Dokumentation der 12. Transferwerkstatt Stadtumbau West in

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Dokumentation der 12. Transferwerkstatt Stadtumbau West in
Dokumentation der Transferwerkstatt
Einsatz moderner Informations- und
Kommunikationstechnologien im
Stadtumbau West
12. Transferwerkstatt der Bundestransferstelle Stadtumbau West
Dienstag, 23. Juni 2015
Hannover, ÜSTRA Remise
Am Dienstag, den 23. Juni 2015 fand in der ÜSTRA Remise in Hannover die 12. Transferwerkstatt der
Bundestransferstelle Stadtumbau West zum Thema „Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Stadtumbau West“ statt. Die Veranstaltung wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und des Bundesinstituts
für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im BBR durchgeführt.
Die Anwendungsmöglichkeiten für Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich in den letzten Jahren rasant
und mit einer vor Jahren noch undenkbaren Dynamik entwickelt.
Die zunehmende Digitalisierung wirkt mittlerweile in viele Gesellschaftsbereiche. Begrifflichkeiten wie „Smart Urbanism“ und „Digitale Netzwerke“, der Einsatz von High Tech als Strategie für einen
CO2-neutralen Stadtumbau oder Online-Beteiligung bei Planungsprojekten belegen die Bedeutungszunahme auch in der Stadtentwicklung. Im Rahmen der Veranstaltung wurden anhand beispielhafter Ansätze aus der Stadtumbaupraxis die Möglichkeiten moderner Medien in der Beteiligungsarbeit sowie die Erfahrungen beim Einsatz moderner Techniken im öffentlichen Raum, in der Netzwerkarbeit und als Instrumente beim Umbau von Quartieren vorgestellt und diskutiert.
Begrüßung
Zunächst begrüßten Vertreter des Bundes, des Landes Niedersachsen und der Gastgeberstadt Hannover die Veranstaltungsteilnehmer.
Im Namen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit sprach Gina Siegel ein Grußwort und berichtete über
aktuelle Aktivitäten des Bundes mit Stadtumbaubezug:
• Die Verwaltungsvereinbarung (VV) Städtebauförderung 2015 wurde
von Bund und Ländern unterzeichnet und ist in Kraft getreten. Die
Themen "Grün in der Stadt" sowie "Abbau von Barrieren" wurden als
Förderschwerpunkte in die VV aufgenommen.
• Die gemeinsame Evaluierung der Programme Stadtumbau Ost und
Stadtumbau West ist zu Beginn des Jahres gestartet. Ziel ist es, auf
Grundlage einer vergleichenden Auswertung beider Programme sowie der Abschätzung zukünftiger Problemlagen, Vorschläge für ein
zukünftiges, gemeinsames Stadtumbauprogramm zu entwickeln. Das Evaluierungsteam hat bereits eine Struktur- und eine Programmstatusanalyse erarbeitet. Ergänzend wurde nun die Erarbeitung einer Evaluierungsergänzungsstudie zum Thema Klimaschutz und Klimaanpassung im
Stadtumbau ausgeschrieben.
• Weiterhin informierte Frau Siegel über den Projektstart des ExWoSt-Forschungsfeldes „Nachhaltige Weiterentwicklung von Gewerbegebieten“ sowie über die Studien „Räumliche Auswirkungen
von Online-Handel auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren“ und „Verkehrlich-städtebauliche
Auswirkungen des Online-Handels“. Des Weiteren wurde eine Studie zu biologischer Vielfalt und
Naturschutz im Förderprogramm Stadtumbau durch das Bundesamt für Naturschutz ausgeschrieben.
Schließlich wies Frau Siegel auf den Abschluss des ExWoSt-Forschungsfeldes „Kooperation im Quartier“ (KIQ) im Frühjahr hin und legte den Teilnehmenden zwei Veröffentlichungen aus diesem Vorhaben ans Herz: „Kooperation im Quartier zur Wertsicherung innerstädtischer Immobilien“ und einen
„Leitfaden Kooperation im Quartier“, den das BMUB gemeinsam mit Haus&Grund herausgegeben hat.
Frau Siegel wünschte den Teilnehmern eine gelungene Veranstaltung.
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Transferwerkstatt: Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Stadtumbau West
Im Namen des Landes Niedersachsen begrüßte Dr. Manfred Stehmeyer vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und
Gleichstellung die Teilnehmenden der Transferwerkstatt. Nachdem Niedersachsen aus haushälterischen Gründen erst 2008 in die Kofinanzierung des Programms Stadtumbau West eingestiegen ist, werden hier
mittlerweile 52 Maßnahmen gefördert. Themenschwerpunkte im niedersächsischen Stadtumbauprogramm sind Maßnahmen zur Anpassung
von Wohnquartieren, insbesondere aber die Revitalisierung von Industrie- und Militärbrachen. Im Hinblick auf das Thema „Einsatz moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien“ zeigte Dr. Stehmeyer
großes Interesse – gerade aus der Sicht des Vertreters einer Generation,
die ohne Internettechnik aufgewachsen ist.
Für die gastgebende Stadt Hannover richtete Dr. Hans-Heiner Schlesier, Sachgebietsleiter des Fachbereichs Planen und Stadtentwicklung
der Landeshauptstadt Hannover, ein Grußwort an die Teilnehmenden,
denen ggf. noch der vor einigen Jahren über die Stadtgrenzen hinaus
bekannt gewordene Dialog-Prozess „HannoverCity 2020+“ geläufig sei.
Damals wurde die Zukunft Hannovers intensiv diskutiert, mittlerweile seien einige Maßnahmen umgesetzt und erste sichtbare städtebauliche
Veränderungen zu sehen, beispielsweise auf dem Weg vom Bahnhof
zum Veranstaltungsort oder am Leineufer. Dr. Schlesier berichtete, dass
sich seit damals die Bevölkerungsprognosen deutlich geändert hätten:
Hannover sei entgegen vergangener Erwartungen mittlerweile eine
wachsende Stadt, so dass einige städtische Planungen und Entwicklungsvorhaben in den letzten Jahren angepasst werden mussten. Ein Beispiel dafür sei auch die Entwicklungsgeschichte der „Wasserstadt Limmer“, die im weiteren Veranstaltungsverlauf noch vorgestellt wird. Mittlerweile wird in der
Landeshauptstadt bereits an einem neuen Konzept, dem Stadtentwicklungskonzept Hannover 2030,
unter der Mitarbeit aller Dezernate gearbeitet.
