macht stark.“ Die Erzieher in Korntal
sind hart und streng. Bei Verstößen verlangen sie von
der Gruppe, den Übeltäter zu verraten. Ansonsten
werden alle bestraft. Die Burschen im Internat halten
in der Not zusammen.
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Das Standortmagazin der Region Stuttgart 1/2010
Nach dem Abitur wird Sommer Bauingenieur und
Architekt. Eher zufällig stößt er 1971 auf ein kleines
Planungsbüro, in dem sich Gerhard Drees mit zwei
Kollegen darauf spezialisiert hat, die Struktur von
Bauabläufen zu entschlüsseln und genaue Terminpläne
für Großprojekte zu erstellen. Netzplantechnik nennt
sich die aus der Raumfahrt stammende Methode.
Bei Polieren und Bauleitern kommt sie anfangs nicht
gut an. Die ständigen Nachfragen kosten Zeit und
überhaupt: Was soll das neumodische Zeugs?
Hans Sommer lernt schnell. Es dauert nicht lang, bis
in ihm der Gedanke an ein anderes Problem aufsteigt,
das einer Lösung harrt: die Kosten. Immer öfter liest
er in der Zeitung von explodierenden Ausgaben bei
Großbauten. Viele Architekten taxieren den Preis ihrer
Gewerke über die Maßeinheit Kubikmeter umbauter
Raum. Zwischen theoretischem Aufmaß und tatsächlichen Ausgaben liegen Welten.
Der Laden brummt, der Laden wächst. Das Stuttgarter
Ingenieurbüro übernimmt Aufgaben von Bauherren
in ganz Deutschland. Termine einhalten, Kosten überwachen. Projektmanagement wird salonfähig, und
Hans Sommer ist in vielen Salons unterwegs. Als sich
die Wende ankündigt, gerät in Berlin ein Platz in den
Fokus, welcher den Geist der Geschichte atmet.
Was den Londonern in den goldenen Zwanzigern ihr
Piccadilly Circus, war den Berlinern der „Potsdamer“.
Viel ist nicht übrig von ihm. Wer sich im Herbst 1989
auf dem Areal am Rand der Berliner Mauer umsieht,
benötigt reichlich Fantasie, um sich vorzustellen, was
hier früher war und mehr noch, was hier künftig sein
könnte. Hans Sommer hat diese Fantasie.
Die Stuttgarter Unternehmensgruppe wird Teil eines
gigantischen Projekts. Es geht um das neue Herz Berlins,
und es geht um zwei Milliarden Euro. Zeitweise überwachen bis zu 200 Mitarbeiter die Bauleistungen am
Potsdamer Platz. Sommer ist oft sieben Tage pro Woche
unterwegs. Seine Frau, die sich um die beiden Söhne
kümmert, sieht ihren Mann selten. Sie plant zu Hause
die gemeinsamen Urlaube. „Manchmal habe ich erst
am Flughafen erfahren, wohin die Reise geht“, sagt
Hans Sommer und grinst. Einmal schließt sie im Hotel
sein Geschäftshandy in den Safe. Die Zahlenkombination
behält Inge Sommer für sich.
Michael Ohnewald
portrait
Titelthema
Es sind bewegte Zeiten. Eines Abends fliegt er von Berlin
zurück ins Ländle, als zufällig ein hagerer Landsmann
neben ihm sitzt. Gestatten Heinz Dürr, Bahnchef. „Was
schaffet Sie?“, fragt er. Sommer erzählt von seinem Auftrag und hat wenig später den nächsten. Wieder geht
es um Milliarden, und zwar dort, wo er als Kind gespielt
hat. Am Bahnhof in Stuttgart.
Sommer wird Mitgesellschafter der DB Projekt GmbH
Stuttgart 21 und einer der intimsten Kenner des
milliardenschweren Bauvorhabens. „Das Ding war voll
auf der Schiene“, sagt er im Rückblick. Bis der spätere
Bahnchef Johannes Ludewig die Notbremse zieht und
eine jahrelange Hängepartie beginnt. 2001 verkauft
Sommer seine Anteile zurück an die Bahn. Im Gegenzug
setzt er sich dafür ein, dass die Planer auch weiter in
der Landeshauptstadt bleiben.
Seine Augen glänzen, wenn er davon schwärmt. Ein
neues Thema. Wie früher kniet er sich hinein, auch wenn
die Knie jetzt aus Titan sind. Was soll’s? Für vorauseilende
Befunde vom Altwerden ist Hans Sommer nicht zu haben. Als Freunde neulich bei einem Geburtstag erzählten,
dass sie sich in der Seniorenresidenz Augustinum eingekauft haben, wäre er am liebsten davongerannt. Seine
Frau hat die Situation gerettet. „Wenn es bei uns soweit
ist“, sagte sie, „dann kriegt er eine polnische Pflegerin
und ich einen italienischen Chauffeur!“
Es ist spät geworden über der Geschichte von Hans
Sommer. Sein nächster Termin steht an. Bevor er hinauf
in sein Büro geht, trägt er die leere Espressotasse hinüber
zur Spülmaschine der Cafeteria von Drees & Sommer.
Einige Kollegen haben auf der Anrichte ihr dreckiges Geschirr stehen lassen. Hans Sommer räumt es ein. Wahre
Größe offenbart sich im Kleinen.
Lange her. Stuttgart 21 ist jetzt wieder auf dem Gleis,
aber Sommer fährt nicht mehr mit. „Ich bin nach wie
vor von Stuttgart 21 begeistert. Die Vorteile werden im
Ausland ganz anders gesehen als bei uns. Das ist ein
Geniestreich“, sagt er. Seine Firma ist als Projektsteuerer
engagiert, er selbst hat andere Pläne. In Zeiten der Erderwärmung und sich zu Ende neigender Ölreserven
reizt es ihn, ältere Bürogebäude zu sanieren und wieder
marktfähig zu machen. „Ökonomie und Ökologie unter
einem Dach“, sagt er als wäre es das elfte Gebot.
Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald
mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden,
die im deutschen Journalismus vergeben werden.
Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor ab sofort
herausragende Unternehmer aus der Region.
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