metaphysik des betons - Andrea Deplazes
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metaphysik des betons - Andrea Deplazes
METAPHYSIK DES BETONS Seminarwoche vom 26.11. bis 30.11.01 ETH Zürich Departement Architektur Professur Andrea Deplazes Gastdozent Christian Kerez Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Inhalt Inhalt Programm Teilnehmer Referenten Literaturangaben Andrea Deplazes: «Metaphysik des Sichtbetons» Beton - Der Baustoff Beton - Prozess Beton - Sichtbeton Oberflächen Beton - Systeme - Strukturen Beton - 10 Regeln für die Betonherstellung Heizkraftwerk Aubrugg Kernkraftwerk Leibstadt Talsperren Staumauer Lucendro, Airolo Kraftwerkanlagen Wägital, Zentrale Siebnen Salginatobelbrücke Sunnibergbrücke Staumauer Ova Spin Staumauer Albigna Die Seminarwoche wird freundlicherweise unterstützt von: ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Programm Montag 26. November 2001 Mittwoch 28. November 2001 08.15 Uhr Landesmuseum 09.00 Uhr Jürg Ragettli: «Kraftwerkbau und Betonbautechnik» Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv 08.30 Uhr Andrea Deplazes: «Metaphysik des Betons» Vortrag, Saal Landesmuseum Betonwerk Mülligen Besichtigung Kiesgrube, Betonwerk in zwei Gruppen Staumauer Lucendro, Airolo Besichtigung und Referat Jürg Ragettli Ankunft Zürich ca. 19.00 Uhr Mittagessen Kantine Zementwerk Siggenthal (Einladung Holcim) Zementwerk Siggenthal Besichtigung Steinbruch, Zementwerk in zwei Gruppen Vorträge: «Zementsortiment» Schwerpunkt farbliche Gestaltung des Betons» «Selbstverdichtender Beton» «Recycling-Beton» Donnerstag 29. November 2001 08.00 Uhr Heinrich Schnetzer (Ing.): «Brückenbau» Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv Zentrale Siebnen des Kraftwerks Wägital Besichtigung und Referat Jürg Ragettli Ankunft Zürich ca. 18.00 Uhr Salginatobelbrücke Schiers Besichtigung mit Heinrich Schnetzer Dienstag 27. November 2001 08.30 Uhr Joseph Schwartz (Ing.): «Beton aus der Sicht des Ingenieurs» Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv Sunnibergbrücke Umfahrung Klosters Besichtigung und Referat Andrea Deplazes Busfahrt ins Engadin Nachtessen und Übernachtung Hotel Crusch Alba, Zernez Tibor Joanelly: «Beton» Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv Heizkraftwerk Aubrugg Besichtigung und Referat Architekt Pierre Zoelly 14.00 Uhr Kernkraftwerk Leibstadt Besichtigung Kühlturm in vier Führungen 19.00 Uhr J.L. Godard: «Opération béton» Film, Saal Kuoni Haus, Zürich Freitag 30. November 2001 Staumauer Ova Spin, Zernez Besichtigung und Referat Jürg Ragettli Staumauer Albigna, Vico Soprano Besichtigung und Referat Jürg Ragettli Busfahrt nach Zürich, ev. Zwischenhalt in Chur Ankunft Zürich ca. 20.00 Uhr 20.00 Uhr Nachtessen Restaurant Reithalle, Zürich Kurzfristige Änderungen sind aufgrund der aktuellen Wetter- und Strassenverhältnisse möglich. Stand 21.11.01 ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Teilnehmer Lehrstuhl Prof. Andrea Deplazes Prof. Andrea Deplazes Nik Biedermann Kamenko Bucher Alois Diethelm Natalina Di Iorio Christoph Elsener Christine Enzmann Eva Geering Martina Hauser Sergej Klammer David Leuthold Urs Meister Patrik Seiler Christoph Wieser Lehrstuhl Gastdoz. Christian Kerez Christian Kerez Tamara Bonzi Tibor Joanelly Peter Siegrist StudentInnen Annen Marius Fraefel Laura Furger Silvan Gatermann Christoph Hahn Anja Heer Jakob Junker Beat Kast Andreas Käslin Simon Keller Chris Kern Michael Kuetgens Eric Kulstrunk Matthias Kister Andrea Lamoth Tibor Lins Herwig Lutz Corinna Muggli Bodo Pfaffhauser Silvia Penkov Andreas Reber Michael Renker Philipp Daniel Sarioni Alessandro Stäheli Sandra Stolz Adrian Thomet Reto Tochetti Simone Umbricht Michael von Ballmoos Anina Wieders Torsten Wülser Charles Jules ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Referenten Tibor Joanelly dipl. Architekt ETH/SIA Joseph Schwartz Dr. sc. techn. dipl. Bauingenieur ETH 1967 geboren in Zürich 1993 Diplom an der ETH Zürich 2000 Assistent bei Meinrad Morger und Andrea Deplazes 2000 Architekturbüro und freie publizistische Tätigkeit in Zürich 2001 Assistent bei Christian Kerez ETH Zürich, Diplom dipl. Bauingenieur ETH Dissertation ETH Zürich: «Bemessung von Mauerwerkswänden und Stahlbtonstützen unter Normalkraft» Forschung Fachwerkmodelle zur Bemessung von Stahlbetonbalken und -scheiben Lehraufträge ETH Zürich, Zentralschweizerisches Technikum Luzern, Interkantonales Technikum Rapperswil seit 1991 Partner Ingenieurbureau Frei & Schwartz, Baar Projekte im Brückenbau und Hochbau, Experten- und Prüfingenieurmandate Jörg Ragettli dipl. Architekt ETH/SIA, Chur 1961 geboren, aufgewachsen in Chur 1988 Diplom an der Architekturabteilung der ETH Zürich bei Prof. Fabio Reinhart und Miroslav Sik 1992 Mitautor des Buches „Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden“ ab 1993 selbständig ab 1997 Präsident des Bündner Heimatschutzes ab 2000 Forschungsprojekt „Architektur und Technik der Wasserkraftwerke in der Schweiz“ Heinrich Schnetzer Dr. sc. techn. dipl. Bauingenieur ETH 1958 geboren Lehre als Stahlbetonzeichner FHBB Muttenz, Diplom dipl. Bauingenieur HTL ETH Zürich, Diplom dipl. Bauingenieur ETH Assistent von Prof. Dr. Menn, ETH Zürich Oberassistent von Prof. Dr. Marti, ETH Zürich Dissertation ETH Zürich: «Stochastische Baustoffmodelle für Beton» seit 1998 Teilhaber und Mitglied Geschäftsleitung WGG Schnetzer Puskas Ingenierure AG, Basel Projektierung von diversen Brücken im In- und Ausland Zusammenarbeit an diversen Projekten mit Herzog und de Meuron Architekten Pierre Zoelly Architekt AIA BSA SIA 1923 geboren Seit 1961 führte er sein Architekturbüro in Zürich und Zollikon. Nach dem Diplom als Architekt an der ETHZ studierte und arbeitete er in den USA. Er lehrte an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, der Ohio State University in Columbus, Ohio und nach seiner Rückkehr in die Schweiz an der ETH Zürich und der EPF Lausanne. Zusammen mit seinem langjährigen Mitarbeiter Karl Holenstein, und dem Amerikaschweizer Werner K. Rüegger gründete er 1992 die ZRH Zoelly Rüegger Holenstein Architekten AG, aus welcher er sich Ende 1995 zurückzog. ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Literaturangaben Beton «Betonpraxis, Der Weg zum dauerhaften Beton», Holcim Schweiz AG, 3. Auflage 2001 Kurt Hermann / Ernst Honegger: «Baustoff Beton» Teil 1, Ausgangsprodukte, Technische Forschung und Beratung für Zement und Beton, Wildegg 1999 René Walther: «Bauen mit Beton», Berlin 1997 Max Herzog: «150 Jahre Stahlbeton», Berlin 1999 Roland Schmitt: «Die Schalungstechnik; Systeme, Einsatz und Logsitik», Berlin 2001 Kraftwerke Conradin Clavuot und Jürg Ragettli: «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», Chur 1991 Dieter Geissbühler: «Barrages dans l’éspace alpin, De la transformation des Alpes», in «Faces» No.22, 1991 Gesellschaft für Ingenieurbaukunst: «Wasserkraft in der Schweiz», Katalog zur Ausstellung, Basel 1998 Salginatobelbrücke Max Bill: «Robert Maillart, Bridges and Consructions», New York 1969 David P. Billington: «Robert Maillart Builder, Designer, and Artist», New York, Melbourne 1997 David P. Billington: «Robert Maillart’s Bridges, The Art of Engineering» Princeton 1979 David P. Billington: «Robert Maillart und die Kunst des Stahlbetonbaus», Zürich und München 1990 Gesellschaft für Ingenieurbaukunst: «Robert Maillart Betonvirtuose», Katalog zur Ausstellung, Zürich 1996 Sunnibergbrücke Thomas Vogel und Peter Marti (Hrsg.): «Christian Menn Brückenbauer», Basel Boston Berlin 1997 «SIA», 44, 1998 «Domus», Juni 2000 Festungen Maurice Lovisa: Celui qui tient le dessous a le dessus, La fortresse du Saint-Gothard», in «Faces», No. 29, 1993 Max Mittler (Hrsg.): «Forts et fortrifications en Suisse», Lausanne 1993 Heizkraftwerk Aubrugg Pierre Zoelly: «Werkstattbericht 2», Austellungskatalog ETH Zürich 1978 Pierre Zoelly: «Terratektur», Basel 1989 Markus Peter: «Heizkraftwerk Aubrugg» in: Irma Noseda: «Bauen an Zürich», Zürich 1992 Pierre Zoelly: «Elemente einer Architektursprache», Ba sel 1998 Staumauer Lucendro, Airolo «Werk» 11/1945 (Zentrale) «Bulletin technique de la Suisse Romande» No. 20, 29.09.45 «Rivista Tecnica» 11/1945 «Schweizerische Bauzeitung», 124. Jg., S.307 Kraftwerkanlagen Wägital «75 Jahre Kraftwerke Wägital», in: Marchring, Gesellschaft für Volks- und Heimatkunde der Landschaft March, 37/1997, Lachen 1997 «Das Kraftwerk Wägital», Bericht der Bauleitung 1930 ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Zur Metaphysik des Sichtbetons Andrea Deplazes Schalungsbild sägerohe Bretter Rohbauten in Stahlbeton prägen den Alltag unserer Städte. Wann immer es möglich ist, setzt die Bauindustrie dieses Konstruktionsmaterial ein. Es ist relativ kostengünstig im Vergleich zu anderen Baumethoden, denn der Arbeitsfortschritt auf der Baustelle ist effizient und bedarf (scheinbar) keiner hochwertigen Spezialisten für die Verarbeitung. Stahlbeton ist schlichtweg zum Baumaterial des 20.Jahrhunderts geworden – und zum Inbegriff massloser Bautätigkeit: die «Verbetonierung der Umwelt» ist ein sprichwörtliches Schimpfwort, das die gnaden- und nicht selten sinnlose Zerstörung von Landschaft, Natur und Lebensraum anprangert. Je weniger vom Stahlbeton allerdings wahrnehmbar ist, wenn er also nur als «konstruktives Zweckmaterial» für entsprechende Ingenieur- oder eben Rohbauten eingesetzt und später noch verputzt wird, umso eher scheint er akzeptiert zu sein (ob aus Resignation oder Desinteresse ist gleichviel, denn oft scheint sich keine konkurrenzfähige Alternative zum Beton anzubieten). Ganz anders verhält es sich mit dem Stahlbeton, der sichtbar in Erscheinung treten soll, mit dem sogenannten «Sichtbeton». Kurze Abschweifungen zur Morphologie Anlässlich eines Vortrags über die «Morphologie des Architektonischen» an der ETH Zürich unterschied der Architekturtheoretiker Kenneth Frampton, im Rückgriff auf die beiden grundlegenden Theoretiker Eugène Viollet-le-Duc und Gottfried Semper, die Entwicklung architektonischer Formen aus den Ursprüngen von «earthwork» und «roofwork», oder mit den architekturtheoretischen Begriffen Stereotomie (Massivbau) und Tektonik (Filigranbau). Während dem «Erdwerk» alle Bautechniken des massiven Mauerbaus angehören - Lehmbau also, Pisé und Adobe, Ziegel- und Steinmauerwerk usw., und ihre stereotomischen Formen wie Mauerscheibe, Bogen, Gewölbe und Kuppel - so umfasst das filigrane «Dachwerk» alle stab- und rutenförmigen Strukturen - gewebeartige Flechtwerke, welche als Raumüberspannungen, als «Decken» (Bedeckungen also) und als «Dach» den Raum vertikal begrenzen. Dazu gehört der Holzbau mit seinen geschichteten und gestrickten Fügungen genauso wie seit etwa 1800 der industrielle Stahlbau. Die Prinzipien der Strukturbildung im Filigranbau waren nicht neu. Man kannte sie vom anonymen und traditionellen Holzbau her: Kegel- und Sphärenkuppeln aus geraden und gebogenen Stäben, vertikale Stabschichtungen (Strickbau), zwei- und drei-dimensionale Rahmenwerke (Riegel-, Fachwerk-, Ständerbau), horizontale Balkenlagen für Deckenkonstruktionen, sowie Dachkonstruktionen (Pfetten-, Sparrendächer und Sprengwerke) gehörten zum täglichen Handwerk des Zimmermanns. Sie fanden vor allem Anwendung, wo die Ressource Holz verfügbar und leichtes Baumaterial bei mittleren Spannweiten gefragt war. Im Gegenzug nahm man in Kauf, dass der Werkstoff Holz im Unterschied zum Massivbau organisch und somit vergänglich ist ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 (Pilzbefall, Fäulnis, Brand). Aus diesen Gründen hat der Holzbau nie den stereotomischen Massivbau ernsthaft konkurrenziert oder gar verdrängt. Erst mit der Durchsetzung der industriellen Stahlbautechnologie werden die bis dahin unangezweifelten tektonischen Grundlagen der abendländischen Architektur in Frage gestellt: während im Fall des Massivbaus die Massenschwere des Erdmaterials seinen architektonischen Ausdruck im Archaischen, bisweilen Monumentalen der Stereotomie findet, so wird im andern durch fast vollständige Auflösung von Masse und Massivität (sog. Sublimation) das gerade noch fassbare Gerüst oder Gitterwerk eines luftigen Phantomvolumens, das abstrakte cartesianische Raster eines Filigranbaus in den Luftraum gezeichnet (z.B. Bauten von Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, wie der Crystal Palace in London oder der Eiffelturm in Paris. Zu letzterem siehe auch die gleichnamige Publikation von Roland Barthes). Aufklärung Die Sache lag zu der Zeit in der Luft: Das der Erde zugeschriebene mythische Geheimnis, das in der Tiefe des ungestalteten, amorphen Erdbreis dräuende Unterbewusstsein stand gegen die plötzliche, rationale Klarheit einer beherrschbaren, wissenschaftlich dekodierbaren Struktur – (etwa zu der Zeit, als die Freud’sche Psychoanalytik die Unzugänglichkeit der menschlichen Psyche mittels wissenschaftlicher Methodik unvermittelt in ihre klarste Auslegeordnung zergliederte. Von da an wurde die Existenz eines «Unterbewusstseins» bewusst.) Den Schritt vom Stahlbau zum Stahlbetonbau um etwa 1900 könnte man als nur folgerichtig in der Kette der Entwicklung wissenschaftlicher Technologien bezeichnen, wären da nicht einige äusserst merkwürdige Eigenheiten, die dem seit etwa 1900 überall verfügbaren Werkstoff Stahlbeton anhaften. Um es zu bemerken, müssen wir uns von der heute üblichen pragmatischen Sichtweise distanzieren. Nur schon die Bezeichnung «Sichtbeton» lässt aufmerken: Sofern es den unsichtbaren Beton nicht gibt - was wird dann am Beton sichtbar? Und wenn der Stahlbeton nicht sichtbar, sondern als «konstruktives Zweckmaterial» eingesetzt wird – wie wirkt er sich auf die Entwicklung und Gestaltung von «Form» aus? Tadao Ando Koshino House, Ashiya, 1980 Oberfläche Am Sichtbeton wird sichtbar - die Betonoberfläche. Diese scheinbar lapidare Feststellung wird bedenkenswert im Vergleich zum Sichtmauerwerk: Das Sichtmauerwerk zeigt die Ordnung und Logik des Gefüges der Mauersteine, der Verfugung und die Präzision und Abfolge des Arbeitsprozesses. Der Mauerverband ist demnach mehr als die Summe seiner Teile, sein Gefüge wird als aesthetisches Ornament wahrgenommen, das Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 einen «wahren Sachverhalt» festhält oder abbildet. Louis Kahn argumentierte, das Ornament habe sich, im Gegensatz zur Dekoration, die eine Applikation ist, eine «fremde» Hinzufügung also, immer aus tektonischen Schnittstellen entwickelt bis zu seiner Verselbständigung oder Eigenständigkeit (durch Transformation von Materialien und Emanzipation von ursprünglich konstruktiven Funktionen). Vor dem Hintergrund einer solchen kulturellen Auffassung bedeutet Aesthetik: Schönheit ist der Glanz des Wahren. (Mies van der Rohes’ Interpretation von Augustinus, auf die moderne Baukultur angewandt) Im Gegensatz dazu verhüllt der Sichtbeton - oder besser: die zwei bis drei Millimeter dünne Betonzementhaut - seine innere konglomeratische Beschaffenheit. Der Sichtbeton legt sein Innenleben nicht frei, sondern verbirgt seine Tiefenstruktur unter einer äusserst dünnen Oberfläche. Sie abstrahiert und entzieht, was für die Sinne nachvollziehbar wäre: das Verständnis, wie der Beton zusammengemischt ist und «wie er wirkt». Und so wird er nicht als natürlicher Baustoff wahrgenommen, der er tatsächlich ist, sondern als «künstliches, kontaminiertes Aggregat». Schalung Während also aus dem Inneren des Betonkonglomerats keine sichtbaren «Gestaltungskräfte» an die dünnhäutige Oberfläche dringen, so zeigt sie trotzdem Textur Spuren eines Bauwerks, das nicht mehr vorhanden ist: die Schalung. Alles, was am Sichtbeton noch feststellbar ist, sind «Fingerabdrücke». Der Begriff Textur gehört zum selben Wortstamm wie Text oder Textil, Gewebe also, und verweist somit auf das, was im voraus mit Filigranbau bezeichnet wurde. Die Schalung aus Holz oder Stahl gehört in diese Kategorie der Tektonik. Sie ist gerade in den Anfängen der Stahlbeton-Technologie eine selbständige, meist kunstvolle Zimmermannsleistung auf Zeit (z.B. Richard Corays Lehrgerüstbauten für Brücken). Schalung und Beton