Einführung
Im Anschluss an die Begrüßung folgte eine Einführung in das Thema
„Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im
Stadtumbau West“ durch Felix Matthes, Projektleiter der Bundestransferstelle Stadtumbau West. Anhand anderer Veranstaltungen in diesem
Jahr, einiger Veröffentlichungen und anhand digitaler Projektauftritte
verdeutlichte Herr Matthes die Aktualität des Themas und die Fragen, die
sich aus Sicht des Stadtumbaus damit verbinden. So z. B., welche
Einsatzmöglichkeiten von Kommunikations- und Informationstechniken
es eigentlich gebe, wann bzw. in welchen Prozessphasen welche
Anwendung sinnvoll sei, wer für welche Zielgruppe welche Anwendung
einsetze, ob die „Stadtentwicklung 3.0“ Hierarchien, Kooperationen und
Netzwerke verändere oder ob „klassische“ Instrumente (z. B. in der Beteiligungsarbeit) verdrängt oder
ergänzt würden. Im Vorfeld der Veranstaltung habe man diese Fragen sowie die vielen
Anwendungsgebiete moderner Informations- und Kommunikationstechniken in der Stadtentwicklung
im Sinne eines „roten Programmfadens“ zu strukturieren versucht. Schließlich habe man für die
Veranstaltungskonzeption die verschiedenenen Anwendungsmöglichkeiten moderner Technologien
nach Prozessphasen in der Stadtentwicklung gegliedert: Während beispielsweise im Zuge von
Maßnahmevorbereitungen moderne, internetbasierte Beteiligungsverfahren oder Visualisierungs2
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techniken zum Einsatz kämen, würden im Zuge der Umsetzung auch neue technische (Online-)Anwendungen als quartiersbezogene Stadtumbaustrategien eingesetzt. Exemplarisch nannte Herr Matthes den „stationären Onlinehandel“, den Einsatz intelligenter Haustechniken für eine klimagerechte
Stadtentwicklung oder intelligente Verkehrsleitsysteme. Schließlich könnten wiederum andere
Informations- und Kommunikationstechniken in einer späteren Verstetigungsphase, für Netzwerkarbeit
oder begleitende Monitoringverfahren eingesetzt werden. Die Transferwerkstatt befasse sich
insbesondere mit den beiden erstgenannten „Phasen“. Entsprechend – und damit stellt Herr Matthes
kurz das Veranstaltungsprogramm vor – teile sich die Veranstaltung in die zwei Themenblöcke
„Einsatzmöglichkeiten moderner Medien in der Beteiligungsarbeit“ und „Informations- und Kommunikationstechnik als Instrument in der Quartiersentwicklung“ sowie in ein abschließendes Podiumsgespräch auf.
Anschließend startete der erste Themenblock „Einsatzmöglichkeiten moderner Medien in der
Beteiligungsarbeit“ mit Berichten aus den drei Stadtumbaukommunen Hannover (Niedersachsen),
Ensdorf (Saarland) und Bergkamen (Nordrhein-Westfalen).
In einem ersten Impulsvortrag stellte zunächst Dr. Hans-Heiner Schlesier das Stadtumbauprojekt
Wasserstadt Limmer und dessen bisherige Projekthistorie vor: Rund vier Kilometer westlich der Innenstadt befindet sich – eingerahmt vom Leineabstiegs- und dem Mittellandkanal – eine 23 ha große
Industriebrache, auf der die Continental AG bis 1999 Reifen produzierte. Die Lagegunst der Fläche an
den Wasserläufen und in Innenstadtnähe war von Beginn an prädestiniert für eine schwerpunktmäßig
dem Wohnen dienende Nachnutzung. Die Wasserstadt Limmer GmbH, ein Konsortium aus drei Unternehmen, erwarb die Fläche. Im Zuge einer Untersuchung wurden erhebliche Altlasten festgestellt,
so dass bis auf ein ehemaliges Fabrikgebäude und einen markanten Wasserturm alle Gebäude zurückgebaut und umfassende Bodensanierungen durchgeführt werden mussten. Ein städtebaulicher
Wettbewerb, dessen Ergebnisse 2005 in die Erstellung eines städtebaulichen Rahmenplans mündeten, sah eine Neubebauung mit relativ geringer städtebaulicher Dichte (650 Wohneinheiten, vorwiegend Reihen- und Einfamilienhäuser) sowie die Anlage großzügiger Grünflächen vor. Während die
Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen begonnen wurden, änderten sich jedoch die Planungen insbesondere aufgrund der stark nach oben korrigierten Bevölkerungsprognosen für die Stadt Hannover.
Nun war eine deutlich höhere bauliche Dichte (rund 2.000 Wohneinheiten in Geschosswohnungsbau)
sowie eine veränderte Freiraumplanung vorgesehen. Die neuen Planungen, die sich u. a. in einem
2014 vorgestellten städtebaulich-freiraumplanerischen Konzept niederschlugen, versprachen deutlich
mehr Urbanität, lösten jedoch Widerstand im Stadtbezirksrat sowie bei den Bürgern im angrenzenden
Ortsteil Limmer aus, die eine Initiative gegen die neuen Planungen gründeten. Aus Sicht der Stadt
Hannover war somit klar, dass es mit den damals vorliegenden Planungen keinen Weg zu einem Baurecht geben würde und sie beauftragte daher die Durchführung eines umfassenden Dialogverfahrens,
das bis heute andauert.
Über die Konzeption und erste Ergebnisse dieses so genannten „Wasserstadt Dialogs“ berichtete dann Dr. Ulrich Berding vom beauftragten Büro
plan zwei aus Hannover. Der „Wasserstadt Dialog“ gliedert sich in zwei
Prozessphasen und zeichnet sich dadurch aus, dass „klassische“ Beteiligungsinstrumente wie z. B. Themen- und Planungswerkstätten um einen
Online-Dialog auf einer projekteigenen Internetseite (http://wasserstadtdialog.info/) ergänzt werden. Dazu werden auf einer leicht zu bedienenden, freien Web-Anwendung (Wordpress) Informationen zum Projekt in
den Menüpunkten „Aktuelles“, „Wissen“, „Worum geht es?“ und „Veranstaltungen“ strukturiert aufbereitet. Im Menü „Mitreden“ besteht für jeden
Interessierten die Möglichkeit, zu den Projektthemen „Stadtentwicklung“,
„Wohnen“, „Mobilität“ und „Prozess“ Kommentare zu hinterlassen bzw. auf Kommentare anderer Nut3
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zer zu reagieren. In der ersten Prozessphase, die von November 2014 bis April 2015 dauerte, wurden
– Online und vor Ort – Themen Leitlinien und Ziele der Planung diskutiert und anschließend zu Planungsgrundsätzen für die Wasserstadt Limmer zusammengeführt. Die Kombination aus Vor-Ort- und
Onlinediskussion erweiterte das Meinungsspektrum deutlich: Während das Meinungsbild in den Werkstätten durch direkte Anlieger und Mitglieder der Bürgerinitiative eher ablehnend war (z. B. wegen erwarteter Lärm- und Verkehrsbelastungen), wurde es durch den Online-Dialog aufgebrochen und um
andere, stadtweite Aspekte wie die Wohnraumknappheit erweitert. Um die Beteiligungsschwelle so
niedrig wie möglich zu halten, konnten die Nutzer zwar anonym Kommentare verfassen, dennoch war
die Diskussion bis auf wenige Ausnahmen stets von Sachlichkeit und Konstruktivität geprägt. Allerdings wurde der Dialog annähernd „rund um die Uhr“ betreut. Auch nach Feierabend und am Wochenende hat der Moderator neue Kommentare freigegeben. Trotz dieses Aufwands hat sich die Online-Beteiligung aus Sicht von Dr. Berding und Dr. Schlesier rentiert, da die Qualität der Ergebnisse
sowie die Reichweite der Beteiligung deutlich gesteigert werden konnten. Inzwischen wurden die Ergebnisse der ersten Prozessphase zusammengefasst und sind u. a. in vier Themenkarten („Mobilität |
Verkehr“, „Städtebau | Gebäudehöhe“, „Städtebau | Infrastruktur“ und „Freiraum“) auf der Homepage
dokumentiert. Die zweite Prozessphase begann Anfang Juni 2015 mit der ersten Sitzung eines Runden Tisches, an dem neben Vertretern der Stadt auch die Projektentwickler und Bürger sitzen. Ziel
dieser weiterhin auch Online intensiv begleiteten Phase ist es, im Konsens die Ausarbeitung eines
Bebauungsplanes voranzutreiben.
