Landtag Plenarprotokoll Nordrhein-Westfalen 14/97

Transcription

Landtag Plenarprotokoll Nordrhein-Westfalen 14/97
Landtag
Plenarprotokoll
Nordrhein-Westfalen
14/97
14. Wahlperiode
27.08.2008
97. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 27. August 2008
Mitteilungen der Präsidentin .....................11465
Drucksache 14/7001
1
Sowie:
Aktuelle Stunde
Menschen beim Energiesparen unterstützen und Stromspartarife schnell
einführen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7388...............................11465
Uwe Leuchtenberg (SPD) ................11465
Christian Weisbrich (CDU) ...............11466
11482
Reiner Priggen (GRÜNE) .................11468
11477
Dietmar Brockes (FDP) ....................11470
Ministerin Christa Thoben ................11472
Thomas Eiskirch (SPD) ....................11473
Peter Kaiser (CDU) ..........................11475
Holger Ellerbrock (FDP) ...................11476
Rüdiger Sagel (fraktionslos) .............11479
Minister Eckhard Uhlenberg .............11480
André Stinka (SPD) ..........................11481
11483
2
Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7000
In Verbindung mit:
Finanzplanung 2008 bis 2012 mit Finanzbericht 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des
Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2009
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7002
erste Lesung .......................................... 11484
Einbringung:
Minister Dr. Helmut Linssen ............ 11484
Minister Dr. Ingo Wolf ...................... 11490
Aussprache Haushaltsgesetz:
Hannelore Kraft (SPD)..................... 11491
Helmut Stahl (CDU) ......................... 11503
Dr. Gerhard Papke (FDP)................ 11510
Sylvia Löhrmann (GRÜNE) ............. 11519
Ministerpräsident Dr. J. Rüttgers ..... 11526
Rüdiger Sagel (fraktionslos) ............ 11533
Angela Freimuth (FDP).................... 11534
Aussprache GFG:
Ralf Jäger (SPD).............................. 11535
Rainer Lux (CDU) ............................ 11537
Horst Engel (FDP) ........................... 11539
Horst Becker (GRÜNE) ................... 11540
11546
Rüdiger Sagel (fraktionslos) ............ 11542
Hans-Willi Körfges (SPD) ................ 11543
Minister Dr. Ingo Wolf ...................... 11544
11547
Ergebnis................................................. 11548
Landtag
Nordrhein-Westfalen
3
Fragestunde
11458
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11607
Drucksache 14/7360...............................11548
Stipendien aus Studiengebühren
Mündliche Anfrage 220
der Abgeordneten
Dr. Anna Boos (SPD) .............................11548
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart .11548
„Personalrat wirft Rüttgers Outsourcing
vor“ lautet die Überschrift eines Artikels im
Kölner Stadtanzeiger am 19. August 2008.
Mündliche Anfrage 223
der Abgeordneten
Barbara Steffens (GRÜNE) ....................11553
Minister Andreas Krautscheid ..........11553
Warum hat Minister Pinkwart Frau Höhler
nicht abberufen?
Mündliche Anfrage 224
der Abgeordneten
Heike Gebhard (SPD).............................11558
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart .11559
Privatuniversität Witten-Herdecke
Mündliche Anfrage 225
des Abgeordneten
Karl Schultheis (SPD).............................11562
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart .11563
Nachgehakt: Goldene Fallschirme für Mitarbeiter der Landesregierung
Mündliche Anfrage 226
des Abgeordneten
Markus Töns (SPD)
Die Mündliche Anfrage wird in der nächsten Fragestunde beantwortet.
Haftbefehl gegen den Hauptverdächtigen
des sechsfachen Mafia-Mordes in Duisburg
Mündliche Anfrage 227
des Abgeordneten
Dr. Karsten Rudolph (SPD) ....................11607
Kommunalaufsichtliche Maßnahmen im
Zusammenhang mit dem Betrieb der Wiehltalbahn
Mündliche Anfrage 228
des Abgeordneten
Horst Becker (GRÜNE).......................... 11607
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11608
FDP-Vorstoß für eine Zusammenlegung
von Bundestags- und Europawahl
Mündliche Anfrage 229
des Abgeordneten
Horst Becker (GRÜNE).......................... 11608
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11609
Erschreckende Aufnahmerituale bei der
Freiwilligen Feuerwehr in Oer-Erkenschwick: Was hat der Bürgermeister inzwischen veranlasst?
Mündliche Anfrage 230
der Abgeordneten
Monika Düker (GRÜNE) ........................ 11609
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11610
Kopfnoten-Wirrwarr beenden
Mündliche Anfrage 231
der Abgeordneten
Marlies Stotz (SPD) ............................... 11610
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11611
Aktuelle Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und Carl Bertelsmann Preis
2008: Signal für ein integratives Schulsystem
Mündliche Anfrage 232
der Abgeordneten
Sigrid Beer (GRÜNE)............................. 11611
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ................................... 11612
Landtag
Nordrhein-Westfalen
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11459
Gesetzentwurf
der Landesregierung und
Antrag der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung
Drucksache 14/7318
Ministerin Sommer zu Light- und NormalVersionen im Abitur
Mündliche Anfrage 233
der Abgeordneten
Sigrid Beer (GRÜNE) .............................11613
Schriftliche Beantwortung
Siehe Anlage ....................................11613
erste Lesung .......................................... 11570
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 11571
11575
Dr. Anna Boos (SPD) ...................... 11572
Manfred Kuhmichel (CDU) .............. 11573
Christian Lindner (FDP)................... 11573
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE).................. 11574
Wie ist in Nordrhein-Westfalen die Erprobung von Richtern geregelt und wie wird
sie praktiziert?
Mündliche Anfrage 234
des Abgeordneten
Frank Sichau (SPD)
Die Mündliche Anfrage wird in der nächsten Fragestunde beantwortet.
4
Ergebnis................................................. 11575
6
Von Siegen lernen – Hochschulautonomie
braucht Hochschuldemokratie
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7343.............................. 11575
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7350
Sylvia Löhrmann (GRÜNE) ............. 11575
Klaus Kaiser (CDU) ......................... 11576
Petra Schneppe (SPD) .................... 11579
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP) ...... 11580
11587
Ministerin Barbara Sommer............. 11582
Ute Schäfer (SPD) ........................... 11584
Sigrid Beer (GRÜNE)....................... 11586
In Verbindung mit:
Demokratie an den Hochschulen wieder
herstellen
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7341...............................11564
Marc Jan Eumann (SPD) .................11565
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE)...................11566
Dr. Michael Brinkmeier (CDU)..........11567
Christian Lindner (FDP)....................11568
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart .11569
Ergebnis..................................................11570
5
Gesetz zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen
Einrichtung für Hochschulzulassung vom
5. Juni 2008, zur Errichtung einer Stiftung
„Stiftung für Hochschulzulassung“ und
über die Zulassung zum Hochschulstudium
in Nordrhein-Westfalen sowie zur Änderung
hochschulrechtlicher Vorschriften (Hochschulzulassungsreformgesetz)
Für bessere Bildung und mehr Chancengleichheit an unseren Schulen – 5-PunkteSofortprogramm auf den Weg bringen
Ergebnis................................................. 11587
7
Land NRW darf Entwicklung des Flughafens Köln/Bonn nicht torpedieren
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7349.............................. 11587
Achim Tüttenberg (SPD) ................. 11587
Horst Becker (GRÜNE) ................... 11589
11596
Hannelore Brüning (CDU) ............... 11589
Christof Rasche (FDP) .................... 11591
Minister Oliver Wittke....................... 11592
Martin Börschel (SPD) ..................... 11594
Minister Dr. Helmut Linssen ............ 11597
Ergebnis................................................. 11597
Landtag
Nordrhein-Westfalen
8
Elfter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Elfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 14/7305
erste Lesung...........................................11598
11460
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11 Zukunftschance Wasser nutzen – NRW
zum Wasserland Nr. 1 machen!
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7357.............................. 11601
Ergebnis................................................. 11601
12 Die Besten für die Jüngsten – Qualität der
Elementarbildung durch weitere Professionalisierung der Fachkräfte verbessern
Ergebnis..................................................11598
9
Gesetz zur Verankerung der getrennten
Abwassergebühr (Gesetz zur Änderung
des Kommunalabgabengesetzes)
Gesetzentwurf
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/6155
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 14/7332
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7342.............................. 11601
Ergebnis................................................. 11601
13 Vergleichbare Kommunen in Ost und West
gleich behandeln: Sonderzuweisungen und
Altschuldenhilfe für strukturschwache
NRW-Kommunen ermöglichen, kommunale
Belastung für Einheitslasten zurückführen
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7348.............................. 11601
zweite Lesung.........................................11598
Ergebnis................................................. 11601
Clemens Pick (CDU) ........................11598
Margret Gottschlich (SPD) ...............11599
Holger Ellerbrock (FDP) ...................11599
Johannes Remmel (GRÜNE) ...........11599
Minister Dr. Ingo Wolf.......................11600
14 Vereinbarung
zwischen
den
Ländern
Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Land Rheinland-Pfalz zur Auflösung des Staatlichen Heilquellenamtes
Bad Ems
Ergebnis..................................................11600
10 Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes
über die Erhebung von Kirchensteuern im
Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7075
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 14/7306
erste Lesung .......................................... 11602
erste Lesung...........................................11600
Ergebnis................................................. 11602
Dr. Helmut Linssen...........................11600
15 Gesetz zur Regelung des Schuldenwesens
des Landes Nordrhein-Westfalen (Landesschuldenwesengesetz – LSchuWG)
Ergebnis..................................................11601
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7307
erste Lesung...........................................11602
Ergebnis..................................................11602
16 Gesetz zur Änderung des Zwölften Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung
der Verwaltungsgerichtsordnung
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7308
erste Lesung...........................................11602
Ergebnis..................................................11602
17 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
Gebührenbefreiung, Stundung und Erlass
von Kosten im Bereich der Rechtspflege
(Gerichtsgebührenbefreiungsgesetz
–
GerGebBefrG)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7055
erste Lesung...........................................11602
Ergebnis..................................................11602
18 Erstes Gesetz zur Änderung des Forstdienstausbildungsgesetzes NRW
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/6795
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 14/7333
zweite Lesung.........................................11602
Ergebnis..................................................11602
19 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11461
Verfassungsbeschwerde gegen Art. 34 a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 des Bayerischen
Polizeiaufgabengesetzes (PAG), eingeführt
durch das Gesetz zur Änderung des
Polizeiaufgabengesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes
vom
24. Dezember
2005
(BayGVBL
Nr. 26/2005, S. 641)
1 BvR 661/06
Vorlage 14/1881
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7358.............................. 11603
20 Verfahren vor dem Bundesverfassungs
gericht
Verfahren über den Antrag des Bodo
Ramelow MdB und der Bundestagsfraktion
DIE LINKE festzustellen:
1.
Die Bundesregierung und ihre
Mitglieder sind verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass Abgeordnete des Deutschen
Bundestages ihr Abgeordnetenmandat frei
und unbeeinträchtigt durch Maßnahmen
der Beobachtung durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz ausüben können.
2.
Das Bundesministerium des Innern
und die Bundesregierung haben, indem sie
es unterlassen haben, das Bundesamt für
Verfassungsschutz
anzuweisen,
die
Beobachtung des Bodo Ramelow MdB
einzustellen, gegen Art. 46 Abs. 1, 38
Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit dem
Grundsatz der Verfassungsorgantreue
verstoßen und dadurch den Bodo
Ramelow MdB in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 46 Abs. 1 und
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
3.
Das Bundesministerium des Innern
und die Bundesregierung haben, indem sie
es unterlassen haben, das Bundesamt für
Verfassungsschutz
anzuweisen,
die
Beobachtung des Bodo Ramelow MdB und
weiterer der Bundestagsfraktion DIE LINKE
angehörender
Bundestagsabgeordneter
einzustellen, gegen den Grundsatz der
Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1,
38 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Grundsatz
der Verfassungsorgantreue sowie gegen
die Grundsätze der Finanzverfassung
gemäß Art. 104a ff. verstoßen und dadurch
Landtag
Nordrhein-Westfalen
den Deutschen Bundestag in seinen
verfassungsgemäßen Rechten aus diesen
Vorschriften verletzt.
4.
Das Bundesministerium des Innern
und die Bundesregierung haben die
Kosten des Verfahrens zu tragen.
2 BvE 4/07
Vorlage 14/1888
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7359...............................11603
21 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
I
Verfahren über den Antrag des
Dr. Peter Gauweiler MdB im Organstreitverfahren festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon
vom 13. Dezember 2007 und die Begleitgesetze gegen das Grundgesetz verstoßen
und deswegen nichtig sind, und Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung und
Antrag auf andere Abhilfe
2 BvE 2/08
II
Verfassungsbeschwerde des Dr. Peter
Gauweiler MdB gegen a) das Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, b) das Gesetz zur Änderung
des Grundgesetzes (BT-Drs. 16/8488), c) das
Gesetz über die Ausweitung und Stärkung
der Rechte des Bundestages und Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-Drs. 16/8489) und Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
und Antrag auf andere Abhilfe
2 BvR 1010/08
III
Verfassungsbeschwerde des Prof.
Dr. Dr. Peter Buchner gegen das Zustimmungsgesetz zum EU-Reformvertrag vom
13. Dezember 2007 und Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung
2 BvR 1022/08
Vorlage 14/1896
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7361...............................11603
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11462
22 Verfahren vor dem Bundesverfassungs
gericht
I
Verfahren über den Antrag im
Organstreitverfahren festzustellen, dass
das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von
Lissabon (BT-Drs. 16/8300) den Deutschen
Bundestag in seinen Rechten als legislatives Organ verletzt und deshalb unvereinbar mit dem Grundgesetz ist, und
Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung
2 BvE 5/08
II
Verfassungsbeschwerde des Herrn
Dr. Diether Dehm und weiterer Abgeordneter des Deutschen Bundestages gegen
das Gesetz zum Vertrag von Lissabon vom
13. Dezember 2007 (BT-Drs. 16/8300),
Zustimmungsgesetz zum Lissaboner Vertrag, und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
2 BvR 1259/08
Vorlage 14/1937
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7362.............................. 11604
23 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerde des Herrn S. gegen § 32 Abs. 5 des Niedersächsischen
Gesetzes über die öffentliche Sicherheit
und Ordnung (Nds. SOG) in der Fassung
des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung vom 25. November
2007 (GVBL S. 651)
1 BvR 1443/08
Vorlage 14/1914
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7363.............................. 11604
24 Verfahren vor dem Bundesverfassungs
gericht
Verfahren über den Antrag festzustellen,
dass die Bundesregierung durch die
Nichteinholung der Zustimmung des
Deutschen Bundestages zur Veräußerung
Landtag
Nordrhein-Westfalen
der Anteile an der Aurelis Real Estate
GmbH & Co. KG und der Aurelis
Management GmbH die Rechte des
Deutschen Bundestages aus Artikel 110
des Grundgesetzes in Verbindung mit
Artikel 87e des Grundgesetzes verletzt hat
2 BvE 3/08
Vorlage 14/1932
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7364...............................11604
25 Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen
Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen
der Behauptung der Stadt Aachen und
neun weiterer Gemeinden und Kreise, das
Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes
zur Ausführung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch für das Land NordrheinWestfalen vom 19.06.2007, GVBl. 2007,
S. 207, sowie GVBl. 2007 S. 237 (Berichtigung), verletzte die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung
VerfGH 17/08
Vorlage 14/1925
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7365...............................11604
26 Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen
Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen
der Behauptung der Stadt Ochtrup, § 24a
Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm –
LEPro), eingefügt durch das Gesetz zur
Änderung des Gesetzes zur Landesentwicklungsplanung (Landesentwicklungsprogramm – LEPro) vom 19. Juni 2007
(GV. NRW S. 225), verletzte die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht
der gemeindlichen Selbstverwaltung
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11463
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7366.............................. 11605
Ergebnis................................................. 11605
27 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im
1. Quartal des Haushaltsjahres 2008
Antrag
des Finanzministers
gemäß Artikel 85 Abs. 2
der Landesverfassung
Vorlage 14/1885
Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 14/7367.............................. 11605
Ergebnis................................................. 11605
28 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 14/39
Abstimmungsergebnisse
der Ausschüsse zu Drucksachen
14/2578
14/3643
14/4866
14/6008
14/6154
14/6340
14/6676
14/6696
14/6761 ÄA
14/6847
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
HFA
AUNLV
AGS
AIWFT
AUNLV
AUNLV
AGFI
AGS
AGS
RA
Drucksache 14/7368.............................. 11605
Ergebnis................................................. 11605
29 Beschlüsse zu Petitionen
Übersicht 14/44...................................... 11605
Ergebnis................................................. 11605
VerfGH 18/08
Vorlage 14/1936
*****
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Entschuldigt waren:
Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers
(ab 17:30 Uhr)
Minister Armin Laschet
(ab15:00 Uhr)
Bodo Löttgen (CDU)
(ab 17:30 Uhr)
Ursula Monheim (CDU)
Horst Westkämper (CDU)
Ulrike Apel-Haefs (SPD)
Dr. Fritz Behrens (SPD)
(ab 18:00 Uhr)
Anke Brunn (SPD)
(ab 18:00 Uhr)
Ingrid Hack (SPD)
(ab 18:00 Uhr)
Ralf Jäger (SPD)
(ab 17:30 Uhr)
Ursula Meurer (SPD)
(ab 18:30 Uhr)
Claudia Nell-Paul (SPD)
(ab 18:00 Uhr)
Norbert Römer (SPD)
Dr. Karsten Rudolph (SPD)
(ab 14:00 Uhr)
Marlies Stotz (SPD)
(ab 17:00 Uhr)
Angela Tillmann (SPD)
(ab 16:00 Uhr)
Dr. Stefan Romberg (FDP)
Ewald Groth (GRÜNE)
11464
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Beginn: 10:04 Uhr
Präsidentin Regina van Dinther: Meine Damen
und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen,
97. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen
herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren
Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für
die
heutige
Sitzung
haben
sich
17 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Wir haben ein Geburtstagskind. Frau Ulla Meurer
von der SPD-Fraktion feiert heute ihren
53. Geburtstag. Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!
(Allgemeiner Beifall)
Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.
Ich rufe auf:
1
Aktuelle Stunde
Menschen beim Energiesparen unterstützen und Stromspartarife schnell einführen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7388
Die Fraktionen der SPD und der Grünen haben
mit Schreiben vom 25. August 2008 gemäß § 90
Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der aufgeführten
aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner Herrn Leuchtenberg für die SPD-Fraktion
das Wort.
(Zuruf eines Mannes von der Tribüne: Kann
es sein, dass die Regierung dieses Landes
meine Familie tötet?)
Präsidentin Regina van Dinther: Würden Sie
bitte den Saal verlassen.
(Fortgesetzter Zuruf von der Tribüne)
Meine Damen und Herren,
(Zuruf von der Tribüne: Wie kann das sein?)
hier gilt eine Hausordnung, und Sie haben nicht
das Wort.
(Fortgesetzter Zuruf von der Tribüne)
11465
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Würden Sie bitte den Saal verlassen! Hier gilt eine
Hausordnung, und hier berät das Parlament. –
Herr Leuchtenberg, Sie haben das Wort.
Uwe Leuchtenberg (SPD): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist gut, dass die Energiepolitik auch
an den Plenartagen heute und morgen breit diskutiert wird. Die Fraktion der Grünen hatte vorgeschlagen, in einer Aktuellen Stunde Sozialtarife zu
diskutieren und im Landtag zu beraten, wie den
Menschen in Nordrhein-Westfalen bei stark steigenden Energiepreisen geholfen werden kann.
Ich bin den Kollegen von den Grünen dankbar,
dass sie auf uns zugekommen sind, um diese Aktuelle Stunde gemeinsam zu beantragen. Das
zeigt, dass in der Diskussion um Energiepreise,
um eine langfristig sichere Energieversorgung und
um die unabweisbaren Notwendigkeiten einer aktiven Klimaschutzpolitik ein gemeinsames Grundverständnis beider Fraktionen vorhanden ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine Diskussion um Sozialtarife werden wir jedoch nur sinnvoll führen können, wenn wir uns die
Lage auf den Weltenergiemärkten noch einmal
klarmachen. Die weltweiten Ölvorräte gehen zur
Neige, auch wenn einige von Ihnen das trotz besseren Wissens leugnen. Die Zeiten des billigen
Öls sind vorbei. Schon deshalb müssen wir uns
auf langfristig hohe Preise einstellen. Schon deshalb ist es aus Vorsorgegründen klug, sich auf die
heimischen Energiequellen zu konzentrieren.
Unsere heimischen Energiequellen sind nicht Öl,
Gas und Importkohle. Ich füge bewusst hinzu: Es
ist auch nicht Uran, das zu 100 % importiert werden muss, um damit Atomkraftwerke in anderen
Bundesländern zu betreiben. Unsere heimischen
Energien sind Kohle und die erneuerbaren Energien.
Bei der Entwicklung der Energiepreise stellen wir
Folgendes fest: Wir werden uns auf langfristig hohe Energiepreise einstellen müssen. Der Markt
allein ist nicht in der Lage, angemessene Preise
für die Verbraucher zu garantieren. Der Wettbewerb funktioniert nicht ausreichend. Das zeigen
uns die explodierenden Gewinne besonders der
vier großen Energieunternehmen. Im Ergebnis
bedeutet das: „Privat vor Staat“ ist keine Lösung
für die drängenden Fragen des Klimaschutzes,
der zur Neige gehenden Ressourcen und der
steigenden Energiepreise.
Sehr geehrte Damen und Herren, in der Enquetekommission, die sich in den vergangenen zwei
Jahren um stark steigende Öl- und Gaspreise ge-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
kümmert hat, haben wir klar festgestellt, dass
steigende Energiepreise besonders Familien und
Rentnerhaushalte treffen. Zunehmend sind das
jedoch nicht nur Haushalte mit geringem Einkommen, sondern auch Haushalte, die in ganz
normalen Einkommensverhältnissen leben.
Die Debatte um die Einführung von Sozialtarifen
ist vielfältig. Es werden die verschiedensten Tarifmodelle diskutiert. Diese Debatte werden wir
führen müssen, um die erforderliche Entlastung
für diejenigen zu erreichen, die Strom und Heizung nicht mehr bezahlen können, und um auch
zu einer Entlastung für diejenigen zu kommen, die
durch die steigenden Preise nicht mehr in der Lage sind, andere, dringend notwendige Dinge zu
finanzieren, zum Beispiel Bildung für ihre Kinder.
Es ist gut, dass inzwischen zumindest einige in
der Union anerkennen, dass hier Handlungsbedarf besteht und der Markt es nicht alleine regelt.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Eines sollte bei allen Überlegungen meines Erachtens klar sein: Wir werden nicht langfristig erfolgreich sein, wenn wir versuchen, einen unverändert hohen Energieverbrauch durch Transferleistungen tragbar zu machen. Es kommt vielmehr
im ersten Schritt entscheidend darauf an, den Energieverbrauch selbst zu senken. Hier liegen die
Potenziale, hier kann viel Geld gespart werden.
Ein energieeffizienter Kühlschrank, eine sparsame
Waschmaschine oder der Austausch einer energiefressenden Stromheizung können zwei Drittel
des Stromverbrauchs einsparen. Durch Investitionen in Gebäudesanierungen können die Heizkosten halbiert werden. Dies ist gerade im Mietwohnungsbau und hier im Altbestand eine mehr als
dringende Notwendigkeit. Hiermit erreichen wir
ganz andere Größenordnungen als mit Zuschüssen, die einen hohen Energieverbrauch für die
Menschen vorübergehend erträglicher machen.
Auch das Geschwätz von Steuersenkungen führt
nicht zum Ziel. Die zusätzlichen Gewinne kommen nämlich nicht beim Bürger an, sondern landen bei den Konzernen, wie ich es Ihnen in der
letzten Plenarsitzung am Beispiel des Diesels bereits erklärt habe.
Dass der Ersatz von stromfressenden Haushaltsgeräten durch Gewährung von Zuschüssen funktionieren kann, haben uns vor wenigen Jahren
noch Städte und Stadtwerke gezeigt. Seitens vieler Stadtwerke wurden Programme mit dem Ziel
aufgelegt, die Kundenbindung zu vergrößern. Die
Stadtwerke haben ihren Kunden Zuschüsse zum
Erwerb eines neuen energiesparenden Kühlschranks oder einer energiesparenden Wasch-
11466
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
maschine gezahlt. Dies konnten die Stadtwerke
zu Zeiten der Gebietsmonopole tun. Dies können
sie heute, unter den Bedingungen der liberalisierten Strommärkte, so nicht mehr leisten.
(Ministerin Christa Thoben: Warum denn
nicht?)
Es ist ausgeschlossen, heute einen Zuschuss für
einen Kühlschrank zu zahlen, wenn dieser Kühlschrank morgen mit gelbem Strom betrieben wird.
Hier müssen wir einspringen, hier müssen wir helfen.
Deshalb ist klar: Wir sehen, dass viele Menschen
aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in
der Lage sind, Energiefresser durch energiesparende Geräte der höchsten Effizienz auszutauschen oder ihre Gebäude energetisch zu sanieren. Wir brauchen deshalb heute Fördermöglichkeiten, damit die Effizienzrevolution auch in den
Wohnungen derjenigen ankommen kann, die besonders unter stark steigenden Energiepreisen
leiden. Hier sehen wir Handlungsbedarf.
Deswegen setzen wir verstärkt darauf, die Menschen bei stark steigenden Energiepreisen beim
Energiesparen auch finanziell zu unterstützen.
Zuschüsse für energieeffiziente Kühlschränke und
Waschmaschinen helfen langfristig am besten
gegen steigende Energiepreise. Hier ist die soziale Marktwirtschaft gefordert. Die freien Kräfte des
Marktes allein werden dies nicht lösen können. –
Danke schön.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Leuchtenberg. – Für die Fraktion der CDU
spricht nun Herr Weisbrich.
Christian Weisbrich (CDU): Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele
Mitbürger leiden unter steigenden Energiepreisen.
Ich teile Ihre Sorgen. Ich verstehe Ihre Empörung
über die nassforsche Pullover-Empfehlung von
Thilo Sarrazin, seines Zeichens Finanzsenator der
SPD in Berlin. Meine Damen und Herren, so wie
dieser Sozialdemokrat darf man mit den Sorgen
und Nöten der Menschen nicht umgehen.
(Beifall von CDU und FDP)
Was man als Politiker aber auch nicht darf, ist,
den Menschen Sand in die Augen zu streuen.
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
– Die Forderung von Sozialtarifen, verehrte Frau
Kollegin Löhrmann, ist nichts anderes als das Surfen auf einer Populismuswoge.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von der CDU)
Sozialtarife ersetzen keine solide Problemlösung.
Der Bundesverbraucherminister – den werden Sie
mir sicherlich vorhalten – hat für seinen Populismus sein Fett von der eigenen Partei, von der
CSU, abbekommen. Ich kann mich deshalb umso
liebevoller den rot-grünen Energiepreistreibern in
diesem Hause zuwenden, die plötzlich „Haltet den
Dieb!“ schreien.
Meine Damen und Herren, in dem vorliegenden
Antrag stellen Sie zu Recht fest, dass explodierende Energiepreise immer mehr Haushalte finanziell überfordern. Doch Ihren eigenen Beitrag
zur Preisexplosion verschweigen Sie ganz
schamhaft. Rot-Grün wollte die Belastbarkeit von
Wirtschaft und Verbrauchern testen. Sie haben in
der Zeit von 1998 bis 2004 die Steuern und Abgaben auf Strom aus meiner Sicht hemmungslos
erhöht.
Meine Damen und Herren, die staatlichen Zusatzlasten auf den Strompreis sind in diesem Zeitraum
der rot-grünen Koalition auf Bundesebene von 2,3
auf 11,8 Milliarden € oder mehr als 500 % angestiegen. Wollen Sie jetzt, wo für die Bürger die
Schmerzgrenze erreicht ist, das eigene Unrecht
mit Steuernachlässen korrigieren? Nein, Sie fordern von den Unternehmen Sozialtarife. Dabei
sind die Kosten für Stromerzeugung – das ist
hoch interessant –, Transport und Vertrieb, der
Unternehmensanteil also, von 1998 bis 2005, bis
die Einpreisung des Zertifikatehandels kam, um
12 % gesunken. Der Unternehmensanteil am
Strompreis ist um 12 % gesunken. Was dagegen
explodiert ist, ist der von Ihnen verursachte staatliche Kostenanteil.
(Beifall von CDU und FDP)
Vor diesem Hintergrund wäre eine Streichung der
Ökosteuer, eventuell verbunden mit einer Senkung der Mehrwertsteuer – wie man das von Ihnen auch schon hin und wieder hört – auf Haushaltsstrom, aus Sicht der Verbraucher viel rascher
und nachhaltiger wirksam als jeder Sozialtarif mit
einer Freiverbrauchsmenge von – das habe ich
bisher von Ihnen so gehört – 250 bis 500 Kilowattstunden pro Jahr. Das wären einmal gerade
50 € bis 100 € pro Jahr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,
Sie unterschlagen die Wahrheit aber nicht nur an
dieser Stelle. Sie tun so, als könnten nur mit einem Sozialtarif für Strom sämtliche Energieprobleme der Bezieher niedriger Einkommen gelöst
werden. Das – das wissen Sie selbst – ist Unsinn.
11467
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Sie wissen genau, dass 90 % des Energiebedarfs
in privaten Haushalten auf Raumheizung und
Warmwasserbereitung entfallen. Dafür werden
bekanntermaßen Öl, Gas, Kohle oder Holz eingesetzt, kaum aber Strom. Und die Betreiber von
Nachtstromspeicherheizungen, die Strom dennoch einsetzen, sind schon gar nicht die Bezieher
niedrigster Einkommen. Damit hat Ihr dramatisches Bild von Eisblumen an den Fenstern und
von vor Kälte zitternden Kindern nichts, aber auch
gar nichts mit Stromtarifen zu tun.
Wir als CDU – und auch die FDP, denke ich – fordern selbst eine Ausweitung der Energieberatung.
Wir fordern selbst den beschleunigten Einsatz energiesparender Haushaltsgeräte. Aber wir sagen: Finger weg von staatlichen Kalkulationsvorschriften zulasten privater Unternehmen oder zulasten einzelner Kundengruppen!
(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])
Die Verwirklichung sozialer Ziele ist nicht Aufgabe
der Energiepolitik.
(Christian Lindner [FDP]: Richtig!)
Die Verwirklichung sozialer Ziele ist Aufgabe der
Sozialpolitik. Der Markt als Institution kann soziale
Aspekte nicht berücksichtigen. Da sind wir völlig
einig. Deshalb werden im Ordnungsrahmen der
sozialen Marktwirtschaft den Empfängern von
Transferleistungen die Kosten für Unterkunft und
Heizung in angemessener Höhe vollumfänglich
vom Staat erstattet, und die Kosten für Strom und
Warmwasserbereitung sind im Regelsatz enthalten.
Deshalb brauchen die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen keine Sozialtarife. Was sie
brauchen, ist eine zeitnahe und sachgerechte Anhebung der Regelsätze. Darüber kann man diskutieren, aber nicht über die Tarifpolitik.
Menschen mit selbst verdientem niedrigem Einkommen, also eine noch sehr viel größere Anzahl,
brauchen ebenfalls keine Sozialtarife, sondern eine Anpassung des Wohngelds. Bereits im März
2008 hat der Bundestag die Erhöhung des Wohngeldes zum 1. Januar 2009 um nahezu 70 % beschlossen, hat also diesen Ansatz aufgenommen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mir nicht
glauben, zum Kronzeugen für diese Einschätzung
möchte ich Christian Uhde, den sozialdemokratischen Oberbürgermeister und Präsidenten des
Deutschen Städtetages aufrufen. Herr Uhde, OB
von München, hat am 20. Juli 2008 eindringlich
vor Sozialtarifen und dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand gewarnt. Er sagt: Entweder
müssten die Sozialverwaltungen ihre Erkenntnis-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
se dem Energieversorger übermitteln, oder aber
die Energieversorger müssten selbst jeweils eine
Art Sozialamt für die Prüfung der Bedürftigkeit einrichten. Beides sei nicht nur aus Datenschutzgründen hoch problematisch.
Er sagt dann weiter: Die Frage, warum andere
Produkte wie Benzin oder Lebensmittel nicht ebenfalls sozial gestaffelt werden sollten, sei nicht
plausibel zu beantworten. Und wenn die Entlastung der Stromkunden durch Preisnachlässe bei
einem bestimmten Stromkontingent pro Haushalt
erreicht werden solle, dann stelle sich die Frage
nach der weit überwiegenden Zahl der unerwünschten Mitnahmeeffekte. Es bestehe – so Uhde – die realistische Gefahr, dass eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern voll in die Progression gerate, während ein Spitzenverdiener mit
Singlehaushalt vielleicht mit dem verbilligten Kontingent auskomme.
Uhde appelliert deshalb an den Bundesgesetzgeber, marktwirtschaftkonform zu agieren und Versuche staatlicher Preisregulierung in Detailbereichen zu unterlassen. In der Praxis werde sich
sehr bald erweisen, dass insbesondere ausländische Großunternehmen keine nationalen Preisvorschriften akzeptierten und dass sich der Erwartungsdruck auf soziale Ermäßigungen allein auf
die kommunalen Unternehmen konzentrieren
werde, was für diese ein gewichtiger Wettbewerbsnachteil wäre.
Meine Damen und Herren, zu dieser scharfsichtigen Argumentation kann man Herrn Uhde nur
gratulieren. Gleichzeitig muss man ihn auch beglückwünschen, dass er nicht Mitglied der SPD in
Nordrhein-Westfalen ist. Denn sonst liefe er Gefahr, für seine klare Aussage aus der Partei ausgeschlossen zu werden – so wie Wolfgang Clement.
(Svenja Schulze [SPD]: Das ist doch Unsinn!)
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Kollege Weisbrich. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Weisbrich – ganz ehrlich gesagt, Sie haben völlig
am Thema vorbei geredet.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
11468
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Ich weiß, dass das Thema etwas komplexer ist –
nach dem, was Seehofer gesagt hat, und nach
dem, was der SPD-Kollege gesagt hat. Es geht
nicht um Sozialtarife. Da würde ich Ihnen ja zustimmen. Horst Seehofer hat Energiespartarife
vorgeschlagen. Das ist etwas grundsätzlich anderes, um es ganz klar zu sagen.
Energiespartarife sind eine Umstrukturierung der
Stromtarife, wobei keiner sagen muss „Ich bin
arm, ich bin bedürftig“, sondern sie gelten für alle.
Es ist ganz wichtig, in der Diskussion festzuhalten, dass nicht nur diejenigen, die staatliche
Transferleistungen erhalten, davon betroffen sind,
sondern auch alle diejenigen, die nicht viel Geld
verdienen.
Erstens. Zur grundsätzlichen Umstrukturierung ist
der Vorschlag von Seehofer vernünftig, die
Grundgebühr wegfallen zu lassen, die eine Belohnung für Energieverbrauch ist, und einen Eingangsbereich pro Kopf festzusetzen, in dem der
Strom nicht umsonst gegeben wird, aber günstiger ist. Bei Mehrverbräuchen. wird dementsprechend höher bezahlt.
Dies berücksichtigt genau die soziale Komponente: Eine Familie mit drei Kindern – Horst Seehofer
spricht von 500 kw/h pro Person – bekommt für
fünf Personen fünfmal den Betrag. Davon reden
Sie gar nicht. Sie reden nur von Sozialtarifen, aber überhaupt nicht über die Baustelle, um die es
hier geht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zweitens. Für mich ist Folgendes erstaunlich –
man verfolgt ja sorgfältig, wie Sie arbeiten –: In
der Woche, in der wir mit dem Wirtschaftsausschuss unterwegs waren, haben Sie zum 50jährigen Jubiläum der Verbraucherzentrale eine
Pressemitteilung abgesetzt. Am 14. August äußerte sich die CDU zu Tarifen wie folgt:
Die CDU-Landtagsfraktion wird die Situation
der Bezieher geringer und mittlerer Einkommen
nicht aus den Augen verlieren. Dazu sollten die
Stromanbieter neue Tarife entwickeln, die
Stromsparen nicht durch eine hohe Grundgebühr bestrafen, sondern durch einen linearen
oder progressiven Verlauf begünstigen.
Wenn das keine Energiespartarife sind!
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
– Das ist Ihre Aussage. Jetzt kann man sich hier
doch nicht hinstellen und nun, wenn wir dieses
Thema aufgreifen …
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11469
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
– Entschuldigen Sie bitte, die Aktuelle Stunde ist
auf der Grundlage von Horst Seehofers richtigem
Vorstoß zu Energiespartarifen beantragt worden.
Ihre Aussage – ich will gar nicht unvollständig zitieren – geht folgendermaßen weiter:
steuer vor fünf Jahren zum letzten Mal erhöht
worden ist. Die entscheidenden, dramatischen
Preissprünge sind jetzt gekommen.
Staatlich subventionierte Sozialtarife lehnt die
CDU-Landtagsfraktion ab.
Wenn irgendetwas in der letzten Zeit gewirkt hat,
dann war es die Mehrwertsteuererhöhung um
3 %, die Ihre Partei im Bund zusammen mit den
sozialdemokratischen Kollegen beschlossen hat.
Damit gehe ich d’accord; das ist doch gar nicht
das Problem.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU] – Gegenruf von Horst Becker [GRÜNE]: Das
müssen Sie mal lesen! Lesen bildet!)
Wir reden über Seehofers Vorstoß. Nichts anderes haben die sozialdemokratischen Kollegen
auch getan.
Herr Kollege Weisbrich, in der letzten Woche gab
die CDU eine Pressemitteilung heraus, in der sie
genau das inhaltlich fordert, was wir aufgreifen
und was Horst Seehofer aufgegriffen hat. Hier aber erzählen Sie in Ihrer langatmigen Art ganz viele Dinge – zu der Steuerproblematik werde ich
gleich noch kommen –, reden aber an dem vorbei,
was Sie in der letzten Woche veröffentlicht haben.
Das ist doch unglaubwürdig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mich stört an dem, was Sie machen, Folgendes:
Ich habe die CDU-Pressemitteilung gelesen und
gedacht, Donnerwetter, da bewegt sich etwas.
Mich stört aber der Appell an die Unternehmen.
Dazu sage ich Ihnen: Wir Politiker dürfen uns
nicht darauf beschränken, nur an die Unternehmen zu appellieren. Ich habe nichts gegen einen
Appell. Aber die Antwort von RWE ist ja postwendend gekommen, und wie nicht anders zu erwarten, lehnt RWE das alles ab. Die Frage ist, wie wir
als Politik damit umgehen, dass tatsächlich eine
schwierige Situation für die Bezieher mittlerer und
niedriger Einkommen auftritt, weil – damit haben
Sie völlig Recht – die Strom-, die Gas- und die
Ölpreise auf breiter Front steigen.
Der Ministerpräsident hat – aus meiner Sicht nicht
ohne Grund – von Rezession gesprochen. Davon
ist Strom nur ein Teil; da gebe ich Ihnen Recht.
Aber man kann doch nicht mit der Aussage,
Strom sei nur ein Teil, Gas und Öl seien auch
problematisch, die Diskussion über den Stromteil
als Unfug bezeichnen. Natürlich müssen wir auch
über die anderen Sachen reden; dies tun wir
auch. Aber diese Debatte hier ist ebenfalls richtig.
Aus meiner Sicht ist ebenfalls völlig falsch, dass
Sie Rot-Grün Preistreiberei in der Vergangenheit
vorwerfen. Sie wissen ganz genau, dass die Öko-
(Beifall von den GRÜNEN)
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU] – Gegenruf von Horst Becker [GRÜNE]: Wir waren doch nicht dabei!)
– Herr Weisbrich, Sie haben es eben so leichtfertig
abgetan. Was mich daran stört, ist: Wir alle wissen,
dass der Staat Steuereinnahmen braucht, um viele
Aufgaben zu erfüllen. Wir alle wissen, dass weder
Sie noch die roten Kollegen noch wir, wenn wir in
der Bundesregierung wären und eine Mehrheit hätten, tatsächlich in der Lage wären, zum Beispiel die
Ökosteuer in ihrer alten Wirkung – 20 Milliarden €
Einnahmen für die Rentenkassen – einfach irgendwie zu ersetzen. Insofern ist es ein Stück weit
Heuchelei.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dass Guido Westerwille das ständig macht, leuchtet mir ja ein; von ihm erwarte ich nichts anderes.
Aber man muss ein bisschen seriöser damit umgehen, gerade wenn man selbst in der Bundesregierung ist. Sie wissen auch, dass Frau Merkel
und die Kollegen nicht den Raum haben, um bei
den Energiesteuern maßgeblich herunterzugehen.
(Christian Weisbrich [CDU]: Erst die Preise
in den Himmel jagen und dann Sozialtarife
fordern!)
– Herr Weisbrich, reden Sie sich doch nicht heraus! Sie sind Profi genug und wissen, dass die
CDU in der Regierung auch nicht den Raum hat,
um die Energiesteuern drastisch zu senken. Wir
können mit Geld vernünftiger umgehen und gucken, ob wir Tarifstrukturen schaffen können, die
sparsamen Verbrauch, aber nicht Verschwendung
belohnen. Über diesen Punkt reden wir hier. In
dieser Sache war Ihr Beitrag überhaupt nicht hilfreich. Vieles von dem, was Sie gesagt haben, war
rein populistisch. Die Frage ist, ob das, was Sie in
der letzten Woche in der Presse gesagt haben,
einen Kern von Substanz hat. Ansonsten müssten
Sie sagen: Die Presseerklärung war ein Ausrutscher, wir haben das alles nicht gemeint. Oder Sie
gestehen ein, dass Sie Politik nicht handelnd gestalten wollen.
(Christian Weisbrich [CDU]: Die Unternehmen machen das alles freiwillig!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
– Die Unternehmen machen das nicht freiwillig,
das wissen wir doch ganz genau. Wir wissen
auch, dass die Tarifstrukturen und die Grundgebühren so, wie sie jetzt sind, nicht gottgegeben
sind.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Marsmännchen
von Weisbrich!)
Letzter Satz: Die Tarifstrukturen sind nicht gottgegeben, sondern über das Energiewirtschaftsgesetz vorgegeben. Natürlich sind wir frei und eigentlich auch verpflichtet, über diese Strukturen
zu diskutieren. Ich fand den Vorstoß von Horst
Seehofer richtig. Wir greifen nicht dergestalt in die
Preisgestaltung ein, dass wir den Unternehmen
die Preise in Cent pro Kilowatt vorschreiben. Das
sollten wir auch nicht tun. Aber wir sollten ein Tarifsystem einführen, in dem in bestimmten Klassifizierungen Tarifstrukturen vorgegeben werden,
auf deren Grundlage die Unternehmen dann ihren
Wettbewerb machen können.
Das ist ein Stück weit unsere sozialpolitische Verantwortung. Das haben die sozialdemokratischen
Kollegen begrüßt, die CSU trägt es jedenfalls in
Gestalt ihrer prominenten Vertreter mit. Es ist
schade, dass die CDU an dieser Stelle ihren eigenen Pressemitteilungen nicht folgt. – Herzlichen
Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Priggen. – Für die FDP spricht nun Herr Brockes.
*)
Dietmar Brockes (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forderung der Opposition fällt wieder einmal in die Kategorie hinein –
das haben wir hier schon häufiger erlebt –: Problem erkannt, Lösungsansatz jedoch völlig ungeeignet, ja sogar für Bürgerinnen und Bürger sowie
die Wirtschaft gefährlich.
SPD und Grüne benehmen sich dabei bildlich wie
ein Arzt, der mit einer großen schmerzstillenden
Spritze kommt, aber die Ursachen für die
Schmerzen weder untersucht noch erkannt hat
und durch die Medikamente sogar noch schlimmere Symptome hervorruft. Mit anderen Worten:
Zu einem maßgeblichen Teil ist Ihre verfehlte Energiepolitik für die Strompreisentwicklungen der
vergangenen Jahre verantwortlich, meine Damen
und Herren von SPD und Grünen.
Natürlich sind auch die Rohstoffpreise in den vergangenen Jahren gestiegen. Das bestreitet niemand. Aber der Strompreis besteht inzwischen zu
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11470
über 40 % aus Steuern und Abgaben. Seit 1998
hat sich der Staatsanteil auf inzwischen
13 Milliarden € versechsfacht. Das ist Ihre Politik,
das ist Ihre verfehlte rot-grüne Politik.
(Widerspruch von Sören Link [SPD])
Es ist geradezu schizophren, welches Spiel Sie
hier treiben. Auf der einen Seite fordern Sie gebetsmühlenartig und an Populismus nicht mehr zu
überbieten, es müssten Spartarife oder Sozialtarife, wie auch immer Sie es nennen mögen, eingeführt werden. Auf der anderen Seite setzen Sie
durch Ihre Politik den Kurs der Preissteigerungen
unverändert fort. Ich möchte dies mit drei Beispielen konkretisieren:
Als Erstes nenne ich die Vollauktionierung der
CO2-Zertifikate, die laut Schätzung des Deutschen
Industrie- und Handelskammertages den Strompreis mit etwa 10 Milliarden € belasten wird. Was
meinen Sie denn, wer das am Ende zahlt? Das
wird natürlich 1:1 auf den Strompreis aufgeschlagen. Dazu will ich hier aber nicht noch tiefer ausführen, denn schließlich steht dieses Thema morgen auf der Agenda. Ich sage nur eines: Über eine Vollauktionierung würde sich niemand in diesem Lande freuen, außer Peer Steinbrück.
(Beifall von der FDP)
Zweitens. Die übertriebenen Subventionen für erneuerbare Energien, insbesondere der Wind- und
Fotovoltaikindustrie, verursachen nicht nur enorme Kosten für den Verbraucher über das umlagefinanzierte Erneuerbare-Energien-Gesetz, sondern erfordern auch eine Vervierfachung der Reserveleistung konventioneller Kraftwerke bis 2020.
Das ist übrigens eine Schätzung der Deutschen
Energieagentur, wo ja auch Herr Minister Gabriel
im Aufsichtsrat sitzt. Das heißt also, Sie wollen
den Ausbau von nicht grundlastfähiger Energiegewinnung durch Sonne und Wind extrem forcieren, stellen sich aber jeder konventionellen
Grundlastsicherung aus Kohle und Kernenergie
grundsätzlich ablehnend gegenüber.
(Svenja Schulze [SPD]: Sie sind echt bildungsresistent!)
Damit komme ich zum dritten Punkt, dem gleichzeitigen Ausstieg aus der CO2-freien Kernenergie
und dem Kohlestrom. Frau Ypsilanti lässt grüßen.
Damit verfolgen Sie eine völlig utopische und
noch dazu gefährliche und klimaschädliche Vision. Ein Ausstieg aus der klimafreundlichen Kernenergie bei gleichzeitiger Abschaltung der Kohlekraftwerke würde uns entweder hoffnungslos abhängig von Importen machen oder unseren Industriestandort empfindlich gefährden.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, die Vision der Opposition, diese Stromlücke mit erneuerbaren Energien
zu decken, ist unrealistisch. Das Hamburgische
Weltwirtschaftsinstitut hat errechnet, dass wir auf
eine Stromlücke von 15,5 % des Gesamtbedarfs
im Jahr 2020 zulaufen würden. Dabei wurden der
massive Ausbau der regenerativen Energien sowie eine deutlich höhere Energieeffizienz schon
mit eingerechnet.
Wir brauchen also dringend neue hocheffiziente
Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und eine
Verlängerung der Laufzeiten für die CO2-freien
Kernkraftwerke. Jedes neue hocheffiziente Kohlekraftwerk spart ein Viertel des CO2-Ausstoßes eines alten Kohlemeilers ein. Mit der Erneuerung
unseres Kraftwerkparks können wir die wichtigen
Ziele, nämlich Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Klimaschutz, gleichzeitig erreichen.
Meine Damen und Herren, die Blockadehaltung,
die gerade vor Ort vor allem von den Grünen bestärkt wird, führt uns geradezu in diese Stromlücke hinein, die laut Berechnungen der Deutschen
Energieagentur zu weiteren massiven Preissteigerungen für die Verbraucher führen wird. Importstrom ist nun einmal teuer. Im Übrigen ist es doch
geradezu grotesk, dass wir unsere sicheren Reaktoren in Deutschland abschalten und dann Strom
aus Kernenergie aus Frankreich oder gar aus
Osteuropa zu horrenden Preisen zukaufen müssen.
(Beifall von der FDP)
Und nun fordern Sie, um diese selbstverursachten
Preistreibereien zu vernebeln, einen vorgeschriebenen Stromtarif, den Sie medienwirksam Spartarif nennen. Das ist nichts anderes als die planwirtschaftliche Festlegung des Strompreises.
(Lachen von Svenja Schulze [SPD])
Funktionieren soll das Ganze über ein weiteres
Umlagesystem à la EEG.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben überhaupt nicht zugehört!)
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Was wir nicht brauchen, sind weitere bürokratische Monster und
Umverteilungsmaschinerien, die am Ende Strom
unbezahlbar machen, Frau Löhrmann.
(Beifall von der FDP)
Ein Spartarif, wie Sie ihn hier vorschlagen, ist
noch dazu in höchstem Maße unsozial.
11471
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Weil die Besserverdienenden nicht davon profitieren?)
Ein hoher Energieverbrauch geht in der Regel
nicht mit einem hohen Einkommen einher. Das
Gegenteil ist der Fall! Familien mit Kindern, sozial
Schwächere und Rentner haben eben nicht das
Geld, sich die verbrauchsärmsten Geräte sofort
anzuschaffen.
(Zuruf von der SPD: Sie haben überhaupt
nicht zugehört!)
Gerade diese durch eine Umlage für den höheren
Verbrauch noch zusätzlich zu bestrafen, ist in
höchstem Maße sozial ungerecht und kann doch
nicht ernsthaft Ihr Ziel sein.
(Beifall von der FDP – Thomas Eiskirch
[SPD]: Unglaublich!)
Interessant wäre auch, wer den Tarif festlegen
soll. Vielleicht Herr Gabriel? Das wird ja heiter,
meine Damen und Herren.
Wir dagegen wollen die Ursachen an den Wurzeln
des Übels bekämpfen und nicht wie Rot-Grün an
den selbstverursachten Symptomen herumdoktern. Wir brauchen ein langfristig tragfähiges Konzept, das in seiner Abwägung die drei Aspekte
Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Umweltverträglichkeit vereint. Das erfordert, dass wir
langfristig zu einem ausgewogenen Energiemix
kommen, der zusätzlich zu den oben beschriebenen Zielen auch einseitige Abhängigkeiten vermindert. Darin müssen Kohle, Kernenergie und
erneuerbare Energien eine angemessene Anwendung finden.
Auch wir wollen die Energieversorger ermuntern,
mit neuen flexiblen Preisgestaltungen ein Mehr an
Wettbewerb zu schaffen. Der Verbraucher muss
ermutigt werden, sich für den für ihn persönlich
günstigsten Anbieter zu entscheiden und dann
auch zu wechseln.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein Mehr
an Wettbewerb. Das würde den Familien und Mittelständlern deutlich mehr bringen als staatliche
Gängelung, Bürokratie und planwirtschaftliche
Vorschriften, wie die Opposition es will.
Neue Technologien wie ein intelligenter Stromzähler können dabei eine entscheidende Rolle
spielen. Der Verbraucher muss in die Lage versetzt werden, seinen individuellen Stromverbrauch exakt nachzuvollziehen und somit ineffiziente Geräte zu identifizieren. Die Energieversorger können hierbei noch so einige kreative Ideen einbringen und damit für mehr Transparenz
sorgen – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von FDP und CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Brockes. – Für die Landesregierung spricht
nun Frau Ministerin Thoben.
Christa Thoben, Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie: Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat wieder einmal die
Stromspartarife auf die Tagesordnung gesetzt.
Diese Thematik war bekanntlich bereits Gegenstand der letzten Plenarwoche im Juni. Dort wurde
der Antrag „Soziale Folgen explodierender Energiepreise – Politik muss reagieren“ beraten.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Guter Antrag!)
Dieser Antrag ist an die Ausschüsse überwiesen
worden. Die Antragsteller streben eine Expertenanhörung in diesem Hause an. Das ist vernünftig.
Offenbar reicht dieser normale Gang der Dinge
den Antragstellern, zu denen sich jetzt auch die
Fraktion der SPD gesellt hat, aber nicht mehr.
Beide Fraktionen knüpfen an Äußerungen an,
durch die sie sich in etwas bestätigt fühlen, was
sie immer schon vertreten haben. Was hat Minister Seehofer denn wirklich gesagt? – Sein Haus
prüft die Einführung eines einheitlichen Stromspartarifs. Prüfung bedeutet, dass eine Entscheidung ja wohl noch nicht gefallen sein kann. Außerdem – das ist ganz wichtig – werden diese
Regelungen gemäß § 39 des Energiewirtschaftsgesetzes auf Bundesebene getroffen. Das dürften
Sie wissen, Herr Priggen. Ich warte auf entsprechende Anträge Ihrer Fraktion im Bund.
Die Position der Landesregierung fasse ich noch
einmal zusammen:
Sozial- oder Stromspartarife entsprechen nicht
der Kostenverursachungsgerechtigkeit. Sie stellen
insofern eine Subventionierung dar. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, die bei einem Teil der
Stromkunden bestehenden finanziellen Probleme
der Gesamtheit der Stromverbraucher zuzurechnen. Diese hat weder mit der finanziellen Lage
noch mit dem Verbrauchsverhalten der sozial bedürftigen Stromkunden etwas zu tun.
Den vorgeschlagenen Sozialtarifen fehlt die notwendige Zielgenauigkeit. Ein niedriges Einkommen bedeutet weder automatisch einen niedrigen
Energieverbrauch, noch gilt das Umgekehrte. Der
gut verdienende Single-Haushalt profitiert unter
Umständen stärker von einem staatlich reglementierten Grundtarif als ein einkommensschwacher
Haushalt mit mehreren Personen.
11472
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Eine staatlich geregelte flächendeckende Einführung von Stromspartarifen mit verbilligtem oder
gar kostenlosem Grundverbrauch müsste dann ja
wohl wettbewerbsneutral erfolgen. Andernfalls
würde die Belastung der jeweiligen Stromversorger durch die neuen Tarife je nach Sozialstruktur
der Abnehmer höchst unterschiedlich sein. Somit
müsste ein neues Umlagesystem geschaffen
werden, um die Wettbewerbsneutralität zu sichern. Dies widerspricht dem Gedanken des Bürokratieabbaus, den die Landesregierung konsequent vertritt.
Herr Leuchtenberg, Sie habe ich überhaupt nicht
verstanden. Wollen Sie den Verbrauchern nun
auch noch den Wechsel des Anbieters verbieten
und zu alten Gebietsmonopolen zurückkehren?
Sonst ergibt Ihre Argumentation ja überhaupt keinen Sinn.
(Uwe Leuchtenberg [SPD]: Dann haben Sie
nicht richtig zugehört! Zuhören!)
– Ich habe zugehört. Das war aber ein Durcheinander. Sehen Sie sich das bitte selber noch einmal an.
Ich betone nochmals ausdrücklich: Die Landesregierung nimmt die Auswirkungen steigender Energiepreise auf die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ernst. Dies gilt im Übrigen
natürlich auch für die Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.
Die Stromanbieter zu einem verbilligten Sozialtarif
zu verpflichten, weil aktuell die Strompreise stark
steigen, klingt beim ersten Hören gut. Aber wo
fängt man bei der Schaffung solcher Subventionssysteme an, und wo hört man auf? Mit ähnlicher Begründung könnte letztlich auch der Bäcker
zur Abgabe verbilligter Brötchen an Bedürftige
gezwungen werden oder könnte von Vermietern
ein Mietverzicht gegenüber Bedürftigen verlangt
werden. Die Liste ist beliebig verlängerbar.
(Beifall von CDU und FDP)
Das Niveau der Debatte nähert sich immer stärker
dem Satz – viele von Ihnen erinnern sich vielleicht –,
den man früher häufig in Wahlkämpfen auf Plakaten
lesen konnte: Preise runter, Löhne rauf. – Ich will
hier nicht erwähnen, wer damals so geworben hat.
Die finanzielle Sicherung der Energieversorgung,
insbesondere was Heizkosten angeht, ist durch
das bewährte System staatlicher Transferleistungen zu regeln. Diese sind gegebenenfalls an steigende Bedarfe anzupassen. Dies allein ist der
ordnungspolitisch und marktwirtschaftlich korrekte
Weg. Die Energieversorger, die staatlicherseits in
einen Wettbewerb gestellt werden, dürfen nicht
Landtag
Nordrhein-Westfalen
auf der anderen Seite zu Trägern der Sozialleistungen gemacht werden.
(Beifall von Christian Weisbrich [CDU] und
Dietmar Brockes [FDP])
Die Antragsteller versuchen, das Papier der CDULandtagsfraktion „Sicherheit für NordrheinWestfalen durch einen starken und unabhängigen
Verbraucherschutz“ als Beweis für ihre Sicht der
Dinge in die Debatte einzustellen. Was steht denn
in diesem Papier? Ich zitiere:
Die CDU-Landtagsfraktion wird die Situation
der Bezieher geringer und mittlerer Einkommen
nicht aus den Augen verlieren. Dazu sollten die
Stromanbieter neue Tarife entwickeln, die
Stromsparen nicht durch eine hohe Grundgebühr „bestrafen“, sondern durch einen linearen
oder progressiven Verlauf begünstigen.
(Reiner Priggen [GRÜNE]: Guter Satz!)
Staatlich subventionierte Sozialtarife lehnt die
CDU-Landtagsfraktion ab.
Herr Priggen, in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion hat die Landesregierung zum
selben Sachverhalt am 21. April 2008 Folgendes
ausgeführt – ich zitiere –:
Aus Kommunen sind Vereinbarungen über Verfahren bei Energiekostenrückständen zur Vermeidung von Energiesperrungen bekannt, die
die Sozialversicherungsträger zur Übernahme
ausstehender Zahlungen verpflichten. Positiv
zu werten sind auch Initiativen, sozial bedürftige Haushalte durch Energiespar- und Schuldnerberatungen zu unterstützen. Diese Bemühungen könnten durch eine stärkere Linearisierung der Tarife flankiert werden.
Das wissen Sie von dieser Landesregierung
schon seit April. Ich sehe also keinen Widerspruch zur Position der Landesregierung.
Selbstverständlich begrüßt die Landesregierung
freiwillige Bemühungen von Energieversorgern,
durch linearisierte Tarife und Energiesparberatungen die Belastungen einkommensschwacher Bevölkerungsschichten zu reduzieren und gleichzeitig zum sparsamen Umgang mit Energie zu motivieren. In diesem Sinne wird auch im Positionspapier der CDU-Landtagsfraktion eine entsprechende Aufforderung an die Stromanbieter formuliert.
Die Landesregierung steht für eine klare Verteilung der Zuständigkeiten und der Verantwortung.
Die Position von Bündnis 90/Die Grünen und SPD
wird durch die ständige Einbettung in immer neue
11473
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Anträge nicht richtiger. Wir scheuen nicht die politische Auseinandersetzung über diese Thematik,
weil wir überzeugt sind, die besseren Argumente
zu haben.
Allerdings sollten die Antragsteller auch zur
Kenntnis nehmen, dass es sich um ein bundespolitisch angesiedeltes Problem handelt. Ich habe
Ihnen den entsprechenden Paragrafen des Energiewirtschaftsgesetzes genannt.
An dieser Stelle sollten die Antragsteller von
Bündnis 90/Die Grünen die Diskussion in ihren
eigenen Reihen führen. Vor zwei Monaten hatte
ich in diesem Zusammenhang die Grünen im
Deutschen Bundestag mit folgenden Worten zitiert:
Sozialtarife für Strom und Gas sind hingegen
kein probates Mittel gegen Energiearmut. Sozialtarife stempeln die Betroffenen zu Kunden
zweiter Klasse ab und lassen andere Kostenbelastungen, unter denen einkommensschwache
Haushalte leiden, wie zum Beispiel steigende
Lebensmittelpreise, unberücksichtigt.
Diese Aussage ist nach wie vor richtig. – Ich freue
mich auf die Expertenanhörung zu diesem Thema.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Thoben. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Eiskirch.
Thomas Eiskirch (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn vielleicht doch
noch einmal ein/zwei Klarstellungen: Kollege
Weisbrich, seien Sie doch stolz darauf, dass Sie
für etwas die Urheberschaft haben. Es waren
CDU und FDP, die in ihrem Bericht der Enquetekommission formuliert haben: „Ziehen Sie doch
Pullover an“, „Drehen Sie die Heizung ein bisschen herunter“. – Stehen Sie doch dazu, wenn
das Ihre Ausführungen und Ihre Meinung waren
und sind, statt zu versuchen, das anderen in die
Schuhe zu schieben.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Kollege Weisbrich, meine zweite Klarstellung:
Wenn Sie vom Staatsanteil bei den Stromkosten
sprechen, habe ich Verständnis dafür, dass Sie
persönlich Vergleiche aus grauer Ur- und Vorzeit
heranziehen möchten. Aber realistisch ist ein Vergleich mit 1998 nicht mehr.
Wer sich den überschaubaren Zeitraum 2002 bis
2007 anschaut, in dem diese Preisexplosionen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
stattgefunden haben, erkennt, dass der Staatsanteil sogar um einen Prozentpunkt gesunken ist,
dass es in dieser Zeit keine Vergrößerung des
Staatsanteils gegeben hat.
(Christian Weisbrich [CDU]: Das stimmt doch
gar nicht!)
Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute nicht
über Sozialtarife, sondern über Energiespartarife.
Das scheint hier jedoch dauernd vergessen zu
werden. Ich hätte gerne einmal eine klare Ausformulierung von dieser Koalition dazu, wie sie zu
diesem Thema steht. Sie versuchen nur, Nebelkerzen zu werfen und auf andere Schauplätze abzulenken, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN])
Sie müssen das irgendwann einmal trennen und
sich deutlich positionieren. Hier hören wir nur
Formulierungen des Bedauerns, sehen aber eine
Verweigerung politischen Handelns, Kolleginnen
und Kollegen.
(Svenja Schulze [SPD]: Ganz genau!)
Eigentlich muss man in der Energiepolitik nicht
wirklich über die FDP reden. Aber Herr Brockes
hat gerade gezeigt, welch Geistes Kind er ist. Hier
auszuführen, man würde die Menschen, bei denen zu Hause noch die Energiefresser stehen,
weil sie nicht das Geld haben, energiesparende
Modelle bei Waschmaschinen, Kühlschränken
und Ähnlichem zu kaufen, durch Sozialtarife –
weil es, je nachdem, wie hoch die Progression ist,
teurer wird – sozial belasten, ist eine Antwort, die
an Unverfrorenheit wirklich nicht mehr zu überbieten ist.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Die Lösung muss doch sein, den Menschen wirklich zu helfen, energiesparende Geräte anschaffen zu können, um unserer Forderung bei den
Klimaschutzzielen wirklich gerecht zu werden und
nachkommen zu können.
(Widerspruch von Dietmar Brockes [FDP])
Kolleginnen und Kollegen, Uwe Leuchtenberg und
Reiner Priggen haben eben deutlich gemacht, um
was es wirklich geht: Es geht darum, den Energieverbrauch zu senken und gleichzeitig soziale
Verwerfungen durch stark steigende Energiepreise so weit wie möglich zu begrenzen.
Als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD will
ich aber auch sagen: Das geht nicht nur die Privathaushalte an, sondern auch Handwerk, Mittelstand und Industrie sind von steigenden Energiepreisen betroffen. Fachleute warnen sogar da-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11474
vor, dass die steigenden Kosten für Energie zu
einer Rezession führen können, und zwar zum
einen, weil sie Produktion verteuern, zum anderen, weil sie Kaufkraft im nicht konsumtiven Bereich binden.
In den Reihen von CDU und FDP gibt es viele, die
glauben, man könne den Euro zweimal ausgeben;
Haushaltspolitik machen wir nachher. – Nein, die
Menschen können jeden Euro aber nur einmal
ausgeben. Ein Euro, der in den Weiten des Energiemarktes verschwunden ist, kann eben nicht für
ein neues Auto, eine energiesparende Waschmaschine oder Kinderbekleidung ausgegeben werden, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von der SPD)
Die „Bild-Zeitung“ Düsseldorf vom 7. August diesen Jahres macht groß mit den Worten „JobAngst in NRW“ auf. In NRW haben in den vergangenen Wochen die Firmen SinnLeffers, Hertie und
Wehmeyer Insolvenz anmelden müssen. Dies
kann auch sicherlich nicht nur damit zu tun haben,
dass den Menschen bei steigenden Energiepreisen immer weniger Geld für Konsumausgaben
bleibt.
In dieser Situation kommt der Ministerpräsident
dieses Landes mit Empfehlungen zur Rezessionsangst: Die Bundesregierung möge ein neues
Rohstoffkonzept vorlegen und die Steuerberaterkosten endlich wieder absetzbar machen. – Die
Absetzbarkeit der Steuerberaterkosten ist etwas,
von der die Menschen, die sich in NRW Sorgen
um ihre Zukunft machen, wirklich etwas haben!
Das ist doch nicht wirklich eine Alternative für jeden Mann und jede Frau. Ich finde es unglaublich,
in einer solchen Situation solche Vorschläge zu
unterbreiten.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vom Ministerpräsidenten des Energielandes
Nummer eins erwarte ich, dass er den Menschen
echte Perspektiven aufzeigt. Insbesondere moderne Kraftwerkstechnologie und die erneuerbaren Energietechniken bieten diese Chancen, Kolleginnen und Kollegen. Windräder werden nicht
aus Wind gebaut, Biomassekraftwerke nicht aus
Gülle. Das ist modernster Maschinen- und Anlagenbau. Das sind Verbundstoffe und Aluminium.
Das sind Getriebetechnik und Rohrleitungsbau.
Wir reden hier von Branchen, die ein echtes
Pfund in NRW sind und es auch bleiben sollen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Ministerin
Christa Thoben: Zu welchem Thema sprechen Sie?)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Jeder, der weiß, wie viel Forschungs- und Entwicklungschancen in zahlreichen Techniken der
erneuerbaren Energien und der Kraftwerkstechnologie stecken, wie viele Produktionschancen dort
sind, der darf mit diesen Antworten aus NRW
nicht zufrieden sein. Wir sind der Standort für jede
dieser modernen Technologien. Wir laden ein,
hier zu investieren, hier zu entwickeln und hier zu
produzieren! – So, Herr Ministerpräsident, müsste
die glaubwürdige Botschaft eines Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen lauten.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Ich will nicht zusätzlich auf das widersinnige Eintreten für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken
eingehen. Das macht weder den Strom billiger,
noch schafft es Arbeitsplätze hier bei uns in Nordrhein-Westfalen.
Eine aktivierende Politik für erneuerbare Energien
hingegen würde Arbeitsplätze in NordrheinWestfalen schaffen können. Deswegen ist es umso bedauerlicher, dass Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern um
die Windkraft buhlen, Brandenburg, Sachsen und
viele andere Regionen um die Solarenergie.
Diese nordrhein-westfälische Landesregierung
betreibt durch ihr aktives Unterlassen von Wirtschaftspolitik den Aufbau Nord und den Aufbau
Ost, und zwar zulasten Nordrhein-Westfalens. Sie
sollten die Verantwortung tragen, die Sie von den
Bürgern übertragen bekommen haben. Werden
Sie ihr endlich gerecht. – Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Präsidentin Regina van Dinther: Für die CDUFraktion spricht der Kollege Peter Kaiser.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11475
glaube, den größeren Kater wird es geben, wenn
im nächsten Jahr die Abrechnung der Energieversorger eintrifft.
Die Entwicklung der Energiepreise in den zurückliegenden Monaten lässt schon erahnen, welche
Nachzahlungsforderungen auf jeden Haushalt im
Lande zukommen. Angesichts der Dramatik der
Situation verbietet sich jeder Kalauer, mit dem wir
uns in weniger bedrohlichen Lebenslagen Mut zusprechen.
Die steigenden Preise für Strom und Gas werden
jeden von uns treffen. Sie werden erschreckend
viele Menschen sogar an ihre ohnehin eng
gesteckten Grenzen bringen, sozial schwach gestellte Haushalte schlimmstenfalls in die Zahlungsunfähigkeit manövrieren. Hier gilt es, frühzeitig gegenzusteuern und flankierende Maßnahmen
zu ergreifen.
Vor zwei Wochen – ich sagte es bereits eingangs –
hat die CDU-Fraktion ihr Positionspapier zum
Verbraucherschutz vorgestellt. Darin fordern wir
transparente und verbraucherfreundliche Energiepreise. Aus Sicht der Verbraucherinnen und
Verbraucher ist dies eine im wahrsten Sinne des
Wortes existenzielle Frage.
Hier hat sich die CDU-Fraktion klar positioniert.
Verbraucherschutz begreifen wir als ganzheitlichen Ansatz, der die konkreten Probleme der
Menschen in ihrem Alltag aufgreift und mit Blick
darauf möglichst konkret formulierte politische Lösungsvorschläge entwickelt und umsetzt.
Wir sagen eines deutlich: Es sind in erster Linie
die großen Energieversorger, die nicht nur eine
Verantwortung für ihre im Moment goldgeränderten Bilanzen, sondern auch für ihre Kunden haben.
*)
Peter Kaiser (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte
ich einen herzlichen und ausdrücklichen Dank an
die Antragsteller aussprechen: Dass das Positionspapier der CDU-Landtagsfraktion „Sicherheit
für Nordrhein-Westfalen durch einen starken und
unabhängigen Verbraucherschutz“ heute so prominent auf die Tagesordnung gekommen ist, nenne ich fraktionsübergreifendes Handeln. Dafür zunächst einmal herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute in vier Monaten – das zeigt der Blick auf den Kalender – ist
das Weihnachtsfest gerade vorbei, und wir bereiten uns auf Silvester vor. Der Silvesterkater wird
am kommenden Silvester nicht so stark sein. Ich
(Beifall von der CDU)
Auch die großen Versorger werden auf Dauer ihre
Preisgestaltung nicht aus dem Bauch heraus machen können. Das greifen wir auf und sagen:
Denkt an eure Kunden – überdenkt eure Politik
des Stromabschaltens – und stellt euch freiwillig
der Aufgabe, kunden- und verbraucherfreundliche
progressive Stromtarife zu entwickeln.
Deshalb, Herr Kollege Priggen, ist es wohl richtig,
was Christian Weisbrich gesagt hat und was auch
in unserer Presseerklärung ausgeführt wird: Keine
staatliche Preisgestaltung, freiwillige Verbesserungen – das ist das, was wir wollen.
(Beifall von der CDU)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Viele Menschen empfinden die Stromabschaltung
als einen tiefen Einschnitt. Daher muss man einmal die Frage stellen, ob die Stromkonzerne bei
ausbleibender Zahlung eigentlich einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Kunden pflegen. Wer einmal, wenn auch nur für kurze Zeit,
ohne Strom gewesen ist – etwa, weil bei Straßenbauarbeiten ein Versorgungskabel durchtrennt
worden ist –, dem wird von einer Sekunde zur anderen ganz schmerzlich bewusst, in welch hohem
Maße unsere Lebensqualität von der zuverlässigen Energieversorgung abhängig ist, egal, ob Sie
auf den Schreck des ausbleibenden Stroms einen
Kaffee kochen, einen kleinen Imbiss zubereiten
oder ein eisgekühltes Getränk genießen wollen,
ganz zu schweigen von mit Strom bereitgestelltem
Licht, das unseren Alltag im besten Sinne des
Wortes erhellt.
Neben der kritischen Prüfung und dem Vergleich
von Angeboten der Energieversorger ist vor allem
das gezielte Energiesparen eine unverzichtbare
Möglichkeit, den Energieverbrauch zu senken und
so bares Geld zu sparen. Weil sicherlich nicht jeder von uns ein fachlich versierter Sparfuchs ist,
hält die CDU-Fraktion die gezielte Energieberatung bei privaten Haushalten, aber auch bei Unternehmen und Kommunen für notwendig, um
Einsparungen und Effizienzsteigerungen möglich
zu machen. Durch die daraus möglicherweise resultierenden Renovierungsmaßnahmen erhält das
örtliche Handwerk zudem die Chance, seine hohe
Qualifikation unter Beweis zu stellen.
Loben muss man auch die Informationskampagne
der Verbraucherzentralen zu den Möglichkeiten,
Stromanbieter zu wechseln, wie auch das Beratungsangebot der EnergieAgentur.NRW, um das
noch einmal klarzustellen.
Selbstverständlich wird die Fraktion die Situation
der Bezieher geringer und mittlerer Einkommen
nicht aus den Augen verlieren. Dazu sollten die
Stromanbieter neue Tarife entwickeln, die Stromsparen nicht durch eine hohe Grundgebühr bestrafen, sondern durch einen linearen und progressiven Verlauf begünstigen.
Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann keine Preise festsetzen. In einer sozialen Marktwirtschaft gelten die Regeln des Marktes. Für die
Preisgestaltung sind die Unternehmen verantwortlich. Mit unserem Positionspapier haben wir die
Verantwortlichkeit der Wirtschaft deutlich benannt
und uns deutlich für eine faire Tarifgestaltung
ausgesprochen.
Staatlich subventionierte Sozialtarife – das sagen
wir aufgrund der aktuellen bundespolitischen Dis-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11476
kussion – lehnt die CDU-Landtagsfraktion ausdrücklich ab. Stattdessen befürworten wir ganz
ausdrücklich den Wettbewerb unter den Energieversorgern, die durch gut informierte, Preisvergleiche anstellende Verbraucherinnen und
Verbraucher in ihrer Preisgestaltung beeinflusst
werden. Mehr Wettbewerb ist der beste Schutz
der Verbraucher, und nur gut informierte Verbraucher können in ihrem Haushalt mit einem überlegten Anbieterwechsel so gezielt sparen. – Vielen
Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Kaiser. – Für die FDP-Fraktion spricht nun
Herr Kollege Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Beitrag vom
Kollegen Priggen und auch von Herrn Leuchtenberg stellt sich für mich die Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen den sogenannten
Sozialtarifen und den Spartarifen? Der Hintergrund – bei beiden Definitionen steht dies sicherlich im Raum – ist letztendlich die Vorstellung,
dass der Staat vorgibt, welchen Bedarf der Bürger
hat.
Wenn jetzt gefordert wird, einen Spartarif für den
Energiebereich anzubieten, dann wäre es nur
konsequent, bei den Wasserpreisen zu fragen:
Wie viel Wasser benötigt der Bürger als Grundlast, wie viel Abwasser kann er weggeben? Demnach müssen wir an dieser Stelle also auch Spartarife einbringen. Wir müssten letztlich – sicherlich
etwas überzeichnet – fragen: Wie viel Benzin
muss der Bürger subventioniert oder ermäßigt bekommen, wenn er Pendler ist?
In diesem Ansatz, nach dem der Staat definiert,
welche Bedürfnisse der Bürger zu haben hat, dokumentiert sich Ihr Gedankengut. Er zielt ab auf
eine staatliche Preisgestaltung und ist von daher
nichts anderes als das Gedankengut der sozialistischen Planwirtschaft. Dabei dachte ich, dass
dieses Gedankengut nach dem ökonomisch begründeten Untergang der DDR nun wirklich hintanstehen würde. Aber nein, die Linken mit ihren
Tolerierungsangeboten Richtung SPD und Grüne
in Hessen machen sich genau dieses Gedankengut zu eigen. Deswegen ist es richtig, wenn Herr
Weisbrich und auch die Ministerin hier so deutlich
sagen, dass wir uns dem widersetzen. Das ist völlig klar.
(Beifall von der FDP – Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Sie haben nicht richtig zugehört! –
Zuruf von Reiner Priggen [GRÜNE])
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Zweiter Punkt. Machen wir uns doch nichts vor:
EEG, KWK, Ökosteuer, Mehrwertsteuererhöhung,
Emissionshandel – alles das wirkt preistreibend.
Zum Kollegen Priggen sage ich: Auch das EEG ist
vom Prinzip her ein sinnvolles Instrument
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ach! Auf einmal!)
– Frau Kollegin, wenn Sie früher einmal zugehört
hätten, wäre das etwas anderes gewesen –, ein
richtiges Instrument, aber unter der Voraussetzung: zeitlich begrenzt, gedeckelt und wesentlich
degressiver gestaltet.
Jetzt ist es aber so, dass wir mit dem Emissionshandel die preistreibenden Elemente EEG, KWK
und Ökosteuer eigentlich obsolet gemacht haben.
Ich stimme dem, was Sie gesagt haben, Kollege
Priggen, ja zu: Da wieder herauszukommen ist
wegen der Finanzierungsgeflechte schwierig. Aus
der Finanzierung der Ökosteuer, des EEG usw.
völlig auszusteigen ist schwierig. Damit wird sich
jeder schwertun. Aber jetzt noch die Einspeisevergütungen nach dem EEG zu erhöhen, ohne
Effizienzgesichtspunkte zu berücksichtigen, ist ein
Schritt in die falsche Richtung.
(Beifall von der FDP)
Meine Damen und Herren, ich kann eigentlich nur
sagen: Unter dem Deckmantel vorgeblich sozialer
Wohltaten feiert in diesem Antrag von Rot-Grün
wirklich Gedankengut von vorgestern, aus der
DDR fröhliche Urständ. Das kann nicht richtig
sein.
Das Motto, das dahintersteht und das wir überall
sehen, nämlich „Nehmt den Reichen, gebt den
Armen!“, hat noch nie die Lebenssituation der weniger begüterten Schichten verbessert. Noch nie
hat das etwas verbessert! Aber es ist ja so schön,
wie Sie eben, Frau Ministerin, zu sagen: Löhne
rauf, Preise runter! Das ist schön populistisch,
führt aber zu nichts.
Was setzen wir dem entgegen? Nur der informierte Bürger ist ein informierter Bürger.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der Sprecher
der Partei der Besserverdienenden!)
11477
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
langfristig orientierte Kalkulationssicherheit bis
2010 zu geben. Da leisten die gute Arbeit.
Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, Stand-bySchaltungen aufzugeben, damit man Geräte in
toto abschalten kann. Der Blaue Engel als Markenzeichen soll deutlich machen, dass es nicht
nur um Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit geht,
sondern auch um geringen Verbrauch. Da muss
ein Benchmarking eingeführt werden.
Wir müssen natürlich auch die Stromtarife wesentlich flexibler gestalten. Die Stromtarife wesentlich flexibler zu gestalten heißt: In den
verbrauchsarmen Zeiten soll es billiger sein. Dazu
läuft momentan ein interessanter Versuch in Mülheim: Zu verbrauchsschwachen Zeiten werden
die Strompreise niedriger. Diesen Versuch hat ein
großes Energieversorgungsunternehmen eingeleitet. Das ist eine vernünftige Sache. Davon verspreche ich mir eine ganze Menge. Ich will auch
nicht verhehlen, dass einzelne Stadtwerke hier
Vernünftiges geleistet haben.
Aber wichtig ist: Wir brauchen mehr Wettbewerb.
Nur dann können wir sicher sein, dass solche Gedanken aufgegriffen werden.
(Beifall von FDP und CDU)
Wir müssen für mehr Wettbewerb sorgen. Deswegen müssen wir den Anbieterwechsel erleichtern, denn das ist die erste Voraussetzung dafür.
Sie, Herr Leuchtenberg, habe es eben so dargestellt, als wäre es eine schlimme Sache, dass der
Verbraucher nun von A nach B gehen kann. Nein,
nein! Das kann nicht richtig sein.
Wehret diesen sozialistischen, gleichmacherischen Vorstellungen, ob Spartarif oder Sozialtarif!
Der Staat ist nicht aufgerufen, meinen Verbrauch
zu bestimmen. Andere müssen das bezahlen. Mit
fremder Leute Geld ist immer gut zu argumentieren. Dem widersetzen wir uns eindeutig. Nein zu
solchen Spartarifen! Das ist ein anderes Gedankengut, als wir es vertreten. – Danke schön.
(Beifall von FDP und CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Ellerbrock. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen spricht nun Herr Priggen.
Wir brauchen eine bessere Kennzeichnung. Die
muss wesentlich modifiziert werden. Es kann nicht
sein, dass heute praktisch auf allen Kühlschränken „Energieeffizienzklasse A“ steht. Das muss
alles nachgearbeitet und verbessert werden; das
ist völlig klar.
Reiner Priggen (GRÜNE): Lieber Kollege Ellerbrock,
Deswegen hat diese Koalition auch deutlich gemacht, den Verbraucherzentralen erstmalig eine
so ein hanebüchener Quatsch – um es einmal
ganz klar zu sagen –:
(Holger Ellerbrock [FDP]: Ja!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
sozialistisches Gedankengut aus der DDR, sozialistische Planwirtschaft! Der Anlass für diese Aktuelle Stunde ist eine Presseerklärung des CSUBundesverbraucherschutzministers Horst Seehofer.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das hat nichts mit DDR usw. zu tun. Es ist das
richtige Bemühen. Ich bin der Wirtschaftsministerin auch dankbar für den Hinweis, dass der Bundesminister prüfen lässt, ob § 39 des Energiewirtschaftsgesetzes einen Stromspartarif zulässt.
Darüber müssen wir in der Sache reden und nicht
über diesen ganzen Unfug.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich komme noch einmal zu dem Hintergrund, weil
Sie, Herr Ellerbrock, auch gesagt haben, Sie kennen den Unterschied zwischen Sozialtarifen und
Spartarifen nicht. Das mag sein; ich will es Ihnen
daher noch einmal erklären.
Die Diskussion ist ausgelöst worden durch in den
letzten Jahren stark gestiegene Energiepreise.
Die werden in vielen Bereichen Auswirkungen haben. Ein Sozialtarif, den auch wir ablehnen – um
das klar zu sagen –, würde notwendig machen,
dass sich jemand meldet und sagt: Ich bin bedürftig, ich brauche das, ich komme sonst nicht klar,
gebt mir das. – Das hat etwas Stigmatisierendes.
Deswegen sagen Caritas, SPD, Grüne und, soweit ich das verstanden habe, auch die CDUFraktion – da gibt es einen breiten Konsens –:
Keine Sozialtarife mit diesem Manko!
Der Stromspartarif hat eine andere Grundintention. Der Stromspartarif fragt danach: Haben wir
Strukturen, die jemanden bestrafen, der Energie
spart, und jemanden belohnen, der Energie verschwendet? – Und das ist so, denn die Grundgebühr beim Strom begünstigt hohen Verbrauch. In
der Regel ist es ja auch so, dass diejenigen, die
mehr verbrauchen, günstigere Tarife bekommen.
Deswegen ist der Vorstoß von Seehofer interessant. Der Kollege Kaiser hat es noch einmal gesagt, auch die Ministerin hat es zitiert: Der Grundgedanke – wenn ich das ernst nehme, was die
CDU-Landtagsfraktion beschlossen und verkündet hat – ist bei Ihnen ja sogar enthalten. Nur sagen Sie: Dazu sollten die Stromanbieter neue Tarife entwickeln. – Das ist quasi ein hilfloses Appellieren. Dazu sage ich: Es ist gut, dass der sozialistische Planungswirtschaftsminister Horst Seehofer
von der CSU in seinem Haus wenigstens prüfen
lässt, ob das geht.
11478
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Beifall von den GRÜNEN)
Das wäre das, was ich, ehrlich gesagt, auch erwarten würde:
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Hey! Hey!)
dass man guckt, ob wir mit den rechtlichen Instrumentarien in der Lage sind, eine Tarifstruktur
zu entwickeln, die den Unternehmen Freiheit lässt
und trotzdem einen sparsameren Verbrauch belohnt und Verschwendung bestraft. Das ist der
Grundgedanke.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)
Ich hätte erwartet, dass die Ministerin das auch in
ihrem Haus prüfen lässt, dass die CDU nicht nur
hilflos an E.ON und an RWE appelliert, sondern
vor dem richtig geschilderten Druck, der bei den
Menschen besteht, auch sagt: Wir sind gewählt
worden, um zu handeln. Und wir handeln, wir tun,
was wir können.
Dann können wir in einen Wettbewerb eintreten,
ob die Modelle richtig, gut oder besser sind. Das
ist in Ordnung. Aber es ist kabarettreif, wenn man
von Planwirtschaft, DDR und Ähnlichem redet.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Sylvia
Löhrmann [GRÜNE]: Schlechtes Kabarett!)
Besonders schlimm war es beim Kollegen Brockes zu der Frage, wie wir mit den sozialen Problemen umgehen. Die Ministerin hat richtigerweise
gesagt: Wir haben im Juni einen Antrag gestellt,
es wird eine Anhörung dazu geben. Es ist ja richtig und die Mühe wert, in den verschiedenen Bereichen zu schauen, was wir machen können, um
die Kosten aufzufangen. Wir werden die Folgen
noch lange diskutieren. Auch der Ministerpräsident ist in seiner Pressekonferenz darauf eingegangen. Insofern ist das die Mühe wert.
In einer Debatte über die Energiespartarife, die
von Horst Seehofer ausgelöst wurde, wird über
die EEG-Subventionen, über den Atomausstieg
und über die Abschaltung der Kohlekraftwerke
schwadroniert, die keiner gefordert hat. Die
Stromlücke ist das absurdeste Stück, denn wir
exportieren seit Jahren Strom in wachsender
Größenordnung. Gleichzeitig wird ein Gespenst
aufgebaut. Das alles hat mit der Frage nichts zu
tun.
Für mich geht es darum, ob wir bei steigenden
Preisen und mit Blick auf die sozialen Probleme,
die sie hervorrufen, und bei unserem eigentlich
konsensualen Grundgedanken, bei gleichem Maß
an Lebensqualität weniger Energie zu verbrauchen, in der Lage sind, ohne in die Autonomie der
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Firmen für ihren Preis einzugreifen, eine Tarifstruktur herzustellen, die es ermöglicht, Energiesparen zu belohnen und Energieverschwendung
stärker zu belasten. Geht das innerhalb dieses
marktwirtschaftlichen Systems?
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich bin froh, dass die CSU zumindest bereit ist,
das in Regierungsverantwortung zu prüfen. Ich
fand es gut, dass sich die CDU positiv dazu geäußert hat; die Handlungen sind aber sehr mau.
Das ist der Widerspruch zwischen dem, was man
beim Jubiläum der Verbraucherzentrale erzählt,
und dem, was man in der Regierungsverantwortung tut.
(Widerspruch von Minister Eckhard Uhlenberg)
Ob das die gelbe Bremse an Ihrer Seite ist und ob
Sie mehr tun würden, wenn Sie könnten, kann ich
nicht beurteilen. Jedenfalls ist es so zu wenig. –
Herzlichen Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Priggen. – Als nächster Redner hat
der fraktionslose Kollege Sagel das Wort. Bitte
schön, Herr Sagel.
*)
Rüdiger Sagel (fraktionslos): Sehr geehrte Damen und Herren! Am besten wäre es, CDU und
FDP abzuschalten, wie es in Hessen passieren
soll.
(Lachen von Peter Brakelmann [CDU] – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Die Aktuelle Stunde von SPD und Grünen ist zwar
gut gemeint, geht aber an den tatsächlichen Problemen vorbei.
(Zuruf von Ministerin Christa Thoben)
Wir brauchen – das sagt Die Linke – endlich eine
andere Energiepolitik, eine Rekommunalisierung
und damit eine Demokratisierung und Vergesellschaftung der Energiekonzerne.
(Lachen von der CDU – Zuruf von Christian
Weisbrich [CDU])
– Hören Sie genau zu, Herr Weisbrich! Selbst die
EU will jetzt die Stromkartelle zerschlagen, wie
man gestern in der Zeitung lesen konnte. Zum
Stichwort DDR, das eben genannt wurde: Die EU
ist da schon ein deutliches Stück weiter.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
11479
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Herr Priggen hat eben einige Ausführungen zu
Ihrem Minister Seehofer in Berlin gemacht. Macht
Die Linke aber derartige Vorschläge, sieht man
bei CDU und CSU die Welt untergehen und erlebt
eine ungeheure Aufregung. Doch die Abzocker
der vier Besatzer in Deutschland, der vier großen
Energiekonzerne mit ihren Gebietsmonopolen,
erhöhen die Preise, wie sie wollen. Da kommt
man mit den bisher gemachten Vorschlägen nicht
sehr weit.
Ein günstiger Basistarif pro Kopf kann ein erster
Schritt sein – mehr nicht! Die Politik muss umgekehrt werden. Es kann nicht sein, dass, wer viel
Strom verbraucht, wenig, und wer wenig Strom
verbraucht, viel mehr für die Kilowattstunde bezahlt. Das ist Betrug.
Wir leben in einer ökologischen Klassengesellschaft. Dazu hat auch die Hartz-Politik massiv
beigetragen. Alle – von CDU über SPD bis hin zu
den Grünen – haben sich nicht davon distanziert.
Diese Menschen bekommen nicht die tatsächlichen Energiekosten ersetzt, sondern erhalten
Pauschalen, die vorne und hinten nicht reichen.
Vorschläge wie von Herrn Sarrazin von der SPD
in Berlin, ein paar Pullover mehr anzuziehen, sind
Zynismus pur. Wer kann es sich leisten, Strom zu
sparen oder die Wohnung zu sanieren, wenn man
kaum genug Geld zum Leben hat?
Auch SPD und Grüne produzieren Wolkenkuckucksheime. Sie hätten sich die Probleme der
Empfänger/-innen von Arbeitslosengeld II im
Landtag anhören können, wenn Sie mir dieses
Hearing nicht verboten hätten. Da waren Sie alle
in einem Boot.
Auch Normalverdiener haben immer mehr Probleme mit den Energiekosten. Ihre Vorschläge sollen lediglich beruhigen und sind Augenwischerei.
