metaphysik des betons - Andrea Deplazes

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metaphysik des betons - Andrea Deplazes
METAPHYSIK
DES BETONS
Seminarwoche vom 26.11. bis 30.11.01
ETH Zürich
Departement Architektur
Professur Andrea Deplazes
Gastdozent Christian Kerez
Allgemein
Montag 26.11.01
Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Inhalt
Inhalt
Programm
Teilnehmer
Referenten
Literaturangaben
Andrea Deplazes: «Metaphysik des Sichtbetons»
Beton - Der Baustoff
Beton - Prozess
Beton - Sichtbeton Oberflächen
Beton - Systeme - Strukturen
Beton - 10 Regeln für die Betonherstellung
Heizkraftwerk Aubrugg
Kernkraftwerk Leibstadt
Talsperren
Staumauer Lucendro, Airolo
Kraftwerkanlagen Wägital, Zentrale Siebnen
Salginatobelbrücke
Sunnibergbrücke
Staumauer Ova Spin
Staumauer Albigna
Die Seminarwoche wird freundlicherweise unterstützt von:
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
Freitag 30.11.01
Allgemein
Montag 26.11.01
Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Programm
Montag 26. November 2001
Mittwoch 28. November 2001
08.15 Uhr Landesmuseum
09.00 Uhr
Jürg Ragettli: «Kraftwerkbau und Betonbautechnik»
Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv
08.30 Uhr
Andrea Deplazes: «Metaphysik des Betons»
Vortrag, Saal Landesmuseum
Betonwerk Mülligen
Besichtigung Kiesgrube, Betonwerk in zwei Gruppen
Staumauer Lucendro, Airolo
Besichtigung und Referat Jürg Ragettli
Ankunft Zürich ca. 19.00 Uhr
Mittagessen Kantine Zementwerk Siggenthal
(Einladung Holcim)
Zementwerk Siggenthal
Besichtigung Steinbruch, Zementwerk in zwei Gruppen
Vorträge:
«Zementsortiment»
Schwerpunkt farbliche Gestaltung des Betons»
«Selbstverdichtender Beton»
«Recycling-Beton»
Donnerstag 29. November 2001
08.00 Uhr
Heinrich Schnetzer (Ing.): «Brückenbau»
Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv
Zentrale Siebnen des Kraftwerks Wägital
Besichtigung und Referat Jürg Ragettli
Ankunft Zürich ca. 18.00 Uhr
Salginatobelbrücke Schiers
Besichtigung mit Heinrich Schnetzer
Dienstag 27. November 2001
08.30 Uhr
Joseph Schwartz (Ing.): «Beton aus der Sicht des
Ingenieurs»
Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv
Sunnibergbrücke Umfahrung Klosters
Besichtigung und Referat Andrea Deplazes
Busfahrt ins Engadin
Nachtessen und Übernachtung
Hotel Crusch Alba, Zernez
Tibor Joanelly: «Beton»
Vortrag, Bibliothek Haus Konstruktiv
Heizkraftwerk Aubrugg
Besichtigung und Referat Architekt Pierre Zoelly
14.00 Uhr
Kernkraftwerk Leibstadt
Besichtigung Kühlturm in vier Führungen
19.00 Uhr
J.L. Godard: «Opération béton»
Film, Saal Kuoni Haus, Zürich
Freitag 30. November 2001
Staumauer Ova Spin, Zernez
Besichtigung und Referat Jürg Ragettli
Staumauer Albigna, Vico Soprano
Besichtigung und Referat Jürg Ragettli
Busfahrt nach Zürich, ev. Zwischenhalt in Chur
Ankunft Zürich ca. 20.00 Uhr
20.00 Uhr
Nachtessen Restaurant Reithalle, Zürich
Kurzfristige Änderungen sind aufgrund der
aktuellen Wetter- und Strassenverhältnisse
möglich.