Einen anderen online gestützten Beteiligungsprozess stellte anschließend
Sabine Herz vom Büro FIRU mbH aus Kaiserslautern vor: In der saarländischen Gemeinde Ensdorf (ca. 6.500 Einwohner) wurde im Juni 2012 der
Betrieb des Bergwerks Duhamel endgültig eingestellt, in dem noch 2006
rund 4.000 Menschen gearbeitet hatten. Bereits Ende 2011 hatte die Gemeinde Ensdorf mit der RAG Montan Immobilien GmbH als Eigentümerin
eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, in der sich beide Seiten auf
die Aufteilung der Kosten für den nachfolgenden Planungs- und Beteiligungsprozess verständigten. Ziel dieses Masterplanprozesses, der im
Frühjahr 2012 und damit noch vor dem endgültigen Aus des Betriebs startete, war die Entwicklung einer bürgerschaftlich getragenen und akzeptierten Nachnutzungskonzeption für das Gelände. Mit dieser zeitigen Beteiligung sollte der für Ensdorf mit
der Werksschließung verbundene emotionale Einschnitt aufgefangen und zugleich den teils widerstreitenden Herausforderungen früh begegnet werden. Zu diesen Herausforderungen zählte beispielsweise die enorme Größe der Flächen (eine Berghalde von ca. 72 ha und eine Tagesanlage von 27 ha) in
der vergleichsweise kleinen Gemeinde Ensdorf, die relativ schlechte Marktlage, die ökonomischen
Verwertungsinteressen der Eigentümerin, teils unter Denkmalschutz stehende Gebäude, Altlastenvorkommen oder die Tatsache, dass sich ein Teil der Tagesanlage auf der Gemarkung der Nachbarstadt
Saarlouis befindet. Das beschlossene Untersuchungsgebiet ist daher Gemeinde übergreifend. Darüber hinaus umfasst es neben den Bergwerksanlagen auch Teile eines angrenzenden (Ensdorfer)
Wohngebiets mit einem Sportplatz.
Das dreistufige Beteiligungsverfahren unter dem Motto „Mitdenken, Mitreden, Mitmachen“ dauerte etwa ein Jahr und wurde mit Stadtumbaumitteln gefördert. Im Zuge der ersten beiden Stufen „Ideenfindung“ und „Variantendiskussion“ wurde parallel zu klassischen Beteiligungsformaten (Bürgercafé,
Bürgerforum, Expertenworkshop) auch ein Online-Beteiligungsverfahren durchgeführt. Dazu bediente
sich die Gemeinde der Plattform „ZIVILARENA“, die von der FIRU mbH betreut wurde. Dort wurden
allgemeine Informationen zum Gesamtprojekt und aktuelle Prozessschritte bzw. Zwischenergebnisse
aufbereitet. Auf einer Diskussionsplattform konnte jeder Interessierte Diskussionsbeiträge einbringen
oder im Menüpunkt „Ideen“ eigene Vorschläge für die Nachnutzung des Geländes unterbreiten. Die
Diskussion wurde von einer Mitarbeiterin der FIRU mbH moderiert und auch mit eigenen Beiträgen
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bzw. Antworten auf Fragen der Nutzer gespeist. Anders als beim Wasserstadt-Dialog in Hannover zuvor, waren die Diskussionen nicht dauerhaft, sondern nur in einem begrenzten Zeitfenster, jeweils
zwei Wochen im Anschluss an jede Veranstaltung geöffnet. Um die Reichweite der Online-Beteiligung
zu ermitteln wurden die User gebeten, freiwillige Angabe über ihre Herkunft zu machen. Die Auswertung der ersten Diskussionsphase ergab, dass sich von insgesamt 75 registrierten Teilnehmern 35 aktiv in die Diskussion und die Ideenfindung einbrachten. 17 Nutzer kamen aus Ensdorf selbst, weitere
31 aus anderen saarländischen Kommunen und 27 aus einem anderen Bundesland. Die Nutzer waren zwischen 25 und 54 Jahre alt (Durchschnitt: 43 Jahre) und überwiegend männlich. 28 Ideen wurden eingebracht und 33 Kommentare abgegeben, zusätzlich wurde die Diskussion durch Kommentare
und Impulsbeiträge der Moderatorin bereichert. Insgesamt wurden in der untersuchten Phase 2.214
Besuche gezählt.
Im April 2013 konnte schließlich der Entwurf einer Masterplankonzeption vorgelegt werden, der u. a.
Teilbereiche für Solarenergiegewinnung, Natur, Sport und Freizeit, Wohnen sowie einen Innovationsstandort vorsieht. Frau Herz berichtete abschließend, dass dank der ergänzenden Online-Beteiligung
tatsächlich jüngere Altersgruppen sowie ein erweiterter Einzugsbereich eingebunden werden konnten.
Ein Rückgang der Online-Beteiligung in der zweiten „geöffneten“ Phase ließe darauf schließen, dass
sich das Instrument eher für eine Ideensammlung, als für eine Variantendiskussion eigne. Die intensive Moderation habe destruktive Beiträge oder das Äußern von Partikularinteressen deutlich eingeschränkt, bedeutete jedoch einen hohen Aufwand. Die Einwohnerzahl Ensdorfs sei vermutlich etwa
die Untergrenze, unterhalb derer sich eine solche Online-Beteiligung nicht mehr lohne.
Zum Abschluss des ersten Themenblocks berichtete Christiane Reumke,
Sachgebietsleiterin Planung und Demographie aus Bergkamen, welche
Rolle Online-Medien im Rahmen des Stadtumbauprojektes „Wasserstadt
Aden“ spielen. Bergkamen (ca. 50.000 Einwohner) liegt etwa 15 km nordöstlich von Dortmund und hat – wie Ensdorf – eine Tradition im Bergbauwesen. Der Ruhrbergbau erreichte Ende des 19. Jahrhunderts diese Region und führte zu starkem Bevölkerungszuwachs in den bis dahin ländlich
geprägten Dörfern. Die Stadt Bergkamen selbst entstand erst Ende der
1960er Jahre durch den Zusammenschluss von sechs Gemeinden. Noch
Anfang der 1990er Jahre waren fast 11.000 Menschen in Bergkamen mit
der Steinkohleförderung beschäftigt, nach Schließung der letzten Förderanlage 2010 sind heute gerade noch 12 Personen für die zentrale Wasserhaltung des Bergbaus zuständig. Die Aufgabe des Bergbaus stellte Bergkamen vor große Herausforderungen, zu denen neben
einem Rückgang der Bevölkerungszahlen und einer hohen Arbeitslosigkeit auch die Suche nach Folgenutzungen für die stillgelegten Anlagen zählt.
Das Gelände der ehemaligen Zeche „Haus Aden“ liegt am Hamm-Datteln-Kanal und bietet daher besonderes Potential für die Entwicklung eines neuen Stadtquartiers, in dem – abgesehen von teilweiser
Gewerbe- und Freizeitnutzung – in erster Linie rund 300 neue Wohnangebote in Wasserlage entstehen sollen. Um möglichst viele Grundstücke in unmittelbarer Wasserlage entwickeln zu können, ist eine Öffnung des Kanals und die Flutung eines neu angelegten Sees, des Adensees, geplant. Der Entwicklungsprozess wird durch eine Reihe „klassischer“ Beteiligungsformate begleitet, u. a. wurden Geländebegehungen, Schiffstouren oder Volkshochschulseminare zum Thema Wohnen am Wasser
u. a. m. durchgeführt.
Ergänzend werden auf dem eigens eingerichteten Internetportal www.wasserstadt-aden.de umfassende Informationen zum Projekt aufbereitet. Dazu nimmt die Stadt Bergkamen ausgewählte Module
des Web-Angebots „VIU“ in Anspruch, ein Produkt der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft GmbH (DSK), die das Projekt Wasserstadt Aden als Entwicklungsträger betreut.