Sie nehmen diese Probleme nicht wirklich ernst,
sondern fürchten nur um die Stimmen von Wählerinnen und Wählern. Das ist Ihre einzige Sorge.
Wenn Herr Leuchtenberg von der SPD von einem
Grundverständnis in der Energiepolitik zwischen
SPD und Grünen redet, kann ich nur sagen: Wo
ist denn dieses Grundverständnis bei der Kohlepolitik? In Hamburg gibt es unter Schwarz-Grün
Jagdszenen in Moorburg. Das konnte man so in
der Zeitung lesen. Das ist die Realität; das ist die
Politik, die hier gemacht wird. Von einem Konsens
in dieser Frage kann ich bei SPD und Grünen überhaupt nichts erkennen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Sagel. – Als nächster Redner hat für
Landtag
Nordrhein-Westfalen
die Landesregierung Herr Minister Uhlenberg das
Wort. Bitte schön, Herr Minister.
Eckhard Uhlenberg, Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich sehr, dass Frau Kollegin Thoben bereits deutlich gemacht hat, was Bundesverbraucherminister Seehofer gegenüber der
Presse gesagt hat. Seine Bereitschaft zur Prüfung
eines Vorschlags wurde von Ihnen bei der Beantragung der Aktuellen Stunde plötzlich in eine Zustimmung zu Stromspartarifen umgewandelt.
Herr Abgeordneter Priggen, noch einmal zur Klarstellung:
(Lachen von Reiner Priggen [GRÜNE])
Im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist keine Entscheidung über eine gesetzlich vorgeschriebene flächendeckende Einführung von Stromspartarifen
getroffen worden. Vielmehr beabsichtigt das Bundesministerium, ein Gutachten zu der genannten
Problematik zu vergeben, um sich kurzfristig wissenschaftlichen Rat einzuholen. Auch ich bin sehr
gespannt auf die Ergebnisse dieser Bewertung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, persönlich bin
ich davon überzeugt, dass die Bedeutung und
Wirkung von Stromspartarifen in der aktuellen
Diskussion über die steigenden Energiepreise überbewertet wird. Lassen Sie mich das an einem
konkreten Vorschlag der Verbraucherzentrale erläutern.
Die Verbraucherzentrale hatte vor einigen Wochen ein Modell für einen Stromspartarif vorgelegt. Danach soll jeder Haushalt pro Person
250 Kilowattstunden Strom pro Jahr kostenlos erhalten. Darüber hinausgehende Mengen sollen
25 Cent pro Kilowattstunde kosten.
Das Problem besteht schon darin, dass die Freimenge Strom nur für Personen mit erstem Wohnsitz gewährt werden soll. Zudem fürchte ich einen
großen bürokratischen Aufwand für die Unternehmen und die Meldeämter. Ganz unabhängig
davon bin ich aber der festen Überzeugung, dass
sich dieser Aufwand auch nicht lohnen würde. Die
Verbraucherzentrale hat berechnet, dass ein
Dreipersonenhaushalt mit ihrem Stromspartarif im
Vergleich zur Grundversorgung 7,4 % der Stromkosten einsparen würde. Diese Einsparung können Verbraucher aber auch erzielen, wenn sie
den Wettbewerb nutzen und den Versorger wechseln. Dann sind für einen Haushalt sogar erheblich höhere Einsparungen möglich.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11480
Deshalb frage ich die Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition: Warum sollen die Menschen
bei ihrem Stromversorger um 250 kostenlose Kilowattstunden bitten, wenn sie die gleiche Ersparnis oder sogar noch deutlich mehr durch einen
problemlosen Wechsel des Versorgungsunternehmens erzielen können?
(Beifall von der CDU)
Wenn wir etwas für die Kunden erreichen wollen,
sollten wir noch mehr über die Möglichkeit des
Wettbewerbs auf dem Strommarkt informieren.
(Beifall von CDU und FDP)
Wir brauchen keine bürokratischen Tarife, sondern, meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir brauchen gut informierte Verbraucher, die die
Preise vergleichen und Preisdruck auf die Unternehmen ausüben.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Sie schaffen ja
die ganzen Beratungsstellen ab!)
Damit lässt sich Geld sparen. Deshalb werde ich
mich dafür einsetzen, dass auch auf Bundesebene – denn die steigenden Energiepreise sind ein
bundesweites Problem – weitere Maßnahmen zur
Information der Verbraucherinnen und Verbraucher ermöglicht werden.
Ich würde mich freuen, wenn die Wechselkampagne, die der Bundesverband der Verbraucherzentralen im vergangenen Jahr durchgeführt hat,
fortgesetzt würde; denn mehr Wettbewerb ist der
beste Schutz der Verbraucher.
Lassen Sie mich darüber hinaus auf Folgendes
hinweisen: Sie wissen so gut wie ich, dass finanzielle Einsparungen in der von der Verbraucherzentrale vorgerechneten Größenordnung auch gut
durch Stromsparen erzielt werden können. Die
Deutsche Energie-Agentur zum Beispiel hat kürzlich erneut darauf hingewiesen, dass allein durch
das konsequente Abschalten der Geräte und den
Verzicht auf unsinnige Stand-by-Schaltungen in
einem normalen Haushalt mehr als 70 € Stromkosten pro Jahr gespart werden können.
(Zuruf von Rüdiger Sagel [fraktionslos])
Wir müssen deshalb die Information und Beratung
der Verbraucher durch unabhängige Einrichtungen wie die Verbraucherzentralen auf hohem Niveau fortsetzen.
Das gilt aber nicht nur für Strom, sondern vor allem auch für die energetische Gebäudesanierung;
denn die Stromkosten machen nur einen geringen
Anteil der Energierechnung der privaten Haushalte aus. Zwei Drittel der Energiekosten betreffen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
die Heizenergie. Deshalb müssen und werden wir
auf die Energieeinsparung beim Heizen ganz besonders Wert legen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Umweltminister würde ich es darüber hinaus sehr begrüßen, wenn die Stromversorger ihre Tarife linear
gestalten würden. Das bedeutet, dass die Grundpreise, die die Unternehmen erheben, in den Arbeitspreis, also in den Preis pro verbrauchte Kilowattstunde, eingerechnet werden. Auch dadurch
könnte der Anreiz zum Stromsparen erhöht werden, ohne dass neue Gesetze, komplizierte Verfahren oder gar die Vorlage von Meldebescheinigungen erforderlich wären. – Ich bedanke mich für
Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Meine sehr verehrten Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, als
nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der
Kollege Stinka das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Mutter hat mir
das Sprichwort beigebracht „Reisen bildet“. Als
ich heute Morgen Herrn Brockes hörte, habe ich
mich gefragt, ob wir letzte Woche gemeinsam mit
dem Wirtschaftsausschuss Deutschland besucht
haben oder nicht. Aber gut!
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
– Herr Brockes, schreien ersetzt keine Argumente. Und „Argument“ ist das Wort, das meine Rede
einleitet. Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr Argumentationsmuster, wenn wir heute über Stromspartarife sprechen, das Gleiche ist, das wir hier
immer gebetsmühlenartig hören. Es passt nicht in
Ihr Weltbild. Sie wollen es nicht hören und den
Menschen dann auch noch weismachen, die hohen Energiepreise hätten etwas mit der üppigen
Förderung der erneuerbaren Energien zu tun.
Ich komme aus dem Kreis Coesfeld im Münsterland. Wer dort von den üppigen Subventionen
profitiert, gehört nicht zu unserer Wählerklientel,
Herr Brockes. Es sind vielmehr große Landwirte,
die wissen, wo Zukunftsmärkte sind und wo zukünftig investiert werden kann. Schauen Sie sich
das einmal an.
Sie wollen den Menschen weismachen, dass die
Laufzeitverlängerung und die Atomkraftwerke dazu beitragen, die Energiepreise langfristig zu sta-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11481
bilisieren. Sie blenden den Blick nach Finnland
völlig aus. Dort können Atomkraftwerke nur mit
subventionierten Krediten gebaut werden. Gleiches gilt für Cattenom, wo der dritte, vierte oder
sogar fünfte Zwischenfall die Bevölkerung stark
beunruhigt. Ihre Ausführungen haben mit den
Menschen in NRW überhaupt nichts zu tun.
Fakt zur Umlage ist, dass der Anteil für die erneuerbaren Energien am Strompreis 1 Cent beträgt.
Wenn wir bei Familien 3.500 Kilowattstunden annehmen, dann sind das 3 € pro Monat für erneuerbare Energien – die faktisch in die Arbeitsplätze
umgesetzt werden, die Sie letzte Woche gesehen
haben, Herr Brockes.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Diese 3 €, Kolleginnen und Kollegen, sind gut angelegtes Geld, sichern 250.000 Menschen Arbeit
und Brot, sodass sie eben nicht in Sozialtarife fallen können, und haben zu einer boomenden
Branche in Deutschland geführt, in der wir Exportweltmeister sind.
(Beifall von der SPD)
Ihr ständiger Versuch, Klimaschutz, Arbeitsplätze
und Energiekosten gegeneinander auszuspielen,
ist in Zeiten explodierender Preise für Gas und Öl
gescheitert. Nehmen Sie das zur Kenntnis! Es ist
ein Gebot ökologischer und wirtschaftlicher Vernunft, auf heimische Energie – Herr Leuchtenberg
hat das ausgeführt – und Klimaschutztechniken
aus Nordrhein-Westfalen zu setzen.
Das EEG der Bundesregierung – eingeführt unter
der rot-grünen Bundesregierung – ist ein Erfolgsmodell. Sonst hätten sich wohl kaum 19 europäische Länder für dieses Modell entschieden. Nur
fünf Länder haben sich für ein Quotenmodell entschieden, das weder in England noch in anderen
Ländern zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien geführt, aber den Strompreis dort erhöht
hat.
Die Einspeisevergütung für den Windstrom ist bei
uns in der Spitzenlast inzwischen deutlich niedriger als der Strom aus herkömmlichen Anlagen.
Das konnten wir letzte Woche hören. Sie hätten
mitschreiben sollen, dann wäre die Diskussion
heute sinnvoller gewesen.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seiner degressiven Abschreibung ermöglicht zukunftsfähige
Arbeitsplätze und zukunftsfähige Energiekosten
und – wir waren im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Herr Brockes – leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Für die SPD steht fest: Wir müssen die Menschen
dabei unterstützen, weniger Energie zu verbrauchen. Herr Weisbrich, wer von mehr Aufklärung
spricht, aber gleichzeitig die Mittel für die
Verbraucherzentralen kürzt, redet erneut an den
Menschen vorbei.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Wer behauptet, erkannt zu haben, dass die Menschen gerade bei der Deckung des Wärmebedarfs ein Problem hätten, auf Bundesebene beim
Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz aber gerade
die Altbausanierung blockiert – Gruß an Herrn
Glos! –, der muss sich fragen, ob er die Sorgen
der Menschen in Bezug auf die Wärme wirklich
ernst nimmt.
(Beifall von der SPD)
Soweit erforderlich, Kolleginnen und Kollegen,
müssen Sozialtarife flankierend eingreifen. Dazu
hat Minister Gabriel besonders die Energieversorger in die Verantwortung genommen. Ich sage es
zum letzten Mal: Heimische Energieträger sind die
beste Versicherung gegen stark steigende Energiepreise. Nebenher kommt es sogar noch zu einer Wertschöpfung in unserem Land.
Wir alle haben gelernt, dass ein freier Markt und
die Ideologie „Privat vor Staat“ die Probleme nicht
verkleinern, sondern vergrößern. Die Grundlage
der sozialen Marktwirtschaft ist, dass der Staat
Leitplanken aufstellt, damit die Menschen eben
nicht abrutschen. Man muss deutlich sagen:
Wenn Menschen in Not sind, wenn sie Schwierigkeiten haben, muss der Staat sich darum kümmern. Dieses Verständnis haben Sozialdemokraten vom Staat und seinen Aufgaben. Auch wenn
Sie das nicht teilen, müssen Sie es doch zur
Kenntnis nehmen.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian
Weisbrich [CDU])
Wir müssen die Anstrengungen gemeinsam
schultern. Lassen Sie uns gerade die Argumente
altmodischer Atomdebatten nicht als zukunftsfähig
hinstellen. – Schönen Dank.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Stinka. – Als nächster Redner hat für
die Fraktion der CDU der Kollege Weisbrich das
Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Christian Weisbrich (CDU): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur kurz
11482
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
auf ein paar Bemerkungen eingehen, die in dieser
Debatte gemacht worden sind.
Herr Eiskirch, Sie sagen, wir würden ständig die
steigenden Preise bedauern, aber nicht politisch
handeln. Sie haben wohl nicht ganz richtig zugehört, denn ich hatte Ihnen gesagt: Der Preisanstieg kann für die Bezieher von niedrigen Einkommen nicht durch die Energiepolitik eliminiert
werden. Das ist die Aufgabe der Sozialpolitik. Dafür habe ich Ihnen auch ein paar Beispiele genannt.
Unser festes Kredo lautet ganz klar: In der Energiepolitik müssen wir uns ordnungspolitisch,
marktwirtschaftlich sauber verhalten. Entstehende
Schwierigkeiten können und müssen wir über die
Sozialpolitik ausgleichen. Wir dürfen aber nicht
die Fachpolitik verhunzen.
Die Stromspartarife, über die Sie reden, sind im
Wesentlichen darauf ausgerichtet, das Energiesparen anzuregen. In der Spitze wird es aber für
viele teurer. Herr Kollege Priggen, das ist so, als
wenn Sie diejenigen mit höheren Preisen belasten
würden, die sich kaum noch Lebensmittel leisten
können, damit sie noch weniger essen. In Zeiten
steigender Preise ist das nicht der richtige Weg.
Es wird sowieso gespart. Jeder, der viel Energie
verbraucht, müsste bekloppt sein, bei steigenden
Preisen nicht zu versuchen, weniger zu verbrauchen. Dafür braucht man keine zusätzliche Preissteigerung.
Zur grundlegenden Krux, die ich vorhin angeführt
hatte, was nämlich in den Jahren von 1998 bis
2004 zusätzlich auf die Verbraucher draufgepackt
worden ist, haben Sie nichts gesagt.
(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])
Von 2,3 Milliarden € an staatlichen Lasten sind die
Belastungen durch Ihre segensreiche Tätigkeit in
der rot-grünen Regierungskoalition um 9,5 Milliarden € auf 11,8 Milliarden € angestiegen. Dieses
Geld haben Sie den Bürgern – für welchen Zweck
auch immer – aus der Tasche gezogen; das muss
man ganz klar sagen.
(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])
Dieses Geld haben Sie von den Bürgern im Energiesektor eingesammelt.
Mich ärgert noch ein Punkt. Sie haben gesagt, ab
2005 seien die Preise richtig explodiert. Das ist im
Prinzip richtig: Die Preise, speziell die Großhandelspreise, sind 2005 stark angestiegen. Das hat
aber zum einen damit zu tun, dass die Preise für
Primärenergieträger weltweit dramatisch gestiegen sind, und zum anderen damit – an dieser
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Stelle gibt es wahrscheinlich einen Konsens zwischen uns –, dass die großen Energieerzeuger
die Zertifikatpreise in den Großhandelspreis eingepreist und damit Windfallprofits erzielt haben.
Wir sind wahrscheinlich alle einer Meinung, dass
Windfallprofits an dieser Stelle nicht in Ordnung
sind und in Zukunft abgestellt werden müssen.
Der Preisanstieg war aber wiederum staatlich induziert, weil wir mit dem Zertifikathandel überhaupt erst die Vorlage geliefert haben.
Herr Eiskirch und Herr Stinka, lassen Sie mich
noch eine Bemerkung zur Diskussion über die
längeren Laufzeiten und erneuerbaren Energien
machen. Vielleicht können Sie dem einfachen
Dreisatz folgen: Derzeit erzeugt die Kernenergie –
Herr Priggen, korrigieren Sie mich – ungefähr
140 Terawattstunden, die ins Netz gehen und
zum Preis von 3 Cent produziert werden. Wenn
man das durch erneuerbare Energien ersetzen
würde, wäre das bei einer Durchschnittsvergütung
von 15 Cent das Fünffache, bei einer Durchschnittsvergütung von 20 Cent – man kann sich
streiten, welche man ansetzt – das Sechsfache
des Preises für 30 % des Stroms.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Das heißt im Klartext: Wenn wir die laufzeitverlängerte Kernkraft durch erneuerbare Energien
ersetzen, kommen wir insgesamt auf einen
Strompreis, der bei 210 % bzw. 250 % des ursprünglichen Preises liegt. Das ist relativ einfach
nachzurechnen. Bei einem Ersatz der Kernkraft
durch erneuerbare Energien würden Sie sämtliche
Strompreise in Deutschland mindestens verdoppeln.
(Beifall von CDU und FDP)
Das muss man den Bürgern auch sagen, wenn
man eine Brückentechnologie für eine Übergangszeit, in der die Technologien für die erneuerbaren Energien noch nicht so leistungsfähig
sind, am Leben erhält.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Kollege Priggen, Sie haben sich sehr damit aufgehalten, dass wir von Sozialtarifen gesprochen
haben, während Sie in Ihrem Antrag von Stromspartarifen sprechen. Das haben Sie sich selbst
zuzuschreiben, denn im Juni hatten Sie den Antrag
„Soziale Folgen explodierender Energiepreise –
Politik muss reagieren“ gestellt, in dem Sie selbst
abwechselnd von Sozialtarifen und Spartarifen
schreiben. Nehmen Sie es uns also nicht übel,
dass wir einen dieser Begriffe ausgewählt haben.
Wir wissen beide, was gemeint ist. Was Sie propa-
11483
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
gieren, hilft den Bürgern im Grunde genommen
nicht. – Schönen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Weisbrich. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos] weist auf seine
Wortmeldung hin.)
– Es liegt mir noch eine Wortmeldung des Kollegen Sagel vor. Allerdings können Redezeiten in
Aktuellen Stunden nicht angerechnet werden.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Ich habe noch
25 Sekunden!)
– Aber nur deshalb, weil eine Fraktion ihre Redezeit in der Aktuellen Stunde nicht in Gänze in Anspruch genommen hat. In Aktuellen Stunden ist
sie nicht im Kontingent und kann nicht abgerufen
werden. Für Aktuelle Stunden haben wir gesonderte Regeln, auf die ich an dieser Stelle hinweisen möchte.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Das wird ja
immer lustiger hier!)
Anders verhält es sich an der Stelle bei der Fraktion der SPD. Die hat noch einen Redner in ihrem
Kontingent. Deswegen hat jetzt der Kollege Stinka
für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön,
Herr Kollege.
André Stinka (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Präsidentin! Herr
Weisbrich, nur eine Frage, die wir hier ganz klar
erläutern sollten: Sie führten vorhin aus, dass in
der Kernkraftproduktion eine Kilowattstunde
Strom 3 Cent kostet. Was macht Sie – auch vor
dem Hintergrund eines hohen Atomstromanteils in
Baden-Württemberg und eines ganz hohen
Strompreises in Baden-Württemberg – eigentlich
so sicher, dass die Atomindustrie diesen Gewinn
an die Bevölkerung weitergibt? Das könnte sie
heute schon tun. Das ist ja die Frage, die Sie hier
schuldig geblieben sind.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Stinka. – Weitere Wortmeldungen
sehe ich nicht. Damit ist die Aktuelle Stunde zu
schließen.
Ich rufe nun auf Tagesordnungspunkt
Landtag
Nordrhein-Westfalen
2
Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen
für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7000
In Verbindung mit:
Finanzplanung 2008 bis 2012 mit Finanzbericht 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen
Drucksache 14/7001
Sowie:
Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des
Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2009
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7002
erste Lesung
Ich eröffne die Beratung und gebe zur Einbringung der Gesetzentwürfe zunächst dem Finanzminister Dr. Linssen das Wort.
Dr. Helmut Linssen, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn eine Landesregierung innerhalb von nur drei Jahren die
Nettoneuverschuldung um fast 75 % verringert
hat, den dramatischen Unterrichtsausfall in unseren Schulen annähernd halbieren konnte,
(Lachen von der SPD)
die Betreuungsquote für unter Dreijährige von
2,8 % auf 13,6 % gesteigert hat
(Beifall von CDU und FDP – Weitere Zurufe
von der SPD – Glocke)
und sich gleichzeitig auf die dauerhafte und strukturelle Konsolidierung des Landeshaushalts konzentriert, dann kann ich als Finanzminister zuversichtlich an dieses Pult treten, um den Landeshaushalt 2009 in den Landtag einzubringen.
(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von der
SPD)
Mit dem Landeshaushalt für 2009 setzt die Landesregierung ihre erfolgreiche Politik der richtigen
Schwerpunkte im nächsten Jahr fort. Dass unser
Weg richtig ist, zeigen uns die Ergebnisse. Der
11484
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Erfolg gibt uns Recht. Wir werden auch die bevorstehenden Herausforderungen meistern.
Wir konsolidieren den Gesamthaushalt, um unser
Land fit für die Zukunft zu machen. Wir investieren
in die Schwerpunkte Kinder, Jugend und Bildung,
damit jeder einzelne gute Chancen für die Zukunft
bekommt.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Was?)
Wir sorgen dafür, dass Nordrhein-Westfalen ein
Land der neuen Chancen ist. Das wird sich positiv
auszahlen.
(Beifall von CDU und FDP)
Meine Damen und Herren, unsere Politik setzt
nicht auf Effekthascherei oder das kurzfristige
Verkünden froher Botschaften.
(Zuruf von der SPD: Nur darauf!)
Die nachhaltige Konsolidierung, die Reduzierung
der Schulden bleiben das finanzpolitische Kernziel
dieser Landesregierung.
(Zuruf von der SPD: Fernziel!)
Wir schaffen Schritt für Schritt dauerhaft solide
Staatsfinanzen. Dass man dabei nicht alles auf
einmal erledigen kann, versteht sich von selbst.
Angesichts des schweren Erbes, das wir 2005
von Rot-Grün
(Svenja Schulze [SPD]: Oh!)
übernommen haben, ist es vielmehr bemerkenswert, wie weit wir heute schon gekommen sind.
(Beifall von der CDU – Widerspruch von der
SPD)
Der Politikwechsel vor drei Jahren hat unserem
Land gutgetan. Die Erfolge unserer Arbeit sind für
jeden bereits sichtbar und spiegeln sich auch im
Landeshaushalt für 2009 wider.
(Zuruf von der SPD: Oh, ja!)
Jeder Landeshaushalt muss im Zusammenhang
mit der Wirtschaftsentwicklung gesehen werden.
Die Entwicklung der Staatsfinanzen ist untrennbar
mit der Konjunkturentwicklung verknüpft.
Niemand kann bestreiten, dass uns der Mitte
2005 einsetzende konjunkturelle Aufschwung geholfen hat. Er hat sich 2007 fortgesetzt. Das nordrhein-westfälische Bruttoinlandsprodukt hatte um
2,6 % zugelegt und liegt damit knapp über der gesamtdeutschen Entwicklung.
Die Wachstumsdynamik hat aber zum Jahresende 2007 nachgelassen. Die Bundesregierung geht
davon aus, dass trotz des Einbruchs im zweiten
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Quartal 2008 der Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts 2008 bei 1,7 % liegen wird. Auch
für 2009 bleibt es nach Ansicht der Bundesregierung und führender Wirtschaftsforscher bei einem
stabilen – wenn auch geringeren – Wachstum.
Ich neige weder zu Pessimismus noch zu
Schwarzmalerei, aber Risiken für die Konjunktur
sind für jeden erkennbar.
(Zuruf von der SPD)
Darauf reagieren wir mit dem Landeshaushalt
2009 so, wie es seit 2005 gute und erfolgreiche
Praxis in Nordrhein-Westfalen ist: mit Vorsicht.
Die positive Wirtschaftsentwicklung der letzten
Jahre hat sich auch in den Steuereinnahmen niedergeschlagen. So sind für das laufende Jahr
2008 Steuereinnahmen von 41,6 Milliarden € veranschlagt. Das sind 6,9 Milliarden € mehr, als das
Land 2005 eingenommen hat. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, vor allem, wenn man auf die
Entwicklung der Nettoneuverschuldung schaut.
Sie ist im gleichen Zeitraum um fast
4,9 Milliarden € gesunken.
Berücksichtigt man, dass für den kommunalen
Steuerverbund 2008 rund 1,4 Milliarden € mehr
als 2005 zur Verfügung gestellt werden, bedeutet
das: Fast 90 % der für das Land disponiblen
Steuermehreinnahmen sind in die Reduzierung
der Nettoneuverschuldung geflossen.
(Beifall von der CDU)
Das ist eine beachtliche Konsolidierungsleistung;
sie ist beispiellos.
(Gisela Walsken [SPD]: Och!)
Sie ist nur deshalb gelungen, weil der Steueransatz im Haushaltsplan immer vorsichtig war und
weil wir der Versuchung widerstanden haben,
Mehreinnahmen bloß zu konsumieren. So haben
es nämlich Rot und Rot-Grün in der Vergangenheit regelmäßig praktiziert.
(Beifall von der CDU – Wolfgang Jörg [SPD]:
Wo sind eigentlich Ihre Leute? Es ist gar keiner da! – Unruhe)
Zwei Beispiele dafür:
Erstens. Zwischen 1990 und 1995 gab es Steuermehreinnahmen von fast 6,3 Milliarden €. Davon wurden 0 € zur Absenkung der Nettoneuverschuldung eingesetzt. Stattdessen ist die Neuverschuldung
(Fortgesetzt Unruhe – Glocke)
11485
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
um 877 Millionen € auf 3,1 Milliarden € angestiegen.
Zweitens. Zwischen 1995 und 2000 betrugen die
Steuermehreinnahmen rund 4,4 Milliarden €. Davon wurde zur Reduzierung der Nettoneuverschuldung wiederum kein einziger Euro eingesetzt. Stattdessen ist die Neuverschuldung von
3,1 Milliarden € im Jahr 1995 auf über 3,5 Milliarden € im Jahr 2000 angestiegen. Schauen Sie
sich Ihre Koalitionsvereinbarung von 1995 an!
Darin stand, dass Sie 2000 0 € Verschuldung machen wollten. So haben Sie hier regiert.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Haben Sie Fakten
zu den Steuermehreinnahmen?)
Das ist rote und rot-grüne Verschuldungspolitik.
Das sind Ihre Verschuldungsorgien, die Sie gefeiert haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Im Haushaltsentwurf für 2009 sind Steuereinnahmen in Höhe von 43,3 Milliarden € veranschlagt.
Das ist ein Anstieg um 1,69 Milliarden € gegenüber dem zweiten Nachtragshaushalt 2008. Die
Ansätze sind dabei realistisch kalkuliert. Diese
Vorsicht hat sich in den letzten Jahren bewährt. In
dem Ansatz sind im Übrigen die zu erwartenden
Mindereinnahmen aus der Unternehmensteuerreform enthalten.
Insgesamt rechnen wir auch über den Haushalt
2009 hinaus bis 2012 – im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung – mit kontinuierlich steigenden Steuereinnahmen. Sie werden aber im Vergleich zu den letzten Jahren moderat ansteigen.
Prognostiziert ist ein Anstieg von 43,3 Milliarden €
in 2009 auf 48,9 Milliarden € in 2012. Das entspricht einer durchschnittlichen Steigerungsrate
von 4,1 % pro Jahr. Dabei orientieren wir uns an
den Ergebnissen der aktuellen Steuerschätzung
von Mai 2008.
Meine Damen und Herren, diese Prognosen der
mittelfristigen Finanzplanung dürfen aber den
Blick auf eines nicht verstellen: In den nächsten
Dekaden kommt eine erhebliche Herausforderung
auf uns zu: der demografische Wandel. Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung werden uns in
Deutschland und in Nordrhein-Westfalen in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten zwangsläufig
beschäftigen. Wir werden die gesellschaftliche
Veränderung in allen Politikfeldern zu spüren bekommen. Der demografische Wandel ist ein langfristiger gesellschaftlicher Veränderungsprozess,
der sich nicht kurzfristig aufhalten lässt. Weniger,
bunter, älter, so hat es ein Demografieforscher
Landtag
Nordrhein-Westfalen
kurz und prägnant auf den Punkt gebracht, wie
sich unsere Gesellschaft entwickeln wird.
Nach den Prognosen kann das für die Bundesrepublik insgesamt bedeuten, dass bis 2050 quasi
jährlich eine Großstadt von rund 200.000 Menschen verschwindet. Stellen Sie sich das vor:
Mülheim, Leverkusen, Paderborn – das sind die
Größenordnungen, mit denen man rechnen kann.
Prognosen für Nordrhein-Westfalen rechnen für
2040 mit nur noch 16 statt 18 Millionen Einwohnern.
Die demografische Veränderung hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Haushalts- und Finanzpolitik. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen.
Haushalterisch werden wir bei den Einnahmen
insbesondere zu spüren bekommen, dass die
Zahl der Erwerbstätigen dramatisch sinken wird.
Gleichzeitig steigt die Zahl der zu Versorgenden
deutlich. Das dürfte Auswirkungen auf das Gesamtsteueraufkommen in Deutschland haben. Alle bekannten Simulationen gehen davon aus,
dass die Steuereinnahmen nach 2020 deutlich
langsamer zunehmen werden.
Eine Gesellschaft, die schrumpft und gleichzeitig
immer älter wird, muss zwangsläufig mit steigenden Sozialausgaben rechnen. Die dadurch bedingten Mehrausgaben treffen zwar zunächst den
Bund und nicht die Länder, aber die sozialsystembedingte Steigerung der impliziten Staatsverschuldung beim Bund wird sicherlich auch auf die
Landeshaushalte durchschlagen. Dafür wird
schon die bekanntermaßen kreative Bundespolitik
sorgen.
Die Länder müssen sich aber auch auf erhebliche
Mehrbelastungen für die Versorgung ihres Personals einstellen. Sie sind durch die Personalpolitik
der Vergangenheit bestimmt. Einfluss darauf kann
die gegenwärtige Politik nur bedingt nehmen. Bezogen auf Nordrhein-Westfalen kommt die aktuelle Modellrechnung Alterslast etwa zu folgendem
Ergebnis: In 2007 belief sich die Zahl der Versorgungsempfängerinnen und -empfänger auf rund
152.000 Personen. Die Versorgungsausgaben lagen bei rund 4,5 Milliarden €. Für das Jahr 2030
gehen die Berechnungen von 252.000 Versorgungsempfängern aus. In Preisen von 2007 kalkuliert, bedeutet das für 2030 eine Belastung von
7,8 Milliarden € pro Jahr für die zu zahlenden
Versorgungsbezüge. Dabei sind Besoldungserhöhungen für die Versorgungsempfänger noch nicht
einmal berücksichtigt. Dann steigt die Zahl um
Milliarden an.
Nicht zuletzt werden sich die Anforderungen an
die konkrete Politik verändern. Das werden wir
11486
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
ebenfalls auf der Ausgabenseite merken. So werden sich beispielsweise die Bedürfnisse bei der
öffentlichen Infrastruktur wandeln. Es wird bei der
Wohnraumversorgung neue Herausforderungen
an den Markt geben, wie zum Beispiel vermehrt
altersgerechte Wohnungen.
Auch im Bildungssektor werden sich die Anforderungen verändern. Es wird mehr Bedarf für höherwertige Bildungsangebote geben; denn die Arbeitsproduktivität wird steigen müssen. Darauf
werden wir angewiesen sein, zumal die Anzahl
der bildungsrelevanten Personen unter 30 Jahren
zukünftig überproportional abnehmen wird. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Fragen, die wir in
der Zukunft beantworten müssen. Welche demografiebedingten Entlastungen müssen wir etwa im
Bereich Schule belassen und welche in Richtung
Hochschule umschichten? Wir werden uns fragen
müssen: Brauchen wir Neuinvestitionen oder ist
es wichtiger, auf Erhaltung und Modernisierung zu
setzen? Wie setzen wir Personal effektiv und
sinnvoll ein?
Das, meine Damen und Herren, skizziert einige
der Herausforderungen, vor denen wir stehen und
die zum Teil erhebliche Auswirkungen auf den
Landeshaushalt haben werden. Ich bin mir sicher,
dass wir auf alle diese Fragen Antworten geben
können. Wir haben diese Entwicklung jedenfalls
jetzt schon im Blick und sorgen vor – auch mit
dem Haushalt 2009.
Mit unserer Konsolidierungspolitik schaffen wir finanzielle Spielräume für die Zukunft. Unsere Politik der Vorsorge wird helfen, zukünftige Belastungen abzufedern. Und mit den Investitionen in Kinder, Jugend und Bildung schaffen wir Chancen für
die Zukunft. Das ist nachhaltige Finanzpolitik.
Wir setzen daher konsequent den mit dem Haushalt des Jahres 2006 begonnen Weg der Sanierung der Landesfinanzen fort, wenn auch nicht im
gleichen, atemberaubenden Tempo. Aber die Nettoneuverschuldung wird 2009 weiter sinken. Eingeplant sind 1,67 Milliarden €.
Ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in
diesem Zusammenhang daran erinnern, was ich
im Jahr 2006 bei der Einbringung des ersten Sanierungshaushaltes dieser Landesregierung zu
den nötigen Schritten ausgeführt habe.
(Zuruf von Michael Groschek [SPD])
Das Ziel der nachhaltigen Konsolidierung kann
angesichts der horrenden Verschuldung nicht
sofort erreicht werden. Die dauerhafte Sanierung der Haushaltswirtschaft des Landes erfordert eine mittel- bis langfristige Perspektive.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Der Sanierungspfad, den wir beschreiten werden, hat deshalb drei Etappenziele:
Erstens. Spätestens bis zum Ende der Legislaturperiode, also bis 2010, wollen wir wieder
Haushalte aufstellen, die die Kreditverfassungsgrenze einhalten. Ich habe keine Zweifel,
dass wir dieses Ziel erreichen werden. Es ist
auch mein persönliches Ziel.
So habe ich es damals ausgeführt. Ich habe weiter dargelegt:
Zweitens. Danach werden wir die Neuverschuldung schrittweise bis auf null zurückführen.
Drittens. Am Ende des Sanierungspfades
schließlich muss der Eintritt in den Schuldenabbau stehen. Anders können wir eine dauerhafte Sanierung der Landesfinanzen nicht erreichen.
So weit das Zitat.
(Beifall von CDU und FDP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, können
Sie sich noch daran erinnern, als wir – das war
vor drei Jahren – den Schuldensumpf übernommen haben?
(Zuruf von der SPD: Oh!)
Da saß der Karren noch so tief im Dreck, dass wir
erst für 2010 mit einem verfassungsgemäßen
Haushalt rechnen konnten.
(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer
[SPD]: Wer hat ihn denn trotz weiterer Steuereinnahmen weiter nach oben geschraubt?)
Dank der positiven konjunkturellen Entwicklung,
aber auch dank einer konsequenten Sparpolitik
konnten wir unser erstes Etappenziel schon 2007
erreichen.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer
Schmeltzer [SPD]: Die Haushalte sind auch
vom Verfassungsgericht entsprechend gewürdigt worden!)
Sie, meine Damen und Herren, von der Opposition, würden das wahrscheinlich anders ausdrücken, nämlich: Plansoll übererfüllt.
(Beifall von CDU und FDP)
Angesichts der hohen Verschuldung durch die falsche Politik der Vergangenheit braucht die Sanierung weiterhin Zeit. Schulden machen ist relativ
leicht, aber die Schäden zu beseitigen, ist schwierig. Es ist harte Arbeit, die sich aber jeden Tag
lohnt, weil das Ziel richtig und wichtig ist.
11487
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Beifall von CDU und FDP)
Wir müssen den Haushalt konsolidieren, weil die
Haushaltsflexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten
selbst in wirtschaftlich guten Zeiten durch die Belastungen der Vergangenheit extrem eingeschränkt sind. So werden wir im kommenden Jahr
4,9 Milliarden € an Zinsen aufbringen müssen. Wir
tragen eben noch viel zu viel Geld zu den Banken,
das wir lieber in die Zukunft investieren würden.
(Beifall von CDU und FDP)
Zinsen sind Vergangenheitsbewältigung. Sie
schränken uns jetzt ein. Ohne diese Vergangenheitslasten hätten wir einen Überschuss von
3,2 Milliarden €. Dieser würde ausreichen, um mit
der Schuldentilgung zu beginnen. Das Erbe von
Rot und Rot-Grün verhindert das.
(Beifall von CDU und FDP)
Wir müssen, meine Damen und Herren, den
Haushalt aber auch konsolidieren, weil es einen
Prozess der inneren Dynamik gibt. Diese automatischen Ausgabensteigerungen müssen wir kompensieren. Dynamische Faktoren sind die Personalausgaben, der kommunale Steuerverbund und
die Zinsausgaben, auf deren Steigerung das Land
kaum unmittelbaren Einfluss hat. Sie führen im
nächsten Jahr zu einer Steigerung der Ausgaben
von 2,8 %. Ohne diese Faktoren läge der Ausgabenzuwachs lediglich bei 0,7 %. Das zeigt, wie
restriktiv die Landesregierung auf der Ausgabenseite agiert.
Und schließlich müssen wir den Haushalt wegen
der demografischen Entwicklung konsolidieren. Je
schneller sich eine Abwärtsspirale dreht, desto
schwieriger wird es, ihre Richtung zu ändern.
Deswegen müssen wir jetzt damit beginnen, unseren Etat demografiefest zu machen, damit unsere Kinder Handlungsmöglichkeiten und zukünftige Generationen Gestaltungsmöglichkeiten haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Eine nachhaltige und tragfähige Finanzpolitik muss
gerade deshalb Lasten für zukünftige Generationen
im Blick haben und vorsorgen. Wir machen das
zum Beispiel für Versorgungsausgaben in der Zukunft. So werden im Jahr 2009 der Versorgungsrücklage voraussichtlich insgesamt 181 Millionen €
zugeführt. Im Hinblick auf die absehbaren Lasten in
der Zukunft haben wir bereits im Jahr 2007 eine
Sonderzuführung zur Rücklage in Höhe von
925 Millionen € vorgenommen. Seit der Einrichtung
des Sondervermögens 1999 sind der Vorsorgungsrücklage damit gut 2,1 Milliarden € zugeführt worden. Zwei Drittel dieser Vorsorge, meine Damen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
und Herren, haben wir in den letzten drei Jahren
erbracht.
(Beifall von der CDU)
Rot-Grün hat es zwischen 1999 und dem
1. Juli 2005, also in sieben Jahren, gerade einmal
geschafft, 700 Millionen € in der Versorgungsrücklage anzusparen.
Das zeigt: Diese Landesregierung investiert wie keine zuvor in die Abdeckung zukünftiger Risiken im
Versorgungsbereich. Rot und Rot-Grün haben in der
Vergangenheit nur die Hände in den Schoß gelegt.
Sie wollten die Risiken der Zukunft nicht sehen. Erst
als der Bund sie dazu gezwungen hat – das war
1999 –, ist das Land aktiv geworden.
Meine Damen und Herren, neben der Versorgungsrücklage besteht zudem der Versorgungsfonds des Landes. Er ist zur Finanzierung der zukünftigen Versorgungsleistungen für die Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter
des Landes, die seit dem 1. Januar 2006 eingestellt werden, eingerichtet worden. Seit dem wird
dem Sondervermögen für jeden Angehörigen des
vorgenannten Personenkreises ein Betrag in Höhe von gut 500 € pro Monat zugeführt. In diesem
Fonds werden bis Ende 2009 durch uns über
270 Millionen € angespart sein.
Schließlich haben wir für einen anderen Bereich
ebenfalls ein Vorsorgeinstrument geschaffen: das
Sondervermögen Risikoabschirmung WestLB.
Hierfür haben wir im Jahr 2008 eine Zuführung in
Höhe von 95 Millionen € und für 2009 noch einmal
25 Millionen € vorgesehen. Mit diesem Sondervermögen treffen wir Vorsorge für eine etwaige
Inanspruchnahme aus der vom Land übernommenen Garantie in Sachen WestLB.
Die Einrichtung des Sondervermögens dient damit
der Glättung möglicher Belastungen des Landeshaushaltes in zeitlicher und betragsmäßiger Hinsicht. Mit anderen Worten: Auch hier lassen wir
die Dinge nicht einfach auf uns zukommen, sondern sorgen vor, um mögliche Belastungen in der
Zukunft zu minimieren.
Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Unsere Haushalts- und Finanzpolitik ist von
Weitsicht geprägt.
(Beifall von CDU und FDP)
Das ist etwas, was man am Niederrhein lernen
kann. Bei uns ist die Landschaft flach und der Horizont weit.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
11488
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Da kann man auch weiter entfernte Ziele gut im
Auge behalten. Und man lernt: Solche Ziele sind
mit Beharrlichkeit gut zu erreichen. Dies ist auch
der Grund, warum ich mich in der Föderalismuskommission so eindeutig für die Einführung eines
Verschuldungsverbots einsetze. Wir dürfen nicht
zulassen, dass sich die Fehler der Vergangenheit
wiederholen. Wir brauchen deshalb auch für etwaige Schieflagen ein Frühwarnsystem.
Ich hoffe, dass es zu solchen Regelungen kommen wird. Denn damit schreiben wir Nachhaltigkeit wirklich fest. Dann wird die Politik gezwungen,
mögliche Belastungen für künftige Generationen
im Blick zu haben. Wir praktizieren das bereits
jetzt.
Ich bin davon überzeugt, dass unsere Politik die
richtigen Schwerpunkte setzt. Dazu gehören auch
die Investitionen in Kinder, Jugend und Bildung.
Sie sind gut für die Zukunft NRWs.
(Beifall von CDU und FDP)
Mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt das
Land die Kommunen bei der Schaffung und Unterhaltung neuer Betreuungsplätze für unter Dreijährige. So wurde seit dem Regierungswechsel bis zum
Beginn des Kindergartenjahres 2008/2009 die Zahl
der geförderten Betreuungsplätze in Tageseinrichtungen und Tagespflege mehr als verfünffacht. Sie
stieg von 11.000 auf 58.750. Im Jahr 2013 sollen
144.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Betreuungsquote wird damit von 2,8 % im Jahre 2005,
also am Ende Ihrer Regierungszeit, auf 32 % im
Jahre 2013 angehoben.
(Beifall von CDU und FDP)
Mit dem Kinderbildungsgesetz sollen darüber hinaus bis 2012 rund 3.000 Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren ausgebaut werden. Im
Endausbau werden dafür jährlich zusätzlich
36 Millionen € bereitgestellt.
Meine Damen und Herren, insgesamt steigen die
Ausgaben für die KiBiz im Jahre 2009 um 110,7 Millionen €. Im Finanzplanungszeitraum 2009 bis 2012
gibt das Land im Vergleich zu 2008 insgesamt
596,8 Millionen € mehr für diesen Bereich aus.
(Beifall von CDU und FDP)
Noch nie, meine Damen und Herren, hat eine
Landesregierung so viel Geld für die Betreuung
unserer Kinder zur Verfügung gestellt. Es ist gut
angelegtes Geld, Geld für die Zukunft.
(Beifall von CDU und FDP)
Auch im Schulbereich investieren wir massiv. Die
Unterrichtsversorgung und die individuelle Förde-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11489
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
rung werden verbessert. Das Ganztagsangebot
soll weiter ausgebaut werden. Hierfür werden wir
bis zum Schuljahr 2009/2010 6.915 zusätzliche
Lehrerstellen schaffen. Von diesen entfallen 6.624
auf öffentliche Schulen. Die privaten Ersatzschulen erhalten für die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte Finanzmittel im Wert von 291 Stellen. Flankierend wurden zusätzliche Investitionsmitteln für
den Ausbau der Ganztagsrealschulen und Gymnasien eingeplant.
und werden wir arbeiten. Es ging und geht eben
nicht alles auf einmal.
Die Stärkung der individuellen Förderung und die
Qualitätsverbesserung des Unterrichts stehen
auch im Zentrum der Reform der Lehrerausbildung. In Zukunft soll die Ausbildung für alle Lehrämter sechs Jahre dauern. Sie wird praxisorientierter gestaltet und fachlich sowie pädagogisch
den speziellen Anforderungen der jeweiligen
Schulform angepasst. Für die erwarteten Mehrkosten wurden im Finanzplanungszeitraum
61 Millionen € veranschlagt.
Die Zinslastquote, also der Anteil der Zinsen am
Gesamthaushalt, beträgt 9,4 %, die Zinssteuerquote, also der Anteil der Zinsen an den Steuereinnahmen, 11,4 %. Diese beiden Quoten zeigen
schon, wie stark die Haushaltsspielräume durch
die Verschuldungspolitik von Rot-Grün eingeschränkt sind.
Meine Damen und Herren, insgesamt steigt der
Schuletat im Haushalt 2009 gegenüber 2008 um
699,5 Millionen €. Im Finanzplanungszeitraum
2009 bis 2012 sind es insgesamt 1,7 Milliarden €.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist eine Politik für neue Chancen, eine Politik, die in die Zukunft investiert. Das ist unsere Politik von Konsolidieren, Modernisieren und Investieren.
(Lebhafter Beifall von CDU und FDP)
Abschließend komme ich noch zu einigen weiteren Eckdaten des Landeshaushalts 2009. Der
Landeshaushalt für das kommende Jahr sieht
Gesamtausgaben in Höhe von 52,7 Milliarden €
vor. Gegenüber 2008 einschließlich des zweiten
Nachtragshaushalts steigen die Ausgaben damit
um 2,8 %. Zur Finanzierung der Gesamtausgaben
ist eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 1,67
Milliarden € nach wie vor notwendig. Gegenüber
dem Vorjahr reduziert sich die Nettoneuverschuldung somit um 6,1 %.
Die Steuereinnahmen sind für 2009 mit 43,3 Milliarden € eingeplant. Hierbei sind die Mindereinnahmen durch die Unternehmensteuerreform in
Höhe von rund 800 Millionen € bereits berücksichtigt. Das ist viel Geld. Aber die Unternehmensteuerreform ist gut angelegtes Geld, weil es eine Investition in den Wirtschaftsstandort Deutschland
ist. Die übrigen Einnahmen belaufen sich auf
7,5 Milliarden €.
Für Investitionen, meine Damen und Herren, stehen im Haushalt 4,9 Milliarden € bereit. Zum Vorjahr ist dies eine Steigerung um 1,2 %. Die Investitionsquote beträgt damit 9,3 %. Hieran müssen
(Zustimmung von der CDU)
Für Zinsen werden wir im Jahr 2009 voraussichtlich 4,9 Milliarden € und damit rund 100 Millionen € mehr als 2008 bezahlen müssen.
(Ralf Jäger [SPD]: Wer mehr Schulden hat,
muss mehr Zinsen bezahlen!)
Für Personalausgaben sind 20,5 Milliarden € etatisiert. Das sind 1,2 Milliarden € oder 5,9 % mehr
als in 2008. Sie wissen also, wo der größte Teil
der Steuermehreinnahmen in Höhe von
1,7 Milliarden € bleibt. Diese Steigerung liegt auch
daran, dass sich die Besoldungserhöhung um
2,9 % zum 1. Juli 2008 als Basiseffekt in 2009
erstmals voll auswirken wird. Hinzu kommt, dass
allein für die Versorgungsausgaben und die Beihilfen Mehrausgaben in Höhe von 485 Millionen €
veranschlagt mussten. Die Personalausgabenquote, also der Anteil der Personalausgaben am
Gesamthaushalt, liegt bei 38,9 %, die Personalsteuerquote bei 47,2 %.
Die Zahl der Stellen im Landeshaushalt wird auch
im kommenden Jahr weiter reduziert werden. Gegenüber 2008 sinkt die Stellenzahl im Landeshaushalt um insgesamt 3.397 auf 284.564 Stellen,
(Wolfgang Jörg [SPD]: Aber nicht beim Ministerpräsidenten!)
obwohl die Landesregierung zum Schuljahresbeginn 2009/2010 1.831 neue Lehrerstellen schafft.
Die Stellensituation seit Regierungsübernahme
stellt sich damit wie folgt dar: Mit dem Haushaltsplanentwurf 2009 werden gegenüber 2005 12.664
Stellen abgebaut. Hinzu kommen noch einmal
2.500 Stellenabgänge im Haushaltsvollzug 2009
und 2010. Am Ende der Legislaturperiode wird
diese Landesregierung somit rund 15.000 Stellen
abgebaut haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Rechnet man die neu entstehenden Stellen aufgrund der politischen Schwerpunktsetzungen dagegen, liegt der Saldo des Stellenabbaus bei rund
4.800 Stellen zum Jahresende 2009.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Die an die Kommunen verteilbare Finanzausgleichsmasse wird für 2009 mit 7,73 Milliarden €
angesetzt. Dies ist eine Steigerung gegenüber
dem Vorjahr von 2,1 %; das sind 160 Millionen €.
Insgesamt werden den Kommunen im Landeshaushalt rund 14 Milliarden € zur Verfügung gestellt. Dies entspricht einem Anteil am Landeshaushalt von rund 27 %.
Meine Damen und Herren, der Landeshaushaltsentwurf 2009 reiht sich in die Linie unserer Politik
seit dem Regierungswechsel ein: Konsolidieren,
Modernisieren und Investieren sind die Schlüssel
für eine solide, zukunftsgerichtete und generationengerechte Haushalts- und Finanzpolitik. Nordrhein-Westfalen kann sich mit den Erfolgen der
letzten drei Jahre sehen lassen. Auch im Vergleich zu anderen Ländern steht unser Land bei
der Haushaltsentwicklung gut – ja, ich möchte sagen: sehr gut – da.
(Michael Groschek [SPD]: Wie bei der
Schulentwicklung!)
11490
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Beifall von CDU und FDP)
Ich lege dem Parlament den Haushaltsentwurf
2009 mit Zuversicht vor. Es ist ein weiterer Schritt
auf unserem Sanierungspfad. Ich bin gespannt,
wie sich die Opposition diesmal einlassen wird.
Gleichzeitig zu sagen „Ihr spart das Land kaputt“
und „Ihr konsolidiert zu wenig“, das hat schon
schizophrene Züge.
(Beifall von CDU und FDP)
Wer schnellere Konsolidierung will, der muss
auch sagen, wie.
(Zuruf von der SPD: Papke!)
Weniger Geld für Bildung – nicht mit uns. Weitere
Abstriche bei den Beamtengehältern – nicht mit
uns.
(Zuruf von der SPD: Wollen wir doch gar
nicht!)
Dies zeigt der Blick auf die Zahlen der Jahre 2005
bis 2008. Im Vergleich der westdeutschen Flächenländer hat Nordrhein-Westfalen seit dem Regierungswechsel deutlich stärker konsolidiert und
den größten Fortschritt bei der Haushaltskonsolidierung gemacht.
Weniger Geld für Hochschulen – nicht mit uns.
Weniger Geld für Kinderbetreuung – nicht mit uns.
Wir, meine Damen und Herren, gehen einen anderen Weg. Wir investieren und schaffen trotzdem
Schritt für Schritt den Abbau der Nettoneuverschuldung. Dafür steht auch der Haushaltsentwurf
2009.
(Michael Groschek [SPD]: Das sieht Herr
Papke auch so!)
(Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP)
Das Finanzierungsdefizit des Landes hat sich von
2005 bis 2008 um 272 € je Einwohner reduziert.
Unter den westdeutschen Flächenländern ohne
Nordrhein-Westfalen beträgt die Differenz weniger
als die Hälfte, nämlich 125 €. Auch dies zeigt: Unser Kurs ist der richtige für Nordrhein-Westfalen.
Unser Ziel heißt: schwarze Null. Diese muss in
der nächsten Legislaturperiode so früh wie möglich gelingen.
(Beifall von CDU und FDP)
Wir betreiben Konsolidierung nicht mit Effekthascherei.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Einmalige Effekte, wie es schon mal in anderen
Haushalten zu sehen ist, bringen nichts. Uns geht
es um den strukturellen Haushaltsausgleich. Ich
bin für die Signale aus den Regierungsfraktionen
dankbar, dass wir dies gemeinsam meistern werden. So werden wir solide Landesfinanzen erreichen. Darum setzen wir auch auf vorsichtige, aber
realistische Schätzungen auf der Einnahmenseite.
Mondzahlen haben wir in diesem Lande lange
genug gehabt.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister Dr. Linssen. – Es spricht jetzt für die Landesregierung Herr Minister Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf, Innenminister: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
möchte sehr gerne an das anschließen, was Kollege Linssen gerade zu den Kommunalfinanzen
vorgetragen hat, und die gute Botschaft wiederholen, dass wir mit 7,7 Milliarden € den höchsten
Stand der Zuweisungen an die kommunale Familie haben. Zum Vergleich: Im Jahre 2005 war es
1 Milliarde € weniger. Deswegen ist die oppositionelle Klage, die Kommunen würden schlecht behandelt, schon an der Stelle widerlegt.
Wir geben das weiter, was wir versprochen haben: Die 23 % wie in früheren Zeiten sind auch in
der schwierigen Konsolidierungssituation gehalten
worden. Ich finde, das kann sich sehen lassen.
Auch die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen haben sich deutlich erhöht. Im Jahre 2005
waren es netto 6,5 Milliarden € und im Jahre 2007
8,5 Milliarden €. Das ist ein beachtlicher Aufwuchs.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Meine Damen und Herren, wir haben bei der Systemumstellung 2006 die Transparenz deutlich erhöht. Das halte ich für sehr wichtig. Durch die Überführung der Zweckzuweisungen in den Landeshaushalt ist klar geworden, in welchen konkreten Projekten die Förderung zu erfolgen hat, nämlich im Landeshaushalt. Wir haben 86 % im Gemeindefinanzierungsgesetz frei verfügbar gemacht. Das zeigt unseren Beitrag und unsere Anerkennung für die kommunale Selbstverantwortung.
Wir haben nicht nur durch die Beibehaltung der
23 %, sondern auch durch die Schaffung eines
aktuellen Referenzzeitraums Verlässlichkeit eingeführt. Die Kommunen bekommen zeitnah ihren
Anteil an den Ist-Steuereinnahmen, indem wir
beispielsweise für das Jahr 2009 den Zeitraum bis
zum 30. September 2008, also das letzte Quartal
aus dem vergangenen Jahr und die ersten drei
Quartale aus diesem Jahr, zugrunde legen. Damit
wird für die Kommunen zeitnah das ausgekehrt,
was sich als wirtschaftlicher Erfolg in den Steuereinnahmen niederschlägt.
Damit sind auch die Kardinalfehler der Vergangenheit abgestellt. Kreditierungen, Abrechungen,
alle diese Monster aus Zeiten von Rot-Grün konnten an dieser Stelle entfallen. Ich glaube, das ist in
den Kommunen sehr gut angekommen.
Zudem ist dadurch die Planbarkeit erheblich erhöht. Die erste Modellrechnung für die Zuweisungen nach dem GFG 2009 sind seit heute den
Kommunen und dem Landtag zur Verfügung gestellt, sodass in jeder Kommune nachgeschaut
werden kann, was am Ende herauskommt, wobei
wir natürlich im Rahmen der Haushaltsberatungen
noch die aktuellen Zahlen zum 30. September
2008 mit einpreisen. Bei der Verabschiedung des
Haushaltsplans haben wir also eine ganz zeitnahe
Berechnung der Zuweisungen an die Kommunen.
Meine Damen und Herren, wir haben – das ist erfreulich – einen deutlichen Rückgang der Haushaltssicherungs- und Nothaushaltskommunen
festzustellen. Im Jahre 2005 betrug die Anzahl der
Kommunen, die sich in diesem Stadium befanden,
198. Der aktuelle Stand im Jahre 2008 ist 129.
Das ist sicherlich auch ein Erfolg aufgrund der
Steuermehreinnahmen und das eine oder andere
Mal auch eine Folge des NKF. Es hat sich gezeigt, dass wir besser geworden sind, wenngleich
wir immer noch eine Grundlast von hartnäckigen
Haushaltsdefiziten in einigen Kommunen haben,
die uns natürlich besorgt und eine weitere Konsolidierung notwendig macht.
11491
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Das Thema Einheitslasten, sogenanntes LenkGutachten, werden wir ebenso wie das Thema ifoGutachten mit Gründlichkeit vor Schnelligkeit analysieren sowie mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Hohen Haus diskutieren. Wir
haben eine Kommission für ifo gestartet und sind
beim Lenk-Gutachten mit den kommunalen Spitzenverbänden im zielführenden Gespräch.
Meine Damen und Herren, als Kommunalminister
will ich sehr deutlich sagen: Die Kommunalfinanzen sind nicht überall rosig – weiß Gott nicht –,
aber es gibt einen Lichtstreif am Horizont. Der
Anstieg der Kassenkredite konnte erstmals gebremst werden. Trotzdem muss weiterhin konsolidiert werden, genau so wie wir das im Landeshaushalt tun.
Die demografischen Herausforderungen – ich
möchte das unterstreichen, was Herr Linssen gesagt hat – machen auch vor den Kommunen nicht
halt. All das, was wir im Bund und in den Ländern
feststellen, ist natürlich auch ein Problem der
Kommunen. Deswegen müssen in den verschiedenen Politikfeldern die Weichen für die Zukunft
sorgfältig gestellt werden.
Für den Landeshaushalt 2009 stelle ich fest: Wir
haben Wort gehalten. Wir haben weiterhin Zuweisungen an die Kommunen in Höhe von 23 % und
die höchste GFG-Zuweisung in der Geschichte
dieses Landes. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister Dr. Wolf. – Wir sind damit am Ende der
Einbringung und kommen wie vereinbart zur Aussprache. Zuerst erteile ich der Vorsitzenden der
SPD-Fraktion, Frau Kollegin Kraft, das Wort.
Hannelore Kraft (SPD): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister –
ich hoffe, er ist noch da –,
(Minister Armin Laschet: Er ist noch im Amt!)
Sie haben in Ihren Reden …
(Minister Dr. Helmut Linssen kommt zusammen mit Dr. Gerhard Papke [FDP] aus dem
hinteren Bereich des Plenarsaals nach vorne
und geht zu seinem Platz. – Rainer Schmeltzer [SPD]: Er musste einmal mit Herrn Papke reden! Er hat ihm das noch einmal erklärt!)
– Da ist er ja; mit Herrn Papke zusammen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Heiterkeit und Beifall von der SPD – Zurufe –
Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ich habe gedacht,
ich komme gleich mit, Frau Kollegin!)
– Herr Kollege Papke, dass Sie mir auch zuhören,
ist aller Ehren wert.
Herr Finanzminister, Sie haben in Ihrer heutigen
Rede – ich darf auch anmerken, dass Sie schon
einmal enthusiastischer klangen als heute – viele
Details über Ihren Haushaltsentwurf 2009 preisgegeben. Die Menschen in diesem Land interessiert aber vor allem die große Linie der Haushaltspolitik von CDU und FDP. Wenn man sich
daran erinnert, was Sie vor und nach der Landtagswahl 2005 versprochen haben,
(Ralf Jäger [SPD]: Jetzt wird es peinlich!)
dann stellt man fest: Sie scheitern mit diesem
Haushaltsentwurf an Ihren eigenen Versprechungen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11492
den Jahres auf einen Rekordwert von 120,5 Milliarden €. Herr Finanzminister, auf Ihr Konto gehen
davon allein 13,7 Milliarden € neue Schulden,
(Gisela Walsken [SPD]: Genau!)
die das Land seit Juli 2005 gemacht hat.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
In 2009 gilt, meine Damen und Herren: Trotz kräftig sprudelnder Steuermehreinnahmen – der Finanzminister kalkuliert allein für dieses Jahr ein
Plus von 1,7 Milliarden € – soll die Neuverschuldung lediglich um 110 Millionen € sinken.
(Ralf Jäger [SPD]: Das ist der eiserne Helmut!)
– Der eiserne Helmut. – Das bedeutet, dass Sie
nur noch 6,5 % der zusätzlichen Steuereinnahmen in den Abbau der Neuverschuldung stecken.
Ich stelle fest: Versprochen – gebrochen.
(Beifall von der SPD)
Halten wir uns doch einmal an die groben Zahlen.
2005 lagen die realen Steuereinnahmen des Landes bei 34,7 Milliarden €. Für 2009 haben Sie jetzt
43,32 Milliarden € angesetzt. Das entspricht einer
Steigerung von ziemlich genau 25 %. Ich wiederhole das zum Mitschreiben: Das Land nimmt 2009
im Vergleich zu 2005, dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Krise, ein Viertel mehr Steuern ein.
Versprochen war, alle Steuermehreinnahmen in
den Abbau der Verschuldung zu stecken.
Herr Minister, Sie hätten in Ihrer Rede heute den
Menschen in diesem Land Rechenschaft ablegen
können und ablegen müssen. Sie hätten darlegen
müssen, was Sie mit dieser hervorragenden
Haushaltslage gemacht haben.
Ich kann es auch anders formulieren – Ihre Körpersprache hat das unterstützt –: Ihnen geht bei
der Neuverschuldung die Puste aus. – Das ist die
Realität.
(Ralf Jäger [SPD]: Gar nichts!)
Sie hätten sagen können und müssen, was aus
Ihren Versprechungen zum Schuldenabbau und
zur Konsolidierung geworden ist.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Das haben Sie hier versäumt, Herr Minister. Ich
stelle fest: Die Rechenschaft bleiben Sie schuldig –
aus gutem Grund. Sonst wäre für alle deutlich geworden, dass Sie mit Ihren Zielen gescheitert sind.
Wir erinnern uns: Sie sind mit dem Versprechen
angetreten, die Verschuldung des Landes abzubauen.
(Hendrik Wüst [CDU]: Sie haben sie 30 Jahre lang aufgebaut!)
Die Realität ist: Trotz 25 % mehr Steuereinnahmen gegenüber 2005 wächst die Verschuldung
des Landes weiter – bis zum Ende des kommen-
(Widerspruch von der CDU)
Fakt ist: Sie legen einen Haushalt vor, der 1,668
Milliarden € Nettoneuverschuldung ausweist. –
Das sind Daten und Fakten, Herr Finanzminister!
(Beifall von der SPD)
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Herr Finanzminister, Sie sind an Ihren eigenen
Ansprüchen gescheitert – aber nicht nur an Ihren
eigenen Ansprüchen, sondern auch an den Ansprüchen der Regierungsfraktion der FDP. Herr
Kollege Papke, Sie haben ja recht. Jeder in diesem Hohen Haus weiß das auch. Diese Landesregierung spart nicht. Der Ministerpräsident spart
nicht. Der Finanzminister spart nicht. Da haben
Sie völlig recht.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie es auch
nicht besser können. Sie sind doch seit 2005
Fraktionsvorsitzender einer regierungstragenden
Fraktion. Sie haben jeden einzelnen Haushalt dieser Landesregierung mit allen Ihren Stimmen mit
beschlossen.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ja!)
Bis heute haben Sie – ich habe nachgesehen –
keinen einzigen substanziellen Vorschlag ge-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
macht, wo denn mehr gespart werden soll. Oder
habe ich da irgendetwas verpasst, Herr Papke?
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Jetzt versuchen Sie mit großen Gesten und Worten, von Ihrer eigenen politischen Kraftlosigkeit
abzulenken. Sie schlagen sich in die Büsche und
erklären offen im Namen Ihrer Fraktion nur, der
Finanzminister sei politisch gescheitert. Er habe
nicht mehr das Vertrauen der FDP, konnte ich lesen.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Wann habe ich
das denn gesagt?)
– Herr Kollege, Sie können das ja gleich richtigstellen. Ich bin, ehrlich gesagt, sowieso auf Ihre
Rede gespannt.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD – Rainer
Schmeltzer [SPD]: Darauf sind wir alle gespannt!)
Herr Kollege Papke, nachdem der Streit innerhalb
der FDP offensichtlich geworden ist, haben Sie
gestern eine interessante Pressekonferenz gegeben. Dort haben Sie gesagt, wir bräuchten jetzt
strukturelle Veränderungen im Haushalt, und diese würden Sie jetzt herbeiführen.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Wann habe ich
denn das gesagt, was Sie davor vorgetragen
haben?)
Das blieb ja wieder sehr unkonkret.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Auf Anordnung
des Ministerpräsidenten! – Gisela Walsken
[SPD]: Auf Weisung!)
In Ihrer Rede können Sie ja gleich beweisen, dass
Sie es ernst meinen. Am besten legen Sie uns direkt einen Katalog mit solchen Vorschlägen vor.
Bisher blasen Sie nur die Backen auf, ohne zu
pfeifen, Herr Kollege Papke.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Ich freue mich auf Ihre Rede. Wie ich Sie kenne,
werden Sie sich aber wahrscheinlich zur Ablenkung von Ihren eigenen Defiziten ausschließlich
mit der Lage der SPD beschäftigen
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das kann schon
sein! Das kann schon passieren!)
statt mit Ihrer Rolle als – wie haben Sie das gestern genannt? – Motor der Erneuerung dieser Regierungskoalition.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Da sind wir noch sehr gespannt.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11493
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Dr. Gerhard Papke [FDP]: Was sind denn Ihre Sparvorschläge?)
– Wir sind im Haushaltsverfahren. Die kommen
alle. Ich nenne Ihnen einmal ein paar.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ja, bitte!)
Was haben wir denn da? Beispielsweise können
wir die von Ihnen eingeführten 72 zusätzlichen
Stellen – Sie erinnern sich: goldene Fallschirme –
sofort einsparen. In 30 Jahren sind das 200 Millionen €. Ich kann Ihnen genau sagen, was ich
damit machen würde: Diese Mittel in den Bereich
Bildung und Betreuung zu stecken und dort die
richtigen Signale zu setzen, wäre der richtige
Weg.
(Beifall von der SPD)
Oder nehmen wir, Herr Kollege Papke, der Sie es
so genau wissen wollen, einmal das Beispiel
WestLB. Dort sind – der Finanzminister wird es
bestätigen können – schon die ersten 21 Millionen € für den Risikoschirm geflossen. Mit 21 Millionen € könnte man locker die Kürzungen im Weiterbildungsbereich in Höhe von 13 Millionen €
rückgängig machen. Das wäre doch einmal sinnvoll.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Ich könnte die Liste fortführen. In den weiteren
Haushaltsberatungen werden wir das auch tun.
Beispielhaft zu nennen ist auch der Flughafen
Münster/Osnabrück. Dort legen Sie noch einmal
Geld drauf, obwohl wir doch eigentlich viel zu viele Flughäfen haben, die sich untereinander Konkurrenz machen. Sie aber geben noch einmal
6,46 Millionen €. – Herr Kollege, warten Sie es ab,
Sie werden von uns alle die Vorschläge bekommen.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Tolle Vorschläge!
– Weitere Zurufe von der SPD)
– Auf die WestLB komme ich noch. – Herr Kollege
Papke, Sie brüsten sich immer mit Ihrer Wirtschaftskompetenz. Vielleicht sollten Sie auch
einmal etwas zur Quote der eigenfinanzierten Investitionen sagen.
(Gisela Walsken [SPD]: Ja, das ist spannend!)
Die fahren Sie in der mittelfristigen Finanzplanung
von 7,1 % – das sind nur 3,7 Milliarden € – sogar
auf 6,4 % im Jahr 2012 herunter. Meine Damen
und Herren, an der Stelle müsste umgesteuert
werden, mehr in die investiven und weniger in die
Landtag
Nordrhein-Westfalen
konsumtiven Ausgaben. Herr Kollege Papke, das
haben Sie uns doch früher immer vorgehalten.
Jetzt können Sie uns zeigen, wie es geht.
(Beifall von der SPD)
Gerade jetzt wäre es nötig und wichtig. Sie wollen
doch die Konjunktur unterstützen. Das ist doch die
neue Marschroute des Ministerpräsidenten. Warten wir einmal auf Ihre Vorschläge. Bisher habe
ich nichts von Ihnen gehört. Auch dem Haushalt
ist nichts zu entnehmen.
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident,
apropos „Anti-Rezessions-Programm“, das Sie
sich doch auf die Fahnen geschrieben haben:
Statt im Landeshaushalt umzusteuern, verkünden
Sie ein Anti-Rezessions-Programm, bei dem Sie
die politische Verantwortung vor allem nach Brüssel und Berlin delegieren. So stand es denn auch
am Tag nach Ihrer Pressekonferenz in der Zeitung zu lesen.
(Wolfgang Jörg [SPD]: Lesen kann er auch
nicht!)
Ich zitiere den „General-Anzeiger“, der in einer
Überschrift urteilt: Aufträge an Steinbrück, Brüssel
und die OECD. – Die „Neue Westfälische“
schreibt: Im Westen nichts Neues. – Meine Damen und Herren, das stimmt.
(Beifall von der SPD)
Aber in Wahrheit ist es noch schlimmer. Denn es
ist nicht nur billig, etwas auf andere abzuschieben, sondern es ist auch noch schädlich. Denn
jeder, der etwas von Wirtschaft versteht, weiß,
dass es gefährlich ist, eine wirtschaftliche Krise
herbeizureden. Kenner wissen, dass Wirtschaft
mindestens zu 50 % von Psychologie abhängt. Da
haben Sie ihr großen Schaden zugefügt, Herr Ministerpräsident.
(Beifall von der SPD)
Sie haben diese Botschaft in den letzten Tagen
über mehrere Kanäle verbreitet. Ich habe alles
sehr aufmerksam gelesen. Wie bei der Kollegin
Sommer erschließt sich der Sinn mancher Ihrer
Ausführungen nicht beim ersten Lesen. Aber wir
haben ja die Presseschau, in der wir es noch
einmal genau nachlesen können.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11494
verhindern, dass wir in eine Rezession hineinrutschen. Das Problem bei diesen Konjunkturabläufen ist, dass es teilweise sich selbst verstärkende
Effekte gibt. Meine Aussage, dass ich nicht an eine Rezession glaube, hat damit zu tun, dass die
Grunddaten der Wirtschaft sich ja weltweit nicht
verändert haben.
Was denn nun? Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie unverändert eine gute Wirtschaftslage
erwarten oder eine Rezession befürchten. Sie
müssen sich schon entscheiden, Herr Ministerpräsident!
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Es kommt noch besser: Während Sie ein AntiRezessions-Programm fordern, habe ich noch
einmal in die mittelfristige Finanzplanung geschaut, Herr Finanzminister. Sie sehen es sehr
optimistisch. Jedes Jahr rechnen Sie mit deutlich
steigenden Steuereinnahmen, und zwar pro Jahr
bis 2012 mit durchschnittlich 4,1 % mehr Steuern.
Der Finanzminister rechnet offensichtlich mit lang
anhaltendem, stabilem wirtschaftlichem Aufschwung, Sie malen eine Rezession an die Wand.
Stimmen Sie sich eigentlich im Kabinett irgendwann auch einmal ab?
(Beifall von der SPD)
Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie sich nicht
zwischen Rezession und Doch-Nicht-Rezession
entscheiden können, könnte die Stimmung nach
Ihrem Empfinden besser sein. Deshalb fänden Sie
es auch – ich zitiere weiter wörtlich – ungeheuer
befreiend, wenn man sich jetzt in der Großen
Koalition auf ein gemeinsames Paket einigen
könnte.
Herr Ministerpräsident, wie soll dieses Paket denn
aussehen?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Groß!)
Im Interview erfahren wir davon nichts. Dort geht
es darum – ich zitiere –, dass Sie es ablehnen,
ein Geld für irgendwelche Sachen auszugeben.
Das heißt, dass Sie auch die Vorschläge des
DGB in Nordrhein-Westfalen für ein Konjunkturprogramm ablehnen. Statt dessen schlagen Sie
drei Punkte vor, mit denen Sie offensichtlich kurzfristig die Stimmung verbessern wollen, damit wir
nicht in die Rezession hineinrutschen:
Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich aus Ihrem
Interview im „Morgen-Echo“ auf WDR 5 vom
18. August zitieren: Wir wissen ja noch nicht, ob
es eine Rezession gibt. Ich glaube übrigens nicht
daran, dass es eine Rezession gibt.
Erstens eine preisgünstige, sichere, nachhaltige
Energieversorgung.
Auf die Frage, warum Sie dennoch ein Programm
fordern, antworten Sie im weiteren Verlauf: Es soll
(Gisela Walsken [SPD]: Wow! Das bringt uns
nach vorne!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Zweitens ein nationales Rohstoffkonzept und drittens die Bekämpfung des Ingenieurmangels. So
weit Ihr Programm oder, wie Sie es selbst etwas
zurückhaltender formulieren: Das wären da so
drei konkrete Punkte.
Allerdings fügen Sie vorsichtshalber gleich hinzu:
Das hat – das weiß ich auch – nicht die Folge,
dass innerhalb von drei Tagen die Konjunktur anspringt.
(Zurufe von der SPD: Ah!)
Für die kurzfristige Wirkung kommen noch zwei
Vorschläge hinzu, nämlich die Abzugsfähigkeit
von Spesenquittungen und die Wiedereinführung
der Abzugsfähigkeit von Steuerberatungskosten.
Meine Damen und Herren, das wird gewaltige
konjunkturelle Effekte bringen. Darin sind wir uns
alle sicher.
(Lachen und Beifall von SPD und GRÜNEN
– Michael Groschek [SPD]: Zusage!)
Deshalb hat der Kollege Lindner es auch auf den
Punkt gebracht: Diese Vorschläge des Ministerpräsidenten sind allenfalls niedlich.
(Lachen und Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident,
Sie haben in Ihrer Pressekonferenz keine einzige
landespolitische Initiative von Bedeutung angekündigt. Statt dieses Landes zu regieren, flüchten
Sie in die Bundes- und Europapolitik. Sie sind in
eine Art Schockstarre verfallen. Vor lauter Angst,
vor den anstehenden Wahlen noch mehr falsch zu
machen, tun Sie vorsichtshalber gar nichts mehr.
Sie würden das Chaos, das wir in den einzelnen
Teilen des Landes feststellen können, ja noch
weiter vergrößern.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Schlimmer noch: Da, wo es lichterloh brennt, wie
etwa in der Schulpolitik und bei der WestLB,
schieben Sie mal eben die Verantwortung auf andere ab!
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
Bei uns hätten Sie das, was jetzt im Schulbereich
stattfindet, „Kommissionitis“ genannt.
Was Sie betreiben, ist aus meiner Sicht überhaupt
keine Politik mehr. Das ist Politikverweigerung,
meine Damen und Herren.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Eigentlich sollten Sie als Ministerpräsident die
Richtung vorgeben, politische Impulse bieten. Das
tun Sie offensichtlich nicht. Auch deshalb geht es in
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11495
der Koalition und in der Landesregierung drunter
und drüber. Herr Kollege Papke schießt aus vollen
Rohren gleich gegen zwei Minister und den Ministerpräsidenten. Sie, die CDU und die FDP – ich
darf doch auch da an Ihr Versprechen erinnern –,
wollten doch eine Koalition der Harmonie sein.
(Gisela Walsken [SPD]: Oi!)
Was ist denn davon noch übrig geblieben? Herr
Kollege Papke wirft dem Ministerpräsidenten vor,
dass er – ich zitiere – mit überzogenen kritischen
Äußerungen, ja mit fundamentaler Kapitalismuskritik
(Zuruf von Dr. Gerhard Papke [FDP])
das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft
schwächt.
(Zuruf von Dr. Gerhard Papke [FDP])
Herr Kollege Wüst nennt das eine Lümmelei.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig zitiert!)
Meine Damen und Herren, prima Klima in der Koalition!
(Zurufe von der CDU)
Wir sind beeindruckt von dem Klima in der Koalition. Hier beginnt der Begriff Klimawandel eine völlig neue Bedeutung zu bekommen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vielleicht sollten Sie bei diesem Klimawandel
einmal über eine flächendeckende Klimazone über die einzelnen Fraktionen hinweg nachdenken.
Das führt vielleicht zu einer Absenkung der Überhitzung der Atmosphäre. Vielleicht wäre das der
richtige Ansatz.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Gisela
Walsken [SPD]: Oh, ist das schön!)
Meine Damen und Herren, kommen wir zurück zu
den Vorschlägen des Ministerpräsidenten.
Ingenieurmangel bekämpfen, Herr Ministerpräsident! – Ja, das wäre der richtige Weg. Der erste
Schritt wäre allerdings, die eigene Politik zu verändern. Denn Sie produzieren mit Ihrer Politik den
Fachkräftemangel von morgen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)
Das ist die Realität Ihrer Bildungspolitik.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Auch hier hatten Sie etwas ganz anderes versprochen.
Kommen wir zum Faktencheck Bildung.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Erstens. Sie wollten die Studierendenquote anheben. Das war Ihr Ziel. Stattdessen haben Sie sie –
wie wir es vorhergesagt haben – mit der Einführung der Studiengebühren drastisch nach unten
gedrückt.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
– Doch.
Damit einmal klar wird, worüber wir reden: absolute Zahlen der Studienberechtigten, Entwicklung
der Studienberechtigten in Nordrhein-Westfalen.
2003 lagen wir bei 94.000, 2005 bei 104.000; heute liegen wir bei 110.761. Das sind diejenigen, die
berechtigt wären, ein Studium zu beginnen. Die
Frage ist aber: Wer davon fängt tatsächlich ein
Studium an, und zwar von den Studienberechtigten aus Nordrhein-Westfalen? Diese Zahl sinkt,
weil Sie die Studiengebühren eingeführt haben.
(Beifall von der SPD – Marc Jan Eumann
[SPD]: Genau!)
Die sogenannte Studienanfängerquote, also die
Zahl der Studienanfänger je Jahrgang, sank in
NRW von 2005 auf 2006 von 33,9 auf 31,6 %.
(Zuruf von der SPD: Genau so ist es!)
Das heißt, bei einer steigenden Demografie sinkt
die Anfängerquote. Die Schere geht auseinander.
Das ist die Produktion von Fachkräftemangel von
morgen, Herr Minister.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Minister
Prof. Dr. Andreas Pinkwart)
– Ich kann Ihnen die Zahlen gerne zur Verfügung
stellen. Die Zahlen kann ich Ihnen gerne geben.
Das sind die Zugangsberechtigten.
(Ralf Jäger [SPD]: Note 6, setzen!)
Zweitens. Sie haben eine Unterrichtsgarantie versprochen. – In Wahrheit fallen nach Ihren eigenen
Angaben jedes Jahr weiterhin 2,7 Millionen Unterrichtsstunden aus, und in diesem Jahr sind es
wegen der Kopfnoten noch einmal 1 Million mehr.
Dazu kommt noch eins: Sie zählen nach wie vor
die Stunden nicht als ausgefallen, in denen die
Kinder sogenannten eigenverantwortlichen Unterricht erhalten.
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
Die sitzen im Klassenraum, kein Lehrer dabei,
und kriegen eine Aufgabe.
(Gisela Walsken [SPD]: Sehr richtig!)
11496
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Für mich ist das organisierte Selbstbespaßung,
aber kein Unterricht, den sich die Eltern in diesem
Land für ihre Kinder wünschen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Schließlich haben Sie versprochen, die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern nach
oben zu fahren. – Statt dafür gezielt Ressourcen
ins System zu geben, vergeben Sie bloß zahllose
Preise und Gütesiegel.
Ja, jetzt kommen Sie wieder mit den von Ihnen
zusätzlich eingestellten Lehrern. – Über die realen
Zahlen werden wir uns hier noch in vielen Debatten streiten. Dabei geht es nämlich nicht nur um
die Stellen, sondern auch darum, wie viele der
Stellen besetzt sind.
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
Denn bei dieser Rechnung muss man die Stellen
abziehen, die, weil kw-belastet, hinten runterfallen.
Aber gehen wir einmal davon aus, es wären 4.000
bis 5.000. Dabei müssen die Menschen draußen
im Land allerdings bedenken: 4.000 bis 5.000 neue
Lehrerinnen und Lehrer – wir haben damals in der
letzten Legislaturperiode 8.100 geschaffen – für
knapp 6.400 Schulen in diesem Land macht ungefähr ein Lehrer pro Schule – ein Lehrer, der das alles leisten soll, nämlich Abbau des Unterrichtsausfalls, Ganztag, individuelle Förderung. Alles das
soll dieser eine Lehrer bewerkstelligen.
Herr Ministerpräsident, wie haben Sie so schön
gesagt? Man kann einen Euro nur einmal ausgeben. Aber Sie geben jeden Lehrer mindestens
dreimal aus, zumindest beim öffentlichen Verkaufen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von
Heike Gebhard [SPD] – Zuruf von Ralf Witzel
[FDP])
Dann sind wir beim Faktencheck zu Ihrem zentralen Versprechen von mehr Durchlässigkeit im
Schulsystem angekommen.
(Ralf Jäger [SPD]: Oh ja!)
Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten nicht genug getan. Das haben wir auf uns genommen.
Dann haben Sie mit Ihrer Politik zusätzliche neue
Hürden aufgebaut. Sie machen Bildungsgänge
enger statt weiter. Ich nenne noch einmal die
Stichworte: Aufhebung der Grundschulbezirke,
verbindliche Grundschulempfehlung, Turboabitur
nach der Formel „9+3“, dadurch Abkopplung der
Gymnasien. Die Statistik, die Sie jetzt vorgelegt
haben, beweist genau das, was wir vorhergesagt
Landtag
Nordrhein-Westfalen
haben: Auf neun Absteiger in unseren Schulen in
diesem Land kommt nur ein einziger Aufsteiger.
(Ralf Witzel [FDP]: Das war bei Ihnen doch
genau so!)
Und es gibt 60.000 Sitzenbleiber in diesem Land.
(Ralf Witzel [FDP]: Das war bei Ihnen doch
ganz genau so!)
– Sie haben doch gesagt, Sie könnten übers Wasser gehen. Aber Sie schaffen es ja nicht einmal,
ein Seepferdchen zu machen, Herr Kollege.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Der hat den Mund
zu voll genommen!)
Das ist doch das Problem. Es geht dabei doch um
Ihre Versprechungen!
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Und bei Ihnen gehen die Schülerzahlen im unteren Bereich schon zurück. Auch das dürften Sie
mal berücksichtigen.
(Zuruf von der CDU: Ein Absteiger spricht
gerade! – Zuruf von der SPD: Oh!)
– Das war aber jetzt ganz witzig. So kennt man
Sie.
Eine Zahl kann ich Ihnen auch nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Im vergangenen
Schuljahr galt laut Ihrer eigenen Statistik, dass
von 218.810 Hauptschülern nur 714 den Übergang zur Realschule und nur 560 den Übergang
zum Gymnasium geschafft haben. Letzteres waren dank Ihrer Abschottungsstrategie für die
Gymnasien 15 % weniger als im Vorjahr. Das ist
der falsche Weg für Nordrhein-Westfalen und für
unser Bildungssystem.
(Beifall von der SPD)
Ich bringe das noch einmal auf den Punkt, Herr
Kollege Witzel. Das ist die Zusammenfassung: Ihr
Schulsystem steht für Abstieg
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11497
Frau Ministerin Sommer, ich kann verstehen, dass
Sie das in Probleme bringt, ganz persönlich. Aber
dass Sie dann in dieser Situation, in der Enge, an
der Wand, an der Sie zurzeit stehen, am letzten
Dienstag diesen Angriff auf die Gesamtschulen
gestartet haben,
(Ralf Witzel [FDP]: Alles Fakt!)
den nicht gerechtfertigten Angriff auf die Gesamtschulen, nur um von Ihrem Versagen abzulenken,
das war schäbig, Frau Ministerin. Das war schäbig!
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Sie greifen die Gesamtschulen an
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ob ihr das Herr
Niemetz beigebracht hat?)
und sprechen von einem „Abitur light“. Als Begründung verweisen Sie ausgerechnet auf die Ergebnisse des zweiten Zentralabiturs. Dabei weisen die Ergebnisse doch auf das Gegenteil hin.
Frau Ministerin, was Sie versuchen, ist durchsichtig. Um sich aus der Ecke zu manövrieren, entfachen Sie einen politischen Streit auf dem Rücken
der Schülerinnen und Schüler,
(Beifall von der SPD)
der Lehrerinnen und Lehrer und der Eltern der
Gesamtschüler und -schülerinnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage hier deutlich für die SPD-Fraktion: Wir
danken den Lehrerinnen und Lehrern für ihren
Einsatz, dafür, dass sie es schaffen, viele Kinder
aus sozial schwächeren Familien zu guten Abschlüssen zu führen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Ralf Witzel
[FDP]: 40 % Misserfolg! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Witzel, der größte Misserfolg sind Sie!)
Das ist die Leistung der Lehrerinnen und Lehrer
an den Gesamtschulen!
statt Aufstieg.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Die Menschen merken das. Sie registrieren das
Chaos, das Sie da anrichten, ganz genau. Das
zeigt doch auch Ihre eigene Umfrage. Der Kollege
Stahl hat sie doch vorgelegt. Das Ergebnis ist für
Sie niederschmetternd: Zu wenig Lehrer, hoher
Stundenausfall, zu große Klassen, zu geringe
Chancengleichheit, zu wenig Ganztagsschulen,
zu viel hektische Reformen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Ralf Witzel
[FDP]: 40 % Abbrecher!)
Gucken wir uns doch die Fakten an, Herr Witzel,
den Abstand beim Zentralabitur. – Sie haben doch
gleich die Möglichkeit zu reden. Sie müssen es
dem Kollegen Papke doch nur ins Ohr flüstern.
Dann bringt er das in seine Rede ein.
(Beifall von der SPD – Gisela Walsken
[SPD]: Schön! Zettelchen!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Die Fakten liegen doch auf dem Tisch: Der Abstand bei den Noten beträgt ganze 0,28 Notenpunkte.
(Ralf Witzel [FDP]: Wegen des Notenliftings! –
Heiterkeit von der SPD)
– Ach, das Notenlifting? Ich sage jetzt nicht das,
was mir auf der Zunge liegt. Das spare ich mir
jetzt.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Witzel eiert!)
Bedenken Sie einmal eine Sekunde lang, unter
welchen Bedingungen dort gearbeitet wird und mit
welchen Kindern dort gearbeitet wird, mit welcher
Empfehlung diese Kinder an die Gesamtschule
gekommen sind!
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)
Sie müssen sich einmal die Lebensläufe, den Verlauf der Schulkarrieren dieser Kinder anschauen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)
Am Freitag gibt es, glaube ich, eine Pressekonferenz. Dort sollten Sie gut zuhören. Dann wissen
Sie, welche Leistung an dieser Schulform erbracht
wird.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Stattdessen, Frau Ministerin Sommer, legen Sie
den Gesamtschulen ständig Steine in den Weg:
verpflichtender Ganztag an den Gesamtschulen
gestrichen, Entlastungen für die Schulleitungen
empfindlich gekürzt, Verhindern von Gesamtschulneugründungen gegen den erklärten Elternwillen vor Ort. Sie legen ihnen einen Stein nach
dem anderen immer schön in den Weg.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das sind schon
Felsbrocken!)
Denn die Performance der Gesamtschulen ist
beim Zentralabitur offensichtlich immer noch zu
gut. Anders kann ich mir das nicht erklären.
(Zuruf von der SPD)
Ganz pharisäerhaft stellen Sie sich dann am
Dienstag dahin und sagen: Das ist nicht das Ergebnis, das wir gern gehabt hätten. Jetzt wollen
wir die Gesamtschulen fördern. – Hätten Sie die
Stunden nicht gekürzt, dann bräuchten die Ihre
zusätzliche Förderung gar nicht!
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Das ist Ihre Politik, Frau Sommer.
(Beifall von der SPD)
11498
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Wegen des Fachkräftemangels für den Wirtschaftsstandort, aber auch im Sinne unserer Kinder ist es höchste Zeit, nach vorne zu blicken und
für die Zukunft neue Chancen, zusätzliche Chancen für Kinder zu eröffnen. Das Gebot der Stunde
lautet: länger gemeinsam lernen. Das sagt auch
die aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung,
dass die Menschen schon längst weiter sind als
Sie. Nicht einmal mehr ein Drittel, nur noch 28 %,
wollen eine Aufteilung der Schüler nach der vierten Klasse. Aber 68 % fordern längeres gemeinsames Lernen bis zur sechsten Klasse oder sogar
darüber hinaus. Das sind eindrucksvolle Zahlen,
die unseren Kurs, unseren mutigen Kurs in der
Bildungspolitik eindeutig bestätigen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Dann argumentieren Sie ja immer, dass man sich
eher an den Inhalten orientieren und nicht die
Strukturfrage stellen sollte. Die inhaltliche statt die
organisatorische Reform der Schulen müsse man
vorantreiben. – Das ist kein Widerspruch, Herr
Ministerpräsident.
(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Doch!)
Das bedingt einander. Das hat unter anderem
Präses Buß bei der Tagung der Evangelischen
Kirche von Westfalen dem Kollegen Stahl und
dem Kollegen Papke ins Stammbuch geschrieben. Er stellte dort klar, es sei die Organisation,
die die inhaltliche Lösung verhindere. – Recht hat
er, meine Damen und Herren.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Schlecht für den Bildungsstandort, meine Damen
und Herren, sind auch die immer weiter steigenden Elternbeiträge in den Kindertagesstätten. Verlässliche Betreuung, individuelle Förderung und
frühkindliche Bildung sind unverzichtbar für berufstätige Eltern, für ein erfolgreiches Bildungssystem. Da sind wir uns schnell alle einig. Es gibt
darum auch gewaltige Anstrengungen im Bund,
im Land, in den Kommunen und bei den Trägern.
Das ist gut.
Aber Sie gefährden den Erfolg dieser Bemühungen, indem Sie die Kommunen und Eltern immer
weiter mit steigenden Elternbeiträgen belasten.
Sie haben offensichtlich den Grundsatz aufgegeben, annähernd gleiche Lebensverhältnisse im
Land bestehen zu lassen. Sie haben den Defizitausgleich abgeschafft, mit dem fehlende Elternbeiträge vom Land übernommen werden. Jetzt
müssen entweder die Kommunen oder die Eltern
dafür zahlen.
