Kemal Sahin - türkischer Unternehmer in Deutschland

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Kemal Sahin - türkischer Unternehmer in Deutschland
DEUTSCHLAND / TÜRKEI
07. Juni 2007
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Erfolgsstory
Kemal Sahin - türkischer Unternehmer in Deutschland
Er zählt Altbundeskanzler Gerhard Schröder und den türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdoğan zu seinen
Freunden. Er war viele Jahre Präsident der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer und ist Inhaber
eines Textilunternehmens mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro. Trotzdem kennt ihn kaum
jemand in Deutschland. Kemal Şahin bleibt lieber im Hintergrund. Wer ihn sprechen will, muss grosse Ausdauer
haben. Der 52-jährige Geschäftsmann ist ständig auf Reisen.
PRIMA TÜRKEI hatte Gelegenheit, einen kleinen Einblick in das Leben dieses
„türkischen Vorzeigeunternehmers“ zu
bekommen. Kemal Şahin wurde am 11.
04. 1955 in Taslipinar (Provinz Konya) in
der Türkei geboren. Er ist türkischer
Staatsangehöriger, verheiratet und Vater
von drei Kindern.
Şahins bisheriges Leben ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie hierzulande immer
noch selten ist. Seine Biografie beginnt,
wie er als Sohn eines Schafhirten in einem abgelegenen Ort in den Bergen Anatoliens aufwächst, und führt geradewegs
zum Aufstieg eines erfolgreichen Unternehmers. Seine Berufswahl erfolgte
nicht aufgrund starrer Vorgaben. Anfangs wollte er Gymnasiallehrer werden.
Der Vater wünschte sich die Offizierslaufbahn für seinen Sohn. Mit einem Stipendium kam der Türke 1973, gerade 18 Jahre alt, zum Studium nach Deutschland.
Es war der Tag, an dem sein altes Leben
endete und sein neues begann. Kemal
Şahin kam mit einem Koffer, zwei Päckchen Zigaretten und etwas Geld, ohne jemanden zu kennen. „Ich hatte keine Erfahrung in einem westlichen Land. Ich
kam aus armen anatolischen Verhältnissen. Das war ein Kulturschock für mich“,
erzählt er lachend.
Kemal Şahin erhielt ein Stipendium und
studierte in Deutschland Ingenieurwissenschaften. Die ersten Semester waren
für ihn sehr aufregend. Die vollen Hörsäle des studentischen Massenbetriebs bereiteten ihm keine Schwierigkeiten. Er
lernte Deutsch und arbeitete sehr konzentriert. Mathematik und Physik empfand er als einfach, das Vordiplom war ein
Spaziergang für ihn. „Ich genoss die Freiheit ohne Ende“, erinnert er sich an diese
Zeit. Nach dem Vordiplom wurden die
Kontakte zu den Institutsangehörigen
persönlicher. Kemal Şahin hatte den Eindruck, zum Institut zu gehören. Allerdings ließ er sich im Hauptstudium auch
mehr Zeit. So nahm er zum Beispiel ein
Freisemester, um die französische Sprache zu lernen. Auch die Diplomarbeit
ging er langsam an. Parallel zum Studium begann sein Einstieg in das Berufsleben. Die betriebswirtschaftlichen Inhalte
der Ausbildung waren dabei überaus hilfreich. Nach dem Studienabschluss in Metallurgie wollte er wegen der damaligen
politischen Lage in der Türkei lieber in
Aachen bleiben, erhielt aber keine Arbeitserlaubnis als Ingenieur.
Am Ende des Studiums sollte er
Deutschland verlassen. Nur durch die
Gründung eines eigenen Geschäfts würde er seine Abschiebung verhindern können. Und weil er nicht in sein Heimatdorf
in den Bergen Anatoliens zurück wollte,
machte er sich selbstständig. Mit einem
Startkapital von 5.000 Mark, die er sich in
den Semesterferien im Bergbau erarbeitet hatte, eröffnete der Türke ein Geschäft in der Aachener Heinrichsallee.
Der 30 Quadratmeter große Laden war
nicht mehr als eine Notlösung. Şahins
erste Kunden waren Gastarbeiter, die in
Aachen lebten und arbeiteten. Neben Gebetsteppichen und Elektrogeräten hatte
er auch schlichte weiße T-Shirts im Sortiment. Diese waren ein absoluter Verkaufsschlager. An sein erstes Produkt erinnert sich Kemal Şahin noch genau: „Es
war ein weißes T-Shirt, das ich vor allem
ternehmen, ob C&A, Karstadt, Hennes &
Mauritz, OTTO oder Quelle, werden von
uns beliefert“, sagt er leise und bemüht
sich um Bescheidenheit.
Heute indes ist die Şahinler Holding die
größte türkische Unternehmensgruppe
in Deutschland und rangiert auf Rang 24
der weltweit größten Textilunternehmen.