bilden ein scheinbar unauflösbares Junktim. Da der Beton, um geformt zu werden, in eine Schalung gegossen werden muss, stellen sich drei Fragen: Ist nicht jeder Beton am Schluss Sichtbeton? (wie klassifizieren wir die Qualität der Betonoberfläche?) Nach welchen Kriterien entwickelt sich die Form der Schalung? (wie wirkt sich Material und Technik des Schalungsbaus auf die Gussform des Betons aus?) Ist es nicht sonderbar, ein ephemeres Bauwerk (Filigranbau) zu erstellen, um daraus ein anderes (Massivbau) zu generieren? (durch welche Eigenschaften ist der Beton an seine Schalung gebunden?) Inkrustation Die römischen Baumeister versuchten, dieser metamorphischen Unfassbarkeit dadurch entgegenzuwirken, ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 dass sie das Wesen des Betons «offenlegten», indem sie seine pragmatische Komponente, das lapidare Gemisch aus Kies, Sand und Zement, kaschierten: das opus caementitium ist ein Verbundwerk aus «verlorenen» Mauerschalen in Stein oder Ziegel und innerem Kern aus Schüttgut von Beton. Beton ist ja nichts anderes als das Material der Mauerschalen in verschiedenen Korngrössen, versehen mit geeigneten Bindemitteln wie gelöschtem Kalk oder Zement, das mit Wasser zu einem formlosen Brei vermengt wird. Es ist offensichtlich, dass wir es wie beim Lehmbau mit einer der ursprünglichsten Schöpfungen des Erdwerks zu tun haben: Der formlose Erdbrei wird im aufgeschichteten Steinbau ausgewiesen. Diese Form des Sichtbetonbaus hat sich z.B. mit den Viadukten der Rhätischen Bahn bis in unsere Zeit erhalten. Es ist die Verleihung sichtbarer Form und Ausdruck für ein Materialgemisch, das keine eigene Formqualität besitzt, im Sinne einer «Interpretation» des Betonsediments durch die Technik der Inkrustation: eine Art «verlorene, steinerne Schalung» aus Naturstein- oder Ziegelmauerwerk, die gleichzeitig als sichtbare Oberfläche eine gestaltprägende Kruste bildet. Rudolf Olgiati Haus Dr. Allemann, Wildhaus, 1968 Transformation Der andere, bereits angesprochene Weg einer «Strategie des Schalungsbaus» führt über den Holzbau und die Zimmermannskunst, also über die Tektonik, die ihre eigenen konstruktiven Gesetzmässigkeiten kennt und von daher bereits den Formfindungsprozess des Betongusses beeinflusst. Dem Holz ist zudem ein vergänglicher, provisorischer Charakter eigen, der die Verwendung von Holzschalungen zu präjudizieren scheint. Es gehört in unserem Weltbild offenbar zum ethischen und religiösen Verständnis von Natur und Leben, dass Dauerhaftigkeit nur über Vergänglichkeit und laufende Erneuerung (Optimierung) zu erreichen sei. Damit wird, bewusst oder nicht, ein Transformationsprozess ausgelöst, denn die Übertragung des Holzbaus auf den Steinbau ist ein weiteres grundlegendes Thema der morphologischen Entwicklung in der abendländischen Architektur. Obwohl wie beim Beispiel antiker Tempel die Gesetzmässigkeiten des Steinbaus angewendet werden, bleiben die Formen ursprünglicher Holzbautechnik als ornamentale Stilelemente sichtbar, oder anders ausgedrückt: der technologischen Immanenz, die drängend voranschreitet, steht die kulturelle Permanenz widerspenstig entgegen. Nicht anders beim Sichtbeton, wo im simplen Vorgang des Ausgiessens der Schalung der Abdruck eines Holzbauwerks manifest wird, obwohl der in seiner Schale erstarrte und erhärtete Betonbrei nichts mit Holz zu tun hat und alles andere als ephemer ist. Ein glatter Widerspruch zur plastisch-kubischen Form eines Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 «Beton-Räumlings», der überdies wie aus Stein gegossen scheint? Monolith Die monolithische Wirkung von Sichtbeton lässt ein Bauwerk wie ein bearbeiteter Rohling oder eine Plastik erscheinen, ein Werkstück also, das durch Subtraktion von Materie aus einem Block gewonnen wird. Dies gelingt besonders dann sehr gut, wenn die Arbeitsspuren des Betoniervorgangs, die Betonetappen, unterdrückt werden oder in der dichten Textur der Schalungsspuren untergehen. Diesem Charakter steht in Tat und Wahrheit eine Vielzahl additiver Arbeitsprozesse entgegen! Die Qualität der Schalung bzw. ihre Beschaffenheit kann den Charakter des ganzen Bauwerks entscheidend mitprägen: Mal ist sie rauhfaserig, ungehobelt, mit undichten Stossfugen und der Beton grob mit Kiesnestern versetzt, sodass mitunter doch das Konglomeratartige eines Sedimentgesteins und die Metapher eines archaischen Findlings spürbar wird, wie beim «Haus Allemann» in prekärer Topografie von Rudolf Olgiati. Mal ist sie hautartig glatt, sodass die Schalungsstösse wie Zeltnähte erscheinen und dem Sichtbeton jede «Schwere» entziehen wie im «Koshino House» von Tadao Ando, wo die kaum wahrnehmbare Unebenheit der Schalung und die «Überzähne» des Betons der Wand im Streiflicht textile Stofflichkeit oder sogar «keramische Zerbrechlichkeit» verleihen. Hybrid Wir gingen von einer pragmatischen Arbeitstechnik aus und finden ein unerwartet komplexes Resultat: Das Bauwerk als schwerer Monolith stellt den einen dialektischen Pol unserer Betrachtungen dar, indem es die wesentlichen Eigenschaften der Erdwerk-Komponente des Sichtbetons festhält: Masse, Schwere, Plastizität, Körper, Dichte, Druck. Folglich, so vermuten wir, müsste die andere dem «Filigranwerk» entstammen, und dementsprechend liessen sich daraus neue Formfindungskriterien ableiten. Die Kombination von Beton und Stahl führt im Grunde zu einem einzigartigen Hybridstoff, bei dem der Beton für Druckfestigkeit, der Stahl aber in Form eines Armierungsnetzes, eines tensilen Geflechts mit einem Minimum an Materialaufwand, für Zugfestigkeit sorgt. Stahlbeton weist als einziger Werkstoff diese materielle und ideelle Bipolarität auf, wobei die Zuweisung «hybrid» zu korrigieren ist: Die beiden morphologischen Komponenten existieren, sich gegenseitig ergänzend, auf unterschiedlichen «BewusstseinsEbenen», sozusagen in ständiger Wechselwirkung oder Transposition von einem System ins andere, vom bewusst Wahrnehmbaren ins Unterbewusste, und umgekehrt. (Im Gegensatz zum Beispiel zum reinen ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Stahlbau, der im selben Tragelement Druck und Zug aufnehmen kann). Die Aussenform des erstarrten Betons ist sinnlich erfahrbar (Optik, Haptik, Akustik usw.) und hat jede dumpfe Metaphysik, die ihm im embryonischen Zustand als Erdbrei anhaftete, abgestreift. In ihn eingebettet schlummert jedoch das cartesianische Netzwerk der Armierung, dem Auge vollständig entzogen. Seine Anwesenheit manifestiert sich in der Aussenform nur mittelbar. Es ist lediglich erahnbar und «spürbar», indem gerade die filigransten Tragwerke in Sichtbeton die Gesetze der Physik ausser Kraft zu setzen scheinen: Der ehemals schwere, massige Monolith verliert seine Erdverbundenheit und verwandelt sich in sein pures Gegenteil, in ein stabförmiges Raumgitter z.B., eine blattartige Schale, eine vertikale Stapelung von dünnen Platten und Tragstäben usw.. In der Architekturtheorie von Carl Bötticher wurden diese beiden «Bewusstseinszustände» definiert als «Kunstform» (aussen, kulturell konnotiert, Tektonik) und «Kernform» (innen, Funktion, Newton’sche Physik). Als gestalterische Bemessungsregel wurde die möglichst schlüssige Übereinstimmung der beiden Formen moniert, wobei der «Kern» als „wahrer Sachverhalt“, von innen nach aussen reflektierend, mit seiner kunstvoll gefertigten Hülle oder Oberfläche verschmelze und sich darin verpuppe und somit sichtbare Gestalt annehme (Ikonographie). Diese Theorie und der Umstand, dass der Beton von der rationellen Verfügbarkeit der Schalung abhängig ist, kommt der wissenschaftlichen, ingenieurmässigen Betrachtungsweise des Kräfteflusses tief unter der Oberfläche entgegen. Es handelt sich nämlich - technologisch bedingt! - um die Verinnerlichung vormals sichtbarer tektonischer Formkriterien (z.B. die Veranschaulichung von Last und Stützung im Formenkanon des antiken Tempelbaus), um eine Inversion von Form und Kern, sodass die Form aussen bereinigt und dadurch abstrahiert wird (Beispiel: Morphologie der Säule). Der vormals sichtbare Ausdruck des tektonischen Kräftegleichgewichts an der Form wird wie ein umgestülpter Handschuh nach innen gekehrt und rationalisiert im Modell dreidimensionaler Spannungstrajektorien, dem die Verdichtung und Bündelung der Armierung möglichst folgt und zu entsprechen sucht. Erich Mendelsohn Einsteinturm, Potsdam, 1914 Knochenbauten Hier liegt die Quelle eines Konsens, den Ingenieure zur äusseren Formfindung von Tragwerken wie z. B. bei Brücken oder Tunnelgewölben gerne vortragen, wenn sie die komplexe Logik des Kräfteflusses als «Motor für die Form» behaupten. Tatsächlich entwickelt sich die Form jedoch viel öfter z. B. nach dem massgebenden kritischen Querschnitt eines statischen Bauteils und nach der ökonomisch einfachsten Verfügbarkeit des Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Schalungsmaterials. Dieses ist mittlerweile vom «verlorenen» zum «wieder-verwendbaren» mutiert und prägt dem Bauprozess einen geordneten Ablauf (Schalungsetappen) und dem Bauwerk die Spuren der Modularität von Schaltafeln und Grossflächenschalungen in Stahlblech auf. Der Kräftefluss wird jedoch entsprechend der auftretenden Kräftekonzentrationen durch Verdichtung und Verteilung der Armierung tief im Beton drin organisiert, was sich höchst selten in der äusseren Form ausprägt. Die auf diese Weise entstandenen filigranen Strukturen scheinen der reinsten Wissenschaft zu entspringen, getragen vom Geist des Rationalismus, der mit Kalkül, Geometrie, Ordnung und Abstraktion operiert. Folgerichtig versucht man, am Sichtbeton alle «irdischen» Spuren zu beseitigen, ihn aus seiner primitiven Vergangenheit als «Erdwerk» zu einem glatten, nahtlosen, von keinem Arbeitsprozess verschmutzten Artefakt zu transzendieren. Aufschlussreich ist auch der Begriff «Knochenbauten», den ich von verschiedenen Ingenieuren zur Charakterisierung ihrer Brückenbauwerke hörte. Während im einen Fall eine vollständige, elementare Versachlichung «von innen nach aussen» gemeint war, die sich nur durch äusserste Abstraktion der Form und die Reduktion auf das nackte Traggerüst in Form einfacher geometrischer Elemente manifestiere, wird im anderen eine biomorphe Analogie zum Skelett beschrieben. Der Knochenbau der Natur entwickelt sich jedoch selbstorganisierend entlang einem Netzwerk aus Spannungstrajektorien. Seine Form ist das unmittelbare Resultat daraus unter Berücksichtigung der Position seiner Teile im statischen und dynamischen Gesamtsystem «Skelett». Solche kongruente Übereinstimmungen von Ursache und Wirkung, Kraft und Form, sind im Sichtbetonbau aus bereits genannten Gründen nicht durchsetzbar und auch selten sinnvoll. Befreiter Beton Eine weitere Eigenheit ist zu diskutieren: der Beton als Gemisch (Amalgam) hat keine implizite – kann also jede denkbare Form annehmen. Genauso besitzt das Stahlgewebe der Armierung keine zum Voraus festgelegte Begrenzung, keinen «Rand». Dies impliziert die Möglichkeit freier, biomorpher Formbarkeit von Stahlbeton, ähnlich, wie wenn man einen Klumpen Ton von Hand modelliert. In Tat und Wahrheit muss im Fall des Stahlbetons dazu aber die «Sperrigkeit» der Schalung überwunden werden, die ihr eigenen Gesetzmässigkeiten eines tektonisch starren Gefüges. Das ist zwar machbar mit den Mitteln der Verleimungstechnologie im heutigen Holzbau (Formsperrholz) oder mit Kunstfasertechnik, aber unter dem Diktat der Ökonomie schwierig. (Beispiel: Observatorium «Einsteinturm» von Erich Men- ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 delsohn, projektiert in Stahlbeton, ausgeführt schlussendlich als verputzter Backsteinbau). Bleibt nur eine letzte Konsequenz: der Beton müsste von seiner Schalung - diesem tektonischen, technologischen und ikonografischen Korsett - befreit werden! Das flexibel biegbare, relativ stabile Armierungsnetz und Spritzbeton (sog.«Gunnit») bieten die Mittel dazu. Allerdings hat der Einsatz dieser Technik als Sichtbeton bisher keine nennenswerten Spuren in der Architektur hinterlassen - bis auf ein paar klägliche Ausstaffierungen provinzieller Landdiscotheken. Dort wird der befreite Sichtbeton allerdings wieder in sein primitives Ursprungsgebiet zurückgeführt - als Metapher der dumpfen, platonischen Erdhöhle. Fazit 1. Obwohl die Gestaltung und die Formentwicklung des Sichtbetons mit rationalen und technischen Gründen belegt wird, finden laufend irrational anmutende Bauprozesse statt. 2. Der Sichtbeton ist der Endzustand verschiedener Transformationsprozesse und Metamorphosen, die Spuren hinterlassen haben (Eine Art «Gedächtnis» oder memoria vorheriger Aggregatszustände). Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Literatur Carl Bötticher: «Die Tektonik der Hellenen», Potsdam 1852 Louis I. Kahn: «Die Architektur und die Stille. Gespräche und Feststellungen», Basel 1993 Fritz Neumeyer: «Ludwig Mies van der Rohe. Das Kunstlose Wort. Gedanken zur Baukunst», Berlin 1986 Werner Oechslin: «Stilhülse und Kern: Otto Wagner, Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur», Zürich 1994 Gottfried Semper: «Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten..., 1. Band, Frankfurt a.M. 1869, 2. Band, München 1863 Eugène Viollet-le-Duc: «Definitionen. Sieben Stichworte aus dem Dictionaire raisonné de l’ architecture», Basel 1993 Urs Widmer: «5 Schweizer Brückenbauer: Othmar H. Ammann, Richard Coray, Guillaume-Henri Dufour, Hans Ulrich Grubenmann, Robert Maillart», Zürich 1985 Roland Barthes: «Der Eiffelturm», München 1970 3. Zwischen Aussenform und «Innenleben» herrscht eine prekäre Kongruenz. Die dünne Oberfläche des Sichtbetons spielt dabei selten die Rolle der ikonografischen Vermittlerin. 4. Die Qualität der Betonoberfläche charakterisiert das Gesamtbauwerk im Rahmen seiner architektonischen Thematik. Sie tendiert entweder zur Archaik oder zur Abstraktion. 5. Form ist per Definition die bereits erfolgte Synthese verschiedener Einflussparameter, wobei die technologische Immanenz der kulturellen Permanenz selten entspricht. 6. Die Betonform ist relativ inert gegenüber dem inneren Kräftefluss: Dieser wird entweder als konstruktiv-ideelles Gleichgewichtssystem interpretiert oder als naturwissenschaftlich-reelles Spannungsmodell gelesen. 7. Jeder Beton zeigt eine Sicht. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Beton Der Baustoff Normalbeton wird im allgemeinen durch Mischung von Zement, Wasser und Zuschlagstoffen (Sand, Kies) in folgendem Mischungsverhältnis hergestellt: Kiessand 0 - 32 mm 2’000 kg/m3 Portlandzement PC 250 - 400 kg/m3 Wasser 150 kg/m3 Rohdichte Beton 2400-2550 kg/m3 Je nach gewünschten Eigenschaften bei der Verarbeitung sowie nach der Verfestigung können diese Gemische variieren. Frischbeton soll folgende Eigenschaften haben: • Ieichte Verarbeitbarkeit - gute Verdichtungswilligkeit • geschmeidige Konsistenz - leichte Verformbarkeit •gutes Zusammenhaltevermögen - geringe Entmischungsneigung • gutes Wasserrückhaltevermögen - keine Neigung zum Bluten standteil, der wegen seiner Reaktionsfähigkeit mit Wasser festigkeitsbildend wirkt. sen Homogenisierungssilos bis zur weitgehenden Gleichmässigkeit durchmischt wird. Betonrezeptur Bei der Festlegung der Zusammensetzung des Betons, der sog. Betonrezeptur, geht es vor allem um die Optimierung • der Verarbeitbarkeit des Betons, • seiner Festigkeit, • seiner Dauerhafigkeit, • der Kosten seiner Herstellung. 