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,ORIENTALISCHE PFÄHLUNG‘ – IVO ANDRIĆ UND DAS BALKANISCHE BAUOPFER Anonym: Pfählung (Gravur), um 1590 A ls Mehmed SOKOLOVIĆ, ein im Kindesalter ins osmanische JanitscharenKorps entführter, aus Bosnien stammender Pascha, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in seiner Heimat in Višegrad eine Brücke über das reißende Wasser der Drina erbauen ließ, wurde nächtens zerstört, was am Tage erbaut worden war. In Die Brücke über die Drina (1945) erzählt der Nobelpreisträger Ivo ANDRIĆ, dessen Werk zur Pflichtlektüre Gesamt-Jugoslawiens gehörte, die Geschichte dieser Erbauung nach: Aufständische Bauern sabotieren unter der Federführung des ansonsten gänzlich unauffälligen ,Serben‘ Radisav die Arbeiten. Ihre Sabotage ist viel weniger durch nationalen und religiösen Widerstand gegen die osmanischen Besatzer angetrieben als durch die Sorge um die brachliegenden Äcker und die Mühsal des harten Frondienstes beim Brückenbau. In der Hoffnung, das osmanische Bauvorhaben zu vereiteln und auf ihre Felder zurückzukehren, greifen sie auf die balkanische Mythologie von den vile (den Feen) und den Wassergeistern zurück und behaupten, es seien die herausgeforderten Naturgeister, die die Brücke demolierten. Der osmanische Vorsteher Abidaga jedoch, der nicht an Geister glaubt, läßt das Bauwerk bewachen und ,ORIENTALISCHE PFÄHLUNG‘ – IVO ANDRI´C UND DAS BALKANISCHE BAUOPFER den auf diese Weise in flagranti festgenommenen Bauern Radisav als Mahnung für alle anderen Aufrührer gepfählt auf der halbfertigen Brücke aufstellen. – In einer überaus grausamen Folter- und Hinrichtungsdarstellung, die sich Generationen von jugoslawischen Schülern ins Gedächtnis gebrannt hat, beschreibt Andrić die ,orientalische Pfählung‘ des Radisav. Innerhalb der in Rede stehenden polyethnischen und -religiösen Gemeinschaft sind, jedenfalls in Andrićs Texten, für solche osmanischen Auftragsarbeiten die Zigeuner durch ihren exzentrischen Gruppenstatus prädestiniert. Radisav wird also von Merd̄an, einem cigan, in großer Kunstfertigkeit ein Pfahl durch den After in den Körper und am Schulterblatt hinaus eingeschlagen, an allen wichtigen Organen vorbei, so daß der auf diese Weise Gemarterte noch Stunden oder Tage zu leben hat. Erzählungen über Pfählungen von Christen im Zuge der osmanischen Eroberungsfeldzüge auf dem Balkan sind ein vielgestaltiges Motiv der Geschichte und Literatur der Region. Der Volksheld der Griechen Athanasios DIAKOS etwa, dessen Widerstand gegen die Osmanen und dessen Weigerung zu konvertieren noch 1821 mit der Pfählung geahndet wurde, wird im Balkan als Befreiungskämpfer und nationaler Märtyrer verehrt. An der Brücke von Alamana, an der er die entscheidende Schlacht bei den Thermopylen gegen eine zahlenmäßige Übermacht verlor, steht heute das Denkmal für den Volkshelden. Die Geschichte seiner Pfählung wurde episch und dramatisch unzählige Male bearbeitet. Auch Vlad T‚ EPEŞ DRĂCULEA, der finstere walachische Fürst, hat das Pfählen, das ihn berühmt machte, angeblich in osmanischer Gefangenschaft (im ungarischen Visegrád!) gelernt. Daß er seine grausame Kunst ausgerechnet im Kampf gegen die Türken 10 000fach einge- 183 setzt haben soll, hat ihn wiederum zum Nationalhelden der Rumänen gemacht. Andrićs Radisav steht also keineswegs allein in der Überlieferung des Pfählens im balkanischosmanischen Kulturkonflikt. Bei Andrić stirbt er an einem Sonntag im November als christusähnliche Gestalt, apostrophiert als „Märtyrer, Erlöser und Heiliger“, über der bosnischen Stadt Višegrad „schwebend“. Scheint seine Charakterisierung als serbisch-orthodoxe Figur auf den ersten Blick eindeutig, so wird seine kulturelle Zuordnung sowohl durch die Anspielung auf den Märtyrertag der Westkirchen, ,Allerheiligen‘, als auch durch eine makabre Ähnlichkeit zur ,auf den Stab gespießten‘ Puppe Karagöz aus dem türkischen Schattenspiel komplizierter. An Radisavs Figur (zunächst ist er einfach ein armseliger orthodoxer Bauer im osmanischen Frondienst) läßt sich exemplarisch studieren, wie das (Selbst-)Opfer sich in den Märtyrer verwandelt und wie ein Stigma in Charisma umschlägt. Erst als er qualvoll auf der Brücke verendet, transformiert sich sein Status in den eines religiösen Stellvertreters der Sabotagegemeinschaft. Damit fällt ein ideelles Licht zurück auf deren Handlungen, die zunächst durch eher pragmatische Erwägungen motiviert waren, so daßs ihrer Obstruktion rückwirkend heldenhafte Momente zugeschrieben werden. Die Unmöglichkeit, ein, wenn auch erst retrospektiv, religiös begriffenes Martyrium im vorliegenden Kontext vom politischen zu scheiden, offenbart sich, als