Die Folge sind steigende Beiträge und unterschiedliche Sätze. Ich habe mich einmal schlau
Landtag
Nordrhein-Westfalen
gemacht. Eine Familie mit niedrigem Einkommen
und zwei Kindern zahlt in Düsseldorf 240 €, in
Duisburg 450 € und in Gelsenkirchen 600 €.
(Wolfgang Jörg [SPD]: Das ist eine Sauerei!)
Das ist in der Tat nicht in Ordnung. Denn gerade
in den bedürftigen Kommunen steigen die Elternbeiträge an, dort, wo die schwierigeren Kinder
auch häufig zu Hause sind, Kinder aus Migrantenfamilien, die eine gute Betreuung im Kindergarten
brauchen. Dort kommt es zu dieser Entwicklung.
Die ist nicht gut. Ihre Politik führt auf Sicht zu großen sozialen Verwerfungen. Das können wir Ihnen voraussagen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Unterschiedlich bleibt natürlich auch die Höhe der
Beiträge von Kommune zu Kommune, und sie
wird nach allem, was im Moment absehbar ist,
noch zunehmen.
Bleiben wir beim Stichwort kommunale Finanzen:
Die Kommunen gehören weiterhin zu den großen
Verlierern Ihrer Politik. Das Verfassungsgericht
hat Ihnen ja auferlegt, die Soligelder zurückzuerstatten. Sie versuchen, sich vor der Rückzahlung
zu drücken. Ich habe im Haushalt nachgeschlagen: Null Euro im Haushalt 2009 dafür.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Schweinerei!)
Es bleibt bei der kommunalfeindlichen Politik, Herr
Finanzminister.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Man darf immer wieder daran erinnern, dass die
Kommunen bei fast allen Kürzungen, die Sie in
den letzten Jahren vorgenommen haben, direkt
oder indirekt betroffen waren. Sie haben auf Kosten der Kommunen gespart und tun das auch weiterhin.
Beim Verfassungsgericht laufen deshalb drei Klagen der Kommunen gegen Sie, darunter zwei
Klagen wegen der Verletzung der Konnexität, wegen der Verlagerung der Umweltverwaltung und
wegen der Auflösung der Versorgungsämter. Galt
früher nicht der Grundsatz: Wer die Musik bestellt,
bezahlt sie auch?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Jedem Regierungsmitglied ein Instrument!)
Das hatten Sie doch damals mit abgestimmt. Heute verstoßen Sie gegen dieses Prinzip.
Schlimmer noch: Sie ziehen die Kommunen bei
der Verteilung der kräftig gestiegenen Steuereinnahmen buchstäblich über den Tisch. 2005 flossen noch 20 % der Landessteuereinnahmen ins
11499
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
GFG. Im Jahr 2006 haben Sie diesen Anteil auf
17,1 % gesenkt. Den Wert von 20 % im Jahre
2005, Herr Innenminister, haben Sie in keinem
der folgenden Haushalte wieder erreicht.
(Gisela Walsken [SPD]: Tja!)
Dabei geht es um eine Menge Geld. Hätten die
Kommunen weiterhin konstant 20 % der Landessteuermehreinnahmen bekommen, hätten sie bis
heute 1,7 Milliarden € mehr vom Land erhalten.
Damit könnte man in den Kommunen sinnvolle
Sachen machen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Gisela
Walsken [SPD]: Exakt so ist es! – Weitere
Zurufe)
Der nächste Schlag gegen die Kommunen und
gegen die kommunalen Finanzen ist bereits geplant: die Novelle zum Sparkassengesetz, also
der Weg in die Privatisierung.
(Zustimmung von der SPD)
Die vorgesehene Bildung von Trägerkapital leistet
der Privatisierung Vorschub; das wissen Sie.
(Helmut Stahl [CDU]: So ein Quatsch!)
Die Menschen im Land beginnen, das zu begreifen.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Wer will denn die
Sparkassen privatisieren?)
Wir reden über 110 Sparkassen, 63.000 Arbeitsplätze und 3.500 Ausbildungsplätze.
(Zurufe von CDU und FDP)
Wir reden über den unverzichtbaren Partner für
den Mittelstand und das Handwerk. Aber genauso
wenig können die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger auf die Förderung und das Engagement der Sparkassen im sozialen, im kulturellen, im sportlichen und im ehrenamtlichen Bereich
verzichten.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
Rund 155 Millionen € jährlich stecken die Sparkassen als Sponsoren in Kulturveranstaltungen
und in die kleinen Sportvereine vor Ort. Das setzen Sie mit Ihrer Politik aufs Spiel, Herr Finanzminister!
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Widerspruch von Christian Weisbrich [CDU] und
Volkmar Klein [CDU])
Deshalb ist die Aufregung im Lager der Sparkassen groß. Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Sparkassen- und Giroverbandes ruft zur
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Teilnahme an einer SPD-Veranstaltung auf. Dieser Verband ist nicht gerade unsere Vorfeldorganisation; da muss schon ziemlich viel in Bewegung sein.
(Heiterkeit von der SPD)
In Mönchengladbach gab es eine Ratsresolution;
die Kollegen sind vorsichtshalber aus dem Raum
gegangen.
(Zuruf von der SPD: Die waren doch gar
nicht da!)
Die Kollegen Norbert Post und Michael Schroeren
haben einer Resolution in Mönchengladbach gegen die Novelle des Sparkassengesetzes zugestimmt; das Ergebnis war einstimmig.
(Beifall von der SPD – Zurufe von der SPD:
Hört, hört! Bravo! – Zuruf von Christian
Weisbrich [CDU])
Interessant ist der Titel dieser Resolution: „Aus
Sorge um die Zukunft der Sparkassen und in Sorge um die Gefährdung kommunalen Eigentums“ –
Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und
Herren.
(Beifall von SPD, GRÜNEN und Rüdiger Sagel [fraktionslos])
Ich habe schon am Samstag das Zitat von Johannes Rau aus seiner Rede auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages gebracht.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
Er hat dort ausdrücklich die kommunale Daseinsvorsorge in ihrer Bedeutung dargestellt. Er sagt
wörtlich – ich zitiere –:
Ich denke, wir sollten diese Daseinsvorsorge
erhalten. Wo allein die herrschen, die von der
Rationalität des Marktes und der Logik des
wirtschaftlichen Vorteils ausgehen, da gibt es
eigentlich keine Bürger mehr, sondern nur noch
Kunden und Kosten. Gute Kunden hält man,
die schlechten klemmt man ab, und die Kosten
kürzt man …
Recht hat Johannes Rau, meine Damen und Herren.
(Beifall von SPD, GRÜNEN und Rüdiger Sagel [fraktionslos])
Das Thema WestLB ist eng mit den Sparkassen
verbunden. Die Novelle des Sparkassengesetzes –
das wissen Sie – behindert eine Lösung für die
WestLB. Haben Sie aus den vielen Fehlschlägen
immer noch nichts gelernt? Ich kann sie noch einmal auflisten:
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11500
Sommer 2007:
(Helmut Stahl [CDU]: Fangen Sie 1996 an! –
Gegenrufe von Sylvia Löhrmann [GRÜNE]
und Rainer Schmeltzer [SPD])
Der Ministerpräsident stoppt die von den Sparkassenverbänden vorbereitete Fusion mit der
LBBW und erklärt die WestLB zur Chefsache.
Sein Alternativplan, mit der Sachsen LB zusammenzugehen, wurde schon zwei Tage später verworfen.
Im Dezember 2007 gab es den Zehn-PunktePlan. Er enthielt unter anderem als Plan die Übernahme der IKB und die Fusion mit der Helaba.
Aus beiden Plänen ist bekanntlich nichts geworden.
(Gisela Walsken [SPD]: Chefsache!)
Wir haben immer gesagt: Das waren von Beginn
an nur Luftbuchungen.
Seitdem haben wir in rascher Folge weitere Vorschläge gehört, die alle verworfen wurden.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Alles Chefsache!)
Die Landesregierung hat an viele Türen geklopft.
Herr Ministerpräsident, heute ist von Ihnen hierzu
nichts mehr zu hören. Sie reagieren, wie ich höre,
sehr schmallippig auf Fragen von Journalisten
nach der Zukunft der WestLB.
(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers schüttelt mit dem Kopf.)
Angeblich warten Sie auf Vorschläge der Sparkassenverbände.
(Gisela Walsken [SPD]: Chefsache! – Weitere Zurufe von der SPD)
Herr Ministerpräsident, die Bank erst zur Chefsache zu erklären, um dann die Verantwortung abzuschieben, ist keine solide Politik für unser Land!
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer
Schmeltzer [SPD]: Wie immer bei Herrn
Rüttgers!)
In diesem Zusammenhang fand ich interessant,
was wir gestern lesen konnten; ich zitiere mit
freundlicher Erlaubnis des Präsidenten aus dem
Bonner „General-Anzeiger“:
Aus vertraulichen Unterlagen der Bank
– gemeint ist die WestLB –
geht hervor, dass die Bank zwei Drittel der
Schrottanleihen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
– also nicht Anleihen in Schrott, sondern solche,
die schrottig sind –
erst nach dem Regierungswechsel angehäuft
hat und zwischenzeitlich fast 30 Milliarden in ihren Depots führte.
(Gisela Walsken [SPD]: Aha! – Ralf Jäger
[SPD]: Das ist Chefsache!)
Herr Ministerpräsident, ich habe nachgeschlagen.
Am 23. Januar haben Sie das im Plenum ein
bisschen anders dargestellt. Sie haben wörtlich
erklärt – ich zitiere –
Meine Damen und Herren, wir versuchen hier
jetzt, etwas aufzuräumen, was in der großen
Mehrheit und im großen Umfang während Ihrer
Regierungszeit geschehen ist.
(Zustimmung von Christian Weisbrich [CDU])
– Hören Sie gut zu, Herr Weisbrich!
(Christian Weisbrich [CDU]: Immer!)
Weiter geht es:
Vor 2006 wurden die meisten Risiken, über die
wir heute reden, eingegangen. Wir räumen jetzt
das auf, was damals nicht verhindert bzw. was
zugelassen worden ist. Das ist der eigentliche
Sachverhalt, der im Moment auf der Tagesordnung steht.
Herr Ministerpräsident, Sie wollten damit offenbar
bewusst
(Gisela Walsken [SPD]: Täuschen!)
den falschen Eindruck erwecken, die Verantwortung für dieses Anlagedesaster bei der Bank läge
noch bei Rot-Grün.
(Zuruf von der CDU: Das ist so! – Widerspruch von Gisela Walsken [SPD] – Weitere
Zurufe)
20 % bei Ihnen und 80 % bei uns: Diese Zahlen
haben Sie damals genannt. Wir haben das immer
zurückgewiesen. Offensichtlich haben und hatten
wir recht. Die Wahrheit, Herr Ministerpräsident,
kommt immer irgendwann ans Licht!
(Gisela Walsken [SPD]: Lügen haben kurze
Beine! – Zuruf von Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers)
Dabei empfiehlt sich, den Faktencheck vorher
durchzuführen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Kommen wir zum Faktencheck bei der Klima- und
Energiepolitik. Ja, Sie haben eine Handlungsof-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11501
fensive zum Klimaschutz vorgelegt. Sie verdient
diesen Namen wahrlich nicht. Sie enthält lediglich
allgemeine Ziele; konkrete Handlungsvorschläge
für die Landespolitik sind nicht zu finden. Sie haben ein Klimaschutzkonzept ohne eigene Klimaschutzmaßnahmen vorgelegt. Da hilft auch keine
Symbolpolitik, die den Steuerzahler eine Klimaschutzabgabe für die Dienstwagen der Landesregierung zahlen lässt.
Ganz praktisch schaden Sie sogar dem Klimaschutz in NRW. Mit dem Feldzug der Landesregierung gegen erneuerbare Energien – insbesondere gegen die Windenergie – wird einerseits verhindert, dass diese Energien einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Andererseits werden Investoren aus Nordrhein-Westfalen ferngehalten. Ergebnis ist, dass die Anlagen und die
Arbeitsplätze für die Solarindustrie bevorzugt in
Ostdeutschland und für die Windenergie in Norddeutschland entstehen.
Statt für NRW zu handeln, machen Sie das Gegenteil. Es bleibt beim Kampf von Don Papke und
Sancho Ellerbrock gegen die Windmühlenflügel.
(Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, wir brauchen in diesem Bereich weitere Anstrengungen, um innovative Techniken zu entwickeln, die langfristige Energieversorgung zu sichern und den Klimaschutz zu
gewährleisten. Darin liegt die große wirtschaftliche
Chance für den Standort NRW. Sie wollen stattdessen die abgeschriebenen und technologisch
veralteten Atomkraftwerke immer weiter laufen
lassen. Damit verhindern Sie die Umsetzung des
Kraftwerkserneuerungsprogramms in NordrheinWestfalen.
(Beifall von der SPD)
Das läge aber im Landesinteresse, Herr Ministerpräsident.
(Beifall von der SPD)
Wenn Sie etwas für NRW tun wollen, warte ich
auf Ihre Stimme beim Emissionshandel. Hier findet die Landesregierung aus NRW offenbar nicht
statt. In Berlin ist man sich darüber einig, dass
das, was über die Auktion hereinkommt, nämlich
rund 10 Milliarden €, in den Ländern bleiben
muss. 44 % davon entstehen in NRW. Wo ist Ihre
Stimme dafür, dass dieses Geld nach NRW
muss? Es geht um 4 bis 5 Milliarden € für den
Klimawandel in unserem Land.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Meine Damen und Herren, von der Energiepolitik
müsste man auf die Wirtschaftspolitik kommen.
Frau Ministerin Thoben, davon gibt es nach wie
vor wenig. Es gibt viele Überschriften, aber faktisch findet eigentlich nichts statt. Ich habe mir
noch einmal die mittelfristige Finanzplanung für
Ihren Bereich angesehen: Die Zahlen gehen dramatisch nach unten.
Sie führen einige Wettbewerbe durch. Ich bin sehr
gespannt darauf, ob dort alles so sauber gelaufen
ist, wie es zu vermuten steht.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wie ist die Jury
zusammengestellt?)
Und ich bin auch sehr gespannt darauf, wie die
Relation zwischen Fördersumme und Kosten der
Verfahren aussieht. Auch da werden wir nachhaken, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Nachhaken werden wir auch hinsichtlich der Verwaltung des Landes. Auch dort lohnt ein kurzer
Faktencheck. Angekündigt war eine große Verwaltungsstrukturreform. Wir erinnern uns daran.
Herr Kollege Papke hat diese allerdings im März
endgültig abgesagt, wenn ich es richtig verstanden habe. Gestern aber redete er in einer Pressekonferenz von notwendigen strukturellen Maßnahmen und von radikalen Behördenneuzuschnitten ohne Tabus.
Herr Ministerpräsident, stehen die Bezirksregierungen jetzt schon wieder zur Disposition oder
nicht? Die Menschen dort draußen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter warten auf Ihre Antwort,
Herr Ministerpräsident. Sind das die radikalen
Strukturveränderungen, die Herr Papke will?
(Unruhe bei der Landesregierung)
– Meine Damen und Herren an meiner Seite, es
wäre nett, wenn Sie etwas leiser reden könnten.
Es stört die Konzentration wirklich ein bisschen. –
Danke schön.
(Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, die Landesregierung
und der Landtag tragen Verantwortung für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur bei den
Bezirksregierungen, sondern bei allen Teilen der
Landesverwaltung. Herr Ministerpräsident, ein fairer Umgang mit den eigenen Mitarbeitern ist bekanntlich nicht die Stärke Ihrer Landesregierung.
Als Oppositionsführer und Spitzenkandidat im
Wahlkampf haben Sie den Beamten und Angestellten das Blaue vom Himmel versprochen. Es
gab viele politische Versprechen, die der Finanz-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11502
minister und der Innenminister anschließend wieder eingesammelt haben. „Versprochen gebrochen“ lautet auch hier das Ergebnis des
Faktenchecks. Worte und Taten stimmen bei Ihnen einfach nicht überein.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Das merken auch die eigenen Leute, wie ich diesem Brief entnehmen konnte, den der Personalrat
Ihrer eigenen Staatskanzlei an Sie geschrieben
hat. Stichwort: Outsourcing. – Herr Ministerpräsident, Sie hatten davon geredet, Outsourcing sei
dummes Zeug. Der Personalrat hat darauf hingewiesen, dass genau das unter Ihrer Verantwortung in der Staatskanzlei realisiert wird. Sie lagern
Dienstleistungen aus. Ihr Personalrat klagt, dass
Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gerecht und würdevoll behandeln. Es zeigt sich: Das
soziale Mäntelchen ist wieder einmal mehr nur
Zierrat. Ihre reale Politik ist weder sozial, noch real, noch arbeitnehmerfreundlich.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Sonntags reden Sie mitfühlend über die Empfänger von Hartz IV. Während der Woche entziehen
Sie den Arbeitslosen die Hilfe durch die unabhängige Beratung in den Arbeitslosenzentren.
(Beifall von der SPD)
Wie leiten Sie eine solche Politik aus der christlichen Soziallehre ab, Herr Ministerpräsident?
Das Problem Ihrer Regierung ist: Sie haben keinen Plan, keine Vision und keine Idee.
Nach 39 Jahren haben Sie die Regierung übernommen. Das Programm war, alles anders zu
machen als Rot-Grün. Die Antihaltung war Ihre
gemeinsame Plattform. Anfangs haben Sie von
einer Koalition der Erneuerung gesprochen. Jetzt
verkünden Sie die Politik des Stillstands.
Wir beraten heute den Haushalt des Jahres 2009.
Er ist so wie die anderen. Sie setzen keinen wirklichen Schwerpunkt, Herr Finanzminister. Auch
hier lohnt sich ein Faktencheck. Ich mache es
kurz.
Kinderbetreuung, Ausbau U3: Seien Sie doch
einmal ehrlich. Erstens haben Sie die Mittel für Investitionen gekürzt. Zweitens haben Sie die Mittel
in erster Linie dem Finanzminister Peer Steinbrück zu verdanken; denn aus Berlin fließen im
Jahr 2009 mehr als 82 Millionen für Investitionen
im U3-Bereich.
(Beifall von der SPD)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Dann unterschlagen Sie auch noch etwas, Herr
Finanzminister. Im Kindergartenjahr rechnen Sie
zwar mit einer Steigerung um 11.000 Plätze bei
unter Dreijährigen. Dem steht aber ein Rückgang
um 36.000 Plätze bei über Dreijährigen gegenüber. Herr Finanzminister, das vergessen Sie in
Ihrem Beitrag zu erwähnen.
(Beifall von der SPD)
Bildung: Im Schulbereich lohnt ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung. Schauen Sie einmal,
wie sich der Etat der Schulministerin in der mittelfristigen Finanzplanung entwickelt. Der Zuwachs
um 997 Millionen € liest sich auf den ersten Blick
ganz gut. Doch wir wissen doch sehr genau, dass
davon allein rund 650 Millionen € für Versorgungs- und Pensionsleistungen draufgehen werden, Herr Finanzminister und Herr Ministerpräsident. Es erfolgt keine Schwerpunktsetzung.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Wer schreibt
Ihnen denn das auf?)
Qualitativ wird sich das für unsere 6.240 Schulen
nicht positiv auswirken.
Schauen wir auf den Innovationsbereich, Herr
Pinkwart. Hier wird aus dem ehrlichen Kaufmann
ein Zahlentrickser. In der mittelfristigen Finanzplanung wächst der Etat von Minister Pinkwart
ganz bescheiden um 138 Millionen vom Jahr 2009
bis zum Jahr 2012. Doch in seiner Presseerklärung sagt der Minister der Öffentlichkeit: Insgesamt steigt der Etat um mehr als 1,3 Milliarden €. – Das nenne ich kreative Buchführung,
Herr Minister. Haben Sie vielleicht die Einnahmen
aus den Studiengebühren und die durchlaufenden
Mittel des Bundes miteingerechnet? Oder ist ein
Lottogewinn mitverbucht? Ich wüsste gerne, wie
Sie auf diese Zahlen kommen.
(Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, halten wir abschließend fest: Anders als versprochen gilt, Sie sparen
nicht, Sie investieren zu wenig, Sie lassen die
Kommunen ausbluten und Sie setzen nicht wirklich einen Schwerpunkt bei Kindern, Bildung und
Innovation.
(Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Sie sind nicht ehrlich zu den Menschen in Nordrhein-Westfalen. Dieser Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung sind Ihr Offenbarungseid,
Herr Ministerpräsident!
(Lang anhaltender Beifall von der SPD – Beifall von den GRÜNEN)
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11503
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau
Kollegin Kraft. – Für die CDU spricht ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Stahl.
(Ralf Jäger [SPD]: Jetzt kommt das rhetorische Highlight!)
Helmut Stahl (CDU): Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Kraft, die Rede, die Sie gerade gehalten haben, ist ein typisches Beispiel dafür, dass der Mantel nicht passen kann, wenn
man beim Zuknöpfen mit dem falschen Knopf anfängt.
(Beifall von der CDU)
Ich werde Ihnen gleich an Beispielen zeigen, warum all Ihre Argumente so schief sind. Sie haben
vorgetragen, was wir von Ihnen kennen: Kritik im
Pepitaformat, aneinandergereihte Wiederholungen dessen, was irgendwann einmal kritisch in
den Medien stand.
(Ute Schäfer [SPD]: Das ist der einzige
Spruch, den Sie kennen! – Weiterer Zuruf
von der SPD: Haben Sie auch mal eine neue
Rede?)
Es ist das geistlose Aneinanderreihen kleinster
Quadrate, deren Gesamtschau nichts als Verwirrung stiftet.
(Beifall von der CDU)
Ihre Vorschläge sind ohne Geist und ohne Linie.
(Widerspruch von der SPD)
Ich will an ein paar Fakten aufzeigen, warum Ihre
Argumente schief sind. Ich will es nicht an allen
machen, denn das würde mir meine ganze Redezeit nehmen; das wäre schade.
Sie haben zutreffend behauptet, dass die Steuereinnahmen von 2005 bis 2009 um etwa 25 % gestiegen sind. Sie haben auch die Zahl von
8,6 Milliarden € Zuwachs genannt. Sie haben aber
versäumt zu sagen, wie die Ausgabenseite aussieht. Von den 8,6 Milliarden € sind 1,6 Milliarden € in den Steuerverbund mit den Kommunen,
5 Milliarden € in den Abbau der Nettokreditaufnahme, 0,4 Milliarden € in den Schuldendienst
und 0,7 Milliarden € in die Versorgungsrücklage
geflossen.
(Ralf Jäger [SPD]: Warum haben Sie trotzdem 14 Milliarden € mehr Schulden gemacht?)
Dann sind Sie schon bei gut 7 Milliarden € und
haben die 8,6 Milliarden € ruck, zuck problemlos
Landtag
Nordrhein-Westfalen
erklärt. Der Rest ist beispielsweise auf das KiBiz,
auf mehr Lehrerinnen und Lehrer und auf mehr
Investitionen an unseren Hochschulen zurückzuführen. So einfach, so simpel ist das alles.
(Beifall von der CDU)
Wenn Sie den Ministerpräsidenten ob seiner
strukturellen Vorschläge bezogen auf die Konjunktur kritisieren, dann zeigt das, dass Sie den
Paradigmenwechsel nicht verstanden haben, der
in der Ökonomie und auch in der Politik längst
vollzogen ist: dass eine Politik der Mehrausgaben
in einer schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung
nicht hilft, sondern die Probleme potenziert. Auf
genau diesen Punkt, den wir erkannt haben,
kommt es an.
(Beifall von CDU und FDP)
Deshalb ist es wichtig, strukturelle Maßnahmen
vorzuschlagen. Genau das hat der Ministerpräsident soeben getan.
Nun komme ich zu Ihren Ausführungen bezüglich
der Zuwachsraten im Haushalt bei den Steuereinnahmen: Wissen Sie denn nicht, Frau Kraft, dass
sie auf der Steuerschätzung beruhen, die Bund
und Länder jeweils im Mai und November durchführen? Worauf sollte der Finanzminister seine
Rechnungen denn sonst stützen?
(Zuruf von der SPD: Warum spricht der Ministerpräsident denn dann dagegen? Kann
er die Steuerschätzung nicht lesen?)
Das zeugt davon, dass Sie bei all dem, was Sie
vorgetragen haben, in der Sache keine Ahnung
haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Ich denke, Sie hatten bei ZENIT Ihren Zenit als
Ökonomin schon längst überschritten.
(Widerspruch von der SPD)
Sie haben die WestLB angesprochen und im Kern
kritisiert, dass vor dem Hintergrund des Risikoschirms erste Ausgaben fließen mussten, den das
Land gemeinsam mit den Eigentümern entsprechend der Vereinbarung vom 8. Februar verfügbar
gemacht hat. Wie um Himmels willen kann man
das kritisieren? Das ist eine ganz normale Erfüllung der Vereinbarung und das Abarbeiten des
GAUs und des Verbrennens von Geld bei der
WestLB über Jahre, ein Erbe, das die Sie uns überlassen haben. Genau das ist der Punkt!
(Beifall von CDU und FDP – Ralf Jäger
[SPD]: Zwei Drittel hat Cheffe gekauft!)
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11504
Wenn Sie die angebliche Fusion mit der LBBW
ansprechen, die immer noch draußen herumwabert, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der
Präsident der Sparkassen in Baden-Württemberg,
Schneider, eindeutig erklärt hat, es wäre ein Happen, an dem man sich heillos verschlucken würde.
(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)
Die Diskussion hat sich vom Boden der Realität
abgehoben. Sie sind dabei, auch noch zu trommeln. Sie sind es, die die Sparkassen verunsichern.
(Beifall von CDU und FDP)
Sie haben noch gar nicht mitbekommen, dass es
eine Europäische Kommission gibt, die bestimmte
Dinge von uns verlangt, die weit entfernt sind von
dem, was da vor Ort und von Ihnen diskutiert und
vorgetragen wird.
Und dann kritisieren Sie eine angebliche Schockstarre der Politik. Ist es denn eine Schockstarre,
wenn wir das Heimgesetz neu formen, wenn wir
die Lehrer(innen)ausbildung verändern, wenn wir
das Sparkassenrecht novellieren? Dann können
Sie doch nicht von Schockstarre reden! Warum
protestieren Sie denn dagegen, wenn die Regierung angeblich in Schockstarre verfallen ist?
Sie sind mit Ihrer Kritik im Übrigen – wie ich vorhin
schon sagte – nicht mehr als der Lautsprecher einer schieflaufenden Debatte. Landesplanungsgesetz, anderes mehr – es ist widerlegt, dass wir,
dass die Landesregierung es nur ansatzweise
aufgegeben hätten, dieses Land nach vorne zu
bringen. Das ist und bleibt unser Auftrag, und wir
werden ihn bis zum letzten Tag konsequent gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich erfüllen.
(Beifall von CDU und FDP)
Frau Kollegin Kraft, das Sommertheater der SPD
hat niemanden zu Beifall eingeladen, auch nicht in
der SPD. In der Öffentlichkeit herrscht ein breites
Unverständnis über die Behandlung der Causa
Clement durch die nordrhein-westfälische SPD,
deren Vorsitzende Sie, Frau Kraft, sind. Wie konnten Sie es zulassen, dass Ihr Landesverband derart stümperhaft handelt? Schließlich geht es um
einen Politiker, der über Jahrzehnte Ihre Partei
verkörperte.
(Zuruf von der SPD: Was hat das mit Ihrem
Haushalt zu tun?)
Das war unprofessionell, eben so, wie Sie sind.
(Beifall von der CDU)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Da gab es Ihre Firmenbesuche in der Sommerpause. Sicherlich ist das lobenswert. Aber wie
weh haben Sie der IG Metall eigentlich getan, als
Sie sich in Lobeshymnen auf ein Unternehmen
ergingen, das offenbar nicht daran denkt, tarifliche
Löhne zu zahlen.
(Hendrik Wüst [CDU]: Eijeijei!)
Ich erinnere Sie daran, dass Sie sich vor einem
Jahr der IG Metall für die Kampagne „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ angedient haben. Dass
Sie so etwas in der Vorbereitung eines Termines
nicht draufhaben, das ist nicht nur unprofessionell,
Frau Kraft, es macht Sie auch unglaubwürdig –
eben so, wie Sie sind.
(Beifall von der CDU – Ralf Jäger [SPD]:
Rauschender Beifall!)
Natürlich musste irgendwann herauskommen,
was dieser Tage im Magazin „Focus“ nachzulesen
war. So sind Sie eben: Kenn’ ich, kann ich, weiß
ich, alles schon gemacht, alles auf der Pfanne. –
Ich erinnere mich noch gut, Frau Kraft, an die Begegnung mit Kanzlern und Rektoren in der Zeit,
als Sie Ministerin für die Hochschulen waren:
(Michael Groschek [SPD]: Das war noch eine Zeit!)
Den Rektoren und Kanzlern waren die Termine in
Ihrem Ministerium ein blanker Graus. Da haben
Sie den Profis mal eben erzählt,
(Zuruf von der SPD)
wie Wissenschaft geht, was Forschung ist. Von
oben herab: Kann ich, kenn’ ich, weiß ich. – Frau
Kraft, diese Menschen aus Wissenschaft und Forschung werden alles daransetzen, nicht nochmals
mit Ihnen zu tun zu haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Ich bin sicher, das wird sich in Nordrhein-Westfalen weit herumsprechen.
Demokratie, Frau Kollegin Kraft, lebt vom Streit,
von der offenen Diskussion, vom Ringen um die
beste Lösung, vom Ringen um den bestmöglichen
Kompromiss. Wir wollen uns ja gerne mit Ihnen
messen in einer Diskussion um Konzepte etwa
zur Innovation, zur Energie- und Rohstoffpolitik,
zum Verbraucherschutz, zur inneren Sicherheit,
zu Konzepten auf anderen Politikfeldern. Aber
nichts ist von Ihnen diesbezüglich zu hören und
zu vernehmen, nichts außer hohler Rhetorik. Uns
fehlt der Widerpart, uns fehlt das Gegenüber, mit
dem wir uns in der Sache messen können. Tun
Sie Ihren Job!
11505
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Beifall von CDU und FDP – Sören Link
[SPD]: Ist das Ihre Rede aus dem Koalitionsausschuss?)
Über drei Jahre sind Sie jetzt Führerin der größten
Oppositionsfraktion. Nichts haben Sie zustande
gebracht, was inhaltlich Hand und Fuß hätte.
Doch, eines haben Sie zustande gebracht: einen
Parteitagsbeschluss zur Schulpolitik. Dieser ist
genauso rückwärtsgewandt wie Ihre Position zum
subventionierten Steinkohlenbergbau.
(Beifall von CDU und FDP)
Sie können es, Sie kennen es, Sie wissen ja alles –
angeblich. Aber wo, Frau Kraft, sind Ihre Antworten, Ihre seriösen Antworten auf Zukunftsfragen
unserer Gesellschaft, beispielsweise in der Energiepolitik?
(Ralf Jäger [SPD]: Wer hat Ihnen die Rede
wieder geschrieben?)
In der vorigen Woche hat Frau Kollegin Löhrmann
Sie an die Hand genommen und mit Ihnen gemeinsam eine Pressekonferenz abgehalten. Im
Kern war Inhalt dieser Pressekonferenz das, was
der Kollege Priggen als Sondervotum für die Energie-Enquete ausgearbeitet hatte. Wir alle in
Nordrhein-Westfalen und weit darüber hinaus
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
sind existenziell angewiesen auf verlässliche wie
erschwingliche Energie. Wir sind angewiesen
darauf, dass Strom stetig in gleichbleibender Qualität zur Verfügung steht. Sonst laufen weder die
komplizierten Instrumente in einem Operationssaal oder bei der Flugsicherung noch die Steuerung von Industrieanlagen, noch Computer, noch
Waschmaschinen oder Fernseher. Dann sind
Wohlstand und Sicherheit futsch. Wir müssen die
Fähigkeit zur Mobilität erhalten. Sprit darf nicht
unerschwinglich werden. Wir brauchen warme
Wohnungen. Der globale Hunger nach Energie
und die Energiepreiskrise haben uns gelehrt: Wir
brauchen für eine sichere, eine saubere, eine bezahlbare Energieversorgung, einen Energiemix
aus allen technisch wie wirtschaftlich nutzbaren
Energiequellen. Wir brauchen sie alle. Wir brauchen die Wasserkraft oder Braunkohle, Erd- oder
Sonnenwärme, Bio- oder Windkraft, Gas- oder
Kernkraft. Es macht keinen Sinn, das Energieangebot künstlich zu verknappen und dadurch die
Preise weiter raketenhaft nach oben zu treiben.
Es macht einfach keinen Sinn, sichere Kernkraftwerke in Deutschland stillzulegen.
(Beifall von CDU und FDP)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Wissenschaftler und anerkannte Experten sagen
uns: Mit einem Ausstieg aus der Kernenergie katapultiert sich Deutschland an die Spitze der
Verschmutzerstaaten. Die „Neue Zürcher Zeitung“
spricht in ihrer Ausgabe vom letzten Wochenende
von einem sich anbahnenden Desaster in
Deutschland. Das kann doch nicht im deutschen
und schon gar nicht im nordrhein-westfälischen
Interesse liegen.
Herr Kollege Priggen, ich wende mich an Sie, weil
Sie im Unterschied zur SPD immer noch eine Position haben, über die man streiten kann. Leider
offenbaren Ihre Konzepte ein statisches Denken,
das auch Ihre Partei nicht zukunftsfest macht.
Dazu ein Beispiel: Sie fordern in Ihrem Papier den
Aufbau einer Tankstelleninfrastruktur für Erdgas in
den Städten und auf Autobahnen. Dazu sage ich:
Löblich! Aber sind Sie damit auf der sicheren
Bank? In welche Abhängigkeiten begeben wir uns
damit? Wollen wir tatsächlich unsere Abhängigkeit
von Erdgaslieferanten, insbesondere von Russland, weiter steigern? Können Sie das wirtschaftlich, können Sie das politisch wirklich verantworten?
Hinzu kommt: Hat der Verbrennungsmotor – einschließlich eines gasbetriebenen – eine Ewigkeitsgarantie? Geht der Trend nicht viel stärker zu
Elektroantrieben, auch im motorisierten Individualverkehr? Namhafte deutsche Hersteller wollen
in zwei, drei Jahren Fahrzeuge in der Golf- oder
A-Klasse mit Elektromotor auf den Markt bringen.
Da sieht Ihre Frau Künast mit ihrem Faible für
Fahrzeuge japanischer Produktion ziemlich hybrid
aus. Die wird dann wohl versuchen, an einer
staatlich verordneten Tankstelle ihre Batterien
aufzuladen. Ich wage vorherzusagen: Das wird
nicht gelingen.
(Beifall von der CDU)
Der Ersatz von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren bedeutet ein Mehr an Strombedarf,
bedeutet ein Mehr an Stromproduktion in
Deutschland. Damit, Herr Priggen, sind all Ihre
schönen Szenarien im Eimer, weil Ihr Denken
diesbezüglich in der Gegenwart verhaftet bleibt
und die Szenarien der Zukunft nicht kennt.
Gleichzeitig gegen Kohle und gegen Kernkraftwerke zu kämpfen, das ist nicht nur dumm und
konzeptionslos, sondern – davon bin ich überzeugt – damit versündigen Sie sich auch am Klimaschutz, am Geldbeutel und an den Mobilitätsbedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft.
(Beifall von der CDU)
11506
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Autobatterien laden, nur wenn der Wind weht oder
die Sonne scheint, das, Herr Priggen, kann nicht
Ihr Ernst sein. Sie können mehr, oder verschweigen Sie, dass Sie den Menschen das Autofahren
unmöglich machen wollen?
Frau Kollegin Kraft, da es Ihnen an politischer
Substanz und Orientierung gebricht, suchen Sie
immer neu Ihr Heil in dem Anspruch, für soziale
Gerechtigkeit einzustehen. Sie tun das meist ohne
Begründung, stets im Behauptungsstil. Sie missbrauchen die soziale Gerechtigkeit, um Ihre politische Substanzlosigkeit zu kaschieren.
(Widerspruch von der SPD)
Sie nutzen erkennbar das Leitbild sozialer Gerechtigkeit, um weniger einkommensstarken, weniger begüterten Menschen Hoffnung auf mehr
Geld zu machen, um diese Hoffnung politisch zu
nutzen, wenn nicht sogar auszunutzen.
Oder es geht darum – beispielsweise in der Debatte um die Studienbeiträge –, die Illusion zu
nähren, alles könnte besser werden, ohne dazu
selbst einen Beitrag zu leisten. Ich kenne, Frau
Kollegin Kraft, kein Studiengebührenmodell, das
unsozialer war und ist, als das von Ihnen in Nordrhein-Westfalen eingeführte Studienkontenmodell.
(Beifall von CDU und FDP)
Hin und wieder ist es gut, sich ein paar Obersätze
klarzumachen; sonst geht die Urteilskraft verloren.
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
Allen Menschen das Gleiche oder annähernd das
Gleiche für ihre Arbeitsleistung in Form von Einkommen, Lohnersatzleistung, Alterseinkommen
zu versprechen, das würde in kürzester Zeit jede
Wirtschaft, jede Gesellschaft um ihre Zukunft
bringen. Warum sich mehr anstrengen als andere,
warum den Stress des Arztberufs, des selbstständigen Handwerkmeisters, der Stationsschwester
oder der Pflegeleitung in Kauf nehmen, wenn es
sich nicht lohnt? Seien wir also froh darüber, dass
alle Menschen nicht das Gleiche wollen, nicht das
Gleiche verdienen und auch nicht das Gleiche
haben.
Genau diese Menschen sind es, die – leider Gottes – in all unseren Diskussionen kaum oder viel
zu kurz zu Wort kommen. Es sind diejenigen, ohne die soziale Gerechtigkeit gar nicht herstellbar
wäre. Es sind diejenigen, die morgens aufstehen,
sich duschen, frühstücken, sich in den Bus oder in
ihr Auto setzen, zur Arbeit fahren und abends
wieder in den Bus oder ihr Auto steigen, um zu
ihrer Familie zurückzukehren oder ihren Feierabend in Vereinen zu verbringen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Marc Jan Eumann [SPD]: Zähne putzen!)
Das sind die Menschen, die Steuern und Sozialabgaben zahlen, die unter dem Energiekostenschub und den hohen Preissteigerungsraten
stöhnen und oftmals an der Grenze ihrer Belastbarkeit stehen. Diese Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft brauchen wir für soziale Gerechtigkeit, weil sie es sind, die anderen helfen
können und auch helfen müssen. Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur auf der Ausgabenseite zu Hause. Sie muss auch auf der Einnahmeseite einen
Stammplatz haben.
(Michael Groschek [SPD]: Mindestlohn!)
Sie haben das Thema Schule, das Thema Bildung
angesprochen. Es ist zweifelsfrei so, dass Bildung
die soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist. Diesen
Satz hat Jürgen Rüttgers sehr frühzeitig geprägt
und konsequent begonnen in unserer Politik in
Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Koalition
umzusetzen.
(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann
[GRÜNE]: Sie handeln nicht danach!)
Deshalb war es sozial ungerecht, dass Sie Kinder
aus Migrationsfamilien in den Kindergärten über
Jahre ohne Hilfe gelassen haben. Das war in hohem Maße sozial ungerecht.
(Beifall von der CDU)
Spracherwerb ist der Schlüssel zur Teilhabe an
unserer Gesellschaft. Das haben Sie den Kindern
über viele Jahre verweigert. Das haben wir durch
Sprachstandsfeststellungen und Förderung schon
im Kindergarten geändert. Das haben wir mit dem
Kinderbildungsgesetz geändert. Und dieses Gesetz ist erfolgreich. Es wird angenommen.
(Beifall von CDU und FDP)
Die Menschen lernen, damit umzugehen. Und viele sagen schon: Ja, es klappt, dank KiBiz klappt
es! – Das ist eine Politik, die den Leitsätzen sozialer Gerechtigkeit folgt.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Gehen Sie doch
mal in die Mitte der Kindertagesstätten!)
Sozial ungerecht war und ist es beispielsweise,
dass Sie, Frau Kraft, Ihre Politik auf das Ruhrgebiet konzentrieren. 60 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen leben im ländlichen Raum. Sie
verdienen es, mit ihren Problemen wahrgenommen, mit ihren speziellen Anliegen anerkannt zu
werden. Ihr Bild von Nordrhein-Westfalen, Frau
Kraft, ist eines ohne Kopf und ohne Unterleib.
Selbst Politik für die Region Ruhr machen wir zwischenzeitlich um Längen besser als Sie – mit Bür-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11507
germeistern im Ruhrgebiet, mit HunstegerPetermann oder Sauerland, mit Oliver Wittke und
Christa Thoben, mit Wettbewerb zur Mobilisierung
der Eigenkräfte statt mit der Gießkanne von Subventionen. Das bringt die Region voran und nicht
Ihre Politik, die diese Region wieder abhängig
macht.
(Beifall von CDU und FDP)
Frau Kraft, soziale Gerechtigkeit verkommt, wird
entwertet, wenn sie zu einem verhängnisvollen
Wettbewerb degeneriert. Dieser Wettbewerb geht
von der irrigen Annahme aus, dass Kühe im
Himmel gefüttert und auf Erden gemolken werden
können.
(Lachen von der SPD)
In diesen verhängnisvollen Wettbewerb begeben
Sie sich mit der PDS. Nur: Die Linken, die PDS,
melken schneller. Der Vorsitzende dieser Gruppierung in NRW hat in einem Interview mit der
„Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Vorgaben gesetzt. Dazu einige Beispiele: Abschaffung
von Hartz IV, Rentenantritt mit 60, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, existenzsichernde Grundeinkommen für alle, Verstaatlichung der Energieversorgung. – Das ist, meine
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Punkt gebracht ein Programm zur
Zerstörung unseres Landes.
(Zuruf von der SPD: Das sind Versprechen,
wie Sie sie 2005 gemacht haben!)
Da sind die Linken ganz nah bei den extrem
Rechten – nur links herum im Kreis von Politik.
Frau Kraft, wie Sie es mit den Linken halten, diese
Frage wird Sie begleiten, notfalls bis zum Mai des
Jahres 2010.
(Beifall von der CDU)
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich diesbezüglich erklären. In Wirklichkeit – das ist unsere Befürchtung – sind Sie nämlich längst von der Mitte
weg, scharf links in den Graben abgebogen, wo
Sie natürlich auf Frau Ypsilanti treffen.
(Beifall von CDU und FDP)
Was für ein Identitätsverlust für die stolze, die frühere SPD! Allen, die in dieser großen alten Volkspartei engagiert sind,
(Zuruf von der SPD: Wollen Sie einen Aufnahmeschein?)
sage ich: Wer mit der PDS flirtet, der küsst Margot
Honecker.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Große Unruhe von der SPD)
Und für alle, die über ein Fünkchen Geschichtsbewusstsein verfügen, sage ich: Dieser Kuss ist
tödlich.
(Beifall von CDU und FDP – Lachen von der
SPD – Zuruf von der SPD: Können Sie das
wiederholen?)
– Ja, gerne, das kann ich. Wer mit der PDS flirtet,
der küsst Margot Honecker. Und dieser Kuss ist
tödlich. Merken Sie sich das!
(Beifall von CDU und FDP)
Frau Kraft, wie können Sie und Ihre Fraktion Helmut Linssen vorwerfen, er spare nicht genug,
wenn Sie sich gleichzeitig die Option offenhalten,
sich von der Linken aushalten zu lassen? Die
Vorstellungen der Linken kosten Bund, Länder
und Gemeinden plus Sozialversicherungen etwa
155 Milliarden € pro Jahr. Das hat Ihnen Peter
Struck vorgerechnet, der Vorsitzende der SPDBundestagsfraktion in Berlin. Frau Kraft, solange
Sie sich nicht eindeutig von einer möglichen Zusammenarbeit mit den Linken distanzieren, ist jede Aufforderung an uns, zu sparen, das Papier
nicht wert, auf dem sie geschrieben ist.
(Beifall von CDU und FDP)
Eigentlich ist es – damit komme ich auf Ihren Einstieg zurück – das Papier heute schon nicht wert –
jedenfalls so lange nicht, solange Sie nicht von Ihrer unseligen finanzwirtschaftlichen Tradition lassen.
Sie kritisieren, dass im Haushalt des Jahres 2009
eine Reduktion der Nettokreditaufnahme in Höhe
von 100 Millionen € vorgesehen ist. Allein in den
letzten zehn Jahren von SPD und Grünen haben
Sie den Menschen in Nordrhein-Westfalen die riesige Last von 47 Milliarden € neuen Schulden
auferlegt. Sie haben während dieser zehn Jahre
jedes Jahr im Durchschnitt 4,7 Milliarden € zusätzlich an Schulden draufgelegt. Wie kommen
Sie dann dazu, Kritik zu üben? Sie müssten doch
in den Boden versinken!
(Beifall von CDU und FDP)
Das war eine zukunftsfeindliche Politik nach dem
Motto: Was schert mich Enkel, was schert mich
Kind, lass sie betteln, wenn sie hungrig sind! – Alles auf dem Buckel unserer Kinder, alles auf dem
Buckel unserer Enkel!
(Gisela Walsken [SPD]: Rechnen Sie doch
mal Ihre Schulden nach!)
11508
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Fast 5 Milliarden € mehr Schuldendienst pro Jahr!
Frau Kraft, was könnte man mit diesen 5 Milliarden € machen: für unsere Hochschulen, für unsere Krankenhäuser, für unsere Kindergärten, für
unsere Straßen, für neue Radfahrwege! Alles wäre ruck, zuck umsetzbar, wenn Sie nicht eine so
maßlose, hässliche Finanzpolitik betrieben hätten.
(Beifall von CDU und FDP)
Auch sage ich: Selbstverständlich hat Helmut
Linssen unsere volle Unterstützung bei den Zielen, die wir uns gesetzt haben. Diese Ziele sind
recht einfach: schnellstmöglicher Ausgleich des
Haushalts
(Gisela Walsken [SPD]: 2010!)
ohne den Rückgriff auf den Kapitalmarkt,
schnellstmöglicher Beginn einer Rückzahlung der
von Ihnen maßgeblich verursachten Schulden.
Frau Kraft, substanzielle Beiträge kamen von Ihnen nicht. Subventionierter Steinkohlenbergbau
und Einheitsschule, das ist das Einzige, was Sie
an substanziellen Aussagen bisher getätigt haben. Unter Ihrem Vorsitz ist die SPD noch nicht
weitergekommen.
Frau Kraft, allein in diesem Jahr haben wir uns als
Fraktion in wesentlichen politischen Fragen positioniert.
(Michael Groschek [SPD]: Wo denn?)
Wir haben uns bezogen auf eine Politik der ländlichen Räume positioniert. Wir haben uns im
Verbraucherschutz positioniert. Wir haben uns in
der Energiepolitik positioniert. Ich warte einfach
darauf, dass irgendetwas Vergleichbares einmal
von Ihrer Seite kommt. Bei Ihnen ist Politikverweigerung, Oppositionsverweigerung zu konstatieren.
(Beifall von CDU und FDP)
In wenigen Monaten beginnt der Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen. In meiner Stadt, in
Bonn, werde ich den Eltern, werde ich den Kindern sagen: Die SPD will eure Realschulen abschaffen. Die SPD will eure Gymnasien abschaffen. Die SPD will keine Hauptschulen mehr.
(Michael Groschek [SPD]: Das ist politische
Sittenstrolcherei!)
Die SPD hat die Einheitsschule beschlossen. Sie
hat beschlossen, flächendeckend integrierte Gesamtschulen zu schaffen. Nichts gegen integrierte
Gesamtschulen, wenn sie gut geführt sind und
wenn sie Teil unseres gegliederten Schulsystems
sind! Aber alles gegen Einheitsschulen, weil Kinder und junge Menschen eben unterschiedlich
Landtag
Nordrhein-Westfalen
sind und unterschiedliche Schulen und unterschiedliche Möglichkeiten der Förderung brauchen!
(Beifall von CDU und FDP)
Unser Ziel war und ist, jedem Kind, jedem Jugendlichen
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11509
(Ralf Jäger [SPD]: Wo haben Sie das denn
her?)
– Wo haben sie das her? Die Frage kommt wie
gerufen; die Antwort nunmehr von mir. Herr Jäger,
weil ich es wissen wollte,
(Zuruf von Gisela Walsken [SPD])
(Ralf Jäger [SPD]: Sie sind ein Bildungsdinosaurier!)
haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben, die
Sie dankenswerterweise zitiert haben.
die besten Möglichkeiten zu geben, sich zu entfalten. Darum geht es und nicht darum, irgendeine
Organisationsveränderung zu vollziehen.
(Ralf Jäger [SPD]: Das war eine CDUUmfrage! – Gisela Walsken [SPD]: Das erklärt manches!)
(Michael Groschek [SPD]: Jedem seine
Pflichtschule!)
– Nein, das war keine CDU-Umfrage, das war eine Umfrage, die just in diesem Thema durch Kontrollfragen sicherstellen sollte, dass eben nicht in
der Fragestellung die Antwort schon liegt.
Sie wollen uns einen Schulkampf aufzwingen. Wir
wollen diesen Schulkampf nicht.
(Beifall von der FDP)
Wir möchten ruhig, bedächtig unsere Schulen im
Interesse unserer Kinder und jungen Leute weiterentwickeln.
(Zuruf von Marc Jan Eumann [SPD])
Wir möchten inhaltliche Antworten geben. Wir
möchten über Qualität reden und nicht über diese
leidige Frage der Organisation, die uns seit 30 Jahren begleitet, bei der bei kein einziges neues Argument zwischenzeitlich hinzugetreten ist.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist doch
Quatsch!)
Die Debatte über die Schulstruktur und über die
Organisation ist nicht Teil der Lösung. Sie ist Teil
des Problems,
(Beifall von CDU und FDP)
weil sie es unmöglich macht, dorthin zu schauen,
wo es notwendig ist.
Wir bekennen uns zu unseren Schulen. Wir sorgen für mehr Lehrerinnen und Lehrer. Wir geben
der Hauptschule ein neues Profil. Wir stehen zu
unseren Realschulen. Und das tut, Frau Kraft, erfreulicherweise auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, und zwar wollen das die Menschen weit überwiegend in unserem Land.
(Zuruf von Michael Groschek [SPD])
Selbst diejenigen, die mit Ihrer Partei, die selbst
mit den Grünen, sympathisieren, haben eine Präferenz, ziehen unser gegliedertes Schulsystem
vor und wollen nicht, dass Realschulen, dass
Gymnasien abgeschafft werden.
(Zurufe von der SPD)
Sie hat sorgfältig abgeprüft, was die Menschen
wollen. Und die Menschen wollen eine gute Allgemeinbildung. Sie wollen Erziehung. Wer redet
denn von Ihnen darüber, was eine gute Allgemeinbildung ist, wie man Kinder bestmöglich erzieht, wie man Kinder bestmöglich bildet? Wer redet denn davon? Dazu haben Sie doch gar keine
Kraft mehr! Sie reden nur über Schulorganisation.
Zu mehr reicht es doch bei Ihnen nicht.
(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])
Eine Folge ist, Frau Kraft: Umfragen sehen die
SPD in Nordrhein-Westfalen schon lange unterhalb von 30 %, gegenwärtig irgendwo um die
25 % herum. Solange Sie den dampfplaudernden
Demagogen und Ideologen wie Lafontaine und
Gysi keine substanzielle Alternative entgegensetzen, wird Ihr Weg besorgniserregend weiter nach
unten führen.
(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Ralf
Jäger [SPD])
Die Forderung der Linken entspricht SPDForderungen plus 500 €. In dieser schmutzigen
Konkurrenz haben Sie keine Chance zu gewinnen. Sie werden verlieren.
Meine Empfehlung an Sie ist: Hören Sie statt auf
Ihre „Kehlkopfrohlinge“ Schmeltzer, Jäger und
andere, wie ich Sie liebevoll bezeichne,
(Ralf Jäger [SPD]: Soll ich mal dazwischen
rufen, damit Sie den Unterschied kennenlernen?)
statt auf Menschen wie Börschel, die den roten
Filz in Köln und anderswo kultivieren, auf Ihre Ur-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11510
gesteine! Hören Sie auf die Fahrtmanns,
Schnoors und andere, die eine bodenständige
nordrhein-westfälische SPD verkörpern und repräsentieren.
Frau Kollegin Kraft, das sollte gerade Ihnen hier in
Nordrhein-Westfalen zu denken geben: nicht nur,
weil Wolfgang Clement bisher einer der Ihren war,
(Beifall von der CDU – Zuruf von Gisela
Walsken [SPD])
sondern weil Sie diejenige neben Frau Ypsilanti
sind, die diesen verhängnisvollen Öffnungskurs
der SPD hin zur Linkspartei zu verantworten hat.
Sonst – das sage ich Ihnen voraus – sind Sie bald
platt, Sie und die SPD in Nordrhein-Westfalen. Ich
habe keine Freude daran. Ich wünsche Ihnen
rund 30 % und uns an die 50 %. Dann wird es unserem Land gut gehen und Nordrhein-Westfalen
wird eine gute Zukunft haben. – Ich danke Ihnen.
(Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Abgeordneter Stahl. – Für die FDP-Fraktion hat
jetzt deren Vorsitzender, Herr Dr. Papke, das
Wort.
Dr. Gerhard Papke (FDP): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kraft hat
(Marc Jan Eumann [SPD]: Eine gute Rede
gehalten!)
zu Beginn ihres Redebeitrages gesagt, sie vermute, ich würde mich in meinem Beitrag kritisch mit
der Politik der Sozialdemokraten auseinandersetzen. Ich darf Ihnen sagen, Frau Kollegin Kraft, das
hatte ich eigentlich gar nicht vor. Denn dafür gibt
es Wolfgang Clement. Was soll man den täglichen Äußerungen von Wolfgang Clement eigentlich noch hinzufügen?
(Marc Jan Eumann [SPD]: Ist!)
(Beifall von der FDP)
Im Übrigen habe ich vor einiger Zeit gelesen, Sie
hätten vor, Wolfgang Clement im nächsten Jahr
für den Wahlkampf der SPD in NordrheinWestfalen zu gewinnen. Darauf freuen wir uns alle. Das werden sehr spannende Veranstaltungen.
Ich hätte dafür gern eine Einladung, Frau Kollegin.
Jetzt zu dem, was Sie hier vorgetragen haben: Ich
war ein bisschen verdutzt, weil die Zahlen, die
Sie, Frau Kollegin Kraft, hier präsentiert haben,
durch die Bank genauso falsch waren wie Ihre Zitate. Mir sind irgendwann wirklich die Schmierzettel ausgegangen. Ich bin gar nicht mehr so schnell
mitgekommen, all das aufzuschreiben, was Sie an
falschen Zahlen und verdrehten Fakten präsentiert haben. Meine Liste reicht bis Punkt 7; weiter
bin ich nicht gekommen. Ich will dies einmal Punkt
für Punkt abarbeiten. Fangen wir einmal an!
(Gisela Walsken [SPD]: Welches Jahr?)
– Nein, wissen Sie, wir müssen ja hier vernünftig
und seriös debattieren. Das heißt, die Zahlen, die
Sie hier der Öffentlichkeit und dem Parlament
präsentieren, müssen doch halbwegs belastbar
sein, Frau Kollegin. Ansonsten wäre dies doch
keine seriöse Debatte.
(Beifall von der FDP)
Für den Fall, dass Sie es noch nicht gesehen haben, trage ich Ihnen vor, was Wolfgang Clement
heute gesagt hat. Ich zitiere mit Genehmigung
des Präsidenten aus einer dpa-Meldung von
11:21 Uhr. Wolfgang Clement hat seine Partei erneut vor einer Zusammenarbeit mit der Linken
gewarnt: „Kein überzeugter Sozialdemokrat dürfe
die Steigbügel halten wollen, wenn Oskar Lafontaine versucht, das ganze Land durcheinanderzubringen“, sagte Wolfgang Clement der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“.
(Beifall von FDP und CDU – Gisela Walsken
[SPD]: Ist das alles? – Zuruf von der CDU:
Guter Mann!)
Jetzt hören Sie zu: Er sehe in den Reihen der
SPD zu viele, „die auf eine Vereinigung mit der
Linkspartei Oskar Lafontaines zuzusteuern scheinen.“
Fangen wir einmal an! Ich mache es im Telegrammstil, Frau Kollegin Kraft, ich verspreche es
Ihnen.
Erstens zur Nettokreditaufnahme: Sie haben gesagt, diese Koalition habe die Nettokreditaufnahme seit 2005 um insgesamt 13,7 Milliarden € erhöht.
(Gisela Walsken [SPD]: Richtig!)
Ich nenne Ihnen einmal die Nettokreditaufnahmen
aus den jeweiligen Haushalten: 2006 waren es
3,4 %, 2007 1,98 %, 2008 1,78 %, 2009 1,67 %.
Das macht summa summarum 8,82 %.
(Gisela Walsken [SPD]: Jetzt haben Sie den
Nachtrag 2005 vergessen, Herr Kollege!)
– Ich bin noch nicht zu Ende, Frau Kollegin
Walsken. Wenn wir jetzt großzügigerweise
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Gisela Walsken [SPD]: Sie haben den gemacht! 106,5!)
– hören Sie mir doch zu; ich will es Ihnen doch
gerade erklären, Frau Kollegin Walsken – auch
noch die 2,2 Milliarden aus dem Nachtragshaushalt 2005 hinzunehmen, dann kommen Sie auf
11,02 Milliarden €. Da ist dann nun wirklich alles
drin. Aber dann erklären Sie uns einmal, wie Sie
auf 13,7 Milliarden € kommen.
(Gisela Walsken [SPD]: Mache ich gleich!)
Das ist eine lumpige Differenz von 2,6 Milliarden €. So wie Sozialdemokraten mit Zahlen umgehen, mag das eine Petitesse sein, Frau Kollegin
Kraft. Aber ich will das einfach einmal abbilden,
was Sie uns hier vortragen. Das ist leider falsch.
(Gisela Walsken [SPD]: Fragen Sie Ihre Kollegen, die kennen sich damit aus!)
Dann habe ich Sie gefragt …
(Hannelore Kraft [SPD] führt am Rande des
Plenarsaals Gespräche.)
– Ich kann mir vorstellen, dass Sie die Zahlen jetzt
noch einmal prüfen lassen wollen. Aber hören Sie
mir doch jetzt einmal zu. Ich habe Ihnen noch
mehr zu bieten. Seien Sie doch so nett! Ich war
doch auch so höflich und habe mich hingesetzt
und Ihnen zugehört.
(Hannelore Kraft [SPD]: Ich bin Multitaskerin!)
– Sie können doch Ihre Mitarbeiter gleich noch
bitten, Ihre Zahlen zu überprüfen. Jetzt nehmen
Sie doch bitte einen kleinen Moment Platz. Das ist
ein Gebot der demokratischen Debattenkultur.
Ich habe Ihnen wirklich noch ein paar andere interessante Zahlen zu bieten, die Sie dann gleich mit
überprüfen lassen können, Frau Kollegin Kraft.
(Hannelore Kraft [SPD]: Muss ich dabei sitzen?)
Dann müssen Sie nicht nach jedem Zahlenbeispiel immer nach hinten laufen.
(Beifall von der FDP – Hannelore Kraft
[SPD]: Bin ich Ihnen zu groß? Dann kann ich
mich auch wieder setzen!)
Ich habe Sie gefragt, wo die Sozialdemokraten
sparen wollen. Da haben Sie netterweise drei
Beispiele genannt.
Erstens haben Sie gesagt, die 72 prolongierten
kw-Stellen hätten Sie nicht verlängert. Sie reden
über 72 Stellen, die wir über 2010 hinaus verlängern wollen, von 284.500 Stellen insgesamt. Sie
11511
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
bringen diese 72 Stellen allen Ernstes als Beispiel
für den Sparwillen in einem Personalhaushalt von
284.500 Stellen, das ist doch nicht Ihr Ernst!
(Beifall von der FDP – Hannelore Kraft
[SPD]: Sie können gern die Presseerklärung
noch einmal nachlesen! Der Presseerklärung
haben Sie nicht widersprochen!)
Ihr zweites Beispiel betraf den Flughafen Münster/Osnabrück. Das war auch klasse; gut, dass
Sie uns noch einmal daran erinnert haben. Sie
haben gesagt, da könnte man jetzt sparen. Zufälligerweise habe ich den Antrag aus den letzten
Haushaltsberatungen dabei, mit dem Sie das unterlegt haben. Da ging es um die Streichung von
Zuschüssen
an
den
Flughafen
Münster/Osnabrück mit dem Gesamtvolumen von
2,3 Millionen €.
(Hannelore Kraft [SPD]: Die haben Sie jetzt
noch einmal draufgelegt!)
– Aber hallo, das ist ja ein wirklicher Konsolidierungsbeitrag! Ich verrate Ihnen jetzt einmal ein
Geheimnis: Wissen Sie, von wem dieser Antrag
eigentlich kam? Von dem Chefökonomen dieses
Parlaments, von Herrn Sagel.
(Heiterkeit und Beifall von FDP und CDU)
Sie haben als Sozialdemokraten dem Antrag von
Herrn Sagel zugestimmt, Zuschüsse für ein Infrastrukturprojekt komplett zu streichen,
(Gisela Walsken [SPD]: Es geht an dieser
Stelle doch gar nicht um Infrastruktur! Das
wissen Sie doch genau!)
das unter Ihrer politischen Verantwortung so beschlossen worden ist. Herr Horstmann ist ja leider
nicht mehr in diesem Parlament; er ließe die Ohren hängen, wenn er dies jetzt hören müsste, weil
er als Verkehrsminister dafür im Münsterland gefochten hat.
(Beifall von FDP und CDU)
Wir werden diesen Antrag und diese tolle Initiative
gerne noch einmal den sozialdemokratischen
Kommunalpolitikern im Münsterland zukommen
lassen, damit sie nicht vergessen, wie die SPD
hier im Düsseldorfer Landtag zu diesem wichtigen
Projekt steht.
Als drittes Beispiel, bei dem man sparen könnte,
sprachen Sie von 21 Millionen € für die WestLB.
Es ist nur eine Kleinigkeit, aber es sind 23 Millionen €, die jetzt aus den Risiken schlagend werden. Meinen Sie denn allen Ernstes, eine andere
Regierung als diese könnte diese Zahlungen vermeiden?
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Gisela Walsken [SPD]: Das ist doch erst der
Anfang, Herr Kollege!)
Das ist doch wirklich absurd. Sie waren doch über
Jahrzehnte stolz auf Ihre Staatsbank WestLB. Sie
haben sie doch gegen unsere Initiativen, das Eigentum des Landes an der WestLB einmal kritisch
zu hinterfragen, immer verteidigt. Es gab ja auch
diverse Vorteile in früheren Zeiten: Flugbereitschaft und andere Dinge. Das war doch Ihre Verantwortung. Sie haben noch in der letzten Wahlperiode unsere Initiativen mit Gelächter zurückgewiesen, die Bürger von diesen Risiken zu befreien. Jetzt werden hier erste dieser Risiken
schlagend, und Sie sagen allen Ernstes, eine solche Zahlung könnte diese Landesregierung vermeiden?
(Hannelore Kraft [SPD]: Wer hat denn zu
welcher Zeit die Papiere gekauft?)
Es ist immerhin eine Zahlung für das, was Sie
dem Land eingebrockt haben, Frau Kollegin Kraft.
(Gisela Walsken [SPD]: Da sitzt er im Kabinett, Mitglied des Aufsichtsrats! – Zuruf von
Michael Groschek [SPD])
– Herr Kollege Groschek, ich kann das nur reflektieren. Das waren die drei Sparvorschläge, die
Frau Kollegin Kraft in Ihrer Rede benannt hat. Das
wird nicht ausreichen, um das Land zu sanieren.
Das ist meine Ahnung.
Nun möchte ich by the way noch auf ein paar andere Punkte hinweisen.
(Gisela Walsken [SPD]: Wann fangen Sie mit
Haushaltspolitik an?)
Ich habe mir nämlich einmal angeguckt, welche
haushaltsrelevanten Vorschläge Sie persönlich
und Abgeordnete Ihrer Fraktion in den letzten
Monaten unterbreitet haben. Das war so eine Art
Dauerfeuer. Auf 100 Millionen € kommt es ja nicht
an. Ich möchte Ihnen nicht alles vortragen, denn
dann wäre meine Redezeit abgelaufen.
Sie persönlich haben gefordert: Sonderprogramm
200 Millionen € zur Unterstützung des Ruhrgebiets nach dem Steinkohleausstieg; Kritik an der
Streichung von 148 Stellen in der Landesforstverwaltung; Antrag zur Befreiung von Rundfunkgebühren für Geringverdiener; Sofortprogramm in
Höhe von 75 Millionen € zur Verbesserung der
Ausbildungssituation; Forderung, es bei der bisherigen Anzahl an Amtsgerichten zu belassen und
von geplanten Fusionen abzusehen; 300 Millionen € mehr für Familie und Kinder, unter anderem
für ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr; Kritik, dass die Landesregierung die Kürzung des
11512
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Bundes in Höhe von 519 Millionen € für den Nahverkehr nicht komplett kompensiert. – Wollen Sie
eigentlich das Parlament und die Öffentlichkeit auf
den Arm nehmen, Frau Kollegin,
(Beifall von FDP und CDU – Gisela Walsken
[SPD]: Das ist doch Ihr Job!)
oder spielen Sie hier „Alice im Wunderland“? Sie
haben nichts zu bieten. Sie fordern nur permanent
in allen Politikfeldern zusätzliche Ausgaben. Sie
haben keine Linie für die Modernisierung des
Landes. Sie haben einen langen Wunschzettel,
der vermutlich morgen schon wieder verlängert
wird, weil ja absehbar ist, dass einer Ihrer Abgeordneten oder Sie persönlich wieder einen neuen
Wunsch durch das Land pusten.
Ich möchte nun noch auf einen weiteren Punkt
hinweisen, weil es da wirklich um Geld geht und
wir in der Tat die exakt gegenteilige Position zu
Ihnen haben, nämlich auf den Steinkohlebergbau.
Ich habe eine Erklärung von Ihnen mitgebracht, in
der Sie einen Sockelbergbau in NordrheinWestfalen mit einem Gesamtvolumen von 10 Millionen t fordern. Da werden Sie mit den Worten
zitiert: Die Kosten für diesen Sockelbergbau
schätzt die SPD-Politikerin auf 700 Millionen bis
1 Milliarde €.
Damit Sie sich dem tatsächlichen Wert etwas
besser nähern, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die unstreitige – die Wirtschaftsministerin hat
die Zahlen im Wirtschaftsausschuss dieser Tage
vorgetragen – Vollkostenrechnung pro Tonne
Steinkohle – Herr Kollege Priggen wird das gerne
bestätigen – liegt momentan bei etwa 340 € je
Tonne. Das macht bei 10 Millionen t 3,4 Milliarden € Subventionskosten. Rechnen wir einmal mit
einem Erlös von etwa 1 Milliarde € – dieser steigt
ja momentan, weil man derzeit am Weltmarkt je
Tonne Steinkohle deutlich mehr erlösen kann als
noch vor zwei oder drei Jahren –, dann sind wir
immer noch bei einem zusätzlichen Finanzbedarf,
Frau Kollegin Kraft, von etwa 2,5 Milliarden €. Sagen Sie doch bitte, wie Sie das auch nur anteilig
aus dem Landeshaushalt finanzieren wollen. Das
ist die Traumtänzerei,
(Beifall von FDP und CDU)
die Sie gerade in der Haushaltspolitik hier seit
Jahren betreiben. An jeder Ecke, wo Sie gehen
und stehen, jagen Sie eine neue Sau durch das
Dorf, fordern Sie eine neue zusätzliche Ausgabe.
Das ist alles nicht seriös zu finanzieren, Frau Kollegin Kraft.
Deshalb sind wir – das möchte ich gerne an dieser Stelle kontrastieren – als FDP der Auffassung,
Landtag
Nordrhein-Westfalen
dass wir uns die Ausgaben für die Absatzbeihilfen
noch einmal anschauen müssen. Im Etatentwurf –
das Thema Steinkohlesubvention ist ja seit unserem historischem Durchbruch beim Ausstieg aus
dem Subventionsbergbau ein bisschen aus dem
Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden – stehen noch 516 Millionen € Absatzbeihilfen für die
Steinkohle. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Haushaltsmittel des Wirtschaftsministeriums.
Hinzu kommen 54 Millionen € im Haushalt des
Arbeitsministers für das Anpassungsgeld der
Bergleute.
Es gehört zu den großen historischen Erfolgen
dieser Koalition, dass wir es unter Führung des
Ministerpräsidenten zu Beginn des vergangenen
Jahres geschafft haben, den Ausstieg aus dem
Subventionsbergbau zu verabreden. Es gab eine
Grundlinie, die wir immer geteilt haben: Wir wollen
diesen Ausstieg sozialverträglich gestalten. Niemand soll betriebsbedingt gekündigt werden.
In diesem Zusammenhang will ich auf Folgendes
hinweisen: Seitdem haben wir eine außerordentlich positive Entwicklung am Arbeitsmarkt gerade
auch in Nordrhein-Westfalen. Alleine in den
160.000 Unternehmen des nordrhein-westfälischen Handwerks sind 20.000 Arbeitsplätze unbesetzt, ganz zu schweigen von den vielen Facharbeiterstellen in der Industrie, die momentan
nicht qualifiziert besetzt werden können. Auf der
anderen Seite haben wir 25.000 Bergleute, die
eine neue Stelle brauchen. Noch nie war der Arbeitsmarkt so aufnahmefähig wir derzeit. Noch nie
waren die Chancen für Bergleute in NordrheinWestfalen, jetzt schnellstens einen neuen zukunftssicheren Arbeitsplatz zu bekommen, so gut
wie momentan. Deshalb ist es eine Aufgabe der
nächsten Monate – im übrigen wäre das nicht nur
ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, sondern
auch zur Unterstützung der Bergleute, denen wir
ja eine Zukunftsperspektive aufzeigen wollen –, in
Gespräche einzutreten, nicht ob man die verabredeten Rahmenbedingungen einseitig aufkündigt –
darum geht es nicht –, sondern ob man nicht
nachjustiert, ob man nicht gemeinsam mit allen
Beteiligten darüber nachdenkt, wie wir diesen sozialverträglichen Prozess des Ausstiegs aus dem
Subventionsbergbau beschleunigen können.
(Michael Groschek [SPD]: Da hat der Minister Laumann ja einen interessanten Vorschlag!)
Dann hätten wir von den 3 Milliarden €, die Nordrhein-Westfalen in den nächsten zehn Jahren
noch an Steinkohlesubventionen bezahlen müsste, einen erheblichen Beitrag für Zukunftsinvestitionen und auch für die Haushaltskonsolidierung
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11513
zur Verfügung. Das möchte ich deutlich kontrastieren.
(Beifall von der FDP)
Ferner habe ich mir – das ist ja ein Dauerbrenner
bei Ihnen – die angeblich fehlende soziale Durchlässigkeit im Bereich der Bildungspolitik aufgeschrieben. Damit haben Sie schon letztens zu
glänzen versucht, als ich die Freude hatte, gemeinsam mit Ihnen die Podiumsdiskussion bei der
Evangelischen Landeskirche zu bestreiten.
(Hannelore Kraft [SPD]: Ich erinnere mich,
das war, als Sie vom begabungsgerechten
dreigliedrigen Schulsystem gesprochen haben!)
Sie trompeten durch das Land, die unsoziale Politik dieser Landesregierung werde nicht zuletzt
daran deutlich, dass sich die soziale Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schulformen verschlechtert habe. Sie haben versucht, das auch
mit Zahlen zu unterlegen. Jetzt werde ich Ihnen
einmal andere Zahlen dagegenhalten.
Die Anzahl der sogenannten Absteiger zwischen
den Schulformen – ich vergleiche das Schuljahr
2000/2001 mit dem Schuljahr 2007/2008 – hat
sich von 19.605 auf 14.497 verringert. In dem
Zeitraum von 2001 bis 2007 ist diese Zahl um
rund 5.000 Schüler gesunken. 25 % weniger Absteiger im Schulsystem als 2001! – Sie gucken
mich an. Ich liefere Ihnen die Zahlen gerne zu.
(Hannelore Kraft [SPD]: Ich lese Ihre offiziellen Statistiken!)
– Sie suchen sich eben immer selektiv die Zahlen
heraus, von denen Sie meinen, dass man sie
passend machen könne.
(Hannelore Kraft [SPD]: Sie tun das natürlich
nicht!)
Im selben Zeitraum ist die Zahl der Aufsteiger
zwischen den einzelnen Schulformen von 1.066
auf 1.429 Schüler gestiegen, Frau Kollegin Kraft.
Wir haben also 25 % weniger Absteiger und 50 %
mehr Aufsteiger. So viel zu Ihrer Argumentation!
Sie sollten sie anhand der Faktenlage noch einmal überprüfen, Frau Kollegin Kraft. Das darf ich
Ihnen doch sehr ans Herz legen.
(Beifall von FDP und CDU)
Wie gesagt sind mir dann einfach die Zettel ausgegangen. Deshalb komme ich jetzt direkt aus
Sicht der FDP zum Entwurf des Haushalts 2009,
mit dem die Koalition einen weiteren Schritt zur
Sanierung und Konsolidierung der Landesfinanzen unternehmen wird.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Die Neuverschuldung – darauf muss man immer
wieder hinweisen – lag 2005 noch bei 6,7 Milliarden €. Jetzt wird sie auf 1,67 Milliarden € reduziert. Das ist eine Reduktion um fast 75 %.
Im Übrigen haben wir gestern ja mit Interesse gelesen, dass die SPD eine Verfassungsklage gegen die Zusammenlegung der Kommunalwahl mit
der Europawahl einreichen will. Da kann ich Ihnen
nur zum wiederholten Mal zurufen: Gute Reise
nach Münster!
Frau Kollegin Kraft, in diesem Zusammenhang
darf ich Sie aber daran erinnern, dass Sie diesem
Parlament seit 2001 einen verfassungswidrigen
Haushalt nach dem anderen präsentiert haben.
(Hannelore Kraft [SPD]: Sie haben ja auch
noch nie verfassungswidrige Haushalte vorgelegt!)
Das nur zur Ergänzung Ihrer Argumentation, diese Landesregierung würde gegen die Verfassung
verstoßen! Sie haben in den letzten Jahren Ihrer
eigenen Regierungsverantwortung keinen einzigen verfassungskonformen Landeshaushalt mehr
auf die Reihe bekommen.
(Beifall von FDP und Helmut Stahl [CDU])
Von daher wäre auch beim Thema „angeblicher
Verfassungsbruch“ etwas mehr selbstkritische Zurückhaltung nicht schlecht.
(Michael Groschek [SPD]: Eine neue Qualität!)
Wir könnten – darauf hat der Finanzminister sehr
zu Recht hingewiesen – mit unserer Konsolidierungspolitik heute wesentlich weiter sein, wenn
uns SPD und Grüne nicht diesen gigantischen
Schuldenberg von 113 Milliarden € hinterlassen
hätten.
(Beifall von der FDP – Michael Groschek
[SPD]: Wie hoch ist er denn jetzt? – Zuruf
von Hannelore Kraft [SPD])
– Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich Ihnen die
Zahlen noch einmal zuliefere, Frau Kollegin Kraft.
Das waren nicht 106,8 Milliarden €.
(Hannelore Kraft [SPD]: Diese Zahl kommt
aus der Haushaltsrede des Finanzministers!)
– Ich weiß nicht, aus welcher.
(Hannelore Kraft [SPD]: Aus der Einbringungsrede des Finanzministers zum Nachtragshaushalt!)
– Sie müssen aber gucken, mit welchen Zahlen
der Haushalt verabschiedet worden ist. Ich weiß
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11514
nicht, aus welcher Lostrommel Sie diese Zahl gezogen haben.
(Hannelore Kraft [SPD]: Aus der Haushaltsrede des Finanzministers!)
Aber glauben Sie mir: Sie ist falsch.
(Beifall von der FDP)
Apropos: Um diese 113 Milliarden € abzuzahlen,
müsste ein Lottospieler 310 Jahre jeden Tag 1 Million € im Lotto gewinnen – um einmal die Dimension zu verdeutlichen. Das ist die Erblast, die wir übernommen haben. Diese Erblast müssen wir jetzt
bewältigen. Das ist ein sehr schmerzhafter und
schwieriger Prozess.
(Michael Groschek [SPD]: Man sieht Ihnen
an, wie schmerzhaft das ist!)
– Herr Kollege Groschek, mit Ihren feinsinnigen
und hochgeistigen Zwischenrufen haben Sie sich
hier ja schon einen entsprechenden Ruf erworben.
(Michael Groschek [SPD]: Immer wieder
gern! – Minister Andreas Krautscheid: Herr
Groschek ist ein intellektueller Filigrantechniker!)
4,6 Milliarden € muss das Land jedes Jahr nur für
die Bedienung Ihrer Altschulden, der rot-grünen
Altschulden, zahlen. Ohne diese Lasten der Vergangenheit könnten wir schon in diesem Jahr
beim Primärsaldo einen Überschuss von über
3 Milliarden € verbuchen – um das einmal klarzumachen. Ohne die Schuldenlast, die Sie uns mit
auf den Weg gegeben haben, wäre der Haushalt
also schon längst ausgeglichen, und wir würden
einen gewaltigen Überschuss erwirtschaften.
(Gerda Kieninger [SPD]: Was haben Sie
denn mit den Mehreinnahmen gemacht? –
Gegenruf von Minister Dr. Helmut Linssen)
2005 hatte das Land noch einen negativen Primärsaldo von 2,1 Milliarden €. Das heißt: Die
Ausgaben ohne Zinsen lagen im letzten Jahr Ihrer
Regierungsverantwortung gut 2 Milliarden € über
den regelmäßigen Einnahmen. Selbst ohne den
Schuldendienst, den Sie damals zu leisten hatten,
haben Sie Jahr für Jahr also mehr Geld ausgegeben, als Sie eingenommen haben – um das auch
noch einmal zu kontrastieren.
Mehr und mehr Bundesländer gleichen ihre
Haushalte aus und machen keine neuen Schulden mehr. Das muss auch in Nordrhein-Westfalen
unser Ziel sein; denn wenn andere Bundesländer
den Schuldenberg schon abtragen können, bedeutet das, dass sie mehr und mehr investive
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Spielräume gewinnen, woraus Wettbewerbsvorteile gegenüber Nordrhein-Westfalen entstehen.
Schon deshalb ist es nicht nur ein Gebot der Generationengerechtigkeit, schnellstmöglich zum
Haushaltsausgleich zu kommen, um dann Schulden zurückzahlen zu können, sondern auch ein
Gebot im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit von
Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der FDP)
Auch deshalb sind wir so vehement dafür, den
Haushaltsgleich schnellstmöglich herbeizuführen.
Dass wir länger brauchen als andere Bundesländer, liegt an den zerrütteten Finanzen, also an
den ungleich schwierigeren Voraussetzungen, die
wir von Ihnen übernommen haben. 2005 hatten
wir in Nordrhein-Westfalen eine Pro-Kopf-Verschuldung von 6.032 €. Dagegen lag die ProKopf-Verschuldung im Jahr 2005 in BadenWürttemberg bei 3.685 € und in Bayern bei nur
1.853 €. Das sind nun einmal unterschiedliche
Ausgangsbedingungen.
Inzwischen steht die Haushaltspolitik des Landes
Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen
Bundesländern aber gut da. In der Vergleichsgruppe der westdeutschen Flächenländer hat
Nordrhein-Westfalen seit 2005 den größten Fortschritt bei der Haushaltskonsolidierung gemacht.
Das ist ein Erfolg dieser Koalition und dieser Regierung, auf den wir gemeinsam stolz sein können.
(Beifall von FDP und CDU)
Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, wenn
man berücksichtigt, welche enormen Zukunftsinvestitionen gleichzeitig getätigt werden. Noch nie
in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist so viel
in Bildung investiert worden wie in den Jahren
2008 und 2009, meine Damen und Herren –
(Beifall von FDP und Christian Weisbrich
[CDU])
und das trotz dieser unglaublich schwierigen Konsolidierungsleistung.
Mit dem neuen Kinderbildungsgesetz steigt die
Förderung des Landes bereits in diesem Jahr auf
über 1 Milliarde €. In 2009 kommen weitere
110 Millionen € obendrauf.
Die imposanten Zahlen des Betreuungsangebots
für unter Dreijährige – im Kontrast zu Ihren jämmerlichen Ergebnissen –
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)
11515
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
sind häufig genug thematisiert worden. Ich will
das hier aber auch noch einmal kurz ansprechen.
Im Jahr des Regierungswechsels hatten wir in
Nordrhein-Westfalen gut 11.000 Betreuungsplätze
für unter Dreijährige. Das war der schlechteste
Wert im gesamtdeutschen Vergleich.
(Widerspruch von der SPD)
Zu Beginn des Kindergartenjahres 2008/2009 haben wir die Zahl der Betreuungsplätze in Tageseinrichtungen auf 44.600 und in der Tagespflege auf über 14.000 erhöht, insgesamt also auf
mehr als 58.000. Das sind bereits jetzt mehr als
fünf Mal so viele Betreuungsplätze wie im letzten
Regierungsjahr von Rot-Grün, meine Damen und
Herren.
(Beifall von FDP und CDU)
Das sind konkrete Maßnahmen, die sich nicht einfach wegmanipulieren lassen, die den Familien in
Nordrhein-Westfalen zugutekommen, nach der
desaströsen Bilanz, die Sie uns auch in diesem
Bereich hinterlassen haben.
2010/2011 wird es einen Rechtsanspruch mit einer Platzgarantie für Familien mit unter Dreijährigen geben. Jede junge Familie weiß bei ihrer Familienplanung, dass sie Planungssicherheit hat
und sich nicht den Kopf darüber zerbrechen
muss, wohin ihr Kind kommen soll, wenn die Mutter oder der Vater wieder arbeiten gehen will. Dafür haben wir eine konkrete und verlässliche Zukunftsperspektive aufgebaut.
Frau Kollegin Kraft, zu Ihrem Stil und dem Stil Ihrer Truppe, Opposition zu machen, lassen Sie
mich Folgendes sagen: Wenn Sie keine konkreten
Alternativen entwickeln, geschieht das in Ihrer eigenen Verantwortung. Ich finde es bedauerlich –
an der Stelle befinde ich mich an der Seite von
Herr Stahl – und warte schon seit drei Jahren darauf, Modernisierungsprojekte der Sozialdemokratie parlamentarisch debattieren zu können. Jedes
Mal, wenn ich einen Zettel zur Hand nehme, um
Ihre Projektvorschläge zu notieren, bleibt der Zettel leer. Von Ihnen ist bisher nichts, aber auch gar
nichts gekommen.
Sie verlegen sich als Einziges in Ihrer Oppositionspolitik auf Verunsicherungskampagnen. Das
zieht sich wie ein roter Faden durch alle Reformprojekte, die wir hier seit mehr als drei Jahren organisieren. Das ist wirklich schlimm.
Lassen Sie mich das einmal am Beispiel des Kinderbildungsgesetzes festmachen: Sie haben Tausende junger Frauen, Erzieherinnen und Erzieher
systematisch und gezielt verunsichert,
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von FDP und CDU)
indem Sie denen gesagt haben, Sie müssten
Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Sie haben
diesen Menschen tatsächlich gesagt, es würde zu
Massenentlassungen in Kinderbetreuungseinrichtungen kommen, wenn das Kinderbildungsgesetz
verabschiedet wird. Sie haben die Menschen so
dreist beschwindelt und verunsichert, wie ich es
für unverantwortlich halte, Frau Kollegin Kraft. Bei
aller Härte der politischen Auseinandersetzung
darf es nicht zu einem Instrument der politischen
Debatte werden, Menschen zu verunsichern. Das
ist nicht in Ordnung. Wenn Sie die soziale Verpflichtung Ihrer Parteihistorie ernst nehmen, machen Sie sich das bitte endlich zu eigen!
Die Realität ist: Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Betreuungsplätzen gehen seriöse und
ganz konkrete, belastbare Schätzungen derzeit
von 7.400 neuen und damit zusätzlichen Vollzeitstellen in Kinderbetreuungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen bis 2010 aus.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11516
auch so gemacht, alles wären nur manipulierte
Zahlen der Landesregierung. Ich habe zu dem
Thema eine Seite im dpa-Kulturdienst Nummer
12/04 mit Äußerungen der damaligen Bildungsministerin Schäfer gefunden. Ich darf Ihnen das
einmal vortragen, weil es ein sehr schöner Kontrast zu den 6.915 zusätzlichen Stellen ist, die
diese Regierung und diese Koalition geschaffen
haben. Ich zitiere:
Bis zum Abiturjahrgang 2012/2013 werden nach
Angaben der Landesregierung allein an den
Gymnasien 12.000 zusätzliche Stellen nötig sein.
Da die Schülerzahlen ab 2008/2009 spürbar zurückgingen, seien aber keine neuen Planstellen
nötig, stellte Schäfer klar.
Jetzt kommt es:
Mit dem Finanzminister sei aber Einvernehmen
hergestellt worden, dass bis 2013 statt der von
ihm vorgesehenen Einsparung von insgesamt
28.000 Lehrerstellen höchstens 16.000 gestrichen
werden können.
(Beifall von FDP und CDU)
Da in der Kindererziehung viele Kräfte nicht Vollzeit arbeiten, werden durch das KiBiz voraussichtlich rund 10.000 neue Arbeitsplätze in NordrheinWestfalen geschaffen werden, meine Damen und
Herren. Das ist die Realität, nachdem Sie Tausende Betroffene aufgehetzt haben. Realität ist:
Es gibt zehntausend neue Arbeitsplätze. Erste
Zahlen aus den Kommunen in unserem Land bestätigen dies. So wurden beispielsweise in Duisburg im Vorfeld von KiBiz bereits 100 neue Vollzeitstellen in den 80 städtischen Einrichtungen
geschaffen. Es waren 100 zusätzliche Vollzeitstellen allein in Duisburg zur Betreuung der unter
Dreijährigen, Frau Kollegin Kraft. Was sagen Sie
denn zu diesen Zahlen? Es wäre nicht schlecht –
Sie haben ja noch etwas Redezeit –, wenn Sie
ganz konkret dazu gleich einmal Stellung bezögen.
(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)
(Lachen von der FDP)
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. – Wo ist eigentlich Frau Kollegin
Schäfer?
(Zuruf von der Regierungsbank: Auf der
Flucht!)
– Auf der Flucht! Das kann ich verstehen.
(Zurufe von der SPD)
Eine Schulministerin verkündet stolz, der Finanzminister habe 28.000 Lehrerstellen streichen wollen; sie habe aber – was für ein Erfolg! – durchkämpfen können, dass höchstens 16.000 Stellen
gestrichen werden.
Jetzt erklären Sie bitte einmal Frau Kollegin Schäfer in Absentia …
(Zurufe von der SPD)
Ich darf dann noch auf die Neueinstellungen an
den Schulen als weiteres Glanzstück dieser Koalition hinweisen. Darauf sind wir stolz. Denn es war
ein verdammt hartes Stück Arbeit, jede einzelne
zusätzliche Lehrerstelle zu finanzieren und zu organisieren. Das muss man einfach sagen. Bisher
sind es 5.084 Stellen, 1.831 Stellen kommen noch
hinzu. Summa summarum macht das 6.915 zusätzliche Lehrerstellen im Lehrerstellenhaushalt.
– Da sind Sie ja, Frau Kollegin Schäfer. Erklären
Sie dem Parlament doch einmal, woher Sie die
Traute nehmen, unsere Schulministerin immer
wieder mit dieser Vehemenz zu attackieren – angesichts des Zahlenwerks, das Ihr totales Versagen in der Unterrichtsversorgung in NordrheinWestfalen doch überaus deutlich macht.
Frau Kollegin Kraft, ich habe noch ein besonderes
Bonbon für Sie. Sie putzen unsere Leistungen
immer herunter, indem Sie sagen, Sie hätten das
Bitte nehmen Sie es nicht persönlich, aber wenn
ich Sie wäre und dafür in einem Kabinett die Verantwortung getragen hätte, würde ich mich bei je-
(Beifall von FDP und CDU)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
der schulpolitischen Debatte in den hintersten
Winkel dieses Parlaments verkriechen.
(Beifall von FDP und CDU)
Dass Sie allen Ernstes regelmäßig den Rücktritt
unserer Schulministerin fordern – in welchem politischen Paralleluniversum leben Sie eigentlich?
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie haben
damals stolz verkündet, Sie streichen lediglich
16.000 Lehrerstellen. – Diese Schulministerin hat
eine Bilanz, in der fast 7.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen worden sind, und Sie kritisieren
die Schulpolitik dieser Landesregierung! Liebe
Frau Kollegin Schäfer, das kann doch nur ein
schlechter Scherz sein. Ich wollte das gerne noch
einmal erwähnt haben, damit es nicht in Vergessenheit gerät.
(Beifall von FDP und CDU)
Noch einige Anmerkungen zu den Hochschulen,
wo es auch vorangeht, und zwar kräftig. Den
NRW-Hochschulen stehen insgesamt rund 500
Millionen € mehr zur Verfügung als im Jahre
2005. Das sind nicht nur Bundesmittel und Studienbeiträge, sondern 190 Millionen € aus dem
Landeshaushalt.
Für die Aufbruchstimmung an unseren Hochschulen steht eben auch die Zahl der Studienanfänger,
meine Damen und Herren. Das ist doch ein ganz
wichtiges Indiz. In diesen Tagen beginnen 68.000
Studierende ihr Studium an einer Hochschule in
Nordrhein-Westfalen. Das sind so viele wie seit
1990 nicht mehr.