3. Brennen des Rohmehls zu Klinker Der Brennprozess bei rund 1450 °C ist ein zentraler Schritt bei der Zementherstellung. Bevor das Rohmehl in den Drehrohrofen eingeleitet wird, durchströmt es den Wärmetauscherturm und wird dabei auf fast 1000 °C vorgewärmt. Als glühender Klinker verlässt das Brenngut den Ofen und wird anschliessend rasch mit Luft abgekühlt. Als Brennstoff werden Kohle, Öl, Erdgas und vermehrt auch Alternativbrennstoffe wie z.B. Altholz oder Trockenklärschlamm eingesetzt. Zement Zement ist ein hydraulisches Bindemittel. Darunter versteht man einen Stoff, der nach dem Anmachen mit Wasser sowohl unter Luft als auch unter Wasser erhärtet. Herstellung Bei der Herstellung von Zement gilt es, das RohgeDie Anforderungen an den Festbeton sind folgende: stein bezüglich Korngrösse und Zusammensetzung • gute Festigkeit aufzubereiten, es bis zum Sintern zu brennen und • homogenes, dichtes und gleichmäßiges Betongeschliesslich das gebrannte Produkt zum feinen, füge mischbaren und reaktionsfähigen Zementpulver zu • geschlossene und einheitliche Oberflächenstruktur zerkleinern. Grundsätzlich können vier Produktions• Beständigkeit gegen Witterung und äussere Einstufen bei der Herstellung von Zement unterschieflüsse den werden: Die obengenannten Frischbetoneigenschaften stehen in engem Verhältnis zu den Mengenanteilen von Zuschlägen, Mehlkorn, Zement, Wasser und Zementleim. Bei Änderung einer dieser Einflussgrössen ändern sich auch die Frisch- und Festbetoneigenschaften. 1. Abbau und Brechen des Rohgesteins Zu einer Tonne Portlandzement braucht es gut anderthalb Tonnen Rohgestein in der Form von Kalkstein und Mergel oder Ton, denn während des Brennens wird Kohlendioxid und Wasser aus dem Rohgestein ausgetrieben. Im Steinbruch wird das Rohgestein im Brecher auf Faustgrösse vorzerkleinert. Zusammensetzung des Beton Der Beton besteht sowohl hinsichtlich seiner Masse als auch hinsichtlich seines Volumens hauptsächlich aus Zuschlag. Etwas anders sieht es aus, wenn man die sog. innere Oberfläche, d.h. die addierten Oberflächen sämtlicher Teilchen des Betons, betrachtet. Hierbei überwiegt der Anteil des Zements bei weitem. Der Zement ist auch der einzige Be- 2. Mischen und Mahlen des Rohgesteins zu Rohmehl Bei diesem Verfahrensschritt erfolgt das Zusammenfügen der verschiedenen Rohmaterialkomponenten, damit die richtige chemische Zusammensetzung erreicht wird. In Mühlen wird das Gestein weiter zerkleinert und gleichzeitig getrocknet. Es verlässt die Mühle als feines Rohmehl, das in gros- 4. Mahlen des Klinkers mit Gipsstein und Zusatzstoffen zu Zement Damit aus dem Klinker ein reaktionsfähiges Produkt entsteht, wird er in einer Mahlanlage zusammen mit wenig Gipsstein als Erstarrungsregler gemahlen. Je nach Zementart wird beim Mahlen ein Teil des Klinkers durch mineralische Zumahlstoffe (Kalkstein, Silicastaub, Hüttensand [granulierte Hochofenschlacke], Steinkohlen-FIugasche) ergänzt, wobei sogenannte Portlandkompositzemente entstehen. Unter Anmachwasser versteht man die gesamte im Frischbeton enthaltene Wassermenge, die bei der Ermittlung des Wasser/Zement-Wertes zu berücksichtigen ist. Das Anmachwasser setzt sich zusammen aus: • dem Zugabewasser • der Oberflächenfeuchte der Zuschläge, ggf. dem Wasseranteil der Betonzusatzmittel und Zusatzstoffe Das Anmachwasser hat zwei betontechnologische Aufgaben. Es wird einerseits für die Hydratation des Zementes, andererseits für die Herstellung eines plastischen, gut verdichtungswilligen Betons benötigt. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Unter Zuschlägen versteht man in der Regel ein Gemisch aus Sand und Kies unterschiedlicher Korngrösse. Das Gemisch aus Einzelkomponenten bildet das Gerüst des Betons und sollte möglichst hohlraumarm aufgebaut sein. Der Zuschlag beeinflusst die meisten Eigenschaften des Betons, allerdings im allgemeinen nicht so stark, wie nach seinem Volumenanteil angenommen werden könnte. Ein qualitativ guter Zuschlag hat gegenüber dem umgebenden, kittenden Zementstein verschiedene Vorteile: • Erstarrungsbeschleuniger: Sie bewirken durch eine raschere Hydratation eine raschere Erhärtung, sei es aus bauterminlichen Gründen (raschere Weiterarbeit) oder für Spezialverwendungen wie z.B. Spritzbeton. • Luftporenbildner: Diese bewirken das Entstehen von Mikroporen mit Luft (~0,3 mm). Diese unterbrechen die Kapillaren und können bei Frost ausgleichend wirken. Sie erhöhen also die Frostbeständigkeit. Die wichtigsten Eigenschaften der Zuschläge sind: • Rohdichte • Schüttdichte (Raumgewicht) • Feuchtigkeitsgehalt • Gesteinsqualität, Kornform und Oberflächenbeschaffenheit • Sauberkeit Korngrössenverteilung (Siebkurve) und Kornfraktionen Poröses und zu weiches Material beeinträchtigt die Qualität des Betons. Die Kornform, in erster Linie, aber auch die Kornabstufung und die Oberflächenbeschaffenheit bestimmen im wesentlichen die Verdichtbarkeit und den Wasserbedarf. Die Praxis hat gezeigt, dass Zuschlaggemische mit ausschliesslich gebrochenen Kornfraktionen ge- Der Einsatz von Zusatzmitteln erfordert eine sorgfältige Abklärung und Planung. Eine Überdosierung kann Entmischung, verstärktes Schwinden, Festigkeitsverluste etc. zur Folge haben. Siebkurve Der Kornaufbau eines Zuschlaggemisches wird durch das Mengenverhältnis der einzelnen Kornfraktionen bestimmt. Durch Aussieben des Gemisches mit genormten Maschen- und Quadratlochsieben verbleibt auf jedem Sieb ein bestimmter Rückstand. Diese Rückstände werden einzeln gewogen und in Massen-% des Gemisches bei den entsprechenden Sieblochweiten kumulativ aufgetragen. Dies ergibt die Siebkurve des Zuschlaggemisches. (siehe Grafik) Gemäss Norm SIA 162, 5 14 24 muss die Korngrössenverteilung bei gerundetem Kiessandmaterial innerhalb des gerasterten Siebkurvenbereiches liegen, sofern die Siebkurve nicht durch Vorversuche anders festgelegt wird. Anmachwasser Zuschlagstoffe Zusammensetzung des Betons •normalerweise höhere Festigkeit • bessere Beständigkeit • keine Volumenveränderung infolge Feuchtigkeit, somit Reduktion des Schwindmasses im Beton • Aufnahme von Hydratationswärme und damit dämpfende Wirkung auf den Abbindeprozess natürliche/kugelige kubische Körner gebrochene stengelige/plattige Körner brauchstauglich sind. Gebrochene Zuschläge können die Druck-, Zug- und Abriebfestigkeit des Betons verbessern, beinträchtigen aber seine Verarbeitbarkeit. Aufgrund der in der Schweiz nur noch beschränkt abbaubaren Kiesablagerungen (Ausscheidung von Kiesgewinnungszonen) müssen künftig vermehrt gebrochene und rezyklierte Zuschläge eingesetzt werden. Die Korngrössenverteilung ist zusammen mit der Oberflächenbeschaffenheit, der spezifischen Oberfläche und der Kornform der Einzelkörner massgebend für den Wasserbedarf und deshalb eine der wichtigsten Zuschlagseigenschaften. Der Kornaufbau muss ein hohlraumarmes Korngemisch und eine optimale Verdichtbarkeit (hohe Dichte = gute Qualitätseigenschaften) gewährleisten. Zusatzmittel werden in den relevanten SlA-Normen meist nur nebenbei erwähnt. In diesen wird in der Regel nicht zwischen Zusatzmitteln und Zusatzstoffen unterschieden; es wird nur von Zusätzen gesprochen. Betonzusatzstoffe gebrochene kugelige/kubische Körner Betonzusatzmittel natürliche stengelige/plattige Körner Für den Einsatz von Betonzusatzmitteln gibt es wirtschaftliche und technische Gründe. Sie können es ermöglichen, die Lohn- und Materialkosten zu senken. Durch ihren Einsatz lässt sich Energie einsparen und das Betonieren erleichtern. Bestimmte Eigenschaften des Frisch- und Festbetons können nur durch Verwendung von Betonzusatzmitteln erreicht werden. Definition und Klassierung: Betonzusatzmittel sind in Wasser gelöste oder aufgeschlämmte Stoffe, die dem Beton beigemischt werden, um durch chemische und/oder physikalische Wirkung die Eigenschaften des Frisch- oder Festbetons, wie z.B. Verarbeitbarkeit, Abbinden Erhärten oder Frostwiderstand, zu verändern. Die moderne Bauchemie hat eine ganze Reihe von Zusatzmitteln entwickelt, welche es gestatten, die Eigenschaften des Betons zu beeinflussen: • Verflüssiger, Fliessmittel: Diese erreichen, dass der Beton bei gleichem Wasser/Zement-(W/Z)-Wert besser verarbeitbar wird, leichter streichbar etc. Sie erlauben also das Arbeiten mit niedrigen W/Z Zahlen, was der Festigkeit zugute kommt. • Stabilisierer: Sie verhindem eine vorzeitige Entmischung und erhöhen die Gleichmässigkeit. Besonders erwünscht bei Sichtbeton. • Erstarrungsverzögerer: Sie erreichen durch eine Reaktionsverzögerung, dass der Frischbeton noch viele Stunden nach dem Einbringenverdichtet werden kann und so Arbeitsfugen vermieden werden können. Sie werden vor allem bei grossen massigen und wasserdichten Betonbauteilen eingesetzt. Betonzusatzstoffe sind sehr feinkörnige Zusätze, die bestimmte Eigenschaften des Betons beeinflussen. Dies sind vorrangig die Verarbeitbarkeit des Frischund die Festigkeit und Dichtigkeit des Festbetons. Im Gegensatz zu Betonzusatzmitteln ist die Zugabemenge im allgemeinen so gross, dass ihr Anteil bei der Stoffraumrechnung zu berücksichtigen ist. In der Schweiz gebräuchliche Zusatzstoffarten sind: • inerte Zusatzstoffe (reagieren nicht mit Zement und Wasser): Anorganische Pigmente, werden zum Einfärben von Beton und Mörtel verwendet. Faserartige Stoffe kommen insbesondere als Stahl-, Kunststoff- und selten auch als Glasfasern zum Einsatz. • puzzolanische Zusatzstoffe (reagieren mit bei der Hydration entstehenden Stoffen): tragen zur Festigkeitsbildung und auch zu höherer Dichtigkeit des Zementsteins bei. Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Beton Prozess Bewehrung (Armierung) Schalung Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff aus Beton und Stahl. Das Zusammenwirken dieser beiden Baustoffe - Übernahme der Zugspannungen durch die Bewehrung, Aufnahme der Druckkräfte durch den Beton - erfolgt nicht additiv, sondern führt zu einer neuen Tragqualität. Beton bedarf, um die gewünschte Form zu erhalten, einer Schalung. Wird in auf der Baustelle gefertigte Schalung gegossen, entsteht „Ortbeton“; in Fabriken hergestellte Betonteile werden als „vorfabrizierte Elemente“ bzw. „Beton-Fertigteile“ bezeichnet. Das Herstellen von Beton-Schalung ist mitunter anspruchvollste Zimmermannsarbeit. Das Schalmaterial selbst muss eine ausreichende Stärke haben. Die Schalung muss standfest verzimmert und so abgestützt und ausgesteift sein, dass sich beim Einbringen und Verdichten keine Massänderungen (Wölbungen und Verzerrungen) ergeben. Profile von Bewehrungstäben Die Stärke der Bewehrung wird auf Grund der statischen Berechnung durch Dimensionierung auf die erhaltenen inneren Kräfte ermittelt. Zur Vereinfachung begnügt man sich damit, die Hauptarmierung an den wichtigsten Punkten nach den grössten Hauptzugspannungen zu richten. Anordnung und Abstände von Armierungsstäben und Armierungsnetzen erfolgen ausser nach statischen Überlegungen auch mit Blick auf optimale Ausschnitt Holzschalung mit Schalungsabstandhaltern Verdichtungsmöglichkeiten, die Vibriernadel muss zwischen den Eisen hindurch geführt werden könAlle Stoss- und Konstruktionsfugen sind mit geeignen. neten Mitteln abzudichten. Die Schalung muss auf beiden Seiten vollkommen dicht sein, damit beim Grosse Sorgfalt gilt der Betonüberdeckung der Verdichten ein Entweichen von Zementleim mit Armierung. Fast alle Schäden an armierten KonSicherheit vermieden wird. struktionen gehen auf mangelnde Eisenüberdeckung zurück, und nicht auf statische Schäden oder Setzungsschäden. Stellen mit ungenügender Überdeckung sind undicht und fördern die Korrosion der Armierungsstäbe. Der Rost hat treibende Wirkung, da die Oxydkristalle mehr Volumen benötigen als der Stahl. Die Sprengwirkung hat zur Folge, dass die Betonüberdeckung rissig wird und den korrodierenden Einflüssen noch mehr Wege geöffnet werden. Die Betonüberdeckung, d.h. der Abstand zwischen dem obersten Armierungseisen und der Schalungsoberfläche hängt von verschiedenen Faktoren ab, sollte 2.5 cm aber nicht unterschreiten. Eisenleger an der Arbeit ca. 40 cm, maximale Länge ca. 500 bis 600 cm, übliche Breite ca. 10 - 15 cm, übliche Länge bis ca. 300 cm. Tafelschalung Schaltafeln aus Holzwerkstoffplatten haben gegenüber den Holzbrettern erhebliche Vorteile. Sie sind leichter und schneller zu verarbeiten (mit den Schaltafeln können gegenüber der reinen Bretterschalung 1/2 bis 2/3 der Montagekosten eingespart werden) und haben eine längere Lebensdauer, da sich die üblicherweise mit Kunstharzlack überzogenen Platten beim Ausschalen leichter vom Beton lösen. Format: Schaltafeln haben unterschiedlichste Formate, die maximale Dimension richtet sich nach der Verarbeitbarkeit auf der Baustelle. In der Schweiz verbreitetes Format z.B. 50 x 200 cm bzw. 50 x 250 cm. Modulschalung, Grossflächenschalung Die Industrie bietet heute verschiedenste Schalsysteme an, die schnelles, grossflächiges Ein- und Ausschalen erlauben: Modulare Elementraster für Trägerplatten-Wandschalungen, Deckenschalungen mit passenden Gerüstungen, selbsttragende Gleitund Kletterschalungen usw. Um die wirtschaftlichen Vorteile von Modulschalungen mit den ästhetsichen Eigenschaften anderer Schalungsarten zu kombinieren, werden Modulschalungen heutzutage oft als Träger von Bretterschalungen und ähnlichem verwendet. Stahlschalung Sichtbetonflächen werden im allgemeinen mit Holz, Holzwerkstoffplatten oder Stahl eingeschalt. Auch Faserzement (Eternit), Wellblech, Glas, Gummi oder Kunststoffeinlagen finden Verwendung. Stampfen: rütteln die Schalung von aussen früher allgemein gebräuchliche Verdichtungsmethode Vibrieren Vibratoren sollen bis zur erforderlichen Tiefe schnell Schalungsoberflächen Durch das Schalungsmaterial (Holz, Holztafeln, Sperrholz, Hartfaser, Faserzement, Stahl, Kunststoff) und dessen Oberfläche (aufgerauht, sandgestrahlt, gehobelt, geschliffen, kunststoffbeschichtet) wird die Oberflächenstruktur bestimmt. Durch die Glätte oder den Rauhigkeitsgrad der SchaIung kann das gewünschte Hell oder Dunkel der Sichtbetonfläche beeinflusst werden. So wird mit einer völlig glatten Schalung ein hellerer Sichtbeton erzielt, als mit einer rauhen Schalung. Schalungshilfen Schalungshilfen (Schalungstrennmittel, Entschalungsmittel) sind Produkte wie Schalöl, Wachs, Paste und Emulsionen, die auf die Berührungsflächen zwischen Schalmaterial und Beton aufgebracht werden, um beim Ausschalen ein möglichst leichtes und beschädigungsloses Trennen von Schalung und Sichtbetonfläche zu erreichen. Zudem tragen sie zur Erzielung einer gleichmässigen Beschaffenheit der Betonoberfläche bei, schützen das Schalungsmaterial und erhalten seine Einsatzbereitschaft. Die Brauchbarkeit einer Schalungshilfe wird auch von der Stoffart des Schalmaterials (Holz, Sperrholz, Hartfaser, Asbestzement, Stahl, Kunststoff, Beton) beeinflusst. Saubere Sichtflächen verlangen völlige Homogenität und dichte Struktur des Betons. Der Frischbeton muss unverändert, d.h. ohne Entmischung in die Schalung eingebracht und dort gleichmässig verdichtet werden. Bretterschalung Bei Bretterschalungen werden vorwiegend heimische Hölzer, wie Fichte, Kiefer oder Föhre verwendet. Die Auswahl und Zusammenstellung der Schalbretter setzt einige Kenntnisse und Erfahrungen voraus. Gleichaltrige Schalbretter mit gleicher Holzdichte und Harzgehalt werden ein ähnliches Saugverhalten haben, harzreiche und harzarme Bretter verhalten sich bereits beim Aufbringen von Schalhilfen (Schalöl, Schalwachs, Paste) unterschiedlich. Mit neuen, stark saugenden Brettern eingeschalte Sichtflächen werden einen anderen Helligkeitswert bekommen, als Flächen, die mit alten oder bereits mehrfach verwendeten Schalbrettern eingeschalt werden. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Aussenvibratoren: Verdichten Ziel und Zweck der Verdichtung ist nicht nur das satte Ausfüllen der Schalung, sondern auch die beim Einbringen eingeschlossenen Luftblasen zum Entweichen zu bringen, den Zementleim gut zu verteilen und durch dichte Lagerung der Zuschläge eine möglichst hohlraumfreie Masse herzustellen. Die Verdichtung gewährleistet zudem, dass der Beton dicht an der Schalungsoberfläche anliegt und somit die Bewehrung satt umschliesst. Grossflächenschalungen Verdichtungsmethoden: Stochern: mit Latten oder Stäben Klopfen an Schalung: bei geringer Schalungshöhe Vibrieren: Standardmethode auf Baustellen Innenvibratoren: werden in den Frischbeton eingetaucht Wird an vorhandene Betonflächen anbetoniert (sogenannte Arbeitsfugen), so sind die Kontaktflächen gründlich aufzurauhen und zu reinigen; vor dem Einbringen des frischen Betons sind diese Flächen zu nässen. Insbesondere wenn die Arbeitsfuge wasserdicht sein soll, ist es zweckmässig, die anschliessende neue Betonschicht in fetterer Dosierung einzubringen oder mit Zementmörtel vorzulegen. Es besteht auch die Möglichkeit, dem Beton der letzten Schicht vor der Arbeitsfuge einen Abbindeverzögerer beizugeben, der den Beton bis nach dem Arbeitsunterbruch frisch erhält, so dass frisch auf frisch weiterbetoniert werden. Nachbehandlung Verdichtung mit Latte (links) und Vibriernadel (rechts) eingetaucht und so langsam herausgezogen werde, dass der Beton hinter der Vibriernadel wieder zusammenfliesst. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die Vibratoren nicht mit der Schalungsoberfläche in Berührung kommen. Die Vibratoren sollen nicht zum Verteilen des Betons verwendet werden, da damit die Gefahr einer Entmischung verbunden ist. Entmischt sich ein Beton unter dem Einfluss der Verdichtung, entstehen deutlich erkennbare Strukturunterschiede, die möglicherweise auch als Kiesnester an der Betonoberfläche sichtbar werden. Der Beton darf nicht in zu grossen Schichthöhen Einbringen und Verdichten des Betons Holzschalung Format: Die Dimensionen halten sich an das in Massivholz mögliche. Zudem sollten sich die Bretter unter der Feuchtigkeit nicht werfen. Maximale Breite Stahlblechschalungen kommen bei Ortbetonausführungen seltener zur Anwendung, dagegen um so mehr bei der Herstellung von Beton-Fertigteilen. Durch ihre wiederholte Verwendbarkeit bei Serienfertigungen können die höheren Anschaffungskosten zumeist wieder ausgeglichen werden. Verdichtungsvorgang eingebracht wird. Die Auflast zu hoher Betonschichten könnte den frei werdenden Luftblasen den Weg ins Freie versperren. Arbeitsfugen Eine der Grenzen, die der Anwendung von Ortbeton gesetzt ist, besteht in der Unmöglichkeit, keine Fuge zwischen erhärtetem und frischem Beton herzustellen. Zudem ist der wirtschaftlichen Maximalmenge des Betons, die in einer Einbauschicht geschüttet werden kann, durch den Betondruck eine Grenze gesetzt. Der Betoniervorgang muss in Etappen geplant werden, die durch Fugen begrenzt werden. Lage und Form dieser Arbeitsfugen werden vom Architekten zusammen mit dem Ingenieur bestimmt. Im Hinblick auf die Unmöglichkeit, solche Fugen zu verbergen, ist es ratsam, sie sorgfältig zu planen. Das Erhärten des Betons ist nicht die Folge des Austrocknens: Lässt man zu, dass ein Beton zu früh austrocknet, so ist geringe Festigkeit das Ergebnis. Ausblühungen sind mit Sicherheit zu erwarten, wenn man den Beton mit Wasser besprengt. Dem Beton muss seine eigene Feuchtigkeit erhalten bleiben, das wird am besten durch Bedecken mit wasserundurchlässigen Planen erreicht. Diese müssen so nahe wie möglich am Beton liegen, ohne ihn zu berühren, wegen der dann gegebenen Gefahr der Fleckenbildung. Diese Verfahren sind aufwendig, guter Sichtbeton verlangt jedoch eine sorgfältige Nachbehandlung. Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Beton Sichtbeton Oberflächen Oberflächenbeschaffenheit geschalter Betonflächen Typ 1: Normale Betonfläche Flächen ohne besondere Anforderungen: - mit beliebiger Flächenstruktur - ohne Nachbearbeitung von Graten und Überzähnen Typ 2: Betonfläche mit einheitlicher Struktur Flächen mit folgenden Anforderungen: - einheitliche Flächenstruktur - Brett- bzw. Tafelgrösse nicht vorgeschrieben - mit Nachbearbeitung von Graten und Uberzähnen Typ 3: Sichtbeton-Fläche mit Brettstruktur Sichtbar bleibende Flächen mit folgenden Anforderungen: - einheitliche Flächenstruktur ohne Uberzähne, Grate und poröse Stellen - durch Lufteinschlüsse verursachte Poren (Lunker) in mässiger Anzahl sind zulässig - möglichst gleichmässige Farbtönung - Brettbreite konstant; Brettstösse nicht vorgeschrieben - Brettrichtung einheitlich und parallel zur grösseren Ab messung der Schalungsfläche - glatte Schalbretter Oberflächenbeschaffenheit nicht geschalter Betonflächen 3. Brettrichtung einheitlich und senkrecht zur grös seren Abmessung der Schalungsfläche 4. Strukturbild gemäss Detailplan der geschalten Fläche 5. Verwendung von sägerohen Brettern Typ 4: Sichtbeton-Fläche mit Tafelstruktur Sichtbar bleibende Flächen mit folgenden Anforderungen: - einheitliche Flächenstruktur ohne Uberzähne, Grate und poröse Stellen - durch Lufteinschlüsse verursachte Poren (Lunker) in mässiger Anzahl sind zulässig - möglichst gleichmässige Farbtönung - Tafelgrösse konstant; Tafelstösse nicht vorgeschrieben - Tafelrichtung einheitlich und parallel zur grösseren Abmessung der Schalungsfläche de rigorose Kontrolle der Arbeiten auf der Baustelle oder eine tolerante Einstellung bezüglich der definitiven Qualität der Betonoberflächen. Auf den Ausdruck des ausgeschalten Betons haben neben der Oberflächenstruktur des Schalmaterials vor allem die Schalungsfugen sowie die Schalungsabstandhalter massgebenden Einfluss. Diese Tatsache verlangt entweder minutiöse Planung aller Fugen und Abstandhalterlöcher sowie anschliessen- Sichtbeton Grundsätzlich werden zwei Arten von Sichtbeton unterschieden. Die Zementhaut, also die dünne „Zementdeckschicht“ direkt unter der Schalungsoberfläche, wird entweder beibehalten oder entfernt. Zementhaut bleibt erhalten: Das Schalungsbild sowie die Schalungsabstandhalterlöcher bestimmen den Ausdruck. Für die Ausbildung der Schalungs-Stossfugen gibt es diverse Möglichkeiten von „stumpf gestossen“ über „offene Fuge“ bis zu Abdeckung der Fugen mit verschiedensten Leisten. Die Abstandhalterlöcher werden nachträglich entweder mit Beton aufgefüllt, offen gelassen oder mit Zapfen bzw. Deckeln verdeckt. Zementhaut wird entfernt: Mit handwerklicher steinmetzmässiger Behandlung oder technischer Bearbeitung kann die Zementhaut verändert oder vollständig entfernt werden. Die Zementhaut wird abgebürstet oder abgespritzt, so dass die Zuschlagstoffe freigelegt werden. Hofmauer aus Ortbeton, mit Schaltafeln in der Grösse von TatamiMatten (91x182 cm) hergestellt. Hofboden mit vorfabrizierten Bodenplatten belegt. roh abgezogen aufgerauht 3 4 5 6 7 abtaloschiert abtaloschiert abgeglättet gerillt Besenstrich 8 vakuumiert z. B. mit Latte abgezogen Oberfläche mit Besen oder Rechen aufgerauht ohne Mörtelbeigabe mit Mörtelbeigabe glatte, ebene, geschlossene Oberfläche parallele Rillen gleicher Breite und Tiefe rauhe Oberfläche mit vertikaler, horizontaler oder Fischgrat-Struktur Reduktion des w/z-Faktors am einge brachten Beton durch Wasserentzug mit tels Vakuumverfahren stocken 6 schleifen 7 polieren 8 versiegeln behämmern der Betonflächen mit speziel lem Werkzeug, von Hand oder maschi nell, zur Erreichung einer bis zu 5 mm dicken Körnung Fläche möglichst porenlos von Hand oder maschinell geschliffen und mit Fluat nachbehandelt, samt Wässern Fläche auf Hochglanz geschliffen, Poren gefüllt und nachgeschliffen abdichten der Fläche gegen das Eindringen von Wasser (farblos) 1 Waschbeton 2 sandstrahlen 3 4 abgespritzt säuren auswaschen von Feinanteilen in oberster Schicht, um die gröberen Körner freizulegen mechanische Aufrauhung, eine matte Fläche ergebend und die Farbe des Grundmaterials zeigend mit Druckluft-Wasserstrahl abgespritzt chemisches Aufrauhen, Kalkanteile entfer nend und die Farbe des Grundmaterials zeigend Schalungsqualitäten gemäss Norm SIA 220 Oberflächenbeschaffenheit geschalter Betonflächen Tadao Ando Konferenzpavillon, Weil am Rhein, 1993 1 2 4 Am erhärteten Beton bearbeitet: Erhöhte Anforderungen sind wie folgt anzugeben: 1. Fugen abgedichtet 2. Stösse versetzt 3. Tafelrichtung einheitlich und senkrecht zur grös seren Abmessung der Schalungsfläche 4. Strukturbild gemäss Detailplan der geschalten Fläche Erhöhte Anforderungen sind wie folgt anzugeben: 1. Fugen abgedichtet 2. Stösse versetzt Rudolf Olgiati Haus Dr. G. Olgiati, Flims-Waldhaus 1964-65 Am noch nicht erhärteten Beton bearbeitet: handwerkliche Bearbeitung - bossieren - spitzen - stocken - scharrieren technische Bearbeitung ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ (Freilegung des Zuschlagkorns) - strahlen (Sand, Stahlkugeln, Korund, Wasser-Sand-Gemisch - flammstrahlen - auswaschen (Waschbeton) - absäuern mechanische Bearbeitung (nur Oberfläche) - schleifen - polieren Oberflächenbeschaffenheit nicht geschalter Betonflächen Nicht geschalte Oberflächen (Bodenflächen und Mauerkronen) lassen sich in erhärtetem Zustand bearbeiten wie geschalter Beton. In nicht erhärtetem Zustand werden sie mit unterschiedlichsten Werkzeugen behandelt. Bretterschalung horizontal Schalung aus 3 cm dicken Douglastannen-Brettern; gerade Kanten, Bretter stumpf gestossen. Bretterschalung horizontal Schalung aus 18 cm breiten und 3 cm dicken DouglastannenBrettern; gefaste (abgeschrägte) Kanten, Bretter satt gestossen. Es bilden sich ausgeprägte, vorstehende Betongrate. Tafelschalung vertikal Schalung aus Schaltafeln mit Kunstharzlack; (Louis Kahn, Salk Institute, La Jolla, California, 1959-65) Waschbeton Zuschlagstoffe durch Abspritzen freigelegt Sandgestrahlte Oberfläche Zuschlagstoffe durch Strahlen freigelegt Gespitzte Oberfläche Mittelgrob gespitzte Betonoberfläche Farbe Die Farbe des Betons wird einerseits durch die Qualität des Betongemisches (Kies- und Zementqualität sowie zugegebene Farbpigmente) sowie durch die Schalung (neue oder gebrauchte Schalung sowie Qualität und Menge des Schalungstrennmittels) bestimmt. Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Beton Systeme - Strukturen Balken Platten Scheiben Schalen Bogen Vorspannung Dreigelenk-Bogen Balken Zweigelenk-Bogen Scheibe Flachdecke (pilzlose Decke) Unterzüge (Plattenbalken) Schalen Eingespannter Bogen Überzug Faltwerk Pilzdecke Durchlaufender Rahmen lineare, richtungsorientierte Strukturen Balken: • Vorteil heutzutage nur bei grossen Spannweiten und gleichmässiger Belastung • Schalung für Ortbeton aufwändig, Vorfabrikation sinnvoll Rippendecke, Kassettendecke: • Aussparungen zur Gewichtseinsparung • Verhältnis Oberfläche-Masse bauphysikalisch günstig (Speicherkapazität) • vorfabrizierte Schalung zwingend, Schalungsaufwand an Ort unwirtschaftlich • Spannweite Rippendecke: 4 - 12 m frei aufliegend, 5 - 20 m durchlaufend • Konstruktionsstärke Rippendecke: Platte 5 - 8 cm, Rippe 30 - 60 cm flächenwirksame, richtungslose Struktur (kreuzweise Armierung) ideal: Annäherung an Quadrat Flachdecke: • wirtschaftliche Spannweite: ca. 5 m frei aufliegend, 7 - 8 m durchlaufend • Konstruktionsstärke: d/L 1/30 bei Rechteckplatten, d/L 1/35 bei Quadratplatten • hoher Materialaufwand in Relation zur Spannweite, grosse Baufeuchtigkeit • hoher Schalungs- und Spriess- (=Abstützungs-) aufwand, deshalb auch Stützen oft vorfabriziert Pilzdecke: • sehr hoher Arbeitsaufwand sowohl für Schalung wie für Bewehrung), heutzutage unwirtschaftlich Statisch gesehen, werden Platten von äusseren Kräften rechtwinklig zu ihrer Ebene beansprucht, sie erhalten also vorwiegend Biegespannugen, während Scheiben Kräfte in ihrer Ebene aufnehmen und dadurch Normalspannungen widerstehen müssen. Ein Bauteil kann sowohl als Platte wie als Scheibe wirken: eine konventionelle Geschossdecke trägt unter Nutzlast als Platte, unter Wind- und Erdbebenwirkungen dagegen als Scheibe. räumlich wirkende Statik Betonschalen: nur Druckkräfte, keine Zugspannungen sehr dünne Konstruktionsstärken möglich hoher Schalungsaufwand Der Bogen ist ein gekrümmtes Stabtragwerk. Bei beliebiger Belastung wird der Bogen auf Druck und Biegung beansprucht. Bögen lassen sich als statisch bestimmte (Dreigelenkbogen) oder statisch unbestimmte (Zweigelenkbogen) Systeme ausbilden. Während im normalen Stahlbeton die Bewehrung spannungslos eingelegt wird, baut man sie im Spannbeton in angespanntem Zustand, mit sogenannter Vorspannung ein. Mit der Grösse der Vorspannkraft lassen sich die Zugspannungen im Beton vermeiden. Faltwerke: Faltwerke sind zueinander geneigte, ebene Flächen. Die Flächen sind in den Kanten (Falten) schubfest verbunden. Die Kräfte werden vorrangig durch Scheiben- und Plattenwirkung abgetragen. Eduardo Torroja Mercado de Algeciras, ca. 1930 Betonschale, Spannweite 47.60 m, Dicke 9 cm Livio Vacchini Casa Vacchini, Contra, 1993 Spannbetondach, Spannweite ca. 15.60 m Robert Maillart Salginatobel-Brücke bei Schiers, 1929-30 Dreigelenkbogenbrücke als Kastenträger ausgebildet Rippendecke Tiefgarage, ca. 1960 Robert Maillart Lagerhaus S. A. Magazzini Generali, Chiasso, 1924-25 ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Hans Hofmann Kraftwerk Birsfelden, 1953/54 Schnitt und Armierungsplan Schnitt Schnitt Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Beton 10 Regeln für die Betonherstellung 5 Zusätze können dem Beton zugegeben werden, um seine Eigenschaften im frischen bzw. erhärteten Zustand zu verändern. Die wichtigsten Zusätze sind: - Verflüssiger (Plastifizierungsmittel): sie verbessern die Verarbeitbarkeit des Betons bzw. ermöglichen die Reduktion des Wassergehaltes und damit eine bessere Betonqualitat. - Beschleuniger und Verzögerer: sie beeinflussen Beginn und Dauer des Abbindevorganges. - Luftporenbildner: Sie erhöhen die Frostbeständigkeit. Bei Frost-Tausalz-Beanspruchung ist ihre Anwendung zwingend nötig. Für sehr steifen Frischbeton sind Mikrohohlkugeln oft vorteilhafter. - Zusatzstoffe: Filler und Flugasche ersetzen das fehlende Mehlkorn, nicht aber den Zement, und verbessern die Verarbeitbarkeit. Hydraulischer Kalk (HK) wird ebenfalls als Zusatzstoff verwendet. Pigmente dienen der Einfärbung. 6 Vor dem Betonieren soll die Schalung gründlich gereinigt werden. Wasserlachen in der Schalung, übermässige Verwendung von Schalungsöl, Holzreste und Verunreinigungen aller Art beeinträchtigen das Aussehen des Betons. Die Schalung soll dicht sein. Der Abstand von Armierung und Schalung muss genügend gross und konstruktiv gesichert sein. 1 Beton entsteht durch Vermischen von Zement mit den Zuschlagstoffen Kies und Sand unter Zugabe von Wasser. Normalerweise enthält 1 m3 Beton 300-350kg Zement, ungefähr 2000 kg Zuschlagstoffe und 130-200 l Wasser. Je nach Verwendungszweck können dem Beton noch Zusätze beigegeben werden (Zusatzmittel: etwa 0,5- 1O kg/m3, Zusatzstoffe: etwa 5-50 kg/m3). Nach dem Anmachen muss der Beton innert kurzer Zeit eingebracht und verdichtet werden. 2 Zement bildet zusammen mit Wasser den Leim, der zu Zementstein erhärtet und die Zuschlagstoffe zusammenhält. Er ist pulverförmig und wird deshalb dem Kies-Sand-Gemisch nach Gewicht zugegeben. Im Trockenen kann Zement während Monaten gelagert werden. Wenn er feucht wird, bildet er Knollen und wird unbrauchbar. 3 Zuschlagstoffe müssen sauber gewaschen sein. Verunreinigte, schmierige und verkrustete Zuschlagstoffe sind ungeeignet. Schiefrige und mergelige Bestandteile oder Glimmer beeinträchtigen die Betonqualität. Die Zuschlagstoffe müssen eine geeignete, möglichst gleichbleibende Kornabstufung aufweisen. Die maximale Korngrösse beträgt üblicherweise 32 mm. 4 Mit dem Wassergehalt wird die Betonqualität entscheidend beeinflusst: Je weniger Wasser, desto weniger Poren und desto besser die Festigkeit, Dichtigkeit und Beständigkeit des erhärteten Betons. Der Wassergehalt wird durch den Wasserzementwert (W/Z) charakterisiert. Dieser Wert errechnet sich aus dem Wassergewicht (Eigenfeuchtigkeit des Zuschlages plus Zugabewasser) geteilt durch das Zementgewicht. Bei einem guten Beton liegt der W/Z-Wert zwischen 0,45 und 0,55. Wasserzementwerte über 0,60 sind zu vermeiden. Sandreicher Beton benötigt mehr Wasser als grobkörniger. Ein guter Beton enthält daher mehr Kies als Sand. 7 Das Mischen des Betons ist wichtig für Qualität und Verarbeitbarkeit. Die optimale Mischdauer liegt über einer Minute. Eine Verlängerung verbessert die Verarbeitbarkeit des Betons und wirkt günstig auf die Sichtflächen. Zu kurzes Mischen wirkt ungünstig auf die Frisch- und Festbetoneigenschaften. 8 Beim Transportbeton ist dafür zu sorgen, dass der Wasserverlust während des Transports möglichst klein ist. Wird der Beton auf offenen Lastwagen transportiert, so ist er abzudecken. Bei heisser Witterung kann die auf der Baustelle verfügbare Verarbeitungszeit durch Wärmeeinwirkungen während des Transports stark reduziert werden. Eine «Verdünnung» des Betons durch Wasserzugabe auf der Baustelle schadet dem Beton. Transportbeton ist rechtzeitig und mit vollständigen Angaben zu bestellen. 