Stand 21.11.01
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
Allgemein
Montag 26.11.01
Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Teilnehmer
Lehrstuhl Prof. Andrea Deplazes
Prof. Andrea Deplazes
Nik Biedermann
Kamenko Bucher
Alois Diethelm
Natalina Di Iorio
Christoph Elsener
Christine Enzmann
Eva Geering
Martina Hauser
Sergej Klammer
David Leuthold
Urs Meister
Patrik Seiler
Christoph Wieser
Lehrstuhl Gastdoz. Christian Kerez
Christian Kerez
Tamara Bonzi
Tibor Joanelly
Peter Siegrist
StudentInnen
Annen Marius
Fraefel Laura
Furger Silvan
Gatermann Christoph
Hahn Anja
Heer Jakob
Junker Beat
Kast Andreas
Käslin Simon
Keller Chris
Kern Michael
Kuetgens Eric
Kulstrunk Matthias
Kister Andrea
Lamoth Tibor
Lins Herwig
Lutz Corinna
Muggli Bodo
Pfaffhauser Silvia
Penkov Andreas
Reber Michael
Renker Philipp Daniel
Sarioni Alessandro
Stäheli Sandra
Stolz Adrian
Thomet Reto
Tochetti Simone
Umbricht Michael
von Ballmoos Anina
Wieders Torsten
Wülser Charles Jules
ETH Zürich, Departement Architektur, Professor Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
Freitag 30.11.01
Allgemein
Montag 26.11.01
Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Referenten
Tibor Joanelly
dipl. Architekt ETH/SIA
Joseph Schwartz
Dr. sc. techn. dipl. Bauingenieur ETH
1967 geboren in Zürich
1993 Diplom an der ETH Zürich
2000 Assistent bei Meinrad Morger und Andrea
Deplazes
2000 Architekturbüro und freie publizistische Tätigkeit
in Zürich
2001 Assistent bei Christian Kerez
ETH Zürich, Diplom dipl. Bauingenieur ETH
Dissertation ETH Zürich: «Bemessung von Mauerwerkswänden und Stahlbtonstützen unter Normalkraft»
Forschung Fachwerkmodelle zur Bemessung von Stahlbetonbalken und -scheiben
Lehraufträge ETH Zürich, Zentralschweizerisches Technikum Luzern, Interkantonales Technikum Rapperswil
seit 1991 Partner Ingenieurbureau Frei & Schwartz,
Baar
Projekte im Brückenbau und Hochbau, Experten- und
Prüfingenieurmandate
Jörg Ragettli
dipl. Architekt ETH/SIA, Chur
1961 geboren, aufgewachsen in Chur
1988 Diplom an der Architekturabteilung der ETH Zürich
bei Prof. Fabio Reinhart und Miroslav Sik
1992 Mitautor des Buches „Die Kraftwerkbauten im
Kanton Graubünden“
ab 1993 selbständig
ab 1997 Präsident des Bündner Heimatschutzes
ab 2000 Forschungsprojekt „Architektur und Technik
der Wasserkraftwerke in der Schweiz“
Heinrich Schnetzer
Dr. sc. techn. dipl. Bauingenieur ETH
1958 geboren
Lehre als Stahlbetonzeichner
FHBB Muttenz, Diplom dipl. Bauingenieur HTL
ETH Zürich, Diplom dipl. Bauingenieur ETH
Assistent von Prof. Dr. Menn, ETH Zürich
Oberassistent von Prof. Dr. Marti, ETH Zürich
Dissertation ETH Zürich: «Stochastische Baustoffmodelle
für Beton»
seit 1998 Teilhaber und Mitglied Geschäftsleitung WGG
Schnetzer Puskas Ingenierure AG, Basel
Projektierung von diversen Brücken im In- und Ausland
Zusammenarbeit an diversen Projekten mit Herzog und
de Meuron Architekten
Pierre Zoelly
Architekt AIA BSA SIA
1923 geboren
Seit 1961 führte er sein Architekturbüro in Zürich und
Zollikon. Nach dem Diplom als Architekt an der ETHZ
studierte und arbeitete er in den USA. Er lehrte an der
Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania,
der Ohio State University in Columbus, Ohio und nach
seiner Rückkehr in die Schweiz an der ETH Zürich und
der EPF Lausanne. Zusammen mit seinem langjährigen
Mitarbeiter Karl Holenstein, und dem Amerikaschweizer
Werner K. Rüegger gründete er 1992 die ZRH Zoelly
Rüegger Holenstein Architekten AG, aus welcher er sich
Ende 1995 zurückzog.