(Hannelore Kraft [SPD]: Das sind doch nicht
alles NRW-Leute!)
Insbesondere die Fachhochschulen melden steigende Studierendenzahlen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11517
der für Nordrhein-Westfalen. Dort müssen wir junge Leute gezielt ausbilden.
Das ist Ihnen sicherlich kürzlich bei Ihrer Tour
durch mittelständische Betriebe in NordrheinWestfalen auch mit auf den Weg gegeben worden, Frau Kollegin Kraft. Sie können, wenn Sie
demnächst wieder einen Betrieb besuchen, dort in
Ruhe sagen: Jawohl, die Landesregierung ist dabei, diesen Wunsch der Industrie in NordrheinWestfalen zu erfüllen. Wir bilden gerade in diesen
Zukunftssegmenten hoch qualifizierte junge Fachkräfte aus, die unser Land auch in Zukunft auf
Wachstumskurs halten werden.
Wie geht es nun weiter mit der Haushaltspolitik in
Nordrhein-Westfalen?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das fragen wir
uns auch!)
Zunächst noch einmal: Was unsere Koalition bislang an Konsolidierungsleistungen erbracht hat,
ist beachtlich, ist aller Ehren wert. Damit können
wir uns – und Sie, Herr Finanzminister, an der
Spitze – blicken lassen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Haben Sie daran
Zweifel gehabt?)
Aber wir wissen auch, Herr Linssen: Wir sind noch
nicht am Ziel. Ziel unserer Politik muss es sein,
schnellstmöglich einen ausgeglichenen Landeshaushalt ohne neue Schulden vorzulegen, um
dann mit dem Abbau des Schuldenbergs beginnen zu können.
(Beifall von der FDP)
Das muss – und es ist meiner Fraktion ein Kernanliegen – strategisches Ziel unserer Regierungspolitik in den nächsten Jahren bleiben.
(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])
(Hannelore Kraft [SPD]: Sie müssen die Statistik lesen! – Gegenruf von Helmut Stahl
[CDU]: Zählen Sie auch die Bayern mit, Frau
Kollegin?)
Das ist die Voraussetzung für eine dauerhaft
nachhaltige Entwicklung in Nordrhein-Westfalen.
Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr beträgt
8 %. Es ist aus unserer Sicht besonders erfreulich, dass gerade der Zulauf zu den MINTFächern in Nordrhein-Westfalen so positiv ist.
Dort hat es im Wintersemester 2007/2008 besonders viele zusätzliche Studierende gegeben.
Der Finanzminister hat dem Parlament eine mittelfristige Finanzplanung zugeleitet, die die derzeitige Haushaltsentwicklung bis 2012 fortschreibt und
einen Abbau der Neuverschuldung in 2012 auf
dann noch 600 Millionen € vorsieht.
(Zuruf von der SPD: Wie ist die Abbrecherquote? – Hannelore Kraft [SPD]: Haben Sie
die Abbrecherquote auch berücksichtigt?)
In Mathematik und in den Naturwissenschaften
betrug der Anstieg fast 8 %, in den Ingenieurwissenschaften sogar 11,5 %. Das sind Zukunftsfel-
(Beifall von der FDP)
Bei der mittelfristigen Finanzplanung, die dem
Parlament mit dem Haushaltsgesetz zugeleitet
wird, handelt es sich ja nicht um einen Beschlussantrag, um ein Gesetz, sondern das Parlament
nimmt diese mittelfristige Finanzplanung zur
Kenntnis. Es handelt sich dabei lediglich um eine
Projektion – das muss man auch sagen –, in der
Landtag
Nordrhein-Westfalen
die aktuellen Rahmendaten unverändert fortgeschrieben werden.
(Hannelore Kraft [SPD]: Ach so!)
Die mittelfristige Finanzplanung, meine sehr verehrten Damen und Herren, beinhaltet also noch
nicht die Kerndaten für die nächsten Landeshaushalte bis 2012.
(Ralf Jäger [SPD]: Es ist nur Spaß!)
Sie ist nicht in Stein gemeißelt. Sie ist eine wichtige Orientierungsgrundlage, die man in der Perspektive, Frau Kollegin Kraft, aber noch verändern
kann. Meine Fraktion ist der Überzeugung, dass
wir sie auch noch weiter verändern müssen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Man liest davon
in der Zeitung!)
Da liegt – das gehört mit zur Ehrlichkeit in dieser
Debatte – noch sehr viel Arbeit vor uns. Wir haben außerordentlich viel geschafft,
(Beifall von der FDP)
aber gerade bei der Haushaltskonsolidierung liegt
noch viel Arbeit vor uns.
Wir müssen dringend zu weiteren strukturellen
Verbesserungen im Haushalt kommen. Dies gebietet allein schon die Vorsorge dafür, dass infolge einer sich abschwächenden Konjunktur auch
die Einnahmebasis – der Finanzminister hat darauf hingewiesen – unter Druck geraten kann. Deshalb ist es unsere Überzeugung, dass wir in der
Koalition – das geht nur gemeinsam – Vorschläge
erarbeiten müssen, wie wir den Landeshaushalt
strukturell deutlich weiter verbessern können.
(Hannelore Kraft [SPD]: Hört, hört!)
Dazu gehören nach Überzeugung meiner Fraktion
weitere Anstrengungen bei der Privatisierung von
Landesaufgaben, die bisher schon sehr erfolgreich waren. Ich darf noch einmal an die LEG erinnern. Da haben Sie doch auch eine Ihrer Hetzkampagnen gefahren. Was ist das Resultat? Ein
hervorragender zusätzlicher Erlös auch für den
Landeshaushalt
(Hannelore Kraft [SPD]: Steigende Mieten!)
und die beste Sozialcharta, über die irgendein
Mieter in Nordrhein-Westfalen überhaupt verfügt!
(Beifall von der FDP)
Also, colorandi causa: Bei der Privatisierungspolitik sind noch einige Schätze zu heben. Dazu gehört ein weiterhin beschleunigter Stellenabbau.
11518
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Hannelore Kraft [SPD]: Mal hören, was der
Ministerpräsident dazu sagt!)
Auch bei der Zusammenlegung von Landesbehörden – verlassen Sie sich darauf – werden wir
noch mit Vorschlägen aufwarten,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gehen Sie erst
wieder an die Presse?)
aber die stimmen wir intern ab. Das bereden wir
gemeinsam.
(Hannelore Kraft [SPD]: Hört, hört!)
Dann werden wir hier noch zu weiteren Vorschlägen kommen.
Präsidentin Regina van Dinther: Herr Kollege,
erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn
Remmel?
Dr. Gerhard Papke (FDP): Herr Kollege Remmel
kann gleich noch in die Debatte eingreifen. Die
Grünen haben noch 45 Minuten Redezeit. Wenn
Frau Kollegin Löhrmann ihm davon etwas abgibt,
dürfte es ihm reichen.
Präsidentin Regina van Dinther: Okay.
Dr. Gerhard Papke (FDP): Die Koalition hat eine
hervorragende Zwischenbilanz erreicht. Jetzt gilt
es darauf aufzubauen und mit zusätzlichen Sparanstrengungen einen ausgeglichenen Landeshaushalt zu erreichen.
Ich will zum Ende meines Beitrags in der Haushaltsdebatte noch einmal ausdrücklich unterstreichen – es ist mir gerade nach der Debatte in diesen Tagen wichtig –, was ich in den vergangenen
Wochen für meine Fraktion so und genauso auch
öffentlich gesagt habe.
Erstens. Meine Fraktion will ein verbindliches Datum, eine Zielmarke, bis wann der Haushalt spätestens ausgeglichen sein soll. Wir glauben, eine
solche Zielmarke ist wichtig für Verlässlichkeit
nach innen und nach außen,
(Beifall von Ralf Witzel [FDP])
damit klar ist, wann wir wirklich den Turnaround
geschafft haben.
Zweitens. Wir halten unter der Voraussetzung,
dass uns nicht eine Konjunkturkrise die Steuereinnahmen wegbrechen lässt, einen ausgeglichenen Haushalt schon 2010 für möglich, für machbar, unter der Voraussetzung, dass wir uns gemeinsam auf zusätzliche Anstrengungen verständigen können.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Ich will hier klar sagen:
(Gisela Walsken [SPD]: Aha!)
Das kann nicht als einzelne Initiative einer Fraktion gelingen. Ich möchte, meine Damen und Herren, der Landesregierung, dem Finanzminister
zum Schluss ausdrücklich anbieten, dass die
FDP-Fraktion vorbehaltlos zu zusätzlichen Anstrengungen bereit ist, um das, was wir bisher erreicht haben – das kann sich wirklich blicken lassen, Herr Finanzminister, meine Damen und Herren –, noch weiter zu optimieren. Unser Ziel ist
und bleibt schnellstmöglich der ausgeglichene
Landeshaushalt.
(Beifall von der FDP)
Ich meine, es ist den Schweiß der Edlen wert,
wenn wir uns zusammensetzen und schauen, was
wir kurzfristig noch an Verbesserung erreichen
können.
(Gisela Walsken [SPD]: Doch, 2010!)
Wir werden nicht mit zusätzlichen Ausgabenwünschen kommen. Wir sind bereit, alle auch konsequenten Konsolidierungsschritte mitzugehen.
(Gisela Walsken [SPD]: Was denn jetzt?
2010 oder nicht? – Michael Groschek [SPD]:
Das ist die Rede für die Hutablage!)
Das ist ein Gebot der Generationengerechtigkeit,
damit wir im Bereich der Haushaltsentwicklung die
Voraussetzungen für die weiterhin erfolgreiche
Erneuerung des Landes Nordrhein-Westfalen
gemeinsam schaffen können. – Ich danke Ihnen
sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von FDP und CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Dr. Papke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen spricht Frau Löhrmann.
Sylvia Löhrmann (GRÜNE): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir werden das noch einmal abgleichen,
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
was der Herr Papke uns gerade vorgetragen hat.
(Beifall von der SPD)
Mich hat das sehr an seinen Beitrag im letzten
Jahr erinnert.
(Gisela Walsken [SPD]: Hochinteressant!)
Da ist dann nicht so ganz viel nachgekommen,
aber darauf komme ich im Verlauf meines Bei-
11519
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
trags noch zurück. Aber immerhin hat doch das
Herausgehen von Herrn Dr. Linssen und Herrn
Dr. Papke ein bisschen geholfen zur Abstimmung
dessen, was Herr Papke hier vortragen darf, damit die Unstimmigkeiten in der Koalition nicht zunehmen.
(Heiterkeit von Gisela Walsken [SPD])
Auch darauf komme ich aber noch zurück.
Herr Stahl, zu Ihrem Beitrag: Ich weiß ja nicht,
wen Sie so geküsst haben in letzter Zeit.
(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Seine Frau!)
Bei der Vorbereitung dieser Rede hier war es auf
jeden Fall nicht die Muse. So viel will ich hier zunächst einmal feststellen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Mich hat Ihr Beitrag eher an das Niveau des Plakats erinnert, das da draußen an der Zufahrt
hängt. Wenn eine Partei und eine Fraktion sich so
sicher ist, dass sie alles richtig macht und dass
sie alles im Griff hat, dann finde ich das relativ niveaulos. Dann spricht das nicht für das Selbstbewusstsein, das Sie hier versuchen zur Schau zu
stellen – angesichts der Herausforderungen, die
wir auch weiterhin in unserem Land meistern
müssen, meine Damen und Herren.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Diese Haushaltsberatungen stehen wahrlich nicht
unter einem guten Stern. Gut drei Jahre nach dem
schwarz-gelben Regierungsantritt haben sich die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen merklich
verschlechtert, und die Koalition streitet sich, was
das Zeug hält, anstatt endlich die Dinge anzupacken, die jetzt notwendig sind. Man merkt eines
immer wieder: Sie haben keinen Plan für Nordrhein-Westfalen. Sie haben keine Vision, keine
Vorstellung vor Augen, wie dieses Land in 10,
20 Jahren aussehen soll. So wirtschaften Sie, und
so haushalten Sie auch.
Das zeigt sich auch im Entwurf des Landeshaushalts für das letzte Jahr von Schwarz-Gelb: ohne
Kontur, ohne Ehrgeiz, ohne Wärme.
Meine Damen und Herren, natürlich komme auch
ich darauf zurück: Einer tut so, als sei es ihm zu
wenig, nämlich FDP-Fraktionschef Papke. Da hat
er letzte Woche einmal wieder den dicken Max
gemacht.
(Heiterkeit von der SPD)
Er forderte schon für 2010 einen ausgeglichenen
Haushalt. Dabei lehnte er sich so weit aus dem
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Fenster, dass FDP-Chef Pinkwart ihn rabiat zurückziehen musste, damit er nicht abstürzt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Selbst auf der gestern eiligst einberufenen Pressekonferenz wurde dieser offene Streit trotz allen
Bemühens richtig deutlich. Papke schlägt sich,
Pinkwart verträgt sich.
(Heiterkeit von Gisela Walsken [SPD])
Meine Damen und Herren, so war’s, aber nehmen
wir doch den kleinen Koalitionspartner einmal
beim Wort. Herr Papke, wir hätten Ihre Anträge ja
wenigstens gern einmal gesehen, mit denen Sie
1,5 Milliarden € einsparen wollten.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Sie wissen doch
genau, dass Haushaltsberatungen in einer
Koalition nicht über öffentliche Anträge laufen! Das ist doch Quatsch!)
Zeigen Sie sie! Bringen Sie sie ruhig ein, Herr
Papke! Schlagen Sie das wenigstens einmal konkreter in der Öffentlichkeit vor! Aber alles heiße
Luft! Wie gesagt, wir prüfen das noch einmal
nach. Keine Vorschläge in Sicht!
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das ist Unsinn!)
Es ist ja auch keine einfache Aufgabe, die Sie
sich da gestellt haben. 1,5 Milliarden € – das sind
Tausende von Lehrkräften, das Dreifache der Elternbeiträge für die Kitas im Land, eine Menge
Holz, die Sie da schultern wollten, Herr Dr. Papke.
Aber es hat sich ja mit Ihnen entpuppt wie immer,
wie in den gesamten drei Jahren seit Ihrem Regierungsantritt. Im Zweifel wirft er sich wie bei der
Steinkohle auch, bei der Schließung der Bergwerke, dann hinter den Zug, der schon längst abgefahren ist.
(Heiterkeit und Beifall von der SPD)
Ich prophezeie Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Herr Papke wird mit dieser
Quengelei nicht aufhören, bis er endlich da sitzt,
wo Herr Wolf jetzt sitzt.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Das ist nämlich sein Ziel. Da will er hin. So lange
er das nicht erreicht hat, wird er rumquengeln, so
lange wird er keine Ruhe geben.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11520
(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)
Die Kritik kommt von Jahr zu Jahr heftiger aus
den eigenen Reihen. Kein Wunder, Herr Linssen!
Denn Sie wollten bei den Personalkosten massiv
einsparen. Passiert ist so gut wie nichts. Per Saldo gab es fast keinen Abbau, im Gegenteil, neue
Stellen auch in der Verwaltung.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Haben Sie
nicht zugehört?)
– Ich habe sehr gut zugehört. Sie haben ja den
Stellenabbau im Bewusstsein Ihres Schulprogramms versprochen. Man muss das doch immer
wieder deutlich machen,
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
dass Sie alles nach vorne gerichtet versprochen
haben. Außerdem wollten Sie sämtliche Steuermehreinnahmen zum Abbau der Nettoneuverschuldung verwenden.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Nein! Das habe ich nie gesagt!)
Doch wie schrieb diese Woche der Bonner „General-Anzeiger“? Ich zitiere: „Bis zum Ende der Legislaturperiode wird der Landesfinanzminister
14,5 Milliarden € an neuen Schulden aufgenommen haben.“
(Minister Dr. Helmut Linssen: Wo ist die Zahl
denn her?)
„Wenn man berücksichtigt, dass er 9 Milliarden €
an Steuermehreinnahmen hatte, fällt seine Bilanz
nicht besser aus als die der abgewählten rotgrünen Landesregierung.“
(Beifall von den GRÜNEN)
Wer noch genauer hinschaut, meine Damen und
Herren, stellt fest, dass Rot-Grün in Wahrheit angesichts der Haushaltslagen einen wesentlich
schärferen Konsolidierungskurs gefahren ist als
die Regierung Rüttgers.
(Barbara Steffens [GRÜNE]: Jawohl!)
Sie sind doch zu all den Demonstrationen, die
stattgefunden haben, hingegangen,
(Beifall von der SPD)
(Gisela Walsken [SPD]: Genauso ist es!)
und wir wissen doch, was wir hier an Einsparungen verkraften mussten und vorgeschlagen haben.
Meine Damen und Herren, Herr Finanzminister,
eines ist zumindest sehr interessant: dass es nicht
mehr nur die Opposition ist, die Ihnen vorwirft,
nicht ernsthaft den Haushalt zu konsolidieren.
Ihre Bilanz sähe noch schlechter aus, werter Finanzminister, wenn Sie nicht den Kommunen so
schamlos in die Taschen greifen würden, wie Sie
es nach wie vor tun. Dann sähe Ihre Bilanz noch
Landtag
Nordrhein-Westfalen
viel schlechter aus. Echte Konsolidierung ist das
nämlich nicht.
Ihre Bilanz sähe außerdem schlechter aus, wenn
Sie Ihre Versprechen gegenüber den Landesbeschäftigten eingehalten hätten. Da haben Sie sich
nämlich auch noch einmal kräftig bedient.
Das ist ein dreifacher Wortbruch, meine Damen
und Herren. Das muss hier immer wieder gesagt
werden.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Nicht einmal in der Haushalts- und Finanzpolitik,
also in dem Feld, für das Sie sich ständig für überkompetent erklären, haben Sie einen Plan für
die Zukunft Nordrhein-Westfalens.
Dass Sie keinen Plan, kein Ziel, kein Bild für unsere Schulen haben, müssen wir leidvoll mit ansehen, und das müssen leidvoll die Beteiligten,
die Kinder, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer
ertragen. Dass Sie planlos, ziellos und fantasielos
durch das Energieland NRW stolpern, erleben wir
fast täglich. Und auch beim Haushalt wird immer
klarer: Sie haben auf fast allen Feldern den Mund
zu voll genommen und den Menschen das Blaue
vom Himmel versprochen. Jetzt merken Sie, dass
Sie an Ihre Grenzen kommen, meine Damen und
Herren.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Diese gebrochenen Versprechen stehen der
Mehrwertsteuererhöhung der Großen Koalition in
Berlin in nichts nach.
Die Relativierungen – ich habe sehr genau zugehört, Herr Dr. Linssen –, die Sie heute erstmals
vorgenommen haben, es würde ein bisschen
schwieriger und man wisse nicht so genau, haben
wir in den letzten Jahren nicht gehört. Damals haben Sie sich den Hinweis auf die Konjunktur und
auf die Wirtschaftsdaten verkniffen und so getan,
als hätten Sie das alles in den letzten zwei Jahren
bewerkstelligt. Jetzt, wenn es anders wird, drehen
Sie dieses Muster herum. Das haben wir erkannt,
und das werden wir bei jeder Beratung deutlich
machen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Wenn jemand so wenige Vorstellungen von einer
guten Zukunft unseres Landes wie diese Landesregierung hat, verwundert das Motto „Privat vor
Staat“ auch nicht mehr. Wer keine Ideen hat, wie
das Land gestaltet werden kann, braucht keinen
starken Staat, sondern überlässt es lieber den
Privaten.
11521
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Meine Damen und Herren, auch wenn es manche
nicht hören wollen: Spätestens seit der Bundestagswahl 2005 ist klar: Für die marktradikalen Ansätze in der Politik gibt es in unserer Bevölkerung
keine Mehrheit. Das bestätigen Ihnen auch Politikwissenschaftler von Karl-Rudolf Korte bis Franz
Walter. Das ist ein Paradigmenwechsel, Herr
Stahl, der stattgefunden hat!
Das weiß im Grunde auch der Ministerpräsident.
Deswegen formuliert er in Interviews, in Aufsätzen
und in Reden vor Bundesparteitagen, dass das
alles nicht mehr so sei und holt sich prompt bei
Herrn Papke die nächste Watsche ab. In einer
Ausgabe vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der letzten Woche nennt Sie Ihr Koalitionspartner in einem Atemzug mit Oskar Lafontaine und wirft Ihnen verzerrte Realitätswahrnehmung vor.
(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Och, och!)
Aber Herr Ministerpräsident, Sie lassen Herrn
Papke nicht nur gewähren, sondern Sie bleiben in
der konkreten, von Ihnen verantworteten Politik in
Nordrhein-Westfalen an die Privat-vor-StaatIdeologie Ihres Koalitionspartners gekettet. Das ist
wichtig für die politische Auseinandersetzung in
Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen als Antwort auf die Globalisierung und ihre Herausforderungen einen handlungsfähigen Staat, der den
Rahmen setzt, in dem sich alle Akteure bewegen
können und müssen, und der mit diesem Rahmen
dafür sorgt, dass das Klima wirkungsvoll geschützt wird, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen und dass wir endlich mehr
Chancengerechtigkeit erreichen. Dafür muss der
Staat sorgen; dafür brauchen ihn die Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn wir diesen Anspruch aufgeben, verlieren
der Staat und die Politik zunehmend an Legitimation. Dann haben es neue Parteien mit gewagten
Sprüchen und populistischen Ansätzen ohne
Substanz leichter, die politische Bühne zumindest
zeitweise erfolgreich zu betreten.
Übrigens, Herr Ministerpräsident: Ihr Presseauftakt nach der Sommerpause war auch schon einmal besser. Das hat viel mit Frau Sommer zu tun,
aber nicht nur. Herr Rüttgers, der Unterschied
zwischen Konjunkturprogramm und Antirezessionsprogramm ist ungefähr so groß wie der Unterschied zwischen einer Kontamination und einer
Vergiftung des Grundwassers. Das eine lehnen
Sie ab, für das andere tragen Sie die politische
Verantwortung. So ist es, wenn man beim Meister
Landtag
Nordrhein-Westfalen
des Ungefähren ein bisschen genauer hinschaut,
meine Damen und Herren. Aber sei’s drum.
(Beifall von GRÜNEN und Monika RuffHändelkes [SPD])
Schauen wir genauer auf Ihre Vorschläge. Da
steht zum Beispiel: Wiedereinführung des Abzugs
von Steuerberatungskosten oder vereinfachte
Spendenbescheinigungen. – Super, Herr Ministerpräsident! Das ist mal ein Programm, mit dem
der Staat unsere Wirtschaft so richtig ankurbeln
wird – hier und sofort aus Nordrhein-Westfalen.
(Heiterkeit von Frank Sichau [SPD])
Ich sehe die blühenden Landschaften schon
wachsen – dank vereinfachter Spendenbescheinigungen und absetzbarer Steuerberatungskosten!
Herr Lindner ist nicht mehr anwesend.
(Gisela Walsken [SPD]: Feierabend!)
Er hat ausnahmsweise Recht, wenn er sagt, dass
er das niedlich fände. Es ist aber im Grunde lächerlich und grotesk. An anderer Stelle ist es
schlicht grob fahrlässig. Wenn der Ministerpräsident über den künftigen Energiemix spricht und
ihm die erneuerbaren Energien nicht einmal einen
Halbsatz wert sind, spricht das Bände. Stattdessen redet er immer öfter der Atomenergie das
Wort, ebenso wie Herr Stahl.
Wir Grünen, meine Damen und Herren, werden
den Atomausstieg mit Zähnen und Klauen verteidigen. Diese Risikotechnologie ist aus vielerlei
Gründen unverantwortlich. Wenn ich heute lese,
wie leichtfertig Ministerin Thoben angesichts der
Unfälle mit Chemiegasen davon spricht, man
müsse möglicherweise ein gewisses Restrisiko in
Kauf nehmen, mag ich mir eine solche Haltung,
Frau Thoben, mit Blick auf die Atomenergie überhaupt nicht mehr ausmalen. Das finde ich unverantwortlich!
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Das ist nachzulesen in der „WAZ“.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU, ich weiß, wie schwer es
Ihnen fällt, auf uns zu hören. Aber nehmen Sie
doch wenigstens die Mahnungen die Kirchen
ernst. Sie wollen diesen Eingriff in die Schöpfung
nicht. Präses Alfred Buß warnt vor den unbeherrschbaren Gefahren der Kernenergie und sagt
zur ungeklärten Endlagerfrage – ich zitiere –: „Wir
sind im Flugzeug losgeflogen, aber wir wissen
noch nicht, wie wir landen sollen.“ – Ich bin erschrocken, Herr Stahl, wie leichtfertig Sie über
11522
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
diese Haltungen und Grundsatzbedenken hinweggehen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Bei den Alternativen, Herr Rüttgers, waren Sie bei
Ihrer letzten USA-Reise schon einmal weiter. Da
wussten Sie schon, dass zum Beispiel in der
Windenergie die Zukunft liegt. Außer Landes gibt
es gewisse Anflüge von Einsicht, aber wenn es
konkret darauf ankommt, sehen wir das im politischen Handeln leider nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn Sie und Ihre Landesregierung durch den
unsäglichen Windenergieerlass NRW von der
Entwicklung der Windenergie abschneiden, müssen Sie sich doch nicht wundern, wenn es in unserem Land Jahr für Jahr mit den Windenergieinvestitionen bergab und nicht bergauf geht. Gerade
bei der Energiepolitik zeigt sich, wer die Herausforderungen der Zukunft erkannt hat und die Weichen richtig stellt. CDU und FDP tun das ganz offensichtlich nicht.
Ganz konkret spürbar wurde das für jede Einzelne
und für jeden Einzelnen durch die Preissteigerungen beim Öl und als Folge davon durch die Preissteigerungen beim Gas. Diese Preissteigerungen
werden erhebliche soziale und gesamtwirtschaftliche Probleme verursachen. Die Probleme sind
offenkundig; man kann sie nicht mehr leugnen.
Die hohen Preise treffen insbesondere Familien,
die von ihren knappen Einkommen einen immer
größeren Teil allein für Energie ausgeben müssen. Dann bleibt natürlich weniger Geld für andere
Güter übrig. Dieser Abfluss von Kaufkraft hin zur
Energie ist dramatisch.
1999
hat
Deutschland
per
Saldo
für
18 Milliarden € Erdöl und Erdgas importiert. Für
2008 sagt die Bundesbank etwa 85 Milliarden €
voraus. Das ist fast eine Verfünffachung seit 1999
und hat ganz konkrete Folgen: soziale Probleme
und erhebliche Belastungen für private und öffentliche Haushalte, Einschränkungen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, weniger verfügbares Einkommen und entsprechendes Sparverhalten.
Die daraus folgende Konsumflaute ist bereits im
Tourismus, in der Gastronomie und vor allem im
Handel spürbar. Die Menschen kaufen eben auch
weniger ein. Dann ist es auch zum Abbau von Arbeitsplätzen nicht mehr weit. Wenn einzelne
Branchen weniger umsetzen, werden sie Menschen entlassen. Die Pleiten von SinnLeffers,
Wehmeyer und Hertie sprechen eine deutliche
Sprache. Das hat natürlich konkret mit der wirt-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
schaftlichen Grundlage unseres Landes und damit
auch mit dem Landeshaushalt zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir müssen und können gegensteuern. Wir haben
einen Vorschlag gemacht, den ich hier noch einmal wiederholen möchte; wir werden ihn noch öfter diskutieren, weil er so überzeugend ist: Wenn
wir beispielsweise massiv in die energetische Gebäudesanierung einsteigen, folgen daraus weniger Kosten für Öl- und Gasimporte, mehr Geld für
die heimische Bauindustrie und die Zuliefergewerke und mehr Geld im Portmonee der Menschen. Das bedeutet neue Arbeitsplätze im Baugewerbe sowie weniger Arbeitsplatzverluste in der
Textil- und Konsumindustrie.
Es geht darum, hier eine Wende einzuleiten und
eine Win-win-Situation massiver Art auszunutzen.
Ich verstehe nicht, warum Sie sich hier verweigern.
Frau Ministerin Thoben hat in Reaktion auf die
gemeinsame Pressekonferenz von Frau Kraft und
mir gesagt, dass 30.000 Wohnungen pro Jahr saniert werden. – Der Altbaubestand beläuft sich auf
6,3 Millionen vor 1984 errichteter Wohnungen.
Haben Sie einmal ausgerechnet, wie lange Sie für
die Altbausanierung benötigen, wenn Sie in diesem Schneckentempo weitermachen? Es sind
mehr als 100 Jahre, meine Damen und Herren.
Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung bei
der Gebäudesanierung zur Einsparung von Ölund Gasimporten. Nicht kleckern, sondern klotzen
muss hier die Devise sein – auch im Landeshaushalt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist ein wirkliches und vernünftiges Antirezessions- und Konjunkturprogramm. Einfache Spendenbescheinigungen oder die Absetzbarkeit von
Steuerberatungskosten reichen nicht aus.
Es geht also um den Wirtschaftsstandort NRW.
Es geht aber auch und vor allem um die Menschen, die sich teure Energie schlicht nicht leisten
können. Es geht selbstverständlich auch um Klimaschutz.
Meine Damen und Herren, eine weitere ganz
zentrale Herausforderung für die wirtschaftliche
Entwicklung in NRW ist die Bildungspolitik. Um im
globalen Wettbewerb mithalten und von der Globalisierung profitieren zu können, müssen wir die
Ergebnisse unseres Bildungssystems radikal
verbessern. Die Stärke von NRW müssen die
Menschen sein: gut ausgebildete und hochqualifi-
11523
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
zierte Menschen, die innovative Entwicklungen
vorantreiben.
Aber auch hier bewegen Sie sich mit Rekordgeschwindigkeit in die Sackgasse. Die Landesregierung zementiert ein Schulsystem, das auf Selektieren und Aussortieren setzt. Das ist bestenfalls
„50er-Jahre“, eher noch „vorletztes Jahrhundert“.
Das Ganze geschieht mit einer Führungscrew im
Schulministerium, die nicht einmal in der Lage ist,
die politisch unstrittigen Reformprozesse einigermaßen vernünftig umzusetzen. Es ist eine Crew,
die die Schulen in unserem Land mit einer nie dagewesenen Erlassflut überzieht. Das ist Bürokratiewahn pur, meine Damen und Herren.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Bei Sommer und Winands kommt ein Scherbenhaufen zum nächsten.
(Zuruf von der SPD: Bei Winands und Sommer!)
– Die Grünen nennen die Damen immer zuerst.
Soweit wollen wir es nicht kommen lassen.
Der Ministerpräsident schaut stur in die andere
Richtung. Herr Ministerpräsident, wer die dort liegenden Scherben nicht sieht, kann auch nicht anfangen, die Scherben aufzuräumen. Damit sollten
Sie aber endlich einmal anfangen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Leistung unserer Schulen ist nicht nur für die
wirtschaftliche Entwicklung entscheidend. Es geht
um mehr. Es geht um gelingende Integration, um
Bildungsaufstieg. Es geht um das Ausschöpfen
aller Potenziale und Talente. Es geht um soziale
Gerechtigkeit. Nirgendwo in der westlichen Welt
hängt der Bildungserfolg in solchem Maße vom
sozialen Status der Eltern ab wie in Deutschland.
Es geht um jede und jeden Einzelnen, die/den wir
mit einer besseren Bildung in die Lage versetzen,
ihr/sein Leben erfolgreich zu gestalten und in die
eigenen Hände zu nehmen.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Das
schlimm zu Ihrer Regierungszeit!)
war
Die Befürworter eines anderen Weges und die
Belege dafür nehmen tagtäglich zu, Herr Linssen.
Ganz aktuell zeichnet die Bertelsmann Stiftung
die Bildungsregion Toronto aus und will damit bewusst die politische Diskussion in Deutschland
beflügeln: hin zu besseren Leistungen und zu
mehr sozialer Gerechtigkeit durch längeres gemeinsames Lernen. Aber ich fürchte, auch diese
Signale werden und wollen Sie wieder nicht hö-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ren. Sie bleiben weiterhin in Ihrem Schützengraben stecken.
Herr Stahl, ich muss Sie nicht ans Händchen
nehmen. Ich lade Sie aber ein: Kommen Sie doch
zur Preisverleihung mit. Schauen wir es uns gemeinsam an. Vielleicht lassen Sie sich von diesen
neuen Ideen anstecken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber auch hier nutzen Sie die Chance zum Winwin nicht. Sie sind als NRW-CDU eine eingemauerte Truppe, die sich nicht auf den Weg macht,
während andere längst angefangen haben.
In der Hochschulpolitik rühmen Sie sich insbesondere zweier Punkte: der Schaffung von drei
neuen Fachhochschulen und der Verankerung eines Stipendiensystems. Lassen Sie mich zu beiden Punkten nur wenige Sätze sagen.
Sie haben großspurig angekündigt, den besten
10 % der Studierenden 300 € monatlich zu gewähren. Das notwendige Geld dafür ist aber beim
besten Willen nicht im Haushaltsentwurf zu finden. Selbst wenn 10 % der Studierenden Stipendien bekommen, löst das nicht das Problem, dass
die Abiturientinnen und Abiturienten aus ärmeren
Familien systematisch durch die Studiengebühren
abgeschreckt werden. Johannes Rau lässt grüßen, Herr Ministerpräsident.
Bei den neuen Fachhochschulen sieht es ähnlich
aus. Das dafür im Haushalt vorgesehene Geld
reicht bei Weitem nicht aus. Ganz abgesehen davon sind Neugründungen von Fachhochschulen
unflexibler und teurer als der Ausbau bestehender
Standorte. Diese Haltung haben wir schon vorgetragen. In dieser Haltung haben uns die Unternehmer, mit denen wir vorgestern Abend in Meschede gesprochen haben, auch ausdrücklich
bestätigt. Sie sagten, der Ausbau bestehender
Standorte ist der bessere Weg und hilft uns
schneller, um den Fachkräftemangel abzubauen
und die Qualifizierung der zukünftigen Beschäftigten voranzutreiben.
Was Sie schaffen, das sind populistische Leuchttürme: Clement – schwarz-gelb-gestreift, meine
Damen und Herren.
Sie rühmen sich Ihrer Investitionen bei der Kinderbetreuung. – Ja, hier gibt es einen immensen
Nachholbedarf. Das haben wir auch eingeräumt.
Wir haben die Priorität auf die offene Ganztagsgrundschule gelegt und dort angefangen. Inzwischen haben alle Grundschulen in NordrheinWestfalen ein offenes Ganztagsangebot. Darin
lag unsere Priorität. Es war klar, dass andere
Schritte folgen werden.
11524
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Über eines können Sie aber nicht hinwegreden:
Sie als Land bremsen die Kommunen beim bundesrechtlich vorgesehenen Ausbau der Betreuung
von Kindern unter drei Jahren aus. Sie bremsen
die Kommunen, die mehr tun wollen, aus. Geben
Sie diese Deckelung auf, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Landesregierung hat noch einen Scherbenhaufen durch Ihr Verschleppen, Ihren Dilettantismus und Ihr Wegsehen angerichtet: den bei der
WestLB. Nun, wo sie selbst den Scherbenhaufen
nicht mehr übersehen kann, fordert sie andere
auf, ihn möglichst schnell zu beseitigen. Herr Finanzminister, Herr Ministerpräsident, so etwas
nennt man: sich vor der Verantwortung drücken.
Ich darf daran erinnern, dass Herr Rüttgers noch
2007 die WestLB zur Chefsache erklärt hat. Sie
haben gemeinsam mit Ihrem Finanzminister vom
großen Finanzplatz Düsseldorf geträumt und deshalb sinnvolle und notwendige Fusionsverhandlungen mit der LBBW torpediert.
Nun, wo das Desaster seinen Lauf nimmt, ziehen
Sie sich zurück und versuchen, mit präsidialem
Stil so zu tun, als wenn Sie mit all dem nichts zu
tun hätten. Jetzt, ein Jahr später, muss der arme
Herr Linssen kleinlaut erklären, dass die Aufrechterhaltung des Finanzplatzes NordrheinWestfalen so nicht mehr möglich ist.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nicht zu viel Mitleid!)
Diese späte Erkenntnis kommt uns alle sehr teuer
zu stehen, Herr Ministerpräsident.
(Beifall von den GRÜNEN)
Denn im schlimmsten Fall muss das Land beim
Risikoschirm für fast 4 Milliarden € komplett einstehen. Es ist jetzt schon klar, dass Sie beim Verkauf der Landesanteile allenfalls die Hälfte hereinholen können. Die brauchen Sie, damit die
NRW.BANK nicht auch noch vor die Wand fährt.
Herr Ministerpräsident, wenn das kein finanzpolitischer Offenbarungseid ist, was denn dann? Sie
sind mit Ihrer Politik in Bezug auf die WestLB auf
der ganzen Linie gescheitert. Auch der Verweis
auf die Vergangenheit hilft nicht.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Das haben Sie
nicht so gern!)
– Sie waren doch immer dabei, Herr Dr. Linssen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Schon an anderer Stelle haben wir darauf hingewiesen, dass Sie dabei waren wie kein anderer im
Hause.
(Gisela Walsken [SPD]: Das kann man nicht
oft genug sagen!)
An Ihrer Stelle wäre ich ganz vorsichtig.
Ich zitiere noch einmal den Bonner „GeneralAnzeiger“ vom 26. August 2008:
Aus vertraulichen Unterlagen der Bank geht
hervor, dass die Bank zwei Drittel der Schrottanleihen erst nach dem Regierungswechsel
angehäuft hat und zwischenzeitlich fast 30 Milliarden € in ihren Depots führte.
Das Zitat ist es wert, auch zweimal im Protokoll
vermerkt zu werden.
Wer soll das jetzt alles hinbiegen? Nicht der Chef –
es ist keine Chefsache mehr –, nicht einmal der Finanzminister, sondern die Sparkassen sollen eingreifen, und zwar vor dem Hintergrund der Drohkulisse Sparkassengesetz. Herr Linssen, Herr Rüttgers, so können Sie mit unseren Sparkassen nicht
umgehen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Widerspruch von Minister Dr. Helmut Linssen)
Sie können nicht erst den Scherbenhaufen anrichten und dann für den Fall, dass die Sparkassen
ihn nicht beseitigen, mit dieser Drohkulisse kommen. Das Sparkassengesetz muss vom Tisch.
Wir sind nicht die Einzigen, die das fordern. Beim
Scherbenhaufen WestLB sollten Sie für jede Hilfe
dankbar sein, die Sie überhaupt noch von irgendeiner Seite erhalten.
Niemand weiß heute, was in einem Jahr oder in
zwei Jahren mit der WestLB sein wird. Trotzdem
sollen die Sparkassen auf Gedeih und Verderb an
die privatisierte WestLB gekettet werden. Das ist
eine Blindheirat auf Verdacht.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Das stimmt
doch gar nicht! – Gegenruf von Gisela
Walsken [SPD]: Natürlich stimmt das!)
– Ihr Freund Breuer schlägt doch die Hände über
dem Kopf zusammen, wenn er Ihnen zuhört.
Dann werde ich doch die Sachen im Parlament
formulieren dürfen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Das Sparkassengesetz kann unter diesen Voraussetzungen das Aus für diese bewährte kundennahe und die Region unterstützende Bankenlandschaft bedeuten, die nicht nur die großen Geschäfte im Blick hat, sondern auch die kleinen
11525
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Leute, die soziale Struktur und das kulturelle Angebot vor Ort. Die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen brauchen gute Finanzierungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. – Herr Ministerpräsident, ich kann Ihr Agieren bei der
WestLB auch kurz zusammenfassen: erst Chefsache, dann Tauchstation! Das häuft sich.
Wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen,
werden Sie alles und jeden dafür verantwortlich
machen, nur nicht sich selbst. Als Arbeitsplätze
entstanden sind, war es genau andersherum, obwohl Sie genau wissen, dass das auf die schwierigen Reformen der rot-grünen Bundesregierung
zurückzuführen ist. Damit betreiben Sie eine Politik der Täuschung, Herr Rüttgers, von der sich die
Menschen abwenden.
(Zuruf von Manfred Kuhmichel [CDU])
Diese Politik macht eine Partei wie Die Linke und
andere Protestparteien stark. Dafür tragen auch
Sie mit Ihrem Handeln Verantwortung.
Wenn Sie dann noch versprechen, dass trotz der
Kürzungen der letzten Jahre kein Arbeitslosenzentrum geschlossen wird, von 183 Zentren aber
nur noch 20 überbleiben, weil alle anderen wegen
Ihrer Kürzungen schließen müssen,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Und davon nur
noch neun bis zum 31. Dezember!)
ist das nur ein weiteres aktuelles Beispiel dafür,
wie Schwarz-Gelb die soziale Spaltung vergrößert, konkret die Politikverdrossenheit fördert und
die Menschen im Stich lässt.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Kurzsichtigkeit und Stümperei sind die Kennzeichen dieser schwarz-gelben Landesregierung.
Dabei stecken in den Herausforderungen der Zukunft so gute und lohnenswerte Chancen. Ich habe sie genannt: bessere Bildung, Klimaschutz als
Jobmotor und nachhaltige Haushaltskonsolidierung. So sieht die Zukunft von NRW aus, Herr Ministerpräsident: nachhaltig auf allen Ebenen. Das
ist anders als in den 50er-Jahren und anders als
heute, auf jeden Fall besser.
Ich wiederhole mich, auch wenn Sie es nicht mehr
gerne hören wollen: Wer so gut ist wie diese Landesregierung, hat einfach keinen Ehrgeiz.
(Anhaltender Beifall von GRÜNEN und SPD)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Löhrmann. – Als Nächster spricht der Ministerpräsident. Herr Dr. Rüttgers, Sie haben das
Wort.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident: Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Nordrhein-Westfalen ist im Aufbruch. Es gibt mehr
Arbeit. Im Juli hatten wir 300.000 Arbeitslose weniger als im Mai 2005. Es gibt 240.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.
(Zuruf von der SPD: Trotz Ihrer Regierung!)
Das Wirtschaftswachstum lag 2006 und 2007 bei
2,6 % und damit über dem Bundesdurchschnitt.
2005 waren es noch 0 %. Wie der Finanzminister
dargelegt hat, machen wir weniger Schulden: der
niedrigste Stand seit 30 Jahren, zwei Drittel weniger als 2005.
(Beifall von CDU und FDP)
Gestern haben wir in Gelsenkirchen zusammen
mit dem Herrn Bundespräsidenten den ersten
6.300 Zweitklässlern ihre Instrumente im Rahmen
der Aktion „Jedem Kind ein Instrument“ überreicht. 20.000 Erstklässler fangen in diesen Tagen
mit ihrem Unterricht bei JeKI an.
Am vergangenen Freitag habe ich zusammen mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hiddenhausen
eine Kindertagesstätte besucht und in Löhne eine
Hauptschule. Beide zeigen schon heute, wie wir
uns das überall vorstellen; das Ziel ist klar: Jedes
Kind soll in Nordrhein-Westfalen die Chance zum
sozialen Aufstieg bekommen.
(Beifall von CDU und FDP)
Am nächsten Freitag werden wir in HammUentrop den Grundstein für ein neues, hypermodernes Kohlekraftwerk legen, damit die Energie
sicher und die Luft sauberer wird.
Diese Beispiele zeigen: In Nordrhein-Westfalen
hat sich etwas getan. Es geht aufwärts, und wir
sind ein gutes Stück vorangekommen. Vor dem
Hintergrund dieser Realität habe ich mir, als ich
zugehört und vor allen Dingen die Reden von
Frau Kraft und Frau Löhrmann interessiert aufgenommen habe, gedacht: Wie passt das eigentlich
zusammen? – Ich bin sogar einmal kurz zum Kollegen Stahl gegangen, weil ich dachte, es hätte
etwas mit der Optik zu tun und von dort aus ginge
es besser.
Ich frage mich die ganze Zeit: Was soll diese
Miesmacherei,
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Fakten!)
was soll diese Nöhlerei, was soll diese Keiferei?
Wenn man das hört, kann man nur mit dem Kopf
schütteln. Früher war jedenfalls Frau Löhrmann
gelegentlich für ein paar interessante neue Denk-
11526
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
und Argumentationsansätze gut. Heute, Frau
Löhrmann, hatte ich den Eindruck, Sie haben anscheinend denselben Redeschreiber gehabt wie
Frau Kraft: dieselben Zitate, dieselben Zahlen,
dieselben Punkte. Leider Gottes waren Ihre Zahlen genauso falsch wie die von Frau Kraft. Das ist
natürlich schwierig.
(Beifall von CDU und FDP)
Deshalb will ich zu dieser Rede nur noch eine
Bemerkung machen. Sie lautet: Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass die Grünen
keinen ausgeglichenen Haushalt fordern. Das ergibt sich zumindest aus der Rede. Das sollten wir
vielleicht festhalten, weil es ein politischer Punkt
ist.
(Ralf Jäger [SPD]: Herr Papke auch nicht mehr!)
Frau Kraft, es ist klar – ich war auch einmal Oppositionsführer –: Ich bin als Ministerpräsident für
alles verantwortlich in Nordrhein-Westfalen, zum
Beispiel auch dafür, dass die SPD im Moment in
den Umfragen bei 27 % liegt,
(Beifall von CDU und FDP)
zum Beispiel dafür, dass sich die Linkspartei abgespalten hat und Sie immer noch nicht wissen,
ob Sie sie nun lieben, mit ihr koalieren oder sie
bekämpfen sollen, oder dafür, dass der DGB und
der Arbeitgeberverband gesagt haben, die Sache
mit dem Antirezessionsprogramm sei eine gute
Idee. Ich bin für alles verantwortlich.
Ich weiß aber auch, dass ich nichts damit zu tun
habe, dass das Zentralabitur zumindest nach den
Zahlen das beste war, das wir in NordrheinWestfalen je gehabt haben, seitdem Zahlen erhoben worden sind.
(Beifall von CDU und FDP)
Das war schon interessant, dass Sie das gar nicht
mehr erwähnt haben.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das Krisenmanagement war auch das beste, was wir je
hatten!)
Dass in Nordrhein-Westfalen plötzlich Straßen
und Fahrradwege in großem Maße gebaut werden, weil es jetzt Planungsrecht gibt und nicht alles wie bei Rot-Grün verhindert worden ist, damit
habe ich absolut nichts zu tun.
(Beifall von CDU und FDP)
Ich habe nichts damit zu tun, dass immer mehr
Firmen etwa ihre europäischen Zentralen nach
Nordrhein-Westfalen verlegen, hier investieren
und sich ansiedeln: Honda, Boing, BlackBerry,
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Scanbull, QVC. Dass die Geschichte mit Nokia
prima gelaufen ist und wir den Leuten helfen
konnten, mit all dem habe ich nichts zu tun. Ich
habe es zur Kenntnis genommen.
Während Ihrer Rede, Frau Kraft, kam Helmut
Linssen – Sie haben es vielleicht gesehen –
mehrfach zu mir und hat mir eine Reihe von Zetteln gegeben, die übrigens alle mit Zahlen beschrieben waren, Herr Papke, und da stand immer drauf: Die Zahl stimmt nicht, und die Zahl
stimmt nicht.
Normalerweise gibt es in einer politischen Debatte
zwei Dinge, die man auseinanderhalten muss –
zumindest habe ich das so gelernt –: Fakten und
Meinungen. Normalerweise müsste bei den Fakten Konsens zu erzielen sein, wenn man die
Grundrechenarten anwendet und nach Adam Riese addiert oder nicht addiert. Voraussetzung für
einen möglichen Konsens über Zahlen ist aber
das Zuhören. Das aber ist einer der schwierigen
Punkte. Frau Kraft, Sie haben es geschafft, sogar
die klaren Fakten so zu verdrehen, dass sie Ihren
Meinungen entsprachen, anstatt Ihre Meinungen
an den Fakten zu orientieren. Das führt immer ins
Elend, Frau Kraft.
(Beifall von CDU und FDP)
Wenn man dann noch mit einer vorbereiteten Rede kommt und nicht gehört hat, was der Finanzminister gesagt hat, und es nicht gebacken kriegt,
das anzupassen, stellt man die Frage: Was habt
Ihr zum Beispiel mit den Steuermehreinnahmen
getan?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Zu wem reden
Sie eigentlich?)
Helmut Linssen hat die Antwort gegeben: 90 %
sind in den Haushalten, für die er die Verantwortung trägt, eingesetzt worden, um die Nettoneuverschuldung zurückzufahren. 90 %, und dann
ziehen Sie hier diese Show ab!
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie wollen von Fakten reden, wo
Sie die Fakten so verdrehen!)
Mal ganz von den Peinlichkeiten abgesehen, Frau
Kraft, mit denen Sie schon heute Morgen in Ihrem
Radiointerview angefangen haben. Sie haben dort
gesagt, Sie wollten heute noch nicht das Geheimnis lüften, wie Sie Ihre Forderungen nach schnellerer Absenkung der Nettoneuverschuldung bei
gleichzeitiger Entlastung der Bürger und bei
gleichzeitigen Mehrausgaben für Institutionen
querfinanzieren wollen. Das haben Sie heute
Morgen und auch hier gesagt. Sie haben nur bei
den drei Punkten, über die Herr Papke schon ge-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11527
sprochen hat, so ein klein bisschen den Schleier
des Geheimnisses gelüftet, aber das war von den
Zahlen her nichts.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Reden Sie nur mit
Ihren Koalitionsfraktionen?)
Was habe ich also gemacht? – Ich weiß noch aus
meiner Oppositionszeit um die Schwierigkeit, sich
von Haushalt zu Haushalt etwas Neues einfallen
zu lassen. Ich habe nachgesehen, welche Anträge Sie in den letzten Jahren gestellt haben, zum
Beispiel zu den Haushaltsentwürfen 2006, 2007
und 2008.
2006 haben Sie, um schneller mit der Neuverschuldung klarzukommen – der Hauptvorwurf lautete ja, er spart nicht genug –, Anträge gestellt,
die saldiert eine Mehrausgabe von 238 Millionen €
zur Folge hatten. 2007 haben Sie zugegebenermaßen, wenn man alle Anträge saldiert, Minderausgaben von 100 Millionen € beantragt. Einige
davon waren nicht so überzeugend, sodass Sie
sie dann im Plenum gar nicht angeführt haben.
Das hier sind die Plenarzahlen. Und 2008 haben
Sie wieder Anträge mit plus 251 Millionen € an
Ausgaben eingereicht.
Das heißt: Saldiert auf diese drei Jahre haben Sie
Anträge mit Mehrausgaben in Höhe von 389 Millionen € gestellt. Das ist genau die Art, wie Sie uns
während Ihrer Regierungszeit in das Schuldendesaster hineingeführt haben, nämlich zu erklären,
das sei Konsolidierung, und gleichzeitig mehr
Geld auszugeben.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Und Sie wollen von Fakten reden? Sie verdrehen sie! – Ralf Jäger [SPD]:
Lügen haben kurze Beine!)
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und
Kollegen, das liegt natürlich auf der Linie. Insofern
hat das in der allgemeinpolitischen Debatte auch
ein Stück damit zu tun, dass sich gewisse Verhaltensmuster herausgestellt haben. Ich habe in
Nordrhein-Westfalen eigentlich noch niemanden
getroffen, der weiß, wofür Frau Kraft eigentlich
steht. Und die Rede heute war genauso.
(Beifall von der CDU)
Wir wissen nicht, mit welcher Machtperspektive
sie hier auftritt, wir wissen nicht, wie ihr Verhältnis
zu den Linken ist. Trotz Aufforderung hat sie
nichts dazu gesagt.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deutlich! Sie
müssen zuhören!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11528
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Noch am Wochenende wurde von der SPD verkündet, man sei natürlich ohne Wenn und Aber für
den Ausstieg aus der Atomenergie. Jetzt habe ich
gelesen, dass Herr Römer, ihr Stellvertreter, gesagt hat: Na ja, man könnte doch darüber reden,
wenn es wieder weitere Subventionen für die Kohle gäbe.
Über KiBiz ist schon geredet worden. KiBiz sei
das Schlimmste, was man für Kinder tun könnte. –
Heute sind alle Betroffenen dankbar, dass es das
KiBiz gibt.
(Hannelore Kraft [SPD]: Das hat er nicht gesagt!)
Sie ärgern sich darüber – kriminell –, dass Sie der
SPD und den Grünen bei der Debatte aufgesessen sind.
Der DGB-Vorsitzende hat sich dem angeschlossen. Wir haben es auch von den Mittelständlern
im Sommer gehört, was gut ist.
(Ralf Jäger [SPD]: Jetzt haben Sie so viele
Berater, lassen Sie sich doch mal beraten!)
Gleichzeitig kämpft sie jetzt für eine Erbschaftsteuer, die eine große Anzahl von Mittelständlern
bei jedem Erbgang in den Ruin treiben wird, weil
dann das Geld, was sie haben, schlichtweg weg
ist.
(Beifall von CDU und FDP)
Das Ding ist übrigens nicht nur wachstumsfeindlich, sondern ohnehin nicht mal umsetzbar. Liebe
Frau Kraft, was denn nun? Für Mittelstand oder
gegen Mittelstand? – Zuerst waren Sie für die
Chemie, jetzt ist Herr Steinbrück gegen die COPipeline. Was ist denn Ihre Haltung dazu? Warum
haben Sie uns dazu nichts gesagt? Da laufen
doch Kampagnen.
(Gisela Walsken [SPD]: Oh! Das Thema!
Hervorragend, wir warten schon lange auf Ihre Haltung! Jetzt bin ich gespannt! – Unruhe)
Ja was denn nun, Steinbrück oder Sie? Was denn
nun?
(Unruhe von der SPD – Gisela Walsken
[SPD]: Tolles Thema!)
Arbeitslosengeld I – zuerst riesige Debatten, das
sei alles unseriös, Veränderungen vorzunehmen,
(Anhaltende Unruhe – Glocke)
dann fällt der Beck um, und sofort sagt Frau Kraft,
das sei eine sinnvolle Sache, die die SPD jetzt
durchgesetzt hat.
Oder: Auflösung der Grundschulbezirke – der soziale Anschlag auf unsere Schulen.
(Zustimmung von Michael Groschek [SPD])
Wir haben nachgefragt, was passiert ist. – Gar
nichts ist passiert, überhaupt keine sozialen Verwerfungen.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Definieren Sie mal „alle“!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, als ich letztes Jahr aus den Sommerferien kam, wurde ich bei der Landespressekonferenz scharf nach KiBiz gefragt. In diesem
Jahr war angeblich etwas mit den Schulen.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Angeblich?)
Ich prognostiziere: Nächstes Jahr um diese Zeit
werden die Leute sagen, dass sich die von uns in
den Schulen eingeleiteten Maßnahmen bewährt
haben. – Und genau das ist es: Wenn man etwas
verändert, dann braucht es eine gewisse Zeit, bis
es sich verändert.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das haben Ihnen Ihre Redenschreiber so aufgeschrieben!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein
paar Bemerkungen zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation machen. Das ist das wichtigste
Thema, was es gibt. Der aktuelle Außenwirtschaftsbericht zeigt,
(Zuruf von der SPD: Den Wetterbericht!)
dass wir in Nordrhein-Westfalen eine international
beachtete Wirtschaftsmacht sind. Die Zahlen haben gezeigt --–
(Michael Groschek [SPD]: Was die Bruderschaft mit Georgien macht!)
Meine Vorgänger Herr Kollege Clement und auch
Herr Kollege Steinbrück haben sich auch immer
auf diese Sache bezogen. Da kann man sehen,
wo man steht. Ich finde es interessant, dass wir
auf Platz 17 sind, gleich hinter den Niederlanden,
vor der Türkei, vor Belgien und vor Schweden. Es
ist wichtig, dass wir sowohl im Bereich Export
2007 um 9,1 % zugelegt haben und dass die Importe um 6,5 % gestiegen sind.
Nun haben Sie bei der Rede von Frau Kraft gehört,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die zum Parlament gesprochen hat!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
dass Sie das, was ich in der Pressekonferenz
nach den Sommerferien und dann bei einem
WDR-Interview in einer natürlich erheblich verkürzten Form gesagt habe, offensichtlich nicht
verstanden hat. Sie sagen doch immer, Sie seien
Ökonomin. Dann müssten Sie doch wissen, dass
es einen Unterschied gibt zwischen dem, was es
an Grundwellen gibt.
(Gisela Walsken [SPD]: Sie sind schlecht zu
verstehen. Sie nuscheln etwas! – Weitere
Zurufe von der SPD – Gegenruf von der
CDU: Haltet doch mal den Mund!)
– Ja, das ist auch immer so eine Geschichte. Diejenigen, die den Mund am meisten aufreißen, haben in der Regel die Ohren zu und bleiben deshalb dumm.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das sind Sie gerade, Herr Minister!)
Es gibt eine Grundwelle – das ist die gute Nachricht, wie jeder Fachmann bestätigt –, dass durch
die Einbeziehung von 2 Milliarden Menschen in
die Marktwirtschaft weltweit eine große Nachfrage
besteht, unter anderem eine große Nachfrage
nach Gütern, bei denen wir in NordrheinWestfalen, aber auch insgesamt in Deutschland
besonders stark sind.
(Zuruf von der SPD: Frohe Botschaft! Das
hören wir gerne!)
Ich glaube nicht an eine Rezession. Das ist nicht
einfach nur eine allgemeine Betrachtung. Es ist
klar: Wir werden in diesem Jahr eine Verlangsamung des Wachstums bekommen. Das ist so.
Aber wir haben die Chance, dass die Wachstumsdynamik wieder zunimmt, wenn wir jetzt das
Richtige tun. Fachleute sagen mir,
(Michael Groschek [SPD]: Wie Johannes
Rau zu Helmut Schmidt!)
der Preisauftrieb lässt nach, der private Konsum
erholt sich. Allein das ist schon ein Grund, weshalb wir jetzt kein Konjunkturprogramm à la Keynes wollen. Frau Löhrmann, ich erkläre es Ihnen
später, wo die Unterschiede liegen zwischen einem angebotsorientierten und einem nachfrageorientierten Programm. Danach, meine ich, werden Sie es verstehen.
(Unruhe von der SPD)
Es geht also nicht darum, die Nachfrage auf
Pump anzukurbeln, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es schon zwei wie Konjunkturprogramme wirkende Maßnahmen gibt. Das eine ist die
11529
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Unternehmensteuerreform und das andere ist die
Senkung der Arbeitslosenbeiträge. Zusammen
macht das, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, eine Summe zwischen 13 und 15 Milliarden €
aus, die im Moment für den Konsum zusätzlich
zur Verfügung steht. Und das wird eine gewisse
Wirkung haben.
Die Fachleute sagen, dass der Konsum wieder
anspringen wird. Da geht es jetzt nicht um die
Nachfrage, sondern darum, angebotsorientiert etwas zu machen. Das, was ich versucht habe darzulegen, – das ist überhaupt kein Wegschieben in
Richtung Berlin –, ist, dass wir uns gerade in den
letzten Monaten der Großen Koalition nicht nur
damit beschäftigen, in welchem Zustand die SPD
ist oder was mit Kanzlerkandidaturen oder Ähnlichem passiert, ob wir Krach haben zwischen
CDU/CSU und SPD, sondern auch damit, was
jetzt notwendig ist, damit es kein Abrutschen in
eine Rezession gibt, was wir tun können, um die
angebotsorientierten Rahmenbedingungen für unser wirtschaftliches Handeln zu verbessern. Wenn
wir das schaffen, können wir das immer noch vorhandene Wachstum wieder steigern und über die
Schwierigkeiten, die es international gibt, hinwegtragen.
Wir brauchen mehr Wachstum, wir brauchen
mehr langfristig wirkendes Wachstum. Das hat
etwas damit zu tun, dass der Aufschwung bisher
nicht alle Menschen erreicht hat, vor allen Dingen
nicht die mit kleinen Gehältern.
(Michael Groschek [SPD]: Wer verhindert
denn Mindestlöhne?)
Gerade heute Morgen hat die Hans-BöcklerStiftung noch einmal gesagt: Die Realeinkommen
des am wenigsten verdienenden Bevölkerungviertels sind zwischen 1995 und 2006, also hauptsächlich unter Rot-Grün, um fast 14 % gesunken.
Das ist das, was jetzt aufgeholt werden muss.
(Beifall von CDU und FDP)
Das ist das, was am meisten wehtut. Das ist das,
wo die Inflation zuschlägt. Das ist das, wo die
Preisexplosion bei den Energiepreisen zuschlägt.
Um diese Fragen geht es. Wir müssen uns also
um die mit den kleinen Einkommen kümmern.
(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)
Wir haben im zweiten Quartal das erste Mal eine
Schrumpfung des Wirtschaftswachstums. Im
Grunde ist klar: Das ist der starke Euro, das ist die
Situation auf den Energiemärkten, das ist die amerikanische Finanzkrise. Aber auch da gibt es
noch einen zweiten Punkt. Der Aufschwung hat
eine ja unglaublich wichtige Wirkung: Nach all
Landtag
Nordrhein-Westfalen
dem Auf und Ab im Konjunkturbereich ist es seit
Langem zum ersten Mal wieder gelungen, die Sockelarbeitslosigkeit auf jetzt 3 Millionen zu senken.
Nun haben wir wahrscheinlich – so sagen die
Fachleute – eine Verlangsamung des Beschäftigungsaufbaus, vielleicht sogar angebotsbedingt
ein Ende des Beschäftigungsaufbaus. Jetzt darf
es nicht passieren, dass, wenn eine Konjunkturschwankung kommt, auf diese Sockelarbeitslosigkeit wieder aufgebaut wird. Gerade bei der Sockelarbeitslosigkeit müssen wir weiter herunterkommen, nicht nur damit die Menschen mit ihrer
Arbeit eine Chance haben, ihr Leben selber zu
gestalten, sondern auch damit Zahlungen in die
Sozialkassen erfolgen,
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen haben
Sie die Arbeitslosenzentren zerschlagen!)
die dann wiederum dafür sorgen, dass wir mit all
den Problemen leichter fertig werden.
(Beifall von CDU und FDP)
Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen für
mehr Wachstum und Beschäftigung verbessern.
Und deshalb habe ich die Vorschläge gemacht.
Sie sind natürlich ein Stück weit auch mit der Frage verbunden: Was ist in einem nationalen Konsens denn vielleicht machbar, nicht nur zwischen
den Parteien der Großen Koalition in Berlin, sondern auch darüber hinaus. Da gibt es ein paar
Dinge.
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
– Frau Löhrmann, es ist nicht okay, was Sie da
gemacht haben. Es gibt eine Liste – Helmut, wie
viele sind es? – mit 15, 16, 17 Vorschlägen aus
dem Finanzministerium, die Sie auch kennen. Da
geht es nicht um irgendwelche Einzelpunkte, sondern es ist gefragt worden, und zwar nicht irgendein Fachmann, nicht irgendein Professor, sondern
die Steuerbeamten sind gefragt worden: Welche
Vorschriften könnt ihr überhaupt nicht umsetzen,
welche sind nicht administrierbar?
Diese Vorschläge haben wir jetzt in die Debatte
eingebracht. Da geht es jetzt nicht in erster Linie
um die große Frage, ob Geld für Steuersenkungen usw. da ist, sondern es geht darum – wenn
man es richtig macht, bekommt man es so hin,
dass es nicht viel Geld kostet –, dass wir das
Steuerrecht einfacher machen. Ich garantiere Ihnen: Allein ein einfacheres Steuerrecht – das ist
nicht der Bierdeckel, es sind konkrete Sachen –
würde etwa im Mittelstand, wo die Arbeitsplätze
entstehen, als Befreiung empfunden. Man würde
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11530
wenigstens mal wieder verstehen, wie manche
Vorschriften anzuwenden sind.
(Beifall von CDU und FDP)
Genauso geht es um die Frage des Energiemix.
Ich will das jetzt nicht im Einzelnen behandeln. Mir
ist zuerst einmal wichtig, dass wir bei uns in Nordrhein-Westfalen den Konsens erhalten, das Kraftwerkerneuerungsprogramm umsetzen zu wollen.
Das ist keine Banalität.
(Michael Groschek [SPD]: Die CDU in Köln
muss noch überzeugt werden!)
Es gibt keine vertraglich verbindlichen Verabredungen. Wir brauchen daher Rahmenbedingungen, die es den Vorständen der Investoren ermöglichen, Milliarden aufzuwenden.
Ich glaube, dass es in dem Zusammenhang auch
möglich sein müsste, wenn man sich schon bei
der Kernenergie nicht verständigen kann – ich
verstehe das ja: bei der Kernenergie ist es wohl
nicht möglich, sich schnell zu einigen; eben wurde
gesagt, es sei eine Übergangsenergie, denn in
dem Ausstiegsvertrag stehe, dass sie auslaufe –,
einmal gemeinsam darüber nachzudenken – ist
das wirklich so unvernünftig? –, zumal wir Kernkraft auf jeden Fall noch 15, 16, 17 Jahre in
Deutschland haben werden, ob wir den Beginn
des Abschaltens von Kraftwerken nicht ein Stück
hinausschieben sollten, um die zentralen Fragen
gemeinsam zu beantworten: Was ist mit dem Energiemix? Wie bekommen wir das mit den erneuerbaren Energien hin?
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wenn wir ständig warten und nicht anfangen?)
– Das ist jetzt Ideologie: Wenn wir warten, passiert nichts. – Nein! Wir könnten uns zum Beispiel
darauf verständigen, dass das Geld, das die Firmen dadurch mehr verdienen, dass die Kraftwerke nicht stillgelegt werden, in Alternativenergie investiert werden muss. Das wäre ein Punkt.
(Beifall von der CDU)
Nicht für zehn Jahre! Es würde für den politischen
Prozess reichen, wenn wir versuchen, das – wenn
wir über die Wahlen hinweg sind – in zwei oder
drei Jahren zu erledigen. Jedenfalls wäre es möglich.
(Zurufe von der SPD)
In einer Situation, in der wir sowieso schon zu hohe Energiepreise haben, durch eine Verknappung
des Angebotes noch einmal die Strompreise für
die kleinen Leute zu erhöhen, das ist ökonomisch
wohl das Falscheste, was man machen kann.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von CDU und FDP)
Das Gleiche gilt für die Frage des nationalen
Rohstoffkonzepts.
(Zuruf von der SPD)
Das Gleiche gilt für die Frage der Finanzmärkte.
Das Gleiche gilt – da sind wir natürlich massiv gefordert – für die Frage des Ingenieurmangels. Es
ist eben schon gesagt worden, dass wir stolz darauf sind, dass die Zahlen der Studienanfänger in
den MINT-Fächern und in Mathematik gestiegen
sind.
Wir werden uns in einer der nächsten Debatten,
um nicht immer Äpfel mit Birnen zu vergleichen,
darauf verständigen müssen: Die Anzahl der Studierenden wird aus demografischen Gründen sowieso zurückgehen. Aber lassen wir das jetzt
einmal weg.
Wir wollen drei Fachhochschulen gründen. Wir
wollen Fachhochschulen erweitern. Ich glaube,
dass das auch ein Thema sein wird, das auf dem
Bildungsgipfel, der aus Anlass der Ministerpräsidentenkonferenz stattfinden wird, zwischen Bund
und Land behandelt werden muss, genauso übrigens wie das Thema eines nationalen Stipendiums.
Werte Kolleginnen und Kollegen, noch einige Bemerkungen zum Thema Haushaltskonsolidierung:
Ökonomisch ist jedenfalls klar – das haben die
letzten drei Jahre gezeigt –, dass Konsolidierung,
also weniger Schulden, mehr Wachstum schafft.
Wir wollen den Haushaltsausgleich so schnell wie
möglich in der nächsten Legislaturperiode, aber
eben nicht nur auf dem Papier, sondern durch
entsprechende strukturelle Veränderungen. Das
wird noch eine schwierige Sache. Danach werden
wir – auch das ist wahr – an den Schuldenberg
herangehen müssen.
Jetzt höre ich – das war der Hauptvorwurf –, das
könnten wir alles schneller machen. Jeder, der
sich ein bisschen mit Ökonomie beschäftigt, weiß,
dass wir früher solche Debatten immer mit Inbrunst geführt haben. In den Zeiten der Regierung
Kohl wurde der Vorwurf erhoben, sie spare die
Konjunktur kaputt, sie spare auf dem Rücken der
kleinen Leute. Inzwischen wissen wir, dass jede
Konsolidierungspolitik, wenn sie intelligent gemacht wird, auf der einen Seite durch strukturelle
Maßnahmen die Verschuldung zurückführt und
auf der anderen Seite zugleich in Zukunft investiert. Beides fördert Wachstum, schafft neue Einnahmen und sorgt dafür, dass es sowohl der Wirtschaft als auch den öffentlichen Haushalten besser geht.
11531
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Dann muss man noch die von vielen noch nicht
wahrgenommene Situation hinzunehmen, dass
heute unter den Bedingungen der Globalisierung,
der Wissensgesellschaft und der Demografie
Wirtschaft und Sozialpolitik keine Gegensätze
mehr sind, sondern zusammengehören: Wirtschaftspolitik ist Sozialpolitik, und Sozialpolitik ist
immer auch Wirtschaftspolitik. Dass dies richtig
ist, kann man am Beispiel Bildung gut erkennen.
Ökonomen haben jetzt festgestellt, dass die Länder mit den besten PISA-Ergebnissen auch die
höheren Wachstumsraten haben. 50 zusätzliche
PISA-Punkte bedeuten 0,6 Prozentpunkte zusätzliches Wachstum pro Jahr.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das erzählen
wir Ihnen doch seit der ersten Stunde!)
Also ist es doch richtig, nicht wie auf einen Fetisch
darauf zu sehen, ob man in diesem Jahr auf einen
ausgeglichenen Haushalt kommt, sondern es eigentlich immer zusammen mit den Investitionen
zu sehen, und da zuvörderst mit den Bildungsinvestitionen. Da geht es um Wirtschaftspolitik, um
Sozialpolitik und um Bildungspolitik. Alle drei Politikbereiche gehören zusammen.
(Beifall von CDU und FDP)
Ich habe am Wochenende einen interessanten
Aufsatz gelesen,
(Gisela Walsken [SPD]: Ach ja? Lesen lassen?)
in dem ein Wirtschaftswissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen uns noch einmal darauf hingewiesen hat, dass das Problem unseres Arbeitsmarktes – natürlich gibt es auch die Sockelarbeitslosigkeit; ich habe davon gesprochen – nicht
ein Mangel an Flexibilität ist – das haben wir inzwischen weitgehend und im Konsens zwischen
Arbeitgebern und Gewerkschaften und Betriebsräten in unserer Wirtschaft gut geregelt –, sondern
ein Überschuss an unqualifizierten Kräften.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das sieht man an
der Landesregierung!)
Wenn das richtig ist, dann müssen wir uns natürlich mit den Fragen beschäftigen, wie wir möglichst früh mit Bildung anfangen, wie wir es schaffen, dass jeder genügend Deutsch spricht, um
dem Unterricht in der Schule folgen zu können,
wie wir es schaffen, dass es bessere Ganztagsangebote sowohl im vorschulischen als auch im
schulischen Bereich gibt, und wie wir die Übergänge besser organisiert bekommen. Das alles,
werte Kolleginnen und Kollegen, ist ungeheuer
wichtig. Weil dies von bestimmter Seite gefordert
worden ist, sage ich: Deshalb kann und wird es
Landtag
Nordrhein-Westfalen
auch keine Reformpause im Bildungsbereich geben,
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Es wäre schön,
wenn es mal richtige Reformen gäbe!)
sondern die klare Strategie der Landesregierung
und der Koalitionsfraktionen lautet konsolidieren
und gleichzeitig in Bildung, in Innovation und in
Infrastruktur investieren. Nur auf diese Weise entsteht Wachstum.
(Beifall von CDU und FDP)
Mit dem Haushaltsplanentwurf für das kommende
Jahr werden wir im Bereich von Schule, Kinder,
Jugend insgesamt 2,3 Milliarden € an zusätzlichem Geld zur Verfügung gestellt haben, die eben
schon angesprochenen 6.915 zusätzlichen Lehrerstellen geschaffen haben, im Bereich der U3Plätze ein Plus von 44.600 und bei den Ganztagsplätzen ein Plus von 198.300 erreicht haben
und die Ausgaben für die Ganztagsplätze um
mehr als 300 Millionen € gesteigert haben.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Sie ursprünglich verhindern wollten!)
Hier mögen wir uns jetzt noch über die Frage unterhalten, wo und in welcher Form man das
macht. Hier wird in den nächsten Jahren sicherlich noch manches – der Prozess läuft noch – weiter zu bedenken und zu steuern sein. Aber eines
ist völlig klar: Das, was da passiert, ist die größte
Veränderung unseres Bildungssystems, an die
zumindest ich mich erinnern kann. Und darauf bin
ich stolz.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die größte Veränderung zulasten
der sozial Schwächeren!)
11532
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
nen € zur Verfügung. Bei der Innovationsförderung im Bereich des Innovationsministeriums beträgt das Plus 3,8 %. Das geht zum Beispiel in
Projekte wie den gigantischen Rechner in Jülich,
den Petaflop-Rechner, einen der größten privat
genutzten Rechner, die es überhaupt gibt. Eines
der wichtigsten neuen Projekte ist der Gesundheitscampus, weil wir auch im Bereich der Gesundheitsforschung ganz vorne dabei sein wollen.
Ich will jetzt nicht darüber reden, was es alles an
zusätzlichen Forschungsinstitutionen in den letzten drei Jahren gegeben hat. Hier freut mich insbesondere eine Partnerschaft mit Pennsylvania,
die dazu geführt hat, dass es inzwischen in einem
bemerkenswerten Umfang möglich ist, Kooperationen zwischen nordrhein-westfälischen Hochschulen und der Universität in Pittsburgh oder der
Universität in Philadelphia abzuschließen. Das ist,
glaube ich, eine wichtige Sache.
Der letzte Punkt betrifft die Infrastruktur. Für die
Landesstraßen werden im nächsten Jahr 34,3 %
mehr als im Jahr 2005 zur Verfügung stehen. Es
gibt 19 % mehr als im vergangen Jahr für den
Ausbau der Schifffahrtswege und der Häfen. Auch
das ist wichtig.
Werte Kolleginnen und Kollegen, am kommenden
Wochenende feiern wir den Nordrhein-WestfalenTag in Wuppertal und damit den 62. Geburtstag
unseres schönen Heimatlandes. Ich bin sicher,
das wird ein großartiges Fest, genauso wie das
Fest im vergangenen Jahr in Paderborn und das
Fest zum runden Geburtstag im Jahr zuvor in
Düsseldorf. Ich meine auch, dass das Motto
„Wuppertal bewegt. Sich. Mich. Dich.“ zu uns in
Nordrhein-Westfalen gut passt.
(Michael Groschek [SPD]: Warum tun Sie
dafür nichts Praktisches?)
Bei diesem Fest am Wochenende – ich hoffe, wir
sehen uns da wieder – steht die Gemeinsamkeit
in Nordrhein-Westfalen im Vordergrund – trotz allem, was uns politisch trennen mag, was auch
strittig behandelt werden muss. Ich bin ganz sicher, dass es uns gelingt, dort mit vielen Tausenden Menschen deutlich zu machen: Wir stehen
zusammen für das Wohl Nordrhein-Westfalens.
Wir arbeiten zusammen für den Aufschwung unseres Landes. Und wir feiern zusammen, weil wir,
so glaube ich, nach 62 Jahren NordrheinWestfalen allen Grund zum Feiern haben.
Der zweite Schwerpunkt ist Innovation. Im nächsten Jahr wird es im Bereich des Innovationsministeriums Steigerungen von gut 4 % geben. Wir tun
etwas bei den Hochschulen und Kliniken; dort beträgt das Plus 2,9 %. Für den Ausbau der Fachhochschulen stehen 3,5 Millionen € und eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 72 Millio-
Es sind an diesem Wochenende übrigens 10.000
Aktive im Einsatz, die sich schon seit Wochen auf
dieses Fest freuen und es vorbereiten. Wer da
sein wird, wird ganz sicher sehen, dass Nordrhein-Westfalen nicht nur wunderschön ist, sondern dass es sich auch lohnt, dahin zu kommen. –
Herzlichen Dank.
Das Ziel dieser Anstrengungen ist, jedem Kind in
diesem Land eine Chance zu geben. Wir wollen,
dass in Nordrhein-Westfalen sozialer Aufstieg
möglich ist, egal, ob man in einem schwierigen
großstädtischen Umfeld, im ländlichen Bereich
oder in einer Universitätsstadt geboren und aufgewachsen ist. Wichtig ist, dass man in diesem
Land eine Chance bekommt.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11533
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP –
Rainer Schmeltzer [SPD]: Nichts weiter als
Überschriften!)
gens typisch: Bei Widersprüchen vor Ort tut man
so, als wäre man dagegen, und hier in der Landespolitik will man die CO-Pipeline durchsetzen.
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Ministerpräsident.
Interessant fand ich natürlich auch die Ausführungen zur Wirtschaftspolitik. Wir werden uns überraschen lassen, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung weiter darstellt. Ich habe von der SPD wirtschaftspolitisch allerdings mehr erwartet. Konkrete Sparvorschläge habe ich hier nicht gehört.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Debattenlage: Nach den vereinbarten Reihenfolgen hätte
jetzt die SPD, danach die CDU und dann die FDP
das Wort. Aber die SPD hat die vereinbarte Redezeit bereits voll ausgeschöpft, sodass als
nächster Redner ein Kollege der CDU das Wort
erhalten würde, und zwar der Abgeordnete Klein,
wenn er das denn wünscht.
(Volkmar Klein [CDU]: Nein!)
Dann frage ich die Kollegin der FDP, Frau Freimuth, ob sie reden möchte.
(Angela Freimuth [FDP]: Zu diesem Zeitpunkt nicht!)
– Nein. – Dann frage ich den fraktionslosen Abgeordneten Sagel, ob er auf seiner Rede besteht.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Ja! – Zurufe)
Dann folgt auf den Ministerpräsidenten der fraktionslose Abgeordnete Sagel. Bitte schön.
(Zurufe)
Rüdiger Sagel*) (fraktionslos): Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Vergnügen hat man nicht so oft. Es ist auch ein
sonderbares Vergnügen, kein wirkliches Vergnügen, wenn man gehört hat, was der Ministerpräsident hier vorgetragen hat.
Ich möchte mit einer Zahl beginnen, die zwischen
Koalition und Opposition umstritten ist. Am 1. Juni
2005 betrugen die Schulden im Landeshaushalt
106,8 Milliarden €. Das ist die Zahl, die die Koalitionsfraktionen offensichtlich nicht wahrnehmen
wollen. Ende 2009, wenn der Haushalt so eintritt,
wie es in der mittelfristigen Finanzplanung steht,
werden wir Schulden in Höhe von 120,5 Milliarden € haben. Das sind 13,7 Milliarden € mehr.
Das heißt, dann hätten Sie die Gesamtschulden
des Landes innerhalb kurzer Zeit um etwa 15 %
erhöht. Das ist die reale Situation.
Interessant ist auch, Herr Ministerpräsident, was
Sie zur CO-Pipeline gesagt haben und dass Sie
der Opposition vorwerfen, dass sie dem kritisch
gegenübersteht. Ich weise darauf hin, dass Ihre
eigenen Abgeordneten vor Ort diese CO-Pipeline
ebenfalls ablehnen. Nur Sie in der Landesregierung betreiben eine andere Politik. Das ist übri-
Ich möchte nun noch etwas zur Nachfrage- und
Angebotsorientierung sagen. Eine Nachfrageorientierung werden wir hier in Nordrhein-Westfalen
nicht bekommen, Herr Ministerpräsident, denn Sie
ziehen den Leuten das Geld aus der Tasche. Ich
habe mich heute schwarz gekleidet, denn das ist
heute eine Beerdigung: Die Sozialpolitik in NRW
wird mit diesem Haushalt endgültig zu Grabe getragen. Der Landeshaushalt lässt uns im Herbst
frieren, und im Winter wird es bei Ihrer Politik eisig.
Herr Rüttgers, Sie sind kein Arbeiterführer, sondern ein Sozialräuber, und der Schlimmste in Ihrer
Räuberbande ist Ihr Arbeitsminister Laumann. Die
Arbeitslosen, Obdachlosen und in prekären Arbeitsverhältnissen Beschäftigten, die nicht einmal
existenzsichernde Löhne erhalten, sondern auf
ergänzende Sozialhilfe angewiesen sind – das
sind mehr als 1 Million Menschen in NordrheinWestfalen –, haben Ihre Botschaft verstanden.
Das Ende der Arbeitslosenberatung, das Schließen der Beratungsstellen infolge des Wegfalls der
Landesförderung und damit auch das Ende dieser
Arbeitsplätze ist ein sozialer Kahlschlag und
drückt die ganze Kälte Ihrer Politik aus. Was Sie
machen, ist zynisch.
Herr Finanzminister Linssen, Ihre Haushaltspolitik
ist gegen die Ärmsten in unserem Land gerichtet.
Gleichzeitig sind Sie aber dreist genug, Ihren eigenen Leuten 72 höchstdotierte Stellen mit Einkommen von fast 10.000 € monatlich dauerhaft zu
bewilligen. Sie sollten sich schämen. Krasser
können die Gegensätze kaum sein. Das, was Sie
mit dieser Maßnahme gemacht haben, hätte zum
Beispiel die gesamte Arbeitslosenberatungsstellen-Finanzierung sicherstellen können. Aber, wie
gesagt, Sie kümmern sich um Ihre eigenen Leute,
setzen sie auf höchstdotierte Stellen und sorgen
auf der anderen Seite für Kahlschlag.
Der Kahlschlag bei den Arbeitslosenzentren ist
aus meiner Sicht und aus Sicht der Linken völlig
unerträglich. Er ist eine Folge der Hartz-Gesetze
von SPD, Grünen und CDU. Die CDU bringt es ja
auch auf den Punkt: Sie will nicht fördern, was ihr
Landtag
Nordrhein-Westfalen
schadet; von daher will sie die Hartz-IVEmpfänger möglichst uninformiert lassen.
Auch in NRW hat Hartz IV zu einem Flächenbrand
geführt. Mit ca. 1,05 Millionen ALG-II-Beziehern
ist die Langzeitarbeitslosigkeit auch 2008 nahezu
genauso hoch wie 2005 zu Beginn von Hartz IV.
Insbesondere die Kinderarmut ist durch Hartz IV
erheblich gestiegen. Bundesweit werden über
2 Millionen Kinder und Jugendliche in Hartz-IVVerhältnissen tagtäglich von adäquater Schulbildung und gesunder Ernährung ausgegrenzt. Auch
an dieser Stelle haben Sie mit Ihrem Programm –
15 Millionen € für ein warmes Essen in Schulen –
nur sehr begrenzt etwas getan; damit wird nur ein
Teil der Kinder verpflegt. Das ist die reale Situation.
Ich kann nur feststellen: Soziale Projekte gibt es
in Ihrem Haushalt so gut wie gar keine mehr. Gemäß Ihrem neoliberalen Motto „Privat vor Staat“
setzen Sie auch im Landeshaushalt 2009 unvermindert den Rotstift an. Das ist die Politik, die Sie
hier in Nordrhein-Westfalen machen. Reiche werden in NRW immer reicher, Arme immer ärmer.
Ihre Finanzpolitik geht in die völlig falsche Richtung.
Sie machen auch immer mehr Schulden. In Kürze
liegen sie, wie gesagt, bei 120 Milliarden €. Und
Ihre Glückszeit – nämlich die Zeit, in der Sie das
Glück rasant steigender Steuereinnahmen haben –
nähert sich dem Ende.
Der Finanzminister trickst immer noch und will
täuschen, doch die Tricks versagen immer mehr.
Zu diesem Fazit kommt übrigens auch das nicht
im Verdacht einer Verbindung zur Linken stehende „Handelsblatt“. Auch in dieser konservativen
Zeitschrift wird von Finanztricks gesprochen, die
Sie im Landeshaushalt Nordrhein-Westfalen anwenden.
Außerdem gehen – das haben wir heute noch
einmal sehr deutlich gehört – 80 % der Milliarden,
die von Mitarbeitern der WestLB verzockt worden
sind, auf Ihre Kosten gehen. Sie mussten schon in
diesem Jahr viele Millionen für die WestLB aufwenden. Das wird auch in Zukunft notwendig sein.
Wir haben nach wie vor massivste Risiken. Allein
jetzt müssen, wie gesagt, 23 Millionen € in den
Haushalt 2009 eingestellt werden. Darüber hinaus
bestehen weiterhin Risiken in Millionenhöhe, für
die wir hier in Nordrhein-Westfalen aufkommen
müssen.
Sie haben sich längst von einer nachhaltigen
Haushaltspolitik verabschiedet. Nachdem der Koalitionsstreit zwischen CDU und FDP beendet ist,
gibt es auch keinen Plan mehr, die jährliche
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11534
Haushaltsverschuldung auf null zu bringen. Das
ist auch kein Wunder; denn die katastrophale Unternehmensteuerreform, die von SPD und CDU in
Berlin beschlossen wurde, schlägt ein Riesenloch
in den Haushalt 2009. 800 Millionen € – man höre: 800 Millionen €! – fehlen im Landeshaushalt.
Diese Unternehmensteuerreform wirkt sich natürlich zugunsten der Unternehmen aus, die die Milliardengewinne, die sie erzielen, wieder „wunderbar“ an ihre Aktionäre auszahlen können. Und das
sind mit Sicherheit nicht die Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfänger, die Leute mit
niedrigen Einkommen, die Leute in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern das sind natürlich die Leute, die sowieso schon vermögend
sind.
Das Motto „Privat vor Staat“ gilt für die CDU und
leider auch für die SPD, wie man feststellt, wenn
man sich anguckt, welche Politik in Berlin gemacht wird. Ich kann dazu nur sehr deutlich sagen: Nicht mit uns! Die Linke hält Kurs, sowohl
sozial- als auch finanzpolitisch.
(Lachen von der CDU – Horst Becker
[GRÜNE]: Immer im Kreis!)
– Sie können in der letzten Reihe bei der CDU ruhig lachen. Ich habe bei den Beratungen für den
Haushalt 2008 im letzten Dezember sehr konkrete
Sparvorschläge gemacht. Mit meinen Sparvorschlägen lag ich noch deutlich unter dem, was Ihr
Finanzminister vorgeschlagen hat. Ich habe Ihnen
aber auch gesagt, an welcher Stelle Sie fälschlicherweise Geld einsparen, und sehr konkrete
Vorschläge gemacht, wo mehr Geld ausgegeben
werden muss, nämlich im Sozialbereich, im Ökologiebereich und für Kinder, Jugend und Familie.
(Zuruf von der CDU)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Sagel. – Für die FDP hat noch Frau Kollegin Freimuth um das Wort gebeten. Sie hat auch
noch Redezeit. Bitte schön.
Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Herr Kollege Sagel hier
gerade geäußert hat, kann man nicht völlig unkommentiert lassen.
Zum einen: Den Begriff „Räuberbande“ halte ich
schon einmal für eine unverschämte Unterstellung.
Zum anderen: Wenn hier überhaupt von einer
Räuberbande gesprochen werden kann,
(Beifall von Rüdiger Sagel [fraktionslos])
Landtag
Nordrhein-Westfalen
dann sind das Sie, Herr Sagel, und die Partei Die
Linke; denn Sie wollen alles verstaatlichen, Sie
wollen den Menschen das Privateigentum wegnehmen.
Weil Sie der Landesregierung den Vorwurf machen,
hier eine Politik – so haben Sie es formuliert – gegen die Ärmsten zu betreiben, und in diesem Zusammenhang das Beispiel der Mahlzeiten an Schulen ansprechen, muss ich einmal in aller Deutlichkeit
auf Folgendes hinweisen: In der Zeit, in der Sie eine
Landesregierung unterstützt haben – damals, als
Sie noch Mitglied der Fraktion und der Partei Bündnis 90/Die Grünen waren –, hat es das überhaupt
nicht gegeben.
Sie haben hier weiter die Entwicklung der Verschuldung angeführt. Wie Ihre Wahrnehmung ist,
möchte ich Ihnen an einem ganz kurzen Beispiel
belegen, und zwar an einem Beispiel aus den
Jahren 1995 bis 2000, bei dem man nicht damit
argumentieren kann, dass die Steuereinnahmen
weggebrochen seien. Damals hatten wir Schulden
von 44,141 Milliarden, die auf 80,4 Milliarden in
2000 angestiegen sind. In diesen fünf Jahren,
1995 bis 2000, saßen Sie in diesem Parlament. In
diesen fünf Jahren haben Sie jedem Haushalt,
den die Landesregierung seinerzeit vorgelegt hatte und den Sie hier im parlamentarischen Verfahren gestaltet haben, zugestimmt.
(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Da war ich
noch nicht im Landtag!)
Sie haben jedes Mal zugestimmt. Damit haben
Sie insgesamt 36 Milliarden € an Schulden aufgehäuft, und das bei steigenden Steuereinnahmen.
Ich halte es für eine Unverschämtheit, dass Sie
sich heute hierhin stellen und den Haushaltskonsolidierungskurs kritisieren, den wir mühsam beschreiten, um die Scherben zu beseitigen, die Sie
angerichtet haben. Das finde ich einfach infam
von Ihnen. – Vielen Dank.
(Beifall von FDP und CDU)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Kollegin Freimuth. – Meine Damen und Herren,
zur ersten Lesung des Haushaltes 2009 liegen
keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kann
ich die Beratung zu diesem Komplex abschließen.
Ich eröffne dann die Aussprache zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2009 und erteile als erstem
Redner Herrn Abgeordneten Jäger von der SPDFraktion das Wort.
Ralf Jäger (SPD): Herr Präsident, vielen Dank!
