Die neue Welle

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Die neue Welle
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Lifestyle
Die neue
Welle
Eine hartnäckige Flaute sorgte beim America’s Cup
zeitweise für Stillstand auf dem Wasser. An Land
wurde dafür umso mehr Wind gemacht. Millionen
Schaulustige pilgerten in den Hafen von Valencia,
um aus dem ältesten Sportwettbewerb der Welt ein
Volksfest zu machen, wie die Momentaufnahmen
einer außergewöhnlichen Massenbewegung beweisen.
Text
Reiner Schloz
Fotografie
Markus Leser
Happy Hour:
Die Massen feiern auf der Mole, während sich die Schweizer
Alinghi (r.) als Kunst am Bau über die Passanten senkt
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Auf dem „Foredeck“ ist die meiste Action. Das Prachtgebäude,
dem Aufbau einer Luxusyacht nachempfunden, macht sich dort
breit, wo das Hafenbecken des Port America’s Cup ganz schmal
wird. Hier stehen Tausende von Schaulustigen an der Mole und
feiern die Segler, die zum Greifen nahe sind: Grinder, Trimmer,
Floater, Steuermänner oder Skipper nehmen auf ihren HightechBooten die Parade ab.
Dabei ist die Zahl der Verlierer in Valencia unendlich groß, die
Zahl der Sieger dagegen extrem überschaubar. Beim America’s
Cup gibt es nicht mal einen Zweiten. Es gibt nur einen Gewinner.
Und dessen Lohn ist dieses alte Ding: Die legendäre Silberkanne
thront im Ausstellungsraum des „Foredeck“. Alle wollen einen
Blick riskieren, die Schlange ist lang. Die Kanne hat die letzten
156 Jahre ordentlich überstanden, schadlos freilich nicht. Im
Wasserkampf der reichen Männer um Ruhm, Ehre und Eitelkeiten
ging irgendwann der Boden verloren. Keiner will’s gewesen sein.
Wer weiß, wie Segler feiern können, ahnt zumindest, wie es passiert
sein könnte. Für die Windfänger auf hoher See hat der Verlust
eher Symbolkraft. Eine Kanne als Fass ohne Boden: Du kannst
so viel Geld in den America’s Cup stecken wie du willst – es wird
nie genug sein.
Ist es dieser Mythos, der die Massen anlockt – oder eher die Aussicht auf einen Erlebnistag im Ballungsraum der Kontinente?
Valencia hat zu Ehren der Segler und der Kanne einen wunderbaren Hafen gebaut mit einem riesigen Freizeitangebot. Der Einstieg zum Wassertaxi liegt zwischen Südafrika und Frankreich.
Der Kinderpark mit dem Wasserbecken für die ferngesteuerten
Yachten liegt unweit der Schweiz.Von den Amerikanern ist es nur
ein Katzensprung bis ins Porto Pasta, ein italienisches Restaurant A
Alle wollen einen Blick riskieren. Die Kanne
hat die letzten 156 Jahre gut überstanden,
schadlos freilich nicht. Im Wasserkampf
der reichen Männer um Ruhm, Ehre und Eitelkeiten ging irgendwann der Boden verloren.
Und keiner will’s gewesen sein.
Voll im Wind:
Valencia macht mobil – die Cayenne (o.)
sind startklar für die Landgänger
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Flagge zeigen:
Ein Bummel durch den Hafen oder
die Attraktionen rund ums „Foredeck“
(oben rechts) locken die Fans an
410 Millionen Euro sind verbaut worden, um der Welt
zu zeigen, dass der America’s
Cup auch in Europa eine
Heimat hat. Von April 2007
bis zum Finale Ende Juni
kamen fast drei Millionen
Menschen in den Hafen und
enterten die Souvenirshops,
Bars und Restaurants.
mit freiem Blick auf die Marina, an der, wenn die America’s-CupBoote weitergezogen sind, die Superyachten der Superreichen anlegen sollen. Hier haben elf Syndikate Station gemacht für den
Kampf um die Kanne und sich quadratische Paläste gebaut, die
Werkstatt, Lebensraum und Statussymbol zugleich sind. Das
Actionfoto der Alinghi zum Beispiel, das die gesamte Außenwand des Schweizer Basecamp ziert, senkt sich schon deshalb
bedrohlich über die Passanten, weil die Wand so schräg ist wie
ein Segel im Wind.