Deutschland ist sein wichtigster Markt,
hier macht Şahins Unternehmen 25 Prozent seines Umsatzes. Dabei stagnieren
die hiesigen Geschäfte derzeit, während
Marketing verringerte sich zum Beispiel
die Zahl der „adessa“-Filialen von 400 seit
2002 um 50 Geschäfte. „Die Kunden sind
einfach nicht mehr bereit, den echten
Preis zu zahlen“, stöhnt der MarketingChef der Şahinler-Gruppe. „In Deutschland läuft aufgrund der starken Konkurrenz alles über den Preis. Man darf keinen Trend verpassen, muss sehr schnell
produzieren können und preisaggressiv
sein“, fasst er die Erfolgsregeln des Textilbusiness zusammen. Dementsprechend
gut läuft der Absatz von T-Shirts zur Europameisterschaft. Um im Preiswettbewerb
mithalten zu können, lässt Kemal Şahin
längst nicht mehr alle Waren in der Türkei fertigen. Rund 60 Prozent der Konfektionen nähen Angestellte in Istanbul,
ein Drittel der Ware kauft Şahin in China
und Pakistan. Der Rest kommt aus Bulgarien, Rumänien, Usbekistan und Jordanien, wo die Produktionskosten geringer sind als in der Türkei. So fertigen in
Jordanien in einer Freihandelszone Gastarbeiter aus Bangladesch Standardartikel an, während in der Türkei renommierte Marken wie Gerry Weber, Tommy
Hilfiger und Nautica konfektioniert werden. „Wir haben uns so etabliert, dass wir
die Vorteile der Globalisierung sowohl im
Beschaffungsbereich als auch beim Absatz nutzen“, erklärt Firmenchef Şahin
freimütig. „Wer das nicht macht, ist weg
vom Fenster.“
Als Geheimnis seines Erfolges nennt er
die Verbindung von eher typisch deutschen Tugenden Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit mit der eher typisch türkischen Freundlichkeit, Offenheit und Flexibilität. Wenn er die Deutschen mit den Türken vergleicht, „sind
die Türken flexibler, freundlicher und
auch risikobereiter. Die Deutschen sind
sehr direkt und kühl, sie lächeln nicht.
Deswegen sind sie auch im Dienstleistungs-Bereich so schwach“.
an Studenten der Aachener Uni verkauft
habe“. Nur zwei Jahre später machte sein
Laden einen Umsatz von zehn Millionen
Mark.
Aus dem kleinen 30-QuadratmeterLaden wurde die Großhandelsfirma Santex Moden GmbH. In nur 25 Jahren hat
sich sein Unternehmen zum Weltkonzern entwickelt. Zur Şahinler Holding gehören heute 28 Unternehmen in 13 Ländern, darunter die Modekette „adessa“
mit 350 Filialen in Deutschland, Österreich, Slowenien und der Schweiz. Weltweit beschäftigt die Şahinler-Gruppe
12.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Euro. Zu den rund 8.000 Kunden der Santex
Moden GmbH gehören alle führenden
deutschen Einzelhandelsfilialen und
Kaufhäuser. Die Şahinler Gruppe produziert und vertreibt jährlich 50 Millionen
Bekleidungsstücke. „Alle größeren Un-
in anderen europäischen Ländern und
den USA gerade expandiert wird. Zur
Gruppe gehören außerdem ein Elektrizitätswerk, ein Bauunternehmen, ein Catering-Service, eine Industrie- und Freihandelszone im europäischen Teil der Türkei
sowie die First-Class-Clubanlage Mega
Saray in Belek.
„Meine Strategie war, mich frühzeitig zu
internationalisieren“, sagt Kemal Şahin.
Vor zehn Jahren gründete er in den USA
eine Niederlassung für den Vertrieb. Mittlerweile ist die Unternehmensgruppe der
größte türkische Textilexporteur auf dem
amerikanischen Markt. „Wenn wir nur
den deutschen Markt bedienen würden,
hätten wir jetzt in der Krise große Probleme bekommen“, ist sich Şahin sicher. Die
Sparwelle in Deutschland hat auch der
Selfmademan aus Anatolien gespürt.
Trotz Rabattaktionen und offensivem
Die Mitarbeiterausbildung ist Teil seines
Erfolgsrezepts. Als sein Unternehmen zu
expandieren begann, benötigte Kemal
Şahin weitere Fachkräfte. Deutsche Stellensuchende gab es genug. Aber er
brauchte auch junge Türken, von denen
damals aber kaum jemand eine Ausbildung hatte. Also legte er die Ausbildereignungsprüfung ab und begann die
Fachkräfte selbst auszubilden. Heute
sind einige von ihnen Manager. Aktuell
werden 55 junge Männer und Frauen ausgebildet, hauptsächlich in kaufmännischen Berufen. Eine Vorbildstellung
nimmt Kemal Şahin auch im sozialen Engagement ein. Er unterstützt Intergrationsprojekte und die Erdbebenopfer der
Türkei.
Kemal Şahin wurde 1997 vom „Manager
Magazin“ zum Unternehmer des Jahres
gewählt.