Mit Freude nehme ich zur Kenntnis, dass der In-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11535
nenminister just in time zum Gemeindefinanzierungsgesetz, das er heute Vormittag eingebracht
hat, an der Plenarrunde teilnimmt. Gestatten Sie
mir allerdings noch einmal zwei Feststellungen,
nachdem ich den Haushaltsberatungen einige
Stunden folgen durfte: Eigentlich ist NordrheinWestfalen aus Sicht der Kommunen in einer äußerst günstigen Position: Seit 2006 sind die Steuereinnahmen des Landes um 25 % gestiegen. Eigentlich hätte die Finanzausstattung der Kommunen nach der Verfassung des Landes NordrheinWestfalen in gleichem Maße steigen müssen. Eigentlich wäre die Ausgangssituation für die Kommunen sehr günstig.
Tatsächlich aber hat der Finanzminister heute einen Landeshaushalt vorgelegt, der in der Summe
seit 2006 13,7 Milliarden € mehr Schulden bedeutet. Herr Linssen, dass dieser Haushalt nur neue
Schulden in Höhe von 1,67 Milliarden € vorsieht,
Sie, jetzt feiern, dass die Neuverschuldung um
100 Millionen € geringer ausfällt als ursprünglich
geplant, und sich jetzt als Konsolidierer aufspielen, ist relativ feist. Sie mögen das Wort „Konsolidierer“ schreiben und fehlerfrei aussprechen können, aber von wirklichem Konsolidieren sind Sie
sehr weit entfernt.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Wichtig zu wissen: Wenn man es überhaupt als
einen Konsolidierungserfolgerfolg bezeichnen
kann, weniger Schulden als ursprünglich geplant
gemacht zu haben, dann nur deshalb, weil Sie,
Herr Linssen und Herr Wolf, einen wirklich infamen Griff in die kommunalen Kassen getan haben: In den Jahren 2006, 2007 und 2008 haben
Sie den Kommunen ihnen zustehende Mittel in
einer Größenordnung von 1,8 Milliarden € entzogen. Sie haben den Kommunen, die es bitternötig
hätten, diese Mittel sozusagen, geraubt.
Herr Krautscheid, ich weiß nicht, was Sie ständig
zu schwätzen haben, aber vom Haushalt haben
Sie gar keine Ahnung.
(Widerspruch von Minister Krautscheid)
– Dann sollten Sie Ihre Selbstgespräche vielleicht
etwas reduzieren. Das stört ein bisschen.
(Beifall von der SPD)
Herr Präsident, vielleicht können Sie einmal im
Klassenbuch vermerken, dass der Herr Krautscheid wieder ungefragt schwätzt.
Vizepräsident Edgar Moron: Herr Kollege, es
gibt hier kein Klassenbuch. „Geschwätzt“ wird hier
auch nicht. Bleiben Sie bitte am Thema.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Zuruf von Minister Dr. Ingo Wolf)
– Ich habe gerade etwas dazu gesagt, Herr Innenminister. Ich brauche nicht Ihren Kommentar
dazu.
(Unruhe – Ralf Jäger [SPD]: Herr Präsident,
dürfte ich dann jetzt wieder?
– Jetzt ist aber gut hier! Beruhigen Sie sich wieder. Und jetzt macht Herr Jäger für die SPDFraktion weiter. Bitte schön.
Ralf Jäger (SPD): Ich danke Ihnen, Herr Präsident! Die Kassenkredite der nordrhein-westfälischen Kommune, also das, was im privaten
Haushalt üblicherweise der Dispositionskredit ist,
sind auf mittlerweile 13,7 Milliarden € gestiegen,
und zwar allein seit Juli 2007 um weitere 1,2 Milliarden €.
Auch wenn es jetzt vielleicht letztendlich einen
leichten Rückgang gibt, ist das ausschließlich auf
die konjunkturelle Situation zurückzuführen und
täuscht nicht darüber hinweg, dass die Kommunen eine mangelnde Finanzausstattung haben
und viele faktisch pleite sind.
Das kann man am besten daran festmachen,
dass sich 190 Kommunen Ende 2007 im Haushaltssicherungskonzept befanden; 113 Kommunen im Nothaushalt. Wenn der Innenminister hier
darstellt, dass deren Zahl gesunken sei, liegt das
schlichtweg daran, dass die Buchführung in den
Kommunen verändert worden ist, nicht aber daran, dass sie sich konsolidiert haben.
Herr Wolf, das was Sie hier vorgetragen haben,
finde ich wirklich dreist. Tatsache ist, dass die
Kommunen vom Land Schlüsselzuweisungen in
Höhe von 7,7325 Milliarden € erhalten. Das sind –
man kann es zu Recht sagen – knapp 160 Millionen € mehr als im letzten Jahr. Herr Innenminister, einerseits geben Sie den Kommunen zwar
160 Millionen € mehr, im gleichen Atemzug verschweigen Sie aber, dass Sie ihnen alleine bei
der Grunderwerbsteuer 180 Millionen € klauen.
Bei der Krankenhausfinanzierung sind es 94 Millionen €, 27 Millionen € bei den Schülerfahrtkosten
sowie 85 Millionen € bei den Elternbeiträgen für
die Kindergärten. Herr Innenminister, seit dem
Jahr 2006 haben Sie den Kommunen damit insgesamt 1,8 Milliarden € aus den Kassen geklaut.
Darüber kann man nicht jubeln, Herr Wolf, sondern man sollte vor Scham im Boden versinken.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Herr Wolf, Sie sprechen von 23 % der Verbundmasse. Die Kommunen haben im Jahr 2005 20 %
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11536
aller Steuereinnahmen des Landes NordrheinWestfalen erhalten; in diesem Jahr sind es nur
noch knapp über 17 %, Herr Wolf. Auch diese
Zahl, die Sie vorgetragen haben, war schlichtweg
falsch.
Herr Wolf, angesichts der finanziellen Situation
der Kommunen fand ich Ihren Vortrag heute Vormittag äußerst zynisch. Sie haben ein völlig anderes Bild gezeichnet. Sie haben weichgespült und
mit Zahlen jongliert. Sie haben zwar auf der einen
Seite Zahlen genannt, wie viel Mittel Sie den
Kommunen mehr geben, auf der anderen Seite
haben Sie verschwiegen, welchen deutlich höheren Betrag Sie den Kommunen an anderer Stelle
wegnehmen. Das ist und bleibt – ich wiederhole
es – die kommunalfeindlichste Landesregierung
seit Bestehen des Bundeslandes NordrheinWestfalen.
(Beifall von der SPD)
Herr Lux, ich bin gespannt, ob Sie heute wieder
diesen selbstgefälligen Kniefall vor diesem Innenminister machen, der alles tut, nur nicht die
Kommunen in Nordrhein-Westfalen unterstützt.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Es sind ja
nicht mehr viele da, die einen Kniefall machen könnten!)
Ich habe im Übrigen den Eindruck: Wenn man
den Innenminister und sein Wirken beobachtet,
der sich zwischen Klagenfurt, Wien und Peking
um die Pflege des deutschen Hockeysports kümmert, ist das eigentlich eine heimliche Bewerbung
um die Nachfolge von Michael Vesper, aber er tut
nicht seine Arbeit, sich nämlich um die Belange
der nordrhein-westfälischen Kommune zu kümmern, meine Damen und Herren.
(Beifall von der SPD)
Neben der rein fiskalischen Betrachtungsweise: In
Münster liegen drei Verfassungsklagen von
Kommunen vor, die ihr Recht auf Konnexität aus
der Landesverfassung einfordern und die überzogene Heranziehung bei der Finanzierung des
Aufbaus Ost und die Übertragung von Aufgaben
ohne das notwendige Geld in der Versorgungsverwaltung und der Umweltverwaltung bemängeln.
Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind 2006
zu Bittstellern des Landes geworden, sie sind keine Partner mehr, werden nicht mehr auf gleicher
Augenhöhe respektiert. Herr Wolf, Sie gehen mit
den verfassungsgemäßen Rechten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen um, als würde es sich
um die Satzung eines Kleingartenvereins handeln.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Mehr noch: Ich kann mir vorstellen, dass sich der
Landtag – wenn die drei Verfahren in Münster abgeschlossen sind und man die hinzuzählt, die Sie
in Münster schon verloren haben, Herr Wolf – überlegen sollte, ob es wegen der vielen Verfassungsklagen, die in Münster anhängig sind, aus
Kostengründen nicht sicherer und besser wäre,
einen ständigen Verfassungsausschuss einzurichten.
(Beifall von SPD und Horst Becker [GRÜNE])
Meine Damen und Herren, die Kommunen in Nordrhein-Westfalen werden von dieser Landesregierung alleine gelassen. Sie werden hemmungslos
ausgeplündert, weil das Land selber nicht in der
Lage ist, sich zu konsolidieren. Anders als Sie es
vor der Landtagswahl angekündigt haben, haben
Sie, meine Damen und Herren, keine Kraft, um eine tatsächliche Kommunalreform zu betreiben. Sie
haben noch nicht einmal die Kraft, die sprudelnden
Steuereinnahmen gerecht an die Kommunen weiterzugeben. Sie haben Ihre Versprechen gebrochen und sind an Ihren eigenen Ankündigungen
gescheitert, Herr Lux. Die Kommunen sind letztendlich die Verlierer Ihrer Politik. – Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Jäger. – Für die CDU-Fraktion erhält der
Abgeordnete Lux das Wort.
Rainer Lux (CDU): Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
zunächst, auch als Kontrast zum wieder einmal
total verunglückten Beitrag von Herrn Jäger, zu
Beginn meiner Ausführungen zum Entwurf des
GFG 2009 dem Finanzminister Helmut Linssen
und dem Innenminister Ingo Wolf Dank und Anerkennung für diesen Gesetzentwurf aussprechen.
(Sören Link [SPD]: Das haben wir schon
richtig vermisst!)
Denn im Gegensatz zu dieser billigen Polemik
und der persönlichen Beleidigung, Herr Jäger, die
Kern Ihres Beitrags waren, müssen wir uns doch
hier vor Augen führen, dass dieser Entwurf des
GFG in gelungener Kontinuität zu den vergangenen Gemeindefinanzierungsgesetzen steht.
Das Land erweist sich einmal mehr als seriöser
und verlässlicher Partner der Kommunen, weil die
Modalitäten des GFG 2009 im Wesentlichen die
der vergangenen Jahre sind. Nach wie vor können sich die Kommunen auf die Zahlen des GFG
11537
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
verlassen, weil durch die von uns vorgenommene
Einführung des Referenzzeitraums jede Kommune bei Verabschiedung des GFG hier im Landtag
auf Heller und Pfennig oder auf Euro und Cent
weiß, in welcher Höhe ihr im kommenden Jahr
Mittel aus dem GFG zufließen.
(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Die furchtbaren Zustände mit Kreditierung und
Rückforderung, Herr Becker, mit politisch gesteuerten Verunsicherungen der Kommunen zur Zeit
der rot-grünen Landesregierung sind endgültig
vorbei, was alle Kommunen sehr zu schätzen
wissen.
Die Mittel, die dieses GFG an die Kommunen
ausschüttet – der Finanzminister und der Innenminister haben bereits darauf hingewiesen –, steigen nochmals gegenüber dem Vorjahr um 160
Millionen € auf jetzt ungefähr 7,7 Milliarden €,
nachdem bereits im vergangenen GFG eine Steigerung von 650 Millionen € gegenüber dem Jahr
2007 möglich war.
Es muss noch einmal deutlich unterstrichen werden: 2007, 2008, 2009 – kontinuierlich konnten
den Kommunen Jahr für Jahr höhere Mittel aus
den Gemeinschaftssteuern zur Verfügung gestellt
werden. Ehe Sie einmal mehr Ihr Lamento vom
angeblichen Raubzug anstimmen – Herr Jäger
hat es eben schon wieder versucht –, sollten Sie
das mit den unsicheren, weil viel zu hoch angesetzten 6,7 Milliarden € vergleichen, die Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, im
letzten von Ihnen zu verantwortenden GFG 2005
den Kommunen vorläufig zur Verfügung gestellt
haben.
Lassen Sie mich hier einmal einen Einschub machen und einen Ball aufnehmen, den die Kollegen
Helmut Stahl und Dr. Papke eben gespielt haben,
als sie aufgezeigt haben, wie konzeptlos SPD und
Grüne den drängenden Haushaltsfragen gegenüberstehen.
Schier unendlichen Katalogen von Mehrforderungen auf ungedeckte Haushaltsausweitung stehen
geradezu lächerliche Einsparvorschläge gegenüber, die in einem derartigen Missverhältnis stehen, dass man nun wirklich feststellen muss, dass
Ihnen jedes Mindestmaß an Seriosität fehlt.
Auch beim GFG setzen Sie dieses unmäßige Meckern, dieses unseriöse Gebaren fort.
(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Denn Herr Becker von den Grünen hat beim letzten GFG vorgerechnet – ich habe das eben noch
einmal nachgelesen, Herr Becker; es gab auch
Landtag
Nordrhein-Westfalen
keinen Widerspruch von der SPD, Herr Körfges –,
dass den Kommunen 1,1 Milliarden € vorenthalten
würden.
(Horst Becker [GRÜNE]: Moment, ich muss
mal nachrechnen! – Hans-Willi Körfges
[SPD]: 1,8 Milliarden €)
Der Ministerpräsident hat gerade in seinem bemerkenswerten Beitrag noch einmal darauf hingewiesen, wie seriös die SPD mit ihren Forderungen umgeht,
(Ralf Jäger [SPD]: Sie müssen nicht alles
glauben!)
als er aufgezeigt hat, welche Änderungsvorschläge von der SPD – von den Herren Jäger und
Körfges, die sich hier immer als die großen Anwälte der Kommunen aufspielen,
(Ralf Jäger [SPD]: Sonst tut ja keiner was!)
oder auch von den Grünen – zu dieser Summe
vorgebracht worden sind. Nicht ein einziger Punkt
dieser Kritik ist aufgegriffen und haushaltsmäßig
beantragt worden.
(Horst Becker [GRÜNE]: Stimmt nicht!)
Das ist Ihre Rolle: Sie beschränken sich darauf,
Herr Jäger, zu meckern, zu beleidigen, zu verunsichern, aber Alternativen – da stimmen Sie mit
Ihrer Fraktionsvorsitzenden überein – sind von Ihnen natürlich nicht zu erwarten.
(Beifall von der CDU)
Ich sage Ihnen auch als Vorsitzender einer kommunalen Ratsfraktion und Vorsitzender des Finanz- und Personalausschusses meiner Heimatstadt Bielefeld: Ich kann sehr gut mit vielen Ihrer
Forderungen leben
(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])
– die kann ich unterstützen; das können auch viele vor Ort, die Sie immer zitieren –, aber Sie wissen doch ganz genau, dass kein einziger Kommunalpolitiker vor Ort, kein einziger Verantwortlicher in einer Verwaltung auch nur annähernd
glaubt, dass Sie das, was Sie als Kritik hier vorbringen, tatsächlich in konkrete Politik umsetzen
würden. Dazu haben die viel zu lange Erfahrung
mit zehn Jahren Rot-Grün bzw. 39 Jahren Regierungszeit unter Führung der SPD.
(Beifall von der CDU)
Die wissen ganz genau, wie schlecht sie mit Ihnen
gefahren sind. Deswegen können Sie Kritik üben
wie Sie wollen – das ist richtig –, aber glauben Sie
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11538
bloß nicht, dass irgendeiner vor Ort Ihren Reden
nur ein bisschen Glauben schenken würde.
Lassen Sie mich fortfahren! In diesem Haushalt,
in diesem GFG setzt sich fort, was wir den Leuten
versprochen haben. Wir haben ihnen gesagt: Wir
geben euch eure Städte zurück. Ihr könnt mit den
Mitteln aus dem GFG weitestgehend tun, was ihr
wollt. Wir sind zuverlässig geblieben. 86 % der
Mittel, die den Kommunen zur Verfügung stehen,
sind völlig frei verfügbar. Das sind Werte, von denen Sie in Ihrer Zeit natürlich nur geträumt haben.
Jeder kennt noch die furchtbaren Zeiten der Kreditierung und der „Goldenen Zügel“, als die Landesregierung massiv Einfluss darauf nahm, wie
die Kommunen mit ihren Mitteln umzugehen hatten. Auch das steht für Kontinuität und dafür, dass
wir das tun, was wir den Leuten versprochen haben.
Herr Jäger, Sie sollten, wenn Sie sich schon auf
dünnes Eis begeben, ein ganz klein wenig bei der
Wahrheit bleiben.
(Zuruf von der CDU: Das fällt ihm schwer!)
Es gibt nirgendwo einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf 23 %. Sie halten diese
Mär immer hoch.
(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])
Haben Sie denn total vergessen, dass dieser Satz
von 23 % zu Zeiten der SPD-Regierung mal von
28 auf 23 % abgesenkt worden ist? Die 23 % gibt
es im Rahmen der Möglichkeiten des Landeshaushalts.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
Sie sollten nicht so tun, als wäre das eine Größe,
die verfassungsrechtlich festgeschrieben ist.
Gerade aus dem Grund – das sage ich zum
Schluss meiner Ausführungen sehr deutlich; wir
werden in den nächsten Monaten ja spannende
Debatten haben – möchte ich hier dem Finanzminister und dem Innenminister meinen Respekt
aussprechen,
(Zuruf von Ralf Jäger [SPD])
die mit diesem Haushaltsentwurf für die Gemeinden einen verlässlichen und guten Beitrag geleistet haben. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Lux. – Für die FDP erhält zum GFG 2009
jetzt der Abgeordnete Engel das Wort.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Horst Engel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der positive Trend
der Vorjahre hält an. Das Volumen des Steuerverbundes vergrößert sich im dritten Jahr in Folge. 2009 stehen den Kommunen über 7,7 Milliarden € verteilbare Finanzausgleichsmasse zur Verfügung. Sie erhalten fast 160 Millionen € mehr als
2007.
Die eingeleiteten strukturellen Veränderungen im
Steuerverbund werden im kommenden Jahr fortgeschrieben. Das bedeutet, dass der Verbundsatz
nach wie vor bei 23 % verbleibt. Das haben wir
schon gehört. Mit 6,7 Milliarden € werden rund
86,7 % der verteilbaren Finanzausgleichsmasse
im Steuerverbund konsumtiv bereitgestellt, ohne
Befrachtungen, so wie sie bis 2005 Usus waren,
wie Kollege Lux es eben angedeutet hatte.
Der größte Anteil hiervon wird den Kommunen in
Form von Schlüsselzuweisungen zur Verfügung
gestellt. Das heißt, ein Großteil der verteilbaren
Finanzausgleichsmasse fließt direkt in die Verwaltungshaushalte mit hohen Ausgabeposten für soziale Leistungen oder für das Personal einschließlich der Mehrkosten durch den Tarifabschluss
vom März dieses Jahres.
Auch die im vergangenen Jahr zur Bildungspauschale fortentwickelte Schulpauschale bleibt mit
540 Millionen € ebenso unverändert wie die
Sportpauschale mit einem Etatansatz von 50 Millionen €.
Erfreulicherweise wachsen im kommenden Jahr
die Zuweisungen in Form von Investitionspauschalen, zum Beispiel für Sozialhilfeträger oder für
Eingliederungshilfe, um 4,7 % auf insgesamt über
eine halbe Milliarde Euro auf. Mehr Geld für
kommunale Investitionen!
Das entspricht auch meiner kommunalpolitischen
Linie, der kommunalpolitischen Linie unserer
Landtagsfraktion.
Wir konnten im Frühjahr aus der Umfrage des
Städteund
Gemeindebundes
NordrheinWestfalen lesen, dass sich die Finanzlage der
Städte und Gemeinden gegenüber dem Vorjahr
insgesamt entspannt hat. Die sinkende Zahl der
Kommunen im Haushaltssicherungskonzept und
der im Nothaushalt bestätigt diese positive Entwicklung. Zurzeit können 129 Kommunen ihren
Haushalt nicht ausgleichen. 73 Kommunen befinden sich im Nothaushalt. Im Vergleich zu 2005,
dem Jahr der Regierungsübernahme, haben inzwischen 68 Kommunen zusätzlich den Weg zum
Haushaltsausgleich geschafft. Das ist erfreulich.
11539
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Dabei spielt natürlich die Umstellung auf das NKF
mit erweiterten Möglichkeiten zum Haushaltsausgleich gegenüber dem kameralen System genauso eine Rolle wie die positive wirtschaftliche Entwicklung in den Kommunen. Hierzu hat unsere
Regierung einen wichtigen Beitrag geleistet. Die
Arbeit trägt Früchte. So ist der Juli-Ausgabe der
Zeitschrift des Landkreistages zu entnehmen,
dass Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr
deutschlandweit zu den drei Ländern mit der
stärksten Senkung des Hebesatzes der Kreisumlage gehört. Er soll sich um einen Wert von 4,9 %,
also fast 5 %, vermindert haben. Der Kurs stimmt.
Der von 2003 bis 2006 fast verdoppelte und somit
rasante Anstieg der Kassenkredite von 6,8 Milliarden € auf 12,5 Milliarden € hat sich bis Ende 2007
auf 13,7 Milliarden € verlangsamt. Erstmals ist
nach neuesten Erkenntnissen der Umfang der
Kassenkredite sogar leicht rückläufig. Betrugen
die Kassenkredite zum Jahresende noch 13,7 Milliarden €, so sind es Ende des I. Quartals 2008
13,6 Milliarden € gewesen. Ich hoffe, das ist ein
Zeichen für die Trendumkehr.
Ein Kassenkreditstand – nach Behauptung der
Grünen – von 13,8 Milliarden € ist daher genauso
abwegig wie die Vorwürfe, dass der Innenminister
als oberste Kommunalaufsicht die Kommunen in
einen Teufelskreis aus nicht bezahlbaren Schulden treibt. Zunächst sind die Kommunen für ihren
Haushalt selbst verantwortlich. Ein Eingreifen der
Kommunalaufsicht in kommunale Haushalte ist
und bleibt die Ausnahme und ist letztlich mit dem
Ziehen einer Reißleine zu vergleichen.
Allerdings ist es noch ein langer Weg bis zur flächendeckenden Gesundung unserer 427 Kommunen. Das verdeutlicht die hohe Gesamtverschuldung inklusive der Schulden ausgelagerter
Betriebe mit 4.236 € je Einwohner, wie der Kommunale Schuldenreport 2008 der Bertelsmann
Stiftung feststellt. Hierzu tragen die in der Vergangenheit unter Rot-Grün aufgebauten Altlasten
bei, deren Sanierung – darüber haben wir heute
den ganzen Tag schon gesprochen – weiter einer
Herkulesaufgabe gleicht.
Die Kommunen sind dringend auf sichere kommunale Einnahmequellen angewiesen. Es ist
deshalb bedauerlich, dass die zweite Stufe der
Föderalismusreform bisher nicht zu einer Lösung
für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Land und Kommunen geführt hat.
Das Nachsehen haben hierbei die Kommunen
und ihre Bürger.
Gestatten Sie mir deshalb auch hier erneut den
Hinweis, dass wir Liberale seit Jahren für eine
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Gemeindefinanzreform mit Abschaffung der unkalkulierbaren und konjunkturabhängigen Gewerbesteuer durch Ersatz einer kommunaleigenen,
und zwar dem Wettbewerb der Kommunen untereinander ausgesetzten Steuer kämpfen.
Darüber hinaus möchte ich auf den Koalitionsantrag „Benachteiligung von NRW-Kommunen abbauen – mehr Verteilungsgerechtigkeit beim Solidarpakt Ost“ vom 12. September 2006 hinweisen.
Im Rahmen des Antrags haben wir die Landesregierung beauftragt, dem Anliegen der nordrheinwestfälischen Kommunen Rechnung zu tragen,
sich dafür einzusetzen, dass die bisher für das
Jahr 2010 vorgesehene Evaluation der erhöhten
Gewerbesteuerumlage so weit wie möglich vorgezogen wird und dass in diesem Zusammenhang
mit dem Bund und den Ländern auf eine größere
Verteilungsgerechtigkeit zugunsten der Kommunen im Westen hinzuwirken ist. Leider fehlen hierzu noch die Verbündeten in den Ländern.
Zum Schluss meiner Anmerkungen noch einige
Hinweise zum GFG 2009 und dem seit Juni vorliegenden Gutachten des ifo-Instituts über die
Weiterentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs: Das umfangreiche Gutachten enthält ausführliche Empfehlungen für eine Neugestaltung
des kommunalen Finanzausgleichs. Allein für die
Weiterentwicklung des Schlüsselzuweisungssystems werden 15 Empfehlungen ausgesprochen.
Daran kann man die Komplexität des Gutachtens
erkennen. Es wäre deshalb falsch gewesen, einige Empfehlungen ohne Vorberatung und Anhörung der Betroffenen und des Landtags schon
jetzt in das GFG 2009 einzuarbeiten.
Ich möchte hier gern die Gelegenheit ergreifen,
mich beim Innenminister dafür zu bedanken, dass
der notwendige Diskussionsprozess im Rahmen
einer Kommissionsarbeit unter Einbindung der
kommunalen Spitzenverbände und der Landtagsfraktionen nun beginnen soll. Wir sprachen in der
letzten Ausschusssitzung bereits darüber.
In den Dank für diesen Gesetzentwurf schließe
ich auch Finanzminister Linssen und Innenminister Wolf ein. Mehr Geld für die Kommunen 2009 –
das ist eine gute Botschaft! – Ich danke Ihnen.
(Beifall von FDP und CDU)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Abgeordneter Engel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete
Becker.
Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer wieder
11540
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
eindrucksvoll, wenn Herr Lux die Verlässlichkeit
beschwört und Herr Engel das liberale Credo vorträgt. Führt man sich dann aber die Wirklichkeit
vor Augen, wie man sie aus den kommunalen
Spitzenverbänden und aus den Klagen von Landräten, Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern kennt, finde ich es ausgesprochen schwierig,
diese Erfahrungen aus der kommunalen Praxis
mit Ihren Ausführungen in Einklang zu bringen.
Das ist nur zu verstehen, indem man sagt: Sie
färben sich die Wirklichkeit, aber Sie haben damit,
wie sie sich in den Kommunen abspielt, immer
weniger zu tun.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Meine Damen und Herren, wer heute Morgen die
Debatte aufmerksam verfolgt hat – die Kollegin
Löhrmann hat das an anderer Stelle schon erwähnt –, konnte die Vorboten für die Erklärungen
der nächsten Jahre wahrnehmen, warum sich der
Haushalt und die Zuweisungen für die Kommunen
verschlechtern werden.
Der Kollege Lux hat heute gesagt: Die Zuweisungen in Höhe von 23 % seien nicht gottgegeben,
und sie stünden in keinem Gesetz; aber das hat
auch niemand behauptet.
(Rainer Lux [CDU]: Doch!)
– Niemand hat behauptet, dass Sie gottgegeben
seien. – Vor diesem Hintergrund muss man sich
fragen, warum Sie das heute betonen; selbstverständlich habe ich einen Eindruck davon, warum
Sie das tun. Ich habe Ihnen im letzten Jahr vorhergesagt, wie Sie auf der Strecke arbeiten. Sie
arbeiten ganz offensichtlich so, dass Sie an verschiedenen Stellen mit Verzögerungen wie zum
Beispiel beim ifo-Gutachten – darauf gehe ich
gleich noch ein – über das Kommunalwahljahr
2009 kommen wollen. Danach verschlimmert sich
erst recht die schon jetzt angebrochene schlechte
Zeit für die Kommunen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Oh!)
– Da können Sie abwinken, wie Sie wollen: Das
ist Ihre Strategie.
Selbstverständlich verzögern Sie unter anderem
die Umsetzung des ifo-Gutachtens deswegen,
weil Sie auf der einen Seite den ländlichen Kommunen versprochen haben, für sie mehr im GFG
herauszuholen, und weil Sie auf der anderen Seite selbstverständlich das Problem mit den großen
Städten haben. Dieses Problem wollen Sie nicht
vor der Kommunalwahl 2009 lösen, sondern Sie
wollen es aussitzen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Sie wollen 2009 an der kommunalpolitischen
Front noch ein bisschen Ruhe haben, um im Jahr
2010 bei einer sich offensichtlich abzeichnenden
schwächeren Konjunktur wieder einmal zulasten
der Kommunen zuzuschlagen.
Herr Innenminister – Herr Finanzminister ist leider
nicht mehr anwesend –, darauf möchte ich noch
eingehen. Wenn Herr Lux vorträgt, es gäbe keine
Belastung der Kommunen in Höhe von 1,1 Milliarden €, ist das natürlich wieder einmal bewusst
und vorsätzlich oberflächlich. Denn es gibt sie
selbstverständlich strukturell, weil wir sowohl die
entgangenen Einnahmen, die sie nach den alten
GFG-Methodiken von Rot-Grün bekommen hätten, als auch die zusätzlichen Belastungen berücksichtigen müssen.
Wer die zusätzlichen Belastungen nicht sehen
will, hat die Wirklichkeit nicht wahrgenommen oder ein Stück weit verpasst. Denn ich frage Sie
umgekehrt: Warum klagen denn Kommunen gegen die Mehrbelastungen zum Beispiel aus der
Verwaltungsstrukturreform? Warum klagen denn
Kommunen gegen die Mehrbelastungen aufgrund
Ihrer Strukturreform im Umweltbereich?
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Das sind keine wild gewordenen schwarzen
Handfeger, sondern das sind Ihre Parteifreundinnen und Ihre Parteifreunde, die Ihnen durch die
Bank unisono vorwerfen, Sie hätten sich zulasten
der Kommunen einen schlanken Fuß gemacht.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch
einige Hinweise, wie das mit der Wirklichkeit ist,
Herr Lux und Herr Wolf. Die Wirklichkeit sieht so
aus, dass die Bertelsmann-Studie, die Anfang Juli
vorgestellt worden ist, den Kommunen in NRW
nach den Kommunen im Saarland und im
Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern die bundesweit höchste Pro-Kopf-Verschuldung bescheinigt hat.
Herr Engel, völlig unerheblich ist, ob meine Zahl
13,8 Milliarden € stimmt – das glaube ich – oder
ob Ihre Zahl 13,6 Milliarden € stimmt – das glaube
ich nicht. Bildlich gesprochen schenke ich Ihnen
0,2 Milliarden €. Aber Tatsache ist: In den letzten
drei Jahren hat sich dieser Betrag unter Ihrer Ägide von 10,0 auf 13,6 bzw. 13,8 Milliarden € erhöht. Das ist Ihre Politik!
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Das ist Schwachsinn!)
Meine Damen und Herren, das ist eine Politik in
Zeiten glänzender Steuereinnahmen, derer Sie
11541
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
sich in den letzten zwei Jahren gerühmt haben!
Sie haben unisono und quer durch die Bank so
getan, als hätten die etwas mit dem leuchtenden
Erscheinen Ihrer Mehrheit in diesem Haus zu tun.
Wenn man Sie heute hört, fangen Sie an, vorsichtig von Konjunkturdämpfung zu reden: Man müsse noch einmal schauen. Die 23 % seien nicht
gottgegeben. Im nächsten Jahr könnten wir, wenn
die Wahlen vorbei sind, nachschauen, ob wir das
nachjustieren müssten. – Damit bauen Sie für die
Zeiten des konjunkturellen Abschwungs vor, von
denen wir wissen, dass sie kommen. Auch dabei
werden Sie die Kommunen wieder im Stich lassen.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Meine Damen und Herren, aber auch an anderen
Stellen, etwa bei den Einheitslasten – ich habe
das Stichwort eben genannt –, arbeiten Sie nach
dieser Methodik. Die Methodik „Lenk-Gutachten“
ist äußerst fragwürdig. Sie geben ein Gutachten in
Auftrag, nachdem Sie einen Prozess vor dem
VGH verloren haben, bei dem Sie im Sachvortrag
bereits darauf abgehoben haben, dass Sie den
Kommunen zusätzliche Lasten deswegen aufbürden könnten, weil Ihnen durch den bundesweiten
Finanzausgleich zusätzliche Zuweisungen auf der
Bundesebene entgangen seien, seitdem es die
Einheit gibt.
Mit dieser Argumentation sind Sie vor dem Gericht faktisch gescheitert. Sie scheuen Sie nicht,
über das Lenk-Gutachten genau diese Argumentation durch die Hintertür wieder einzuführen. Sie
wissen ganz genau, dass die Kommunen das
nicht wollen.
(Zuruf von Volkmar Klein [CDU])
Keine Frage ist, wie Sie vorgehen. Sie haben die
650 Millionen € immerhin zahlen müssen; Sie haben Sie nicht freiwillig gezahlt – auch wenn Sie
das immer behaupten. Hinter den Kulissen höre
ich, dass den Kommunen signalisiert wird, wenn
sie das bis zur Wahl so ließen, dürften sie die
650 Millionen € behalten. Ansonsten würde man
versuchen, sie den Kommunen wegzunehmen.
Man wird sehen, ob der Druck vor der Kommunalwahl so hoch ist, dass man sich parteipolitisch
ein Stück weit in Ihren Reihen einigt – noch haben
Sie in vielen Kommunen die Mehrheit –,
(Volkmar Klein [CDU]: Keine Sorge, das
bleibt auch so!)
oder ob sich die bestehende Not in vielen Kommunen durchsetzt. Ich bin der Auffassung: Ganz
so einfach, wie Sie es im Moment versuchen,
Landtag
Nordrhein-Westfalen
werden Sie es nicht haben. Wir werden Ende
September, wenn das Gesetz für das Jahr 2006
einzubringen ist, sehen, wie Sie vorgehen wollen.
Herr Lux, Herr Wolf und Herr Engels, ich behaupte, das alles hat mit kommunaler Verlässlichkeit
so wenig zu tun wie eine ausführliche und ordentliche Sachdebatte mit der Einbringungsrede des
Innenministers, der vier Minuten zur Lage der
Kommunen gesprochen hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Genauso wenig hat das miteinander zu tun: nämlich nichts. – Das passt in den Kontext Ihres Vorgehens der letzten drei Jahre. Es war nicht nur ein
Vorgehen gegen die Kommunen im Zusammenhang mit den Finanzen. Es war selbstverständlich
auch ein Vorgehen gegen die Kommunen im Zusammenhang mit § 107. In der von Ihnen verabschiedeten Form schadet er den Kommunen.
Daran muss an der Stelle noch einmal erinnert
werden. Es ist auch ein Vorgehen gegen die
kommunale Demokratie als Raubzug von
Schwarz-Gelb: Der eine trennt die Wahlen, weil er
es gerne so will. Der andere streicht die Stichwahlen, weil er dies so will. – So wie mit kommunaler
Demokratie gehen Sie mit kommunalen Finanzen
um.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, mit welchen kleinen und
feinen Tricks Sie arbeiten, wenn Sie sagen, alles
sei so wie im letzten Jahr. Ich habe Ihnen eben
gesagt, wie es mit dem Lenk-Gutachten aussieht.
Ich sage Ihnen, wie Sie an der Stelle arbeiten: Sie
verändern den Text für die Einheitslasten. – Sie
tun dies aus der Perspektive, die ich Ihnen eben
vorgehalten habe. Nach den Kommunalwahlen
wollen Sie entsprechende Schweinereien begehen.
In der neuen Formulierung der Definition heißt es
in § 2, bei der Ermittlung der Finanzausgleichsmasse wird nicht mehr das ermittelte gesamte
Aufkommen der Gemeinschaftssteuern – bereinigt
um die Einnahmen und Ausgaben des Landes –
im Länderfinanzausgleich zugrunde gelegt, sondern es wird auf die sogenannten finanziellen Belastungen des Landes aus der deutschen Einheit
abgestellt. Das bedeutet, Sie bereiten den Betrug
von morgen im Text vor, behaupten aber, Sie
wollten ein verlässlicher Partner der Kommunen
sein.
Zusammengefasst kann man nur sagen, Sie haben in Zeiten, in denen es dem Land von den
Steuereinnahmen her glänzend gegangen ist und
noch eine kurze Weile gehen wird, den Kommunen ihren Anteil vorenthalten. Durch die von Ihnen
11542
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
zu verantwortende Politik haben Sie für eine dramatische Steigerung der Kassenkredite gesorgt.
Darüber, ob sie um 38,6 % oder um 38,8 % gestiegen sind, mag ich mit Ihnen gar nicht streiten,
Herr Engels.
In Zeiten niedriger Zinsen hatten Sie gleichzeitig
nicht den Mumm, den Kommunen, die keine
Chance haben, diese Schulden im Moment abzutragen, eine Umschuldung von kurzfristig laufenden Kassenkrediten in langfristige Kredite zu
günstigen Zinsen zu gestatten. Als Folge werden
die Kassenkredite bei dramatisch steigenden Zinsen jetzt absehbar dramatisch steigen.
All das ist Ergebnis Ihrer Politik. Zu diesem Ergebnis gehört auch, dass Sie sich bis heute darum drücken, den eigentlich seit November letzten
Jahres fälligen Bericht zur kommunalen Finanzlage vorzulegen. Sie sagten, Sie legen ihn im Mai
vor. Sie haben ihn bis heute nicht vorgelegt. Sie
drücken sich aus einem für Sie guten Grund davor. Es ist ein Zeichen einer kommunalfeindlichen
Politik. Sie hinterlassen ein großes Vakuum.
Herr Lux, ich kann verstehen, dass Sie darüber
beunruhigt sind, dass andere diese Vakuum mit
einer ordentlichen, kommunalfreundlichen Politik
auffüllen wollen. Wir lassen uns von Ihnen aber
nicht davon abhalten. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Becker. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.
*)
Rüdiger Sagel (fraktionslos): Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Was man im
Landeshaushaltsentwurf für das Jahr 2009 insgesamt feststellen kann, kann man natürlich auch im
Gemeindefinanzierungsgesetz feststellen. Die Politik des Tricksens, Täuschens und Tarnens wird
auch hier wieder realisiert.
Zu Recht ist vorhin auf die Verschuldung der
Kommunen in NRW in Höhe von 13 Milliarden €
hingewiesen worden. Im letzten Jahr hat der Städte- und Gemeindebund bei der Anhörung sehr
deutlich beklagt, dass den Kommunen 900 Millionen € vorenthalten werden. Dieses Jahr ist es über 1 Milliarde €. Das ist Ihre reale Politik für die
Kommunen.
Wir gehen jetzt langsam in die Auseinandersetzungen um die Kommunalwahlen. Die Sünden der
Vergangenheit werden an die Oberfläche kommen. Sie werden Ihnen jetzt schon interessanterweise von Ihren eigenen, schwarzen Leuten in
Landtag
Nordrhein-Westfalen
den Städten und Gemeinden vorgehalten. Die drei
zu Recht vor dem Verwaltungsgericht in Münster
anhängigen Klagen machen sehr deutlich, wie
groß die Unzufriedenheit mit der Landespolitik ist.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Insgesamt müssen wir feststellen, dass 129
Kommunen in Nordrhein-Westfalen weiterhin mit
Nothaushalten ausgestattet sind. Das mussten
Sie heute Morgen selbst zugestehen. Diese
Kommunen können gerade noch das Notwendigste machen und sind höchst verschuldet. Teilweise
gibt es sogar Sparkommissare. Das ist zum Beispiel in Waltrop der Fall. In der nördlichen Ruhrgebietszone gibt es besondere Probleme. All diese Dinge werden von Ihnen verantwortet.
Hinzu kommt das Sparkassengesetz, welches uns
in den nächsten Monaten noch beschäftigen wird.
Es ist ebenfalls gegen die Kommunen gerichtet.
Gemeinnützige Einrichtungen werden eine Menge
Geld verlieren, wenn die Privatisierung tatsächlich
in der Form kommen wird, wie Sie sie vorhaben.
Derzeit werden mehr als 150 Millionen € ausgeschüttet. Das ist das, was Sie konkret machen.
Ich kann nur sagen: Das geschieht nicht mit der
Linken. Wir werden gegen Ihre Haushaltspolitik
stimmen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Sagel. – Wenn ich es richtig sehe, liegt von der
Landesregierung keine Wortmeldung vor. Dann ist
Herr Kollege Körfges an der Reihe. Bitte schön.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11543
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Dies geschieht unstreitig auch mit Taschenspielertricks.
Wir freuen uns alle darüber, dass die öffentlichen
Einnahmen gestiegen sind. Die 7,7 Milliarden €,
die Sie in Ihrer Pressemitteilung in den Mittelpunkt
der Erwägungen stellen, sind wirklich eine stattliche Summe. Aber um glaubwürdig und ehrlich zu
bleiben, meine Damen und Herren, muss man die
Relation zu den Steuereinnahmen des Landes
sehen. Dann merkt man, dass Sie auch an dieser
Stelle im Prinzip bei den Kommunen abgekocht
haben.
(Zuruf von der CDU)
Im Augenblick sind es – ich will mich nicht um
100.000 € nach oben oder unten streiten – mindestens 1,7 Milliarden € aus den letzten Jahren,
die Sie den Kommunen vorenthalten haben. Vergleicht man den Zuwachs der Steuereinnahmen
des Landes mit der Steigerung der Finanzmasse
für die Schlüsselzuweisungen, wird klar, wie Sie
tatsächlich mit dem Thema Kommunalfinanzen
umgehen: Die Steuereinnahmen des Landes sind
um 3,9 % gestiegen, die Schlüsselmasse lediglich
um 2,1 %. Erklärung gefällig? Man kann es zum
Beispiel mit der Herausnahme der Grunderwerbsteuer und ähnlicher Anschläge erklären, die
Sie in diesem Bereich gemacht haben. Darüber
hinaus haben Sie den Kommunen auch tüchtig in
die Tasche gegriffen; darauf ist verschiedentlich
eingegangen worden.
Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch bei der Einbringung durch den Innenminister war eine gewisse
Sprachlosigkeit zu erkennen. Von daher liegt die
Tatsache, dass sich Herr Dr. Wolf nicht mehr zu
Wort gemeldet hat, durchaus in der Tendenz des
heutigen Tages.
Wenn der verehrte Kollege Lux sagt, wir geben
euch eure Städte zurück, ist das zum einen inhaltlich falsch, weil wir die kommunale Selbstverwaltung haben. Zum anderen wären die Kommunen
besser bedient, Herr Lux, wenn Sie ihnen ihr Geld
zurückgeben würden.
Herr Dr. Wolf, nach Ihren einleitenden Worten und
insbesondere nach der Pressemitteilung könnte
man aber glauben, diese Landesregierung hätte
ein Füllhorn von Wohltaten über die kommunale
Familie ausgeschüttet.
Zudem höre ich voller Erstaunen, dass die 23 %
Ihrer Aussage nach nicht die Zehn Gebote bzw.
kein Verfassungsgrundsatz seien. Was soll der
geneigte Hörer sich nach dieser Ankündigung
denken, Herr Lux? Zuerst gehen Sie an die
Schlüsselmasse, und dann stellen Sie die Prozente für die Zukunft zur Disposition. Das kann doch
alles nicht wahr sein.
(Horst Becker [GRÜNE]: Die versteht das
nur nicht!)
Die bedankt sich aber nicht bei Ihnen. Der Jubel
will keinen Anfang nehmen. Im Gegenteil: Die
kommunalen Spitzenverbände sind unisono mit
der Opposition einer Meinung. Sie ziehen die
Städte und Gemeinden in unserem Lande seit Ihrem Regierungsantritt über den Tisch, meine Damen und Herren.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Wenn Kollege Engel von der FDP-Fraktion die
Verlangsamung des Anstiegs der Kassenkredite
angesichts der allgemeinen Konjunkturlage zu einem Markenzeichen für kommunalfreundliche
Landespolitik macht, zeigt das eindeutig:
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Sie sind in der falschen Veranstaltung, insbesondere als kommunalpolitischer Sprecher.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Besonders bezeichnend – allerdings würde ich
dazu ein internes Gespräch vorschlagen – finde
ich den Hinweis auf die zahlreichen Kommunen,
die sich nicht mehr in der Haushaltssicherung befinden. Das ist richtig. Wenn der Hintergrund eine
strukturelle Verbesserung wäre, könnte man sich
darüber tatsächlich freuen. Herr Kollege Engel, an
diesem Punkt bin ich ganz nah bei Ihnen: Das ist
im Zusammenhang mit dem Umstieg auf NKF zu
sehen.
Wenn der Innenminister als Antwort auf die strukturelle Notlage von Kommunen zusätzliche Sparsamkeit – darüber kann man immer diskutieren –
und die Veräußerung von kommunalem Eigentum
empfiehlt, zeigt das zwei Dinge:
Erstens. Die Kommunen stehen nicht im Mittelpunkt Ihrer Erwägungen.
Zweitens. Sie haben die Systematik nicht verstanden. Denn wenn Sie das Eigentum aus der
Bilanz herausrechnen, haben Sie im Prinzip nichts
verbessert. Gehen Sie daher in sich und überprüfen Sie einmal, ob es eine Jubelmeldung wert ist,
dass die NKF-Systematik dazu führt, dass sich
einige Kommunen nicht mehr im Nothaushaltsrecht befinden!
Nun möchte ich zum Lenk-Gutachten und zu weiteren Leistungen dieser Landesregierung kommen. Was Sie mit der Rückzahlung der überzahlten Solidarbeiträge der Kommunen aufführen, übertrifft eine Echternacher Springprozession bei
Weitem.
Erster Akt: Es gibt eine schallende Ohrfeige des
Verfassungsgerichtshofs. Zweiter Akt: Sie machen sich das Ergebnis insoweit zu eigen, dass
Sie ein nicht gut gemachtes, aber immerhin von
einer guten Absicht getragenes Abschlagsgesetz
auf den Weg bringen. Im Detail haben wir sicherlich das eine oder andere dagegen gesagt. Dritter
Akt: Sie berufen sich auf das Lenk-Gutachten,
obwohl es Fehler wiederholt, die das Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen
schon erkannt und ausgeräumt hatte, und sagen
den Kommunen: Nicht ihr habt von uns etwas zurückzubekommen – im Gegenteil, es ist in die andere Richtung überzahlt worden.
Wer so mit Kommunen umgeht, darf sich erstens
nicht der Kommunalfreundlichkeit rühmen und
11544
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
muss zweitens sein grundsätzliches Verhältnis
zum Thema überprüfen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es gibt noch eine weitere Feststellung. Das ist eine interessante Spur, Herr Kollege Lux, in Bezug
auf die Frage, wie es mit den Kommunalfinanzen
weitergeht; Kollege Becker hat darauf hingewiesen. Im Begründungsteil ziehen Sie ganz deutlich
die Karte Lenk-Systematik nach dem Motto: Liebe
Kommunen, viel Vergnügen. Wir zeigen euch
schon einmal, was in den kommenden Jahren auf
euch zukommt.
Meine Damen und Herren, die Kommunen haben
im wahrsten Sinne des Wortes bei dieser Landesregierung eine Menge zu klagen. Der Verfassungsgerichtshof empfindet Ihre Form der Landesregierung zwischenzeitlich als zwangsweise
aufgedrängtes Beschäftigungsprogramm. Ich
kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie über
Kommunalfreundlichkeit reden und Ihnen die
Kommunen beim Verfassungsgerichtshof zum
wiederholten Male nachweisen, dass Sie sie zum
Beispiel in Fragen der Konnexität übervorteilen,
kann doch an Ihrer übertriebenen Selbstbelobigung irgendetwas nicht richtig sein. Und all das
geschieht vor dem Hintergrund sprudelnder Steuereinnahmen.
Ich kann nur im Interesse der Kommunen hoffen,
dass der Weltuntergangsprophet, der im Augenblick den Ministerpräsidenten gibt, mit seinen
Prognosen zur Konjunktur nicht richtig liegt. Denn
die Wahrheit wird bei sinkenden Steuereinnahmen sehr deutlich werden: Sie haben die Kommunen in unserem Land über den Tisch gezogen.
– Vielen Dank.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege Körfges. – Für die Landesregierung
spricht Herr Innenminister Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf, Innenminister: Vielen Dank, Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch immer gut, wenn man den geballten Sachverstand der SPD-Fraktion erst zur
Kenntnis nehmen kann, um darauf zu replizieren.
Ich möchte dieser Crew der Verunsicherung und
Vertuschung gerne noch einmal die eigenen Leistungen vor Augen halten, die dazu geführt haben,
dass wir in diese Misere geraten sind.
Es ist nicht nur so, wie heute Morgen dargestellt
worden ist, dass Sie den Landeshaushalt vor die
Wand gefahren haben. In Ihrer Zeit haben sich all
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11545
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
die Probleme aufgehäuft. Ich hatte in einer früheren Debatte schon einmal dargestellt, wie sich
auch die Verschuldung in den Kommunen aufgebaut hat. Es ist doch völlig klar, dass wir solche
Dinge nicht in wenigen Jahren abbauen können.
Im Gegenteil ist hier eine langfristige Konsolidierung angesagt.
auch Kommunen gibt, die den Kopf ein Stück oberhalb der Wasserlinie bekommen haben, was
uns sehr erfreut. Natürlich wollen wir das konsolidieren. Alle gemeinsam müssen wir daran arbeiten, dass wir eine Wirtschaftspolitik haben, die
auch nachhaltig Wachstum befördert. Dann sind
alle, Land und Kommunen, daran beteiligt.
Die Landesregierung hat ihrerseits alles getan.
Kollege Lux hat es genauso wie Herr Engel sehr
deutlich gesagt: Wir stehen zu den 23 % in dieser
Legislaturperiode. Das ist völlig klar von uns definiert worden. Wir sind für diese Legislaturperiode
gewählt worden; deswegen sagen wir das auch
gerne zu. Alles andere, was Sie gesagt haben, ist
von daher völlig nebulös. Es ist ein selbst angerührter Zahlensalat, in dem Sie sich immer wieder
selber verfangen.
Eine besondere Qualität der Filibusterei haben Sie
natürlich wieder beim Thema Lenkgutachten an
den Tag gelegt. Meine Damen und Herren, ich
empfehle insbesondere dem ausgebildeten Juristen in der SPD-Fraktion, sich den Urteilstenor einmal genau anzuschauen und durchzulesen. Herr
Körfges, dort steht ganz klar, dass sozusagen eine
Ermittlung vonnöten ist. Diese Ermittlung von Einheitslasten – das müssen Sie sich nun anhören; ich
habe Ihnen ja auch sehr ruhig zugehört – hat Herr
Professor Lenk vorgenommen, der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagen wurde.
Inklusive der Fragen, die zwischen Land und
Kommunen abgesprochen waren, ist das ein Gutachten, das ein hohes Maß an Neutralität hat. Dieses ist nun zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, einige Punkte möchte
ich noch einmal aufgreifen: Wir haben sehr deutlich festzustellen, dass es eine drastische Steigerung der Einnahmen der Kommunen gibt. Genauso wie das Land von den Mehreinnahmen profitiert, tun dies auch die Kommunen. Mit Blick auf
den 23-%-Anteil ist es völlig klar, dass wir eine faire Beteiligung nach dem, was die Verfassung
Nordrhein-Westfalens gebietet, auch vorgenommen haben – immer in der Abwägung von Landes- und Kommunalfinanzen.
Wir haben heute Morgen hier diskutiert, welche
Erblast Sie uns hinterlassen haben und was wir
auf Landesseite an Konsolidierung tun müssen.
Genau das Gleiche muss man natürlich auch auf
der anderen Seite bei den Kommunen einfordern.
Es ist also ein schwieriger Abwägungsprozess.
Die sprudelnden Einnahmen, die Sie hier immer
beschwören, sind doch letztendlich auch bei uns
zu 90 % zur Herabsetzung der Nettokreditaufnahme eingesetzt worden. Damit ist nicht irgendwo draußen groß Geld ausgegeben worden,
(Britta Altenkamp [SPD]: Wer bestätigt Ihnen
das denn? Der Finanzminister?)
sondern wir haben letztendlich das Geld nicht
ausgegeben, das wir, wenn wir Ihre Politik verfolgt
hätten, weiterhin aus Krediten hätten geben müssen. Wir haben uns davon abgewandt. Wir haben
einen neuen Weg der Konsolidierung eingeschlagen, der nun Früchte zeigt.
Wenn Sie meine Rede heute Morgen richtig gehört haben, habe ich sehr wohl auch kritische Untertöne angeschlagen. Zum Rückgang der HSKund Nothaushaltskommunen habe ich sehr wohl
gesagt, dass es das eine oder andere Mal durchaus am NKF liegen kann, dass es aber natürlich
Wenn dann der eine oder andere Abgeordnete
meint, wir wollten da nicht schneller ran, kann ich
nur entgegnen: Wir sind im Gespräch mit den
kommunalen Spitzenverbänden, die gebeten haben, dieses Gutachten intensiv zu prüfen. Wir haben allen Grund – in der bekannten Fairness, die
wir an den Tag legen –, ihnen diese Zeit auch zu
geben. Ich sagte vorhin schon: Gründlichkeit geht
vor Schnelligkeit. Das sind alles hochkomplexe,
hochkomplizierte Fragestellungen – bis hin zu
dem, was wir aus dem ifo-Gutachten machen –
beim Thema GFG der nächsten Jahre, vielleicht
sogar des nächsten Jahrzehnts.
Meine Damen und Herren, tun Sie bitte nicht so,
als ob Sie eine Lösung hätten, wie wir das kurzerhand lösen könnten. Ansonsten nehmen wir gerne
Ihren Vorschlag entgegen und können ihn dann
debattieren. Sich nur hierhin zu stellen und zu sagen, Sie wüssten alles besser, und uns der Verzögerung zu zeihen, das taugt nicht.
Wir gehen im Schulterschluss mit den kommunalen Spitzenverbänden diese Probleme an und
müssen versuchen, die schwierigen Fragen gemeinsam in der nächsten Zeit zu lösen. Wir stehen an dieser Stelle nicht an, ganz klar zu sagen:
Nur diese Regierung hat erstmals den Begriff
Kommunalfreundlichkeit verdient. Über das, was
Sie damals alles angerichtet haben, kann man nur
den Mantel des Schweigens decken. Wir gehen
mit einem Höchstbetrag an GFG-Zuweisungen –
mit einer Milliarde € mehr als 2005 – an den Start.
Dass daneben auch noch die Gewerbesteuerein-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
nahmen gestiegen sind, ist ein weiteres positives
Signal an die Kommunen. – Vielen Dank.
(Beifall von CDU und FDP – Lutz Lienenkämper [CDU]: So ist das!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal Herr
Kollege Becker zu Wort gemeldet.
Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer spannend
und ich hätte mich nicht gemeldet, Herr Innenminister, wenn Sie nicht darauf abgehoben hätten,
dass Sie das Land – wie Sie es immer darstellen –
sanieren müssten. Sie führen an, dass das, was
Sie den Kommunen vorenthalten – Sie enthalten
ihnen gegenüber dem, was ihnen früher zugestanden hat, von den Steuermehreinnahmen eine
Menge vor –, nötig gewesen sei, um den Landeshaushalt zu konsolidieren.
Nun mag man ja darüber streiten, ob das nötig
und der richtige Weg ist. Das ist eine Sache, die
das Parlament diskutieren kann. Was man nach
meiner Ansicht nicht machen kann – und das sollten wir Ihnen auch nicht durchgehen lassen –, ist,
wissend, wie die Situation im Land ist, vor den
Wahlen 2005 zu versprechen, den Kommunen
ginge es besser, wenn Sie an die Regierung
kommen, und nach den Wahlen so zu tun, als
seien Sie von der gesamtwirtschaftlichen und der
gesamtfinanziellen Lage des Landes überrascht.
Vor dem Hintergrund rasant steigender Steuereinnahmen geben Sie den Kommunen nicht das,
was ihnen zusteht, und tragen dazu bei – ich betone das an dieser Stelle –, dass die Kassenkredite explodieren. Innerhalb von drei Jahren haben
sich die Kassenkredite von 10 Milliarden € auf
13,6 oder 13,8 Milliarden – darüber will ich gar
nicht mehr streiten – erhöht. Das ist es eine dramatische Steigerung von mehr als einem Drittel.
Und es sind Kredite auf der kommunalen Seite,
die hoch zinsanfällig sind. Sie bauen im Land die
Neuverschuldung zulasten der Kommunen ab, die
dann sehr teure Kassenkredite aufnehmen müssen, weil sie keine andere Möglichkeit mehr haben.
Das ist gesamtwirtschaftlich, volkswirtschaftlich
und gesamtstaatlich ein hoch gefährlicher und ein
absolut zu verurteilender Kurs. Denn in letzter
Konsequenz werden die Bürgerinnen und Bürger
zwischen den Kosten, die auf sie zukommen, weil
es Kassenkredite bei den Kommunen sind, oder
Kreditkosten beim Land überhaupt nicht unterscheiden können und wollen. Sie werden die Kosten zu tragen haben. Die Kosten für Kassenkredi-
11546
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
te sind die höchsten, die teuersten und sind vor
dem Hintergrund der Gefahr der steigenden Zinsen – sie sind ja in den letzten drei Monaten
schon erheblich gestiegen – die mit Abstand gefährlichsten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Löttgen?
Horst Becker (GRÜNE): Aber immer.
Bodo Löttgen (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege
Becker. Sie beklagen jetzt bereits mehrfach, dass
der Anstieg von 10 auf 13 Milliarden € – also um
gut ein Drittel – unter unserer Verantwortung dramatisch sei. Würden Sie den Kolleginnen und Kollegen kurz erläutern, wie der Anstieg der Kommunalkredite im Zeitraum 2001 bis 2005, das heißt in
vier Jahren Ihrer Verantwortung, war?
Horst Becker (GRÜNE): Ja, das kann ich gerne
machen. Mal abgesehen davon, dass auch die
Kommunen, die von Ihrer Partei regiert werden,
immer wieder gesagt haben, dass da genauso
gearbeitet worden ist, nämlich kreditiert worden
ist, während das jetzt bestritten wird, kann ich Ihnen sagen, dass damals die Steuereinnahmen
ganz andere waren.
Sie wissen, die Steuereinnahmen in den Kommunen waren ganz andere, und die Steuereinnahmen im Land waren ganz andere. Vor diesem
Hintergrund mache ich ja die Ausführungen. Das
müssten Sie doch ehrlich einräumen. Sie rühmen
sich doch alle nasenlang der hohen Steuereinnahmen, obwohl Sie gar nichts dafür können. Für
die können nämlich ganz andere etwas. Ich sage
es Ihnen gerne noch einmal, damit Ihre Heiterkeit
steigt: Die jetzigen Steuereinnahmen bundesweit
haben wesentlich etwas mit den Reformen zu tun,
die die rot-grüne Bundesregierung bis 2005 über
die Bühne bringen musste und für die Sie hier und
an anderen Stellen die Opposition gespielt haben.
Das ist der Punkt.
Sie haben diese Steuereinnahmen nicht genutzt,
um den Kommunen etwas davon zu geben, sondern in dieser kurzen Zeit ist der Kassenkreditstand tatsächlich um fast 40 % gestiegen. Ich
finde, das ist für zweieinhalb Jahre eine Rekordleistung. Darauf können Sie sich schon etwas
einbilden.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Herr Innenminister, ich würde auch gerne zum ifoGutachten und zum Lenk-Gutachten etwas sagen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
An all diesen Stellen haben Sie Ihre eigenen Versprechungen nicht eingehalten. Wenn man sich
ansieht, wie Sie damit umgegangen sind: Das ifoGutachten war uns mehrfach versprochen und ist
mehrfach verzögert worden, und es ist eben kein
Zufall, dass es jetzt erst gekommen ist. Es ist
auch kein Zufall, dass Sie die Beratungen hinter
die Kommunalwahl 2009 ziehen.
Herr Kollege Löttgen, ich will Ihnen an der Stelle
auch ganz deutlich sagen: Es ist ebenfalls kein
Zufall, dass Sie alle jetzt im ländlichen Raum immer noch so tun, als ob Sie für den ländlichen
Raum eine Verbesserung schaffen würden. Im
nächsten Jahr werden Sie ja irgendwann das
ganze Elend zeigen müssen, das Sie verursachen. Deswegen machen Sie das erst nach der
Kommunalwahl und nicht vor der Kommunalwahl.
Das ist völlig klar, das ist Ihre Strategie, und deswegen legen wir auch den Finger in die Wunde.
Zum NKF, Herr Innenminister, haben Sie eben
gesagt: Es mag auch am NKF liegen, dass einige
Kommunen aus den Nothaushalten herausgekommen sind. Herr Innenminister, ich habe Sie in
den entsprechenden Sitzungen zweimal danach
gefragt, auch Anfragen dazu gestellt, und ich sage
Ihnen noch einmal ganz deutlich: Ausweislich Ihrer eigenen Auskünfte muss man den Eindruck
haben, es sind nur NKF-Kommunen, die aus den
Nothaushalten herausgekommen sind.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Es dreht sich ausdrücklich um Kommunen, die in
das Neue Kommunale Finanzmanagement eingestiegen sind, vorübergehend die Ausgleichsrücklage geltend machen können und innerhalb kürzester Zeit die Ausgleichsrücklage aufgebraucht
haben werden.
Noch ein letzter Satz, um Ihre Aufmerksamkeit
noch ein wenig zu erheischen: Bis heute haben
Sie noch nicht einmal ein Konzept für die Kommunen vorgelegt, die nach NKF eine negative Eröffnungsbilanz vorlegen müssen. Auch davor drücken Sie sich, davor drückt sich diese Landesregierung mit diesem Innenminister, mit diesem
vermeintlichen Kommunalminister bis heute, weil
Sie kein Konzept für diese Problematik haben.
Deswegen sind Sie alles andere als eine Kommunalpartei, Sie sind eine kommunalfeindliche Regierung und eine kommunalfeindliche Regierungsfraktion. – Schönen Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege Becker. – Der Herr Minister hat sich noch
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11547
einmal gemeldet. Bitte schön, Herr Minister
Dr. Wolf, Sie haben noch einmal das Wort.
Dr. Ingo Wolf, Innenminister: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht,
dass ich noch einmal zur Aufklärung beitragen
muss, weil Herr Becker auch im dritten oder vierten Versuch nicht einsehen wird, wo das Fehlverhalten liegt. Ich danke Herrn Kollegen Löttgen
sehr für seine Nachfrage, die Herrn Becker ja erkennbar ins Schleudern gebracht hat; man hat es
gemerkt.
Nur für Sie zum Nachhalten, Herr Becker: Im Jahre 2000 – da waren die Grünen unstreitig in der
Regierung, leider, aber es war so –betrugen die
Kassenkredite 2,465 Milliarden €, und im Jahre
2005, als Sie abgewählt wurden, 10,67 Milliarden.
Das nur einmal so, damit wir keine Geschichtsklitterung betreiben.
Das macht sehr deutlich, was die frühere Landesregierung für Kommunen getan hat. Wir haben
festzustellen, dass im Jahre 2007 der Finanzierungssaldo, über alle Kommunen gesehen, erstmals positiv war. Ich habe das beschrieben: Die
Lage ist nicht rosig; aber es gibt einen Lichtstreif
am Horizont. Wir versuchen, den Kommunen im
Rahmen des Möglichen und des verfassungsmäßig Gebotenen zu helfen. Ich habe sehr deutlich
gesagt, dass NKF dazu beigetragen haben kann,
aber natürlich können auch die besseren Einnahmen dazu beigetragen haben, sodass die positive
Entwicklung in den Kommunen, die sich ins NKF
bewegt haben, natürlich auch eine Rolle gespielt
hat. So, wie es häufig ist, gibt es manchmal mehrere Ursachen.
Zum Lenk-Gutachten werden Sie nicht einsichtig
werden, Herr Becker. Fragen Sie die kommunalen
Spitzenverbände! Wir haben feste Verabredungen
mit denen, dass die ihre Prüfung vornehmen können. Sie selber sind offensichtlich nicht in der Lage, ein Urteil über dieses Gutachten abzugeben.
Da werden nur nebulöse Äußerungen getan. Wir
wissen, dass es eine schwierige Materie ist und
dass die Kommunen, bevor sie in weitere Gespräche mit uns eintreten, ihrerseits fachlichen
Rat suchen. Das halte ich nur für fair und anständig. Wir gehen jedenfalls auf diesem konsensualen Wege mit den kommunalen Spitzenverbänden
weiter. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister Dr. Wolf. – Ich sehe keine weiteren
Wortmeldungen. Damit sind wir am Schluss der
Beratung.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Wir kommen zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2009 Drucksache 14/7000 und die
Finanzplanung des Landes Nordrhein-Westfalen
Drucksache 14/7001. Der Ältestenrat empfiehlt
die Überweisung der vorgenannten Haushaltsvorlagen an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie die zuständigen
Fachausschüsse mit der Maßgabe, dass die Beratung des Personalhaushalts einschließlich aller
personalrelevanten Ansätze im Haushalts- und
Finanzausschuss unter Beteiligung seines Unterausschusses „Personal“ erfolgt. Wer ist für diese
Überweisungsempfehlung? – Wer ist dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung
einstimmig beschlossen.
Wir kommen zum Zweiten zur Abstimmung über
den Gesetzentwurf zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2009 Drucksache 14/7002. Auch hier empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung des Gemeindefinanzierungsgesetzes an den Haushaltsund Finanzausschuss – federführend – sowie
den Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform. Wer ist für diese Überweisung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist auch diese Überweisung einstimmig beschlossen.
Ich rufe auf:
3
Fragestunde
Drucksache 14/7360
Mit der Drucksache liegen Ihnen die Mündliche
Anfrage 220 aus der letzten Fragestunde sowie
die Mündlichen Anfragen 223 bis 234 vor.
Ich rufe die
Mündliche Anfrage 220
der Frau Kollegin Dr. Boos von der Fraktion der
SPD aus der letzten Fragestunde auf:
Stipendien aus Studiengebühren
Vor nicht allzu langer Zeit – vor der Einführung der Studiengebühren – wurde vonseiten
der Befürworter der Studiengebühren immer
wieder angekündigt, dass zur sozialen Abfederung massiv Stipendienprogramme eingeführt werden sollten.
Das Problem war nur, dass diese immer jemand anderes finanzieren sollte. Die Politik
forderte die Unternehmen auf, die Unternehmen forderten das Land auf, der Landesminis-
11548
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
ter forderte den Bund auf, der Bund die Unternehmen usw. Am Ende wurden bisher in
NRW nur Stipendienprogramme eingeführt,
die sich aus der Geldquelle speisen, die sich
von Anfang an nicht dagegen wehren konnte:
den Studierenden. Sie finanzieren an mehreren Standorten über ihre Studiengebühren
Stiftungen, welche Stipendien vergeben.
Die Studierenden dieser Hochschulen sehen
in diesen Stiftungen nur ein weiteres Beispiel
dafür, dass die sowieso ungewollten Studiengebühren alles andere als zeitnah in der Lehre eingesetzt werden. Zudem sind die Konstruktion der jeweiligen Stiftungen und die Stipendienvergabe für die beteiligten Studierenden oftmals intransparent, sodass vor Ort davon ausgegangen wird, dass von den Stipendien eben nicht einkommensschwächere Studierende profitieren.
Sind der Landesregierung Daten über die soziale Zusammensetzung dieser Stipendiaten
bekannt?
Ich bitte Herrn Minister Dr. Pinkwart um Beantwortung. Herr Minister, bitte schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Dr. Boos,
ich könnte die in der Mündlichen Anfrage gestellte
konkrete Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit
einem Nein beantworten.
Ich möchte dies gleichwohl nicht tun. Der ganze
Duktus der Mündlichen Anfrage zeigt nämlich das
große Misstrauen, welches anscheinend gegen
Stipendienmodelle bei Ihnen gehegt wird, die eine
auch privat finanzierte Komponente aufweisen.
Darüber hinaus wird anscheinend versucht, die
soziale Komponente und den Leistungsgedanken
gegeneinander ausspielen zu wollen. Beides, das
primär ideologisch motivierte Misstrauen gegen
eine private Kofinanzierung von Stipendien und
die Abwertung des Leistungsgedankens, führt
meines Erachtens in die Irre.
Ich habe kürzlich den Anstoß für die Schaffung
eines nationalen Stipendiensystems gegeben.
Hierüber wird derzeit zwischen Bund und Ländern
diskutiert. Ein solches nationales Stipendiensystem soll sich an besonders begabte Studierende
richten und je zur Hälfte aus öffentlichen und privaten Mitteln gespeist werden. Die Hochschulen
sollen Stipendienmittel aus der Wirtschaft und von
Privaten einwerben können, die durch staatliche
Mittel im Verhältnis 1:1 aufgestockt werden.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11549
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Mein Vorschlag sieht eine Stipendienhöhe von
300 € im Monat vor und strebt stufenweise einen
Ausbau des Stipendienwesens auf bis zu 10 %
der Studierenden an – heute erhalten nicht einmal
2 % aller Studierenden in Deutschland ein Stipendium –, wobei diese 300 € nach dem Vorschlag
einkommensunabhängig ausgezahlt würden. Das
heißt, ein BAföG-Empfänger würde zusätzlich zu
seinem BAföG 300 € erhalten können und jener
oder jene Studierende, der oder die aufgrund des
elterlichen Einkommens knapp keinen BAföGAnspruch hat, würde auch einkommensunabhängig 300 € zusätzlich erhalten können.
gen leisten einen wertvollen Beitrag zur sozialen
Förderung der Studierenden.
Ein derartiges nationales Stipendiensystem wäre
ein Quantensprung in der Studienfinanzierung. In
einem derartigen System könnten sehr viel mehr
leistungsstarke Studierende finanziell gefördert
werden, als dies derzeit der Fall ist. Im Übrigen
haben alle 16 Bundesländer und auch die Bundesbildungsministerin in der GWK Handlungsbedarf auf diesem Feld eingeräumt.
Auch hier wieder deckt sich der Duktus der Mündlichen Anfrage nicht mit der Realität an unseren
Hochschulen.
Man sollte deshalb gar nicht erst versuchen, das
nationale Stipendiensystem schlechtzureden. Man
schadet damit letztlich nur den Studierenden und
hilft niemandem.
Es gibt auch Beispiele, die bereits jetzt schon zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Der Studienfonds Ostwestfalen-Lippe, ein gemeinnütziger
Verein – ein Zusammenschluss von fünf Hochschulen der Region Ostwestfalen-Lippe –, wirbt
Spendengelder ein und vergibt Stipendien sowohl
an besonders Begabte als auch an finanziell bedürftige Studierende. Der Studienfonds OWL fördert mittlerweile knapp 160 Studierende mit Stipendien in Höhe von 1.000 bis 4.000 € pro Jahr.
10 % der Stipendien werden explizit nach dem
Kriterium sozialer Bedürftigkeit vergeben. Mittlerweile liegen nach Auskunft des Fonds Spenden
und Spendenzusagen in Höhe von 900.000 € vor.
Es gibt eben sehr wohl die Bereitschaft in unserer
Gesellschaft und auch der Wirtschaft, etwas für
die finanzielle Förderung unserer Studierenden zu
tun. Man muss versuchen, diesen Schatz zu heben und ihn nicht zu diskreditieren. Wir dürfen
nach meiner festen Überzeugung keine Chancen
vertun.
Durch Studienbeiträge gespeiste Stiftungen der
Hochschulen gibt es derzeit an drei Hochschulen,
nämlich an der Universität Duisburg-Essen und an
den Fachhochschulen Bochum und Münster. An
der Fachhochschule Köln und an der Technischen
Universität Dortmund laufen die stiftungsrechtlichen Anerkennungsverfahren. Alle diese Stiftun-
So fördert die Münsteraner Fachhochschulstiftung
„Qualität in Studium und Lehre“ begabte Studierende und Nicht-EU-Ausländer mit ausgezeichneten Leistungen. Hier war es ein dringender
Wunsch der Studierenden, dass nur leistungsfähige Studierende aufgrund nachgewiesener Leistungen gefördert werden. Die Vergabe der Stipendien erfolgt hier transparent und aufgrund einer klar definierten Ausschreibung im Rahmen
klarer Förderrichtlinien.
Außerdem ist mir wichtig, Folgendes zu betonen –
ich habe das schon mehrfach getan und bin gerne
bereit, es noch einmal zu unterstreichen –: Unser
nordrhein-westfälisches Studienbeitragsmodell ist
das am weitesten sozial abgefederte Modell aller
Bundesländer. Studienbeiträge brauchen niemanden vom Studium abzuschrecken, weil es das
Studienbeitragsdarlehen und eine Deckelung in
der Rückzahlung gibt, die annähernd zwei Drittel
unserer BAföG-Empfänger am Ende des Bildungsweges beitragsfrei stellt. Gerade deshalb
flankieren unter sozialen Gesichtspunkten Stipendien das Studienbeitragsmodell allenfalls. Angesichts der weitreichenden sozialen Absicherung
der Studienbeiträge sind Stipendien für das Beitragssystem aber nicht essenziell.
Gerade deshalb ist es mir auch wichtig, die Vergabe von Stipendien mit dem Leistungsgedanken
zu verknüpfen. Letztlich kommen im Studienbeitragsmodell so soziale Fairness und Leistung zusammen. – Vielen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Es liegen bisher zwei Fragen vor. Bitte
schön, Frau Seidl.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Minister, Sie haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten sehr für dieses nationale Stipendiensystem
eingesetzt und haben es beworben. Wir haben
alle sehr gespannt darauf gewartet, welches Ergebnis diese letzte GWK-Sitzung bringen würde.
Deswegen haben wir uns gewundert und gefragt,
wie es kommt, dass Ihr Vorschlag für dieses bundesweite Stipendienmodell in der letzten GWKSitzung bei Ihren Länderkollegen, unter anderem
auch bei Frau Schavan, eben nicht auf Zustim-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
mung gestoßen ist und damit diese Pläne quasi
gescheitert sind.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte
schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Seidl, ich weiß
nicht, aus welchen Quellen Sie diese Schlussfolgerung ableiten wollten. Denn bemerkenswert ist,
dass die GWK auf Antrag Nordrhein-Westfalens
die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beschlossen
hat, die – aufsetzend auf unseren Vorschlag –
genau das Thema zum Gegenstand hat, ein solches nationales Stipendiensystem zu entwickeln.
Im Übrigen hat den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe
das Land Nordrhein-Westfalen. Der Bund und
auch A- und B-Länder wirken mit. So zügig, wie
wir ansonsten auch zu arbeiten pflegen, haben wir
auch hier wieder gearbeitet; denn die Arbeitsgruppe hat schon getagt. Sie wird ein weiteres
Mal tagen.
Wir sind zuversichtlich, dass wir rechtzeitig zum
Bildungsgipfel – das ist jedenfalls das Ziel der
nordrhein-westfälischen Landesregierung und
auch unser Ziel in der Arbeitsgruppe – mit Ergebnissen auch in dieser Frage aufwarten können.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Dr. Boos hat eine Frage. Bitte
schön.
Dr. Anna Boos (SPD): Ich bedanke mich ganz
herzlich für Ihre ausführliche Antwort. Ich möchte
für meine Fraktion sagen, dass wir keinerlei Misstrauen gegen Stipendien haben. Ansonsten finde
ich es etwas irritierend, wenn Sie den Duktus der
Anfrage in den Raum stellen.
Nichtsdestotrotz möchte ich jetzt weiter fragen,
denn ich weiß, dass das Rektorat der Fachhochschule Münster, bevor die Stiftung eingerichtet
wurde, rechtliche Bedenken geäußert hatte. Sie
wurden dann vom Wissenschaftsministerium ausgeräumt. Die Bedenken lauteten, es würden hier
Studierende und Eltern zu Zahlungen herangezogen, um dann letztendlich für andere aus dieser
Stiftung Studiengebühren zu zahlen. Warum hatte
das Ministerium an dieser Stelle keine Bedenken?
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Frau Boos, ich kann den Vorgang weder bestätigen noch sonstwie kommentieren. Stipendienge-
11550
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
bühren kenne ich schon von der Begrifflichkeit her
nicht.
Wenn Sie meinen, dass die Möglichkeit gegeben
wäre und das möglicherweise kritikwürdig sei,
dass auch aus Studienbeitragseinnahmen studienbeitragsbezogene Stipendien gewährt werden, dann empfehle ich einen Blick in das vom
Landtag beschlossene Studienbeitragsgesetz.
Denn das ist die Rechtsgrundlage für das Handeln der Hochschulen, die ich eben genannt habe,
also auch für Münster, die auf studienbeitragsbezogene Stipendien abstellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Kollegin Gebhard stellt die nächste Frage. Bitte schön.
Heike Gebhard (SPD): Herr Minister, ich würde
gerne auf diese rechtliche Frage zurückkommen.
Es ist die spannende Frage, welcher Anteil von
Studiengebühren einer Hochschule in eine solche
Stiftung fließen darf, um daraus anschließend Stipendien zu zahlen. Normalerweise sind die Studiengebühren, die Sie Beiträge nennen, dazu da,
unmittelbar die Situation in Studium und Lehre zu
verbessern. Dieses hier allerdings kommt nur einigen wenigen Personen zugute, aber nicht der
Mehrheit der Studierenden.
Von daher wäre die spannende Frage: Wie viel
Prozent der Studiengebühren dürfen maximal in
diese Stiftung fließen?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte
schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Gebhard, auch hier kann ich
ähnlich lautend antworten: Auch das ist im Gesetz, konkret in der Begründung des Gesetzes,
schon verankert. Denn dort steht, dass bis zu
20 % der Studienbeitragseinnahmen für den Aufbau eines Stipendienwesens genutzt werden können.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. Zu ihrer zweiten und letzten Frage hat
sich Frau Dr. Seidl gemeldet. Bitte schön, Frau
Dr. Seidl.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Pinkwart, noch eine Nachfrage zu dem nationalen Stipendiensystem. Mich
interessiert vor dem Hintergrund, dass die Wirt-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
schaft innerhalb des Stipendiensystems einen
großen Beitrag leisten muss: Welche konkreten
Zusagen aus der Wirtschaft haben Sie zur Finanzierung Ihres Stipendienmodells?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Seidl, wir haben natürlich auch
aus der Wirtschaft ein Echo erhalten. Ich habe
selbst beim Stifterverband der Deutschen Wissenschaft dazu vortragen können. Der Verband
hat sich wie auch die anderen Verbände der deutschen Wirtschaft nachhaltig positiv gegenüber der
GWK, die dazu eine Abfrage vorgenommen hatte,
geäußert. Hier gibt es eine hohe Bereitschaft, allerdings gekoppelt an die Forderung nach einer
dezentralen Ausgestaltung eines solchen Systems. Sprich: Es gibt keine erkennbare Bereitschaft, in einen anonymen Fonds einzuzahlen,
der dann von der Politik verwaltet wird. Das wäre
eine Art zweiter Steuer, die man dann erheben
würde.
Deswegen unser Ansatz: dezentrale Einwerbung
über die Hochschulen. Dann herrscht eine hohe
Bereitschaft, sich zu engagieren.
Wir müssen natürlich auch die Voraussetzung dafür schaffen. Ich hatte das Beispiel OWL genannt.
Hier ist OWL mal wieder – ich darf das als Rheinländer mit hoher Anerkennung sagen – vorangegangen. Die OWLer haben aus eigener Initiative
ein System aufgebaut – mit vielen kleinen Unternehmen und Privatleuten, die dort als Initiatoren
aufgetreten sind. Da ist schon einiges zusammengekommen, was weiter aufwachsen wird.
Wenn es dazu einen zusätzlichen Anreiz, wie wir
uns ihn vorstellen, gibt, dann erwarten wir, dass
endlich die in Sonntagsreden immer gerne eingeforderte Mobilisierung erreicht wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Dr. Boos hat sich zu einer zweiten Frage gemeldet. Bitte, Frau Kollegin.
Dr. Anna Boos (SPD): Wir haben gehört, dass
die Möglichkeit der Stiftung im Gesetz verankert
ist. Ist aber nicht grundsätzlich die Konstruktion
der Stiftung problematisch, wenn im Gesetz auch
steht, dass die Gelder zeitnah zur Verbesserung
der Studienbedingungen herangezogen werden
müssen?
11551
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Liebe Frau
Boos, meine Damen und Herren, natürlich setzt
eine solche Stiftung dann, so wie es der Gesetzgeber formuliert hat, voraus, dass die Stipendien
auch zeitnah gewährt werden. Das heißt, soweit
Mittel da sind, sollen sie auch zur Stipendienvergabe genutzt werden. Stipendien würden in dem
konkreten Fall etwa mit Blick auf die Bedingungen, die ich am Beispiel Münster eben genannt
hatte, die Studiermöglichkeiten verbessern. Wir
liegen damit genau im Geiste des Studienbeitragsgesetzes.
Die andere Möglichkeit sind Befreiungstatbestände. Das ist der andere Weg. Sie haben gefordert,
wir müssten noch mehr Befreiungstatbestände
schaffen. Eine Menge solcher Tatbestände finden
sich schon im Gesetz.
Darüber hinaus haben wir den Hochschulen die
Freiheit eingeräumt, noch eigene Befreiungstatbestände zu benennen. Das heißt, dort verzichtet
man gänzlich auf einen Beitrag von Studierenden,
obwohl sie die Vorteile, die Studienbeiträge der
anderen Kommilitonen für die Hochschule erbringen, mit in Anspruch nehmen. Das möchte ich
auch noch einmal gerne erwähnen. Regelungen,
um besondere, auch soziale Härtefälle zu berücksichtigen, sind im Gesetz verankert. Die Hochschulen können sie selbst weiter ausgestalten.
Und zusätzlich ist die Möglichkeit eröffnet, ein Stipendienmodell zu realisieren. Das halten wir auch
für sehr sachgerecht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Kollegin Hendricks hat eine Frage. Bitte schön, Frau Kollegin.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade die Frage von Frau
Dr. Seidl nach der Größenordnung sowie danach,
wer bisher als Spender oder Stifter infrage gekommen sei, sehr ausweichend beantwortet. Da
Sie als Beispiel für regionale Aktivitäten auf Münster verwiesen haben, möchte ich von Ihnen wissen, ob Sie uns einmal eine Größenordnung auch
im Hinblick auf die Zeitschiene nennen können,
damit wir eine Vorstellung bekommen, welche Zusagen in einer Region dieses Landes bisher vorliegen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte
schön.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11552
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Abgeordnete Hendricks, wir haben
in Deutschland schon sehr lange über Stipendien
geredet. Wer sich einmal die Stipendienbilanz ansieht, stellt fest, dass es deutlich zu wenige sind.
mittlerweile schon recht erfolgreich geworden; aber auch diese haben ihr Potenzial bei Weitem
noch nicht ausgeschöpft. Wir erhoffen uns, dass
das noch stärker Platz greift, und versuchen, hierfür bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich
bin da ganz zuversichtlich.
Im Hinblick auf die Frage, welchen Beitrag die
Länder leisten, die – erst recht nach der Föderalismusreform – eigentlich die Hauptzuständigkeit
haben, stelle ich fest, dass die Länder bislang auf
dem Gebiet der Stipendien so gut wie nichts leisten; es sind weniger als 5 %.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Ihre zweite und letzte Frage stellt jetzt
Frau Kollegin Gebhard.
Die Hauptlast trägt der Bund. Er hat in den letzten
Jahren etwas mehr getan; das muss man anerkennen.
Sieht man von Sonntagsreden ab, sind seitens
der Politik aber keine Anstrengungen unternommen worden, nach Konzepten und Anreizmechanismen zu suchen, um überhaupt private Stärke in
dieses Stipendienwesen einzubinden und den
Kuchen so groß zu machen, dass wir mehr jungen
Leuten, die es verdient hätten, ein solches Stipendium auch gewähren könnten. Das wird ein
schwieriger Weg werden; dessen bin ich mir völlig
bewusst. Aber wir arbeiten erstmalig in Deutschland daran.
Ich freue mich darüber, dass Bundesbildungsministerin Frau Schavan dies ebenso wie die Länder
unterstützen und wir endlich konstruktiv darangehen können. Es gibt positive Stimmen aus der
Wirtschaft – das habe ich dargelegt –, und die
Wirtschaft und die Hochschulen erwarten, dass
die Politik jetzt klärt, wie sie sich das vorstellt. Wir
arbeiten daran, dass in den nächsten Jahren –
das ist unsere Vorstellung – ein Aufwuchs von
heute knapp 2 % bis auf 10 % der Studierenden
nach diesem Mechanismus schrittweise Platz
greifen kann.
Dabei bin ich besonders zuversichtlich, dass
Hochschulen, die wie in Nordrhein-Westfalen über
neue Eigenständigkeiten verfügen, es in besonderer Weise schaffen können, die Großen in der
Wirtschaft, die regionale Wirtschaft, aber auch die
Ehemaligen und die Bürgerinnen und Bürger in
der Region für so etwas zu gewinnen. Dafür gibt
es eine wachsende Bereitschaft, vor allen Dingen
dann, wenn man sich mit der Hochschule identifizieren kann.
Dabei bauen wir erstmalig – das ist ja noch ganz
jung in Deutschland – darauf, dass Hochschulen
auch konzeptionell solche Möglichkeiten des
Hochschulsponsorings entwickeln. Einige wie die
RWTH Aachen oder die TU München sind hier
Heike Gebhard (SPD): Vielen Dank. – Herr Minister, ich möchte auf die Problematik zurückkommen, dass Stipendienprogramme aus Studiengebühren finanziert werden, obwohl die Pflicht besteht, dass die Beträge aus Studiengebühren
zeitnah ausgezahlt werden. Nun kommen sie in
Fonds mit dem Konstrukt einer Stiftung. Es ist aber das Wesen einer Stiftung, dass sie nicht ihre
Einlagen, sondern nur ihre Überschüsse auszahlt.
Das heißt, die Stiftungseinlage von Dritten müsste
so groß sein, dass das, was die Stiftung ausschütten kann, mindestens dem entspricht, was an
Studiengebühren hereinkommt. Andernfalls könnte sie die zeitnahe Auszahlung nicht sicherstellen.
Ist dies gewährleistet, kontrollieren Sie mit Ihrem
Haus bei der Zulassung der Stiftungen, dass dies
erfolgt? Anderenfalls sähe ich doch für die inzwischen eingereichte Klage einen sehr großen Erfolg und die Gefahr, dass die Stiftung an dieser
Stelle scheitert.
Vizepräsident Oliver Keymis: Der Minister nickt
schon mit dem Kopf. – Bitte schön, Herr Minister.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Gebhard! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren
jetzt parallel: Die Fragestunde bezieht sich auf eine konkrete Frage, und wir diskutieren parallel ein
weiteres Thema.
Bei dem zweiten Thema geht es darum, was im
Rahmen des Studienbeitragsgesetzes rechtlich
möglich ist, um Stipendien für einen Studienbeitrag zu gewähren. Es geht nicht um ein Lebenshaltungsstipendium – damit hier keine Missverständnisse aufkommen –, sondern darum, dass
Stipendien ausgereicht werden können, die den
Studienbeitrag ersetzen.
Das ist im Rahmen des Studienbeitragsgesetzes
geregelt, und das haben wir natürlich, Frau Gebhard, wie Sie gefragt haben, bei jeder Stiftung
rechtlich geprüft. So, wie die Dinge uns dort vorgelegt und endgültig geregelt worden sind, bewer-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ten wir sie als rechtmäßig. Dass es im Rahmen
unserer Rechtsaufsicht in der laufenden Umsetzung jeweils weiterverfolgt wird, ist selbstverständlich.
Das andere ist das, worüber wir durch die Frage
von Frau Seidl im Rahmen dieser Fragestunde
eigentlich diskutieren: mein Vorschlag eines nationalen Stipendiensystems, 300 € pro Monat. Dies
würde nicht aus Studienbeitragseinnahmen finanziert werden können, sondern hier ginge es um
ein eigenständiges Stipendienwesen, das wir dadurch aufbauen, dass Private und nicht Studienbeiträge die Kofinanzierung stellen. Das wollte ich
hier nur noch einmal klarstellen und der guten
Ordnung halber abgegrenzt haben.
Aber die rechtlichen Fragen haben wir natürlich
geklärt, und die Konstruktionen sind jeweils mit
dem Studienbeitragsgesetz als vereinbar festgestellt worden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Für eine dritte und letzte Frage hat sich
Frau Kollegin Dr. Boos gemeldet.
Dr. Anna Boos (SPD): Das wäre fast meine Frage gewesen. Vielleicht kann ich noch einmal deutlich erklärt bekommen, wie diese beiden Stränge
zusammenlaufen. Es geht darum, ob die Stiftungen zur Kofinanzierung von Stipendien herangezogen werden, wenn die geplanten Stipendienprogramme von der Landesregierung finanziert
werden müssen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte
schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herr Präsident! Liebe Frau Boos! Meine Damen
und Herren! Absolut nein, weil sie getrennt zu betrachten sind.
Das eine, dass also ein Stipendium in Höhe des
Studienbeitrags gewährt werden kann, ist schon
nach Studienbeitragsgesetz möglich. Dafür kann
man Stiftungen einrichten. – Das ist das, was
schon geht.
Das andere wollen wir gerne aufbauen. Das ist
unabhängig von Studienbeiträgen zu betrachten.
Die Kofinanzierung, die wir uns von Privaten für
das nationale Stipendienprogramm erwarten, darf
nicht aus Studienbeitragsstiftungen kommen. Das
würde im Widerspruch zum Studienbeitragsgesetz
stehen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11553
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Weitere Fragen zur Mündlichen Anfrage 220 liegen nicht vor.
Ich rufe auf die
Mündliche Anfrage 223
der Abgeordneten Steffens von der Fraktion der
Grünen im Landtag NRW:
„Personalrat wirft Rüttgers Outsourcing
vor“, lautet die Überschrift eines Artikels
im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 19. August
2008
In dem Beitrag ist die Rede von einem Brief
des Personalrates der Staatskanzlei an den
Ministerpräsidenten, in dem der Vorwurf erhoben worden sei, es bestünde die Absicht, Botendienste und Pfortendienst sowie die Druckerei aus der Staatskanzlei outsourcen zu
wollen. Und dies entgegen den von dem Ministerpräsidenten bei Unternehmen eingeforderten Tugenden, die mit solchen Absichten
nicht vereinbar sind. Vor diesem Hintergrund
frage ich den Ministerpräsidenten:
Hat Outsourcing gerade bei Boten- und Pfortendiensten einen anderen Zweck, als über
niedrigere Löhne der Beschäftigten Einsparungen zu erzielen?