„VIU“ ist ein modulares System, bei dem einzelne Bausteine passend zu den Vor-Ort-Bedürfnissen
zusammengestellt werden können. Auf ein öffentliches Online-Diskussionsforum wie es zuvor aus
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Hannover bzw. Ensdorf geschildert worden war, hat man in Bergkamen in den bisherigen Planungsphasen jedoch bewusst verzichtet. Stattdessen wurde Wert auf eine hohe Qualität der visuellen
Erlebbarkeit und ein umfangreiches Informationsangebot gelegt. So lassen sich beispielsweise detaillierte Informationen zu den verschiedenen geplanten Quartieren in einem interaktiven Rahmenplan
anzeigen. Etliche Bilder – Luftbilder sowie Aufnahmen von Situationen vor Ort – vermitteln mithilfe des
„Wischer“-Moduls einen Vergleich der derzeitigen Situation mit den Planungen (bzw. später dem aktuellen Umsetzungsstand) und mithilfe des Moduls „Zeitstrahl“ kann auch die planerische Entwicklung
inkl. des Eingangs von Änderungen visualisiert werden. Frau Reumke berichtete abschließend, dass
bei zukünftigen Projektphasen dieses Onlineangebot um zusätzliche VIU-Module erweitert werden solle. So werde es u. a. potenziellen Käufern zukünftig möglich sein, sich über einzelne Grundstücke detailliert zu informieren oder Fragen zu stellen. Von diesen Angeboten verspricht sich die Stadt Bergkamen, die die Wohnungsgrundstücke selbst einzeln vermarkten wird, eine professionelle und innovative Vorbereitung, Ansprache und Pflege der Kunden und damit eine – trotz schwieriger Rahmenbedingungen – erfolgreiche Vermarktung der neuen Angebote.
Im Anschluss an jeden Vortrag nutzten die Teilnehmer intensiv die Möglichkeit, Rückfragen an die Referenten zu stellen und verschiedene Aspekte vertiefend zu diskutieren – auch Vortrag übergreifend.
Dabei wurde u. a. festgestellt, dass die drei Projekte aus Hannover, Ensdorf und Bergkamen interessante Unterschiede und Parallelitäten aufzeigten: In Hannover und Ensdorf wurden mit hohem Aufwand und Erfolg Online-Diskussionen initiiert, während man sich in Bergkamen – zumindest Online –
ganz bewusst auf Informationen zum Projekt beschränkt, diese jedoch mithilfe visueller Effekte erheblich aufgewertet hat. In Ensdorf und Bergkamen wird das Internet zur Unterstützung einer besonders
frühzeitigen Beteiligung eingesetzt, in Ensdorf beispielsweise zur Findung erster Ideen. In Hannover
dagegen konnten mithilfe der Onlinebeteiligung bereits festgefahrene Positionen und Meinungsbilder
wieder aufgelockert und zielgerichtet weiterentwickelt werden.
Bei keinem der Projekte werden „klassische“ Beteiligungsformate durch Online-Angebote verdrängt.
Im Gegenteil hoben alle Referenten hervor, dass die Basis von Beteiligungsarbeit aus ihrer Sicht weiterhin der persönliche Kontakt im Rahmen von Werkstätten, Informationsveranstaltungen usw. bleiben
werde. Weiterhin war allen drei Projekten gemein, dass es sich um Brachflächenrevitalisierungen
handelt. Für diesen Handlungsraum bieten sich solche Beteiligungsverfahren möglicherweise eher an,
als bei eher bestandsorientierten Stadtumbaumaßnahmen in Innenstädten oder Wohnquartieren. Weitere Diskussionspunkte waren u. a. folgende:
• Zur Vermeidung von polemischen sachfremden oder unqualifizierten Beiträgen ist eine arbeitsintensive Moderation
von Onlinediskussionen bzw. die vorherige Genehmigung
von Beiträgen notwendig.
• Jede Kommune sollte sich genau überlegen, ob und für
welchen Zweck sie den vergleichsweise hohe Arbeitsaufwand einer Online-Beteiligung mit Moderatorentätigkeit betreibt: In Hannover konnte Bewegung in ein festgefahrenes
Verfahren gebracht werden. In Ensdorf wurde festgestellt,
dass es einer „kritischen Masse“ an potenziellen Nutzern für eine Online-Beteiligung bedarf.
Für eine erste Ideensammlung war das Instrument vor diesem Hintergrund sehr geeignet,
während die Beteiligung bei der anschließenden Variantendiskussion zurückging. Die Stadt
Bergkamen wiederum wird ihre Online-Beteiligung im weiteren Prozessverlauf weiter intensivieren und von einem (derzeit) interaktiven Informationsangebot u. a. zu einer Frage- und
Vermarktungsplattform modular weiterentwickeln. Letzteres ist insbesondere für Kommunen
mit schwächerer Nachfrage eine interessante Alternative.
• Weder in Hannover noch in Ensdorf wurde die Online-Diskussion über soziale Netzwerke o. ä.
beworben, sondern nur im Rahmen der „klassischen“ Beteiligungsveranstaltungen. Die Onli6
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•
ne-Nutzer waren entsprechend eingehend mit den Projektentwicklungen vertraut, so dass die
Diskussionen auf einem guten Niveau geführt wurden. Dennoch ist es in beiden Projekten gelungen, durch die Online-Diskussion auch neue Interessenten, sowohl aus einem erweiterten
räumlichen Kontext wie auch bezüglich des Alters (eher jüngere) und somit auch andere Meinungen zu gewinnen.
Der Umgang mit unkonventionellen Nutzerideen und -vorschlägen, deren Umsetzung offensichtlich nicht realisierbar ist, wurde nicht als Problem gesehen. Zwar gebe es vereinzelt zu
„verrückte“ Ideen, dies würde jedoch in den Online-Diskussionen selbst entsprechend eingeordnet. Wichtig sind jedoch – unabhängig ob im Online- oder im „Offline“-Beteiligungsverfahren – im Vorhinein Verabredungen über Verbindlichkeiten zwischen Bürgern, Politik und
Verwaltung zu treffen.
Nach einer Mittagspause folgte der zweite Themenblock mit dem Augenmerk auf „Informations- und
Kommunikationstechnik als Instrumente in der Quartiersentwicklung“. Impulse aus Bottrop
(Nordrhein-Westfalen) und Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) veranschaulichten praktische Anwendungsmöglichkeiten von neuen Techniken in den Bereichen klimagerechter Stadtumbau bzw.
Verknüpfung von Online- und stationärem Handel. Ein dritter Vortrag befasste sich am Beispiel Heidelbergs (Baden-Württemberg) mit den Chancen des so genannten Crowdfunding.
Zunächst stellte Klaus Müller von der Stadt Bottrop so genannte „Zukunftshäuser“ und das „Informationssystem ICRIS“ als moderne, onlinebasierte Teilstrategien für einen klimagerechten Stadtumbau vor. Auch
Bottrop ist vom Bergbau geprägt. In der am nördlichen Rand des Ruhrgebiets gelegenen Stadt mit ca. 117.000 Einwohnern wird die letzte aktive Zeche 2018 geschlossen. Der Strukturwandel ist in Bottrop noch in
vollem Gange. Die Stadt ist bereits seit 2004 mit ihrer Innenstadt im
Stadtumbauprogramm vertreten. 2010 bewarb sich Bottrop im Rahmen
eines Wettbewerbs des Initiativkreises Ruhr, einem Zusammenschluss
zahlreicher großer und mittlerer Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen,
als „Modellstadt InnovationCity Ruhr“ und konnte sich gegen über ein
Dutzend Mitbewerber durchsetzen. Ziel dieses Modellvorhabens ist es, in einem 2.500 ha großen Gebiet (die Innenstadt und alle angrenzenden Stadtteile), in dem etwa 60% der Bottroper Bürger leben,
die CO2-Emissionen bis 2020 zu halbieren und zugleich die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen.