die durch Radisavs Tod auf ihre Religion zurückgeworfenen Orthodoxen, unvermittelt und als Kollektiv, ihre Widerständigkeit gegen die Osmanen zum Ausdruck bringen. Der „unsichtbare Sieg“, den im Roman alle Serben durch ihre „feiertägliche Stimmung“ und durch „Glanz in den Augen“ bekräftigen, bezieht sich auf den moralischen Sieg der Jahrhunderte zurück- 184 TODESARTEN liegenden Kosovoschlacht auf dem Amselfeld, die – obschon militärisch verloren – zum historischen Datum geworden ist. Heimlich arrangieren im Roman die Serben, die durch den ,Opfertod‘ des Radisav als Gruppe auf den Plan gerufen sind, die „nach unseren Bräuchen“ durchgeführte Beerdigung des Toten, der von den Osmanen den Hunden zum Fraß überlassen werden sollte. Aber Radisav ist bei Andrić mehr als nur christlich-orthodoxer Märtyrer mit synkretistischem Mehrwert: Er ist heidnisches Bauopfer zugleich. In Die Brücke über die Drina kommt die balkanische säkulare superstitio vielfach ins Spiel – eben auch im prominenten Bauopfermotiv, nach dem jedes Bauwerk eines Opfers bedarf. Die literarischen Beispiele von – meist eingemauerten – Brückenbauopfern auf dem Balkan reichen von Ismail KADARES Ura me tri harqe aus Albanien, über KAZANTZAKIS‘ O protomastoras aus Griechenland bis hin zu diversen bulgarischen, serbischen, rumänischen und ungarischen Volksdichtungen. Darin wird berichtet, daß jeweils nach der Opferung die Brücke schnell und sicher fertiggestellt wurde. Radisavs Tötung ist in diesem Sinne auch ein ironischer Kommentar auf die vermeintliche Heilung der serbisch-orthodoxen Gemeinschaft durch ihren Märtyrer, denn auch das Gegenteil seines religiös überhöhten Sterbens ist hier mit aufgerufen. Radisav tritt zusätzlich als das Opfer in Erscheinung, das dem Wasser und seinen Geistern dargebracht wird, um sie wohlwollend zu stimmen. Somit wird sein, wenn auch nicht eingemauerter, Leib auch zum abergläubischen Fundament einer erst durch vorgeschichtlichen Opferkult zu gewährleistenden Brückenerrichtung. Diese wird im Roman im Jahr nach der Pfählung endlich und ohne weitere Hindernisse abgeschlossen. Gerade der ,balkanische‘ Zusammenhang zwischen heidnischem Opfern, stellvertretendem, religiös markiertem Märtyrertod und nationalem Widerstand stört nun auch den Neuaufguß des Radisav-Themas Ende des 20. Jahrhunderts. Angeblich sollen im Frühjahr 1985 šiptari (Kosovo-Albaner) in Gnjilan/Kosovo einen Serben symbolisch mit einer Flasche nach dem vermeintlich bekannten ,osmanischen Strickmuster‘ gepfählt haben. Daß die serbische Presse den sogenannten „Fall Martinović“ mit auf Andrićs Roman als Inspirationsquelle zurückführte, ist doppelt irregeleitet, wenn auch im intendierten Wiedererkennungswert propagandistisch höchst wirksam. Andrićs Roman steht der exklusive Abgesang auf das christliche Martyrium der Serben im Kampf gegen den Islam jedenfalls schlecht zu Gesicht. Erst in der Konfrontation mit der osmanischen Besatzung, das eben zeigt Die Brücke über die Drina am Fall Radisavs, wird die pagane Opfertradition des Balkan in eine christliche Märtyrerkultur umgeschrieben. Da die Heilsamkeit der Opferung in beide Richtungen, auch die des gemeinsamen slavisch-balkanischen Volksglaubens, wirksam bleibt, ,errettet‘ Radisav über die Gemeinde der serbischorthodoxen hinaus alle Višegrader, deren andere Hälfte zur Zeit des Brückenbaus muslimisch ist. – Somit hat Andrićs Märtyrergeschichte viel eher die Strategien der serbischen Pressekampagnen im Vorfeld der Jugoslawienkriege vorweggenommen, als daß sie eine Vorlage lieferte für die Geschichte eines an Serben vollzogenen Mißbrauchs. Radisav und seine orthodoxen und muslimischen Mitsaboteure haben gerade vorgeführt, wie ein nicht wirklich ernst genommener Glaube (hier der an Feen und Wassergeister) für politische und ökonomische Zwecke eingesetzt werden kann. Rückwirkend, darauf konnten sich die slavischen ,ORIENTALISCHE PFÄHLUNG‘ – IVO ANDRI´C UND DAS BALKANISCHE BAUOPFER Widerständler der Osmanenzeit ebenso wie die nationalistischen Fronten der 1990er Jahre verlassen, haben auch die strategischen Erfinder solcher Märtyrerlegenden an ihrer 185 Überzeugungskraft und scheinbaren Authentizität teil. Miranda Jakiša Literatur Ivo Andrić: Die Brücke über die Drina, übers. v. Ernst E. Jonas, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2005 (Original: Na Drini ćuprija, 1945) Ardian Klosi: Mythologie am Werk: Kazantzakis, Andrić, Kadare. Eine vergleichende Untersuchung am besonderen Beispiel des Bauopfermotivs, München (Sagner) 1991 Gabriella Schubert: „Mythos und Realität in südosteuropäischen Balladen vom Bauopfer“, in: Zeitschrift für Balkanologie, 38 (2002) Heft 1/2, S. 79–90