Ich bitte Herrn Minister Krautscheid um Beantwortung. Bitte schön, Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete
Steffens, zunächst einmal danke schön, dass wir
die Reihenfolge der Beantwortung der Fragen
umdrehen konnten. Ich saß noch in einem Gespräch, weil wir vor der Zeit sind.
Frau Abgeordnete, die Landesregierung hat sich
bekanntlich zum Ziel gesetzt, im Rahmen ihrer
Haushaltskonsolidierung die bestehenden kwStellen konsequent abzubauen. Betroffen von
diesem Abbau sind sämtliche Arbeitsbereiche,
auch sehr kleine Arbeitsbereiche. Ihre Frage liegt
in Teilen etwas außerhalb dieses Themas.
Sie haben in Ihrer Anfrage ja drei Arbeitsbereiche
der Staatskanzlei angesprochen.
Zum einen geht es um die Druckerei, die bislang
vorgehalten worden ist. Die Schließung der Druckerei ist die Folge der Digitalisierung. Die „Presseschau“ wird, wie die meisten von Ihnen sicherlich gemerkt haben, mittlerweile nicht nur digital
erstellt, sondern auch digital versandt, sodass die
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11554
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Druckerei überflüssig geworden ist. Dieser Stellenabbau ergibt sich übrigens erstmalig aus einem
Organisationsgutachten aus dem Jahr 2000. Die
damalige Vorgängerregierung hat genau dieses
empfohlen, sprich: Digitalisierung der Presseschau, Schließung der eigenen Druckerei.
innerhalb der Staatskanzlei deutlich zu machen,
im Pfortendienst zwei Mitarbeiter. Diese haben
bereits Angebote zur Weiterbeschäftigung im
Hause bekommen. Ich weise darauf hin, dass eine Mitarbeiterin mit Unterstützung und Förderung
in der Bibliothek beschäftigt wird.
Der zweite und dritte Bereich, die Sie ansprechen,
sind der Botendienst und der Pfortendienst. Hier
ist schlicht zu beobachten, dass, wenn auch in
diesen Bereichen, wie vorgesehen und vom Parlament gewünscht, kw-Stellen abgebaut werden,
diese sehr, sehr kleinen Bereiche nicht mehr funktionstüchtig sind, weil dann eigenes Personal
dann nicht mehr in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen würde, ohne neue Mitarbeiter einzustellen. Da dies kontraproduktiv wäre, ist entschieden worden, diese Bereiche in private Hände
zu übergeben.
Die Einsparung von Kosten ist nicht das Ziel dieser Übung. Wir rechnen nicht mit einer Senkung
der Kosten in dem Bereich.
Ziel des Outsourcing ist es nicht, durch niedrigere
Löhne Einsparungen zu erreichen, denn die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden an anderer Stelle, zum Teil in der Staatskanzlei, weiterbeschäftigt.
Die Staatskanzlei wird bei der Beauftragung von
externen Dienstleistern besonderen Wert auf eine
tarifliche Bezahlung dieser neuen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter legen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Steffens hat sich für eine erste
Nachfrage gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin
Steffens.
Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Minister, ich
möchte es am Beispiel der Pforte deutlich machen: An der Pforte wird das Personal benötigt.
Es gab vorher Personal, das nach dem Tarif des
Hauses bezahlt worden ist. Wenn man outsourct,
kommt ein Unternehmen, das andere Tarife zahlt.
Das heißt, die Einsparung – das ist der einzige
Sinn und Zweck eines Outsourcing – findet auf
Kosten der Beschäftigten statt. Das passt für mich
nicht mit den Erwartungen zusammen – das
müssten Sie mir noch einmal erklären –, die der
Ministerpräsident an die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen gerichtet formuliert.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Verehrte Abgeordnete Steffens, Sie haben es vom Ablauf her
falsch verstanden. Es geht nicht darum, diese
Mitarbeiter sozusagen an einen Privaten weiterzureichen. Betroffen sind, um die Größenordnung
Es geht vielmehr darum, dass, wenn man in sehr
kleinen Bereichen kw-Stellen realisiert, man den
Leistungsumfang nicht mehr aufrechterhalten
kann. Das können Sie ganz einfach an Folgendem erkennen: Wenn man nur zwei Leute hat und
man das Personal weiter reduziert, dann kann
man zum Beispiel nicht mehr einen bestimmten
Umlauf an Botengängen vorhalten und bestimmte
Schließdienste erfüllen.
Wenn aber auch in diesem Bereich kw-Stellen realisiert werden sollen – das ist der Fall –, kann eine Aufrechterhaltung der Dienstleistungsfähigkeit
nur durch eine Abgabe der Aufgabe an einen
Dienstleister erreicht werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Herr Kollege Töns hat eine Frage. Bitte
schön, Herr Kollege.
Markus Töns (SPD): Herr Minister, ich frage Sie:
Was meinen Sie, wie sich die Boten und Pförtner
fühlen, die in der Zeitung lesen dürfen, dass sie
samt Stellen ausgelagert, outgesourct werden,
während am oberen Ende in der Staatskanzlei
neue hochdotierte unbefristete Stellen geschaffen
werden? Meine Frage zielt also insbesondere auf
das Betriebsklima ab.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Ich glaube, die
Betroffenen – ich kann Ihnen nachweisen, dass
das im Einzelnen so gehandhabt worden ist –
werden sich mit dieser Abfolge ausgesprochen
wohlfühlen, weil sie in keiner Weise eine Verschlechterung erfahren sollen. Ich habe eben ein
Beispiel genannt, wo jemand, der bis jetzt im Botendienst gearbeitet hat, zukünftig in der Bibliothek eingesetzt wird. Daneben gibt es Mitarbeiter
aus der Druckerei, die sehr erfolgreich an andere
Stellen in der Landesverwaltung vermittelt worden
sind. Es hat also für die Betroffenen keinerlei Folgen, die in dem von Ihnen beschriebenen Kontrast spürbar werden.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Frau Kollegin Steffens hat eine zweite
Nachfrage.
Barbara Steffens (GRÜNE): Ich habe das Gefühl, dass Sie meine Frage nicht verstanden habe.
Es gab vorher Leute, die an der Pforte saßen, und
es gibt jetzt Leute, die an der Pforte sitzen. Im
Gegensatz zu der klassischen kw-Stelle fällt ja
hier die Aufgabe nicht weg, sondern die Aufgabe
der Pforte besteht weiter. Die Menschen, die
demnächst an der Pforte sitzen, bekommen ein
anderes Gehalt als diejenigen, die bisher da saßen, weil sie outgesourct über ein externes Unternehmen beschäftigt sind.
Das genau aber ist die Forderung des Ministerpräsidenten Unternehmen gegenüber, dass Firmen nicht ihr Personal abbauen sollen, um über
externe, sozusagen outgesourcte Unternehmen
die Lohnkosten zu drücken. Wie passt das zusammen?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Wir haben ein
kleines Kommunikationsproblem. Sie glauben,
dass ich Sie falsch verstanden habe, und ich
glaube, dass Sie mich falsch verstehen. Das ist
jetzt schwer auflösbar. Ich versuche es trotzdem
noch einmal.
Ich würde Ihnen sofort beipflichten, wenn es durch
diese Maßnahmen zu persönlicher Betroffenheit –
entweder durch Freisetzung von Personal oder
durch Schlechterstellung von Personal – käme.
Dies geschieht ausdrücklich nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt entweder Botendienste versehen oder an der Pforte arbeiten,
werden an anderen Stellen weiterbeschäftigt.
Stattdessen kommt dort Personal von privater
Seite zum Einsatz, wobei wir keine Kostenreduzierung anstreben und erwarten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Herr Kollege Kutschaty hat eine Frage.
Bitte schön, Herr Kollege.
Thomas Kutschaty (SPD): Vielen Dank. – Mich
interessiert, welche Unternehmen es denn sind,
die diese zukünftig privaten Stellen mit Mitarbeitern besetzen werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
11555
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Danke schön. –
Für den Botendienst wird im Moment die Ausschreibung vorbereitet. Insofern kann ich Ihnen da
noch keine Firmen nennen. Es soll vergleichbar
gehandelt werden wie bei einem Pilotprojekt, das
im Ministerium für Bauen und Verkehr durchgeführt worden ist.
Kriterien bei der Ausschreibung sind die tarifliche
Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
und natürlich auch Sicherheitsfragen bei den
Dienstleistungen sowie eine entsprechende Präsenz einer gewissen Anzahl von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern.
Bei dem Pfortendienst gibt es bereits einen Rahmenvertrag für Nacht- und Wochenenddienstbewachung des Stadttores. Wir gehen davon aus,
dass wir von dem Personal, das bereits im Stadttor tätig ist, weitere Dienstleistungen beziehen
können.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Herr Kollege Trampe-Brinkmann hat
sich gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege.
Thomas Trampe-Brinkmann (SPD): Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass das Personal
aus dem Pfortendienst bzw. aus dem Botendienst
an andere Stellen der Landesverwaltung versetzt
wurde. Handelt es sich bei den Stellen, die von
diesen Mitarbeitern dort jetzt übernommen wurden, um neu eingerichtete Stellen? Oder hatten
diese Stellen einer höherwertigen Tätigkeit auch
bisher in der Landesverwaltung schon Bestand
und mussten neu besetzt werden?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Nach den Fakten und Erkenntnissen, die mir vorliegen, sind es
keine zusätzlichen oder neuen Stellen. Das lasse
ich aber gerne prüfen. Ich würde Ihnen die Antwort gerne schriftlich nachreichen; denn nach den
Unterlagen, die ich hier habe, kann ich mich jetzt
nicht festlegen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Zweite und letzte Frage von Herrn Kollegen Töns. Bitte schön, Herr Kollege.
Markus Töns (SPD): Herr Minister, wenn ich das
jetzt richtig verfolgt habe, haben Sie noch keine
konkreten Zahlen genannt. Können Sie genau sa-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
gen, um wie viele Stellen es sich in diesem Fall
handelt?
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Für zwei Bereiche hatte ich Zahlen genannt, nämlich für die Botenmeisterei und die Pforte. Dort sind es jeweils
zwei. In der Druckerei – wie gesagt, unter der Überschrift der Empfehlung, die Druckerei wegen
der Digitalisierung aufzugeben – sind es fünf.
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister. – Herr Priggen hat sich gemeldet. Bitte
schön, Herr Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Danke schön, Herr
Präsident. – Herr Minister, dass die Arbeit der
Druckerei in den Landtag verlagert werden soll,
leuchtet mir völlig ein. Die Digitalisierung hat da in
der Tat Effekte. Es ist auch erfreulich, dass Sie
die dort Beschäftigten dann im Haus übernehmen
können.
Trotzdem entsteht an dieser Stelle ein bestimmter
Eindruck. Es sind ja recht einfach bezahlte Stellen. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern,
als wir öfter dort oben waren. Das ist nichts besonders gut Bezahltes. Sie nehmen den dort beschäftigen Leuten jetzt ihren Sicherheitsstatus.
Sie waren vorher Angestellte der Staatskanzlei
mit einfacheren Tätigkeiten. Das ist auch ein
Stück Sicherheit. Das Ganze wird in der üblichen
rabiaten Methode durch Outsourcing ersetzt. Die
auf diesen Arbeitsplätzen Beschäftigten verlieren
ein Stück weit an Sicherheit. Oben im Haus bedienen Sie sich hingegen mit Stellen. Dort oben
wird zu besseren Konditionen eingestellt, während
die Arbeitsplätze für die einfachen Leute unten
über Ausschreibungen an andere abgegeben
werden – mit all den Wechseln, wie wir sie hier
auch manchmal erleben. Können Sie nachvollziehen, dass dieser Eindruck entsteht?
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Priggen. – Herr Minister, bitte.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Nein. Diese
Frage ist – Entschuldigung – ideologisch vorbelastet, und sie ist nicht sauber gestellt, Herr Priggen. Sie kombinieren zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Die eine Frage ist, ob
kw-Stellen in allen Bereichen abgebaut werden.
Ja, das ist der Fall; auch in diesen Bereichen.
Man hat festgestellt – das ist völlig klar –, dass
11556
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Sie dann, wenn Sie in einem Bereich, der mit zwei
Personen besetzt ist, eine kw-Stelle realisieren,
den Leistungsstandard natürlich nicht aufrechterhalten können. Deswegen hat man diesen Mitarbeitern andere Stellen angeboten.
Sie unterstellen, dass dies zu deutlich schlechteren Konditionen erfolgt. Das ist nicht der Fall. Diese Mitarbeiter werden ja nicht an irgendeinen Privaten abgedrängt, der sie schlechter bezahlen
würde, sondern finden an anderen Stellen in der
Landesverwaltung ihre Aufgabe. Ich habe eben
Beispiele genannt, wo dies sogar mit einer Verbesserung für einzelne Beteiligte verbunden gewesen ist.
Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, wenn
Sie aus Ihrer Sicht die einfacher bezahlten oder
schlechter bezahlten Mitarbeiter mit bestimmten
Tätigkeiten gegen andere ausspielen. Das ist
nicht unsere Absicht, und das geschieht auch
nicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Minister. – Frau Steffens mit ihrer dritten und letzten
Frage. Bitte schön, Frau Steffens.
Barbara Steffens (GRÜNE): Danke schön, Herr
Präsident. – Herr Minister, könnten Sie uns bitte
gegenüberstellen, welchen Lohn, als Stundenlohn
umgerechnet, die Mitarbeiter an der Pforte im bisherigen Dienst erhalten haben und welchen Stundenlohn die Einzelnen zukünftig von der beauftragten Firma erhalten werden? Ich spreche also
nicht von dem, was an die Firma gezahlt wird,
sondern vom Stundenlohn der Betroffenen. Ebenso bitte ich Sie um eine Gegenüberstellung der
Urlaubsregelungen, der Kündigungsschutzbestimmungen, der vertraglichen Regelungen, der
Nacht- und Feiertagszuschläge.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)
Dann kann man nämlich erkennen: Wird diese
Stelle wirklich mit genau denselben Rahmenbedingungen wie bisher fortgeführt? Oder ist es eine
Schlechterstellung? Und wenn es keine Schlechterstellung ist, stellt sich für mich die Frage, warum
man dann eine kw-Stelle an einer Stelle umsetzt,
wo eine Stelle nicht ersetzbar ist.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Danke schön. –
Noch einmal zur Klarstellung: Wie ich Ihnen eben
gesagt habe, läuft die Ausschreibung jetzt erst an.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Insofern kann ich Ihnen natürlich noch nicht mitteilen, wer dort zu welchen Konditionen anbietet und
letztlich den Zuschlag erhält. Ich habe Ihnen nur
die Rahmenbedingungen für diese Ausschreibung
genannt. Zu einem späteren Zeitpunkt können wir
das aber sicherlich einmal nachliefern.
In Ihrer Frage war aber auch wieder eine leichte
Verdrehung meiner letzten Antwort enthalten. Ich
habe nicht behauptet, dass diese Stelle von einem privaten Dienstleister zu den gleichen Konditionen – Sie haben Urlaubsregelungen und sonst
etwas genannt – besetzt wird, sondern ich habe
gesagt, dass unsere Mitarbeiter, die derzeit auf
diesen Stellen arbeiten und an anderer Stelle in
der Landesverwaltung – im Haus oder in anderen
Bereichen der Landesverwaltung – eingesetzt
werden, sich nicht verschlechtern werden. Ich habe dazugesagt, dass unsere Zielsetzung nicht ist,
durch diese Ausschreibung Kosten einzusparen.
Die Information, wer am Schluss zu welchen Bedingungen den Zuschlag erhalten hat, liefere ich
Ihnen gerne nach, wenn diese Ausschreibung beendet ist.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Nächster Fragesteller ist Herr Kollege Schmeltzer.
Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Minister, wie Sie
gerade noch einmal wiederholt haben, streben Sie
keine Kostenreduzierungen an und erwarten auch
keine Kostenreduzierungen. Wenn früher ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes eine solche
Stelle bekleidet hat, die Sie jetzt ausschreiben –
unter anderem haben Sie bei den Kriterien die
Bezahlung nach Tarifvertrag aufgezählt; übrigens
handelt es sich bei allen von Ihnen aufgezählten
Kriterien um Kriterien nach dem ursprünglichen
Tariftreuegesetz; dass Sie das so machen, ehrt
Sie –, dann haben Sie auch eine Grundlage dessen, was bezahlt wird.
Jetzt haben Sie diese Stellen kw gestellt und wollen die neuen Stellen outsourcen. Ist es dann so,
dass diese Stellen bei Ihnen haushalterisch ausschließlich in Ihrer Positivbilanz des Stellenabbaus auftauchen, Sie aber gleichwohl Kosten im
Niedriglohnbereich haben, weil beim Outsourcen
nämlich niedrigere Löhne gezahlt werden?
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Sie unterstellen
schon wieder Niedriglöhne.
11557
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das muss so sein
nach Ihrer Rechnung! – Heike Gebhard
[SPD]: Das macht ja keinen Sinn!)
– Sorry! Der Sinn liegt nicht im Einsparen – auch
wenn Sie das nicht verstehen wollen –, sondern
im Abbau und der Realisierung von kw-Stellen in
diesem Bereich.
Deswegen haben Sie von der Logik her natürlich
vollkommen recht: Es taucht zwar beim Abbau der
kw-Stellen auf, nicht aber sozusagen auf der Kostenseite. Völlig klar!
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Nächste Fragestellerin ist Frau
Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Minister, der Ministerpräsident sieht sich gerne in einer gewissen
Tradition sozialpolitischer Verantwortung. In der
Tat hält er den Unternehmen vor, dass sie sozialpolitische Tugenden entwickeln können.
Angesichts der Schuhe, in die er gerne hineinwachsen möchte, frage ich Sie: Sind Sie der Meinung, dass Johannes Rau solche Manöver auch
durchgeführt hätte?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Ich glaube, dass
es ziemlich geschmacklos ist, einen verstorbenen
Ministerpräsidenten für eine solche Frage zu instrumentalisieren.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Als nächster
Fragesteller hat der Kollege Priggen für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte
schön, Herr Kollege.
Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Minister, ich will
Ihnen ganz kurz widersprechen. Ich finde es überhaupt nicht geschmacklos, zu fragen, wie man
mit Leute in den einfachsten Stellenbereichen
umgeht. Meine Anerkennung dafür, dass die, die
im Moment diese Stellen besetzen, im Haus versorgt werden. Das ist akzeptiert und längst verstanden.
Sie haben selber gesagt, dass die Ausschreibungen noch laufen. Unsere ganze Lebenserfahrung
sagt doch, dass Outsourcen dazu führt, dass Unternehmen die Stellen schlechter bezahlen, einen
geringeren Sicherheitsstatus vorhalten als die Beschäftigten, die dort im Moment arbeiten.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Minister Andreas Krautscheid: Das mag
sein! Ich kenne das Ergebnis der Ausschreibung genauso wenig wie Sie!)
– Das Ergebnis dieser konkreten Ausschreibung
können wir noch nicht kennen. Sie läuft ja noch.
Das ist völlig klar. Nur ist es bisher immer so gewesen.
Sagen Sie mir doch einmal, was eigentlich Ihr Ziel
ist, wenn Sie damit kein Geld einsparen wollen.
Denn wenn es um die gleichen Löhne und Kosten
geht, ist das ganze Manöver doch unsinnig. Dann
könnten Sie die Leute auch dort belassen, wo sie
sind. Irgendein Ziel müssen Sie doch verfolgen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Priggen. – Herr Minister, Sie haben
das Wort zur Beantwortung.
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Zum dritten Mal:
Das Ziel ist nicht die Realisierung geringerer Kosten, sondern der Abbau von kw-Stellen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth:
Fragesteller ist Herr Kollege Becker.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11558
Nächster
Horst Becker (GRÜNE): Herr Minister Krautscheid, darf ich Sie vor dem Hintergrund der Antwort, die Sie gerade dem Kollegen Priggen gegeben haben, dahin gehend interpretieren, dass es
nicht darum geht, durch die Realisierung von kwStellen Geld einzusparen, sondern darum, auf
dem Papier kw-Stellen tatsächlich abgebaut zu
haben? Ist das das alleinige Ziel der Maßnahme?
Oder gibt es andere Ziele?
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Wenn ich den
Auftrag dieses Hauses und damit des Haushaltsgesetzgebers richtig verstehe, ist der Abbau von
kw-Stellen nichts, was bloß auf dem Papier vorgenommen wird. Es ist ein direkter Auftrag an die
Landesregierung, solche Stellen abzubauen. Ich
würde mich nie erdreisten, den Willen des Haushaltsgesetzgebers so niedrig einzuschätzen, wie
Sie ihn gerade beschrieben haben.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Es gibt noch
eine weitere Frage von Herrn Kollegen Becker.
Bitte schön, Herr Kollege.
Horst Becker (GRÜNE): Welchen Sinn hat es
denn aus Ihrer Sicht, Herr Minister Krautscheid,
kw-Stellen abzubauen?
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Diese Frage
von einem Profi überrascht mich. Aber wenn Sie
denn beantwortet werden soll – gerne. Personalabbau in einer Landesregierung, die diese Größe
hat, auf die sie in den letzten Jahren insbesondere von Ihnen gebracht worden ist, ist in jedem Fall
ein sinnvoller und richtiger Zweck und folgt dem
Willen des Gesetzgebers in diesem Hause.
(Heike Gebhard [SPD]: Auch wenn man keinen einzigen Euro dabei spart?)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Eine weitere
Frage von Frau Kollegin Beer, die sie jetzt stellen
kann. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Minister, danke
schön für Ihre Antwort. Ich will dem gerne immer
nachgehen, wenn sich der Herr Ministerpräsident
mit Herrn Rau vergleicht. Das wird eine interessante Verfolgung Ihres Ansatzes sein, über das
Thema „Geschmacklosigkeit“ ganz neu zu diskutieren.
Zu meiner Frage. Sie haben eben von den tariflichen Bedingungen gesprochen. Welche Tarife
setzen Sie in der Ausschreibung denn an, welche
erwarten Sie?
Andreas Krautscheid, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Der konkrete
Ausschreibungstext liegt mir nicht vor. Ich kann
Ihnen den aber gerne zur Verfügung stellen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Meine sehr
verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, weitere Nachfragen zur Mündlichen
Anfrage 223 liegen mir nicht vor. Ich danke Herrn
Minister Krautscheid für die Beantwortung.
Ich rufe die
Mündliche Anfrage 224
der Frau Abgeordneten Gebhard von der Fraktion
der SPD auf:
Warum hat Minister Pinkwart Frau Höhler
nicht abberufen?
Im April 2007 wurde Frau Prof. Dr. Höhler in
den Hochschulrat der Universität Paderborn
gewählt und gehört seitdem diesem Gremium
an. Kurz darauf geriet sie in die öffentlicher
Kritik, nachdem bekannt wurde, dass sie zwei
Büroräume in einem ihr gehörenden Haus in
Zwickau
an
den
sächsischen
NPDLandtagsabgeordneten Peter Klose vermietet
hat, der die Räumlichkeiten als Bürgerbüro
Landtag
Nordrhein-Westfalen
nutzt. Höhler bestritt jedoch, vom NPDHintergrund ihres Mieters gewusst zu haben,
obschon sie laut Klose den Mietvertrag unterschrieben hatte.
Wissenschaftsminister Pinkwart forderte daraufhin Höhler am 22. Juni 2007 dazu auf, von
ihrem neuen Amt als Mitglied des Hochschulrats der Universität Paderborn zurückzutreten.
Höhler lehnte einen Rücktritt jedoch ab. Sie
könne keinen Fehler ihrerseits erkennen,
denn die NPD sei eine zugelassene Partei,
die dem sächsischen Landtag angehöre. Am
2. Juli 2007 entzog der Hochschulrat der Universität Paderborn Frau Höhler das Mandat in
der Findungskommission zur Vorbereitung der
Wahl der künftigen Hochschulleitung. Zu einem Rücktritt kam es nicht.
Nach Antwort des Ministeriums auf meine
Kleine Anfrage (Drucksache 14/7224) vom
28. Juni 2008 wäre es dem Minister aber
durchaus möglich gewesen, ein Mitglied eines
Hochschulrates abzuberufen. In der Sitzung
des Wissenschaftsausschusses vom 14. August konnte er diesen Widerspruch jedoch
nicht auflösen.
Warum hat Minister Pinkwart Frau Höhler trotz
der ihm gegebenen rechtlichen Möglichkeiten
nicht abberufen, obwohl er öffentlich ihren
Rücktritt forderte?
Ich bitte Herrn Minister Dr. Pinkwart um Beantwortung.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Frau Gebhard, in dieser Sache
gibt es nichts, was ich nicht schon mehrfach im
Plenum und im Ausschuss vorgetragen hätte. Neu
ist lediglich Ihre Mündliche Anfrage, die den Eindruck zu erwecken versucht – ich hatte Ihnen das
jüngst im Ausschuss schon einmal darlegen können –, ich hätte im genannten Fall darauf verzichtet, gegen das inakzeptable Verhalten eines
Hochschulratsmitgliedes vorzugehen, obwohl dazu juristisch die Möglichkeit bestanden hätte. Das
ist eindeutig falsch. Dagegen verwahre ich mich
auch.
Richtig ist – das erläutere ich gerne noch einmal –,
dass ich schon im Sommer des vergangenen Jahres sehr klar gesagt habe, dass ich das Verhalten
von Frau Höhler für inakzeptabel halte. Daran hat
sich nichts geändert. Das Amt eines Hochschulratsmitglieds ist eine höchst verantwortungsvolle
Tätigkeit, die hohe Anforderungen an die persönli-
11559
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
chen Fähigkeiten und die Reputation der Persönlichkeit stellt. Ich habe Frau Höhler damals persönlich und auch öffentlich aufgefordert, ihr Amt im
Hochschulrat der Universität Paderborn niederzulegen. Daran, wie ich diesen Einzelfall persönlich
und politisch bewerte, kann es insofern keinen
Zweifel geben.
Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob das
Verhalten von Frau Höhler justiziabel ist. Das ist
nicht der Fall. Einschlägig ist hier § 86 Verwaltungsverfahrensgesetz, der sehr spezielle und
sehr hohe Hürden für eine Abberufung errichtet.
Er lautet – ich zitiere –:
Personen, die zu ehrenamtlicher Tätigkeit herangezogen worden sind, können von der Stelle, die sie berufen hat, abberufen werden, wenn
ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger
Grund liegt insbesondere vor, wenn der ehrenamtlich Tätige 1. seine Pflicht gröblich verletzt
oder sich als unwürdig erwiesen hat, 2. seine
Tätigkeiten nicht mehr ordnungsgemäß ausüben kann.
Wie diese Kriterien juristisch zu interpretieren sind –
denn hier zählt eben nicht die persönliche oder die
politische Auslegung –, dazu liegen zahlreiche Gerichtsurteile vor. Danach rechtfertigt zum Beispiel
noch nicht einmal jede Straftat eine Abberufung wegen Unwürdigkeit. Unter dem Strich ergibt sich damit
eindeutig, dass ein Fall wie der hier diskutierte nicht
justiziabel ist.
Soweit ich weiß, ermittelt auch die Staatsanwaltschaft nicht. Das mag man bedauern, dabei sollte
man aber nicht vergessen, dass hohe Hürden für
den Eingriff des Staates in die verselbstständigten
Hochschulen einen guten Grund haben. Andernfalls würden die verselbstständigten Hochschulen
nämlich sehr leicht wieder in genau die politischen
Kämpfe hineingezogen, aus denen sie durch das
neue Hochschulrecht gerade entlassen werden
sollten. Es wäre geradezu absurd, wenn sich ausgerechnet dort, wo die wichtigen Entscheidungen
für die Entwicklung einer Universität getroffen
werden, der Minister oder die Ministerin das letzte
Wort gesichert hätte. Ein Durchgriffsrecht des
Staates konterkariert die Autonomie der Hochschulen.
Im Übrigen hat gerade der Hochschulrat in Paderborn bewiesen, dass er aus Autonomie heraus
handlungsfähig ist. Er hat Frau Höhler nahegelegt, ihr Amt niederzulegen, und er hat sie aus der
Findungskommission abgezogen, die zur Vorbereitung der Wahl der neuen Präsidiumsmitglieder
eingerichtet worden ist. Der Hochschulrat in Paderborn lässt auch ansonsten keinen Zweifel dar-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
an, dass er handlungsfähig ist und gute Arbeit
leisten kann.
Mein letzter Punkt. Zu einer fairen Gesamteinschätzung würde es gehören, zur Kenntnis zu
nehmen, dass mittlerweile alle 26 öffentlichrechtlichen Universitäten und Fachhochschulen
die Zusammensetzung der neuen Hochschulräte
beschlossen haben. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Anzahl von Persönlichkeiten aus allen
gesellschaftlichen Bereichen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11560
eben in der Beantwortung der Anfrage von Frau
Gebhard sowohl im speziellen Fall wie auch in der
allgemeinen Begründung zum Ausdruck gebracht.
Ich bin gerne bereit, das noch einmal vorzutragen.
Ich denke aber, ich habe das in so deutlicher
Klarheit und so umfassend dargestellt, dass das
nicht noch einmal erforderlich ist.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin
Beer.
Insgesamt sind 216 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und anderen Gesellschaftsbereichen in den neuen Hochschulgremien tätig. 146
kommen von außerhalb der Hochschulen. Mit 67
Persönlichkeiten aus der Wirtschaft sind die Vertreter dieses Bereichs im Übrigen – anders, als
immer wieder gerne behauptet – nicht dominant in
den Hochschulräten vertreten. Vielmehr ist ihr Anteil ungefähr genauso stark wie der der 64 dort
vertretenen Frauen und liegt bei rund 30 %. Was
die Frauen betrifft – da würden Sie mir sicher zustimmen –, hatte ich das als ausbaufähig eingeschätzt. – Ich danke Ihnen.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Minister Pinkwart,
das Verhalten von Frau Höhler ist in der Tat als
unwürdig zu bezeichnen, nicht nur der Vorgang
an sich, sondern auch das Verhalten gegenüber
der Hochschule, die Auseinandersetzung und die
mangelnde Transparenz. Sie haben sich nach
meiner Einschätzung als Minister erst relativ spät
dazu durchgerungen, sie zum Rücktritt aufzufordern.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Es gibt eine Nachfrage von Frau
Kollegin Seidl. Bitte schön, Frau Seidl.
Ich frage Sie aber, ob Sie vor der Anhörung, auf
die sich die Kollegin Gebhard bezieht, jemals die
Prüfung nach Verwaltungsverfahrensgesetz vorgenommen haben, ob Ihnen eine Abberufung von
Frau Höhler möglich ist.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Minister, stimmen Sie mir zu, dass
die Position der Hochschulräte in NordrheinWestfalen ziemlich einzigartig ist: dass sie weder
irgendjemandem rechenschaftspflichtig sind noch
abberufen werden können? Ich glaube, Juristen
nennen so etwas eine unverantwortete Herrschaft.
(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)
– Prof. Löwer hat das so betitelt. Der kennt sich
mit diesen Begrifflichkeiten sicher aus.
Wenn Sie juristisch nichts unternehmen können,
warum ist dann keine Abberufungsklausel in Ihrem Gesetz vorgesehen?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Seidl, das
habe ich Ihnen schon im vergangen Jahr in Fragestunden wie in der Beratung von Plenaranträgen dargelegt. Ich habe das sehr ausführlich auch
(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)
– Ja, Sie haben sich sehr lange Zeit gelassen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Frau Beer, ich kann das, glaube ich, sogar mit Rückgriff auf Fragestunden des
vergangenen Jahres beantworten. Denn ich hatte
Ihnen damals, wenn ich mich recht erinnere –
deswegen habe ich mich gewundert, dass es überhaupt noch einmal zu einer solchen Nachfrage
kam –, genau die Rechtsauskunft gegeben, die
ich Ihnen jetzt auch gegeben habe.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin
Gebhard.
Heike Gebhard (SPD): Wir haben das seinerzeit
anders verstanden, nämlich ähnlich, wie das in
der Presse dokumentiert ist.
(Zuruf)
– Wir können das nachvollziehen. Sie haben im
Sommer des letzten Jahres in der Tat Ihren Unmut geäußert und Frau Höhler zum Rücktritt auf-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
gefordert. In der Presse, beispielsweise in der
„Rheinischen Post“, war damals zu lesen: Absetzen kann er die geschäftstüchtige Frau jedoch
nicht.
(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Sehr
richtig!)
Das heißt, es war bei uns der Eindruck entstanden, und zwar mit Rückgriff auf das zurzeit gültige
Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen, dass es
eine Möglichkeit der Abberufung durch denjenigen, der eingesetzt hat, nicht gibt. Sie haben damals meiner Erinnerung nach keinen Rückgriff auf
das Landesverfahrensgesetz gemacht.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Darf ich Sie
bitten, eine Frage zu stellen.
Heike Gebhard (SPD): Dieses ist erstmalig in der
Anhörung zum Ausdruck gekommen. Das ist die
Frage, die hier zu klären ist. Es geht nicht grundsätzlich um die Frage, wie Hochschulräte zusammengesetzt sind, sondern es geht um die Frage:
Reicht Ihnen das Landesverfahrensgesetz im Falle eines Falles aus, und warum hat es Ihnen im
Fall Höhler nicht ausgereicht, wenn er doch auch
aus Ihrer Sicht so unwürdig ist, um das Verfahren
der Abberufung einzuleiten?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Frau Gebhard. – Herr Minister, bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Liebe Frau Gebhard, ich versuche es
noch einmal. Ich hatte Ihnen im vergangenen Jahr
genau das gesagt, was ich Ihnen auch heute gesagt habe. Es gibt keine rechtliche Möglichkeit zur
Abberufung. Das habe ich Ihnen so dargelegt.
(Heike Gebhard [SPD]: Nach dem Hochschulgesetz!)
– Nicht nur nach dem nicht. Wir haben das rechtlich geprüft. Dazu gibt unser Rechtssystem, auch
nicht das neue Hochschulrecht, keinen ergänzenden Ansatzpunkt. Ich habe Ihnen auch begründet,
warum nicht: weil wir uns eben nicht das Recht
geben wollten, aus anderen Erwägungen, als das
Verwaltungsverfahrensgesetz sie eröffnet, Zugriff
zu nehmen. Das habe ich Ihnen auch damals
schon dargelegt. Auch sonst gab es keine rechtliche Möglichkeit.
Man kann das wie Frau Beer jetzt natürlich politisch mit irgendwelchen Begriffen belegen. Ich
habe gesagt „inakzeptabel“. Sie haben einen an-
11561
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
deren Begriff gewählt. Aber welchen Begriff Sie
auch wählen, Sie müssen es justiziabel machen.
Ich hatte Ihnen damals dargelegt: Es ist rechtlich
nicht möglich. – Das lege ich Ihnen auch heute
noch einmal dar. Das ist die Rechtsauffassung,
die wir in dem Vorgang über den gesamten Zeitraum vertreten haben.
Im Übrigen, wenn ich das noch einmal sagen darf,
Frau Beer, hatte ich nicht den Eindruck, dass wir
in irgendeiner Weise zeitverzögert reagiert hätten,
sondern ich glaube, das lief in aller Klarheit und in
großer Zeitnähe zu dem Vorgang ab, der ja auch
seine eigene Entwicklung hatte, wo sich einiges
über die Zeit entwickelt hatte. – Das ist die
Rechtsauffassung.
Neben der Rechtsauffassung zu dem einzelnen
Vorgang ist mir noch einmal wichtig darauf hinzuweisen, dass die Hochschulräte aus gutem Grund
Unabhängigkeit besitzen, eine Unabhängigkeit,
wie sie – das habe ich Ihnen auch schon einmal
als Parallele hier vorgetragen – etwa auch der
Wissenschaftsrat besitzt. Die dort vom Bundespräsidenten berufenen Persönlichkeiten können
auch nicht wieder abberufen werden, es sei denn,
dieser von mir eben genannte Paragraf wäre einschlägig. Ansonsten sind sie für die Amtszeit berufen. So ist es für diese Gremien auch. Ich halte
das gerade mit Bezug auf die Unabhängigkeit, die
wir den Hochschulen geben wollen und die Wissenschaft und Forschung auch verdient haben, für
absolut begründet.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin
Boos, bitte.
Dr. Anna Boos (SPD): Das Verhalten von Frau
Höhler haben Sie ja gerade selbst, Herr Minister
Pinkwart, als inakzeptabel bezeichnet. Es ging ja
darum, dass eine Wohnung an einen Abgeordneten der NPD vermietet wurde. Mich würde interessieren: Hat Frau Höhler dieses Mietverhältnis
mittlerweile aufgelöst? Gibt es da eine neue Erkenntnis?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
wollen Sie die Frage beantworten?
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Das kann ich gerne versuchen zu klären, soweit
mir das möglich ist, und Ihnen mitteilen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wie beim letzten Mal!
Das ist die gleiche Situation! Sie wussten
nicht Bescheid!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege
Eumann, bitte.
Marc Jan Eumann (SPD): Herr Minister Pinkwart,
Sie haben jetzt noch einmal ausdrücklich verteidigt, dass Sie mit Hinweis auf die Unabhängigkeit
jede Form einer Abberufungsmöglichkeit innerhalb des Hochschulgesetzes für nicht erforderlich
halten. Wie schätzen Sie denn die Höhe des
Schadens für die Universität durch das Mitglied
des Hochschulrates Höhler ein? Glauben Sie
nicht auch, dass Sie in der Verantwortung sind,
Schaden von der Universität abzuwenden?
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11562
Nachfragewünsche liegen mir nicht vor, sodass
ich mich bei Herrn Minister Dr. Pinkwart für die
Beantwortung der Mündlichen Anfrage 224 bedanke.
Ich rufe die
Mündliche Anfrage 225
des Herrn Abgeordneten Schultheis von der Fraktion der SPD auf, der sich durch den Kollegen
Eumann vertreten lässt:
Privatuniversität Witten-Herdecke
Bereits im Mai 2008 hatte ich Minister Pinkwart in der Fragestunde die Frage gestellt, die
ich heute wieder stelle.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Damals hatte Minister Pinkwart geantwortet:
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Herr Abgeordneter, ich könnte ja jetzt
sagen – was nicht meine Art ist –: In der Weise, in
der Sie das hier thematisieren, könnten Sie Gefahr laufen, der Hochschule Schaden zuzufügen.
„Die Fortsetzung der Landesförderung ist allerdings an Bedingungen gebunden. Sie setzt
zwingend eine mittelfristige Finanzplanung
voraus, aus der sich ergibt, dass bei dieser
Gesamtfinanzierung der wirtschaftliche Fortbestand der Hochschule für die nächsten Jahre realistisch erscheint. Zu dieser Planung
muss es eine entsprechende Stellungnahme
eines Wirtschaftsprüfers bzw. einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geben. Eine entsprechend testierte Planung einschließlich der
erforderlichen Sicherheiten für den dauerhaften Bestand des Hochschulbetriebs liegt der
Landesregierung zurzeit noch nicht vor. Sie
bleibt vor allen weiter gehenden Entscheidungen zunächst abzuwarten.“
(Beifall von der CDU)
Der Schaden selbst, soweit er gegeben sein sollte, ist im vergangenen Jahr eingetreten. Das
muss man so sehen. Da gab es sicherlich durch
die Personalie auch eine öffentliche Wirkung, die
für die Hochschule nicht von Vorteil war. Damit
hat die Hochschule aber in exzellenter Weise umgehen können, und zwar der Hochschulratsvorsitzende und die anderen Mitglieder des Hochschulrates.
Drei Monate später stellt sich die Situation der
Privatuniversität sogar noch dramatischer dar:
(Beifall von Dr. Michael Brinkmeier [CDU])
Sie haben ein tolles Präsidium gewählt. Paderborn ist sehr erfolgreich. Auch an dieser Stelle
muss man daher sagen – wir werden ja gleich
noch eine Debatte zu einer anderen Hochschule
haben –: Sosehr Sie sich auch bemühen – das
verdient ja eine gewisse Anerkennung –, es gelingt Ihnen nicht und schon gar nicht mit solchen
Beispielen, unser Hochschulfreiheitsgesetz auch
nur im Ansatz infrage zu stellen. Dafür ist es
schlicht und ergreifend zu erfolgreich. Das muss
ich „leider“ so sagen.
(Beifall von CDU und FDP – Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: Wieso „leider“? –
Gegenruf von Minister Prof. Dr. Andreas
Pinkwart: Ja, für Sie leider!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Meine sehr verehrten Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere
–
Die Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat ist weiterhin nicht gesichert. Der
Antrag ist beim Wissenschaftsrat wegen
der fortlaufenden Schwierigkeiten der
Hochschule immer noch nicht abschließend
behandelt worden.
–
Die Finanzierung der Privatuniversität ist
weiterhin nicht nachhaltig gesichert. Der
Kapitalstock ist dramatisch gesunken und
der letzte Großinvestor nunmehr ausgestiegen.
–
Zudem stellen sich immer wieder neue
rechtliche Fragen. Anscheinend hält neuerdings die sogenannte „Allianz für Bildung“
faktisch die Mehrheit an der Privatuniversität und kann den Kurs der Hochschule bzw.
den Verkauf ihrer Anteile im Alleingang
bestimmen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Wie wird die Landesregierung vor diesem Hintergrund unter Beachtung der haushaltsrechtlichen Kriterien weitere Förderentscheidungen
für die Privatuniversität Witten-Herdecke treffen?
Ich darf Herrn Minister Prof. Dr. Pinkwart um Beantwortung bitten.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Eumann, im Mai dieses Jahres hatte ich aufgrund
der damaligen Mündlichen Anfrage zu der Privatuniversität Witten-Herdecke bereits ausgeführt,
dass sich das Land nach Anhörung der Hochschule beim Wissenschaftsrat für die Verschiebung der Reakkreditierung um zwei Jahre eingesetzt hat. Damit soll der Hochschule ein hinlänglich langer Zeitraum eingeräumt werden, die vom
Wissenschaftsrat geforderten Maßnahmen umzusetzen. Der Wissenschaftsrat hat im Juli dieses
Jahres einer Verschiebung des Reakkreditierungsverfahrens um zwei Jahre zugestimmt. Damit hat die Hochschule jetzt insbesondere die
Chance, ihre Forschungsleistung und die personelle Ausstattung in der Medizin weiter zu verbessern sowie die Klinikkooperation zu aktualisieren.
In diesem Kontext erheben Sie – wie bereits in
der Mündlichen Anfrage im Mai dieses Jahres –
die Frage, wie die Landesregierung unter Beachtung der haushaltsrechtlichen Kriterien weitere
Förderentscheidungen für die private Universität
Witten-Herdecke treffen wird. Hierzu darf ich noch
einmal wie bereits im Mai dieses Jahres ausführen, dass eine Fortsetzung der Landesförderung
zwingend eine mittelfristige Finanzplanung voraussetzt, deren Annahmen realistisch erscheinen.
Aus der Planung muss sich ergeben, dass bei ihrer Umsetzung die Gesamtfinanzierung und damit
der wirtschaftliche Fortbestand der Hochschule für
die nächsten Jahre gesichert erscheinen. Darüber
hinaus bedarf es einer entsprechenden Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers bzw. einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu dieser Planung.
Eine entsprechend testierte Planung einschließlich der erforderlichen Sicherheiten für den dauerhaften Bestand des Hochschulbetriebes liegt der
Landesregierung weiterhin noch nicht vor. Sie
bleibt vor allen weitergehenden Entscheidungen
zunächst abzuwarten.
Diese Verfahrenslage hat sich durch die zwischenzeitlich beendete Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und einem Förderer nicht
verändert. Nach den mir vorliegenden Informatio-
11563
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
nen plant die Hochschule im Übrigen, bis Mitte
September dieses Jahres eine testierte Planung
vorzulegen.
Kurzum: Die Zuwendung wird ausgezahlt, sobald
die Hochschule dies beantragt und gleichzeitig
nachweist, dass alle zuwendungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Mir liegt eine Nachfrage von
Herrn Kollegen Eumann vor. Bitte schön, Herr
Kollege.
Marc Jan Eumann (SPD): Herzlichen Dank, Herr
Minister für die Bewertung.
Es ist überraschend, dass Sie die Auswirkungen
des Ausstiegs des Investors Droege offensichtlich
als nicht so gravierend bezeichnen. Haben Sie
nach dem Ausstieg Kontakt gehabt und Informationen über die akute Finanzlage der Universität
bekommen?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter
Herr Eumann, meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen dargelegt, dass uns die Hochschulleitung
im Nachgang zur öffentlichen Bekanntgabe des
Ausstiegs dieses Förderers von sich aus mitgeteilt
hat, dass sie bis Mitte September auf uns zukommen wolle, um die offenen Fragen, die zu klären notwendig sind, um einen entsprechenden
Zuwendungsantrag stellen zu können, bei uns
einzubringen. Darauf warten wir.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ich habe
noch eine weitere Nachfrage von Herrn Kollegen
Eumann, bitte schön.
Marc Jan Eumann (SPD): Im Zuge der Berichterstattung war zu lesen, dass die Anteile, die eigentlich die Familie Droege erwerben wollte, durch
andere Teilnehmer erworben werden sollen. Sind
Ihnen die Namen der voraussichtlichen Spender
bekannt? Können Sie das schon einschätzen und
bewerten?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Herr Eumann, meine sehr verehrten Damen und
Herren, das kann ich mit einem klaren Nein beantworten.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11564
malzustandes“ bewegen. Ich glaube jedoch sagen
zu dürfen, dass es solche Situationen für Witten/Herdecke wiederholt auch schon weit vor unserer Regierungsübernahme gegeben hat.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin
Gebhard, bitte.
Heike Gebhard (SPD): Sie haben gerade ausgeführt, Herr Minister, dass der Wissenschaftsrat für
die Akkreditierung der Studiengänge noch zwei
Jahre Aufschub gewährt hat. Welche Konsequenzen hat es für die neuen Studentinnen und Studenten, die im Wintersemester beginnen, wenn
sie in Studiengängen studieren, die nicht akkreditiert sind? Müssen sie irgendwelche Nachteile im
Hinblick auf die Anerkennung ihres Abschlusses
befürchten?
(Zuruf von Marc Jan Eumann [SPD])
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Minister. – Weitere Nachfragen liegen mir
nicht vor, sodass ich die Mündliche Anfrage 225
an dieser Stelle als beantwortet betrachte.
Da wir nun die vorgesehene Stunde großzügig
überschritten haben, frage ich den Fragesteller
der Mündlichen Anfrage 226, den Kollegen Töns
von der Fraktion der SPD, ob er seine Anfrage
schriftlich oder in der nächsten Plenarsitzung beantwortet haben möchte.
(Markus Töns [SPD]: In der nächsten Plenarsitzung!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Frau Präsidentin, liebe Frau Gebhardt, meine
Damen und Herren, nein, der Wissenschaftsrat
hat mit dieser Verschiebung des Akkreditierungsverfahrens, die mit ihm abgestimmt worden ist,
auch die Zustimmung gegeben, dass der Studienbetrieb, was die Qualität für die Studierenden
betrifft, fortgesetzt werden kann.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege
Eumann.
Marc Jan Eumann (SPD): Wir werden abzuwarten haben, ob Sie das für Mitte September Zugesagte rechtzeitig erreicht. Machen Ihnen die
jüngsten Meldungen aus Witten/Herdecke irgendwelche Sorgen oder sind Sie mit der Situation dort aus Sicht des Wissenschaftsministers von
Nordrhein-Westfalen glücklich, zufrieden und einverstanden, Herr Pinkwart?
(Lachen von Dr. Gerhard Papke [FDP])
– Mündlich in der nächsten Plenarsitzung.
Mündliche Anfrage 227 des Kollegen Rudolph
für die Fraktion der SPD? – Schriftlich. (Siehe
Anlage)
Mündliche Anfrage 228 des Kollegen Becker? –
Ebenfalls schriftlich. (Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 229 des Abgeordneten Becker? – Ebenfalls schriftlich. (Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 230 der Frau Abgeordneten
Düker? – Schriftlich. (Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 231 der Frau Abgeordneten
Stotz von der Fraktion der SPD? – Schriftlich.
(Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 232 der Frau Abgeordneten
Beer? – Schriftlich. (Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 233 der Frau Kollegin Beer?
– Ebenfalls schriftlich. (Siehe Anlage)
Mündliche Anfrage 234 des Abgeordneten Sichau von der Fraktion der SPD?
(Carina Gödecke [SPD]: Beim nächsten Plenum!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
bitte.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter
Herr Eumann, meine Damen und Herren, ich kann
nicht ganz so weit in die Jahre der Vorgängerregierung zurückblicken, aber nach meinem Eindruck der letzten drei Jahre und den Informationen, die ich aus der Vergangenheit zur Kenntnis
genommen habe, würde ich nicht so weit gehen
zu sagen, dass wir uns im Rahmen eines „Nor-
– Beim nächsten Plenum mündlich, wie Frau
Gödecke in Vertretung von Herrn Abgeordneten
Sichau mitteilt.
Damit ist die Fragestunde für heute erledigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe
auf:
4
Von Siegen lernen – Hochschulautonomie
braucht Hochschuldemokratie
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7350
In Verbindung mit:
Demokratie an den Hochschulen wieder
herstellen
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7341
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Kollegen Eumann das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Marc Jan Eumann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dass diese Landesregierung und die sie
tragenden Fraktionen Opfer ihrer eigenen Politik
und damit ihrer politischen Ohnmacht geworden
sind, hat sich gerade schon bei der Beantwortung
der Frage um die Rolle von Frau Dr. Höhler im
Hochschulrat von Paderborn gezeigt.
Was sich am Hochschulstandort Siegen abgespielt hat, ist allerdings mehr als eine politische
Ohnmacht. Meine Damen und Herren von CDU
und FDP, Sie haben es jetzt amtlich. Die Vorgänge rund um die Wahl eines neuen Rektors an der
Universität Siegen haben deutlich gemacht: Ihr
nordrhein-westfälisches Hochschulgesetz hat der
Hochschulautonomie großen Schaden zugefügt.
Die Entmachtung der Selbstverwaltungsgremien
der Hochschulen gegenüber dem Hochschulrat
wurde in Siegen offenkundig. Herr Minister Pinkwart, das haben Sie persönlich politisch zu verantworten.
Ohne zeitlichen Vorlauf, ohne Rücksprache mit
dem Senat der Hochschule, ohne eine transparente Auswahl von möglichen Kandidatinnen und
Kandidaten und unter größtmöglicher Geheimhaltung hat der Hochschulrat der Universität Siegen
einen Rektor gewählt. Es ist gut, dass der Senat
diesen Vorschlag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt hat.
Sie haben es aber politisch zu verantworten, dass
eine Mehrheit des Hochschulrates das Votum des
Senats hätte überstimmen können. Mit einer
Zweidrittelmehrheit hätte sich der Hochschulrat
über diesen – wie wir meinen skandalösen – Vorgang hinwegsetzen können. Erst dank der massiven öffentlichen Kritik und der Absage des auserwählten Kandidaten Steinbach ist jetzt ein neues
Verfahren eingeleitet worden. Sie haben der
Hochschulautonomie einen Bärendienst erwiesen.
11565
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Der Senat hat in einer bemerkenswerten Resolution deutlich gemacht, wo die Schwäche Ihrer
Konstruktion liegt. Ich zitiere:
Der Hochschulrat hat in seiner letzten Sitzung
einen externen, innerhalb der Hochschule unbekannten Kandidaten zum Rektor gewählt.
Obwohl dieses Verfahren gesetzeskonform ist,
verletzt es grundsätzliche akademische Verfahrensweisen, nach denen ein Kandidat vor der
Wahl zum Rektor eine breite Basis in der
Hochschule haben sollte. Der Senat missbilligt
dieses Vorgehen und sieht die Basis der Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und
dem Hochschulrat beschädigt.
Geradezu versöhnlich heißt es weiter, der Senat
wünsche sich für die Zukunft eine konstruktivere
Zusammenarbeit.
Herr Pinkwart, der Anlass dieser Resolution
macht deutlich, die Lehrenden, die Mitarbeiter und
die Studierenden an den Hochschulen haben
durch Ihr Hochschulgesetz an Freiheit verloren.
Das ist der politische Vorgang, den man am Beispiel des Hochschulrats Siegen und der Wahl eines Rektors zu thematisieren hat. Dafür tragen
Sie – ich wiederhole mich – die Verantwortung.
Die akademische Selbstverwaltung haben Sie
durch eine zentralistische Struktur ersetzt. Deswegen fordern wir Sie auf, Ihr verfehltes und die
Hochschulautonomie
beschädigendes
Hochschulgesetz zurückzuziehen und endlich ein besseres Gesetz vorzulegen. Wir fordern auch eine
angemessene und ausreichende Beteiligung aller
Gruppen an der Hochschule. Wir sagen offen, der
Hochschulrat der Universität Siegen ist gut beraten, wenn er seinen Hut nimmt – allen voran der
Vorsitzende.
Nachdem die Vorgänge in Siegen öffentlich bekannt wurden, habe ich mich während der gesamten letzten Wochen gefragt: Wie hätte der Siegener Professor Pinkwart reagiert? Ich hoffe, er wäre genauso entsetzt gewesen wie seine Kolleginnen und Kollegen in seinem Fachbereich. Ich hoffe, er hätte die massive Beschneidung seiner demokratischen Mitspracherechte kritisiert und die
Beschlüsse seiner Kolleginnen und Kollegen mitgetragen.
Lassen Sie mich abschließend eine für die SPD
ganz entscheidende Bemerkung machen. Wir reden nicht abstrakt über ein Gesetz und darüber,
was es an einer Hochschule anzurichten vermag.
Der Hochschulrat hat billigend in Kauf genommen,
dass die hervorragende Arbeit eines amtierenden
Rektors auf eine beschämende Art und Weise beschädigt worden ist. Am Ende ist sie auch für Sie
Landtag
Nordrhein-Westfalen
beschämend, Herr Minister Pinkwart. Sie haben
Strukturen geschaffen, die ein solches Verfahren
erst möglich gemacht haben.
Im Namen der SPD-Fraktion stelle ich fest: Wir
wissen, welche großen Leistungen Herr Rektor
Schnell für die Universität Siegen geleistet hat.
Wir konnten uns bei unserem Besuch in Siegen
im Frühjahr 2007 persönlich davon überzeugen.
Ihre politischen Entscheidungen haben es ermöglicht, dass hier Schaden angerichtet worden ist.
Wir bedauern das sehr. Wir wissen um die hervorragende Arbeit von Rektor Schnell. Ich darf mich
sehr herzlich für seine Arbeit bedanken. – Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Eumann. – Als nächste Rednerin hat
für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Dr. Seidl das
Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Pinkwart!
Der Senat der Universität Siegen hat uns heute in
einem offenen Brief noch einmal aufgefordert –
ich zitiere –, das Ungleichgewicht zwischen Hochschulrat und gewählten Gremien der Universität
bei der Rektorwahl zu mildern, größere Verfahrensklarheit herzustellen und dafür im Gesetz eine
entsprechende Abhilfe zu schaffen. – Dieser Brief
ist eben bei uns eingegangen.
Sie wissen, auch aus unserer Sicht besteht dringender Handlungsbedarf, um die Demokratie und
die Mitbestimmung an den Hochschulen wieder
herzustellen. Ich habe es schon in der letzten Sitzung des Wissenschaftsausschusses sehr deutlich gemacht. Herr Minister Pinkwart, wir haben
das in der Vergangenheit nicht nur mehr als einmal gesagt, wir haben mit unserem Entwurf für ein
Hochschulratskorrekturgesetz auch einen ganz
konkreten Lösungsvorschlag auf den Tisch gebracht.
Wenn wir rückblickend die Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes betrachten, dann war das
keine Erfolgsstory. Wir haben eben schon darüber
diskutiert. Sie haben den Fall Höhler kurz nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht in den Griff
bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Schwarz-Gelb. Das Chaos, das wir nun in Siegen
haben, hätten Sie beinahe verschlafen, wenn der
grüne Wecker Sie nicht wach geklingelt hätte.
Wir schlagen heute noch einmal Alarm, damit
endlich etwas in der nordrhein-westfälischen
11566
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Hochschullandschaft geschieht, die mit Ihrem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz in die Abhängigkeit eines extern dominierten Hochschulrats geraten ist, der die Geschicke der Hochschule nun von außen lenken soll.
Sie nennen Ihr Gesetzeswerk das mit Abstand
freiheitlichste Hochschulrecht, Herr Minister Pinkwart. Ich stimme Ihnen dann zu, wenn man Freiheit zum Synonym für Unternehmensfreiheit
macht.
(Widerspruch von Minister Prof. Dr. Andreas
Pinkwart)
Denn beim Hochschulfreiheitsgesetz sind Name
und Inhalt zweierlei. Es ist sozusagen ein trojanisches Pferd: Man muss sich fragen, was Freiheit
ohne die Möglichkeit nutzt, sie zu leben. Gerade
ist wieder ein Hilferuf gekommen: Der Senat der
Hochschule fühlt sich an der Stelle eben nicht frei.
Diese Möglichkeit verweigern Sie den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen.
Sie wollen die Hochschulen befähigen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, zerschlagen aber
demokratische Strukturen und verordnen den Mitgliedern an den Hochschulen genau das Gegenteil, nämlich Unfreiheit. Wir fordern daher von Ihnen: Stellen Sie die Demokratie an den Hochschulen wieder her!
Mit unserem Gesetzentwurf haben wir einen Vorschlag gemacht, wie Sie Ihren Fehler korrigieren
können. Greifen Sie diesen Vorschlag auf, der
auch von sehr vielen Expertinnen und Experten
bei der Anhörung hier im Landtag als ein guter
Ansatz für die Lösung dieser Probleme angesehen worden ist. Verabschieden Sie sich von der
zentralistischen Managementstruktur, von der
machtvollen Position eines aufsichtsratsgleichen
Hochschulrats und von einem Senat, der ihm
quasi machtlos gegenübersteht!
Für eine adäquate Hochschulstruktur braucht man
Aushandlungsformen, die Transparenz, Legitimation und demokratische Mitbestimmung mit der
Förderung wissenschaftlicher Erkenntnisse verbinden. Dazu ist Ihr Hochschulrat in keinem Fall
geeignet. Denn in Ihrem Gesetz ist die politische
Balance zwischen Senat und Hochschulrat zweifellos nicht richtig austariert.
Die Entscheidungskompetenzen dieses externen
Gremiums sind derart weitgehend, dass sie die
Selbstverwaltungsgarantie der Hochschulen einschränken, was ohne Frage gegen die in der Verfassung garantierte Freiheit von Forschung und
Lehre verstößt. Wenn ich den Hamburger
Rechtswissenschaftler Prof. Fehling in der Anhö-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
rung richtig verstanden habe, ist die nordrheinwestfälische Hochschulratskonstruktion genau in
diesem Sinne nicht mehr verfassungskonform.
(Dr. Michael Brinkmeier [CDU]: Dann klagen
Sie doch!)
Sie haben die Hochschulen vom Staat befreit,
Herr Minister Pinkwart, aber gleichzeitig neue Abhängigkeiten geschaffen, die für eine Wissenschaftseinrichtung eben nicht förderlich sind.
Wenn allein der Wettbewerb beispielsweise über
die besten Studienangebote entscheiden soll,
prophezeie ich Ihnen, wird die thematische Breite
des wissenschaftlichen Angebots eingeschränkt
und damit der gesamtgesellschaftliche Nutzen
verringert. Die ersten Vorboten solcher Konzentrationsprozesse machen sich an den Hochschulen an vielen Orten bemerkbar.
An einem solchen Hochschulsystem besteht kein
öffentliches Interesse. Sie haben Ihre Verantwortung mit dem Hochschulfreiheitsgesetz auf die externen Hochschulräte übertragen. Spinnen wir
den Ansatz des New-Public-Managements weiter,
müssten Sie sich eigentlich selbst durch ein erfolgversprechendes externes Gremium ersetzen
und ablösen, verehrte Landesregierung und Regierungsfraktionen, wenn Sie Ihre Ideologie konsequent verfolgen.
Das wollen selbst wir nicht, lieber Herr Pinkwart.
Wir fordern Sie deshalb auf, das Gesetz so rasch
wie möglich zu ändern und sich gegenüber den
Hochschulräten dafür einzusetzen, dass bis zum
Abschluss einer solchen Novelle keine Hochschulleitungen mehr ernannt werden, die nicht
von einer Mehrheit in den jeweiligen Senaten getragen werden. – Vielen Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Frau Kollegin Dr. Seidl. – Als nächster Redner hat
für die CDU-Fraktion der Kollege Dr. Brinkmeier
das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Dr. Michael Brinkmeier (CDU): Vielen Dank,
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Antrag der SPD-Fraktion findet sich die Forderung, dass der Hochschulrat der Universität Siegen zurücktreten soll. Im Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen steht – Sie haben es gerade gesagt, Frau Seidl –, dass bis auf Weiteres
keine Hochschulleitungen ernannt werden sollen,
wenn es keine Senatsmehrheit gibt.
Beide fordern Sie natürlich wie auch schon in den
letzten Monaten und Jahren, dass das Hochschul-
11567
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
freiheitsgesetz derart geändert werden soll, dass
der Hochschulrat die durch dieses Gesetz erhaltenen Ermächtigungen wieder verlieren soll. Heute ist ein Schreiben des Senats der Universität
Siegen eingetroffen, der wieder mehr gesetzlich
festgelegten Einfluss der Senate fordert.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier keine
Generaldebatte führen, die wir in den letzten Wochen nicht zuletzt aufgrund des Gesetzentwurfs
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen intensiv geführt haben; auch eine Anhörung wurde durchgeführt. Aus unserer Sicht gibt es keinen Anlass zur
Änderung des Hochschulfreiheitsgesetzes.
(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Marc
Jan Eumann [SPD])
Vielmehr gibt das Hochschulfreiheitsgesetz auch
in Konfliktfällen einen Handlungsrahmen vor.
(Zuruf von Dr. Ruth Seidl [GRÜNE])
Ich will zugestehen – wir müssen nicht um den
heißen Brei herumreden –, dass die Art uns Weise, wie der Konflikt in Siegen stattgefunden hat,
sicherlich niemand von uns wünscht.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Aber Sie haben
es doch möglich gemacht!)
– Den Einwurf höre ich gerne, Herr Eumann. Sie
unterstellen nämlich, dass es durch das Hochschulfreiheitsgesetz zu intensiveren oder häufigeren Konflikten bei der Ernennung von Hochschulleitungen gekommen ist als vorher. Das glaube
ich nicht.
Sie verschweigen nämlich geflissentlich, dass es
bei all den Besetzungen der Hochschulräte und
den damit verbundenen Änderungen bei der Ernennung der Hochschulleitungen wirklich gut gelaufen ist. Das sollten wir hervorheben.
(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann
[SPD]: Reicht Ihnen Siegen nicht?)
Ich möchte mal sehen, wo Sie noch weitere Konflikte anmahnen. Wo waren Sie denn zu Ihrer Regierungszeit, als es hier und da zu Querelen an
anderen Hochschulen kam? Haben Sie dazu etwas gesagt? Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass es vorher nie Querelen gegeben hat.
(Dr. Ruth Seidl [GRÜNE]: Werden Sie doch
mal konkret!)
Wir können das gerne im Ausschuss vertiefen;
damit habe ich überhaupt kein Problem.
(Zuruf von Marc Jan Eumann [SPD])
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Dann können wir versuchen herauszufinden, ob
das Hochschulfreiheitsgesetz etwas verschlimmert oder verbessert hat. Es lohnt sich, der Frage
stärker nachzugehen.
Konkret zu Siegen: Ich kenne mich nicht so gut in
der Vorgeschichte aus, aber ich habe die große
Hoffnung, dass die vorangegangenen Besetzungen der Hochschulleitungen, die es an dieser Universität und anderswo gab, möglichst querelenfrei
abgelaufen sind. Denn das würde das Argument
verstärken, dass man die Menschen mitnehmen
sollte. Das ist mir sehr ernst.
Natürlich lernen wir aus diesem Vorgang, dass es
ist immer tunlichst geboten ist, entsprechend die
Menschen, die Institutionen oder Gremien mitzunehmen. Aber fordern Sie denn konkret, dass
man das wieder im offiziellen Status machen soll?
Wir sehen ja gerade dadurch, dass der letzte Hebel der Konfliktfallregelung nicht genutzt worden
ist, dass das Mitnehmen eine wichtige Tatsache
ist.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Wenn das Porzellan zerschlagen ist!)
Das werden nicht nur die Siegener lernen, sondern das ist eine allgemeine Feststellung. Von
daher habe ich größtes Vertrauen darin, dass wir
nicht die Sorge haben müssen, dass wir ein strukturelles Problem haben. Deswegen wiederhole ich
unsere Aussage: kein Änderungsbedarf am HFG.
(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann
[SPD]: Wer sich nicht verändert, wird verändert!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege
Dr. Brinkmeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Remmel? – Nein.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Wildester Föderalismus!)
Als nächster Redner hat nun für die FDP-Fraktion
der Kollege Lindner das Wort.
Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offensichtlich ist bei den
Oppositionsfraktionen immer noch nicht verstanden worden, welchen Charakter der Hochschulrat
hat.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Oberlehrer
kann man sich schenken!)
Der Hochschulrat ist mitnichten ein hochschulfremdes Gremium, sondern es ist vielmehr ein
neues Leitungsgremium, dessen Bestellung sich
mit zurückführen lässt auf den Senat und dadurch
11568
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
auch auf die Gruppen, die in der Hochschule vertreten sind.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ständestaat
ist das!)
Sie wissen, dass nur auf der Basis einer gemeinsamen Findungskommission der Minister die Mitglieder des Hochschulrates bestellt.
Es ist ein demokratisch legitimiertes Gremium, an
dessen Bildung auch der Senat mitwirkt. Deshalb
läuft Ihr Vorwurf ins Leere, der Hochschulrat sei
nicht hinreichend demokratisch legitimiert. Er ist
es! Er ist ein Gremium der Hochschule. Er ist demokratisch legitimiert.
(Beifall von FDP und CDU)
Jetzt hat man in Siegen gesehen, dass es auch in
der Praxis Fälle geben kann, wo es zu Machtauseinandersetzungen oder zu Richtungsauseinandersetzungen in einer Hochschule kommen kann.
(Zuruf von den GRÜNEN)
Ich will Sie fragen: Ist das denn jetzt plötzlich ein
Umstand, der mit dem Hochschulfreiheitsgesetz
verbunden ist? Das müsste ja bedeuten, dass es
früher nie Diskussionen, nie harte Auseinandersetzungen, nie Ringen um Personalien an Hochschulen gegeben hat.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Wir reden über Ihr
Gesetz!)
Dabei wissen doch gerade Sie, Herr Remmel –
Sie kommen doch aus Siegen –, dass es gerade
in Siegen auch unter dem Regime des alten
Hochschulrechtes regelmäßig Auseinandersetzungen um die Leitung der Hochschule gegeben
hat.
Das, was in Siegen etwa mit den neuen Gremienstrukturen zusammenhängt, ist doch nicht ganz
neu. Nein, das sind Lebenssachverhalte, die nun
einmal in jeder Hochschule – unabhängig vom
Rechtsrahmen – gelöst werden müssen.
Hier glauben wir, dass wir mit dem Hochschulfreiheitsgesetz Mechanismen entwickelt haben, die
geeignet sind, solche Konflikte zu bewältigen.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Quatsch!)
Selbst die Ultima Ratio, die es noch gegeben hätte, ist hier gar nicht eingesetzt worden, weil ein
Hochschulrat, der seine Legitimität auch mittelbar
auf den Senat zurückführen kann, festgestellt hat,
dass er ebenfalls eine einvernehmliche Bestellung
wünscht und deshalb auch den Schulterschluss
mit diesem Gremium sucht.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Im Übrigen ist es falsch, dass Sie hier den Eindruck erwecken, der Hochschulrat habe quasi gegen den ganzen Senat eine Entscheidung durchdrücken wollen. Sie unterschlagen, dass das Abstimmungsergebnis im Senat bei den einschlägigen Entscheidungen 14:9 war. Man kann also
nicht davon reden, dass hier der Senat geschlossen gegen einen Hochschulrat votiert hätte.
Deshalb ist das, was Sie hier am Beispiel Siegen,
aber insgesamt die neuen Leitungsstrukturen
meinend, veranstalten, schädlich. Die Argumentation, die hier aufgebaut wird, es bestünde eine
Abhängigkeit von Unternehmen, ist schädlich.
Es passt auch nicht zu der Linie, die Sie an anderen Stellen vertreten. Da stellt sich die SPD breitbeinig hin und sagt: Wir müssen auch mehr tun
für die Verwertung von Patenten, mehr tun für den
Transfer von Wissen aus Hochschulen in Unternehmen.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist ja auch
richtig!)
Und wenn Unternehmensvertreter Mitverantwortung für eine Hochschule übernehmen und dort im
Detail mitarbeiten, dann werden sie hier diskreditiert als Vertreter von Shareholder-Value-Interessen, die nur ihre eigenen Pfründe in Hochschulen
sichern wollen.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ein Ständestaat ist das!)
So haben Sie doch argumentiert. So haben Sie
doch mit ganz konkretem Blick auf das Beispiel
Siegen argumentiert und auch reputierte, mittelständische Unternehmer diskreditieren wollen.
(Marc Jan Eumann [SPD]: Mit Verlaub, Ihre
Argumentation ist falsch!)
Da machen wir nicht mit. Wir betrachten es als einen Gewinn, dass Persönlichkeiten aus Kultur,
aus Wissenschaft und aus der Wirtschaft jetzt
Mitverantwortung für unsere Hochschulen übernehmen und in den Hochschulen auch den Kurs
der Standorte mitprägen, am Profil mitarbeiten.
Das ist ein Gewinn für unsere Hochschullandschaft und keine Gefahr. Sie können, verliebt in
das Gestern wie Sie sind, das weiter kritisieren.
Wir denken, dass der Kurs richtig ist, und wir fühlen uns jetzt durch die ersten Ergebnisse auch in
diesem Kurs bestätigt. – Schönen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank,
Herr Kollege Lindner. – Für die Landesregierung
11569
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
hat nun Herr Minister Prof. Dr. Pinkwart das Wort.
Bitte schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge geben mir erneut Gelegenheit, dem Hohen Haus an
einem konkreten Fall zeigen zu dürfen, wie sich
wieder einmal die Schreckensszenarien der Opposition komplett auflösen, sich sogar in ihr Gegenteil verkehren, sobald man sich näher mit ihnen auseinandersetzt.
Anlass der Anträge sind die jüngsten Geschehnisse an der Universität Siegen. Der Siegener
Hochschulrat hat eine Persönlichkeit zum Rektor
gewählt, dem dann im weiteren Verfahren die
Bestätigung durch den Rat versagt geblieben ist.
Darauf hin hat der Hochschulrat das laufende Verfahren zur Wahl des Rektors beendet und ein
neues Verfahren eingeleitet. Er will die Position
des Rektors im Januar 2009 neu ausschreiben
und die Zeit bis dahin nutzen, konstruktive Gespräche zwischen allen Beteiligten zu führen.
Der Hochschulrat hat dabei klar und deutlich unterstrichen, dass er den Senat von Beginn an in das
Wahlverfahren einbeziehen will. Ganz anders als
es die antragstellenden Fraktionen jetzt gerne darstellen möchten, kommentierte beispielsweise die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 19. August
dieses Jahres die Vorgänge. Dort heißt es – ich
darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren –:
Das Schreckgespenst der Entdemokratisierung
wurde durch eine vorbildliche Konsensbildung
innerhalb der Hochschule gebannt. Der Fall
Siegen wird so vor allem zu einem starken Plädoyer für die Tradition der akademischen
Kommunikation.
Ich ergänze: Wer den Fall exemplarisch nehmen
möchte, dem zeigt er, dass die neue Hochschulverfassung funktioniert.
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ach!)
Sie hat sogar einen Härtetest bestanden.
Auch wenn man über Siegen hinausschaut, gibt
es keinen Anlass zur Sorge, ganz im Gegenteil.
Insgesamt hat es seit der neuen Hochschulverfassung bisher in den nordrhein-westfälischen
Hochschulen zwölf Wahlen von Präsidiumsmitgliedern gegeben, die – das unterstreiche ich und
darf das mit Freude dem Hohen Haus berichten –
alle einvernehmlich zwischen dem jeweiligen
Hochschulrat und dem jeweiligen Senat verliefen.
Ich darf wiederholen: Alle bisherigen Wahlen nach
Landtag
Nordrhein-Westfalen
neuem Hochschulrecht zur Hochschulleitung in
zwölf Fällen – zehn Rektoren oder Präsidenten,
zwei Kanzler – sind einvernehmlich erfolgt. Das ist
ein großer Erfolg und verdient auch die Anerkennung des Hohen Hauses für die dort handelnden
Persönlichkeiten an unseren Hochschulen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister,
entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Remmel?
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Herr Remmel hätte für seine Fraktion auch reden
können. Ich würde das gerne zu Ende führen wollen.
Ich möchte noch kurz auf die Frage der Legitimation des Hochschulrats eingehen und Folgendes
klarstellen: Der Hochschulrat ist ein demokratisch
hinreichend legitimiertes Gremium, weil er erstens
vom Senat bestätigt werden muss. Die Mitglieder
der Hochschule stehen also hinter dem Hochschulrat. Der Rat ist zweitens demokratisch legitimiert, weil er zudem vom Ministerium bestellt
werden muss. Außerdem sind die Mitglieder des
Hochschulrates gleichzeitig auch Mitglieder der
Hochschule und damit in das Gefüge mitgliedschaftsrechtlicher Rechte und Pflichten eingebunden.
Früher nahm übrigens das Ministerium die Funktion des Hochschulrats wahr. Heute können alle
Hochschulmitglieder über ihre Vertretung im Senat die Zusammensetzung des Hochschulrats
bestimmen. In dem konkreten Fall in Siegen sind
fünf Mitglieder ehemalige oder aktive Professoren
der Hochschule. Davon sind vier noch aktiv, und
einer, nämlich der Bundesbankpräsident Weber,
hat nicht nur in Siegen promoviert und habilitiert,
sondern zählt zu den international angesehensten
Nationalökonomen und hat sich dankenswerterweise ehrenamtlich in den Dienst gestellt, im
Hochschulrat Siegen mitzuwirken. Solche Persönlichkeiten, vom Senat bestätigt, wirken dort mit.
Ich finde, das ist ein eindeutiger Gewinn an demokratischer Partizipation.
(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)
Es wird Sie also nicht wundern, wenn ich das Fazit ziehe, dass die angebliche Sorge um die
Hochschulautonomie, die Sie für sich in Anspruch
nehmen, letztlich nur vorgeschoben ist. In Wirklichkeit misstrauen Sie der akademischen Gestaltungsfreiheit, die das neue Hochschulrecht gegeben hat.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11570
(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann
[SPD]: Das ist wirklich Quatsch!)
In besonderem Maße zeigt sich dies an Ihrem
Wunsch nach einer weitgehenden Kontrolle des
Hochschulrats. In dieser Logik müssten Sie allerdings auch fragen: Wer kontrolliert dann den Senat? Wollen Sie den auch zusätzlich kontrollieren
lassen? Dass Sie das nicht tun, ist ein weiterer
Punkt, der verdeutlicht, dass Ihr kompletter Denkansatz nicht nur wenig mit der Realität in Hochschulen zu tun hat, sondern auch gedanklich in
sich nicht stimmig ist. Daraus den Bedarf für eine
gesetzliche Änderung abzuleiten, gelingt nach
meiner festen Überzeugung beim besten Willen
nicht. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Minister Pinkwart. – Es gibt keine weiteren
Wortmeldungen. Wir sind am Schluss der Beratung.
Die antragstellenden Fraktionen haben direkte
Abstimmung beantragt. Wir stimmen erstens über
den Inhalt des Antrags der SPD Drucksache
14/7350 ab. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und Herr Sagel. Wer ist
dagegen? – CDU und FDP. Damit ist der Antrag
abgelehnt.
Wir stimmen zweitens über den Inhalt des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 14/7341 ab. Wer dafür ist, den bitte
ich um das Handzeichen. – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Herr Sagel. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – Die
SPD. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe auf:
5
Gesetz zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung
vom 5. Juni 2008, zur Errichtung einer Stiftung „Stiftung für Hochschulzulassung“
und über die Zulassung zum Hochschulstudium in Nordrhein-Westfalen sowie zur
Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften (Hochschulzulassungsreformgesetz)
Gesetzentwurf
der Landesregierung und
Antrag der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Art. 66 Satz 2 der Landesverfassung
Drucksache 14/7318
Landtag
Nordrhein-Westfalen
erste Lesung
Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für
die Landesregierung Herrn Minister Pinkwart das
Wort.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Hochschulen
sollen für Studienbewerberinnen und –bewerber
von Anfang an ein Höchstmaß an Attraktivität bieten. Deshalb legt Ihnen die Landesregierung den
Entwurf des Hochschulzulassungsreformgesetzes
vor. Mit dem Gesetz werden die Grundlagen für
die Umwandlung der ZVS in eine Servicestelle gelegt. Dies nutzt sowohl den Hochschulen als auch
den Studienbewerberinnen und -bewerbern.
Bisher führen Mehrfachbewerbungen um Plätze in
Orts-NC-Studiengängen dazu, dass ein Großteil
der seitens der Hochschulen angebotenen Studienplätze von den Bewerberinnen und Bewerbern letztlich abgelehnt werden, weil diese zwischenzeitlich von anderen Hochschulen einen
Studienplatz erhalten und angenommen haben.
Es kommt deshalb zu mehrstufigen Nachrückverfahren und damit zu erheblichen Verzögerungen
für die Bewerberinnen und Bewerber sowie für die
Hochschulen.
Die Einführung eines effizienten Zulassungssystems ist deshalb notwendig. Die Servicestelle in
der Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Stiftung soll nach den Wünschen der Hochschulen
die Bewerberdaten aufbereiten, Mehrfachbewerbungen abgleichen und Studienplätze an die richtigen Bewerberinnen und Bewerber vermitteln. Ich
bin froh, dass auch die Hochschulrektorenkonferenz hinter den bis jetzt erarbeiteten Grundsätzen
eines Serviceverfahrens steht,
(Beifall von der CDU)
das nun von den Experten im Detail weiter ausgearbeitet werden muss.
Es wird angestrebt, dass das Verfahren künftig
nach rund zwei Monaten beendet ist. Das würde
bedeuten, dass die Studienplätze eines Wintersemesters bei einer einheitlichen Bewerbung zum
15. Juli eines Jahres bereits Ende September
restlos besetzt sind. Das kann natürlich nur dann
gut funktionieren, wenn möglichst alle Hochschulen im Land mitmachen. Die Landesregierung vertraut darauf, dass sich gute Ideen von selbst
durchsetzen.
11571
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Neben diesen Serviceaufgaben soll die künftige
Stiftung die bundesweite zentrale Vergabe von
Studienplätzen in den „harten“ NC-Studiengängen, wie Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie,
leisten.
Vor der Vermittlung der Studienbewerberinnen
und -bewerber zu den geeigneten Studienplätzen
der Hochschulen muss eine kompetente Information über die Studienmöglichkeiten und die entsprechende Voraussetzung zur Aufnahme eines
Studiums stehen. Die Ergänzung des jetzt eingeschlagenen Weges um ein entsprechendes nationales Bildungsportal ist in dem vorgelegten Gesetzentwurf angelegt.
Das Hochschulzulassungsreformgesetz hat nicht
allein die nationalen Reformschritte hinsichtlich
der Umwandlung der ZVS im Blick. Neben dem
Artikel 1, der einer Ratifizierung des Staatsvertrages dient, und dem Artikel 2, der auf die Konstituierung der Stiftung zielt, beinhaltet Artikel 3 des
Gesetzentwurfes einige Reformschritte, die wir im
Bereich der örtlichen Zulassungsverfahren unserer nordrhein-westfälischen Hochschulen gehen
wollen.
Lassen Sie mich einige Neuerungen hervorheben.
Künftig sollen bei den Orts-NC-Studiengängen
drei Fünftel der Studienbewerberinnen und
-bewerbern nach speziellen Kriterien der jeweiligen Hochschulen ausgewählt werden können.
Der Gesetzentwurf enthält Bestimmungen für die
Auswahl von Bewerbern zu Masterstudiengängen,
zu internationalen Studiengängen, die eine Hochschule gemeinsam mit einer ausländischen Universität oder Fachhochschule betreibt, sowie zu
profilbildenden Möglichkeiten der Hochschulen,
Spitzensportlerinnen und -sportler auszuwählen.
Als Annex zur Hochschulzulassungsmaterie enthält der Entwurf Bestimmungen zur Änderung des
Hochschul- und des Kunsthochschulgesetzes, mit
denen die Vorbereitung ausländischer Studieninteressenten auf ein Studium in NordrheinWestfalen neu gestaltet werden soll.
Außerdem – das hat schon in den letzten Wochen
eine bemerkenswerte, nicht nur NordrheinWestfalen betreffende, sondern auch nationale
Aufmerksamkeit erfahren – soll mit dem Gesetz
der Vergaberahmen abgeschafft werden. Im
Wettbewerb um die besten Köpfe sollen die
Hochschulen die Möglichkeit haben, über das reine Personalbudget hinaus Mittel aus deren Gesamtbudget einzusetzen.
Ich darf dem Hohen Hause mitteilen – darüber
habe ich mich sehr gefreut –, dass der scheidende Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz,
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Herr Ronge, mir dieser Tage ein Petitum der Landesrektorenkonferenz, ausgearbeitet vom Rektor
Freimuth aus Köln, zugeleitet hat, in dem die Landesrektorenkonferenz genau die Abschaffung des
Vergaberahmens vorträgt und die Landesregierung bzw. den Landtag bittet, dieses zu beschließen. Ich freue mich, dass wir dieses hier heute
einbringen können. Wir sind das erste Bundesland in Deutschland, das einen so weit reichenden
Vorschlag macht. Ich darf mich insbesondere
beim Kollegen Linssen dafür bedanken, dass wir
seitens der Landesregierung diesen Durchbruch
in dieser Form ermöglichen können.
(Beifall von CDU und FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat den Entwurf des Hochschulzulassungsreformgesetzes vorgelegt. Es obliegt nun Ihnen, den Entwurf zu beraten. Ich freue mich auf
den Gedankenaustausch im Plenum und bei der
weiteren Beratung im Innovationsausschuss. –
Herzlichen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Minister Pinkwart. – Für die SPD-Fraktion
spricht nun Frau Dr. Boos.
Dr. Anna Boos (SPD): Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sympathiepreise hat
die ZVS in ihrer 35-jährigen Geschichte nie gewonnen. Generationen von Studierenden – viele
der Anwesenden eingeschlossen – standen ihr
eher ablehnend gegenüber. Schließlich war es
diese Institution, die über die Vergabe von Studienplätzen entschied und damit die Weichen über das Wohl und Wehe einer Studienaufnahme
gestellt hat. 2005 wurde dann vonseiten der CDU
und FDP schon das Begräbnis für die ZVS bestellt. Ein wenig vorschnell, wie wir heute wissen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Im Zusammenhang mit einem bemerkenswerten
Antrag, über den gleich noch mehr zu sagen sein
wird, sind einige auch drei Jahre später noch sehr
interessante Zitate entstanden, die ich Ihnen nicht
vorenthalten möchte. So hat der Kollege Lindner
damals die Abschaffung der ZVS als „qualitativen
Quantensprung im Interesse auch der Studierenden“ bezeichnet.
(Christian Lindner [FDP]: Richtig so!)
Ebenso sehr deutlich wurde Kollege Dr. Brinkmeier. So ist im Protokoll folgende Aussage nachzulesen:
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11572
Wenn wir in dem neuen System arbeiten – das
streben wir an –, dann brauchen wir keine ZVS
mehr, dann haben die Hochschulen die Freiheit.
Nun, Totgesagte leben bekanntlich länger. So ist
es dann wohl auch mit der ZVS. In dem Staatsvertrag, über dessen Ratifizierung wir hier heute
reden, ist von einer Abschaffung der ZVS keine
Rede mehr. Die Koalition hat ihre Position um 180
Grad gedreht. Somit ist sie spannenderweise da
angekommen, wo wir Sozialdemokraten schon im
Jahr 2005 waren. Unser erster Antrag in dieser
Legislaturperiode, im Ausschuss für Innovation,
Wissenschaft, Forschung und Technologie, drehte
sich nämlich genau um dieses Thema: die Weiterentwicklung der ZVS.
(Beifall von der SPD)
Denn schon damals war absehbar, dass die
Hochschulen durch ein alleiniges Vergaberecht
der Studienplätze völlig überlastet würden. Die
Zahlen, die man damals als Resultat der Hochschulpolitik des Landes in den vergangenen drei
Jahren präsentieren kann, sind auf jeden Fall verheerend: 15 % der Studienplätze bleiben unbesetzt, 15 % Leerstand müssen trotzdem vom
Steuerzahler finanziert werden. Über ca. 20.000
Neueinschreibungen pro Jahr wird heute vor Gericht entschieden. Das ist eine Katastrophe insgesamt, aber vor allem für diejenigen jungen Menschen, die auf die Studienplätze warten.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Dazu stellt sich an mehreren Stellen die Frage der
Chancengerechtigkeit. Ein solches Gerichtsverfahren kostet im Schnitt ca. 5.000 €. Das ist für
viele Studienanfänger und ihre Eltern nicht bezahlbar. Das derzeitige Verfahren führt also im
Endeffekt zu mehr sozialer Selektion; es führt dazu, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten
noch weiter als ohnehin schon vom Studium ferngehalten werden.
(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)
– Wir haben 2005 direkt dafür plädiert, dass es
reformiert wird.
(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)
– Ja, genau. Wir hätten es getan, Herr Pinkwart.
Transparent, rechtssicher, ressourcenschonend
und bewerberfreundlich sollten die Zulassungsverfahren verlaufen.
(Beifall von der SPD)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Das haben Sie verkündet. Nun sind drei Jahre auf
jeden Fall vorbei. Wir freuen uns, dass dieser
Prozess endlich eingeleitet ist. Aber wir wundern
uns, dass es wirklich so lange gedauert hat.
Meine Kollegin Ulrike Apel-Haefs hat im Laufe der
Diskussion sehr treffend formuliert – ich zitiere –:
Die Vorteile einer reformierten ZVS für die Hochschulen sind evident: Entlastungen von administrativem Aufwand unter Beibehaltung der Freiheit,
einige standortspezifische Zulassungskriterien zu
definieren. Dass ein solcher Service für die Hochschulen nicht kostenneutral sein wird, ist diesen
bewusst und wird auch akzeptiert. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass die Grundfinanzierung
der ZVS aus öffentlichen Mitteln zu erfolgen hat
und dass die gerade erst im Staatsvertrag beschlossene Rechtslage Bestand hat.
So weit meine Kollegin Frau Apel-Haefs. Das
durch die Politik der Landesregierung entstandene Chaos muss beseitigt werden. Das ist im Interesse der Studierenden genauso wie im Interesse
der Hochschulen. Schön, dass deshalb jetzt endlich der Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt. Die
Reform der ZVS ist nun endlich auf dem Weg;
schade, dass es so lange gedauert hat.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Weitere Themen in diesem Gesetzentwurf – hier
nenne ich besonders die Besoldung von Hochschullehrern – werfen für uns viele Fragen auf.
Hier werden wir ganz genau hinschauen und den
Gesetzentwurf äußerst kritisch begleiten. – Vielen
Dank.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Dr. Boos. – Für die CDU spricht nun Herr
Kollege Kuhmichel.
Manfred Kuhmichel (CDU): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich verweise zunächst
einmal auf das, was Minister Pinkwart gerade gesagt hat. Es war okay. Wir stehen dahinter. Das
schützt auch vor Wiederholungen, jetzt schon am
frühen Abend.
Aber noch etwas Ergänzendes dazu: Für jemanden wie mich und meine langjährigen Kollegen
von der CDU-Fraktion, die sich hier seit 1995 hingestellt haben und gesagt haben, das Monopol
der staatlichen Studienplatzvergabe müsse aufgehoben werden, wir müssten die ZVS zu einer
Serviceeinrichtung hin entwickeln – das können
Sie im Protokoll vom 22.11.1995 nachlesen –, ist
das ein Tag der Freude und Genugtuung. Deswe-
11573
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
gen begrüßen wir diesen Gesetzentwurf und den
Antrag der Landesregierung sehr.
Wir haben uns immer dafür verwendet zu einer
Zeit, in der Sie immer noch am bürokratischen
Monstrum der Studienplatzvergabe festgehalten
haben. Wir haben jetzt Gott sei Dank durch ein
neues freiheitliches Hochschulsystem, eine neue
freiheitliche Hochschulpolitik eine Situation erreicht, in der sichergestellt ist, dass Entstaatlichung und Entbürokratisierung greift. Dieses neue
Gesetz dient den Studierenden und hilft den
Hochschulen bei der Vergabe von Studienplätzen.
Deswegen ist es ein gutes Gesetz. Dem stimmen
wir auch zu. – Schönen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Kuhmichel. – Für die FDP spricht nun Herr
Kollege Lindner.
Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Dieser
Gesetzentwurf, die Veränderung der ZVS in Richtung einer Stiftung Hochschulzulassung, steht in
einer direkten Kontinuität der Hochschulpolitik von
CDU und FDP in diesem Land, nicht nur in dieser
Legislaturperiode. Wir haben immer unterstrichen:
Wir wollen das Selbstauswahlrecht der Hochschulen stärken, und wir wollen Studierende nicht mit
einer Art Kinderlandverschickung auch gegen ihren Willen an eine Hochschule delegieren, sondern wir wollen ihre Wünsche, ihre Prioritäten berücksichtigen.