Um dies zu erreichen, werden intensive Kooperationen zwischen Stadt, Bürgern, Eigentümern und
Unternehmen initiiert. Viele Unternehmen sollen über (modellhafte) Anwendungen innovativer Produkte zur CO2-Reduktion beitragen. Mit dem Leitmotiv eines „klimagerechten Stadtumbaus“ wurde 2012
das Stadtumbaugebiet auf das gesamte Modellgebiet ausgedehnt. Gesteuert wird dieses ambitionierte Vorhaben von der InnovationCity GmbH, an der u. a. der Initiativkreis Ruhr und die Stadt Bottrop
beteiligt sind. Herr Müller selbst war für einige Jahre als städtischer Vertreter zur InnovationCity GmbH
abgeordnet, ist nun aber wieder in der Verwaltung (im direkt dem Oberbürgermeister zugeordneten
Projektbüro InnovationCity) tätig.
In den Handlungsfeldern „Wohnen“, „Arbeiten, „Energie“, „Mobilität“, „Stadt“ und „Aktivierung“ sowie
auf Grundlage eines Zielsystems zwischen „Klimaschutz“, „Lebensqualität“, „technischer Innovation“
und „Prozessinnovation“ wurde zunächst ein Masterplan in drei Bänden (Band A: Potenzialatlas, Band
B: Projektatlas, Band C: Umsetzungskonzept) erarbeitet. Darin werden u. a. 340 Einzelmaßnahmen
skizziert, von denen etliche bereits umgesetzt wurden und werden. Ein wesentlicher Baustein ist die
Aktivierung und Beratung von Eigentümern über zahlreiche unterschiedliche Formate. Bis Ende 2013
wurden so bereits knapp 1.000 Gebäude von Privaten energetisch modernisiert. Anregungen für
energetische Sanierungen erhalten Eigentümer u. a. durch die so genannten Zukunfts- oder PlusEnergiehäuser. Dabei handelt es sich um drei Demonstrationsobjekte unterschiedlichen Typs, ein
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Einfamilien-, ein Mehrfamilien- und ein Geschäftshaus, in denen Partnerunternehmen diverse bauliche
und technische Innovationen unterbringen, die zur Energieeinsparung und -gewinnung geeignet sind.
Die Bausteine reichen von baulichen Konstruktionen (insb. Dämmungen) über moderne Haustechniken (Heizung, Geothermie etc.) bis hin zu Hausautomatisierungen („Smart Home“). Automatisierte
Anwendungen (z. B. Fenstersensoren, Bewegungsmelder, Lüftungen, Fernbedienungen, Zwischenstecker u. v. a. m. sollen die Bewohner bei der Optimierung ihres Energieverbrauchs unterstützen.
Das noch im Aufbau befindliche InnovationCity Ruhr Informationssystem („ICRIS“) wird zukünftig ein
weiteres online-gestütztes Instrument im klimagerechten Stadtumbau sein. In einer ersten Projektphase wurden 14.500 Gebäude analysiert und als kartografische Darstellung in das System aufgenommen. Über die Eingabe einer konkreten Adresse bzw. über die Auswahl eines Handlungsfeldes können einzelne Gebäude ausgewählt und ihre Umbaupotenziale eingesehen werden. So ist beispielsweise ein Solaratlas bereits verfügbar: Darin werden die Gebäude – je nach Dachneigung,
Verschattung etc. – in Eignungsklassen für die Gewinnung von Solarenergie eingeteilt. Demnächst
soll das Angebot um einen Fernwärmepotenzialatlas erweitert werden. Das ICRIS wird eine wichtige
Arbeitsgrundlage für das Quartiersmanagement werden, das seine Arbeit 2015 aufnimmt und als Anlauf- und Beratungsstelle im gesamten Gebiet zur Verfügung stehen wird. Darüber hinaus kann mittlerweile schon jeder Hausbesitzer auch selbstständig das System über das Online-Angebot „EGiBOT“
(Energetische Gebäudesanierung in Bottrop) nutzen: Nach Eingabe ihrer Adressdaten und ihres Bauvorhabens erfahren Eigentümer, ob ihr Vorhaben förderfähig ist, in welcher Höhe es Zuschüsse gibt
und welche Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Zum Thema „Verknüpfung von stationären und Online-Handel zur Stabilisierung der Innenstadt“ referierte Anett Zimmermann von der Stadt Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) und bot den Teilnehmern damit einen
„Blick über den Tellerrand“ in die neuen Länder. Zunächst umriss Frau
Zimmermann die Herausforderungen, vor denen die Stadt Güstrow (heute
rund 29.000 Einwohner) nach Ende der DDR v. a. in Hinblick auf den baulichen Zustand der Innenstadt stand: 20% der 2.100 Wohneinheiten in der
Altstadt standen 1990 leer, fast die Hälfte der Altstadtwohnungen verfügte
nicht über ein innenliegendes WC, über 85% wurden noch mit Kohle beheizt und in fast allen Wohnungen führten undichte Dächer bzw. Fenster zu
Feuchtigkeit. Die Güstrower Altstadt mit ihren zahlreichen Baudenkmälern
wurde daher 1991 als Modellstadt für Altstadtsanierungen in den neuen Ländern ausgewählt und gefördert. Zu den baulichen Herausforderungen kamen dann die auch aus anderen ostdeutschen Städten bekannten dramatischen demografischen und wirtschaftlichen Veränderungen hinzu. 2002 bemühte sich die Stadt daher erfolgreich um die Aufnahme in das damals neue Programm Stadtumbau
Ost. Grundlage dafür war die Erarbeitung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes, das – neben
der Stabilisierung des Wohnungsmarktes – auch die zukunftsorientierte Entwicklung der Altstadt in all
ihren Funktionen in den Blick nahm. Dazu zählt bis heute insb. die Stärkung der Altstadt als Einzelhandelsstandort.
