Was tun, wenn die nichts tut?
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Was tun, wenn die nichts tut?
Gesundheit & Rehabilitation / Orthopädie-Technik / Recht 162 Hilfsmittelversorgung zeitnah durchsetzen: Was tun, wenn die Kasse Immer wieder taucht die Situation auf, dass eine Hilfsmittelversorgung beantragt wurde, jedoch auch nach längerer Zeit weder eine positive noch nega- Foto: Gunther Belitz nichts tut? Im Sauseschritt: Bei vielen Hilfsmittelversorgungen ist Eile geboten, damit die Anwender mobil bleiben können tive Antwort der Krankenkasse erfolgt. Es liegt eine ärztliche Verordnung und ein Kostenvoranschlag eines Sanitätshauses vor, aus dem sich die wesentlichen Daten der beantragten Versorgung ergeben. Trotzdem geht es in der Sache nicht weiter, sodass sich für Menschen mit Handicap die Frage stellt: „Was kann ich als Versicherter tun?“ Rechtsanwalt Jörg Hackstein klärt auf, wie mit dem Mittel der einstweiligen Anordnung beim zuständigen Sozialgericht die Ansprüche auf erforderliche bzw. notwendige Hilfsmittel schneller durchgesetzt werden können. Zwar wird dies hier am Beispiel der gesetzlichen Krankenkassen dargestellt; Entsprechendes gilt jedoch auch für andere Kostenträger, die Anspruchsleistungen ablehnen oder die Bewilligung verzögern. Rechtsanwalt Jörg Hackstein hat sich seit vie- D len Jahren auf das Medizin- und Hilfsmittel- gung erhoben werden. Sechs Monate abzuwarten ist recht spezialisiert. Der 49-Jährige ist Partner jedoch für die meisten Menschen mit Behinderung bei der Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte mit Sitz Hilfsmittelversorgungen kaum zumutbar. Zwar besteht in Lünen bei Dortmund, die vor allem im nicht immer das dringende Bedürfnis einer umge- Gesundheitssektor tätig ist. Neben Versicher- henden und sofortigen Versorgung, jedoch sollte auf- ten mit Handicap vertritt die Kanzlei bundes- grund der ärztlichen Verordnung doch in aller Regel Als Mensch und Anwalt engagiert ie vom Gesetzgeber vorgesehene sogenannte Untätigkeitsklage hilft in vielen Fällen nicht weiter, denn eine Untätigkeitsklage kann erst weit auch namhafte Hersteller, Leistungserbringer und Verbände im Bereich Medizinprodukte und Hilfsmittel. Jörg Hackstein ist seit sechs Monate nach Antrag auf die Hilfsmittelversor- Unser Autor: Rechtsanwalt Jörg Hackstein zeitnah versorgt werden. Was ist eine „einstweilige Anordnung“? November 2010 auch erster Vorsitzender der internationalen Förder- Es verbleibt daher in bestimmten Situationen häufig gemeinschaft RehaKind e.V. nur der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dabei handelt es sich um ein gerichtliches VerHANDICAP 1/2011 fahren. Hierzu muss ein Antrag beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden. Zuständig ist in der Regel das dem Wohnort des jeweiligen Versicherten nächstgelegene Sozialgericht. Mit dem einstweiligen Anordnungsverfahren wird eine vorläufige Regelung erreicht. Für die Hilfsmittelversorgung bedeutet dies bei einem erfolgreichen Verfahren, dass die vom Sozialgericht verpflichtete Krankenkasse vorläufig mit dem jeweiligen Hilfsmittel versorgen muss. Es muss beispielsweise ein Rollstuhl, eine Prothese, ein Stehtrainer oder ein Therapiedreirad bis zur Entscheidung in der Hauptsache zur Verfügung gestellt werden. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache bedeutet, dass man neben dem einstweiligen Anordnungsverfahren auch weiterhin gegen eine – vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ergehende – ablehnende Entscheidung Widerspruch einlegen und gegen den dann weitergehenden ablehnenden Widerspruchsbescheid auch die „normale“ Klage beim Sozialgericht erheben muss. Das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung läuft also parallel zum üblichen Widerspruchs- oder Klageverfahren. Ob ein Hilfsmittelanspruch endgültig besteht, wird dann im Hauptsacheverfahren geregelt, das leider mittlerweile häufig drei Jahre oder zum Teil auch länger andauert. Welche Voraussetzungen müssen für eine einstweilige Anordnung erfüllt sein? Im Wesentlichen bestehen zwei Voraussetzungen für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung: Es muss ein sogenannter Anordnungsanspruch und ein sogenannter Anordnungsgrund vorliegen. Der