Ein solches freiheitliches System braucht aber
auch eine zentrale Koordination aus ganz pragmatischen Gründen. Da geht es nicht um behördliche Akte, sondern es geht darum, die unterschiedlichen Wünsche von Studierenden, die
Möglichkeiten von Hochschulen und ihre Kriterien
miteinander in Übereinstimmung zu bringen, und
zwar in einer Weise, dass alle Studienplätze besetzt werden und zeitnah eine Entscheidung über
die Aufnahme an einer Hochschule getroffen werden kann.
Deshalb gibt es eine veränderte, auf neue rechtliche und organisatorische Grundlage gestellte Institution, eine Stiftung im Übrigen, keine Behörde
mehr. Das ist ein qualitativer Quantensprung genauso, wie ich das damals vor drei Jahren bei anderer Gelegenheit gesagt habe. Wir können jetzt
von Glück sagen, dass dieser Prozess mit diesem
Gesetzentwurf, mit diesem Staatsvertrag endlich
abgeschlossen worden ist. Es ist im Übrigen ein
Prozess, der wesentlich von Nordrhein-Westfalen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
in einem Arbeitskreis innerhalb der Kultusministerkonferenz mit gestaltet worden ist.
Es wäre aller Ehren wert – es würde Ihnen keinen
Zacken aus der Krone brechen –, wenn Sie auch
anerkennen könnten, dass der Koalition ein Erfolg
gelungen ist. – Schönen Dank.
(Beifall von FDP und CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen spricht Frau Dr. Seidl. Bitte schön.
Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuhmichel, Herr
Lindner, fünf Jahre haben Sie uns mit dem „ideologischen Monstrum“, mit der Abschaffung der
ZVS gequält. Fünf Jahre lang. Deswegen kann ich
Ihnen auch ein Zitat aus der letzten Legislaturperiode nicht vorenthalten. Ich zitiere:
Der Wegfall der ZVS für die Studienplatzzuweisung in NRW ist eine Grundbedingung für Freiheit in Lehre und Studium und mehr Wettbewerb an den Hochschulen. Demnach sollen
sich Studienbewerber für alle Fachbereiche direkt bei der Universität ihrer Wahl bewerben
können. Die Hochschulen erhalten im Gegenzug das Recht, sich unter den Bewerbern die
Geeigneten auszusuchen.
Kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor, liebe Kolleginnen und Kollegen? Falls nicht, fragen Sie
doch einmal bei Herrn Lindner nach. Denn gerade
in der letzten Legislaturperiode haben Sie solche
zukunftsweisenden Vorschläge wie eine Monstranz vor sich hergetragen, zusammen mit der
FDP-Fraktion.
Und er war damit wahrlich nicht alleine. Herr
Kuhmichel, jetzt würde ich Sie gerne angucken,
aber Sie sind leider nicht da. – Er hat sich wohl
schon verdrückt; ich zitiere ihn aber trotzdem an
der Stelle:
Die ZVS steht echter Autonomie und wirklichem
Wettbewerb der Hochschule entgegen. Die
Hochschulen müssen selbst die Auswahl ihrer
Studierenden treffen können. Umgekehrt müssen alle Studierenden in der Lage sein, an die
Hochschule ihrer Wahl zu gehen.
Mit diesen Worten haben Sie in der letzten Legislaturperiode einen CDU-Antrag zur Abschaffung
der ZVS begründet. Und das war bei weitem nicht
der einzige Antrag, in dem Sie die Abschaffung
der ZVS gefordert haben. Sie haben uns geradezu mit Ihrer Forderung bombardiert, die ZVS plattzumachen.
11574
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Da hilft es auch gar nichts, wenn Sie, Herr Kuhmichel, hier und heute diesen Gesetzentwurf als einen großen Erfolg begrüßen. Tatsache ist, dass
es das erklärte Ziel von FDP und CDU war, die
ZVS abzuschaffen und die Studienplatzvergabe
dem freien Markt zu überlassen. Tatsache ist
auch, dass Sie damit gescheitert sind, weil die
Praxis längst belegt hat, dass diese sogenannte
Freiheit nur zu Chaos und Ungerechtigkeit führt.
Wenn selbst Herr Pinkwart gegenüber dpa erklärt,
die Hochschulen sollten den Studierenden und
sich selbst das extrem zeitaufwendige Verfahren
nicht länger zumuten, dann spricht dies doch
Bände, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schade
nur, Herr Minister, dass Sie nicht einfach einräumen können, dass Sie sich geirrt haben. Geben
Sie doch einfach zu, dass es ein Fehler war, sich
für die Abschaffung der ZVS einzusetzen und
damit den Prozess des Umbaus länger als notwendig hinauszuzögern! Das wäre im Sinne von
ehrlicher Politik ein Schritt nach vorn.
Wir begrüßen es jedenfalls, dass die Umstrukturierung der ZVS, die ja keineswegs erst seit einem
Jahr, sondern schon viel länger läuft, jetzt endlich
zu einem Abschluss kommt. Schon im November
2005 hat eine Amtschefkonferenz der KMK einen
Beschluss für eine entsprechende Reform der
ZVS gefasst. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Minister Pinkwart, wenn Sie uns erläutern könnten,
woran es denn gelegen hat, dass es nach diesem
Beschluss noch fast drei Jahre gedauert hat, bis
uns hier und heute dieser Gesetzentwurf vorliegt.
Wer hat denn da den Prozess blockiert und verzögert, und warum musste es erst zu diesen chaotischen Zuständen – unbesetzten Studienplätzen, aufwendigen Nachrückverfahren während
der schon laufenden Vorlesungszeit und bürokratischem Mehraufwand für Hochschulen und Studienanfänger -kommen, die Sie jetzt beklagen?
Ich hoffe nur, dass die Einsicht bei den anderen
negativen Folgen Ihrer hochfliegenden Hochschulfreiheitspläne nicht weitere Jahre auf sich
warten lässt; denn die Hochschulzulassung ist
nicht das einzige Feld, auf dem Sie sich offensichtlich verrannt haben. Gerade eben haben wir
noch über die Probleme gesprochen, die Sie mit
Ihrer Konstruktion der Hochschulräte an einigen
Hochschulen provoziert haben. Aber hier war von
Einsicht leider bisher wenig zu vernehmen. Gleiches gilt auch für die Studiengebühren. Sie mögen es nicht mehr hören wollen, Herr Minister
Pinkwart, aber Ihre Studiengebühren halten junge
Menschen von der Aufnahme eines Studiums in
diesem Lande ab.
(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Dies belegen die HIS-Studie, die wir bereits im
Februar hier im Landtag diskutiert haben, und die
aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes.
Aber auch hier ist von Einsicht keine Spur, geschweige denn von neuen Vorschlägen.
Deshalb freue ich mich heute, dass sich im Falle
der ZVS letztlich die Vernunft gegen die Freiheit
des Marktes durchgesetzt hat.
(Dr. Michael Brinkmeier [CDU]: Ach Gott!)
– Ja, das war auch nötig, und zwar vor allem für
unsere Hochschulen und unsere Studierenden.
Aufatmen können wir deshalb aber noch lange
nicht; denn solange Sie aus rein ideologischen
Gründen und entgegen jeglicher Vernunft an Ihrer
sogenannten Hochschulfreiheit festhalten, wird
weiterhin – so befürchte ich – das Chaos an unseren Hochschulen herrschen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Dr. Seidl. – Herr Minister Pinkwart hat noch
einmal das Wort. Bitte schön.
Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Mit Blick auf die Beiträge von Frau
Boos und vor allen Dingen von Ihnen, Frau Seidl,
möchte ich doch noch einmal das Wort nehmen,
da Sie gerade von Chaos und Verantwortlichkeiten sprachen.
Der Grund für die heutige Situation, die wir beklagen, ist der Rechtsrahmen, den Sie uns aus Ihrer
Zeit der Regierungsverantwortung hinterlassen
haben, wissend darum, dass es mit Einführung
von Bachelor/Master-Studiengängen, die Sie gerade in Nordrhein-Westfalen forciert zum Einsatz
gebracht haben, zu einer verschärften Einführung
von Orts-NCs gerade an Universitäten kommen
musste, um überhaupt die Studierenden mit hinreichenden Betreuungsrelationen versorgen zu
können.
Das heißt: Sie hätten frühzeitig sehen können,
welche Anforderungen auf die Hochschulen zukommen. Aber Sie haben nichts unternommen,
um entweder Ihre ZVS weiterzuentwickeln, wie
Sie es vor drei Jahren beantragt haben, oder um
so zu handeln, wie es Herr Kuhmichel und Herr
Lindner hier dargestellt haben, nämlich endlich
eine Servicestelle zu schaffen, die im Sinne der
Hochschulen so arbeitet, dass die Studierenden
die Hochschule ihrer Wahl finden und die Hochschulen die Studenten finden, mit denen sie gerne
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11575
zusammenarbeiten wollen, und dies so servicefreundlich und schnell wie möglich.
Dies haben wir erst in Angriff nehmen dürfen. Wir
haben es so schnell umgesetzt, wie es in einem
föderalen System möglich ist. Es hätte aber längst
vorher geschehen müssen. Das muss ich Ihnen
leider mit Blick auf die von Ihnen mitgetragene
Vorgängerregierung entgegenhalten. – Danke
schön.
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Minister. – Leider habe ich die Wortmeldung
zu spät gesehen. Gibt es noch einen Wunsch zu
reden? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zum Schluss der Beratung. Der
Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 14/7318 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Wer dem zustimmen
möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
6
Für bessere Bildung und mehr Chancengleichheit an unseren Schulen – 5-PunkteSofortprogramm auf den Weg bringen
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7343
Ich eröffne die Beratung und gebe Frau Löhrmann
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sylvia Löhrmann (GRÜNE): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich weiß ja nicht, was Barbara Sommer
zu unserem Antrag empfiehlt. Ich kann Ihnen aber
sagen, was der Verband Bildung und Erziehung
zu diesem Antrag empfiehlt: Zustimmung, weil es
ein Antrag mit fünf pragmatischen Schritten für
gutes Regierungshandeln im Gegensatz zu dem
Chaos ist, was Sie vor der Sommerpause angerichtet haben. Der Start nach den Ferien ist ja
auch nicht besonders gelungen.
Ich zitiere aus der Pressemitteilung des Verbandes Bildung und Erziehung in NordrheinWestfalen:
VBE: Grüne zeigen Lösungswege auf
„Der VBE hält das heute von der Fraktion der
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Grünen vorgestellte 5-Punkte-Programm für
mehr als bemerkenswert“, so Udo Beckmann,
Vorsitzender des VBE NRW. „Die Grünen zeigen für einige strittige Fragen in der Schulpolitik
umsetzbare Lösungswege auf, die auf Akzeptanz bei Schülern, Eltern und Lehrern stoßen
könnten.“
Was will man eigentlich mehr, Frau Ministerin, als
eine Opposition, die Ihnen so gute Vorschläge auf
dem Silbertablett serviert, während Sie schon mit
Herrn Wüst Wahlkampfplakate aufhängen? Sie
machen Wahlkampf, wir machen gute Regierungsvorschläge.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich nenne diese Punkte nur ganz kurz; Frau Beer
wird gleich noch genauer auf das eine oder andere eingehen.
Erstens. Vernünftige Rückmeldekultur einführen –
Kopfnotenzwang beenden.
Zweitens. Wir lassen die Schule im Dorf. Angesichts der demografischen Entwicklung Gemeinschaftsschule ermöglichen. Um der FDP ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, möchte ich Ihnen
aus einem Antrag der FDP-Fraktion leider nicht
aus NRW, sondern aus dem Sächsischen Landtag, und zwar aus der vierten Wahlperiode, vortragen:
Thema: Längeres gemeinsames Lernen ermöglichen – Klare Rahmenbedingungen für Gemeinschaftsschulen schaffen
Der Landtag möge beschließen, die Staatsregierung zu ersuchen,
1. die Schulen und Schulträger über das Antragsverfahren und die Mindeststandards,
die aus schulrechtlicher und pädagogischer
Sicht für Schulversuche mit dem Ziel eines
längeren gemeinsamen Lernens erforderlich sind, zu informieren,
2. den Schulen und deren Schulträgern bei
der Umsetzung des Schulversuches die
schulrechtlich und pädagogisch größtmöglichste Freiheit zu lassen und den Schulversuch mit dem Ziel eines längeren gemeinsamen Lernens aktiv zu unterstützen,
3. die Voraussetzungen zu schaffen, dass ab
dem Schuljahr 2006/2007
– wir müssen es natürlich anpassen –
Schulversuche mit dem Ziel eines längeren
gemeinsamen Lernens beginnen können.
11576
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Anschließend folgt die Begründung – es ist wunderbar, denn es ist bei SPD und Grünen abgeschrieben –:
Die Schulversuche mit dem Ziel eines längeren
gemeinsamen Lernens sind ein wichtiger Beitrag zur zukünftigen Gestaltung des sächsischen Bildungssystems. Ohne ideologische
Barrieren sollen verschiedene Modelle erprobt
werden können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wunderbar, was Ihre Kollegen im Sächsischen
Landtag hinkriegen. Hier sind Sie dazu nicht in
der Lage
Drittens. Ganztagsschulen ausbauen – Druck aus
dem Turbo-Abi nehmen. Auch das ist wieder ein
riesiges Paket, das die Schulen und Schulträger
erreicht, um Ihr 175-Millionen-€-Programm umzusetzen. Wir schlagen vor, die Mittel zu pauschalieren und die Mittel an die Kommunen zu geben.
Vor Ort weiß man besser, an welcher Stelle man
was braucht. Und hören Sie endlich auf, die Gesamtschulen zu diffamieren, Frau Sommer. Zu
dem Punkt gibt es ja noch Gespräche.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Viertens. Lernen macht hungrig – Recht auf warmes Schulessen für alle. Auch hier muss es weitergehen. Man darf nicht nur mit ein paar Sonderprogrammen Almosen verteilen, sondern hier
muss geklotzt statt gekleckert werden.
Der letzte Punkt benennt ein Ärgernis, da immer
noch nichts geschehen ist, obwohl Sie es seit
Langem versprochen haben: Chancengleichheit
ermöglichen – Lernmittelfreiheit schaffen. Wir wissen, es wäre gut, wenn Kinder aus armen Verhältnissen am Schulleben umfassend teilnehmen
könnten und die Lernmittel zur Verfügung gestellt
bekämen.
Also ein Programm nach dem Motto praktisch,
pragmatisch, gut. Zustimmung wäre gut für die
Schulen und würde Ihnen viel Kummer vom Hals
halten. Sie sehen, wir denken auch an Sie. –
Herzlichen Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Löhrmann. – Für die CDU spricht der Kollege Klaus Kaiser.
Klaus Kaiser (CDU): Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, Ihre Euphorie kann ich bei Weitem nicht
teilen. Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Grünen fallen einem eigentlich nur zwei Bezeichnungen ein: kalter Kaffee und bekannte Klischees.
Wenn das, was Sie hier beschreiben, die dringendsten Probleme unseres Bildungssystem sein
sollen, dann merkt man, wie weit weg Sie von jeder Regierungsfähigkeit sind und – das ist wichtiger – wie wenig Sie die Realität in den Schulen
wahrnehmen.
(Beifall von der FDP – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
– Herr Becker ist wach, wunderbar. – Die von Ihnen vorgelegten fünf Punkte sind nichts anderes
als ein erneuter Aufschlag all Ihrer Forderungen,
die hinlänglich bekannt sind und bereits Gegenstand von Anträgen im Plenum waren. Sie können
sich aus Ihrer eigenen Begrenztheit eben nicht
befreien. Das als Sofortprogramm zu titulieren, ist
ein Euphemismus, der zeigt
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
– noch schlimmer –, dass es Ihnen um publizistische Effekte und nicht um die Umsetzung nachhaltiger bildungspolitischer Ziele geht. So einfach
ist das.
(Beifall von der FDP)
Man kann es eigentlich in der Sache recht kurz
machen:
Der erste Punkt ihres Programms ist das, was Sie
bei jeder Fragestunde, in jeder Plenarsitzung und
möglichst auch in jeder Ausschusssitzung präsentieren, nämlich eine neue Variante gegen die
Kopfnoten, also nichts intelligent Neues, nicht eine neue Idee. Zur Klärung der Sache so viel: Zu
der Abfolge weiterer Entscheidungen nach der
Evaluation der Kopfnoten hat die Schulministerin
Frau Sommer alles Notwendige gesagt. Warten
Sie es ab und seien Sie sicher: Die Kopfnoten
werden nicht infrage gestellt und bleiben verbindlich.
Bei Ihrem zweiten Punkt wird es ganz holprig, weil
schon die Überschrift schlichtweg Quatsch ist.
Denn die Frage der Schule im Dorf als ortsnahe
Schule betrifft den Grundschulbereich und nicht
den Sekundarbereich.
(Zuruf von Ute Schäfer [SPD])
– Nein! – Die CDU-Fraktion steht für die wohnortnahe Grundschulversorgung und hat im Schulgesetz das Notwendige festgelegt. Schulverbünde
gibt es ausreichend. Die weiterführende Schule im
Dorf aber gibt es schon seit ewigen Zeiten nicht
mehr. Was Sie hier als Sofortprogramm vorschlagen, ist nur eine neue Variante von Einheitsschu-
11577
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
le. Aber die Einheitsschule ist eben keine Antwort
auf die Herausforderungen für die kleineren Gemeinden und Städte von 8.000 bis 12.000 Einwohner, die Sorge um die Erhaltung ihres Schulstandortes haben. Ihr Ansatz kann zum einen
nicht kurzfristig umgesetzt werden und führt zum
anderen zu einer Rivalität der Kommunen untereinander, nämlich zu Schulkannibalismus. Das
muss man wissen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Die Realität ist doch, mit Hilfe des Schulministeriums sind bisher im Rahmen des neuen Schulgesetzes zukunftsweisende und stets tragfähige
Konzepte gefunden worden. Die Einheitsideologie
hilft eben nicht weiter.
Ihr dritter Punkt, nämlich den Ganztag auszubauen, ist für mich schlicht unglaublich. Ihre Koalition
von Rot-Grün hat im Bereich der weiterführenden
Schulen von 1993 bis 2005 nicht eine gebundene
Ganztagsschule genehmigt.
(Beifall von CDU und FDP)
Und da haben Sie hier die Stirn, zu behaupten,
hier müsse mehr geschehen, Frau Löhrmann?!
Das ist – bei aller Seriosität – eigentlich vollkommen unter Ihrem Niveau. Das ist schier unglaublich.
(Zuruf von den GRÜNEN)
Ehrlich gesagt fällt mir dazu nichts mehr ein. Unter keiner Regierung zuvor hat es einen so massiven Ausbau im Bereich der Ganztagsschulen gegeben wie unter dieser Landesregierung. Unter
keiner anderen Landesregierung wurde es möglich, Ganztagsrealschulen und Ganztagsgymnasien in einer solchen Vielzahl einzurichten.
(Ute Schäfer [SPD]: Warten wir mal ab!)
Wir geben dazu 170 Millionen € zusätzlich. Das
haben Sie ja eben so lapidar nebenbei erwähnt.
Wenn Sie in Ihrer Regierungszeit 170 Millionen €
zusätzlich für Bildung mobilisiert hätten, dann hätten wir eine ganz andere Achtung vor Ihnen gehabt. Sie waren dazu nicht in der Lage. Sie haben
nur rumgekürzt und die Lehrerarbeitszeit verlängert.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Sylvia
Löhrmann [GRÜNE])
Diese 170 Millionen € sind angesichts der Haushaltssituation ein einmaliger Kraftakt. Dann ist es
doch nur natürlich, dass die Landesebene darauf
achtet, dass diese Beträge wirklich für den Ganztag genutzt werden. Dies ist eine vorbildliche Leistung der Landesregierung. Deshalb: Dank an den
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Ministerpräsidenten, Dank an Frau Sommer und –
Frau Sommer wird es verzeihen – auch Dank an
den Finanzminister, der die entsprechenden Mittel
bereitgestellt hat, weil das uns allen nutzt.
(Beifall von Ministerin Barbara Sommer)
Außer mit der Einrichtung des Ganztags befassen
Sie sich ja auch mit der Schulzeitverkürzung im
Gymnasium. Neben dem gebundenen Ganztag
gibt es dort weiterhin die Möglichkeit, innerhalb
des neuen Ganztagsprogramms auch einen offenen Ganztag zu organisieren und die Mittagsbetreuungszeiten auszuwählen. Damit werden
flexible und innovative Möglichkeiten für alle
Gymnasien geschaffen, die nicht sofort in den gebundenen Ganztag gehen wollen. Allerdings gibt
es auch sehr positive Rückmeldungen von Gymnasien, die den gebundenen Ganztag sofort einführen möchten.
Für alle Gymnasien und anderen Schulformen
haben wir also entsprechend flexible Möglichkeiten geschaffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass
von der Vorgängerregierung einmal in ähnlicher
Weise flexibel und zügig reagiert worden wäre.
Im Zusammenhang mit den Problemen, die in Bezug auf die Verkürzung der Zeiten am Gymnasium bis zum Abitur – Stichwort: „G 8“ – genannt
worden sind, muss man der Vollständigkeit halber
auch Folgendes erwähnen: Dadurch, dass die
Landesregierung einen runden Tisch gebildet hat,
um die Probleme zu besprechen, sind alle Beteiligten eng zusammengekommen. Das zeigt, wie
schnell und flexibel man reagieren kann.
Ich erinnere mich sehr wohl an das, was Sie in Ihrer Zeit im Bildungsbereich gemacht haben. Sie
haben nämlich gekürzt. Das genaue Gegenteil ist
heute der Fall. Alleine von 2008 auf 2009 steigen
die Ausgaben im Bildungsbereich um fast 700 Millionen €. Der Ministerpräsident hat Ihnen das heute Mittag ebenfalls gesagt. Seit 2005 sind sie insgesamt um über 2 Milliarden € gestiegen. Wenn
das nichts ist!
Im vierten Punkt Ihres Antrags legen Sie wieder
einen aufgewärmten Antrag vor. Gerade sind Sie
im Plenum mit Ihrem Ansinnen auf eine warme
Mahlzeit für alle gescheitert.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der Gesetzentwurf ist doch noch gar nicht abgestimmt!)
Nebenbei: Es sollte ja 150 Millionen € kosten. –
Jetzt versuchen Sie, das gleiche Thema unter
neuer Überschrift erneut auf die Tagesordnung zu
setzen. Zum einen ist das wenig fantasievoll. Zum
anderen hat sich in der Sache bis heute auch
nichts geändert.
11578
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Stellen Sie sich doch nur einmal vor, Ihr Anliegen –
so viel auch zum Sofortprogramm – würde über
Nacht umgesetzt. Wie sollen denn plötzlich alle
Schulen über Nacht eine warme Mahlzeit für alle
zur Verfügung stellen – allein logistisch? Das ist
praktisch doch gar nicht möglich.
Von daher geht es Ihnen nur um die Pressemeldungen und nicht um die Umsetzung. Die Umsetzung Ihrer Forderung mit einem Sofortprogramm
bedeutet doch Chaos an fast allen Schulen im
Lande – unabhängig davon, dass das Geld dafür
nicht bereitsteht. Ein solches Chaos, wie es mit
Ihrer jetzigen Forderung verbunden wäre, haben
Sie ja nicht einmal in Ihrer Regierungszeit an den
Schulen verursacht. Das heißt: Sie sind vollkommen von der Realität dessen entfernt, was umsetzbar und machbar ist.
(Beifall von CDU und FDP)
Unter sozialen Gesichtspunkten möchte ich Ihnen
auch noch einmal Folgendes sagen: Ich persönlich hielte es für höchst unsozial, wenn der Staat
für meine Tochter das warme Mittagessen bezahlte, statt dieses Geld für mehr und besseren Unterricht zu verwenden.
(Beifall von CDU und FDP)
Die Initiative des Ministerpräsidenten „Kein Kind
ohne Mahlzeit“ ist die bedarfsgerechte Antwort für
alle, die es sich nicht leisten können, jeden Tag
ein warmes Mittagessen für ihre Kinder zu bezahlen. Das ist auch richtig so. Aufgrund des Erfolgs
dieses Programms habe ich auch keine Zweifel
daran, dass das Programm fortgesetzt wird – und
zwar aus zwei Gründen: erstens, weil es richtig
und erfolgreich ist, und zweitens, weil diese Regierung 2010 im Amt bestätigt wird und das Programm damit fortgeführt wird.
(Beifall von der CDU – Ute Schäfer [SPD]:
Tosender Beifall!)
– Wir sind ja nicht alle im Wahlkampf. Wir stellen
hier ja nicht solche Showanträge, wie Sie das jetzt
getan haben. – Von daher müssen wir uns jetzt
einmal damit auseinandersetzen. Das ist ja auch
schon die Blaupause für die nächsten 20 Anträge.
Dann braucht man immer nur die entsprechenden
Textbausteine einzusetzen. Das ist der Vorteil bei
Ihrer Antragstellung.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben Ihre
Textbausteine nicht überall ausgewechselt!
Das merkt man! – Sigrid Beer [GRÜNE]: Seit
drei Jahren nichts Neues!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
– Frau Beer, Sie könnten es doch eigentlich besser. Sie müssen einmal ein bisschen kreativer
werden.
Zum letzten Punkt, der Lernmittelfreiheit, sei kurz
angemerkt, dass die Eigenleistung der Eltern insgesamt in diesem Jahr reduziert wurde. Mir ist
auch kein Fall von Kindern aus ALG-II-Familien
bekannt, die keine Schulbücher erhalten hätten.
Natürlich ist eine gesetzliche Regelung auf Bundesebene wünschenswert und unterstützungswürdig. Für mich ist aber gerade die Regelung
bezüglich der Schulbücher ein Zeichen dafür, wie
flexibel und intelligent Schulträger und Schulen
diese Frage vor Ort lösen.
In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass
der Ministerpräsident das Thema Kostenübernahme beim Bildungsgipfel in Berlin besprechen
will, womit es auf der bundespolitischen Agenda
bleibt. Bekanntlich sind die Hartz-Gesetze in Berlin aber unter Rot-Grün beschlossen worden – nur
der Vollständigkeit halber.
(Beifall von der CDU)
Zusammengefasst heißt das: Dieses Sofortprogramm ist umsetzungsuntauglich, ideologiegefärbt, nicht durchfinanziert und nicht nachhaltig.
Es hat eigentlich nur einen Hinweis verdient: Sofort in den Papierkorb.
Dafür werden wir sorgen; denn eine ernsthafte
Befassung im Ausschuss ist wirklich überflüssig –
was ich bekanntlich nicht über alle Anträge der
Grünen sage.
Um Ihnen das noch einmal zu verdeutlichen, mache ich Sie auf fünf wichtige Punkte unserer Bildungspolitik aufmerksam.
Erstens: weniger Unterrichtsausfall.
Zweitens: mehr Geld für Bildung; mehr Lehrer.
Drittens: mehr sozialer Aufstieg durch mehr individuelle Förderung und Sprachförderung sowie
Ganztag.
Viertens: bessere Steuerung der Schulen durch
mehr Eigenverantwortung, regionale Bildungsnetzwerke und neue Fortbildung.
Fünftens: bessere Erfolge durch klare Qualitätsstandards und zentrale Prüfungen.
Darum geht es. Das ist kein verquastes Sofortprogramm – ein Sofortprogramm ist dazu auch
nicht erforderlich –, sondern ein nachhaltiges Programm zur Verbesserung der Bildung in Nordrhein-Westfalen. Dafür stehen Frau Sommer und
die Landesregierung. – Herzlichen Dank.
11579
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Beifall von CDU und FDP)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Herr Kaiser. – Für die SPD spricht nun Frau
Schneppe.
Petra Schneppe (SPD): Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Bessere Bildung und Chancengleichheit an unseren Schulen ist eine Forderung, die die Grünen eben vorgetragen haben und
die wir seitens der SPD unterstützen. Die
CDU/FDP-Regierung schlägt bildungspolitisch
exakt die falsche Richtung ein, und das zum
Nachteil unserer jungen Generation, meine Damen und Herren. Das Kopfnotenchaos muss tatsächlich schnellstmöglich beendet werden.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Das unausgegorene Konzept der Landesregierung zur Bewertung von Arbeits- und Sozialverhalten durch Schulnoten bereitet gerade auf Abschlusszeugnissen große Probleme und kann zu
erheblichen Nachteilen führen.
Die Art und Weise der Notenvergabe führt
zwangsläufig zu Ungerechtigkeit und Klagewellen.
Für uns Sozialdemokraten steht fest: Das Arbeitsund Sozialverhalten sollte zweifellos ein Bestandteil der Zeugnisse sein, allerdings in textlicher
Form als Beurteilung, nicht als Ziffer. Es kann außerdem nicht angehen, dass die öffentlichen
Schulen Kopfnoten vergeben müssen, die kirchlichen Schulen aber nicht. An der Stelle kann ich
dem Antrag der Grünen nur zustimmen, meine
Damen und Herren: Dieses Zwei-Klassen-System
muss vom Tisch.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Bestätigen, ja sogar bekräftigen kann man im Übrigen auch die Forderung der Kolleginnen und
Kollegen zu den Anmeldezahlen. Mangelnde Anmeldezahlen zwingen zu Verbünden, und das
nicht nur im ländlichen Raum. Auch in Großstädten werden aufgrund sinkender Schülerzahlen
Haupt- und Realschulen einzügig oder können gar
nicht gehalten werden. Hier ist die Ignoranz der
Koalitionsfraktionen nicht zu überbieten, wenn es
darum geht, Konzepte – sprich Horstmar/Schöppingen – anzuerkennen und endlich, zum jetzigen
Zeitpunkt, die längst fällige Umstrukturierung unserer Schullandschaft vorzunehmen. Aber dazu
fehlt Ihnen ja leider der Mut, meine Damen und
Herren.
Wir brauchen ein Schulsystem, das niemanden
zurücklässt, ein Bildungssystem, das unsere Kinder nicht aussortiert oder in Sackgassen lenkt. Ein
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Bildungssystem muss her, das unsere Kinder
nicht zu Verlierern abstempelt.
Die kürzlich veröffentliche Bertelsmann-Bildungsstudie gibt uns natürlich recht. Laut Umfrage hält
fast die Hälfte der befragten Bundesbürger das
deutsche Bildungssystem für überholt und ungerecht.
Die Mehrheit der Befragten sprach sich für ein
längeres gemeinsames Lernen aus.
Halbherzigkeit und fehlender Mut seitens der
CDU/FDP-Regierung, das System den Gegebenheiten anzupassen, erweisen sich auch beim
Ausbau der Ganztagsschulen – oder soll ich sagen: im Nichtausbau der Ganztagsschulen. Denn
nach dem jetzigen Ganztagsprogramm der Landesregierung würde es wohl bis 2020 dauern, ehe
auch die letzte Realschule und das letzte Gymnasium in eine Ganztagsschulform umgewandelt
worden wären, und das auch nur dann, werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Finanzierung
durch das Land konsequent durchgezogen würde.
Den Ganztag für nur ein Gymnasium plus eine
Realschule pro Kommune pro Jahr vorzusehen,
reicht beileibe nicht aus. Wo, bitte, bleiben denn
die Großstädte? Das Investitionsprogramm ist unzureichend. Es ist realitätsfern und wird sich zu
einer schweren Belastung für die Kommunen
entwickeln. Wir werden es erleben.
Im Gegensatz zum IZBB-Programm, das einen
Eigenanteil der Kommunen von nur 10 % vorsah,
müssen die Kommunen nun mindestens 50 %
übernehmen. Pro Schule stellt die Landesregierung maximal 100.000 € bereit. Das ist eine völlig
realitätsferne Summe, da Fachleute zum Beispiel
den Bau einer Mensa ohne eigene Küche mit rund
750.000 € bis zu 1,5 Millionen € beziffern.
Die Begrenzung des Investitionsprogramms auf
zwei Jahre wird dem bestehenden und noch erwachsenden Bedarf in keiner Weise gerecht.
Kommen wir zum wichtigen Thema „Schulmittagessen“: In der Praxis sieht es so aus, dass es
Kinder erster und zweiter Klasse gibt, nämlich diejenigen, die sich das Essen leisten können, und
diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist. Nicht
wenige Kinder verlassen vor dem Mittagessen die
Schule, kommen dann aber zur nachmittäglichen
Betreuung wieder. Ich brauche Ihnen, meine Damen und Herren, sicherlich nicht zu schildern,
welchen Druck diese Situation auf die Kinder ausübt, zumal in 98 % der Fälle davon ausgegangen
werden kann, dass diese Kinder auch zu Hause
kein Mittagessen bekommen und mit hungrigem
Magen in die Schule zurückkehren. Wenn es der
Landesregierung wirklich so ernst ist, dass jedes
11580
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Kind ein warmes Mittagessen bekommt, muss sie
auch die wirklich notwendigen finanziellen Investitionen tätigen.
Was passiert, wenn der Landesfonds „Kein Kind
ohne Mahlzeit“ nach zweijähriger Laufzeit eingestellt wird? Wie sieht die Anschlussregelung aus,
meine Damen und Herren? Es ist nicht damit getan, plakativ sozial zu argumentieren, aber in der
Umsetzung jegliche soziale Verantwortung vermissen zu lassen.
Abschließend möchte ich betonen, dass meine
Fraktion dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
zustimmen wird.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Schneppe. – Für die FDP spricht nun die
Kollegin Frau Pieper-von Heiden.
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Löhrmann, Frau Beer, das ist der ich weiß nicht wie
vielte Aufguss, den Sie uns liefern. Aber es ist
wirklich kalter Kaffee. In der Sommerpause ist Ihnen wohl nichts anderes eingefallen. Noch dazu
sind Sie zu spät zurückgekehrt, denn irgendwie
haben Sie nicht mitbekommen, dass Frau Ministerin Sommer erklärt hat, dass es noch im Laufe
des Monats September die Evaluation der Kopfnoten geben und anschließend zügig eine Neuregelung nach einer sehr verantwortungsvollen Evaluation noch im laufenden Schuljahr umgesetzt
wird. Dies nur zu Ihrer Information.
Interessant ist doch zu lesen, dass Sie irgendwie
nicht so recht wissen, was Sie wollen. Das wissen
wir zwar; aber dass Sie das hier so klar zu Papier
bringen, das ist neu. Auf der einen Seite scheint
Ihnen zwar eine Rückmeldung recht zu sein, auf
der anderen Seite aber bitte schön kein Zwang.
Form und Art der Notenvergabe sollen, bitte
schön, freigestellt werden. – Ich kann mich an eine Debatte hier erinnern, in der Sie sehr klar gesagt haben, es dürften überhaupt keine Ungerechtigkeiten auftreten, überall müsse alles vergleichbar sein. – Was wollen Sie denn wirklich?
Sortieren Sie sich erst einmal ein bisschen nach
Ihrem Urlaub. Dann können wir neu diskutieren.
Zur Gemeinschaftsschule. Auf den ersten Blick
scheint es so, dass Sie ganz pragmatisch daherkommen, aber im Grunde genommen verstecken
Sie doch wieder Ihre Ideologie unter diesem
Punkt. Sie wollen nun einmal die Einheitsschule.
Das sagen Sie verdeckt, aber nicht wirklich. Sie
wollen Verschiedenes ermöglichen usw.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Dazu nur eines: Auf die Differenzierung und auf
die Erfordernisse der Differenzierung der unterschiedlichen Begabungen sowie Leistungsstände
der Kinder wollen Sie wohl kaum Rücksicht nehmen. Sie können doch wirklich nicht behaupten
wollen, dass es in einer großen Einheits- oder
Gemeinschaftsschule möglich ist, den individuellen Erfordernissen jedes einzelnen Kindes gerecht
zu werden!
Präsidentin Regina van Dinther: Frau Kollegin.
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Frau Beer, Sie
bezeichnen die FDP gerne als Bildungstaliban.
Das ist geschmacklos, aber offensichtlich Ihr Jargon und Ihr Stil.
(Lachen von den GRÜNEN)
Um auch einmal in dieser Form zu sprechen, Frau
Beer: In Wahrheit sind Sie die Heckenschützin,
die aus ideologischen Gründen die Zukunft unserer Kinder aufs Korn nimmt. Die aber ist nicht zur
Disposition zu stellen.
(Beifall von der FDP)
Wir müssen individuell fördern. Die Mehrheit der
Wissenschaftler, die sagt, es sei eine Differenzierung nötig, und die damit völlig auf unserer Seite
steht, nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis.
Sie bemühen ständig nur Ihre Ideologie.
Ganztagsaufbau pauschalieren! – Nein, wir wollen
den Ganztag überall dort hinbringen, wo er erforderlich ist, wo er auch nachgefragt wird. Dorthin
gehört er.
Und es gehören auch nicht alle Ganztagsschulen
als gebundene Ganztagsschulen eingeführt, sondern das Ganztagsprogramm muss so, wie es die
Landesregierung und die Regierungsfraktionen
entschieden haben, offen in den weiterführenden
Schulen angeboten werden.
Genau das machen wir. Das machen wir nach
Bedarfslage. Das stülpen wir nicht über. Das haben Sie früher mit der Gießkanne gemacht. So
etwas machen wir nicht. Aber da haben Sie sich
wahrscheinlich noch nicht umgewöhnen können.
Präsidentin Regina van Dinther: Frau Kollegin,
es gibt eine Zwischenfrage von Frau Löhrmann.
Erlauben Sie die oder nicht?
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11581
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Es war wirklich
erholsam, so etwas mal sechs Wochen nicht zu
hören. Jetzt habe ich das Wort.
Präsidentin Regina van Dinther: Gut. Sie entscheiden das.
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Ich nehme an,
Frau Beer wird sich hier gleich noch umfassend
auslassen. Sie hat ja noch ein bisschen Zeit von
Frau Löhrmann.
Das Allerschärfste ist die Behauptung – das möge
man sich doch einmal auf der Zunge zergehen
lassen –, den Gesamtschulen werde der Ganztagsausbau aus ideologischen Gründen verwehrt.
Ich möchte nur daran erinnern, dass früher unter
Ihrer Verantwortung fast 100 % der Gesamtschulen als Ganztagsschulen errichtet worden sind,
dass Sie allen anderen weiterführenden Schulen
über viele Jahre die Genehmigung der Ganztagsführung verweigert haben. Wenn das keine Ideologie ist, dann frage ich mich: Was ist Ideologie?
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
Das tragen Sie vor sich her. Unter Chancengerechtigkeit verstehen Sie ausschließlich Ihr Lieblingskind, die Gesamtschule. Es ist nicht in Ordnung, nur Lieblingskinder zu fördern. Wir müssen
alle fördern. Wir haben einen weiten Weg der
Aufholung bei den anderen Schulformen. Das
nehmen wir in Angriff, das machen wir jetzt. Das
haben wir auch deutlich gesagt. Ich denke, das
hat sehr viel mehr mit Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu tun als das, was Sie hier einfordern.
Eigentlich lohnt es sich gar nicht, sich an den einzelnen Punkten abzuarbeiten. Ich will aber noch
einmal auf das Recht auf warme Schulessen für
alle, das Sie hier reklamieren, eingehen.
Es gibt in diesem Land noch Familien, Frau Beer,
die tatsächlich gerne ein gemeinsames Mittagessen mit ihren Kindern einnehmen. Es gibt Mütter
oder Väter oder beide zusammen oder meinetwegen auch die Oma, die das gerne machen. Es gibt
auch Kinder, die das Bedürfnis haben, einfach
mittags nach Hause zu gehen. Wir möchten keine
Ideologie breittreten und Familien und Kinder in
etwas hineinzwingen, was sie nicht haben wollen.
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Nicht ganz
gerne, Frau Präsidentin.
Wir wollen es als Angebot schaffen.
Präsidentin Regina van Dinther: Sie können
das entscheiden.
Das Angebot ist dringend erforderlich. Wir bieten
es an. Es hat einen so beherzten Ausbau des
(Beifall von der FDP)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Ganztags gegeben, von dem Sie im Jahr 2005
noch nicht einmal hätten träumen können.
(Beifall von FDP und CDU)
Letzter Punkt, und zwar Ihr Punkt Lehrmittel. – Es
ist allgemein bekannt, dass es in diesem Bereich
unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Das Verblüffende an Ihrer Argumentation ist wirklich, dass
Sie zusammen mit der SPD es gewesen sind, die
den Eigenanteil für Lehrmittel spürbar belastet
haben. Sie haben vor einigen Jahren die Kosten
für Eltern en passant um ein Drittel erhöht. FDP
und CDU sind es gewesen, die diese Belastung
zurückgenommen haben. Wir entlasten die Familien und ziehen ihnen nicht das Geld aus der Tasche. Wir müssen wirklich dazu beitragen, dass
es für die Familien nicht so schwer wird, für
Schulbücher für ihre Kinder zu sorgen.
Dieser Antrag gehört in die Mottenkiste. Sie machen das Gleiche in unterschiedlicher Reihenfolge
immer wieder. Aber egal, in welche Reihenfolge
Sie es stellen: Ihre Absicht ist transparent und
immer erkennbar, egal, wo Sie sie verstecken. –
Danke.
(Beifall von FDP und CDU)
Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön,
Frau Pieper-von Heiden. – Frau Ministerin Sommer spricht nun für die Landesregierung. Bitte
schön.
Barbara Sommer, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ein Fünf-Punkte-Programm –
damit wollen die Grünen das anpacken, was den
Schulen unter den Nägeln brennt. Das hört sich
spannend an, Frau Löhrmann.
Umso größer ist allerdings die Enttäuschung,
wenn man Ihren Antrag genauer liest. Darin findet
sich nichts Neues. Das hat sich, glaube ich, auch
schon in der Presse widergespiegelt. Aber wo,
frage ich Sie, meine Damen und Herren von den
Grünen, sind Ihre Perspektiven, Ihre Visionen
geblieben, auf die wir immer gern geantwortet haben? Vorbei, dahin!
Das, was der Ministerpräsident heute gesagt hat,
trifft wirklich zu. Er hat gesagt: Wenigstens gelegentlich waren Sie gut in diesen Dingen.
In Ihrem Antrag schreiben Sie von Weichenstellung. Das lässt die Assoziation zu dem Bild eines
Zuges zu. Wohin der Zug unter Ihrer Regierung
gefahren ist, wissen wir alle. In Ihren Waggons
hatten Sie eine Menge Unterrichtsausfall, 5 Millionen Stunden. Meine Damen und Herren, das wird
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11582
Sie verfolgen wie ein Schatten. Unter Ihrer Regierung war die Abhängigkeit der Bildungschancen
von der sozialen Herkunft größer als je.
(Ingrid Pieper-von Heiden [FDP]: So war
das! Leider!)
Es ist gut, dass Sie nicht mehr an den Stellschrauben drehen können.
(Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, wir sorgen für mehr
Lehrer, für mehr Ganztag und für individuelle Förderung. Das sind die richtigen Weichenstellungen.
Lassen Sie mich jetzt kurz auf Ihre Punkte eingehen.
Die Kopfnoten sollen in das Belieben der Schulen
gestellt werden. – Ein schönes Chaos gäbe das.
(Beifall von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])
Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler in
einer vernünftigen Rückmeldekultur Auskunft über
ihr Arbeits- und Sozialverhalten bekommen. Kopfnoten sollen klar, eindeutig und verbindlich sein.
Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir eine Analyse vornehmen. Frau Pieper-von Heiden hat
erklärt, dass diese Auswertung im Augenblick
läuft.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Zwei oder drei
Jahre? – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir gegebenenfalls eine Änderung vornehmen.
Ich will auch klarstellen: Die Schülerinnen und
Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer werden früh
genug informiert, sodass mögliche Änderungen
schon zum Halbjahreszeugnis umsetzbar wären.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Jetzt sagen Sie
doch endlich mal etwas!)
Zu Ihrem zweiten Punkt. Ich beglückwünsche Sie
zu Ihrer Einsicht, dass es jetzt endlich mehr Ganztagsschulen geben soll. Das ist allerdings eine
recht späte Erkenntnis.
(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])
Wir haben bei der Übernahme der Regierungsverantwortung keinerlei Planungen vorgefunden –
vieles merkt man ja erst im Nachhinein –, wie der
Ganztag an den anderen weiterführenden Schulen realisiert werden soll.
(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)
Ich wiederhole es noch einmal – Klaus Kaiser hat
es eben schon gesagt –: Zwischen 1993 und
2005 haben Sie nur an einer Schulform den
Landtag
Nordrhein-Westfalen
11583
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Ganztag ermöglicht: an der Gesamtschule. Keine
Förderschule, keine Realschule, kein Gymnasium
wurde damit bedacht und selbstverständlich in Ihrem Kontext auch keine Hauptschule.
befristete Regelung geschaffen? Das Thema
scheint Ihnen doch wichtig zu sein. Sonst würde
es nicht unter diesem Fünf-Punkte-Programm
stehen.
Wir haben nach dem Ausbau des Ganztags an
der Hauptschule mit unserem 175-Millionen-€Programm jetzt den flächendeckenden Ausbau
des Ganztags ermöglicht. An Realschulen und
Gymnasien wird er in Angriff genommen. Ich denke, in den nächsten zwei Jahren können wir uns
mit 216 Ganztagsschulen im Realschul- und im
Gymnasialbereich sehen lassen.
Da das Gesetz zur finanziellen Entlastung der
Kommunen ausgelaufen ist, wurde die Höhe des
Eigenanteils wieder von 49 auf 33 % reduziert.
Somit belaufen sich die Kosten pro Jahr auf 12 €
für die Grundschulen, 23,66 € für die Schulen der
Sekundarstufe I und 26 € für die Oberstufe. Ich
glaube, das ist nicht unverhältnismäßig. Ich habe
bisher von keinem Kind gehört, das keine Schulbücher bekommen konnte.
Frau Schneppe, ich darf Ihnen entgegnen. Sie
haben eine Hochrechnung gemacht und haben
gesagt: Mein Gott, wenn Sie so weitermachen
wollen, dann sind Sie bei den Realschulen ja erst
2020 fertig. – Ich rufe Ihnen zu, dass es darum
geht, diese Entwicklung bedarfsgerecht voranzutreiben. Wenn Sie davon ausgehen, dass erst
2020 alle Realschulen im Ganztag sind, dann
müssen Sie aus Ihrer Position heraus ja auch die
Bedeutung dessen erkennen, wenn Sie das so
wichtig finden. Ich frage Sie auch in diesem Zusammenhang: Warum haben Sie nicht eher reagiert?
In dem Konglomerat von bildungspolitischen
Themen muss natürlich auch das warme Schulessen wieder seinen Platz haben. Das Thema ist
nicht neu, das wissen wir alle. Aber, Frau Löhrmann, Sie konnten nicht warten, bis der Schulausschuss das Thema beraten hat, Sie haben es
vorher eingebracht. Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt: Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine warme Mahlzeit für alle Schüler
ist nicht bedarfsgerecht.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Warum machen
die es dann in Finnland und Schweden?)
Bedarfsgerecht nenne ich es, wenn sich ein Angebot mit der Nachfrage deckt. Vor Ort haben wir
wirklich schon gute Lösungen. Wir haben ein Programm aufgelegt, das mit 400.000 € finanziert
wird. Das heißt, wir honorieren gerade auch diese
Lösungen. Den Landesfonds „Kein Kind ohne
Mahlzeit“ haben wir für das Jahr 2009 auf
15 Millionen € aufgestockt. Damit, meine ich,
schaffen wir Lösungen, die sich am Bedarf der
Menschen und nicht an Ideologien orientieren.
Da wir schon beim Thema sind: Meine Damen
und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, Sie wollen, dass die Bildungschancen erhöht und Lernmittelfreiheit für Bezieher von Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch II eingeführt werden. Ich
frage mich auch hier wieder: Warum haben Sie
das nicht gemacht? Warum haben Sie nur eine
Meine Damen und Herren, über all diesen Forderungen schwebt natürlich wiederum der Geist der
Gemeinschaftsschule. Ich sage Ihnen hier erneut:
Es gibt keinen gesicherten Beleg dafür, dass längeres gemeinsames Lernen wirklich zu besseren
Leistungen führt.
(Beifall von CDU und FDP)
Das weiß ich. Das wissen Sie. Das wissen wir alle. Das wissen unsere Bürgerinnen und Bürger.
Das wissen vor allen Dingen die Eltern. Deswegen wollen sie auch den Erhalt der Schulstruktur,
wie sie jetzt ist und wie wir sie vertreten. Wir wollen weiter festhalten an einem differenzierten,
wohnortnahen Schulangebot, und das angesichts
sinkender Schülerzahlen. Dafür haben wir im
Schulgesetz vielfältige Möglichkeiten angeboten,
die auch von den Kommunen genutzt werden, sodass wir sprichwörtlich die Schule im Dorf lassen
können.
Wenn jede Kommune aber, wie Sie es wollen, ein
Modell nach eigenem Gusto schaffen würde, dann
käme es zu einem Durcheinander, das denen
nicht gerecht wird, für die wir zu sorgen haben,
nämlich den Kindern und Jugendlichen.
(Beifall von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])
Wir wollen das bestehende System verbessern,
seine Qualität steigern. Wir wollen Hauptschulen;
die haben Verfassungsrang, und das nicht erst
seit 2005. Wir wollen Realschulen. Wir wollen Gesamtschulen. Wir wollen Gymnasien. Wir wollen
Förderschulen. Und wir wollen einen engen Zusammenschluss mit unseren Berufskollegs. Wir
wollen den Schülerinnen und Schülern individuell
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wir wollen sie
auf keinen Fall über einen Kamm scheren.
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir
werden die Kopfnoten, wenn erforderlich, weiterentwickeln. Wir stellen ein wohnortnahes, differenziertes Schulsystem sicher. Wir bauen den
Ganztag weiter aus. Wir stellen das Schulessen
Landtag
Nordrhein-Westfalen
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11584
bedarfsgerecht sicher. Wir sorgen auch dafür,
dass die Kinder und Jugendlichen eigene Schulbücher haben.
Ich kann nur sagen: Selten dämlich!
Mit Ihrem Griff in die populistische Mottenkiste ist
niemandem gedient. Meine Damen und Herren,
die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit. Der
Bildungszug von CDU und FDP rollt. Die Opposition sieht die Rücklichter. – Vielen Dank.
Kommen wir zu den Kopfnoten. Das kommt mir
mittlerweile vor wie auf einem orientalischen Basar. Derzeit gibt es sechs Kopfnoten und einen
Abiturjahrgang, der damit durch sein ganzes Leben gehen muss, nämlich der letzte, der chaotische Abiturjahrgang 2008. Dieser Jahrgang hatte
sechs Kopfnoten. Wir wissen nicht, was den
nächsten Jahrgängen passiert. Werden es zwei,
werden es drei oder werden es vier Kopfnoten?
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Ministerin. – Für die SPD-Fraktion erhält Frau Abgeordnete Schäfer das Wort.
Ute Schäfer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben eindringlich von
Frau Ministerin Sommer gehört, was Sie alles wollen, wollen und wollen. Für das Wollen hat Ihnen
schon einmal ein Bildungsmonitoring einen guten
Platz beschert.
(Heiterkeit von der SPD – Ralf Witzel [FDP]:
Einen sehr guten!)
Allerdings hat Herr Stahl dann für die CDULandtagsfraktion eine repräsentative Umfrage in
Auftrag gegeben, die Ihnen sehr deutlich gezeigt
hat – wie Sie am Anfang der Sommerferien dokumentiert haben –, dass die herausragenden
Probleme in der Bildungspolitik bei den Menschen
folgendermaßen aussehen:
(Zuruf von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])
Sie beklagen Unterrichtsausfall, Sie beklagen
Lehrermangel, Sie beklagen zu große Klassen,
und sie beklagen ungleiche Chancen.
(Beifall von der SPD – Lebhafte Zurufe von
der CDU)
Das hat man Ihrer Bildungspolitik attestiert! Das
hat man Ihnen attestiert!
(Helmut Stahl [CDU]: Sie wollten 16.000
Lehrer einsparen! – Weitere Zurufe von CDU
und FDP)
– Das, Herr Stahl, ist die Realität.
Jetzt komme ich zu den Kopfnoten.
(Zurufe von CDU und FDP)
– Da werden Sie nervös; das kann ich gut verstehen. Herr Stahl, an Ihrer Stelle hätte ich die Umfrage in den Giftschrank gelegt, aber ich hätte sie
nicht der Öffentlichkeit präsentiert.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Helmut
Stahl [CDU] – Weitere Zurufe)
(Beifall von der SPD)
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Kommt die Änderung zum Halbjahr oder erst zum
nächsten Jahr? Kommt sie nach der Evaluation
eines Jahres oder nach der von zwei Jahren?
Vielleicht sagen Sie etwas präziser, wenn Sie das
nächste Mal Plakate aufhängen, was Sie eigentlich mit den Kopfnoten machen wollen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Die Menschen in Nordrhein-Westfalen nehmen
Ihnen einfach nicht mehr ab, dass das seriöse
Bildungspolitik ist. Wir haben Ihnen den Vorschlag
gemacht, die Kopfnotenvergabe zumindest bei
den Abiturienten auszusetzen. Auch solch einen
pragmatischen Vorschlag haben Sie schlichtweg
abgelehnt und lassen es zu einer Zwei-KlassenGesellschaft kommen.
Kommen wir zum nächsten Punkt, zu den kommunalfreundlichen Lösungen für Kommunen. Was
die Schulstruktur bzw. die Schulverbünde bei Ihnen angeht, kann ich sagen: Fehlanzeige! – Herr
Kaiser fordert lauthals Kreativität ein.
(Zustimmung von Klaus Kaiser [CDU])
Herr Kaiser, wenn die Kommunen dann kreativ
werden und hervorragende Konzepte auf den
Tisch legen, dann muss dieses Ministerium eine
Verrenkung machen und das Schulgesetz verfremden, damit tatsächlich noch irgendwelche Lösungen herauskommen, die die Kommunen zufriedenstellen. Das ist die Realität, die Sie den
Kommunen in Nordrhein-Westfalen zumuten!
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von
Christian Weisbrich [CDU])
Die CDU-Bürgermeister haben eine hohe Kreativität an den Tag gelegt.
(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])
– Ich attestiere gerade Ihren Bürgermeistern eine
hohe Kreativität und Sie rufen immer dazwischen,
Herr Weisbrich. Das finde ich nicht nett.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Zuruf von der SPD: Das hat er nicht verstanden!)
Ich kann nur sagen, dass Sie Ihr eigenes Schulgesetz im Hinblick auf die Anträge der Kommunen
bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, wenn Sie
ihnen angeblich pragmatische Lösungen vor Ort
anbieten wollen.
Kommen wir zum nächsten Punkt, zum Ganztag.
Interessant ist, welches Weinen sich auf einmal
einstellt, was wir von 1995 bis 2005 in Bezug auf
den Ganztag alles nicht gemacht hätten. Einige
Abgeordnete der CDU werden sich noch daran
erinnern, wie sie den Ganztag in der Zeit verteufelt haben, als wir trotz der schwierigen finanziellen Bedingungen den Ganztag immerhin in einer
Schulform umgesetzt haben.
(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von
der CDU)
Einige Abgeordnete der Koalitionsfraktionen werden sich auch daran erinnern, dass wir in der
Grundschule
ein
Ganztagsprogramm
mit
200.000 Plätzen aufgelegt haben. Wir sind dabei
sehr erfolgreich gestartet – gegen Ihren erbitterten
Widerstand!
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Das haben Sie später trotzdem fortgesetzt. Also
hören Sie bitte mit dem hohlen Gerede auf, wir
hätten uns nicht um den Ganztag gekümmert!
Das ist schlicht und einfach nicht wahr!
(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)
Ich sage Ihnen, wie Sie mit Ihren Programmen
umgehen. Ich war in Blomberg, habe die Eröffnung einer Mensa begleitet und durfte dort ein
Grußwort sprechen. Herr Kern war auch dabei;
ich weiß nicht, ob er hier jetzt noch anwesend ist.
Wir beiden waren vor Ort und haben uns angehört, was da passiert ist. Eine Hauptschule hatte
den Ganztag beantragt und wollte eine Mensa
bauen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis klar war,
dass die Mensa für diese Hauptschule, die in einem Schulzentrum liegt, auch von anderen Schülern benutzt werden durfte. Das heißt: Wenn es
nach Ihren Plänen gegangen wäre, hätten sich die
Realschüler und die Gymnasiasten die Nase am
Fenster platt gedrückt, während die Hauptschüler
zu Mittag gegessen hätten.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Das ist Ihre Art der Lösung gewesen. Nur mit dem
Handeln dieser Kommune, die selber 800.000 €
investiert hat, konnte eine Mensa gebaut werden,
die allen Schülerinnen und Schülern zur Verfü-
11585
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
gung steht. Das sind die pragmatischen Lösungen
vor Ort, die Sie im Detail häufig genug bekämpfen!
Das alles hat, wie gesagt, etwas mehr als
800.000 € gekostet. Aber jetzt bieten Sie ein
Ganztagsprogramm für die Gymnasien und für die
Realschulen an, das einer Kommune für den
Ausbau eines Ganztags sage und schreibe
100.000 € zugesteht – aber nur, wenn die Kommune selbst 100.000 € drauflegt. Ich frage Sie
ganz ernsthaft: Wie soll das denn funktionieren?
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Heute Morgen haben wir gehört, wie viele Steuermehreinnahmen Sie haben: Es gab eine Steigerung dieser Einnahmen in Höhe von 25 %. Wie
viel davon setzen Sie für den Ganztag ein? Da
müssten Sie anfangen nachzudenken. Alles andere uns ans Revers heften zu wollen ist schlicht
und einfach Unfug.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Das waren einige der Punkte, die ich aus meiner
Sicht noch einmal ansprechen wollte. Insofern finde ich: Das Sofortprogramm der Grünen ist das
richtige Programm zum richtigen Zeitpunkt. Ich
sage allerdings auch ganz deutlich: Es gibt noch
viel mehr ungelöste Probleme.
(Zustimmung von den GRÜNEN)
Ich nenne nur einige, zum Beispiel Ihr Scheitern
mit dem Schulgesetz. Die Schulleiterwahl ist nicht
mehr verfassungskonform.
(Beifall von Sören Link [SPD])
Sie wollen die Beförderungssperre für Schulleiter
aufheben, aber Ihr Innenminister macht keinen
Gesetzentwurf dazu; das funktioniert also gar
nicht. Sie haben bescheinigt bekommen, dass das
LPVG verfassungswidrig ist und müssen da noch
Veränderungen vornehmen. Der Prognoseunterricht entpuppt sich als reines Verwaltungsmonstrum. Verfahren sind beim Verwaltungsgericht anhängig. Eltern beschweren sich. Dieses Steuerungsinstrument ist gescheitert. – Das ist Ihre Bilanz. Da spricht nichts für Durchlässigkeit und
nichts für Chancengleichheit.
Wenn Sie uns dann attestieren wollen, Frau Ministerin, dass längeres gemeinsames Lernen keine besseren Lernergebnisse hervorbrächte – da
kann ich Ihnen vielleicht sogar Recht geben, das
weiß ich noch nicht,
(Ralf Witzel [FDP]: Aha!)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
aber eines, Herr Witzel, ist erwiesen: Längeres
gemeinsames Lernen schließt die Schere zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Das
muss uns doch das erste Anliegen sein.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Auch der Leistungsgedanke ist wichtig, er kommt
aber als Zweites hinzu. Deswegen sollten Sie diesem Gedanken nähertreten. Wir werden das hier
noch weiter erörtern. Machen Sie das nicht mit
der Einheitsschule platt. Es ist differenzierter, als
Sie denken. Sie sollten die Kinder in den Mittelpunkt Ihres bildungspolitischen Interesses stellen.
In dem Sinne stimmen wir dem Antrag zu. – Herzlichen Dank.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Abgeordnete Schäfer. – Für die grüne Fraktion
erhält Frau Beer das Wort.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin vermisst Visionen. Frau Ministerin Sommer,
wir versuchen es heute speziell für Sie mit kleinen
Schritten. Aber selbst diese kleinen Schritte verweigern Sie konsequent. Dabei sind diese kleinen
Schritte genau die Antwort auf die Nöte der Schulen, in die Sie diese hineingestürzt haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diese kleinen Schritte sind das, was die Schulen
jetzt brauchen. Sie aber schalten ab und machen
die Augen zu.
Die Kollegin Frau Pieper-von Heiden sagt hier:
Wir treiben die Schulen in nichts hinein. – Sie treiben den Schulen die Tränen in die Augen, allein
wenn Sie diesen Satz sagen. Sie haben die Nöte
verursacht. Sie haben den Schulen und Schulträgern das Turbo-Abitur, die Verkürzung der Sekundarstufe I vor die Tür gekippt. Und dann sagen
Sie „Wir treiben die Schule in nichts hinein“? Sie
haben Kopfnoten per Zwangsverordnung in die
Landschaft gegossen und müssen jetzt zugeben,
dass diese nicht passgenau sind, dass sie ungerecht sind, dass Sie nach nur einem Jahr
grundsätzlich daran arbeiten müssen. Und dann
sagen Sie „Wir treiben die Schulen in nichts hinein“? So viel Realitätsverweigerung ist wirklich
unglaublich. Das kann man sich gar nicht vorstellen.
Worauf dürfen sich die Schulen in Sachen Kopfnoten in diesem Jahr freuen? Die Ministerin sagt gerade ganz nebulös und verträumt lächelnd – viel-
11586
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
leicht ist das ein Tipp des neuen PR-Beraters –:
Das könnte in einem Halbjahr vielleicht so sein.
Die FDP schwadroniert über drei Noten, Herr Kaiser träumt von zwei Noten. Und was ist mit den
Schulen? Da herrscht absolute Unklarheit. Die
Schulen müssen nach den bisherigen Vorgaben
arbeiten, kennen die Kriterien nicht, nach denen
die Schüler/-innen demnächst beurteilt werden
sollen, und wohin die Kopfnoten laufen. Sie wissen nicht, ob es zwei, drei, vier oder vielleicht 32
sind – weil es doch viel differenzierter sein sollte.
Nichts ist klar! Die Schulen haben wieder unnütze
Arbeit mit einem unnützen Instrument. Und Sie
müssen schon nach kurzer Zeit eingestehen, dass
das Ganze im Prinzip ein Rohrkrepierer ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es wird auf jeden Fall nie wieder sechs Kopfnoten
in Nordrhein-Westfalen geben; das ist klar. Ich
kann den Schülerinnen und Schülern nur empfehlen, die Zeugnisse dieses Jahres aufzuheben. Sie
haben Seltenheitswert und können sicherlich einmal bei eBay versteigert werden. Da werden sie
eine enorme Rendite bringen.
Was wir heute Morgen hier gehört haben, grenzt
wirklich an Realitätsverweigerung bezüglich der
realen Situation der Schulen. Das war während
der heutigen Haushaltsdebatte auch vom Ministerpräsidenten mit Händen zu greifen.
Ich will Ihnen einen Satz mit auf den Weg geben,
Frau Ministerin: Es reicht nicht, Geld in ein System zu geben; dieses Geld muss auch effizient
eingesetzt werden, damit es die entsprechenden
Wirkungen entfalten kann.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist klar, dass man das gegliederte Schulwesen
auch mit Ressourcentransfusionen, wie Sie sie
versuchen, nicht gesund machen kann. Das wird
absolut nicht helfen.
Sie verweigern offensichtlich auch die Kenntnisnahme des bildungspolitischen Signals, das die
Bertelsmann Stiftung nun zweimal gesetzt hat:
erstens mit ihrer repräsentativen Befragung, die
ganz anders als die von Herrn Stahl eingeholten
Daten statistisch fundiert ist, und zweitens mit
dem Carl-Bertelsmann-Preis, der sehr deutlich
macht: Die Zukunftsaufgabe liegt darin, mit Heterogenität in dieser Gesellschaft positiv umzugehen, nicht auszugrenzen, Schulen zu belohnen,
die mit Migrant(inn)en, mit Zuwandererkindern arbeiten. Integration in dieser Gesellschaft muss
sich lohnen.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Und was machen Sie, Frau Ministerin? Sie schlagen gerade den Lehrern und Lehrerinnen an Gesamtschulen, die sich genau dieser Arbeit widmen, ins Gesicht. Das ist unsäglich! Wir werden
morgen früh noch ausführlich darüber diskutieren.
Das ist wirklich ein Dollpunkt, den Sie sich in der
letzten Woche geleistet haben.
All das zusammengenommen ist ein Offenbarungseid in der Schulpolitik. Wenn Sie den Schulen wirklich etwas Gutes tun wollen, dann setzen
Sie das Fünf-Punkte-Programm um. Davon haben
die Schulen sofort etwas. Auch Sie hätten mehr
Ruhe und könnten besser schlafen mit dem Gedanken, dass es in den Schulen mit grünem Programm runder läuft.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11587
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Kollegin Pieper-von Heiden. – Mir liegen keine
weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit
die Beratung.
Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen somit über den Inhalt des Antrags Drucksache 14/7343 ab. Wer für diesen Antrag ist, den
bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die
Fraktion Die Grünen und die SPD-Fraktion. Wer
ist dagegen? – Das sind die CDU-Fraktion und die
FDP-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? – Das ist
nicht der Fall. Dann ist dieser Antrag mit der
Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf:
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Kollegin Beer. – Frau Pieper-von Heiden hat noch
um die Gelegenheit zu einer Kurzintervention gebeten. Die Betonung liegt auf „kurz“.
Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Herr Präsident,
sie wird auch kurz. Meine Kolleginnen und Kollegen! auf das Klagelied von Frau Beer will ich nicht
eingehen, nur auf den Punkt Blomberg, den Sie
genannt hatten, Frau Schäfer. Ich konnte am Freitag leider nicht dabei sein, weil ich zu einer Beerdigung musste. Aber: Vor zwei Jahren bin ich von
Blomberg aus angerufen und gefragt worden, ob
in der Hauptschule, die nun eine Mensa bekomme, auch Schüler anderer Schulformen essen
dürften. Ich habe ganz erstaunt gesagt: Selbstverständlich können auch andere Schüler in dieser Mensa essen.
(Zuruf von Ute Schäfer [SPD])
– Ich will Ihnen erklären, womit das zusammenhängen mag, Frau Schäfer. Die Kommunen sind
früher unter Ihrer Verantwortung so mit detaillierten Anweisungen überzogen worden, dass sie
sich überhaupt nicht vorstellen konnten, etwas
machen zu dürfen, was nicht explizit erlaubt ist.
(Lebhafter Beifall von der CDU)
Ich wundere mich, wie Sie immer wieder imstande
sind, in manche Stelle des Schulgesetzes Dinge
hineinzuinterpretieren, die dort überhaupt nicht
stehen. Ich sage Ihnen noch einmal – dafür übernehme ich an dieser Stelle auch gerne die Verantwortung –: Alles, was im Schulgesetz nicht verboten ist, das ist erlaubt. Dann muss man nicht
tausend Mal nachfragen, ob man etwas machen
darf.
(Beifall von FDP und CDU)
7
Land NRW darf Entwicklung des Flughafens Köln/Bonn nicht torpedieren
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7349
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten
Tüttenberg das Wort.
Achim Tüttenberg (SPD): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Antrag wurde gestellt, um
für den wieder einmal von der Landesregierung
ohne Not mit einer Negativdiskussion belegten
Flughafen Köln/Bonn zu einer klaren, berechenbaren und verbindlichen Aussage dieses Parlamentes zu kommen.
Diesmal ist es das Privatisierungsgespenst, das
nach der LEG und den Sparkassen nun auch den
Flughafen heimsuchen soll. Dabei wird von Ihrer
Seite ständig von Planungssicherheit gesprochen,
für die Sie angeblich sorgen. Nun stellen wir fest:
Das größte Risiko für diese Planungssicherheit
scheint die Landesregierung selbst zu sein.
(Beifall von der SPD)
Der Flughafen Köln/Bonn ist das zentrale Frachtdrehkreuz für Nordrhein-Westfalen, ein logistischer Umschlagplatz ersten Ranges. Darin unterscheidet er sich grundlegend von den anderen
Flughäfen.
Nach langen Verhandlungen haben sich die Gesellschafter des Flughafens darauf verständigt,
dass der Bund seine Anteile am Flughafen verkaufen kann, wenn im Gegenzug der Flughafen
das Grundstück zur Sicherung seiner wirtschaftli-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
chen Zukunft erwirbt. Dabei ist der Bund dem
Verkehrsträger insoweit entgegengekommen, als
er zugesagt hat, das Grundstück nicht an den
Meistbietenden zu veräußern, sondern an den
Flughafen zu einem Preis, der durch Wertgutachten ermittelt wird.
Ein Wertgutachten hat aber naturgemäß keine
unbegrenzte Gültigkeit, sondern eine zeitliche Befristung. Daher der Zeitdruck! Die Frist endet am
Sonntag, also in vier Tagen. Kurz vor Ablauf dieser Frist zieht sich das Land zunächst einmal aus
allen Verhandlungen zurück, um dann plötzlich
und unerwartet zu verkünden, dass es eine Mehrheit der Kommunen am Flughafeneigentum ablehnt. Kurz vor Ablauf der Frist erklärt der Verkehrsminister, dass er auch keine Mehrheit Privater will, sondern sich eine Konstruktion wie in
Düsseldorf vorstellen kann, bei der 50 % der Anteile von Privaten und 50 % von der öffentlichen
Hand gehalten werden.
Seitdem sind zahlreiche Gespräche mit dem Bund
und der Stadt Köln angekündigt, aber nicht zum
Ergebnis geführt worden. Für die Kommunen bedeutet das, dass sie derzeit machtlos sind. Sie
haben keine Verhandlungsgrundlage, um beispielsweise miteinander zu klären, wie sie untereinander zusätzliche Anteile verteilen könnten.
Sie haben keine Grundlage für weitere Verhandlungen mit dem Bund. Nur die Uhr tickt.
Das hat sich die SPD-Fraktion übrigens nicht zusammengereimt, sondern es ist die zusammengefasst dargestellte Chronologie, die im Übrigen bereits im Juni 2006 begonnen hat. Schon damals
begannen die Verhandlungen. Eigentlich Zeit genug für die Landesregierung, eine eigene Position
zu entwickeln!
Es kommt aber bewusst anders, denn die Landesregierung beschließt ihre Privatisierungspläne für
den Flughafen erst am 10. Juni dieses Jahres,
nachdem sie vorher mit den weiteren Gesellschaftern anberaumte Termine mehrfach hat platzen
lassen. Sie wollen offensichtlich selbst keine Verantwortung für zusätzliche Anteile übernehmen,
zugleich aber den Kommunen verbieten, ihrerseits
Mehrheitsverantwortung zu tragen. Das hat zwei
Gründe:
Zum einen herrscht ein abgrundtiefes Misstrauen
gegenüber den Kommunen. Ich frage Sie, wem
Sie da eigentlich misstrauen: dem Oberbürgermeister von Köln, Ihrem Parteifreund Schramma,
oder dem Landrat des Rheinisch-Bergischen
Kreises, Ihrem Parteifreund Menzel, oder dem
Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, Ihrem Parteifreund Kühn, oder vielleicht dem dortigen CDU-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11588
Kreisparteichef, Ihrem Kabinettskollegen Krautscheid?
(Minister Oliver Wittke: Der rot-grünen Mehrheit in Köln misstrauen wir, Herr Kollege!)
In allen betroffenen Kommunen stellt die CDU
entweder den Verwaltungschef oder die größere
Mehrheitsfraktion oder beide. Welche Diskreditierung der eigenen Basis durch den CDULandesminister!
(Beifall von der SPD)
Man fragt sich, ob es denn keine Möglichkeit gegeben hätte, sich zum Beispiel frühzeitig mit den
Kommunen über eine andere Aufteilung der Anteile zu verständigen, die eine öffentliche Mehrheit
am Flughafen sichern würde, ohne bei den Kommunen zu liegen, was Sie ja nicht wollen. Die
Möglichkeit hätte es gegeben; es gibt sie auch
jetzt noch. Es hätte auch noch andere Möglichkeiten gegeben. Aber die Landesregierung wollte
keine Einigung. Denn diese Landesregierung –
und das ist der zweite Grund nach dem Misstrauen gegenüber den Kommunen – trägt die Fackel
der Privatisierung in alle Teile des Landes, ideologisch motiviert und auf die einmaligen Erträge
schielend, um die Wahlgeschenke für die nächste
Landtagswahl finanzieren zu können.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Deswegen fragen wir Sie heute, Herr Minister:
Wie hoch soll nach Ihrer Vorstellung der Landesanteil schlussendlich sein, wenn es keine private
und keine kommunale Mehrheit geben soll? Stellt
Ihr Konzept eine öffentliche Mehrheit sicher, oder
konstruieren Sie ein öffentlich-privates Patt, das
möglicherweise die Handlungsfähigkeit dieses
großen Verkehrsträgers infrage stellt?
Nicht nur die am Flughafen ansässigen Unternehmen, sondern vor allem die Tausende von
Beschäftigten haben Anspruch auf Klarheit. Heute
war ein Bus voll von Arbeitnehmervertretern bei
Ihnen, auch hier im Hause. An die 10.000 Unterschriften, in kürzester Zeit während der Sommerferien gesammelt, belegen: Man hat Angst vor der
Zukunft, man hat Angst vor einer groben Fehlentscheidung, Herr Minister, man hat Angst vor Ihrer
Politik.
(Beifall von der SPD)
Deswegen fordern die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem gemeinsamen
Antrag Klarheit für die Arbeitnehmer. Wir fordern
Planungssicherheit für die Unternehmen und eine
faire Behandlung der Kommunen. – Herzlichen
Dank.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Tüttenberg. – Für die Grünen hat der Kollege Becker das Wort.
Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute
nicht? Es geht heute nicht um die Frage der
Nachtfluggenehmigung, wie es vonseiten des Ministers teilweise in der Öffentlichkeit vermittelt
worden ist, und nicht um die Aufgaben, die die
Genehmigungsbehörde zusammen mit dem Bund
zu erfüllen hat.
Heute geht es um folgende Fragen: Welche Ausgangslage ist für den Flughafen Köln/Bonn die
richtige? Welche Ausgangslage in der Frage der
Privatisierung oder Nichtprivatisierung ist für die
Gebietskörperschaften rund um den Flughafen die
richtige? Welche Ausgangslage ist die richtige
sowohl für die Interessen der Wirtschaft als auch
für die der lärmgeplagten Bürgerinnen und Bürger?
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Christian Möbius [CDU])
Jedenfalls ist es nicht die richtige Ausgangslage,
die Wirtschaft zum alleinigen Akteur in dem Spiel
zu machen, bei dem es ganz massiv auch um die
Fragestellung geht: Gibt es eigene Interessen gegenüber anderen Flughäfen vonseiten Kölns und
des Umlands? Gibt es eigene Interessen der Bevölkerung gegenüber den dort tätigen Betrieben?
Ich sage in beiden Fällen Ja. Ich will Ihnen das in
aller Kürze erklären:
Wer den Flughafen privatisieren oder fifty-fifty, also
mit einem hohen Anteil, in private Hände geben
will, muss wissen, Interessenten für eine solche
Privatisierung oder Teilprivatisierung sind Fraport,
Hochtief und inzwischen wohl auch UPS – alle mit
eigenen Interessen. Die Interessen von Fraport
sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass man in
Frankfurt – Stichwort: vierte Start- und Landebahn – den Nachtflug stoppen oder reduzieren will.
Hochtief will Verspätungsregelungen, die man in
Düsseldorf nicht einhält, in Köln lösen. UPS hat
ganz eigene Interessen. Und selbst der Flughafen
kann nicht daran interessiert sein, dass einer der
dort Tätigen auch gleichzeitig Eigentümer ist.
Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf Lärm sind auch klar. Vor dem Hintergrund
einer Betriebsgenehmigung, wie Sie sie ausgesprochen haben, wäre die nach einem Verkauf
nur dann noch mal zu ändern, wenn die öffentliche Hand Teile des Kaufpreises zurückzahlt, weil
11589
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
eine Änderungsklausel selbstverständlich mit einer Rückzahlungsklausel verbunden wäre, kann
auch die Bevölkerung keine Privatisierung wollen.
Das ist auch der Grund dafür, dass sowohl Politikerinnen und Politiker der CDU, der SPD und der
Grünen rund um den Flughafen, in den Gebietskörperschaften, im Land und auch in der Stadt
Köln gemeinschaftlich dafür sind, dass die kommunale Seite weiter die Mehrheit stellt. Da mag es
Unterschiede in Kleinigkeiten geben, dass die
Stadt Köln gerne allein die Mehrheit hätte und andere das vielleicht nicht wollen. Aber wir sind uns
in der Region alle zusammen einig: Eines wollen
wir nicht, dass die kommunale Seite nicht die
Mehrheit hat, wenn sich der Bund oder das Land
von ihren Anteilen trennen. Keiner von uns will,
dass sich der Bund oder das Land von seinem
Anteil trennt. Aber wenn das eintritt, muss die
kommunale Seite die Mehrheit haben.
Deswegen haben wir für heute den Antrag gestellt, weil wir in den Kommunen den Ausgleich
der Interessen allemal besser sicherstellen als alle anderen Konstellationen mit einem hohen Anteil
von Privaten: eine Mehrheit oder 50 % Private.
Das ist der Grund, und ich bitte Sie, das auch hier
im Haus nachzuvollziehen,.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Becker. – Für die CDU-Fraktion erhält Frau Kollegin Brüning das Wort.
Hannelore Brüning (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
habe ich mit großem Interesse, aber auch mit ebenso großer Verwunderung festgestellt, die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen hier im Landtag entdecken plötzlich den
Flughafen Köln/Bonn als einen herausgehobenen
Flughafen mit großer infrastruktureller Bedeutung
aufgrund seiner Nachtflug-/Frachtflugsituation –
eine Tatsache, die sie sonst aus ihrem Blickwinkel
immer eher als nachteilig dargestellt haben.
(Beifall von CDU und FDP)
Bislang ging es hier bei unseren Diskussionen
über den Flughafen Köln/Bonn fast ausschließlich
um umweltrelevante Aspekte. Nunmehr erkennen
Sie in Ihrem Antrag ausdrücklich seine wichtige
Funktion für den internationalen Wirtschaftsstandort unseres Landes an. Dafür danke ich Ihnen
heute Abend und sage ganz deutlich: Da stimmen
wir mit Ihnen 100-prozentig überein. Köln/Bonn
mit seinen 12.500 direkten Arbeitsplätzen und
weiteren 24.000, die in der Region von diesem
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Airport abhängig sind, ist das, was wir einen Jobmotor nennen. Genau diesen hohen wirtschaftlichen Stellenwert geben wir von der CDU-Fraktion
dem Flughafen. Der Flughafen Köln/Bonn hat für
uns sowohl aus wirtschaftspolitischer als auch aus
verkehrspolitischer Sicht landespolitisch hohe Priorität.
(Horst Becker [GRÜNE]: Kommen Sie doch
zur Sache!)
Deshalb braucht – dabei befinden wir uns nicht im
Widerspruch zu Ihrem Antrag, Herr Becker – der
Flughafen mit allen davon abhängigen Wirtschaftszweigen und Arbeitsplätzen Planungssicherheit.
Dass genau das unser Ziel ist, haben wir in den
vergangenen Jahren genügend bewiesen. Mit den
verschiedenen Genehmigungsverfahren haben
wir in den vergangenen Jahren immer wieder unsere landespolitische Aufgabe wahrgenommen.
Herr Tüttenberg, ich war vorhin dabei, als die Mitarbeiter ihre 10.000 Unterschriften übergeben haben. Bei der Gelegenheit ist nicht nur das, was
Sie eben angeschnitten haben, zur Sprache gekommen. Es war übrigens eine ganz sachliche,
ruhige Diskussion. Aber bei der Gelegenheit haben sie sich auch ausdrücklich bei der Landesregierung für die Unterstützung in den vergangenen
Jahren bedankt.
(Beifall von der CDU)
Das haben Sie eben verschwiegen, das wollen
Sie natürlich nicht hören. In guter oder vielmehr in
unguter Erinnerung sind mir in diesem Zusammenhang die endlosen Diskussionen, die wir darüber, insbesondere mit Ihnen, meine verehrten
Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen, führen
mussten.
Nunmehr stehen wir vor der Situation, dass der
Bund der Flughafengesellschaft das 1.000 ha
große Gelände für 100 Millionen € verkaufen will.
Das ist sicherlich für die Flughafengesellschaft mit
dem Vorteil verknüpft, dass dann der seit Jahren
schwelende Streit um Erbpachtforderungen beendet wäre. Allerdings knüpft der Bund dieses Geschäft an die Bedingung, seine Anteile am Flughafen frei zu veräußern. Zu welchen Konditionen
und in welche Richtung dieses nun geht, ist abhängig von laufenden und zukünftigen Verhandlungen. Es gilt – das fordere ich heute ganz ausdrücklich –, diese nicht zu stören. Das hat kürzlich
auch der Oberbürgermeister von Köln, Herr
Schramma, im Interesse der Kommunalen und
der Gesellschafter auf Kreisebene gefordert. So
war es in der Zeitung zu lesen.
11590
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Dass die Zielrichtung dieser Verhandlungen aus
der Sicht der Landesregierung ganz eindeutig ist,
dazu hat sich vor kurzer Zeit auch der Verkehrsminister schon eindeutig geäußert. Er will für den
Flughafen eine gesicherte Zukunft. Er werde darauf achten, dass weder Private noch Kommunale
eine Mehrheit am Flughafen bekommen, so der
Minister.
Das Land wird einer Veräußerung der Bundesanteile nur zustimmen, wenn dies im Interesse der
Zukunft des Flughafens liegt. Unser Interesse
kann es doch nur sein, neben der Planungssicherheit für den Flughafen auch dafür Sorge zu
tragen, dass der Standort Nordrhein-Westfalen in
seiner wirtschaftlichen Kraft gestärkt wird.
Wie sich Herr Becker laut Bericht im „Kölner
Stadt-Anzeiger“ äußerte, könnte er sich durchaus
vorstellen, dass sich auch private Investoren am
Flughafen Köln/Bonn beteiligen. Gleichlautend
äußerten sich bei der Zeitung viele der befragten
Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen.
Dabei, meine Damen und Herren, darf aber der
Blick für das Wesentliche nicht verloren gehen.
Unser Ziel muss es doch sein, den Flughafen auf
sichere Füße zu stellen und somit seine Wettbewerbschancen für die Zukunft zu stärken. Zu berücksichtigen sind die Interessen der Region genauso wie die Interessen des Flughafens und natürlich auch die des Landes. Solange privates
Geld zusätzlich für die wichtigen Infrastrukturaufgaben zur Verfügung steht, so lange kann das natürlich auch von Vorteil sein. Dabei darf es allerdings nicht passieren, dass die Anteilsveräußerung des Bundes dazu führen, dass ein privater
Gesellschafter die Mehrheit erhält.
Vizepräsident Edgar Moron: Frau Kollegin Brüning, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
Abgeordneten Becker?
Hannelore Brüning (CDU): Nein, jetzt nicht. Herr
Becker hat gleich noch Gelegenheit genug.
Denn interessant ist der Flughafen sicherlich für
private Investoren – das zeigen viele andere Beispiele –, unter anderem wegen seiner Nachtflugerlaubnis, über die nur wenige deutsche Flughäfen verfügen. Unser Interesse kann es doch nur
sein, eine solche Vereinbarung über die künftigen
Eigentumsverhältnisse zu unterstützen, die die
Interessen der Region, der Anwohner des Flughafens und des Landes insgesamt wahren.
In diesem Sinne müssen die Gespräche zwischen
den wesentlichen Eigentümern, Bund, Land und
Stadt Köln, sachlich und ohne schädliches Gezer-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
re in der Öffentlichkeit geführt werden. Nur so
kann es zu einem möglichen einvernehmlichen
Ergebnis führen.
(Beifall von der CDU)
Für uns ist und bleibt als wichtigste Voraussetzung, dass auch zukünftig die verkehrs- und infrastrukturpolitischen Interessen des Landes gewährleistet bleiben. Denn wir haben landespolitische Interessen zu vertreten. Vor diesem Hintergrund muss eine einvernehmliche Lösung der
Verteilung der Gesellschafteranteile erzielt werden. Genau diese Verhandlungen laufen zurzeit.
Deshalb sollten wir diese Verhandlungen durch
eine öffentliche Diskussion weder stören noch beeinträchtigen.
Ich bin davon überzeugt, dass am Ende sachlicher Gespräche zwischen Bund, Land und dem
Kreise der Anteilseigner ein tragfähiger Lösungsvorschlag stehen wird. Nur, ich sage auch: Wir
brauchen zügig eine Lösung, damit der Flughafen
und die Kunden des Flughafens, die Airlines und
vor allem die Beschäftigten am Flughafen Planungssicherheit bekommen. Das ist unsere wichtigste Aufgabe. Ihren Antrag werden wir allerdings
ablehnen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Frau
Kollegin Brüning. – Für die FDP-Fraktion spricht
jetzt der Abgeordnete Rasche.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Tüttenberg, Herr
Becker, Sie haben eben einen Antrag vorgestellt,
der in seinen Aussagen falsch ist und der im Widerspruch zur Luftverkehrspolitik von SPD und
Grünen der vergangenen Jahre steht. Ich will Ihnen das gleich erklären.
(Dieter Hilser [SPD]: Da sind wir aber gespannt!)
– Kein Problem, lieber Herr Hilser.
Natürlich – das wissen wir alle – stehen wir vor
Eigentumsveränderungen beim Flughafen Köln/Bonn. Die Verhandlungen laufen seit langem und
sie sind – auch das ist uns allen klar – nicht ganz
einfach. Völlig falsch sind Ihre Behauptungen,
dass die Landesregierung diese Verhandlungen
blockiert, und falsch ist auch Ihre Forderung, dass
die Landesregierung diese Verhandlungen wieder
aufnehmen muss; denn die Verhandlungen laufen
weiter und sind niemals unterbrochen worden.
11591
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
(Martin Börschel [SPD]: Sie wissen ganz genau, dass das anders ist!)
Und deshalb, weil Ihre Aussagen im Antrag völlig
falsch sind, können wir dem auch nicht zustimmen.
Die FDP kann mit einem Modell sehr gut leben, in
dem es keine kommunale Mehrheit gibt und in
dem es keine private Mehrheit gibt. Wir haben das
Beispiel Düsseldorf, bei dem es sich hervorragend
bewährt hat. Warum sollen Mehrheitsverhältnisse,
die in Düsseldorf tragen, nicht auch in Köln/Bonn
tragen? – Das Ergebnis könne genau das gleiche
sein. Da gibt es überhaupt keinen Widerspruch.
Widerspruch gibt es aber sowohl bei den Grünen
als auch bei der SPD. Die Grünen – darauf komme ich zuerst – beschreiben im Beschlussteil dieses Antrages – ich zitiere –:
Aufgrund der herausgehobenen infrastrukturellen Bedeutung des Flughafens Köln/Bonn für
Nordrhein-Westfalen mit seiner FrachtflugNachtflug-Situation …
Die Grünen bekennen sich also ganz klar für den
Nachtfrachtflug in Köln/Bonn. Das ist ihr Reden
hier im Landtag. Und wie immer bei den Grünen
ist ihr Reden vor Ort und in der Region Köln/Bonn
ein völlig anderes.
Ich habe hier das Landtagswahlprogramm 2005
der Grünen. Auf Seite 94 steht – Zitat –:
Für Köln/Bonn, den Flughafen mit den meisten
Nachtflügen in Europa, halten wir am Ziel eines
generellen Nachtflugverbotes bis 2015 fest.
Das ist das falsche Reden der Grünen vor Ort.
Dort wird den Bürgern weisgemacht: Wir sind gegen sämtlichen Nachtflug, auch gegen Frachtflug
in Köln/Bonn. – Und bei gemeinsamen Anträgen
mit der SPD-Fraktion hier, macht man eine zu
100 % andere Politik in Bezug auf den Nachtfrachtflug in Köln/Bonn. Das ist ein sehr deutlicher
Widerspruch. Das sollten die Bürgerinnen und
Bürger in Köln/Bonn auch erfahren, meine Damen
und Herren.
(Beifall von FDP und CDU)
Aber auch bei der SPD gibt es ein widersprüchliches Handeln. Am 18. November 1997 wurden
50 % des Flughafens Düsseldorf, also der Anteil
des Landes, an die private Hand verkauft. 1997
regierte die SPD gemeinsam mit den Grünen in
Nordrhein-Westfalen. Damals sprach in der SPD
niemand von einem Teufelswerk, wenn 50 % an
die private Hand verkauft werden. Nein, Sie haben von keinem Teufelswerk gesprochen. Sie ha-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ben es sogar gemacht. Sie haben 50 % an die
private Hand verkauft. Das Erfolgsmodell Düsseldorf, meine Damen und Herren von der SPD, gibt
Ihnen sogar Recht. Es war doch genau die richtige Entscheidung, so zu verfahren. Düsseldorf hat
sich gut entwickelt. Die beiden Eigentümer haben
sich immer auf eine vernünftige Lösung geeinigt.
Jetzt nehmen Sie aus rein populistischen Gründen Abschied von Ihrer früheren Haltung, die, wie
gesagt, ein Erfolgsmodell war, und wollen auf keinen Fall mehr 50 % an die private Hand verkaufen. Warum dieser Widerspruch, meine Damen
und Herren von der SPD?
(Bodo Wißen [SPD]: Der Minister will es
doch auch nicht!)
Herr Wißen, werden Sie getrieben von den Linken, die Staatwirtschaft pur in Nordrhein-Westfalen wollen, die am liebsten alle größeren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen verstaatlichen
wollen? – Nur weil Sie von denen getrieben werden, weil Sie Wähler und Mitglieder an die Linken
verlieren, verlassen Sie jetzt Ihre eigene Politik,
die überaus erfolgreich war, lieber Herr Wißen.