Ein seinerzeit bereits vorliegender Einzelhandelsfachplan wurde daher mit einem Städtebaulichen
Rahmenplan für die Altstadt und einem Verkehrsentwicklungsplan verknüpft und seither stetig fortgeschrieben (zuletzt Anfang 2015). Es werden u. a. der Einzelhandelsbestand mit seinen Sortimenten
analysiert und in verschiedene Lagebereiche eingeteilt, Betriebsgrößen erhoben, die Kaufkraft ermittelt usw. Zudem werden Umsätze im Online-Handel als Konkurrenz für den stationären Handel in der
Innenstadt analysiert. Neben der Arbeit an dem Fachplan werden seit Jahren weitere Aktivitäten zur
Unterstützung des Einzelhandels entfaltet, wie die Einrichtung und Betreuung einer Arbeitsgruppe zur
Einzelhandels- und Dienstleistungssituation oder die Organisation öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen. Schon 2003 wurde als elektronisches Instrument der Einzelhandelsentwicklung die „GüstrowCard“ eingeführt, ein Bonussystem, an dem sich 150 Güstrower Geschäfte beteiligen: Mit jedem Ein8
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kauf vor Ort können Kunden Bonuspunkte sammeln, die wiederum in jedem teilnehmenden Geschäft
eingelöst werden können. Im Rahmen eines Projektes der Nationalen Stadtentwicklungspolitik („Visualisierung der Güstrower Innenstadt“) entsteht seit 2013 ein neues Instrument, um der Einzelhandelskonkurrenz aus dem Internet zu begegnen, das „Virtuelle Schaufenster“. Dabei handelt es sich um
ein internetbasiertes, interaktives Waren- und Informationssystem, dass das reale Handelsangebot in
Kombination mit verschiedenen Serviceleistungen im virtuellen Raum abbildet. So sollen künftig alle
Einzelhändler ihre stationären Produkte und Serviceangebote gemeinsam auch im Internet präsentieren. In einem Bummel-Leitsystem können Kunden ihre Einkaufsroute vorab online erstellen. Die Internetseite ist auch für mobile Endgeräte programmiert worden. Neben lokalen sollen sich zukünftig auch
regionale Anbieter im Virtuellen Schaufenster präsentieren können. Trotz erster Erfolge verschwieg
Frau Zimmermann abschließend nicht die Stolpersteine eines solchen Projektes: Es ist ein hoher Aufwand erforderlich, um die Händler zur Teilnahme zu motivieren. Dies liegt sowohl an fehlender Erfahrung im Umgang mit dem Internet, an der Vielzahl von Einzelhändlern, denen es aus Altersgründen
und wegen fehlender Nachfolger für ihr Geschäft an Perspektiven fehlt oder auch daran, dass viele
Geschäfte Inhaber geführt sind und der anfallende Mehraufwand nicht auf mehrere Schultern verteilt
werden kann. So musste z. B. die geplante Entwicklung eines gemeinsamen Vertriebskonzeptes bislang zurückgestellt werden.
Ein weiteres Projekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik (NSP) stellte
schließlich Anna Wildhack vom Verein Nexthamburg e.V. vor. Der Verein
versteht sich als Inkubator für Bürgerprojekte, der – zunächst in Hamburg –
Projektideen gesammelt, gemeinsam mit Interessierten diskutiert und weiterentwickelt hat. Hintergrund dieses Ansatzes sind laut Frau Wildhack die
immer häufiger artikulierten Bürgerinteressen im Zuge der Entwicklung
(großer) Stadtentwicklungsprojekte sowie die zahlreichen Projektideen, die
Bürger, Vereine usw. in Stadtentwicklungsprozesse einbringen und (meist
in kleinem Rahmen) auch umsetzen. Mit dem NSP-Projekt „Stadtmacher“
betritt der Verein eine neue Ebene: Hier werden bundesweit Projektideen
von Bürgern unterstützt und professionalisiert. Das Stadtmacher-Projekt ist
Anfang 2015 in vier Städten (Heidelberg, Mönchengladbach, Hamburg und Kassel) gestartet. Dabei
werden Projektideen von engagierten Bürgern und Gruppen auf der Plattform www.stadtmacher.org
eingereicht, die gemeinsam mit dem Stadtmacher-Team weiterentwickelt und auf den Weg Richtung
Umsetzung gebracht werden – zum einen durch eine fachliche Beratung, zum anderen durch ein eigens für Stadtentwicklungsprojekte entwickeltes Crowdfunding. Beim Crowdfunding geht es darum,
finanzielle Unterstützung von möglichst vielen Menschen zu erhalten, um die (zuvor festgelegte) benötigte Geldsumme zur Realisierung eines Projektes zu sammeln. Die Spender erklären ihre Bereitschaft
zur Finanzierung einer (Teil-)Summe auf der Plattform. Wird die angestrebte Summe in einem zuvor
definierten Zeitraum nicht erreicht, erhalten die Unterstützer ihr Geld zurück. Auch ideelle, materielle
oder tatkräftige Unterstützungen können so eingeworben werden (Crowd-Resourcing). Hat ein Projekt
genügend „Fans“ gesammelt und damit seine Nachfrage bewiesen, entwickeln die Stadtmacher gemeinsam mit den Initiatoren einen Projektpfad, das heißt, es werden inhaltliche und Finanzierungsschritte erarbeitet, Netzwerke aufgebaut und (z. B. kommunale) Ansprechpartner kontaktiert. Ziel sind
nicht allein „fertige“ Projekte, am Ende eines Stadtmacher-Projektes können ebenso gut Machbarkeitsstudien, Bürgergutachten, Wettbewerbe, Prototypen, o. ä. stehen. Die Chancen für StadtmacherProjekte liegen nach Aussage von Frau Wildhack darin, dass Projekte ohne externe Auftraggeber, von
Bürgern initiiert funktionieren, neue Netzwerke generieren und bürgerschaftliches Know-How im Bereich der Projektentwicklung ausbilden. Risiken bestünden indes im Realisierungsdruck, der durch die
breiten Netzwerke und das in der Regel hohe soziale Kapital der Initiatoren im Falle eines Scheiterns
in Unmut umschlagen könne.
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Transferwerkstatt: Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Stadtumbau West
Das Stadtmacher-Pilotprojekt in Heidelberg stellte abschließend Franziska Meier vom Verein „Collegium Academicum e. V.“ vor. Der Verein bemüht sich seit 2012 darum, zwei ehemalige militärisch genutzte Gebäude
auf dem Gelände der „Patton Barracks“ zu erwerben und zu einem selbstverwalteten Studierendenwohnheim zu entwickeln. Die Patton Barracks
sind einer von sechs ehemaligen Militärstandorten der US-Army in der
Heidelberger Südstadt, deren Konversion sowohl mit Stadtumbaumitteln
als auch im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Heidelberg
(2012 bis 2022) unterstützt wird. Ziel des Vereins ist die Schaffung von ca.
200 Studentenwohnungen, die Entwicklung von Räumen für selbstbestimmtes Leben und interdisziplinäres Lernen sowie von Freiräumen für
Kultur, Kreativität, Veranstaltungen und anderem mehr. Von Beginn an war geplant, die beiden Gebäude über ein Mietshäuser-Syndikat-Modell zu erwerben. Dabei werden finanzielle Unterstützer gesucht, die ihre Einlagen im Laufe der Jahre von den unterstützten Neueigentümern über Mieteinnahmen zurückbekommen. Anfang 2015 wurde das Projekt eines der derzeit vier „Stadtmacher“-Projekte.
Über diese Plattform (sowie über weitere, auch Online-Netzwerke) gewann die Idee inzwischen so viele „Fans“, dass das Collegium Academicum im Juni 2015 vom Aufsichtsrat der IBA Heidelberg zum
offiziellen IBA-Projekt gekürt wurde.
Rückfragen wurden direkt im Anschluss an die jeweiligen Vorträge gestellt und führten zu regen Diskussionen. Dabei wurden u. a. folgende Aspekte angesprochen:
• Um die über 340 Projektvorschläge in der InnovationCity Bottrop handhabbar zu machen,
wurden sie im Masterplan zunächst in das vielschichtige strategische Geflecht aus Zielen eingeordnet und dann in drei Projektarten (übergeordnete, strategische „Basisprojekte“, Erkenntnisgewinn orientierte „Grundlagenprojekte“ und „Umsetzungsprojekte“) eingeteilt. Weiterhin
wurden sie nach den sechs Handlungsfeldern (s. o.) unterschieden und sieben Teilräumen
zugeordnet. Anschließend wurden dann 80 Vorrangprojekte identifiziert, mit deren Umsetzung
prioritär begonnen wurde.
• Bislang zeichnet sich in Bottrop ab, dass die Nutzer von ICRIT und EGiBOT neben Eigentümern vor allem Energieberater sind, die selbststätig oder im Auftrag von Eigentümern Potenziale, Kosten oder Fördermöglichkeiten ermitteln.