Anordnungsanspruch setzt das Bestehen eines Hilfsmittelanspruchs voraus. Das Gericht überprüft überschlägig, ob die Voraussetzungen für das begehrte Hilfsmittel vorliegen. Da es sich hierbei um ein verkürztes und summarisches Verfahren handelt, müssen dem Gericht möglichst viele Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, die den Hilfsmittelanspruch belegen. Neben der ärztlichen Verordnung und dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses sind hierzu weiter ärztliche Atteste, Vorläufige Hilfsmittelversorgung: Über den endgültigen Anspruch entscheidet das Sozialgericht oft erst Jahre später Bescheinigungen von Therapeuten und ähnliche Unterlagen hilfreich. Es können jedoch auch Bescheinigungen oder Zustandsbeschreibungen der Pflegepersonen beigefügt werden. Neben diesem eigentlichen Anspruch muss der sogenannte Anordnungsgrund vorliegen. Da es sich bei der einstweiligen Anordnung um ein Ausnahmeverfahren und nur um eine vorläufige Entscheidung handelt, setzt dieses die Abwendung wesentlicher Nachteile voraus. Vereinfacht gesagt, muss ein Eilbedürfnis vorliegen, das die sofortige Entscheidung des Gerichtes rechtfertigt. HANDICAP 1/2011 164 Eilbedürfnis muss vorliegen Fotos: Gunther Belitz Gesundheit & Rehabilitation / Orthopädie-Technik / Recht Ein solches Eilbedürfnis liegt im Rahmen der Hilfsmittelversorgung insbesondere dann vor, wenn erhebliche gesundheit- Eilbedürftige Versorgungen: Wenn gesundheitliche Schäden drohen, kann die einstweilige Anordnung schnell zum benötigten Hilfsmittel, wie hier individuelle Gehorthesen und Sitzschale, verhelfen liche Schäden befürchtet werden müssen, falls die beantragte Versorgung, zum Beispiel mit einer neuen Sitzschale oder mit Gehorthesen nicht umgehend erfolgt. Hintergrund hierfür können krankheits- oder behinderungsbedingte Veränderungen sein, die eine sofortige Versorgung notwendig machen. Wenn die weitere Nutzung des bisherigen Hilfs- Kindern sein, dass ohne neue Versorgung der Schulbesuch mittels zu gesundheitlichen Folgeschäden führen würde, muss nicht sichergestellt wäre. dies der Versicherte nämlich nicht hinnehmen. liert dargestellt werden, um das Gericht zu überzeugen. Alle ärzt- Wann kann man einen Antrag auf einstweilige Anordnung stellen? lichen, therapeutischen oder anderen Atteste und Bescheini- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann fak- gungen sollten ausdrücklich beinhalten, dass die Nichtversorgung tisch jederzeit gestellt werden. Maßstab ist insbesondere, mit dem beantragten Hilfsmittel zu gesundheitlichen Schäden füh- dass ein Eilbedürfnis vorliegt. Für den Antrag muss nicht erst ren würde. Ein weiterer Grund für ein Eilbedürfnis kann etwa bei eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse abgewartet Gerade dieses Eilbedürfnis muss jedoch umfangreich und detail- werden, sondern es genügt das Ausbleiben einer Reaktion der Kasse, wenn die Versorgung dringend erforderlich ist. Die Eilbedürftigkeit kann durchaus auch erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen, wenn sich etwa der Gesundheitszustand während des Widerspruchsverfahrens oder der Klage beim Sozialgericht deutlich verschlechtert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist also nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt befristet, sondern hängt vom Vorliegen seiner Voraussetzungen ab. Grundsätzlich besteht beim Sozialgericht kein Anwaltszwang: Jeder Versicherte kann selbst Klage erheben. Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber durchaus formale Hürden hat, empfehlen wir auf jeden Fall, zumindest vor Antragstellung juristischen Rat einzuholen. Und da die komplexe Materie der Hilfsmittelversorgung nach dem fünften Sozialgesetzbuch in verschiedener Hinsicht von den rechtlichen Gegebenheiten auf anderen Gebieten abweicht, ist es hier ratsam, spezialisierte Anwälte oder Sozialverbände zur Beratung einzuschalten. Die Kosten für ein solches Verfahren hat die unterlegene Partei zu tragen, wobei Versicherte gegebenenfalls von einer Rechtsschutzversicherung Gebrauch machen können. Auskünfte: Hartmann Rechtsanwälte, Am Brambusch 24, 44536 Lünen, Tel.: 0231/9860-480, Fax: 0231/9860-455, E-Mail: [email protected], Internet: www.hartmann-rechtsanwaelte.de HANDICAP 1/2011