(Beifall von FDP und CDU)
Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn dieser
Antrag von Ihnen und von den Grünen in diesem
Haus keine Mehrheit findet.
Die nächsten Wochen werden zeigen, dass wir zu
einem Kompromiss zwischen allen Beteiligten
kommen, der auch den Interessen aller Beteiligter
entgegenkommt. Das müssen Sie noch abwarten.
Dann werden Sie froh sein, dass diese Regierung
in Nordrhein-Westfalen so gehandelt hat. – Herzlichen Dank.
(Beifall von FDP und CDU)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Kollege Rasche. – Jetzt erhält das Wort Herr Minister Wittke.
Oliver Wittke, Minister für Bauen und Verkehr:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Eine Grundsatzbemerkung vorweg: Diese Landesregierung und diese Landtagsmehrheit werden
sich von niemandem in ihrem Bestreben übertreffen lassen, die Zukunft des Flughafens Köln/Bonn
aktiv zu gestalten, sodass dort Wachstum und
mehr Beschäftigung auch weiterhin stattfinden
können.
(Beifall von der CDU)
Es ist geradezu abenteuerlich, wenn diejenigen,
die über Jahre hinweg die Hausaufgaben an die-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11592
sem Flughafen nicht getan haben, sich jetzt aufspielen als diejenigen, die diesen Flughafen retten
wollen und ihn in eine gute Zukunft führen wollen.
(Beifall von der CDU)
Sie, meine Damen und Herren von der SPD und
den Grünen, waren es doch, die über Jahre hinweg nichts getan haben, um die Grundstücksfrage
zu lösen. Dabei ist das nicht ein Problem, das erst
in den letzten drei Jahren entstanden ist: Dieses
Damoklesschwert schwebt schon seit Jahren,
man kann fast sagen: seit Jahrzehnten über dem
Köln/Bonner Flughafen. Nichts haben Sie getan,
um diese Frage anzugehen. Erst nachdem wir
dieses Thema angepackt haben, sind wir auf einem guten Weg, weil das die Basis dafür ist, den
Flughafen in eine gute Zukunft zu führen.
(Beifall von der CDU)
Im Übrigen, dass sich jetzt diejenigen, die aus vollen Rohren gegen die Verlängerung der Nachtfluggenehmigung geschossen haben, aufspielen
als die Rächer der Witwen und Waisen, Entrechteten und Enterbten, das ist nun wirklich ein Treppenwitz. Herr Becker, da frage ich Sie doch einmal: Wo war denn Ihre Sympathie für die Beschäftigten am Köln/Bonner Flughafen, als wir
hier in diesem Parlament die Debatte darüber geführt haben, wie es mit dem Nachtflug in
Köln/Bonn weitergeht?
(Beifall von der CDU)
Ich setze sogar noch eins drauf: Hätten Sie damals unter Ihrer Regierungsverantwortung den
Mut gehabt, diese Entscheidung zu treffen, wären
Lufthansa-Cargo und DHL nicht nach Leipzig gegangen und es hätten nicht Hunderte von Arbeitsplätzen in Köln/Bonn vernichtet werden müssen.
(Beifall von CDU und FDP)
Darum ist es schäbig, wie Sie sich verhalten und
wie Sie insbesondere mit den Ängsten der Beschäftigten spielen. Es ist die gleiche Masche, wie
wir Sie schon bei der Veräußerung der Landesentwicklungsgesellschaft erlebt haben. Sie streuen Verunsicherung, Sie schüren Panikmache, Sie
versetzen die Leute in Angst und Schrecken. Ihnen geht es nicht um eine tragfähige Lösung,
sondern
(Zuruf von der SPD)
es geht Ihnen allein darum, ein parteipolitisches
Süppchen zu kochen. Und das ist schäbig.
(Beifall von CDU und FDP)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Nun zur Chronik der Geschichte: Ja, es ist wahr,
der Bund ist Gott sei Dank bereit, die Grundstücksfrage zu lösen. Das ist dringend notwendig – ich
sagte es bereits –, weil es die Basis für die weitere
Entwicklung des Köln/Bonner Flughafens ist. Der
Bund war es, der die erste Bedingung in diesem
Spiel gestellt hat. Der Bund hat nämlich gesagt:
Wir verkaufen euch das Grundstück nur, wenn ihr
uns die Möglichkeit einräumt, dass wir uns von unseren Anteilen am Köln/Bonner-Flughafen trennen.
Der Bund hat die allererste Bedingung formuliert.
Wenn wir es ernst meinen mit der Zukunftssicherung dieses wichtigen Airports NordrheinWestfalens, ist es klar, dass wir nicht ohne Voraussetzungen einem solchen Ansinnen des Bundes
zustimmen können. Darum hat diese Landesregierung gesagt: Wir wollen erstens sichergestellt haben, dass ein Privater bei der Veräußerung von
Anteilen keine Mehrheit erlangen kann. – Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir wollen mitreden, an wen verkauft wird; denn es gibt einige
Interessenten, die möchten wir auch bei einer Minderheitsbeteiligung am Köln/Bonner Flughafen
nicht sehen.
Wir haben zweitens gesagt: Wir möchten keine
kommunale Mehrheit an diesem Flughafen haben. –
Auch das möchte ich Ihnen gerne erklären, Herr
Tüttenberg. Es geht nicht darum, dass wir dem Oberbürgermeister von Köln nicht trauen. Ganz im
Gegenteil: Wir wissen, dass er das Beste für den
Flughafen will. Aber wenn ich mir vorstelle, dass eine möglicherweise rot-rot-grüne Mehrheit im Kölner
Stadtrat künftig über die Belange am Kölner Flughafen bestimmt, wird mir angst und bange.
(Beifall von CDU und FDP)
Oder: Wenn ich mir vorstelle, dass künftig über
die Zukunft des wichtigen Airports im Kreistag des
Rhein-Sieg-Kreises unter Führung von Herrn Becker debattiert wird, wird mir angst und bange.
(Zuruf von der SPD)
Nein, das wollen wir nicht. Und das sage ich ganz
offen.
(Beifall von CDU und FDP)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, deshalb lassen
wir uns von niemandem in unserem Bestreben
übertreffen, diesen Flughafen in eine gute Zukunft
zu führen. Wir wollen die Grundstücksfrage klären, nachdem wir mutig Planungssicherheit, was
die Betriebsgenehmigung anbelangt, geschaffen
haben. Wir wollen dafür sorgen, dass frisches Kapital akquiriert werden kann. Denn wir haben vor,
in den nächsten Jahren viele Investitionen an diesem Flughafen zu tätigen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11593
Da müssen Sie im Übrigen auch die Frage beantworten, woher das Kapital kommen soll.
(Minister Dr. Helmut Linssen: Ja!)
Sie wissen, dass diese Gesellschaft hoch verschuldet ist. Sie wissen, dass diese Gesellschaft
sich weiter verschulden wird, wenn sie das
Grundstück übernimmt. Das heißt, die Gesellschafter werden für mögliche Erweiterungen des
Flughafens künftig geradestehen müssen. Herr
Becker, jetzt mag es ja sein, dass Sie die Erweiterung am Köln/Bonner Flughafen nicht wollen. Wir
wollen die Erweiterung. Wir sagen aber gleichzeitig: Wir als Gesellschafter sehen uns außerstande, diese Investition zu stemmen. Ich bin mir auch
ziemlich sicher, dass die Stadt Köln diese Investition nicht stemmen kann; denn irgendwann ist
auch die Finanzkraft der RheinEnergie und der
Wohnungsbauunternehmen der Stadt Köln erschöpft.
(Martin Börschel [SPD]: Machen Sie sich da
keine Sorgen!)
Und weil das so ist, setzen wir auf das Erfolgsmodell, das auch Sozialdemokraten und Bündnisgrüne schon als Erfolgsmodell gesehen haben, nämlich auf das Modell des Düsseldorfer Flughafens.
Dort hat privates Kapital nach dem verheerenden
Flughafenbrand eine Entwicklung in Gang gesetzt, die nur noch durch eine mutige Betriebsgenehmigung beschleunigt worden ist, die auch
nach dem Regierungswechsel durch diese Landesregierung erteilt worden ist.
(Beifall von der FDP)
Nun haben wir es in Köln anders herum: Da gab
es erst die Planungssicherheit, was die Betriebsgenehmigung anbelangt. Das Kapitel haben wir
abgehakt. Jetzt geht es darum, die Anteile so neu
zu ordnen, dass wirtschaftliche Prosperität und
wirtschaftliches Wachstum an diesem Flughafen
möglich ist. Genau darum geht es.
Und darum noch einmal: Wir werden dafür sorgen, dass dieser Flughafen eine gute, eine sichere Zukunft hat, dass dieser Flughafen eine Entwicklungsperspektive hat, die es den Menschen
ermöglicht, dort Beschäftigung zu finden und die
insbesondere dem Köln/Bonner-Flughafen die
Chance einräumt, weiterhin ein wichtiger Standortfaktor in dieser dynamischen Wirtschaftsregion
zu sein. Davon lassen wir uns nicht in Kommunalwahlkämpfen und nicht durch parteipolitische
Süppchen abhalten. Davon lassen wir uns nicht
von denjenigen abhalten, die es in der Vergangenheit mit dem Flughafen nicht gut gemeint haben, sondern ganz im Gegenteil alle Knüppel her-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ausgeholt haben, um diesen Flughafen zu behindern. Davon lassen wir uns vor allem nicht durch
parteitaktische Spielchen abbringen.
Darum ist dieser Antrag abzulehnen. Darum haben nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die
Menschen in der Region unser Wort, dass dieser
Flughafen durch diese Landesregierung und
durch diese Landtagsmehrheit in eine gute Zukunft geführt wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Edgar Moron: Vielen Dank, Herr
Minister Wittke. – Für die SPD-Fraktion spricht
jetzt der Abgeordnete Börschel.
Martin Börschel (SPD): Herr Präsident, mit Ihrer
Erlaubnis! – Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich kann nicht umhin, mich zunächst mit
der von Frau Brüning vorgetragenen Position der
CDU zu beschäftigen. Sie hat hier eine sachliche
Debatte angemahnt, die sich allerdings spätestens durch den Beitrag des Ministers Wittke in ihr
Gegenteil verkehrt hat.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Ich gehe auf einige Punkte der CDU-Fraktion ein.
Es grenzt schon an Herumeierei, was hier stattfindet. Sie, Frau Kollegin Brüning, haben gerade
zum Ausdruck gebracht, dass man bitte durch eine Debatte hier oder durch Anträge dort die Gespräche zwischen den Gesellschaftern, die für
den Flughafen fundamental und existenziell seien,
nicht stören möge. Dieses Anliegen teilen wir. Mit
einer Pauschalgenehmigung des Präsidenten erlaube ich mir aber, zur Widerlegung des Ganzen
nur einige Pressezitate aneinanderzureihen, die
klarmachen, dass Sie Ihren Appell lieber an die
eigene Fraktion und die eigene Landesregierung
richten sollten, nicht aber an andere, die hier Anträge stellen.
Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 26. Juli dieses
Jahres heißt es:
Es ist eine historische Chance für den Flughafen Köln/Bonn: den Dauerstreit über Mietschulden beilegen, das Flughafengelände kaufen –
und weiter prosperieren. Doch sie bleibt möglicherweise ungenutzt, weil das Land NRW die
Pläne völlig unerwartet torpediert.
Einige Tage später schreibt dieselbe Zeitung,
NRW wolle nicht nur ebenfalls seine Anteile verkaufen, sondern auch verhindern, dass die kommunalen Anteilseigner eine Mehrheit erlangen;
50 % solle künftig ein privater Investor halten. –
11594
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Das ist gerade hier auch noch einmal bestätigt
worden. Der Kommentator schreibt dazu:
Seitdem spielt das Land auf Zeit. Weder von
Ministerpräsident Rüttgers noch vom Verkehrsminister ist etwas in der Sache zu hören.
Beide setzen offenkundig darauf, dass die
Stadt Köln sich für die Landespläne schon wird
erwärmen können, wenn der Druck erst groß
genug ist. Das ist verantwortungslos, schlechter
Stil und erinnert an Erpressung.
Dem ist zu diesem Punkt jedenfalls nichts hinzuzufügen.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Zum Zweiten belasse ich es bei einem einfachen
Rechenbeispiel nach Adam Riese. Sie, Frau Kollegin Brüning, haben gesagt, die Veräußerung der
Bundesanteile dürfe nicht dazu führen, dass Private die Mehrheit erhalten. Können Sie mir bitte
erklären, wie das gehen soll, wenn der Bund nur
30,96 % der Anteile hat? Wenn er sie verkauft,
können Private überhaupt nicht die Mehrheit am
Flughafen Köln/Bonn bekommen. Es sollte auch
den Rechnerinnen und Rechnern in der CDUFraktion klar sein, dass das schon rein sachlich
gar nicht geht.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Zum Dritten spreche ich einige Kollegen aus dieser Runde ganz persönlich an, weil die Schizophrenie im Handeln, die für einige symptomatisch
ist, an dieser Stelle besonders deutlich zutage
tritt. Gerade heute – auch das ist angeklungen –
haben Vertreterinnen von Gewerkschaften und
vom Betriebsrat des Flughafens an die Landesregierung etwa 10.000 in nur wenigen Wochen gesammelte Unterschriften übergeben, die sich gegen die Absichten der Landesregierung richten.
Diese Unterschriftenliste endet mit dem entscheidenden Appell an die Landesregierung:
Ich fordere die Landesregierung auf, ihre Privatisierungspläne aufzugeben und den Flughafen
im Besitz der öffentlichen Hand zu belassen.
Köln muss die Mehrheit an seinem Flughafen
erhalten!
Wissen Sie, wer das als Erstunterzeichner mit unterschrieben hat? Ihr Kollege Jürgen Hollstein aus
Köln. Er ist Parteivorsitzender und er ist Inhaber
des Wahlkreises Köln-Porz, in dem das Gelände
des Flughafens liegt. Er sagt also mit seiner Unterschrift auf dieser Liste, Köln müsse die Mehrheit an seinem Flughafen bekommen. Jetzt
kommt das Schizophrene: Derselbe Jürgen Hollstein antwortete nämlich auf die eben schon von
Frau Brüning zitierte Anfrage des „Kölner Stadt-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Anzeigers“, die lautete „Unterstützen Sie die Stadt
Köln bzw. die kommunale Familie bei ihrer Absicht, am Flughafen eine Mehrheit zu erlangen,
oder favorisieren Sie die Landesposition, die eine
private Beteiligung in Höhe von 50 % und damit
ein Patt unter Gesellschaften durchsetzen möchte?“:
Ich weiß nicht, ob die Stadt Köln sich einen Gefallen damit tut, eine Mehrheit über 50 % zu erwerben. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich
eine kommunale Aufgabe ist.
Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man
ganz klar sagen: Es geht nicht an, in Köln den lieben Jürgen zu spielen, und hier im Landtag den
Fraktionssoldaten Hollstein, der nur macht, was
Rüttgers und seine Leute ihm auftragen. Das
werden die Menschen in Köln auch merken.
(Beifall von der SPD)
Nun wende ich mit dem Minister Wittke zu, der
hier in einer seltenen Art von Geschichtsklitterung
einen Popanz aufgebaut hat. Wenn Sie sagen,
Herr Minister Wittke, dass die Grundstücksfrage
erst durch die Aktivität dieser neuen Landesregierung in Bewegung gebracht worden sei, dann ist
das wirklich Geschichtsklitterung.
(Beifall von der SPD)
Sie wissen ganz genau, dass diese Lösung über
die Grundstücksfrage überhaupt erst durch ein
Vieraugengespräch zwischen dem Staatssekretär
im Bundesfinanzministerium, Herrn Gatzer, und
dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Flughafens,
Volker Hauff, zustande gekommen ist. Damit haben Sie, Herr Wittke, und Ihre Kolleginnen und
Kollegen der Landesregierung nichts, aber auch
gar nichts zu tun. Es ist eine Unverschämtheit und
die glatte Unwahrheit, hier das Gegenteil zu behaupten.
(Beifall von der SPD)
Sie haben zur Chronik ausgeführt – das war Ihre
eigene Mitteilung, Herr Minister Wittke –, Private
sollten nicht die Mehrheit am Flughafen bekommen, aber auch die Kommunalen sollen keine
Mehrheit am Flughafen bekommen. Dazu sage
ich Ihnen: Setzen Sie ganz einfach die Gespräche
wieder an den Stand zurück, an dem Sie ausgeschieden sind – auch hier ist nämlich gerade die
Unwahrheit beschrieben worden; das Land ist
sehr wohl aus mehreren vereinbarten Terminen
ohne Angabe von Gründen ausgestiegen –, und
verkaufen Sie schlicht Ihre Landesanteile nicht!
Wenn Sie sie nämlich behalten, dann haben weder die Kommunen noch Private die Mehrheit.
Damit wäre allen gedient, und Sie hätten die gro-
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11595
ße Mehrheit des gesamten Parlaments auf Ihrer
Seite; das kann ich Ihnen garantieren.
(Beifall von der SPD)
Des Weiteren haben Sie, Herr Minister Wittke,
den Popanz von Rot-Grün-Rot an die Wand gemalt. Darauf antworte ich Ihnen zweierlei: Zum einen bekennt sich der künftige Oberbürgermeister
von Köln, Jürgen Roters …
(Lachen bei CDU und FDP)
– Hören Sie einmal zu; das Spannende kommt ja
noch. Das ist für Sie ja keine Neuigkeit. Aber das
Spannende ist doch Folgendes: Der künftige OB
Jürgen Roters bekennt sich auf dem Nominierungsparteitag der Kölner Grünen ausdrücklich
zum Flughafen Köln/Bonn und auch zum Nachtflug und bekommt trotzdem über 90 % für seine
Nominierung als gemeinsamer Oberbürgermeisterkandidat. Das ist doch eine Aussage. Vor diesem Hintergrund hier einen solchen Popanz aufzubauen, ist geradezu lächerlich.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Zum anderen zitiere ich gern aus einer Rede des
Fraktionsgeschäftsführers der FDP im Kölner Rat
vom 24. Juni dieses Jahres. Er sagt – ich darf zitieren –: Der Sozialdemokratischen Fraktion und
auch Ihnen, Herr Börschel, vertraue ich. Als es
damals aber um die Existenz des Flughafens
Köln/Bonn und die Nachtflugregelung ging, haben
wir auch andere Erfahrungen gemacht. Was wir
damals mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Prof.
Bietmann erlebt haben – und übrigens auch damals seinem Fraktionskollegen Möbius –, der zusammen mit den Grünen versucht hatte, die
Nachtflugregelung auszuhebeln, das – jetzt endet
das Zitat – geht auf keine Kuhhaut. Das sind doch
die wahren Gegner, die Sie überzeugen müssen,
die Bietmänner und Möbiusse dieser Welt, die aus
Partikularinteressen gegen den Nachtflug sind,
übrigens nicht nur in Köln, sondern auch hier;
denn die Fraktion der CDU hat ja seinerzeit einem
entsprechenden Antrag zugestimmt.
(Beifall von der SPD)
Herr Minister Wittke, wenn Sie das Problem der
Eigenkapitalausstattung des Flughafens Köln/Bonn ansprechen, dann sprechen Sie ein richtiges Problem an, übrigens ein Problem, dem sich
bislang sowohl Bund als auch Land und Kommunen nicht ausreichend gestellt haben. Sie können
aber getrost davon ausgehen, dass die kommunale Familie, wenn sie ein Interesse an der Mehrheit
des Flughafens Köln/Bonn artikuliert, den ersten
Schritt nicht beabsichtigt, ohne den zweiten
Schritt zu bedenken. Machen Sie sich, Herr Kolle-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ge und Minister Wittke, um die Eigenkapitalausstattung des Konzerns Stadt Köln und der kommunalen Familie keine Sorge. Den zweiten Schritt
werden wir nach dem ersten gehen. Da können
Sie sicher sein. Da müssen Sie erst einmal Ihre
Hausaufgaben machen. Dazu fordere ich Sie eindringlich auf.
Ich möchte nun, gewandt an den Kollegen Rasche und die Kolleginnen und Kollegen der FDPFraktion, auf meinen letzten Punkt zu sprechen
kommen. Sie haben ja noch einmal darauf hingewiesen, dass Sie sich eine 50/50-%-Regelung wie
am Flughafen Düsseldorf vorstellen können. Hierzu möchte ich wieder den FDP-Fraktionsgeschäftsführer im Kölner Rat aus der schon eben
genannten Sitzung zitieren:
Wir haben hier über den Düsseldorfer Flughafen
und die 50/50-Lösung gesprochen. Nach Meinung
der FDP-Fraktion wird es damit Probleme geben,
denn in der Wirtschaft werden eher selten Gesellschafterverträge mit 50/50 abgeschlossen. Wir
halten diese Regelung für nicht gut, weil ein Gesellschaftervertrag von 50/50 nur bei gutem Wetter taugt.
Er schließt:
Ich kann nur hoffen, dass die Landesregierung
noch auf den richtigen Weg kommt und weiterhin
ihre Anteile hält.
Dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank.
(Beifall von SPD und GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege Börschel. – Für die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen hat sich noch einmal der Kollege
Becker zu Wort gemeldet.
Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Minister Wittke
bedanken, der eindrucksvoll beschrieben hat,
dass er sowohl vor irgendwelchen rot-rot-grünen
Mehrheiten in Köln als auch vor schwarz-grünen
Mehrheiten im Kreistag Rhein-Sieg Angst hat.
Er hat nur eines verkannt: Er hat verkannt, für was
wer zuständig ist. Zuständig – ich sage es gerne
noch einmal – für eine aus unserer Sicht falsche
Genehmigung für den Flughafen Köln/Bonn ist der
Minister hier gewesen im Einklang mit dem Bundesfachminister. Zuständig ist eben nicht der Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat ist für die Herstellung
eines Interessenausgleichs an anderen Stellen in
der Region zuständig. Er ist unter anderen dafür
zuständig, dass keine falsche Geschäftspolitik zu-
11596
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
gunsten von Fraport, zugunsten von HOCHTIEF
oder zugunsten von UPS betrieben wird.
Lassen Sie mich etwas dazu sagen, wie was gelaufen ist. Der Kollege Börschel hat ja völlig Recht:
Mitte Juni hat der Staatssekretär im Aufsichtsrat
gesagt: Der Koalitionsausschuss hat mich beauftragt, hier mitzuteilen, es muss eine private Mehrheit am Flughafen Köln/Bonn geben. – Dann sind
Sie auf die 50/50-Regelung zurückgerudert und
haben versucht, zu erklären, warum 50/50 ähnlich
wie in Düsseldorf funktionieren müsse und könne.
Meine Damen und Herren, das, was Sie gerade
hier vertreten haben, fällt auf Sie selber zurück
und wird in der Region selbstverständlich Widerhall finden. Und es wird nicht nur in Köln, sondern
auch im Rhein-Sieg-Kreis Widerhall finden. Ich bin
mir sicher, es wird auch bei manchem Parteifreund in Ihrem bundesweit größten Kreisverband
nicht auf Vergnügen stoßen.
Lassen Sie mich noch etwas zu der Frage sagen,
was falsche Politik oder was schäbig ist. Dieses
Wort ist ja aus verschiedenen Mündern gefallen.
Insofern möchte ich Ihnen gerne sagen, was ich
persönlich schäbig finde. Ich finde es schäbig,
dass Sie alle Ihre Hand dafür heben, dass der
Landtag ein nächtliches Passagierflugverbot fordert, sich dieser Minister aber wenige Wochen
danach herausstiehlt und an einem runden Tisch
sagt, er denke überhaupt nicht daran, diesen
Landtagsbeschluss umzusetzen, ihn dann auch
tatsächlich nicht umsetzt, sondern eine Genehmigung bis 2030 erteilt, und der Fraktionsvorsitzende der FDP nach dieser Genehmigung, vor der er
nicht gesehen und gehört wurde, im „StadtAnzeiger“ im Rhein-Sieg-Kreis erklärt, er sei
nachdrücklich dafür, man müsse endlich einmal
zusammenarbeiten, um das nächtliche Passagierflugverbot durchzusetzen. Das, meine Damen und
Herren, finde ich schäbig.
(Beifall von GRÜNEN und SPD)
Ich finde es auch schäbig, wenn hier einige so
tun, als sei der Flughafen davon abhängig, dass
Sie hier eine zum Nachtflug, insbesondere zum
nächtlichen Passagierflug, aus meiner Sicht falsche Entscheidung treffen. Nein, der Flughafen ist
davon abhängig, dass er in der Region anerkannt
wird, auch bei den Menschen, die darunter zu leiden haben, was dieser Flughafen verursacht. Er
muss von allen anerkannt werden und ein guter
Nachbar sein. Dann wird er in der Tat weiter
wachsen und gedeihen.
Aber Ihre Behauptung, dass andere den Flughafen bekämpfen würden, und zwar außerhalb der
Probleme, die wir beschreiben und von denen Sie
Landtag
Nordrhein-Westfalen
nichts wissen wollen, die die Menschen aber jede
Nacht erleben, ist falsch. Das wird auch nicht
besser, wenn Sie diese jedes Mal wiederholen.
Insofern danke ich Ihnen herzlich für die jeweils
protokollarischen Nachweise darüber, wer die Interessen dieser Menschen überhaupt nicht im
Kopf hat und wen sie überhaupt nicht interessieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal zusammenfassen, worum es heute geht und
worum es nicht geht. Es geht heute nicht um die
Nachfluggenehmigung. Diese Genehmigung zu
treffen, war falsch. Das wird beklagt, und man
wird sehen, wie das am Ende ausgeht. Es geht
heute auch nicht darum, dass der Stadtrat von
Köln oder der Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises,
wie Sie sagen, unter meiner Führung – ich bedanke mich für die Ehre – eine aus Ihrer Sicht falsche Genehmigung erteilt.
Heute geht es darum, dass diejenigen, die vor Ort
den Interessenausgleich sicherstellen müssen,
um den Sie sich einen feuchten Kehricht scheren,
in die Lage versetzt werden, im Aufsichtsrat dann,
wenn der Bund und das Land ihre Anteile verkaufen wollen, ihre Rechte wahrzunehmen, und zwar
genau dann. Von uns fordert niemand, dass Sie
Ihre Anteile verkaufen. Aber wir fordern, dass die
Anteile in öffentlicher Hand bleiben, wenn Sie verkaufen. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege Becker. – Als Nächster spricht für die
Landesregierung Herr Finanzminister Dr. Linssen.
Dr. Helmut Linssen, Finanzminister: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ich wollte
mir und vielleicht auch Ihnen am Ende dieser Debatte eine kleine Freude machen. Die Landesregierung hat nämlich noch ein paar Minuten Redezeit.
Ich habe mir einmal – wir stehen ja alle auf den
Schultern unserer Altvorderen – die Freude gemacht, mir aus der Debatte im Jahre 1997 um die
Privatisierung des Landesanteils am Flughafen
Düsseldorf Zitate herauszuholen. Ich kann Sie
auswendig; deshalb brauche ich nicht die Zitatensammlung hervorzukramen. Herr Becker, Herr
Börschel und wer sonst noch ein vitales Interesse
am Flughafen hat, tun Sie sich doch den Gefallen
und lesen Sie das einmal nach!
Damals gab es die Auseinandersetzung, ob Harpen oder HOCHTIEF den Zuschlag bekommt.
Harpen hatte 308 Millionen DM geboten. Angeb-
11597
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
lich hatte Hochtief 350 Millionen geboten – allerdings mit einer Einschränkung: Nur wenn 107.000
Flugbewegungen kommen, gibt es die letzten
100 Millionen. – Die haben wir natürlich nie gesehen. Also ist für 250 Millionen verkauft worden.
In der Debatte wurde dann die CDU vor allen Dingen der ordnungspolitischen Inkorrektheit geziehen; denn sie gehe dem Gedanken der Privatisierung und der Mobilisierung des Kapitals nicht so
nach, wie das die SPD tue. Hauptredner waren
Herr Clement und Herr Matthiesen. Tun Sie sich
einmal den Gefallen und lesen nach, was sie zu
dem Segen einer 50-prozentigen Beteiligung von
Privaten am Flughafen Düsseldorf gesagt haben!
(Beifall von CDU und FDP)
Und schauen Sie sich auch einmal die Haltung
der Grünen an! Für sie hat Frau Nacken erklärt:
Wir haben zwar von Anfang an nicht so viel davon
gehalten; da es jetzt an den Höchstbietenden
geht, sind wir aber natürlich damit einverstanden.
(Heiterkeit und Beifall von Ralf Witzel [FDP])
Wenn ich dann in das Lokalkolorit von Köln eintauche – ich lese das, was Sie gerade noch zitiert
haben, Herr Börschel, ja auch alles –, dann muss
ich sagen: Sie müssen sich einmal Frau Speth,
ein ehrenhaftes Mitglied der SPD-Fraktion in diesem Hohen Hause, hereinziehen; so darf ich es
einmal formulieren. Sie hat in ihrer Antwort auf
Herrn Kollegen Hardt – die beiden Düsseldorfer
waren, so wie heute die Kölner, hier in der Arena
vertreten – gesagt: Herr Hardt, ich freue mich richtig darüber, dass Sie mit dafür gesorgt haben,
dass jetzt endlich ein Privater 50 % an diesem
Flughafen bekommt. – Herzlichen Glückwunsch!
Gute Lektüre!
(Heiterkeit und anhaltender Beifall von CDU
und FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Finanzminister Dr. Linssen. Es ist beeindruckend,
dass Sie neben der Aufstellung des Haushalts auch
noch zu einem Rollenstudium in der Lage sind. Dazu kann ich Sie nur beglückwünschen. Es ist für das
Hohe Haus eine wirkliche Bereicherung – vor allem
um 20:09 Uhr. Danke schön dafür!
(Beifall von CDU und FDP)
Nach diesem fröhlichen Ausklang zu einem ernsten Punkt kommen wir nun zur Abstimmung. Die
antragstellenden Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Daher kommen wir zur Abstimmung über
den Inhalt des Antrags Drucksache 14/7349. Ich
Landtag
Nordrhein-Westfalen
frage: Wer stimmt diesem Antrag dem Inhalt nach
zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist eindeutig, dass die Mehrheit hier im Hohen Haus diesen Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt hat.
(Beifall von Ralf Witzel [FDP])
Bevor wir gleich zu Tagesordnungspunkt 8 kommen, will ich einer Pflicht nachkommen, die wir
hier im Präsidium häufiger zu erfüllen haben. Leider müssen wir auch heute wieder eine Rüge
aussprechen. Sie betrifft den Abgeordneten Rüdiger Sagel.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11598
9
Gesetz zur Verankerung der getrennten
Abwassergebühr (Gesetz zur Änderung
des Kommunalabgabengesetzes)
Gesetzentwurf
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/6155
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 14/7332
zweite Lesung
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Er hat sich in der heutigen Plenarsitzung in seinem Redebeitrag zu TOP 2, Gesetz über die
Feststellung des Haushaltsplans des Landes
Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2009,
in Bezug auf den Ministerpräsidenten und den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ausgesprochen unparlamentarisch geäußert. Herr Sagel
wird daher für diese unparlamentarischen Äußerungen gerügt.
(Zuruf von der CDU: Was hat er gesagt?)
– Diese Worte möchte ich hier nicht wiederholen,
schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Ministerpräsidenten und seinem Arbeitsminister.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
8
Elfter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher
Staatsverträge
(Elfter
Rundfunkänderungsstaatsvertrag)
Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDUFraktion Herrn Kollegen Pick das Wort.
Clemens Pick (CDU): Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde
kommen wir jetzt zu einem Thema, das wir hier im
Landtag schon einmal behandelt haben. Es geht
nämlich die Verankerung der getrennten Abwassergebühr und die Änderung des Kommunalabgabengesetzes.
Diesen Gesetzentwurf, den Bündnis 90/Die Grünen im Frühjahr dieses Jahres vorgelegt haben,
hatten sie im Zusammenhang mit der Einführung
des § 6a in das KAG am 19. September 2006 bereits wortgleich gestellt. Ein Jahr lang ist dieses
Thema unnützerweise in den Ausschüssen beraten worden. Das Ergebnis war, dass dieser Gesetzentwurf am 19. September 2007 in zweiter
Lesung abgelehnt wurde.
Eine Beratung ist heute nicht vorgesehen; so ist
es vereinbart.
Nachdem nun das Oberverwaltungsgericht Münster ein Urteil gesprochen hat, hielt man es für
sinnvoll, diesen Antrag wieder aufleben zu lassen.
Dabei hat man allerdings nicht bedacht, dass dieses Urteil nicht das KAG infrage stellt, sondern
nur eine Anleitung zur Auslegung der Abwassergebührenberechnung an die Kommunen gibt. Insofern ist dieser Antrag überflüssig. Das ist im
Ausschuss auch so gesagt worden. Nach dem
KAG sind die Kommunen nämlich in der Lage,
diese Dinge selber zu regeln – was sie auch tun;
denn weitere Klagen in diese Richtung sind bis
heute nicht festzustellen.
Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des
Antrags Drucksache 14/7305 an den Hauptausschuss. Wer stimmt dieser Überweisung zu? –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Einstimmig
ist so überwiesen.
Neue Gesetze wollen wir den Bürgerinnen und
Bürgern hier nicht mehr auferlegen; denn Verwaltungsvereinfachung ist gewollt. Deswegen lehnen
wir diesen Gesetzentwurf wie auch schon in den
Ausschüssen ab. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 14/7305
erste Lesung
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
(Beifall von CDU und FDP)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege Pick. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau
Kollegin Gottschlich.
Margret Gottschlich (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pick hat gerade
schon darauf hingewiesen: Dieser Gesetzentwurf
ist nicht neu. Wir haben uns damit schon einmal
ausgiebig beschäftigt und ihn abgelehnt. Die Grünen haben das Urteil des OVG Münster zum Anlass genommen, einen fast identischen Antrag zu
stellen. Ich darf daraus zitieren:
Nach Auffassung des Gerichts ist es zum Beispiel nicht zulässig, dass etwa ein Supermarkt
mit geringem Frischwasserverbrauch, aber
großen Dach- und Parkplatzflächen, von denen
Regenwasser zusätzlich zum Abwasser in die
Kanalisation geleitet wird, nach gleichem
Schlüssel zahlen muss wie der Besitzer eines
Wohnhochhauses mit relativ hohem Trinkwasserverbrauch, aber kleiner Dachfläche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
entweder haben Sie das Urteil nicht richtig gelesen, oder Ihnen sind beim Schreiben dieses Gesetzentwurfs die Textbausteine ein bisschen
durcheinander geraten. Denn das Gericht hat etwas ganz anderes festgestellt. Es hat präzisiert,
wann der getrennte Maßstab anzuwenden ist und
wann nicht. Das Gericht hat gesagt, auch bei homogener Bauweise und homogener Baustruktur
könnten die tatsächlichen Verhältnisse in Ein- und
Zweifamilienhäusern so unterschiedlich sein, dass
auch dort der getrennte Maßstab anzusetzen ist.
Nicht mehr und nicht weniger! Es geht also nicht
um das berühmte Hochhaus und den berühmten
Baumarkt, sondern das Gericht hat präzisiert.
Damit ist dieser Gesetzentwurf also überflüssig.
Das hatten wir alles schon einmal. Die Kommunen sind jetzt gezwungen, ihre Gebührenbescheide umzustellen, ansonsten sind sie ungültig. Das
werden sie tun. Dazu brauchen wir keinen Gesetzentwurf. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf auch dieses Mal wieder ablehnen. – Danke schön.
(Beifall von SPD und CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau
Kollegin Gottschlich. – Für die FDP-Fraktion
spricht Herr Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das OVG hat gesprochen. Es
muss eine Änderung erfolgen, dass man die Abwassergebühr nicht auf die Frischwassergebühr
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11599
bezieht. Das wird vor Ort umgesetzt. Das Gesetz
zu ändern ist überflüssig. Wir wollen einen Bürokratieabbau. Deshalb lohnt es das Papier nicht,
ein neues Gesetz zu verfassen.
Das war eine Übung, die Sie gemacht haben,
Herr Kollege Remmel. Danke schön. Wir stimmen
dem nicht zu.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Kollege, das waren genau 26 Sekunden. – Als
Nächster spricht Herr Kollege Remmel.
Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte zumindest die leise Hoffnung, dass die Fraktionen dieses Hauses außer unserer Fraktion, die an
dieser Stelle schon immer diese Forderung erhoben hat, ihre Verstocktheit und ihren Trotz endlich
aufgeben würden.
Diese Auseinandersetzung läuft nun schon seit
über 20 Jahren. Und seit über 20 Jahren haben
Sie sich dagegen gewehrt, den getrennten Gebührenmaßstab, der sowohl ökologischer als auch
sozial gerechter ist, einzuführen. Dieser Kampf
musste bis zum Letzten vor den Gerichten dieses
Landes ausgefochten werden.
Nun hat das oberste Gericht dieses Landes eine
Entscheidung getroffen. Das Parlament dieses
Landes muss dann doch in der Lage sein, diese
Entscheidung zu akzeptieren und in das Gesetz
zu überführen, auch wenn man es politisch vielleicht nicht will. Aber nein, Sie lassen es zu, dass
in diesem Land mit dieser Frage weiter die Gerichte beschäftigt werden, nämlich dann, wenn die
Kommunen das nicht umsetzen, was jetzt höchstrichterlich festgestellt worden ist, sodass nach wie
vor jeder Bürger/jede Bürgerin das festgestellte
Recht einklagen muss. Sie schicken also die Bürgerinnen und Bürger vor die Gerichte. Sie produzieren Gerichtsverfahren. Sie produzieren für die
Bürgerinnen und Bürger Kosten und Ärger. Das
könnten Sie einfach dadurch lösen, dass Sie unserem Gesetzentwurf folgen.
Wir werden uns in dieser Frage wiedertreffen und
an der Stelle wieder zu dem Punkt kommen, dass
Rechtsicherheit endgültig nur dadurch geschaffen
werden kann, dass der Landtag das endlich in einem solchen Gesetz verankert. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Kollege Remmel. – Für die Landesregierung spricht
Herr Minister Dr. Wolf.
Dr. Ingo Wolf, Innenminister: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf ist Ausfluss grüner staatlicher Regelungswut. Es gibt eine rechtskräftige Entscheidung, die alle Fragen regelt. Der Städte- und Gemeindebund hat Umsetzungshinweise gegeben.
Deswegen ist der Gesetzentwurf überflüssig. –
Vielen Dank.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister Dr. Wolf. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/7332 den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 14/6155 abzulehnen. Wer will dieser
Empfehlung folgen? – CDU, FDP und SPD. – Wer
will ihr nicht folgen? – Das ist die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen. Enthält sich jemand? – Das ist
nicht der Fall. Damit ist mit großer Mehrheit in diesem Haus die Beschlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung abgelehnt.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
10 Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes
über die Erhebung von Kirchensteuern im
Land Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7075
erste Lesung
Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für
die Landesregierung Herr Minister Dr. Linssen
das Wort.
Dr. Helmut Linssen, Finanzminister: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Das Änderungsgesetz zum Kirchensteuergesetz
ist erforderlich, um der mit Wirkung ab 01.01.2009
eingeführten Abgeltungsteuer Rechnung zu tragen. Die Abgeltungsteuer hat zur Folge, dass Kapitalerträge wie zum Beispiel Zinsen, Dividenden
und Veräußerungsgewinne mit dem von den Banken und anderen Kapitalertragsschuldnern vorzu-
11600
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
legenden Kapitalertragsteuerabzug abgeltend besteuert sind. Die Kapitalerträge müssen dann
nicht mehr in der Steuererklärung angegeben
werden.
Die Höhe der Kirchensteuer richtet sich nach der
Einkommensteuer als Bemessungsgrundlage. In
Bayern und Baden-Württemberg gilt ein Kirchensteuersatz von 8 %, in Nordrhein-Westfalen und in
den übrigen Bundesländern beträgt die Kirchensteuer 9 % der Einkommensteuer.
Da die Kapitalerträge und auch die darauf entfallende Steuer zukünftig nicht mehr Bestandteil der
Einkommensteuerveranlagung sind, bedarf es eines Verfahrens, um auch auf diese Einkommensteuer weiter Kirchensteuer erheben zu können.
Eine Möglichkeit zur Sicherung des Kirchensteueraufkommens wäre, die Kapitalerträge allein für
Zwecke der Kirchensteuererhebung wieder in das
Veranlagungsverfahren einzubeziehen. Damit
würden sich die Vorteile der abgeltenden Wirkung
der Kapitalertragsteuer allerdings weitgehend verflüchtigen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich allein die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Kapitalertragsteuer als angemessener Weg dar. Der
Bundesgesetzgeber hat den für die Kirchensteuergesetzgebung zuständigen Ländern in § 51a
des Einkommensteuergesetzes einen Vorschlag
für ein solches Verfahren unterbreitet, das ich Ihnen jetzt vorstellen möchte.
Auf Antrag des Kirchensteuerpflichtigen bei der
Bank hat diese neben der Kapitalertragsteuer
auch die Kirchensteuer einzubehalten. Dabei ist
die Kirchensteuer mit dem Satz zu erheben, der
am Wohnsitz des Kirchensteuerpflichtigen gilt.
Folglich hat zum Beispiel eine Bank aus Nordrhein-Westfalen für die Kapitalerträge eines kirchensteuerpflichtigen Anlegers aus Essen 9 %
und für die eines kirchensteuerpflichtigen Anlegers aus Bayern 8 % Kirchensteuer bezogen auf
die Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das
für die Bank zuständige Finanzamt abzuführen.
Das von den Banken angemeldete und bei den
Finanzämtern eingehende Kirchensteueraufkommen wird an die jeweilige Religionsgemeinschaft
weitergeleitet. In seinen Grundzügen ist dieses
Verfahren mit dem Kirchenlohnsteuerabzug durch
den Arbeitgeber vergleichbar.
Stellt der Kirchensteuerpflichtige keinen Antrag
bei seiner Bank, kann die Bank den Abzug nicht
vornehmen. Die einbehaltene Kapitalertragsteuer
muss dann in der Steuererklärung angegeben
Landtag
Nordrhein-Westfalen
werden. Die Kirchensteuerfestsetzung erfolgt im
Rahmen der Einkommensteuerveranlagung.
Da beim Kirchensteuereinbehalt durch die Banken
– wie das obige Beispiel zeigt – viele die Ländergrenzen überschreitende Fälle auftreten werden,
haben sich die Länder darauf verständigt, den
Vorschlag des Bundes einheitlich in ihre Kirchensteuergesetze zu übernehmen. Darüber hinaus
haben Verständigungen über in § 51a des Einkommensteuergesetzes nicht abschließend geregelte Zweifelsfragen stattgefunden.
Die Religionsgemeinschaften sind ebenso wie die
Bankenverbände am Gesetzgebungsverfahren zu
§ 51a des Einkommensteuergesetzes beteiligt
worden. Darüber hinaus waren die Religionsgemeinschaften in die Verständigungsgespräche
zwischen den Ländern eingebunden. Das vorliegende Änderungsgesetz transferiert die bundesgesetzlichen Vorschläge in Landesrecht.
Ich glaube, das war nicht zu kompliziert für 20:24
Uhr. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von CDU und FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr
Minister Dr. Linssen. – Wir haben eine weitere Beratung heute nicht vorgesehen.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 14/7075 an den Haushaltsund Finanzausschuss. Wer stimmt dem zu? –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
einstimmig so überwiesen.
Nachdem wir nun zehn Tagesordnungspunkte
gemeinsam abgearbeitet haben, werde ich die
nächsten 19 Tagesordnungspunkte allein abarbeiten. Aber ich brauche natürlich Ihre Hilfe und Unterstützung, weil wir gemeinsame Entscheidungen
zu fällen haben.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
11 Zukunftschance Wasser nutzen – NRW
zum Wasserland Nr. 1 machen!
Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 14/7357
Wir haben heute keine Beratung vorgesehen. Beratung und Abstimmung sollen nach Vorlage der
Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11601
Also stimmen wir unmittelbar ab. Der Ältestenrat
empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/7357 an den Ausschuss für Umweltund Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – federführend –, an den Ausschuss
für Wirtschaft, Mittelstand und Energie sowie
an den Ausschuss für Kommunalpolitik und
Verwaltungsstrukturreform. Wer stimmt dieser
Überweisung zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Einstimmig so entschieden.
Ich rufe auf:
12 Die Besten für die Jüngsten – Qualität der
Elementarbildung durch weitere Professionalisierung der Fachkräfte verbessern
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7342
Auch hier ist heute keine Beratung vorgesehen.
Beratung und Abstimmung sollen nach Vorlage
der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen.
Kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat
empfiehlt hier die Überweisung des Antrags
Drucksache 14/7342 an den Ausschuss für
Generationen, Familie und Integration – federführend –, an den Ausschuss für Frauenpolitik,
an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung, an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie
an den Ausschuss für Kommunalpolitik und
Verwaltungsstrukturreform. Wer ist für diese
Überweisung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Einstimmig so überwiesen.
Ich rufe auf:
13 Vergleichbare Kommunen in Ost und West
gleich behandeln: Sonderzuweisungen und
Altschuldenhilfe für strukturschwache
NRW-Kommunen ermöglichen, kommunale
Belastung für Einheitslasten zurückführen
Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 14/7348
Auch hier ist heute keine Beratung vorgesehen.
Kommen wir also zur Abstimmung. Vom Ältestenrat wird die Überweisung des Antrags Drucksache 14/7348 an den Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanz-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
ausschuss empfohlen. Wer stimmt dem zu? –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
einstimmig so überwiesen.
Ich rufe auf:
14 Vereinbarung zwischen den Ländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen
und dem Land Rheinland-Pfalz zur Auflösung des Staatlichen Heilquellenamtes
Bad Ems
Antrag
der Landesregierung
auf Zustimmung zu einem Staatsvertrag
gemäß Artikel 66 Satz 2
der Landesverfassung
Drucksache 14/7306
erste Lesung
Keine Debatte heute hier an diesem Punkt.
Aber eine Abstimmung: Wer stimmt der Überweisung des Antrags Drucksache 14/7306 an den
Hauptausschuss zu? – Wer ist dagegen? – Wer
enthält sich? – Einstimmig ist auch diese Überweisung so angenommen.
Ich rufe auf:
15 Gesetz zur Regelung des Schuldenwesens
des Landes Nordrhein-Westfalen (Landesschuldenwesengesetz – LSchuWG)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7307
erste Lesung
Eine Debatte ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Es
wird die Überweisung des Gesetzentwurfs
Drucksache 14/7307 an den Haushalts- und Finanzausschuss empfohlen. Wer ist dafür? – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Einstimmig so
überwiesen.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11602
erste Lesung
Eine Debatte ist auch hier nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung, nämlich
über die Überweisung des Gesetzentwurfs
Drucksache 14/7308 an den Rechtsausschuss.
Das ist ein besonderer Ausschuss, und wir wollen
alle hoffentlich dafür stimmen. Wer ist dafür? –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
die Überweisungsempfehlung angenommen.
Ich rufe auf:
17 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
Gebührenbefreiung, Stundung und Erlass
von Kosten im Bereich der Rechtspflege
(Gerichtsgebührenbefreiungsgesetz
–
GerGebBefrG)
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7055
erste Lesung
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat
empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs
Drucksache 14/7055 an den Rechtsausschuss.
Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Einstimmig überwiesen.
Ich rufe auf:
18 Erstes Gesetz zur Änderung des Forstdienstausbildungsgesetzes NRW
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/6795
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 14/7333
zweite Lesung
Ich rufe auf:
Eine Debatte ist nicht vorgesehen.
16 Gesetz zur Änderung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung
Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 14/7308
Also stimmen wir gleich ab. Der Ausschuss für
Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/7333, den
Gesetzentwurf Drucksache 14/6795 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer stimmt
dem so zu? – CDU und SPD. Wer ist dagegen? –
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen jetzt zu einem kleinen Päckchen,
nämlich zu folgenden acht Tagesordnungspunkten:
19 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerde gegen Art. 34 a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 des Bayerischen
Polizeiaufgabengesetzes (PAG), eingeführt
durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes vom
24. Dezember 2005 (BayGVBL Nr. 26/2005,
S. 641)
1 BvR 661/06
Vorlage 14/1881
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7358
20 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfahren über den Antrag des Bodo Ramelow MdB und der Bundestagsfraktion
DIE LINKE festzustellen:
1.
Die Bundesregierung und ihre Mitglieder
sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass
Abgeordnete des Deutschen Bundestages
ihr Abgeordnetenmandat frei und unbeeinträchtigt durch Maßnahmen der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ausüben können.
2.
Das Bundesministerium des Innern und die
Bundesregierung haben, indem sie es unterlassen haben, das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, die Beobachtung des Bodo Ramelow MdB einzustellen,
gegen Art. 46 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2 GG
in Verbindung mit dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue verstoßen und dadurch den Bodo Ramelow MdB in seinen
verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 46
Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11603
3.
Das Bundesministerium des Innern und die
Bundesregierung haben, indem sie es unterlassen haben, das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, die Beobachtung des Bodo Ramelow MdB und weiterer
der Bundestagsfraktion DIE LINKE angehörender Bundestagsabgeordneter einzustellen, gegen den Grundsatz der Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages
in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1, 38 Abs. 1
Satz 2 GG und dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue sowie gegen die Grundsätze
der
Finanzverfassung
gemäß
Art. 104a ff. verstoßen und dadurch den
Deutschen Bundestag in seinen verfassungsgemäßen Rechten aus diesen Vorschriften verletzt.
4.
Das Bundesministerium des Innern und die
Bundesregierung haben die Kosten des
Verfahrens zu tragen.
2 BvE 4/07
Vorlage 14/1888
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7359
21 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
I
Verfahren über den Antrag des Dr. Peter
Gauweiler MdB im Organstreitverfahren
festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vom
13. Dezember 2007 und die Begleitgesetze
gegen das Grundgesetz verstoßen und
deswegen nichtig sind, und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und
Antrag auf andere Abhilfe
2 BvE 2/08
II
Verfassungsbeschwerde des Dr. Peter
Gauweiler MdB gegen a) das Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon vom
13. Dezember 2007, b) das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BT-Drs.
16/8488), c) das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und Bundesrates in Angelegenheiten
Landtag
Nordrhein-Westfalen
der Europäischen Union (BT-Drs. 16/8489)
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung und Antrag auf andere Abhilfe
2 BvR 1010/08
III
Verfassungsbeschwerde des Prof. Dr. Dr. Peter Buchner gegen das Zustimmungsgesetz
zum EU-Reformvertrag vom 13. Dezember
2007 und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
2 BvR 1022/08
Vorlage 14/1896
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7361
22 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
I
Verfahren über den Antrag im Organstreitverfahren festzustellen, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon
(BT-Drs. 16/8300) den Deutschen Bundestag in seinen Rechten als legislatives Organ verletzt und deshalb unvereinbar mit
dem Grundgesetz ist, und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
2 BvE 5/08
II
Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. Diether Dehm und weiterer Abgeordneter des
Deutschen Bundestages gegen das Gesetz
zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 (BT-Drs. 16/8300), Zustimmungsgesetz zum Lissaboner Vertrag, und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
2 BvR 1259/08
Vorlage 14/1937
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7362
23 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerde des Herrn S. gegen § 32 Abs. 5 des Niedersächsischen
Gesetzes über die öffentliche Sicherheit
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11604
und Ordnung (Nds. SOG) in der Fassung
des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung vom 25. November
2007 (GVBL S. 651)
1 BvR 1443/08
Vorlage 14/1914
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7363
24 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfahren über den Antrag festzustellen,
dass die Bundesregierung durch die
Nichteinholung der Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Veräußerung der
Anteile an der Aurelis Real Estate GmbH &
Co. KG und der Aurelis Management
GmbH die Rechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 110 des Grundgesetzes in
Verbindung mit Artikel 87e des Grundgesetzes verletzt hat
2 BvE 3/08
Vorlage 14/1932
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7364
25 Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen
Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen
der Behauptung der Stadt Aachen und
neun weiterer Gemeinden und Kreise, das
Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes
zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land NordrheinWestfalen vom 19.06.2007, GVBl. 2007,
S. 207, sowie GVBl. 2007 S. 237 (Berichtigung), verletzte die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung
VerfGH 17/08
Vorlage 14/1925
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7365
Landtag
Nordrhein-Westfalen
26 Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
Nordrhein-Westfalen
Verfassungsgerichtliches Verfahren wegen
der Behauptung der Stadt Ochtrup, § 24a
Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm –
LEPro), eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Landesentwicklungsplanung
(Landesentwicklungsprogramm – LEPro) vom 19. Juni 2007
(GV. NRW S. 225), verletzte die Vorschriften
der Landesverfassung über das Recht der
gemeindlichen Selbstverwaltung
VerfGH 18/08
Vorlage 14/1936
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 14/7366
Ich bitte Sie ausdrücklich, damit einverstanden zu
sein, dass wir über diese Punkte gemeinsam befinden. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der
Fall.
Eine Debatte ist nicht vorgesehen, sodass ich über
die jeweiligen Empfehlungen des Rechtsausschusses gemeinsam abstimmen lasse, eine Stellungnahme zu den vorgenannten Verfahren nicht abzugeben. Wer stimmt den Beschlussempfehlungen Drucksachen 14/7358, 14/7359, 14/7361,
14/7362, 14/7363, 14/7364, 14/7365 und 14/7366
zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Das
ist einstimmig. Die Beschlussempfehlungen sind
damit angenommen. Ich bedanke mich dafür.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt
27 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im
1. Quartal des Haushaltsjahres 2008
Antrag
des Finanzministers
gemäß Artikel 85 Abs. 2
der Landesverfassung
Vorlage 14/1885
Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 14/7367
Auch hier ist keine Debatte vorgesehen.
Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/7367, die mit Vorlage 14/1885 beantragte
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11605
Genehmigung zu erteilen. Wer stimmt der Empfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Das ist einstimmig. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und die beantragte Genehmigung erteilt.
Wir kommen zu:
28 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 14/39
Abstimmungsergebnisse
der Ausschüsse zu Drucksachen
14/2578
–
14/3643
–
14/4866
–
14/6008
–
14/6154
–
14/6340
–
14/6676
–
14/6696
–
14/6761 ÄA –
14/6847
–
HFA
AUNLV
AGS
AIWFT
AUNLV
AUNLV
AGFI
AGS
AGS
RA
Drucksache 14/7368
Die Übersicht 39 enthält zehn Anträge, die vom
Plenum nach § 79 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse jetzt abstimmen über die Bestätigung
des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den
Ausschüssen entsprechend der Übersicht 39. Wer
stimmt dem so zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind die in der Drucksache enthaltenen Abstimmungsergebnisse einstimmig
bestätigt.
Wir kommen zum letzten Tagesordnungspunkt:
29 Beschlüsse zu Petitionen
Übersicht 14/44
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht
der Fall. Dann stelle ich gemäß § 91 Abs. 7 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse zu Petitionen durch Ihre Kenntnisnahme bestätigt sind. Danke schön.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen,
Donnerstag, den 28. August 2008, 10 Uhr.
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 20:33 Uhr
*)
Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.
11606
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Anlage
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 227
Die Mündliche Anfrage 227 des Abgeordneten
Dr. Karsten Rudolph (SPD) lautet:
Haftbefehl gegen den Hauptverdächtigen
des sechsfachen Mafia-Mordes in Duisburg
In der Sitzung des Innenausschusses am
14. August 2008 hat die Landesregierung eingeräumt, dass gegen den mutmaßlichen
Haupttäter des sechsfachen Mordes in Duisburg ein Haftbefehl vor der Tat existiert hat.
Warum ist der mutmaßliche Haupttäter nicht
vor der Tat verhaftet worden?
Die schriftliche Antwort des Innenministers lautet:
Vor der Mordtat in Duisburg gab es keinen
Haftbefehl gegen den Hauptverdächtigen Giovanni Strangio. Er konnte also deswegen nicht
vorher festgenommen werden.
Erst die Ermittlungen der Duisburger Polizei
nach den Tötungsdelikten vom 15. August
2007 haben dazu geführt, dass sich gegen
den Beschuldigten Giovanni Strangio auch ein
dringender Tatverdacht wegen der Beteiligung
an einem Raubüberfall auf eine Bank in Bochum, begangen am 15.07.1998, ergab. Dieser stützt sich auf einen positiven Abgleich der
DNA-Spur von Giovanni Strangio mit Tatortspuren des Raubes vom 15.07.1998, die in
der bundesweiten DNA-Analyse hinterlegt
sind. Das Amtsgericht Bochum hat deshalb
am 24.09.2007 einen Haftbefehl gegen Strangio wegen räuberischer Erpressung erlassen.
Bereits am 31. August 2007 – und somit drei
Wochen vorher – wurde durch das Amtsgericht Duisburg der Haftbefehl wegen sechsfachen Mordes erlassen.
Darüber hinaus möchte ich Folgendes klarstellen: Es handelt sich bei den Taten in Duisburg nach wie vor um ein laufendes Ermittlungsverfahren. Ein Tatverdächtiger wurde
durch die hervorragende und professionelle
Arbeit der Duisburger Beamten und ihrer italienischen Kollegen sehr schnell ermittelt. Dafür gebührt den Kolleginnen und Kollegen, die
monatelang unter höchster Belastung für diesen Erfolg gearbeitet haben, unser aller Dank
und Anerkennung. Nach dem Tatverdächtigen
wird international mit Hochdruck gefahndet.
11607
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Es ist selbstverständlich, dass auch heute
noch in Duisburg täglich weitere Fakten bekannt werden. Neue Spuren kommen hinzu,
andere erledigen sich. Mittlerweile wurden
5.000 Spuren abgearbeitet und über 106.000
Seiten Akten angelegt. Die Details sind aus
guten Gründen ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden, also der Staatsanwaltschaft
Duisburg und der Polizei, bekannt. Das Innenministerium wird richtigerweise ausschließlich über wesentliche Ermittlungsergebnisse hinsichtlich der Tötungsdelikte in
Duisburg informiert.
Die Fragestellung in der 42. Sitzung des lnnenausschusses am 14. August 2008, ob gegen
einen Tatbeteiligten der Tötungsdelikte ein
Haftbefehl
einer
nordrhein-westfälischen
Staatsanwaltschaft vorlag, wurde durch den
Vertreter meines Hauses ad hoc aus dem
Gedächtnis beantwortet. In der nachfolgenden
Überprüfung wurde festgestellt, dass weder
1998 noch sonst vor der Tat ein Haftbefehl
gegen den Hauptverdächtigen vorlag. Dies
hätte ich – wie es auch sonst üblich ist – dem
Ausschuss in der nächsten Sitzung mitgeteilt.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 228
Die Mündliche Anfrage 288 des Abgeordneten
Horst Becker (GRÜNE) lautet:
Kommunalaufsichtliche Maßnahmen im
Zusammenhang mit dem Betrieb der Wiehltalbahn
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am
7. Juli 2008 den Berufungszulassungsantrag
des Landes NRW gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. Januar 2007
abgelehnt. Damit ist das Urteil rechtskräftig,
mit dem das Verwaltungsgericht das Land
NRW verpflichtet hat, der Rhein-Sieg-Eisenbahn als Eisenbahninfrastrukturunternehmen
der Wiehltalbahn eine langfristige Betriebsgenehmigung zu erteilen.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage zum
Thema: „Warum lässt die Landesregierung
und der Landesbetrieb Straßenbau die
Grundsätze sparsamer Haushaltsführung außer Acht und hintertreibt in ihrer Eigenschaft
als Kommunalaufsicht den Betrieb der Wiehltalbahn?“, schreibt das Innenministerium
(Drucksache 14/4943): „Von kommunalaufsichtlichen Maßnahmen wurde zunächst vor
dem Hintergrund mehrerer schwebender Gerichtsverfahren zur verkehrsrechtlichen Situa-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
tion abgesehen. Die zuständige Aufsichtsbehörde wartet das Ergebnis der Verfahren ab.“
Angesichts des nun erfolgten Urteils des Oberverwaltungsgerichtes frage ich die Landesregierung:
Welche kommunalaufsichtlichen Maßnahmen
beabsichtigt die Landesregierung im Hinblick
auf den in der Kleinen Anfrage 1780 vom
29.08.2007 beschriebenen Sachverhalt zu
machen?
Die schriftliche Antwort des Innenministers lautet:
Die in der mündlichen Anfrage zitierten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
Münster vom 07.07.2008 und des Verwaltungsgerichts Köln vom 26.01.2008 befassen
sich mit der seitens des Landes an die RheinSieg-Eisenbahn GmbH zu erteilenden Betriebsgenehmigung und beinhalten somit keine kommunalaufsichtliche Frage.
Zu berücksichtigen ist, dass der Regionalrat in
Umsetzung der Landesplanung die Trasse der
Wiehltalbahn aus der Regionalplanung herausgenommen hat. Wie mir der Landrat des
Oberbergischen Kreises berichtet hat, verfolgen die Anliegerkommunen als Eigentümer
der Bahntrasse weiterhin das Ziel, über den
Betrieb bzw. Nichtbetrieb der Eisenbahn entscheiden zu können. Diese Thematik ist Gegenstand eines zivilrechtlichen Rechtsstreites.
Dieses Verfahren wird von den Beteiligten als
von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster unabhängig betrachtet und
ist noch anhängig. Vor einer abschließenden
Klärung dieser komplexen Rechtslage kommt
für den Landrat des Oberbergischen Kreises
ein Eingreifen der Kommunalaufsicht somit
grundsätzlich nicht in Betracht.
Wie in der Beantwortung der Kleinen Anfrage
1780 (Drucksache 14/4943) ausgeführt, hatte
der Bürgermeister der Stadt Waldbröl den
Landrat des Oberbergischen Kreises mit Bericht vom 28.12.2006 über den Abschluss des
Kaufvertrages zwischen der Deutschen Bahn
AG und den Gemeinden Morsbach und
Reichshof sowie den Städten Wiehl und
Waldbröl sowie über weitere vertragliche Regelungen im Zusammenhang mit dem Erwerb
der Bahnflächen informiert.
Seitens der Gemeinden Morsbach und
Reichshof sowie der Stadt Wiehl war aufgrund
der haushaltsrechtlichen und finanzwirtschaftlichen Lage keine Genehmigung bzw. Zu-
11608
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
stimmung der Aufsichtsbehörde erforderlich.
Der Kauf erfolgte für diese Kommunen im
Rahmen ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts.
Hinsichtlich der Vereinbarung der Stadt Waldbröl mit dem Landesbetrieb Straßenbau NRW
über die Vorfinanzierung des von der Stadt
Waldbröl zu erbringenden Kaufpreises ergab
sich kommunalaufsichtlich die Fragestellung,
ob es sich hierbei um ein kreditähnliches
Rechtsgeschäft handelt. Mit Schreiben vom
07.11.2007 hat der Landrat des Oberbergischen Kreises dieses Geschäft schließlich –
nachträglich – genehmigt; er hat diese Entscheidung an die Bedingung geknüpft, dass
die Stadt Waldbröl diese Maßnahmen nach
den zu beachtenden Vorschriften in den maßgeblichen Haushalten 2009 bis 2011, gegebenenfalls in den Prioritätenlisten der entsprechenden Haushalte, wie auch schon in der Finanzplanung vorgesehen, berücksichtigt.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 229
Die Mündliche Anfrage 229 des Abgeordneten
Horst Becker (GRÜNE) lautet:
FDP-Vorstoß für eine Zusammenlegung
von Bundestags- und Europawahl
Der FDP-Generalsekretär Dirk Niebel forderte
laut der „Westfälischen Rundschau“ vom
20. August 2008, den Termin der Bundestagswahl 2009 von September auf den 7. Juni
vorzuziehen und mit der Europawahl zu bündeln.
In der Problembeschreibung des Gesetzentwurfes zum Gesetz über die Zusammenlegung der allgemeinen Kommunalwahlen mit
den Europawahlen von CDU und FDP werden
die Vorbehalte der Fraktionen von CDU und
FDP gegen die Zusammenlegung der Bundestagwahl und der Kommunalwahl wie folgt
dargelegt:
„Eine Verbindung mit der Bundestagswahl, die
in der Regel alle vier Jahre stattfindet, könnte
einmalig nur im Jahr 2009 erfolgen. Eine solche Zusammenlegung lässt zudem eine nicht
erwünschte Überlagerung kommunalpolitischer Themen durch bundespolitische Themen erwarten.“
In diesem Sinne äußerten sich auch diverse
Politiker von CDU und FDP in den Parlamentsdebatten im Landtag zu dem inzwischen
umgesetzten Vorhaben der schwarz-gelben
Landtag
Nordrhein-Westfalen
Koalition, eine Zusammenlegung von Bundesund Kommunalwahl zu verhindern und stattdessen eine Zusammenlegung von Europaund Kommunalwahl durchzusetzen.
Vor dem Hintergrund der Äußerung des Generalsekretärs der FDP und dem von der
schwarz-gelben Landesregierung nicht gewollten gemeinsamen Termin von Bundesund Kommunalwahl im Jahr 2009 frage ich die
Landesregierung:
Schließt es die Landesregierung für den Fall
der Zusammenlegung von Bundestags- und
Europawahl im Jahr 2009 aus, dass der
Kommunalwahltermin nun doch nicht mit dem
Termin der Europawahl zusammengelegt
wird?
Die schriftliche Antwort des Innenministers lautet:
Nach Artikel 39 Abs. 1 Satz 3 des Grundgesetzes findet die Neuwahl des Bundestages
frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Die Wahlperiode des 16. Deutschen
Bundestages hat mit seinem Zusammentritt
am 18. Oktober 2005 begonnen. Die Neuwahl
kann daher bei Zugrundelegung einer vollen
Wahlperiode frühestens ab dem 19. August
2009 stattfinden. Da der Wahltag nach § 16
Satz 2 des Bundeswahlgesetzes ein Sonntag
oder gesetzlicher Feiertrag sein muss, kann
die Neuwahl frühestens am Sonntag, dem
23. August 2009, stattfinden.
Der Bundespräsident könnte nur dann den
Tag der Europawahl 2009 als Tag der Bundestagswahl bestimmen, wenn Artikel 39
Abs. 1 Satz 3 GG hinsichtlich der darin genannten Zeitspanne mit der Zustimmung von
zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages
und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates dahin gehend geändert würde, dass eine
solche Zusammenlegung mit der Europawahl
verfassungsrechtlich zulässig wäre. Im Falle
einer derartigen Verlängerung der Zeitspanne,
innerhalb derer die Neuwahl stattfinden muss,
obläge es dem Bundespräsidenten, den konkreten Wahltag zu bestimmen. Er wäre nach
dem Grundgesetz nicht verpflichtet, einen
ganz bestimmten Sonntag oder gesetzlichen
Feiertag als Wahltag zu bestimmen.
Nach § 14 Abs. 1 des Kommunalwahlgesetzes in der Fassung des Gesetzes über die
Zusammenlegung der allgemeinen Kommunalwahlen mit den Europawahlen vom 24. Juni 2008 (GV.NRW. S. 514) finden die allge-
11609
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
meinen Neuwahlen in der Zeit zwischen dem
1. April und dem 15. Juli statt; sie sollen am
Tag der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland durchgeführt werden. In Beachtung dessen wird der Wahltag nach dem Gesetz vom Innenminister festgelegt und bekannt gemacht. Der Gesetzgeber hat jedoch,
wie aus dem Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung hervorgeht, eine Zusammenlegung der allgemeinen Kommunalwahlen mit
der Bundestagswahl 2009 ausdrücklich nicht
angestrebt, um insbesondere eine Überlagerung der Kommunalwahlen durch bundespolitische Themen zu vermeiden. Im Falle einer
Zusammenlegung der Bundestags- mit der
Europawahl bliebe es deshalb dem Landesgesetzgeber vorbehalten zu bestimmen, dass
im Jahr 2009 abweichend von § 14 Abs. 1 des
Kommunalwahlgesetzes
die
allgemeinen
Kommunalwahlen nicht am Tag der Europawahl stattfinden sollen. Es obläge seiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen
der Tag der allgemeinen Kommunalwahlen im
Jahr 2009 festgelegt und bekannt gemacht
werden soll.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 230
Die Mündliche Anfrage 230 der Abgeordneten
Monika Düker (GRÜNE) lautet:
Erschreckende Aufnahmerituale bei der
Freiwilligen Feuerwehr in Oer-Erkenschwick: Was hat der Bürgermeister inzwischen veranlasst?
Der Innenausschuss hat auf Veranlassung der
grünen Landtagsfraktion hin in seiner Sitzung
vom 14.08.2008 ausführlich über die Vorkommnisse in Oer-Erkenschwick beraten. Erschreckende Fotos über Aufnahmerituale bei
der Freiwilligen Feuerwehr in Oer-Erkenschwick, auf denen ein nackter Mann bäuchlings an eine Holzbank gefesselt zu sehen ist,
waren durch die Presse an die Öffentlichkeit
gelangt. Die Fotos stammten offenkundig von
Aufnahmefeiern aus dem Jahr 2002. Im September 2007 kam es wiederum bei der Freiwilligen Feuerwehr Oer-Erkenschwick zu Übergriffen gegen eine Feuerwehrfrau, die sich mit
der Erstattung einer Strafanzeige dagegen
wehrte. Daraufhin wurden sie, ihr Lebensgefährte und dessen Vater mit Wissen und unter
Beteiligung des Bürgermeisters von OerErkenschwick aus der Freiwilligen Feuerwehr
ausgeschlossen. Gegen die Entlassung kam
Landtag
Nordrhein-Westfalen
es vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
zu einem Verfahren, woraufhin die Stadt noch
in der Verhandlung den Ausschluss aus der
Feuerwehr zurücknahm.
Im Raum steht, dass auch in anderen Feuerwehren kritikwürdige Rituale stattfinden.
Der zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium, Wolfgang Düren, berichtete im Ausschuss über die seitens des Innenministeriums veranlassten Maßnahmen. Entgegen der
Ansicht des Bürgermeisters in Oer-Erkenschwick, Disziplinarmaßnahmen seien unter
anderem wegen Verjährung nicht mehr möglich, hat das Innenministerium der Stadt durch
einen Erlass klare Hinweise zur Rechtslage
gegeben und sie aufgefordert, Disziplinarverfahren einzuleiten. Wer so etwas tue, gehöre
nicht in die Feuerwehr, so Herr Düren im Innenausschuss.
Hat der Bürgermeister der Stadt Oer-Erkenschwick inzwischen Disziplinarverfahren eingeleitet – wenn ja, gegen wen und mit welchem Ziel?
Die schriftliche Antwort des Innenministers lautet:
Mindestens in den Jahren 2002 und 2007 kam
es im Löschzug Rapen der Freiwilligen Feuerwehr Oer-Erkenschwick zu schweren Übergriffen auf Feuerwehrangehörige nach deren
erster Teilnahme an Leistungsnachweisen
(sogenannte Aufnahmerituale). Die Ereignisse
aus dem Jahr 2002 wurden erst bekannt,
nachdem eine betroffene Feuerwehrfrau 2007
Strafanzeige gestellt hatte und daraufhin aus
der Feuerwehr ausgeschlossen worden war.
Da verschiedenen Zeitungen hierüber Fotos
zugespielt worden waren, verursachten die
Vorgänge in Oer-Erkenschwick ein bundesweites Medieninteresse. Sowohl 2002 als
auch 2007 waren Führungskräfte der Freiwilligen Feuerwehr in die Vorkommnisse verwickelt. Mit den freiwilligen Rücktritten des
Wehrführers von seinem Amt bzw. des Löschzugführers von seiner Funktion hielt der Bürgermeister weitere Disziplinatmaßnahmen
nicht mehr für möglich.
Führungskräfte oder ehemalige Führungskräfte, die derartige Vorgänge zulassen, dulden
oder sich aktiv daran beteiligen, sind in der
Feuerwehr nicht tragbar. Der Ansehensverlust
der Freiwilligen Feuerwehren, der durch diese
Führungskräfte verursacht worden ist, ist immens.
11610
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
Die Misshandlungen aus dem Jahr 2002 stellen schwere Verletzungen der Menschenwürde und schwerwiegende Dienstvergehen nach
§ 20 Abs. 2 LVO FF dar. Die Schwere der
Verstöße und die verheerenden Auswirkungen auf das öffentliche Ansehen der Freiwilligen Feuerwehren insgesamt legen als mögliche und wahrscheinliche Disziplinarmaßnahme den Ausschluss aus der Feuerwehr nahe.
Die Entlassung aus dem Ehrenbeamtenverhältnis oder der Rücktritt von einer Führungsfunktion hindern auch nicht die disziplinarrechtliche Ahndung nach den §§ 19 ff
LVO FF.
Der Vorfall aus dem Jahr 2007 wiegt zwar
nicht so schwer wie der Vorfall aus dem Jahr
2002. Dies liegt vor allem daran, dass die betroffene Feuerwehrfrau heftig protestierte und
sie daraufhin losgebunden wurde. Gleichwohl
ist die Fesselung von jungen Menschen an
Bäumen unerträglich.
Mit Erlass vom 13.08.2008 habe ich daher
dem Bürgermeister der Stadt Oer-Erkenschwick meine disziplinarrechtliche Einschätzung mitgeteilt und ihn gebeten zu veranlassen, dass die entsprechenden Disziplinarverfahren eingeleitet werden, und hierüber zu berichten.
Am 14.08.2008 hat der Innenausschuss das
Thema ausführlich beraten.
Ihre Fragen beantworte ich wie folgt:
Angesichts der Kürze der Zeit liegt bisher
noch kein weiterer Bericht der Stadt vor. Personenbezogene Angaben zu einzelnen Disziplinarverfahren verbieten sich von vornherein aus datenschutzrechtlichen Gründen.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 231
Die Mündliche Anfrage 231 der Abgeordneten
Marlies Stotz (SPD) lautet:
Kopfnoten-Wirrwarr beenden
Bereits bei der Einführung der Kopfnoten
durch die schwarz-gelbe Landesregierung
wurde in der entsprechenden Anhörung massiv Kritik von Lehrer- und Elternverbänden,
Schulträgern, Landesschülervertretung und
Wissenschaftlern geübt. Ungeachtet dessen
hielt die Landesregierung stur an diesem pädagogisch höchst zweifelhaften und äußerst
bürokratischen Instrument fest. In der Folge
sorgen seit Monaten ständig widersprüchliche
Landtag
Nordrhein-Westfalen
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
11611
Äußerungen vonseiten der Landesregierung
sowie der Mehrheitsfraktionen von CDU und
FDP bei Schülerinnen und Schülern, Eltern
und Lehrerinnen und Lehrern bis heute in hohem Maße für Verunsicherung.
Mal ist die Rede davon, die Kopfnoten auf
zwei zu reduzieren, ein anderes Mal auf drei.
Schulministerin Sommer hingegen spricht davon, zunächst mindestens zwei oder gar drei
Jahre abzuwarten. Weiter komplettiert wird
dieser Kopfnoten-Wirrwarr, indem die Schulministerin später ankündigt, dass es eine Evaluation zum Verfahren der Kopfnoten geben
wird. Konkrete Informationen, wie diese Evaluation allerdings aussehen soll, sind bis heute nicht bekannt. Im Gegenteil: Mit Beginn des
neuen Schuljahres setzt sich der KopfnotenWirrwarr zwischen Landesregierung und Koalitionsfraktionen munter fort.
Während FDP-Fraktionschef Papke in einer
Presseverlautbarung am 7. August 2008 ausführt: „Sechs Kopfnoten sind des Guten zu
viel. Für Schüler sind sie nur begrenzt nachvollziehbar, bei Lehrern sorgen sie für Mehraufwand“, ist seine Fraktionskollegin und
schulpolitische Sprecherin, Ingrid Pieper-von
Heiden, in der der „Rheinischen Post“ vom 12.
August 2008 bereits überzeugt davon, dass
die Zahl der Kopfnoten von sechs auf drei gesenkt wird. Und dies, obwohl bislang keinerlei
EvaIuations-Ergebnisse vorliegen, was sich
aus den Äußerungen von Ministerpräsident
Rüttgers im Westpol-Sommerinterview vom
10. August 2008 schließen lässt: „… Wir haben gesagt, wir werden nach diesem Schuljahr – und das ist ja gerade vorbei – die Erfahrungen wissenschaftlich auswerten. Das läuft
zurzeit. Und sobald die Ergebnisse da sind,
werden wir darüber reden. Und wir werden
jetzt nicht knobeln, wie viel es denn sein sollen.“
Da somit bereits Erkenntnisse (siehe Herr
Papke) und Ergebnisse (siehe Frau Piepervon Heiden) mitgeteilt werden, die entsprechend der Äußerung des für den Schulbereich
inzwischen wohl federführenden Ministerpräsidenten ja jetzt erst wissenschaftlich ausgewertet werden, bestehen Zweifel an der Seriosität des gesamten Verfahrens, von Transparenz ganz zu schweigen. So ist derzeit völlig
unklar, auf welche Weise und mit welchem Instrumentarium die Erfahrungen welchen Personenkreises gesichert wurden, wer daran beteiligt war, wer diese Erfahrungen wissenschaftlich in welcher Zeit auswerten soll, wel-
che Vorgaben dafür gemacht wurden und ob
das Verfahren ergebnisoffen gestaltet ist.
Wie sieht das gesamte derzeit laufende Verfahren der Erkenntnissicherung und der wissenschaftlichen Auswertung aus?
Die schriftliche Antwort der Ministerin für Schule
und Weiterbildung lautet:
Ich habe wiederholt an dieser Stelle – zum
letzten Mal in der Plenarsitzung am 19. Juni –
gesagt, dass wir nach Ende des Schuljahres
2007/08 die Vergabe der Noten zum Arbeitsund Sozialverhalten auswerten werden.
Diese Auswertung findet zurzeit statt.
Wir untersuchen dazu:
–
die Rückmeldungen, die im Verlauf des
Schuljahres im Ministerium eingegangen
sind,
–
Berichte der Bezirksregierungen bezüglich
der dort eingegangenen Notenbeschwerden und Widersprüche,
–
die Stellungnahmen der Expertinnen und
Experten, die anlässlich der Anhörung im
Ausschuss für Schule und Weiterbildung im
Mai abgegeben wurden.
–
Parallel dazu erfolgt eine Abfrage durch das
Institut für Schulentwicklungsforschung in
Dortmund. Nach dem Zufallsprinzip werden
Schulen aller Schulformen ausgewählt, die
Noten zum Arbeits- und Sozialverhalten
vergeben. Ebenfalls nach dem Zufallsprinzip erfolgt eine Abfrage an Ausbildungsbetriebe.
Und auch zum wiederholten Male sage ich Ihnen: Erst gestützt auf die Ergebnisse dieser
Auswertung werden wir Änderungen am Vergabeverfahren prüfen. Das Fabulieren ins
Blaue ist nicht unsere Sache.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 232
Die Mündliche Anfrage 232 der Abgeordneten
Sigrid Beer (GRÜNE) lautet:
Aktuelle Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und Carl Bertelsmann Preis
2008: Signal für ein integratives Schulsystem
In den Erläuterungen zum diesjährigen Carl
Bertelsmann Preis 2008 führt die Bertelsmann
Stiftung aus:
Landtag
Nordrhein-Westfalen
„Mit dem diesjährigen Carl Bertelsmann-Preis
will die Bertelsmann Stiftung verdeutlichen,
dass das Bildungs- und Schulsystem in
Deutschland integrativer werden muss, um die
Herausforderungen der Migration und des
demographischen Wandels zu meistern.“
Dr. Johannes Meier, Vorstandsmitglied der
Stiftung, äußerte sich anlässlich der Bekanntgabe des Preisträgers wie folgt: „Es ist eine
Frage der Fairness, dass Lern- und Lebenschancen in unserem Land nicht schicksalhaft
durch die Herkunft entschieden werden. Wir
brauchen ein Bildungs- und Schulsystem, das
Integration und Teilhabe ermöglicht und allen
Kindern faire Chancen eröffnet.“
In der Projektbeschreibung heißt es: „Im Bereich der Bildungspolitik muss das übergreifende Ziel ein besseres integratives System
sein, das allen Kindern faire Chancen eröffnet.
Dieses bessere integrative Bildungssystem
zeichnet sich insbesondere aus durch:
–
die Wertschätzung von Vielfalt in Kultur und
Gesellschaft,
–
individuelle Förderung statt „begabungsgerechter Aufteilung“,
–
Belohung der Integrationsleistung von
Schulen gemäß der Maxime: „Wer besser
integriert, braucht und bekommt mehr Ressourcen“,
–
Führungskräfte, die in den Schulen und
Kommunen Verantwortung für den Bildungserfolg aller Kinder und Jugendlichen
unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft übernehmen.
Eine aktuelle repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung
belegt zudem eine deutliche Mehrheit für eine
Reform des gegliederten Schulsystems in
Deutschland. In ihrer Pressemitteilung stellt
die Stiftung die Ergebnisse der Befragung wie
folgt dar:
„Die Mehrheit der Befragten und fast 60 % der
Eltern meinen, dass alle Kinder eher faire
Chancen hätten, wenn sie möglichst lange
gemeinsam unterrichtet würden. Hierbei zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Eltern der verschiedenen weiterführenden
Schulformen. Die Befragten sind mehrheitlich
für eine spätere Aufteilung der Kinder auf unterschiedliche Schulformen, das heißt nach
Klasse 6 oder nach Klasse 9. Weniger als ein
Drittel der Befragten – in Ostdeutschland so-
11612
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
gar nur jeder Fünfte – hält die jetzige Aufteilung nach Klasse 4 für gut.“
Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dieser von der Mehrheit der Deutschen artikulierten Forderung nach einem
längeren gemeinsamen Lernen aller Schülerinnen und Schüler und der Forderungen anlässlich der Bekanntgabe des Preises?
Die Antwort der Ministerin für Schule und Weiterbildung lautet:
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens
sieht sich nicht genötigt, aus der Befragung
oder der Vergabe des Carl BertelsmannPreises Konsequenzen – wie von Ihnen gefordert – zu ziehen. Dies ist wie folgt zu begründen:
1. Integration und Förderung haben nichts mit
Schulstrukturen zu tun, und das wissen Sie
auch; Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister des Landes SachsenAnhalt und damit Mitglied einer Landesregierung, die von CDU und SPD gemeinsam
gestützt wird, sagte am 19.06.2008 in „Die
Zeit“: „Was die immer gleiche Strukturfrage
angeht, zeigt gerade die Bildungsforschung, dass die entscheidenden Probleme
gar nicht zwischen den beiden Polen
,gegliedert’ versus ,nicht gegliedert’ bestehen, sondern dass Qualitätsfragen in erster
Linie mit pädagogischen Konzepten zu tun
haben und erst dann mit Strukturen.“
2. Die Landesregierung hat zahlreiche Reformen durchgeführt, durch welche Bildungsgerechtigkeit ganz besonders gefördert
werden: Eingeführt wurden in diesem Zusammenhang vor allem die individuelle
Förderung per Schulgesetz und die flächendeckende
Sprachstandsfeststellung
mit anschließender Sprachförderung.
3. Die Aussage, die Mehrheit der Deutschen
artikuliere in der Umfrage eine „Forderung
nach einem längeren gemeinsamen Lernen
aller Schülerinnen und Schüler“ ist auf
Nordrhein-Westfalen nicht übertragbar.
Dies ist begründbar durch ein genaueres
Lesen der Studie:
Die Studie bezieht sich auf ganz Deutschland. In Ostdeutschland, wo es häufiger integrative Schulen gibt, wird das Bildungssystem für ungerechter gehalten als in
Westdeutschland. In Westdeutschland halten laut angeführter Befragung der Ber-
Landtag
Nordrhein-Westfalen
telsmann Stiftung 52 % das Bildungssystem
für gerecht. Dies ist die Mehrheit.
Das Ergebnis wird gestützt durch eine Umfrage im Auftrag der CDU- Fraktion vom
Mai 2008, dass 66 % in NordrheinWestfalen das dreigliedrige Schulsystem für
richtig halten.
Noch zwei weitere Gründe sprechen dafür,
dass die Studie der Bertelsmann Stiftung nicht
auf Nordrhein-Westfalen übertragbar ist:
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hat die Repräsentativität der
Bertelsmann-Umfrage angezweifelt. Er beruft
sich auf eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr
2007. Demnach sprechen sich 66 % der Bürgerinnen und Bürger gegen eine Verlängerung der Grundschulzeit aus. Integrative Systeme wie die Gemeinschaftsschule wurden
von 60 % der Befragten abgelehnt.
Dass Integration in der Schule in NordrheinWestfalen gelingt, belegt der Integrationsbericht des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration: Demnach machen
sogar mehr eingebürgerte Zuwanderer Abitur
als gebürtige Deutsche.
Deshalb muss die Landesregierung nicht die
Konsequenzen ziehen, die Sie, Frau Beer,
fordern, sondern wir sind auf dem richtigen
Weg.
Schriftliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 233
Die Mündliche Anfrage 233 der Abgeordneten
Sigrid Beer (GRÜNE) lautet:
Ministerin Sommer zu Light- und NormalVersionen im Abitur
Anlässlich ihrer Pressekonferenz am Dienstag, den 19. August 2008, hat Schulministerin
Barbara Sommer die Ergebnisse des diesjährigen Zentralabiturs vorgestellt. Der Durchschnitt der Abiturnoten ist an den Gesamtschulen um 0,28 schlechter als an den Gymnasien. Ungeachtet der Tatsache, dass es
den Gesamtschulen gelingt, viele Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Schichten, von denen viele auch nach der Grundschule keine Gymnasialempfehlung hatten, so
zu fördern, dass sie das Zentralabitur bestehen, warf die Ministerin den Gesamtschulen
vor, sie würden, „anstatt den Schülerinnen
und Schülern neue Chancen zu eröffnen“, es
nicht schaffen, „ihre Schülerinnen und Schüler
11613
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97
auf ein vergleichbares Leistungsniveau zu
bringen wie die Gymnasien“. Weiterhin führte
die Ministerin aus: „Ich kann das häufig vorgebrachte Argument einer schwierigeren Sozialstruktur der Schüler an den Gesamtschulen nicht mehr hören. Was ist das für eine
Einstellung, wenn man die Schuld für Probleme auf die Herkunft der eigenen Schüler abwälzt? Ich bin der Ansicht, dass die Schülerinnen und Schüler ein Abitur in der Tasche
haben müssen, das sich nicht in Light-Version
und Normal-Maßstab aufgliedert.“ Damit diffamiert die Ministerin nach meiner Auffassung
die Schülerinnen und Schüler sowie die Kolleginnen und Kollegen an den Gesamtschulen,
indem sie indirekt das Abitur an den Gesamtschulen als eine Light-Version bezeichnet –
ein Vorwurf, der angesichts des Zentralabiturs
in sich widersinnig ist.
Was ist ein „Abitur-light“ im Zentralabitur?
Die schriftliche Antwort der Ministerin für Schule
und Weiterbildung lautet:
Es besteht ein seit Jahren bekanntes Notengefälle zwischen Gymnasien und Gesamtschulen. Als Grund wird hierfür in der Regel
die schwierigere Sozialstruktur der Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen angeführt. Aber das allein ist nicht zielführend.
Wenn behauptet wird, viele Schülerinnen und
Schüler an Gesamtschulen kämen aus bildungsfernen Schichten, dann halte ich das
bereits für eine diskriminierende Feststellung,
wenn damit gleichzeitig der Gedanke verknüpft wird, sie könnten ohnehin nicht den
Leistungsstand von Gymnasiasten erreichen.
Die Ergebnisse der letzten drei Abiturjahrgänge zeigen, dass hinsichtlich der erreichten
Durchschnittsnoten die Schere zwischen den
Schulformen in der Tendenz weiter auseinander geht. Dem ist durch geeignete Maßnahmen entgegenzusteuern. Die Landesregierung hat dazu im Bericht zum Zentralabitur
unter anderem ausgeführt, dass in den Gesamtschulen das gegenüber den Gymnasien
um 25 Stunden höhere Unterrichtsvolumen effizient genutzt werden soll, um den Abstand
der Gesamtschulen bezogen auf erreichte
Standards und Notenergebnisse gegenüber
den Gymnasien zu reduzieren.
Sollte sich die Schere weiter öffnen, besteht
die Gefahr, dass sich in der Öffentlichkeit der
Eindruck verfestigt, die Abiturzeugnisse von
Schülerinnen und Schülern der Gesamtschulen seien grundsätzlich deutlich schlechter als
Landtag
Nordrhein-Westfalen
die von Gymnasiasten. Einer solchen „Stigmatisierung“ der an Gesamtschulen erreichten
Abschlüsse muss auch im Interesse der Schülerinnen und Schüler entgegengewirkt werden.
Die Detailanalyse der Fächer hat gezeigt,
dass insbesondere im Fach Mathematik Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen
scheitern. Hier kann man sich nicht damit zufrieden geben, dass in der Abiturklausur im
Leistungskurs 54,4 % der Schülerinnen und
Schüler nur eine Minderleistung erbracht haben. Noch dazu, da dieser Wert um mehr als
10 Prozentpunkte schlechter ist als im Vorjahr. Es gilt also auch hier, der Tendenz umgehend Einhalt zu gebieten. Schülerinnen und
Schülern an Gesamtschulen, aber auch an
Gymnasien muss dabei geholfen werden,
diesbezügliche Defizite aufzuarbeiten.
Der Bericht der Landesregierung diskreditiert
nicht die Schulform Gesamtschule. Wenn auf
ein Notengefälle zwischen Gymnasien und
Gesamtschulen hingewiesen wird, dann hat
das nichts mit Geringschätzung oder Diffamierung von Schülern, Lehrern und Eltern zu tun.
11614
27.08.2008
Plenarprotokoll 14/97

Documents pareils