• Bei aller technischer Innovation auf der Projektebene zeigt sich in Bottrop anhand der vielschichtigen Organisationsstrukturen auch, dass persönliche Kontakte auf der Steuerungs- und
Organisationsebene wichtig sind.
• Ähnlich ist auch eine Erkenntnis aus Güstrow, wo der Ansatz, mit den Einzelhändlern in der
Altstadt ein gemeinsames Online-Angebot zu schaffen insbesondere dazu geführt hat, dass
es einen vermehrten „Face-to-face“-Austausch zwischen Einzelhändlern, Verbänden und
kommunalen Stellen gibt.
• Die Nachfragen zum Stadtmacher-Projekt in Heidelberg drehten sich vor allem um die schwierige Frage des Gebäude- bzw. Grundstückserwerbs durch den Verein Collegium Academicum
e. V.: Noch befinden sich die Patton Barracks im Besitz der Bundesanstalt für
Immobilenaufgaben (BImA). Es existiert jedoch eine Vereinbarung zwischen der Stadt Heidelberg und der BImA über ein Vorkaufsrecht für die Stadt. Diese beabsichtigt, zunächst alle Gebäude zu kaufen, für die Flächen städtebauliche Konzepte zu entwickeln und die Gebäude
dann überwiegend weiterzuverkaufen. Dabei sollen auch Wohnprojekte berücksichtigt werden, für die jedoch seitens der Stadt zuvor eine möglichst detaillierte Planung erwartet wird.
Das Problem für viele Interessenten besteht darin, dass ohne eine Zusage der Stadt über bestimmte Gebäude nur schwer mit konkreten objektbezogenen Planungen begonnen werden
kann. Für das Collegium Academicum ist deshalb eine schrittweise Qualifizierung mit der ent-
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Transferwerkstatt: Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Stadtumbau West
sprechenden Unterstützung auch aus dem Internet wichtig, um die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens auch gegenüber der Stadt präzisieren zu können.
Nach einer kurzen Kaffeepause wurde die Transferwerkstatt mit einem Podiums- und Publikumsgespräch zum Thema „Chancen und Grenzen des Einsatzes moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung“ fortgesetzt. Als thematisch passende Besonderheit wurde während der Diskussion per Skype ein Kurzinterview live aus dem Stadtumbaugebiet
„Wasserstadt Limmer“ in den Veranstaltungsraum übertragen.
Im Podiumsgespräch wurden Informationen aus den vorangegangenen Vorträgen und Diskussionen
vertiefend diskutiert. Daher nahmen in erster Linie einige der Referenten am Podium Platz: Dr. HansHeiner Schlesier (Landeshauptstadt Hannover), Klaus Müller (Stadt Bottrop), Anna Wildhack
(nexthamburg e.V.) und Franziska Meier (Collegium Academicum e.V). Hinzu kam Sebastian Steinberg von der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK), der dort als Produktmanager „VIUweb“ für die Entwicklung und den Einsatz verschiedener onlinebasierter Kommunikations- und Informationsmodule für Stadtentwicklungsprojekte zuständig ist. Das Podiumsgespräch
wurde von Felix Matthes moderiert.
Auf dem Podium wurden – gemeinsam mit dem Publikum – vier Fragekomplexe diskutiert:
• Verändern sich Hierarchien und Kooperationen durch den Einsatz moderner Informations- und
Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung?
• Wie ist das Verhältnis von Chancen, Nutzen und (Mehr-)Aufwand beim Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung?
• Stehen wir erst am Anfang? Welche Visionen gibt es bezüglich des Einsatzes digitaler Medien
in der Beteiligung und v. a. in der Umsetzung?
• Sprechen neue Medien wirklich neue Zielgruppen an? Oder wirken neue Medien selektiv?
Die wesentlichen Inhalte der Diskussion werden nach diesen Fragekomplexen geordnet zusammengefasst:
Verändern sich Hierarchien und Kooperationen durch den Einsatz moderner Informations- und
Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung?
• Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnet Bürgern, Vereinen oder Initiativen neue Möglichkeiten der Einmischung, der Beteiligung und – wie das Beispiel der Stadtmacher-Plattform und das Collegium Academicum aus Heidelberg gezeigt haben – der Professionalisierung sowie der Verwirklichung eigener Projektideen in der Stadtentwicklung.
• Aus Sicht der Beteiligten ergeben sich damit verstärkt Möglichkeiten von Diskussionen „auf
Augenhöhe“, sei es wenn z. B. Verwaltungsmitarbeiter, Lokalpolitiker und Bürger als gleichbe11
Transferwerkstatt: Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Stadtumbau West
•
•
rechtigte Nutzer von Online-Diskussionen auftreten oder wenn Bürgerprojekte durch entsprechende organisatorische und finanzielle Unterstützung ernster genommen werden.
Politik und Verwaltungen sollten noch öfter Strukturen schaffen, die Bürgerprojekten verstärkt
die Möglichkeit einer Professionalisierung bis hin zur Umsetzung geben. Dafür sind v. a. kurze
Wege zu Ansprechpartnern sowie das Ausräumen von Hindernissen bei kleinen Projekten
(z. B. verkehrsrechtliche, ordnungsrechtliche, baupolizeiliche Einschränkungen etc.) wichtig.
Aus Sicht von Verwaltungen bedeuten solche neuen Beteiligungsmöglichkeiten oder flachere
Hierarchien aber auch einen gewissen Mehraufwand, sich mit Bürgeransinnen auseinanderzusetzen. Noch lassen sich viele kommunale Akteure davon abschrecken.
Wie ist das Verhältnis von Chancen, Nutzen und (Mehr-)Aufwand beim Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung?
• Einem unbestrittenen Mehraufwand steht positiv gegenüber, dass Planungen auf Grundlage
eines breiten Konsenses schneller und gegen weniger Widerstände zur Umsetzung gelangen.
Diskussionsprozesse wie der bei der Wasserstadt Limmer in Hannover zeigen, dass Planungsergebnisse in Onlinediskussionen an Qualität gewinnen und auch im Sinne der Verwaltung ausfallen können. Herr Dr. Schlesier äußerte, dass nach den positiven Erfahrungen bei
der Planung der Wasserstadt Limmer darüber hinaus auch bürgerschaftliche Bauprojekte ähnlich dem in Heidelberg wünschenswert gewesen wären.
• Herr Steinberg bestätigte, dass das Potenzial Internet gestützter Instrumentarien in der Stadtentwicklung in vielen Kommunen immer noch nicht ausreichend erkannt sei und viele Chancen gerade in der Beteiligung noch nicht hinreichend genutzt würden. Dabei würden gerade
Internet basierte Beteiligungs- und Informationsverfahren einem späteren Mehraufwand vorbeugen. Zudem könnte durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien auf Verwaltungsseite eine deutlich optimierte Kommunikations- und Prozesssteuerung
erreicht werden, was langfristig wiederum den Aufwand geringer hält.
• Die Beispiele des Tages haben überdies gezeigt, dass die Angebotsvielfalt und die
Modularität es den Kommunen ermöglicht, Aufwand und Nutzen je nach finanziellen und personellen Möglichkeiten individuell und zielorientiert zu bestimmen und einzusetzen.
• Auch in Bottrop bedeutet die Erstellung des Informationssystems zunächst einen sehr großen
Arbeitsaufwand – nicht nur in Hinblick auf die Datenerhebungen und Kartenerstellungen, sondern auch in Hinblick auf die penible Einhaltung von Bestimmungen des Datenschutzes.
Langfristig erwartet man allerdings für den klimagerechten Stadtumbau eine enorme Arbeitserleichterung durch das Informationssystem, zielgenauere Beratungen und Mitteleinsätze,
mehr investitionsbereite Eigentümer und damit letztlich auch noch bessere Ergebnisse des
Stadtumbauprozesses insgesamt.