9 Das Einbringen von Beton soll in gleichmässigen, horizontalen Schichten erfolgen. Der Beton darf nicht zu Haufen geschüttet und dann mit der Vibriernadei verteilt werden, sonst besteht Entmischungsgefahr (Bildung von Kiesnestern). Jede Schicht ist unmittelbar nach dem Einbringen zu verdichten, bis die eingeschlossene Luft entwichen ist. Der Abstand der Eintauchstellen richtet sich nach dem Nadeldurchmesser und beträgt 25 bis 70 cm. Zu langes Vibrieren entmischt den Beton, indem grobe Bestandteile nach unten sinken und Zementschlämme sowie Wasser aufsteigen. Bei Sichtflächen führt diese Entmischung zu bleibenden Flecken. Bei Verwendung von steifplastischem Beton ist die Entmischungsgefahr geringer. 10 Die Nachbehandlung ist ein wesentlicher Teil der Betonierarbeiten. Sie verhindert das frühzeitige Austrocknen des Betons. Ungeschützte Betonoberflächen sind während mindestens vier Tagen abzudecken oder dauernd zu berieseln, besonders bei Zugluft oder Sonneneinstrahlung. Bei Frostgefahr muss frischer Beton durch Abdecken und Warmhalten vor dem Einfrieren geschützt werden. Quelle: ”Cementbulletin”, April 1987 ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Heizkraftwerk Aubrugg Wallisellen Heizkraftwerk Aubrugg, Wallisellen, 1978 Arbeitsgemeinschaft: Basler & Hofmann / Pierre Zoelly Architekt: Pierre Zoelly Mitarbeiter: Michel Waeber, Firmo Tomas (Koordination und Projektleitung), Peter Brogle, Jean-Rolf Wacker, Karl Holenstein, René Böck (Planbearbeitung und Bauleitung) Ingenieure: Basler & Hofmann, Ernst Glauser, Reto Lang (Koordination und Projektleitung) Mitarbeiter: Peter Schlegel (Baugrube), Urs Pfister (Tragkonstruktion), Paul Schneider (Bauleitung) Bauträgerschaft: Kanton Zürich Die Bedeutung, welche dem Entwurf des Heizkraftwerkes Aubrugg innerhalb des urbanistischen Wandels der letzten Jahrzehnte zukommt, lässt sich schärfer erfassen, wenn wir zuerst einen Blick werfen auf das 1935 errichtete Fernheizkraftwerk der ETH Zürich von Otto Rudolf Salvisberg. Beide Gebäude sind Energieaufbereitungsanlagen desselben Fernwärmenetzes und versorgen vor allem das Spital- und Hochschulquartier. Das aus dern massiven Sockel aufragende Kamin und das Kesselhaus des konstruktiv kühnen Salvisbergbaus werden Teil der innerstädtischen Hochschul-Silhouette. Die technische Form fügt sich fast nahtlos in die Welt der Kirchtürme, der Helme und Kuppeln der Hochschulbauten ein. Aus etwas zeitlicher Distanz betrachtet bildete das Heizkraftwerk der ETH Teil eines umfassenderen Versuches, die Modernisierung der Stadt im Rahmen eines abwägenden Konsenses zwischen Architektur und Städtebau zu lösen, welcher spätestens in den 50erJahren sein Ende gefunden hat. Verdrängung unliebsamer Einrichtungen Planung und Entwurf von Heizkraftwerken, Kehrichtverbrennungsanlagen und Kläranlagen sind seither nicht nur in ein Korsett von zunehmend komplexer werdenden technischen Bedingungen eingebunden, sondern unterliegen auch der allgemeinen Entmischung des städtischen Lebens. Die technologischen Diskurse und ihre politischen Zuständigkeiten werden voneinander getrennt; dazwischen verlaufen seltsame Trennungslinien. Bauten der Energiegewinnung und Abfallbeseitigung als Teile eines umfassenden Materie-Energie-Kreislaufes sehen oft aus wie Resultate eines unliebsamen und möglichst unsichtbar zu machenden Prozesses. Abseits von Strassen und ausserhalb von Bebauungen, möglichst vergraben und versteckt, sind sie in die Grauzone der unkontrollierten urbanen Entwicklung verdrängt worden: eine kriminelle Architektur. Eingesetzt zwischen ein Autobahndreieck Wenn wir im Folgenden den Standort des Heizkraftwerkes in Aubrugg-Wallisellen näher betrachten, so finden wir ein zusätzliches Element vor, welches alle weiteren Überlegungen dominiert. Der Entwurf für das Heizkraftwerk war überlagert durch das schon vorhandene Projekt für das Autobahndreieck Zürich-Nord, das dann gleichzeitig mit dem Heizkraftwerk gebaut worden ist. Überregionale Verkehrsplanungen sind wahrscheinlich die einzigen noch griffigen Instrumentarien der gegenwärtigen Planungen, bei denen die gebaute Realität das sichtbare Resultat eines «Idealplanes» ist. Ihrer Bedeutung für das Heizkraftwerk Aubrugg soll im Folgen-den nachgegangen werden. Die Absicht dieser Doppelnutzung des Grundstückes ist wohl eher eine Folge der schwierigen Standortsuche für ein Heizkraftwerk als das planerische Resultat einer angestrebten Nutzungsüberlagerung. Der Architekt hatte seinen Entwurf in die bereits bis auf einen Meter genau festgelegte Geometrie der Autopisten und Strassenniveaulinien einzufügen. Mit dem Projekt von Pierre Zoelly ist ein Bau realisiert worden, welcher unter mehreren Betrachtungswinkeln den Rahmen bisheriger entwerferischer Untersu- ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 chungen des Strassenraums von Autobahnen und der Typologie von technischen Bauten sprengt. Zwei Gebäudeteile durchbrechen die schnellen horizontalen Bewegungen der Strasse: eine Reihung von fünf achteckigen Kesselhäusern und das alles überragende Bündel der vier, gut 100 Meter hohen Kaminschlote. Die Reinheit der technischen Form Die geometrische Form der aus homogenem Material gegossenen Körper verweist auf die Ästhetik der Ingenieurbauten und ihrer guten Gestaltung. Beim Entwerfen konzentrierte sich alles auf die Suche nach einer klaren inneren Organisation und deren logischen Weiterführung während des Entwurfprozesses, bis schliesslich die Form «aus den Dingen selbst» herauszutreten scheint. Diese Art der Formung, namentlich die Verwendung des Materials als Spannungsträger und Widerstandskörper, bedingt allerdings auch eine Ethik, welche die Reinheit der technischen Form fordert und keinen Unterschied zwischen Sein und Schein zulässt. Unzweifelhaft ist es aber gerade diese ethische Grundhaltung gegenüber der Material- und Formbehandlung, welche den Baukörper zu den Autobahnbrücken in Beziehung treten lässt. Kontrapunktisch ist dabei nicht nur die Beziehung der Horizontalen zur Vertikalen, sondern gleichzeitig jene von Bewegung und Stillstand. Die Baukörper werden in einen anderen räumlich-geometrischen Zusammenhang gestellt, einen, der der «klassischen Schule» fremd ist. Es handelt sich um eine Geometrie, die freigesetzt ist von der direkten Konditionierung der Ausdehnungsqualität nach Koordinaten und Massverhältnissen, welche die Bewegung im homogenen Raum regelt. Das Heizkraftwerk Aubrugg konstituiert den Raum eher, als dass es ihn beschreibt - ähnlich der Geometrie des Raumes im Expressionismus. Die Methode besteht nicht im Vermessen, sondern in der Ausweitung im Raum sowie einer Konzentration der Masse. Das Eingraben wird zur künstlichen Landschaft Der Wunsch der Bauherrschaft, die Anlage vollständig zu verstecken, konnte trotz der massiven Eingrabung kaum befriedigend gelöst werden. Vielmehr provozierte diese Vergrabungsmentalität eine präzisere Auseinandersetzung mit der räumlichen Situation unter den Brücken. Eine zweite Ebene des Verkehrs verläuft unter Schnittaxonometrie ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 den Hochbauten der Autobahn. Von dieser vollkommen getrennt, dient sie der eigentlichen Erschliessung des Heizkraftwerkes und liegt auf dem Niveau der eingegrabenen Maschinenhalle. Die in den Anlieferungshöfen sichtbar werdenden Fassaden lassen die gewaltigen Erdbewegungen erahnen, welche für dieses Bauwerk notwendig waren (Aushub 172'000 m3 sowie Aufschüttung im Strassendreieck 120'000 m3). Die Grasnarbenflächen (2'900 m3) auf dem begrünten Dach der Halle werden – im Kontrast zu den mehrgeschossigen Einschnitten – eher zum Zeichen ihres Gegenteils: Sie wirken wie eine über das Gebäude gezogene Haut, die mehr aussagt über die Künstlichkeit der Landschaft, als dass sie den Anschein einer Renaturalisierung des Terrainverlaufes erwecken. Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Zoellys Architektur hat sich zur Behandlung von Grenzsituationen entwickelt, die bis zu menschenleeren Landschaften und entleerten Räumen vordringt, von denen man sagen kann, sie hätten die Figuren und Handlungen in sich absorbiert, um nur noch eine geophysikalische Beschreibung übrigzulassen. Die Kamine signalisieren nicht Anfang oder Ende einer Stadt, sind auch nicht Teil einer von einem privilegierten Standpunkt aus betrachteten Silhouette. Sie sind eher Markierung innerhalb der Bahnen einer in Bewegung geratenen Lebensweise. Markus Peter «Heizkraftwerk Aubrugg» in: Irma Noseda: «Bauen an Zürich», Zürich 1992 Grundriss / Scnitte ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Kernkraftwerk Leibstadt Kühlturm Kernkraftwerk Leibstadt Projektierungsbeginn 1964 Bauzeit 1974-82 Projektierung: Elektrowatt AG Ausführung Marti Bauunternehmungen AG Projektierung und Ausführung des Kühlturms durch die HAMON Ingeneering Bauträgerschaft: Kernkraftwerk Leibstadt AG Das Kernkraftwerk Leibstadt steht am Schweizer Ufer des Hochrheins, unweit der Aare-Mündung. Es ist das grösste Schweizer Kernkraftwerk, das seinen Betrieb 1984 aufnahm. Der Prägnanteste und von Weitem sichtbare Bauteil ist der 140 m hohe Kühlturm. Die Silhouette des Hyperboloids steht – in Verbindung mit der Kalotte des Reaktorgebäudes – zeichenhaft für den Begriff des Atomkraftwerks schlechthin. Die schiere Grösse dieses Bauwerks lässt die ungeheure elektrische Leistung der Anlage von 1145 Megawatt erahnen. Die Energiegewinnung im Kernkraftwerk verläuft wie in jedem thermischen Kraftwerk über die Erhitzung von Wasser zu Dampf, welcher eine Turbine antreibt. Da in einem thermischen Kraftwerk nicht alle Wärme in elektrische Energie umgewandelt werden kann, muss ein Teil an die Umgebung abgegeben werden. Dies geschieht bei einem Kernkraftwerk entweder über die Kühlung durch natürlich vorkommendes Wasser oder über einen Kühlturm. 1971 wurde im Laufe des Bewilligungsverfahrens die Flusswasserkühlung verboten, weshalb in der Folge das Kraftwerk mit einem Naturzugkühlturm geplant wurde. Bei einem Kernkraftwerk sind die Kühlkreisläufe aus Sicherheitsgründen getrennt, wobei der Austausch der Wärmeenergie über einen Kondensator erfolgt. Dabei wird die Wärmeenergie durch die Kondensation an den nächsten Kreislauf weitergegeben. In Leibstadt wird im Maschinenhaus der Dampf aus der Turbine zu Wasser kondensiert. Dieses wird anschliessend vorgewärmt und als Speisewasser zurück zum Dampferzeuger geleitet. Die bei der Kondensation frei werdende Wärmeenergie wird an einen getrennten Kühlwasserkreislauf abgegeben. Das Kühlwasser, das im Kondensator um etwa 14 Grad Celsius erwärmt wird, gelangt über ein Kanalsystem auf die Rieselplatten des Kühlturms und wird versprüht. Die herunterfallenden Wassertropfen geben ihre Wärme an den aufsteigenden Luftstrom ab. Bei diesem Vorgang verdunsten ca. 2% des Kühlwassers und bilden die charakteristische Dampffahne, die je nach Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Windstärke mehr oder weniger gut sichtbar ist. Es sind verschiedene Bauformen für Kühltürme bekannt, wobei sich aber das Hyperboloid am besten für Betonkühltürme in dieser Grösse eignet. Die sattelähnliche Form gibt selbst dünnsten Flächentragwerken eine relativ hohe Stabilität. Ein weiterer praktischer Grund, der zur Verwendung hyperbolischer Flächen für technische Gebäude führte, ist, dass sich die Sattelflächen aus geraden, linearen Elementen herstellen lassen (Schalung!). Beim Kühlturm Leibstadt variiert die Dicke der Schale zwischen 16 cm und 19 cm. Im untersten, drei Meter hohen Abschnitt ist sie auf 90 cm verstärkt. Im Sockelbereich lagert die Schale auf 72 Schrägstützen mit einer Länge von je 10 m und einer Stärke von 85 cm. Die innere Tragkonstruktion zur Aufnahme der Lasten des kühltechnischen Bereichs besteht aus vorfabrizierten Trägern und Stützen aus Stahlbeton von ca. 12 m Höhe. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Quellen: Fladt, K: Geschichte und Theorie der Kegelschnitte und der Flächen zweiten Grades, Stuttgart 1965. Kernkraftwerk Leibstadt ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Talsperren Bauwerke im Vergleich Talsperren gehören nicht nur zu den grössten von Menschenhand geschaffenen Bauwerken, sondern auch zu den ersten, die der Mensch zur Sicherung seiner Existenz erstellte. Spuren von Talsperren, die im 4. bis 3. Jahrtausend v. Chr. für die Bewässerung und die Trinkwasserversorgung entstanden, sind uns aus Aserbaidschan und Jordanien erhalten geblieben. Zu Beginn der Pyramidenzeit um 2600 v.Chr. entstand auch in Ägypten eine heute noch an ihren Resten erkennbare Sperre von 14 m Höhe. Die Grösse allein sagt noch nichts aus über die Qualität des Bauwerks. Ein Höhenvergleich der von der ganzen Welt bewunderten Bauten zeigt uns aber die Bedeutung unserer Talsperren. In der Schweiz zählen wir 154 solcher Bauwerke, deren Höhe 15 m überschreiten. Von den 10 höchsten Sperren in Europa befinden sich deren 7 in der Schweiz und von den 10 höchsten der Welt immerhin noch deren 3. In der Schweiz dient die Grosszahl der Sperren der Erzeugung von Wasserkraft, der bis heute einzigen, wirtschaftlich bedeutenden Form erneuerbarer Energie. Die Speicherseen sind aber auch in der Lage, die unterhalb liegenden Talschaften vor Hochwasserschäden und extremem Geschiebeanfall zu schützen. Aus den Anfängen 1869-1872 entstand die erste Betonstaumauer in Europa an der Saane bei Freiburg. Der Baustoff Beton war für die damalige Zeit ein Novum und der Bau der Mauer eine Pioniertat. Die Kraftwerk-Zentrale befand sich ursprünglich am Fusse der Mauer, und die Wasserkraft wurde mittels Stahlkabeln über weite Distanzen übertragen. 1905-1908 wurde im Klöntal der erste Schweiz grössere Erddamm der Schweiz mit einer Höhe von 30 m gebaut. Dadurch entstand das erste beachtliche Akkumulierwerk in unserem Land. Durch die Verbindung mit dem Laufwerk Beznau an der Aare entstand zudem 1914 erstmals ein für damalige Zeit bedeutender Verbundbetrieb. Auszüge aus: «Wasserkraft in der Schweiz», Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, Zürich 1998 Staumauer Maigrauge bei Freiburg Baustelle der Staumauer im Jahre 1871: Die Saane fliesst durch einen Umleitstollen, während die Arbeiter den auf Pferdekarren antransportierten Beton von Hand stampfen Staumauer Maigrauge heute Mit 1909 wenig erhöhter Krone, erfüllt nach wie vor ihren Dienst Damm Rhodannenberg im Klöntal Klassischer Aufbau mit dichtendem Lehmkern und angrenzender Filterzone Damm Rhodannenberg Das Bild der Bauzeit zeigt den Handaushub für den Graben zum Einbinden des Dammkerns in den Untergrund ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Gewichts- und Pfeilerstaumauern Gewichtsmauern werden so gebaut, dass sie mit ihrem Gewicht allein dem Druck des gestauten Wassers standhalten, sämtliche auftretende Kräfte sicher in den Untergrund ableiten und die Sperrstelle praktisch wasserdicht abschliessen. Beton ist, bei sorgfältiger Wahl von Kies, Sand, Zement und Wasser, ein idealer Baustoff für Staumauern, und seine Qualität wird in der Regel mit zunehmendem Alter immer besser. Die Form der Mauern wird zudem so gewählt, dass der Beton hauptsächlich auf Druck beansprucht wird und somit keiner Armierung bedarf. Gewichtsmauer Panix der Kraftwerke Ilanz Heute... Donnerstag 29.11.01 Schnitt durch die Gewichtsmauer Panix ...und während des Baus im Jahre 1988 Pfeilermauer Lucendro TI im Baujahr 1946 Bei diesem relativ seltenen Mauertyp wird die Betonmasse durch Aussparungen in der zentralen Partie reduziert. Um Stabilität gleichwohl zu garantieren, muss sowohl die Luftseite wie auch die Wasserseite geneigt werden. ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Die höchste Gewichtsmauer der Welt Ein 350 km2 umfassendes Einzugsgebiet mit 35 Gletschern erlaubt dem Schmelzwasser des Sommers den 400 Mio. m3 messenden Stausee zu füllen, um im Winter und bei Spitzenbedarf Wärme und elektrische Energie zu produzieren. Dieser See beinhaltet 20% sämtlicher hydroelektrischer Speicherenergie der Schweiz. Ein neuer Druckstollen (15,85 km) mit Druckschacht (4,23 km) erlaubt seit dem Winter 1998-99, das Wasser über eine einzige Gefällsstufe in der neuen Kraftwerk-Zentrale Bieudron zu nutzen. Das Bruttogefälle von 1883 m ist ein neuer Weltrekord. Die Bauarbeiten dauerten von 1953 bis 1961, jeweils von Mai bis Oktober wurden insgesamt 6 Mio. m3 Beton eingebaut. Am 6. Oktober 1954 erreichte die Belegschaft mit 1576 Mann den absoluten Spitzenwert, davon waren 60% Walliser, 20% übrige Schweizer und 20% Italiener. Ihr beispielloser Einsatz während 10 Std. Arbeit in der Nacht und während 11 Std. am Tag erbrachte einige Jahre Vorsprung auf das Bauprogramm. Der Stausee der Grande Dixence im Wallis Gewichtsmauer Grande Dixence, Höhe 285 m Baustelle (1953-1961), hinter der zum Tag erhellten Baustelle ist schwach die alte, 1935 errichtete viel kleinere Mauer der Dixence sichtbar ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Bogenmauern Bogenmauern werden in einzelnen schlanken und sehr hohen Mauerelementen aus unarmiertem Beton erstellt. Erst durch die nachträgliche Verpressung der entstandenen vertikalen Fugen durch ein Wasser-ZementGemisch entsteht eine räumlich wirkende Schale, welche die Kräfte auf den Felsuntergrund und die Talflanken überträgt. Der Bau von Bogenmauern ist eine anspruchsvolle unternehmerische Aufgabe und erfordert, trotz gewaltiger Materialmengen, äusserste Sorgfalt und grosses handwerkliches Können. Die früher zeitaufwendigen Berechnungen werden heute mit den modernsten elektronischen Rechnern anhand numerischer Modelle durchgeführt. Diese erlauben sowohl komplexe Untergrundverhältnisse, wie auch ausserordentliche Lastfälle und deren Auswirkung auf die Bogenmauer zu analysieren. Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Numerisches Modell einer Bogenmauer mitsamt Untergrund Bogenmauer Punt da Gall der Engadinerkraftwerke GR Ansicht der Wasserseite der im Bau befindlichen Mauer. Bauzeit 1965-1969, maximale Höhe 130 m Bogenmauer Punt da Gall Die die vertikalen Mauerelemente bildenden Blöcke werden abwechslungsweise betoniert. Die beim Erhärten des Betons entstehende Wärme kann somit besser entweichen, muss aber trotzdem zusätzlich durch Wasserzirkulation in einbetonierten Rohrleitungen abgeführt werden. ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Staudämme Die Dämme, nur aus Lockergestein oder Steinbruchmaterial ohne Zusatz von Bindemitteln gebaut, widersetzen sich dem Wasserdruck allein durch ihr Eigengewicht. Da die Dammböschungen in allen Lastfällen stabil bleiben müssen, ergibt sich eine Dammbreite an der Basis, die um ein Vielfaches grösser ist als die Dammhöhe. Erst die Entwicklung grosser Erdbaumaschinen und Transportfahrzeuge erlaubten den wirtschaftlichen Bau der Dämme mit ihren gewaltigen Schüttvolumen. Dämme verlangen eine sorgfältige Auswahl der natürlichen Lockergesteine. Gelegentlich müssen Materialien durch Sieben oder Mischen aufbereitet werden, da bei der Abstufung zwischen den einzelnen Zonen strenge Kriterien der Kornverteilung einzuhalten sind. Im Innern des Dammes sorgt in der Regel ein feinkörniges, wenig durchlässiges Material für die Abdichtung. Letztere wird gelegentlich als Dichtungsbelag aus Beton oder Asphalt an der wasserseitigen Oberfläche erstellt. Dämme können sich den Verformungen des Talbodens anpassen und benötigen nicht zwingend eine Fundation auf Fels. In jedem Fall aber ist die Abdichtung des Untergrunds für die Sicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Speicheranlage von ausschlaggebender Bedeutung. Die meisten mit Zement ausgeführten Injektionen von speziellen Stollen oder von der Oberfläche aus ist die am häufigsten angewendete Technik. Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Schnitt und Ansicht des Staudammes Göscheneralp Göscheneralp Der höchste Staudamm der Schweiz der mit 155 m Höhe und 9.3 Mio. m3, gebaut von 1955-60 Staudamm Marmorera Dammhöhe 91 m Staudamm Marmorera 1 Dammkern 2 Staudamm 3 Injektionsschirm 4 Herdmauer aus Beton ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Staumauer Lucendro Airolo Kraftwerk Lucendro Das Kraftwerk Lucendro ist ein reines Winterkraftwerk, d. h. der Jahresabfluss des erfassten Gebieten wird in den beiden Becken Lucendro und Sella so weit aufgespeichert, dass die Ausnützung in der Hauptsache auf die Wintermonate November bis und mit April konzentriert werden kann. In wasserreichen Jahren fällt im August, September und Oktober noch Spätsommerenergie an. Das Maschinenhaus wird bei Airolo erstellt. Alles Wasser, also auch das von Natur aus nach Hospental fliessende, arbeitet daher mit dem am Südhang des Gotthard vorhandenen Gefälle von nahezu 1000 m. Da sich der Betrieb im allgemeinen auf die Zeiten beschränkt, in denen die natürliche Wasserführung des Tessin die Schluckfähigkeit der Anlagen Plottino und Biaschina nicht erreicht, ergibt sich weiter die Möglichkeit, das Abwasser der Lucendro-Zentrale auch noch in diesen beiden bereits bestehenden Werken auszunützen, die zusammen über ein Gefälle von etwa 600 m verfügen. Das Speicherwasser des Lucendrowerkes wird somit mit einem Bruttogefälle von rund 1600 m arbeiten, und wenn einmal das zwischen Airolo und Rodi zur Zeit noch freie Gefälle von 194 m ausgenützt sein wird, mit einem Bruttogefälle von gegen 18W m. Nur diesem hohen Ausnützungsgrad ist es zu verdanken, dass die hohen Kosten der zwei grossen Staumauern Lucendro und Sella wirtschaftlich noch verantwortbar sind. Die Lucendromauer erfordert bei rund 60 m maximaler Höhe eine Kubatur von rund 116 000 m3. Beide Mauern sind in Rüttelbeton vorgesehen, ohne Natursteinverkleidung. (aus: «Schweizerische Bauzeitung» vom 9.12.1944) 1942-46 Ingenieure: Motor-Columbus A.-G., Baden Architekt: Rino Tami (Zentrale Airolo) Bauträgerschaft: Aare-Tessin AG, Olten («Atel») ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Lucendromauer-Baustelle im April 1944 In der Tiefe vorn eine der Botonbühnen, hinten die Schalbühnen Diverse Schnitte (Projektpläne) Querschnitt (heutiger Zustand) Mit nachträglich eingebauten Strebebalken (1) und Konsolen (2) ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Kraftwerkanlagen Wägital Zentrale Siebnen In den Jahren 1920 bis 1930 entstehen so unterschiedliche Bauten wie das Maschinenhaus Siebnen des Kraftwerks Wägital und das Grenzkraftwerk RyburgSchwörstadt am Rhein. Während Siebnen als architektonisches Kuriosum stattliche neugotische Formen zelebriert, steht Schwörstadt mit seiner schmucklosen Rechtwinkligkeit durchaus im Fahrtwind der zeitgenössischen Baukunst. Die Zentralen Rempen/Wägital und Piottino bei Lavorgo TI variieren das Thema in bescheideneren Dimensionen. Zentrale Siebnen (Kraftwerk Wägital SZ), Siebnen, 1926 Maschinenhaus 1925 Schalthaus 1925 Wohnkolonie 1921/22 Architekten: Gebrüder Bräm, Zürich Aus: «Wasserkraft in der Schweiz», Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, Zürich 1998 Die Maschinenzentrale Siebnen Der Besucher, der die vom Dorf Siebnen herführende Zufahrtsstrasse benutzt, nimmt die Maschinenzentrale am Eingang des Wägital als erste, unübersehbare Manifestation der ausgedehnten Kraftwerkanlagen wahr. Dieser prominenten Situation des Gebäudes trägt die Architektur der Gebrüder Bräm aus Zürich durch die ausgeprägte Betonung seines repräsentativen Charakters Rechnung. Stilistisch lässt sich die Zentrale in der Nähe des Expressionismus der 10er- und frühen 20er-Jahre ansiedeln, welcher sich in der Spätphase durch seine Vorliebe für spitze Winkel und die Betonung der Vertikalen auszeichnet. Die Maschinenzentrale ist ein Paradebeispiel für die sakrale Überhöhung des Themas Elektrizität durch die Wahl des Bautyps «Kirche». Der schmale und lange Baukörper mit der steilen Dachneigung, die ausgeprägte Betonung der Vertikalen im Kubus und in der Fassadengliederung mit Fenstern und Pilastern sowie die durchgehende Verwendung stilisierter Spitzbogenfenster berechtigt zur Präzisierung auf den spezielleren Typus der «gothischen Kathedrale». Sogar der typische Dachreiter auf dem Dachfirst ist vorhanden in Form des kleinen Ausführungsturms. Statt von Bischof- und Heiligenfiguren ist das Portal am nördlich vorgelagerten Treppenhaus-Turm von allegorischen Statuen flankiert, welche das Zusammenwirken von menschlichem Erfindungsgeist mit den Naturkräften anhand des «Ingenieurs» (links) und der «Aa» (rechts) darstellen. Gestaltet wurden die Statuen von Karl Bodmer, welcher auch die künstlerische Ausschmückung der Kirche NeuInnerthal schuf. Die Analogie zum Kirchenbau kann noch weitergeführt werden, indem man die Kommandozentrale im Maschinenhauskopf als Altar interpretiert. Die Volumetrie des Gebäudes war im übrigen weitgehend funktional vorgegeben: Da die Zentrale lediglich eine Maschinenreihe aufzunehmen hatte, konnte sie Maschinenhaus Siebnen ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Situationsplan Schnitt und Grundriss, Maschinenhaus derart schmal gehalten werden. Die grosse Bauhöhe ergab sich aus der Bedingung, das Ausheben der langen vertikalen Maschinenwellen mittels des Laufkrans zu ermöglichen. Im Gegensatz zur feingliedrigen Ausgestaltung der übrigen Fassaden steht das provisorisch wirkende Südende des Maschinenhauses, wo der abrupte Schnitt der fast fensterlosen Abschlussmauer vom Boden bis durchs Dach Erinnerungen an Brandmauern von städtischen Blockrandbebauungen hervorruft. Die gewählte Lösung sollte eine spätere Erweiterung des Maschinenhauses eventuell vereinfachen. Das Schalthaus in Siebnen Im Gegensatz zur Zentrale Rempen entschied man sich in Siebnen zur Errichtung eines separaten Gebäudes für die Transformatoren und Schaltanlagen. Das östlich des Maschinenhauses parallel erstellte Schalthaus ist ebenfalls ein Werk der Gebrüder Bräm. Gegen die Hofseite ordnet sich der langgezogene Walmdachbau mit seinen niedrigen Flachdachvorbauten klar der monumentalen Dominanz der Zentrale unter. Die symmetrisch aufgebaute Längsfassade gegen die unverbauten Wiesenflächen im Osten bildet dagegen die eigentliche Schalthaus ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Schalthaus, Galerie für Leitungsausführung Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Schaufassade des Gebäudes. Der Mittelbau mit dem halbrund hervortretenden Treppenhaus-Turm übernimmt als Referenz ans Zentralengebäude dessen stilisierte Spitzbogen als Fensterform. Die beidseitig an den Turm anschliessenden Gebäudeflügel werden von Eckrisaliten abgeschlossen. Die klare, symmetrische und gut proportionierte Konzeption von Kubatur und Fassadengliederung, wie sie vor allem an der Ostfassade zum Ausdruck kommt, weist das Schalthaus als herausragendes Beispiel der «Palast»-Architektur im Kraftwerkbau aus. Deutlicher noch als die Zentrale widerspiegelt hier die Gliederung der Bauvolumina die funktionalen Vorgaben, welche sowohl in technischen Abläufen als auch in der Tatsache der aufgeteilten Bauherrschaft begründet liegt: Der Nordflügel gehört der NOK, der Südflügel dem EWZ, während der Mittelbau der Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 gemeinsamen Tochter AKW zur Verfügung steht; die 50kV-Anlagen der beiden Gesellschaften sind jeweils in den an den Mittelbau angrenzenden Gebäudeflügeln untergebracht, die 150-kV-Anlagen in den abschliesenden Eckrisaliten. Ein markantes Element der Fassadengestaltung bilden die unter der Dachkante zurückgezogenen, gegen die Innenräume verglasten Galerien für die Leitungsausführung an beiden Längsseiten des Schalthauses. Aus: «75 Jahre Kraftwerke Wägital», in: Marchring, Gesellschaft für Volks- und Heimatkunde der Landschaft March, 37/1997, Lachen 1997 Rohbauphase des Schalthauses ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Salginatobelbrücke Schiers Salginatobelbrücke Schiers, 1929-30 Architekt: Robert Maillart Konstrukteur des Lehrgerüsts: R. Coray Bauunternehmer: Florian Prader Bauträgerschaft: Kanton Graubünden Die Salginatobelbrücke, Abkehr vom Naturstein Für eine wirtschaftliche Ausbildung des Fahrbahnträgers in den 18 Meter langen Öffnungen der Salginatobelbrücke waren Zwischenabstützungen erforderlich, was bei der viel kürzeren Tavanasabrücke noch nicht nötig war. Maillart unterteilte die 18 Meter in drei sechsmetrige Felder und behielt diese Unterteilung über die lange, sechsfeldrige Brückenzufahrt auf der Schierser Seite bei. Die Veränderungen gegenüber der Tavanasabrücke sind verblüffend. Im Salginatobel sind die schweren Natursteinwiderlager vollständig verschwunden, und die Fahrbahn löst sich, von Schiers her kommend, einfach vom Terrain, führt über die Querbalken des Zufahrtsviaduktes, das sich mit dem Hohlkastenprofil der Hauptspannweite vereinigt, erscheint über der zweiten Bogenhälfte wieder und landet schliesslich sanft auf der gegenüber liegenden Felskante, den Weg nach Schuders fortsetzend. Der Effekt ist atemberaubend, denn es gibt keine falsche Umrahmung durch Natursteinwiderlager mehr, keine falschen Formen des Viaduktes, welche an Steinbogen erinnert hätten, und keine falschen Fassaden-, die das weisse, in der Holzschalung geformte Betontragwerk verborgen hätten. Gleichermassen wichtig ist das Fehlen jeglicher Steinfundation bei den Bogenkämpfern. Der Bogen verschwindet beinahe bei den Kämpfergelenken, wo er leichtfüssig und behutsam die Brücke gegen die hohen Felswände der Schlucht abstützt. Der 3,8 Meter breite Bogen hat aber weit mehr Eigenheiten, als in der Ansicht beinahe zu verschwin- den. Er verbreitert sich zu den Auflagern hin auf 6 Meter, was dem sonst ausserordentlich schmalen Tragwerk optisch eine gewisse Stabilität verleiht. (Bei der Salginatobelbrücke beträgt das Verhältnis der Stützweite der Gewölbeplatte zu ihrer Breite 90/3,8 = 23,6; bei der Tavanasabrücke lediglich 51/2,8 = 18,2.) Diese Aufweitung des Bogens wird zusätzlich akzentuiert durch die Verbreiterung der Stützen über den Kämpfergelenken, wo die beiden vertikalen Seitenwände in ihrem Abstieg von der Fahrbahn gestoppt werden. Dieses Spiel mit den Formen in der Brückenquerrichtung ist nur auf der Schierser Seite, wenn man seitlich unterhalb der Brücke steht, gut sichtbar. Von da aus erkennt man auch, dass die vertikalen Stützen eigentlich Querwände sind, deren Ränder in der Längsrichtung der Brücke erheblich verbreitert wurden (von 0,12 Metern auf 0,6 Meter). In der Brückenansicht wird klar, dass Maillart diese vertikalen Querwände verbreitert hat, um sie, verglichen mit den hohen Längswänden und der massiven horizontalen Brüstung, optisch stärker erscheinen zu lassen. Die horizontale Brüstung, die über die gesamte Brückenlänge durchläuft, ist 1,4 Meter hoch. Max Bill kritisierte diese Brüstung aufgrund ihrer optisch schweren Wirkung, welche die «Harmonie störend beeinflusse». Mit der Meinung, die Brüstungen seien statisch nicht unbedingt nötig, liegt er gefühlsmässig richtig; ich denke jedoch, dass sie psychologisch sehr nützlich sind, indem sie den Fussgängern, welche die spektakulär tiefe Schlucht überqueren, ein Gefühl von Sicherheit Salignatobelbrücke ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 geben. Aus der Ferne sind die Brüstungen optisch nicht störend, denn das Tragwerk als solches ist genügend ausdrucksvoll, um sich nicht durch diese starke horizontale Linie stören zu lassen. Zudem liess Maillart die Fahrbahnplatte über die Längswände des Hohlkastens auskragen, so dass eine Schattenlinie die Brüstung leichter erscheinen lässt. Von den Brückenenden aus gesehen wirken die Brüstungen aber trotzdem schwer und schmälern die Wirkung der ansonsten eleganten Struktur. Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Der Gebrauch des Wortes Harmonie bringt schliesslich die zentrale Frage auf, wie all die einzelnen Teile einer Struktur optisch zu einer Einheit verschmelzen. Wir haben bereits festgestellt, dass das Bild aus einer bestimmten Blickrichtung harmonischer sein kann (Ansicht der Salginatobelbrücke aus der Ferne) als aus einer anderen (Blick von den Brückenenden, nahe der Brücke, auf der Fahrbahn stehend). Abstrakte Begriffe wie Harmonie, Symmetrie, Proportionen und Ordnung sind, obwohl sie für die Architekturgeschichte eminent Schnitt und Grundriss Armierungsplan von Wand und Gewölbe Schnitte ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 wichtig sind, oftmals doch verwirrend, wenn sie auf die Baukunst angewendet werden. Daher vermeidet man sie am besten, wenn man Maillarts Ideen über Formen genauer studiert. Die Salginatobelbrücke und ihre künstlerischen Details Die Salginatobelbrücke verfügt über verschiedene Details, die optisch von Bedeutung sind: die sanften Vouten oder vertikalen Verstärkungen der Fahrbahnträger über den Querwänden, der optische Bruch in der Brüstungswand zur Betonung des Scheitelgelenkes und die Anordnung von je einer Querwand direkt über den Kämpfergelenken. Die sanften Vouten zwischen den vertikalen Querwänden und der horizontalen Fahrbahn, kaum sichtbar aus der Ferne, sind technisch vernünftig, da sie die scharfen Ecken, in denen bei Betontragwerken oft Risse auftreten, eliminieren. Sie drücken zwar eine Einheit dieser beiden Elemente aus, könnten aber, da sie sehr klein sind, vom technischen Standpunkt aus gesehen, weggelassen werden. Die Querwände der Salginatobelbrücke fallen nicht speziell auf, so dass die Vouten zwischen dem Fahrbahnträger und den verbreiterten Wandenden die optische Wirkung interessanter machen. Die Vouten unterbrechen zudem die horizontale Linie der Stege des Fahrbahnträgers, welche zwischen den Querwänden als separate Elemente wirken; mit diesen Unterbrüchen wird diese Separation auch optisch verdeutlicht. Das Scheitelgelenk der Salginatobelbrücke wird durch zwei massive Betonblöcke gebildet, welche gleich breit sind wie die darunterliegende Gewölbeplatte und die darüberliegende Fahrbahn. Daher verschwindet die Schattenlinie der auskragenden Fahrbahn in der Brückenmitte auf einer Länge von 2,4 Metern und veranschaulicht so die Diskontinuität, die durch das Gelenk baulich entsteht. Die Gelenkblöcke der Tavanasabrücke sind bloss halb so lang (insgesamt 1,2 Meter) und liegen mit der 3,6 Meter breiten Fahrbahnplatte ebenfalls in einer Ebene, ragen hingegen über die 2,8 Meter breite Gewölbeplatte hinaus. Die Gewölbeplatte weitet sich jedoch auf die Breite des Gelenkblockes auf. Die dadurch entstehende Ausbuchtung wirkt unruhig, was der Grund dafür war, dass Maillart sie bei der Salginatobelbrücke zu vermeiden suchte. In der Ansicht wird erkennbar, dass die letzten Querwände unmittelbar neben den Kämpfergelenken aufstehen; die Wände stehen somit noch auf dem Bogen und nicht auf der Auflagerfundation. In Tavanasa gab es in jeder Brückenhälfte nur eine Querwand, und auch da stand diese direkt neben dem Kämpfergelenk. In dieser Beziehung widerspiegelt die Salginatobelbrücke immer noch die Ideen, die Maillart 1904 für die Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Tavanasabrücke erarbeitet hatte. Die bedeutsamste Ähnlichkeit mit der Tavanasabrücke entsteht jedoch durch Maillarts Festhalten an der glatt gekrümmten Bogenform, wie er sie auch bei den Wägitalbrücken und der Tschielbachbrücke verwendet hatte. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Salginatobelbrücke im Jahre 1928 die wohl fortschrittlichste Bogenbrücke darstellte, und dass sich ihr Erscheinungsbild direkt aus der von Maillart 1904 erbauten Tavanasabrücke ableiten lässt. Der Entwurf von 1928 nimmt Bezug zu seiner Umgebung, indem das Verhältnis der Spannweite zur Pfeilerhöhe kleiner, die Spannweite selbst aber länger ist und beide Seiten des Hohlkastens sowie die Zufahrt auf der Schierser Seite mit Gebälkrahmen abgestützt sind. Andererseits kann man die grundsätzliche Struktur, den Dreigelenkbogen mit einem Hohlkastenprofil, auf verschiedene von Maillarts Entwürfen zurückführen – die Stauffacherbrücke sowie die Brücken in Zuoz und in Tavanasa – und nicht auf die Umgebung der Salginatobelbrücke. Zudem geht Maillarts Entwurf nicht auf das Gelände ein; er widerspiegelt weder die Gesteinsformen noch irgendwelche visuellen Aspekte der Bäume, Felder oder Berge. Der kahle weisse Beton steht in lebhaftem Kontrast zu der Landschaft, und das Bauwerk ist offensichtlich eine Ingenieurleistung des 20. Jahrhunderts, das sich klar von der Natur abhebt und nicht durch rein dekorative Natursteinwiderlager eingerahmt oder abgeschnitten wird. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Tavanasa und Salginatobel Vierundzwanzig Jahre verstrichen zwischen dem Entwurfswettbewerb für die Tavanasabrücke und jenem für die Salginatobelbrücke. Maillarts Entwurf von 1904 war zu radikal für das Kunstverständnis des frühen 20. Jahrhunderts, denn er widersetzte sich der zweitausendjährigen Tradition des Naturstein-Brückenbaus in Europa. Die lange währende Dominanz des Bruchsteins bestimmte um 1920 noch immer die Ideale der Brückenbauer, die sich bemühten, für die rasch zunehmende Anzahl Brücken des Automobilzeitalters geeignete Formen zu finden. Die Zerstörung der Tavanasabrücke durch eine Lawine im September 1927 war für Maillart das unmittelbar auslösende Moment. Dieses Ereignis und der daran anschliessende, aber gescheiterte Versuch, den Auftrag für die neu zu erbauende Tavanasabrücke zu erhalten, brachten ihn zurück zu der Form des Hohlkastenbogens. Im Sommer 1928 meldete er sich für den Entwurfswettbewerb der Brücke über das Salginatobel, das wie Tavanasa ebenfalls im Kanton Graubünden liegt. Sein Entwurf, eingereicht mit Florian Prader als Bauunternehmer, war der kostengünstigste und wurde bezüglich der Qualität und des Erscheinungsbildes als bestes Projekt ausgezeichnet. In den Jahren 1929/30 wurde dieser Entwurf ausgeführt. Das steile, dicht bewaldete und von Lawinenniedergängen gezeichnete Gelände wirkt selbst schon so dramatisch, dass es einer besonderen Anstrengung bedarf, diese Brücke zu analysieren. Sie überspannt die 75 Meter tiefe Schlucht (Tobel) der Salgina und verbindet die einspurige, unbefestigte Strasse, die sich von Schiers zu dem kleinen 80-Seelen-Bergdorf Schuders den Berg emporwindet. Um die Brücke zu verstehen, bedarf es vorerst einer Betrachtung der Struktur alleine, wie wenn sie an irgendeinem anderen Ort stehen würde. Erst dann sollte man auf ihre Umgebung zurückkommen, wobei man überraschenderweise realisiert, dass ihre Kunst nicht das Resultat einer Anstrengung ist, die Brücke in das Gelände «einzupassen». Die Form der Salginatobel- Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 brücke wurde direkt von derjenigen der 51 Meter gespannten Tavanasabrücke abgeleitet, wurde aber der viel grösseren Stützweite von 90 Meter und dem tieferen Tal, welches durch steile Felswände begrenzt ist, angepasst. Wie schon in Tavanasa fällt als erstes der grosse Kontrast auf zwischen der Konstruktionshöhe in den Bogenvierteln und den dünnen Auflagerpunkten einerseits sowie dem schlanken Scheitelbereich andererseits. Von den Auflagern her erkennt man auch hier das Hohlkastenprofil mit der Gewölbeplatte, den dünnen Seitenwänden und der horizontalen Fahrbahnplatte. Die grössere Spannweite hat zur Folge, dass die Distanz zwischen den Viertelspunkten und den Widerlagern von 12,75 Meter bei der Tavanasabrücke auf 22,5 Meter bei der Salginatobelbrücke anwächst. Die dreieckigen Öffnungen der Tavanasabrücke ragten lediglich 7,5 Meter von den Widerlagern in die Spannweite hinein, da die Brücke sehr flach war und somit eine Vergrösserung der Öffnungen sehr kostspielig gewesen wäre. Zudem wäre aber auch der Kontrast zwischen der Höhe in den Viertelspunkten und den dünnen Gelenkbereichen vermindert gewesen. Im Unterschied dazu ist der Bogen der Salginatobelbrücke viel weniger flach. Das Verhältnis der Spannweite zur Pfeilerhöhe beträgt weniger als 7, wo hingegen es in Tavanasa über 9 betrug. Maillart konnte deshalb in seinem Projekt von 1928 die dreiecksförmigen Öffnungen viel weiter in die Spannweite hineinführen (18 Meter oder 80 Prozent der Distanz zu den Viertelspunkten von 22,5 Metern; bei der Tavanasabrücke waren es nur 60 Prozent dieser Distanz). Bei der Salginatobelbrücke stand unterhalb der Fahrbahn viel Raum zur Verfügung, und die anstehenden Felswinde erlaubten eine weniger flache Ausbildung des Bogens. Bei der Tavanasabrücke hingegen hätte eine grössere Pfeilerhöhe eine höher liegende Fahrbahn und somit längere und kostspieligere Zufahrtsbereiche auf beiden Brückenseiten erfordert. Aus: David P. Billington: «Robert Maillart und die Kunst des Stahlbetonbaus», Zürich und München 1990 Tavanasabrücke ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Sunnibergbrücke Umfahrung Klosters Sunnibergbrücke Umfahrung Klosters, 1996-98 Entwurf: Tiefbauamt Graubünden Berater: Andrea Deplazes Konzept: Christian Menn Gesamtprojektleitung: E. Toscano AG, Chur Projektverfasser / Technische Bauleitung: Bänziger+Köppel+Brändli+Partner AG, Chur Bauherrschaft: Kanton Graubünden Die im Juni 1996 begonnene, 526 m lange Sunnibergbrücke überquert das Tal bei Serneus in einer Höhe von etwa 62 m über der Landquart. Ihre Achse verläuft im Grundriss kreisförmig mit einem Radius von 503 m. Das als Schrägkabelbrücke konzipierte Bauwerk besticht durch sein transparentes Erscheinungsbild und seine kohärenten Querschnittsformen. Der im Freivorbauverfahren erstellte Brückenträger besteht aus einem 12.4 m breiten Plattenquerschnitt mit zwei durchgehenden Randträgern. Die dünne, schwungvoll leicht erscheinende Fahrbahnplatte ist mittels Schrägkabeln an den vier Pylonen aufgehängt. Die Kabel sind ausserhalb der Brüstungen im Abstand von 6 m in strenger Harfenkonfiguration angeordnet. Die als Abspannscheiben dienenden Pylonflügel sind infolge der Krümmung des Überbaus und der sich daraus ergebenden Seilgeometrie leicht nach aussen geneigt. Die schlanke Rahmenkonstruktion der Pfeiler ist möglich, weil die horizontale Bogenwirkung des mit den Widerlagern monolithisch verbundenen Brückenträgers die Stabilität des Tragsystems in Querrichtung gewährleistet. In Längsrichtung sind die Pylone sehr biegesteif. Der massive Querträger unterhalb der Fahrbahn bewirkt die Umwandlung der grossen Querbiegemomente der Pylonscheiben in Normalkraftbeanspruchung der Pfeilerstiele. Aus: Thomas Vogel und Peter Marti (Hrsg.): «Christian Menn Brückenbauer», Basel Boston Berlin 1997 Statik und Konstruktion Die Sunnibergbrücke ist Bestandteil der Umfahrung Klosters, die voraussichtlich im Jahre 2007 eröffnet werden kann. Das als fünffeldrige Schrägseilbrücke ausgebildete Tragwerk mit einer Gesamtlänge von 526m stellt das markanteste Bauwerk der gesamten Umfahrungsstrecke dar. Es werden deshalb höchste Anforderungen an die Gestaltung, die Einpassung in die Landschaft, eine hohe Dauerhaftigkeit im rauhen Gebirgsklima und eine möglichst umweltschonende Bauausführung gestellt. Nach wettbewerbsartigen Studienaufträgen an drei erfahrene Ingenieurbüros hatte die Jury als Variante einen Konzeptvorschlag von Christian Menn im Wettbewerb untersuchen lassen, der sich in der statischen und konstruktiven Bearbeitung als realisierbar erwies. Konzept und Hauptabmessungen Die Brücke weist mit vier Pylonen drei grosse Hauptfelder von 128, 140 und 134 m und zwei kleinere Randfelder von 59 und 65 m Spannweiten auf. Wegen der starken Krümmung im Grundriss kann der Brückenträger an beiden Enden ohne Dilatationsfugen fest mit den Widerlagern verbunden werden. Dadurch werden die aufgelösten Brückenpfeiler auf Fahrbahnhöhe längs und quer fast unverschiebbar gehalten, und die Pfeilermomente infolge feldweiser Trägerbelastung nehmen deshalb nach unten linear ab. Die Pfeilerform reflektiert diesen Kräfteverlauf. Die Pylone über der Längsschnitt Statisches System für elektronische Berechnungen Grundriss ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Fahrbahn sind mit 14 bis 16 m Höhe relativ kurz; sie sind wegen der Lichtraumverhältnisse in der Kurve leicht nach aussen geneigt und bilden mit den Pfeilern eine statische und formale Einheit. Die Längenänderungen des Überbaus werden durch horizontale Radiusveränderungen aufgenommen. Geologie, Fundationen, Widerlager Die geologischen Sondierungen zeigten, dass der Fels sehr tief liegt. Rechts der Landquart befindet sich eine mächtige Bergsturzmasse mit Bachablagerungen. Im Bereich der Landquart stehen die Alluvionen an. Links der Landquart liegt die jetzt stabile CasannaRutschmasse, überlagert von Bachablagerungen des Drosbachs. Diese geologischen Verhältnisse führten zusammen mit der Topographie zu folgendem Fundationskonzept: Die Widerlager bestehen im wesentlichen aus erdgefüllten Körpern mit einer Bodenplatte. Sie sind mit dem Brückenträger monolithisch verbunden Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 und bilden die Abstützpunkte für die horizontale Stabilisierung des Brückensystems. Der Pfeiler P1 auf der Geländeterrasse vor dem Steilabfall der rechten Talflanke ist mit zwei Kleinschächten, die Pfeiler P2, P3 und P4 sind auf je sechs Bohrpfählen fundiert. Das massive Pfählkopfbankett ist im Grundriss um 0,75 m gegen die Kurveninnenseite versetzt, weil die inneren Pfeilerstiele aus der Trägerkrümmung wesentlich mehr Vertikallast erhalten. Pfeiler und Pylone Die Pfeiler weisen in Brückenlängsrichtung einen parabolischen Anzug und eine Breitenvariation auf. In Querrichtung wachsen die Pfeiler von 8,80 der Basis zu 13,40 m Breite bei oberkant Fahrbahnplatte. Es entsteht auf diese Weise ein kelchförmige räumliche Struktur. Die Pylone überragen den Brückenträger als Abspannscheiben, deren Querschnitt die Biegebeanspruchung aus einseitiger Verkehrslast in Längs- ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 richtung übernimmt. In Querrichtung sind sie in der Lage, die grossen Querbiegemomente aus Seilablenkungen aufzunehmen. Die festen Verankerungen der Schrägseile sind im zentralen Teil der Pylonscheibe in einer Stahlkassette angeordnet. Die sehr massiven und vorgespannten Querträger wandeln die hohen Querbiegemomente der beiden Pylonscheiben in unterschiedliche Normalkräfte der beiden Pfeilerstiele um (Kurveninnenseite 60%, Kurvenaussenseite 40%). Brückenträger Der Brückenträger besteht aus einem in Querrichtung schlaff bewehrten Plattenquerschnitt mit zwei Randträgern. Die Abspannstellen der Schrägseile befinden sich ausserhalb der Randträger. In Längsrichtung wird der Querschnitt in Pfeilernähe aus statischen Gründen verstärkt. Im mittleren Feldbereich wird die Platte durch Zusatzkabel längs vorgespannt. Alle übrigen Bereiche sind durch die Horizontalkraft der Schrägseile vorgespannt. Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Schrägseilkabel Die Schrägseile der Brücke bestehen aus Paralleldrahtbündeln in Polyätylenrohren. Die Kabel sind einzeln verankert und können jederzeit aus- und eingebaut werden. Die Verankerung ist speziell zur Aufnahme grosser Wechsellasten konzipiert. Die Schrägseile werden bei der unteren beweglichen Verankerung gespannt. Wegen der flachen Neigung der Seile wird am Brückenrand bei den Trompetenrohren der Kabel viel Platz benötigt, so dass keine Quervorspannung in der Platte angeordnet werden konnte. Aus: «Schweizer Ingenieur und Architekt», 29.10.1998 ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Kraftwerk Ova Spin Spölschlucht Kraftwerk Ova Spin Spölschlucht, 1970 Architekt: Konrad Metzger Bauträgerschaft: Kanton Graubünden Stausee Punt dal Gall Der Stausee Punt dal Gall ist der Hauptspeicher und der oberste Anlageteil der Engadiner Kraftwerke. Er liegt fast ganz auf italienischem Territorium. Dies bedingte vorausgehend umfangreiche Verhandlungen und Verträge mit dem Nachbarstaat. Die grosse Staumauer steht mit ihrem rechten Teil in der Schweiz, mit dem linken in Italien. Der verhältnismässig schmale See reicht mit einem Arm 9,5 km weit ins Livignotal und mit dem anderen 4,5 km weit ins Gallotal hinein. Wo die beiden Täler zusammenkommen und das Spöltal beginnt, sperrt die 540 m lange und 130 m hohe Betonbogenmauer das Tal ab und staut einen See mit 164 Mio. m3 auf. Ein anderer Sperrentyp hätte bei der gegebenen Höhe weit in den oberen Teil der Spölschlucht hinuntergereicht und wäre auch teurer zu stehen gekommen. Nur durch die Wahl einer solchen kubaturarmen Sperre war es möglich, alle Anlageteile ausserhalb des Nationalparks zu plazieren und diesen territorial unberührt zu lassen. Die Zufahrtsstrasse führt von der Ofenpassstrasse her durch einen 3,4 km langen, den Nationalpark unterfahrenden Tunnel zur Mauer und über diese hinweg weiter ins Livignotal nach Italien. Vom Stausee Punt dal Gall gelangt das Wasser durch den 7,6 km langen Druckstollen zum unterirdischen Wasserschloss Ova Spin. Von dort aus dringt es durch den Druckschacht zu den 200 m tiefer liegenden Turbinen der Zentrale Ova Spin und in das Ausgleichsbecken. Zentrale Ova Spin 1970 Das Werk Ova Spin liegt versteckt in der engen Spölschlucht. Die Anlage besteht aus der Staumauer, dem Maschinenhaus und dem Stausee des Spöls. Der Stausee reicht am Rande des Nationalparks etwa 4 km weit in die schmale, unwegsame Schlucht hinein. Ursprünglich hatte man, um auch hier den Nationalpark möglichst unberührt zu lassen, die Anlage Ova Spin, als Kavernenzentrale geplant. Durch die neuartige Entwicklung von reversiblen Pumpenturbinen konnte aber die benötigte Fläche für die Maschinengruppen minimalisiert werden, so dass das Maschinenhaus vor der Staumauer in der engen Schlucht doch Platz fand. Gestaut wird der Spöl durch eine 73 m hohe Bogenmauer. Die Maschinenzentrale Ova Spin steht unmittelbar davor am Fusse der Mauer, eingeklemmt zwischen schroffen, steilen Felswänden. Über das flache Dach des Maschinenhauses hinaus ragt der riesige Hochwasserüberlauf. Steigt der Wasserspiegel zu hoch, fällt das Wasser über die Zentrale hinweg tosend in die Tiefe. Wie eine mächtige Nase stülpt sich der Überlauf aus der Mauer heraus. Die Fenster der Zentrale sind zwischen Betonstützen und Betonträger in die enge Schlucht hinunter gerichtet. Das Konzept der Anlage ist derjenigen der Zentrale Bärenburg der Kraftwerke Hinterrhein ähnlich. Auch dort sind Zentrale und Staumauer als ein einziges Bauwerk ausgelegt. Bei der Anlage Bärenburg allerdings sind Staumauer und Maschinenhaus auch konstruktiv ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 ein einziges System, im Gegensatz zu Ova Spin, wo Staumauer und Zentrale zwei voneinander unabhängige Konstruktionen sind. Die Mauer ist eine zweifach gekrümmte Bogenstaumauer, die auch unabhängig von der Zentrale allein stehen könnte. Die Tragkonstruktion der Maschinenhalle besteht aus acht Betonscheiben von 70-80 cm Wandstärke Mauer und Zentrale ruhen auf einem gemeinsamen, 15 m hohen, in den Schluchtgrund gepfropften Fundamentblock. Durch die Verbindung von Bogenstaumauer, Maschinenhaus und Hochwasserüberlauf zu einem Bauwerk entstand ein kompliziertes technisches Gebilde. Es ist zum grössten Teil in Ortsbeton konstruiert. Die Tektonik ist auf die grossen, geschwungenen, kahlen, und glatten Betonflächen minimalisiert. Alle Sichtbetonwände sind gleich gestaltet und verschmelzen zu einer organischen Einheit, so, dass das Bauwerk als einzige monolithische Form aus Beton wirkt. Mit expressivem Ausdruck, plastisch und fast tierhaft sitzt es zuunterst in der- Schlucht. Dabei waren die Form, Lage, Dimension und das Baumaterial der Staumauer, des Fundamentes und des Maschinenhauses aus rein technischen, funktionellen und wirtschaftlichen Bedingungen heraus gegeben. Der Hochwasserüberlauf, die Staumauerkrone und die Maschinenhausfassade wurden von Konrad Metzger, dem Architekten in der Motor-Columbus AG, so gestaltet, dass sich die drei Bauteile zu einer Einheit verbinden. Das Gebäude erscheint unantastbar und in sich abgeschlossen und weist keine gesellschaftliche oder sonst im Kraftwerkbau übliche baulichen Repräsentationen auf. Es gibt keine Ankunftsfassade, keinen klar ersichtlichen Eingang, keine teuren Materiallen. Das Gebäude ist nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Ein direkter Zugang zur Halle von aussen ist unmöglich. Der Eingang befindet sich in einem von der Mauer und vom Maschinenhaus losgelösten, unscheinbaren Nebengebäude. Von hier aus gelangt man mit einem Lift 43 m tiefer in einen 75 m langen, weit geschwungenen Zugangstunnel zum Maschinensaal. Dort befinden sich mit den zwei Erregergruppen der Motorgeneratoren nur die Spitzen der Maschinengruppen, Motorgeneratoren und Pumpturbinen befinden sich in den unteren Geschossen. Verloren stehen die zwei verkleideten, im Gegensatz zum ganzen Generator kleinen Maschinenteile in der grossen Halle. Waren in früheren Werken die dröhnenden Maschinen in der Halle ausgestellt und überblickbar, sind sie nun in den Untergeschossen verborgen. Die Maschinen werden von Pradella aus ferngesteuert. Die grossen Fenster zwischen den massiven Betonstützen bestehen aus bläulichem, undurchsichtigem Industriesicherheitsglas und reichten ursprünglich ohne Brüstung von der Decke bis auf den Böden. Nur durch kleine Fenster auf Augenhöhe werden Ausblicke in die felsige Schlucht frei. Wegen der knappen Donnerstag 29.11.01 Ansicht Schnitt Grundriss ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Freitag 30.11.01 Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Platzverhältnisse in der engen Schlucht mussten die vielen Nebenräume auf sechs Stockwerke verteilt werden. Jeder Maschinenteil hat seinen eigenen abgeschlossenen Raum, um Eigenschwingungen zu verhindern. Durch die Konzeption von Zentrale rnit Überlauf, und Mauer als zwei voneinander unabhängigen Konstruktionen entstehen im Gebäude aussergewöhnliche Zwischenräume. Die «Fugen» zwischen der konkaven Bogenmauer, dem Kubus des Zentralengebäudes und dem geschwungenen Hochwasserüberlauf zeigen die drei Teile als konstruktiv voneinander getrennt ausgebildete Elemente. Zwischen den nach zwei Seiten gekrümmten Bogenmauer und der geradlinigen Hinterseite des Zentralengebäudes entsteht ein sehr hoher, schmaler Raum. Der Hochwasserüberlauf wird von grossen, massiven Betonträgern gestützt, die als Rahmenkonstruktion frei sichtbar sind. Es entsteht so, als Negativ der «Speiernase», ein zweiter grosser Innenraum. Diese Zwischenräume sind reine Resträume der Ingenieurskonstruktion, funktionslos, unheimlich und faszinierend zugleich. Aus: C. Clavot und J. Ragettli, «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», Chur 1991 ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 Albignawerk Löbbia Albigna Albignawerk Löbbia Albigna, 1956 Architekt: Gebrüder Pfister Ingenieur: Ingenieurbüro für bauliche Anlagen Bauträgerschaft: Stadt Zürich Albignawerk Löbbia Die Gewichtsstaumauer auf dem Hochtalboden Albigna stellt das Hauptbauwerk der oberen Ausbaustufe des Bergells dar. Bis zu 400 Arbeiter wurden allein für diese eine Baustelle eingestellt. An den steilen Bergflanken wurden die für den Bau notwendigen Installationen wie Kräne, Steinbruchanlagen, Silos, Transportbahnen, Unterkünfte für die Arbeiter, Strassen, etc. errichtet. Eine riesige Baustelle veränderte, 750 m über dem Talboden, den Horizont zwischen dem Piz Balzetto und dem Spazzacaldera. Grosse Mengen Zement mussten von weit her transportiert werden, zum Beispiel von Unterterzen am Walensee oder aus Fabriken im Kanton Aargau. Der Antransport erfolgte in Behälterwagen der SBB bis Landquart, wo der Zement auf Wagen der RhB umgeladen wurde. Zwischen Landquart und St.Moritz verkehrten, täglich mehrere, nur mit Zement beladene Extrazüge. Der Strassentransport von St.Moritz über den Malojapass zu den im Mittel etwa 30 km entfernten Verbrauchs- oder Umladestellen im Bergell erfolgte mit Lastwagen und Anhängern. Wegen der schwierigen topographischen Verhältnisse war es unmöglich, eine Zufahrtstrasse zur Baustelle hinauf zu errichten. So wurden in Pranzaira zwei Seilbahnen für den Personen-, Bauteile- und Zementtransport und bei Vicosoprano eine Schwerseilbahn für die vollbeladenen Lastzüge hinauf nach Sasc Prümavaira erstellt. Die Stelle für die Errichtung einer grösseren Staumauer auf der Alp Albigna war durch topographische und geologische Verhältnisse vorgezeichnet. Da die Talflanken an der Abschlussstelle relativ flach ansteigen, kam nur der Typ einer Schwergewichtsmauer in Frage. Dies bedeutet eine im Querschnitt im Prinzip dreieckige Mauer, deren Eigengewicht ausreicht, um das aufgestaute Wasser zurückzuhalten. Im Vergleich zur maximalen Mauerhöhe von 115 m ergab sich eine sehr weite Kronenlänge von 750 m. Die topographische Ausbildung der beiden Talflanken bedingte eine dreimalige Brechung der Mauerachse im Grundriss; die beiden Mauerflügel sind gegen Süden abgeschwenkt. Die Mauer ist durch rechtwinklig zur Mauerachse angeordnete Fugen in insgesamt 43 Betonblöcke von 20 oder 15 m Breite und am Fusse bis zu 80 m Tiefe und bis 110 m Höhe unterteilt. Im mittleren hohen Mauerteil sind die Blockfugen im Mauerinnern zu 5 m breiten Hohlräumen ausgeweitet. Dies erlaubte eine bessere Ableitung der Abbindewärme des Betons während des Baus und verminderte die Betonkubatur wesentlich. Das Innere der Mauer betritt man zwischen Block 11 und 12 durch einen kleinen Eingang am Fusse der Mauer und kommt, durch einen kurzen, engen Stollen, in den ersten dieser unglaublich grossen Hohlräume. Diese sind im Querschnitt dreiecksförrnig, bis 70 m tief, bis 80 m hoch und nur 5 m breit. Im Grundriss an den Extremen und in der Schräge spitzen sich die Hohlräume zu. Ungefähr alle 18 m übereinander sind horizontale Kontrollgänge angelegt. Diese durchkreuzen in der seeseitigen Spitze der Blockfugen die Hohlräume Staumauer Albigna Querschnitte, Ansicht und Grundriss ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 und bilden in diesen mit Gitterrosten kleine Balkone. Man schreitet über endlose Treppen durch enge Stollen im Mauerinnern, und alle 15-20 m betritt man einen der dunkeln und unheimlichen Zwischenhohlräume. Die gigantischen, bergkathedralenähnlichen Innenräume sind nur durch das spärliche und fahle Licht von wenigen Glühbirnen beleuchtet. Wassertropfen gleiten in feinen Streifen an den glatten, dunklen Seitenwänden hinab, und die feuchten Mauern glänzen schwarz. In Rinnen gefasst, fliessen sie als kleine Bächlein einem unsichtbaren Abfluss zu, den man von Weitem her durch die endlosen Gänge rauschen hört. Wenn man die Mauer durchschreitet, ändern sich die Dimensionen der Hohlräume im Mauerinnern. Sie werden immer kleiner, je weiter man hinaufsteigt. Die Beziehung zwischen Bauwerk, und Landschaft, der Aufbau der Mauer, ihre Logik, die Form und die Abmessungen sind so auch im Innern eindrücklich erlebbar. Man steigt immer weiter hinauf, bis man schliesslich die Tür des Wärterhauses auf der Mauerkrone öffnet und sich im blendenden Sonnenlicht, am Rande eines weiten Sees, umgeben von mächtigen, vergletscherten Bergen, wiederfindet. Das Gletscherwasser gelangt durch einen am Fusse der Staumauer beginnenden Druckschacht zum Wasserschloss nach Murtaira, oberhalb Löbbia, und von dort, parallel zu demjenigen von der Fassung der Orlegna im Val Forno, sehr steil hinunter zur Zentrale Löbbia. Diese wurde zuunterst im langgestreckten Talboden von Casaccia erstellt. Hier befand sich ein Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 geeigneter Standort, um das Wasser auf die rechte, nördliche Talseite zu überführen. In einer Ausgleichskammer im dort zusätzlich errichteten Stauwehr vermischt sich das Wasser aus der Turbinenauslaufkammer mit demjenigen der Maira, die dort zusätzlich gefasst wird, und wird dann in einem Druckstollen Richtung Zentrale Castasegna weggeleitet. Die Halle steht längs des südlichen Ufers der Maira. Der betonierte Sockel des Gebäudes und das Stauwehr, sind rechtwinklig zusammengebaut. Ein Steg führt entlang der Maschinenhalle über das Wasser. Durch eine riesige Glasfront öffnet sich die Maschinenhalle auf den See. Die grossen Felder zwischen der Betonrahmenkonstruktion sind mit bleichen, grünlichen Glasbausteinen ausgefüllt. Die rasterartige Fassade wirkt sehr rational und, weil die Glasbausteinfenster bündig von den Betonpfeilern und Eisenrahmen eingefasst sind, sehr flächig. Ein Industriegebäude, das sich im selbst erschaffenen Weiher spiegelt. Wenn die Turbinen in Betrieb gesetzt werden, spritzt eine riesige Wasserfontäne, die durch einen momentanen Überdruck erzeugt wird, aus dunkeln, im Betonsockel eingelassenen Öffnungen über den bis anhin friedlichen See hin. Dann beginnt das ganze Gebäude zu dröhnen und zu vibrieren, bis im Maschinensaal eine Maschine nach der andern ihre Arbeit aufnimmt. Man kann erahnen, welche riesigen Kräfte hier mobilisiert werden. ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’ Allgemein Montag 26.11.01 Dienstag 27.11.01 Mittwoch 28.11.01 Die grosszügige Wirkung der Seeseite wird durch die geschlossene Ausbildung der Rückseite und Querseite unterstützt, wo die weiss verputzten Wände nur mit schmalen Lüftungsöffnungen versehen sind. Die Gebäudekontur der Querfassade widerspiegelt die Form des Querschnittprofils und drückt die Orientierung des Gebäudes auf den Fluss hin aus. Die niedrigeren Nebengebäude, in denen sich die Schieberkammern, die 11-kV-Schaltanlage, die Werkstatt und der Kommandoraum befinden, sind der dominierenden Maschinenhalle längs und quer angeordnet. Es entsteht eine Gesamtform, die die funktionelle Zweiteilung und die Hierarchie Halle-Nebengebäude sichtbar werden lässt. Die Gebäudekontur, das alles überdeckende Dach und die Einheitlichkeit in den Materialien bilden das Volumen, die Gerichtetheit und den Zusammenhalt der verschiedenen Funktionsteile. Nur auf der nördlichen Querseite löst sich das Nebengebäude von der einheitlichen Gesamtform, indem es aus dem Volumen hervortritt und zum Zugang hin wie ein separates Haus mit eigenem, flachem Satteldach und Fensterbändern erscheint. Dieser Gebäudeteil ist architektonisch vom sonstigen maschinellen und industriellen Gewand der Zentrale eigenartigerweise losgelöst. Im Innern dominiert ebenso die Maschinenhalle das ganze Gebäude. Die Dimensionen der Maschinen ergeben die Gliederung des Innern von den Stützen der Konstruktion bis zur feinsten Profilierung der Decke. Ähnliche Lösungen dazu finden sich bei den Zentralen in Grono (1965), Bärenburg (1963) oder Ova Spin (1970). Die Maschinen sind mitten im Saal auf dem glänzenden Tonklinkerplatten-Boden aufgestelllt. Durch die tiefliegenden, niedrigen Fenster erreicht nur wenig direktes Sonnenlicht das Innere der Halle. Der grösste Anteil des Lichtes wird durch die riesigen Glasbausteinflächen gebrochen, und die ganze Halle wird durch ein gleichmässiges, grünlich schimmerndes Licht erhellt. Der ingenieurtechnische Aufbau der Zentrale wurde vom Donnerstag 29.11.01 Freitag 30.11.01 «Ingenieurbüro für bauliche Anlagen» der Industriellen Betriebe der Stadt Zürich konzipiert. Die architektonische Gestaltung lag in den Händen der Architekten Gebrüder Pfister in Zürich. Für die Unterbringung des Betriebspersonals wurde ungefähr fünf Kilometer weiter talauswärts, am Rande des Dorfes Vicosoprano, 1955 eine Wohnsiedlung erstellt. Diesen Standort zog man wegen des rauhen Klimas, der Schulverhältnisse und des Dorflebens dem einsamen Ort am unteren Ende der windigen Ebene von Casaccia vor. Die zwei Reiheneinfamilienhäuser à fünf Einheiten stehen, kaskadierend versetzt, parallel zum Berghang nahe am Ufer der Maira. Die zwei Reihen folgen durch die Staffelung in Höhe und Gebäudetiefe den Geländelinien und betten sich so ins bestehende Terrain. Den architektonischen und räumlichen Zusammenhalt und Abschluss der Siedlung sowie der Quartierstrasse bildet das 1956/1963 erbaute Schulhaus. Die ganze Anlage wurde von Architekt Bruno Giacometti gebaut. Wie bei allen Wohnsiedlungen des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich dominiert der Ausdruck der Gemeinschaft und des Zusamrnenarbeitens der Bewohner: die Wohnsiedlung bildet im Dorf eine abgeschlossene Einheit. Sie löst sich vom Dorf durch Situierung, Grösse und Typologie der Gebäude, durch eine andere Formensprache und Motivwahl und wird rundherum durch einen alles einschliessenden Zaun ganzheitlich umgeben und zusammengehalten. Die Häuser erscheinen durch ihre zurückhaltende, schlichte Gestaltung und durch die geordnete Aneinanderreihung der einzelnen Elemente neben den grossen, majestätischen Palazzi in unmittelbarer Umgebung als barackenartige Arbeitersiedlung. Aus: C. Clavuot und J. Ragettli, «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», Chur 1991 ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’