Wer in den Basecamps Einlass findet, ist ein geladener VIP. Er wird
in noblem Ambiente bestens versorgt und natürlich auf die Dachterrasse geführt, von wo aus der Blick bis weit aufs Meer hinaus
reicht, wo die Regatten stattfinden. Der Wettbewerb scheint vom
Hafen aus unwirklich und unerreichbar. Was Kampf, Schnelligkeit, Erfahrung und taktisches Geschick bewirken, lässt sich nur
erahnen. Selbst auf den vielen Bildschirmen im Hafen kann nur der
Kenner dem Geschehen folgen. Aber stört das irgendjemanden?
22 Bars und Restaurants bieten Pasta, Seafood, Liegestühle und
jede Menge bunte Getränke. Die Beschallung durch Chill-outMusik funktioniert flächendeckend. Denn das Leben ist schön
und die Estrella Damm Lounge schon legendär. Dort kann es auch
mal bis morgens um drei Uhr rund gehen. Oder so lange, bis die
Polizei kommt.
410 Millionen Euro sind verbaut worden, um der Welt zu zeigen,
dass der America’s Cup auch in Europa eine Heimat hat. Mit allem,
was dazu gehört und noch ein bisschen mehr. Bei knapp 70 000
Besuchern steht der Tagesrekord. Von April 2007 bis zum Finale
Ende Juni kamen fast drei Millionen Menschen in den Hafen, enterten die Bars und Souvenirshops und trugen stolz die T-Shirts der
Syndikate. AnWochenenden mussten die Italiener von Mascalzone
Latino ihren Shop immer wieder wegen Überfüllung schließen.
Sie hatten wohl die schönsten Shirts.
Und vorher soll hier nichts als ein schmutziger Containerhafen
gewesen sein? Die Bar La Lonja, gleich neben China, ist ein Relikt
aus alten Zeiten, in denen weder Valencia noch Europa Notiz
vom Hafen nahmen. Hier ist sogar das Rauchen noch erlaubt, der
Eintritt unter 16 Jahren verboten, und das Bier fließt aus Dosen.
Die Geschäfte mit der Laufkundschaft gehen gut. Chill-out-Musik
hört man hier selten. Der Geräuschpegel ist hoch und setzt sich A
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aus Stimmengewirr, Tellergeklapper und dem Rascheln der Besen
zusammen, mit denen die Abfälle vom Steinboden gekehrt werden.
Natürlich treffen sich die Segler gerade hier. Denn so sehr sie
die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit genießen, in erster Linie
müssen sie einen Job erfüllen. Das verlangt nach voller Konzentration, nach einem Schuss Aggressivität und somit nach Ritualen,
die das Team zusammenschweißen. Wenn die Boote ihre Basis
verlassen und hinaus aufs Meer gezogen werden, erklingen harte
Töne. Neuseeland schwört auf ZZ Top, Schweden auf Guns N’
Roses, Deutschland powert sich mit Eminem nach oben. Und
trotzdem, das Bad in der Menge zehrt, die unglaublichen Anfragen
von Fernsehen und Presse, eigentlich herbeigesehnt zu Beginn des
ersten America’s Cup in Europa, sind nicht unproblematisch.
Jesper Bank, dänischer Segelheros und Skipper beim United Internet Team Germany, wird am Ende aller Valencia-Tage sagen:
„Wir haben hier drei Jahre lang versucht, ein ganz normales Leben
zu führen und unsere Aufgaben zu erledigen. Aber es war nicht
immer leicht.“
Jetzt ist die Show zu Ende. Es wird dunkel im Hafen und die Welt
am Wasser geht ihren gewohnten Gang. Die Kanne gehört den
B
Schweizern auf der Alinghi. Einen Zweiten gibt es ja nicht.
United Internet Team Germany:
Cayenne-Flotte für VIP-Gäste
Freie Fahrt:
Die Cayenne gehen vor dem Basecamp
des deutschen Syndikats in Stellung
Sechs Cayenne machten während des America’s Cup in Valencia
an Land eine gute Figur. Porsche hatte als Mobilitätspartner des
United Internet Team Germany dem deutschen Syndikat die Flotte
zum Transport der VIP-Gäste zum Hafen zur Verfügung gestellt.
Rund 60 Gäste genossen täglich das exklusive Ambiente im deutschen Basecamp, flanierten im Hafen, verfolgten die Regatten und
schnupperten hautnah die außergewöhnliche Atmosphäre beim
America’s Cup.

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