Stehen wir erst am Anfang? Welche Visionen gibt es bezüglich des Einsatzes digitaler Medien
in der Beteiligung und v. a. in der Umsetzung?
• In Bottrop werden im Bereich der Haustechnik bereits viele Dinge mit dem Ziel einer CO2Reduzierung umgesetzt, die noch vor wenigen Jahren als ferne Vision erschienen. Die Möglichkeitsräume und Anwendungsbereiche digitaler Medien wird sich auch weiterhin so rasant
verändern, dass kaum vorherzusagen ist, welche Visionen von heute künftig in der Stadtentwicklung Realität werden.
• Einig war sich die Runde, dass gerade die mobilen Anwendungen sich noch rasanter entwickeln als das „traditionelle“ Internet. Als Beispiele wurden u. a. so genannte Quick ResponseCodes (QR-Codes) genannt, mit deren Hilfe man bereits heute an vielen Orten in der Stadt
weiterführende Informationen zur Geschichte, Gegenwart oder zukünftigen Entwicklung von
Orten mobil erhalten könne.
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Das Internet ermöglicht es prinzipiell, jeden Bürger zu jedem (stadtentwicklungspolitischen)
Thema mindestens zu informieren. Von einem Beispiel in Heidelberg berichtete Frau Meier:
Unter dem Namen #HolDenOberbuergermeister waren Privatpersonen oder Gruppen aufgerufen, sich über die Internetseite der Stadt und über soziale Medien mit einem bestimmten Anliegen oder einer Idee für ein einstündiges persönliches Gespräch mit dem Oberbürgermeister
zu bewerben. Diejenigen Bewerber, deren Anliegen die meisten Unterstützer bekamen, konnten dem Oberbürgermeister im Gespräch ihre Anliegen und Wünsche vortragen und mit ihm
diskutieren. Diese Art von öffentlichkeitswirksamen Aktionen könnte künftig als Vision von
Bürgernähe weiter Schule machen.
Herr Steinberg berichtete von aktuellen Entwicklungen in der digitalen Spielbranche, die virtuelle Räume schaffen und Nutzern ermöglichen, Stadtentwicklung selbst zu gestalten. Zukünftig werden virtuelle Räume und digitale Anwendungen im Sinne einer spielerischen Stadtentwicklung sowohl für Bürger als auch für Stadtplaner eine wichtige Rolle spielen.
Sprechen neue Medien wirklich neue Zielgruppen an? Oder wirken neue Medien selektiv?
• Der Einsatz neuer Medien erreicht grundsätzlich neue Interessierte für Stadtentwicklungsprozesse und kann den Kreis der Beteiligten räumlich und sozial erweitern. Einig waren sich alle
Diskutierenden, dass „klassische“ Verfahren – Abstimmungsgespräche, Workshops, Informationsveranstaltungen usw. – dadurch aber nicht verdrängt werden. Im Gegenteil: Die vorgestellten Beispiele haben gezeigt, dass im Internetzeitalter die so genannten „Face-to-FaceKontakte“ eher sogar an Bedeutung gewinnen. Als Gewinn bringend wurde vor allem eine
Kombination aus beidem erachtet.
• Das Internet ist auch kein Allheilmittel wenn es darum geht, grundsätzlich schwieriger zu beteiligende Zielgruppen in Stadtentwicklungsprozesse einzubinden. Die neuen Möglichkeiten,
die das Internet bietet, können sogar selektiv wirken, beispielsweise beim Thema
Crowdfunding, dessen Chancen (bislang) nur wenige, gut vernetzte Gruppen mit einem hohen
sozialen Kapital zu nutzen wissen.
• Ein weiterer Aspekt des Ausschlusses bestimmter Zielgruppen durch Internet basierte Verfahren ist die Barrierefreiheit, obgleich öffentlich betriebene Seiten inzwischen meist auch für
Menschen mit Sehbeeinträchtigung lesbar sind.
• Der Einwand, auch ältere Menschen seien von Internet basierten Beteiligungsinstrumenten
ausgeschlossen, wurde hingegen kaum gesehen, da es in der Generation der „jungen Alten“
heute bereits kaum noch Menschen ohne Internetzugang bzw. Internetaffinität gebe.
• Zudem sollte nicht vergessen werden, dass eine Beteiligung immer freiwillig ist, eine hundertprozentige Beteiligung könne daher nicht das Ziel sein.
Für rund zehn Minuten wurde das Podiumsgespräch zugunsten
einer Skype-Liveschaltung unterbrochen. Martin Karsten (Bundestransferstelle Stadtumbau West) führte im Stadtumbaugebiet
Wasserstadt Limmer ein Interview mit Helmut Rother (Stadt Hannover), das live in die Veranstaltung übertragen wurde und demonstrierte damit die praktische Anwendung eines neuen Mediums
in der Veranstaltung. Herr Rother konnte mithilfe der Videoübertragung Bilder vom aktuellen Zustand des Geländes vermitteln und
berichtete von den enormen Anstrengungen, die derzeit zur Aufbringung eines unbelasteten Baugrunds auf das Gelände durchgeführt werden. Damit wurden die
Veranstaltungsteilnehmer zugleich auf die anschließende Exkursion neugierig gemacht.
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Auswertung
Abschließend fasste Evi Goderbauer, Projektleiterin Stadtumbau West
und Stadtumbau Ost im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(BBSR) im BBR, die Ergebnisse der Veranstaltung kurz zusammen:
• Das Thema „Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien“ ist ein sehr aktuelles und auch ein in die Zukunft gerichtetes Thema, dem sich auch der Bund verstärkt durch Studien
und Projekte annimmt.
• Trotz der Vielzahl an neuen (technischen) Möglichkeiten haben die
vorgestellten Projekte und Diskussionen deutlich gemacht, dass
man es gerade in der Stadtentwicklung mit Menschen zu tun hat.
Moderne Techniken sind ein Baustein von vielen, Vor-OrtVeranstaltungen und ein direkter Austausch können daher nicht ersetzt werden.
• Es wurde viel über Aufwand und Nutzen gesprochen und es hat sich gezeigt, dass die Angebote vieler externer Dienstleister den Aufwand für Kommunen deutlich geringer halten und
Aufwand und Nutzen in ein ausgeglichenes Verhältnis setzen können.
• Der Prozess einer „Stadtentwicklung 2.0, 3.0 oder auch 4.0“ ermöglicht die Integration von
vielen Bürgern in Stadtentwicklungsprozesse und damit auch größere Ideensammlungen. Es
wird nicht nur die Möglichkeit geschaffen mehr Menschen anzusprechen, sondern auch engagierte Bürgergruppen in der Stadtentwicklung mitwirken zu lassen. Zudem ermöglichen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien mehr Transparenz in Stadtentwicklungsprozessen.
Im Anschluss an die Veranstaltung führte Dr. Hans-Heiner Schlesier eine Exkursion in die Wasserstadt Limmer an. Nach einer zehnminütigen Straßenbahnfahrt zum ehemaligen Gelände der Continental-Werke konnten sich die Interessierten während eines einstündigen Rundgangs ein Bild von der
freigeräumten Fläche verschaffen. Der neue Baugrund wurde auf einem Teil der Fläche bereits aufgetragen. Die wenigen erhalten gebliebenen Gebäude vermittelten einen Eindruck der Geschichte des
Geländes, dessen zukünftige Entwicklung Herr Dr. Schlesier u. a. anhand von Planunterlagen veranschaulichte.
Bremen, 15. Juli 2015
Felix Matthes, Beke Redlich
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