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Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Literaturangaben
Beton
«Betonpraxis, Der Weg zum dauerhaften Beton», Holcim
Schweiz AG, 3. Auflage 2001
Kurt Hermann / Ernst Honegger: «Baustoff Beton» Teil 1,
Ausgangsprodukte, Technische Forschung und
Beratung für Zement und Beton, Wildegg 1999
René Walther: «Bauen mit Beton», Berlin 1997
Max Herzog: «150 Jahre Stahlbeton», Berlin 1999
Roland Schmitt: «Die Schalungstechnik; Systeme, Einsatz und Logsitik», Berlin 2001
Kraftwerke
Conradin Clavuot und Jürg Ragettli: «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», Chur 1991
Dieter Geissbühler: «Barrages dans l’éspace alpin, De la
transformation des Alpes», in «Faces» No.22, 1991
Gesellschaft für Ingenieurbaukunst: «Wasserkraft in der
Schweiz», Katalog zur Ausstellung, Basel 1998
Salginatobelbrücke
Max Bill: «Robert Maillart, Bridges and Consructions»,
New York 1969
David P. Billington: «Robert Maillart Builder, Designer,
and Artist», New York, Melbourne 1997
David P. Billington: «Robert Maillart’s Bridges, The Art of
Engineering» Princeton 1979
David P. Billington: «Robert Maillart und die Kunst des
Stahlbetonbaus», Zürich und München 1990
Gesellschaft für Ingenieurbaukunst: «Robert Maillart
Betonvirtuose», Katalog zur Ausstellung, Zürich 1996
Sunnibergbrücke
Thomas Vogel und Peter Marti (Hrsg.): «Christian Menn
Brückenbauer», Basel Boston Berlin 1997
«SIA», 44, 1998
«Domus», Juni 2000
Festungen
Maurice Lovisa: Celui qui tient le dessous a le dessus,
La fortresse du Saint-Gothard», in «Faces», No. 29,
1993
Max Mittler (Hrsg.): «Forts et fortrifications en Suisse»,
Lausanne 1993
Heizkraftwerk Aubrugg
Pierre Zoelly: «Werkstattbericht 2», Austellungskatalog
ETH Zürich 1978
Pierre Zoelly: «Terratektur», Basel 1989
Markus Peter: «Heizkraftwerk Aubrugg» in: Irma Noseda:
«Bauen an Zürich», Zürich 1992
Pierre Zoelly: «Elemente einer Architektursprache», Ba
sel 1998
Staumauer Lucendro, Airolo
«Werk» 11/1945 (Zentrale)
«Bulletin technique de la Suisse Romande» No. 20,
29.09.45
«Rivista Tecnica» 11/1945
«Schweizerische Bauzeitung», 124. Jg., S.307
Kraftwerkanlagen Wägital
«75 Jahre Kraftwerke Wägital», in: Marchring,
Gesellschaft für Volks- und Heimatkunde der
Landschaft March, 37/1997, Lachen 1997
«Das Kraftwerk Wägital», Bericht der Bauleitung 1930
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Zur Metaphysik des Sichtbetons
Andrea Deplazes
Schalungsbild
sägerohe Bretter
Rohbauten in Stahlbeton prägen den Alltag unserer
Städte. Wann immer es möglich ist, setzt die Bauindustrie dieses Konstruktionsmaterial ein. Es ist relativ
kostengünstig im Vergleich zu anderen Baumethoden,
denn der Arbeitsfortschritt auf der Baustelle ist effizient
und bedarf (scheinbar) keiner hochwertigen Spezialisten
für die Verarbeitung. Stahlbeton ist schlichtweg zum
Baumaterial des 20.Jahrhunderts geworden – und zum
Inbegriff massloser Bautätigkeit: die «Verbetonierung
der Umwelt» ist ein sprichwörtliches Schimpfwort, das
die gnaden- und nicht selten sinnlose Zerstörung von
Landschaft, Natur und Lebensraum anprangert.
Je weniger vom Stahlbeton allerdings wahrnehmbar
ist, wenn er also nur als «konstruktives Zweckmaterial»
für entsprechende Ingenieur- oder eben Rohbauten eingesetzt und später noch verputzt wird, umso eher
scheint er akzeptiert zu sein (ob aus Resignation oder
Desinteresse ist gleichviel, denn oft scheint sich keine
konkurrenzfähige Alternative zum Beton anzubieten).
Ganz anders verhält es sich mit dem Stahlbeton, der
sichtbar in Erscheinung treten soll, mit dem sogenannten «Sichtbeton».
Kurze Abschweifungen zur Morphologie
Anlässlich eines Vortrags über die «Morphologie des
Architektonischen» an der ETH Zürich unterschied der
Architekturtheoretiker Kenneth Frampton, im Rückgriff
auf die beiden grundlegenden Theoretiker Eugène
Viollet-le-Duc und Gottfried Semper, die Entwicklung
architektonischer Formen aus den Ursprüngen von «earthwork» und «roofwork», oder mit den architekturtheoretischen Begriffen Stereotomie (Massivbau) und Tektonik
(Filigranbau). Während dem «Erdwerk» alle Bautechniken des massiven Mauerbaus angehören - Lehmbau
also, Pisé und Adobe, Ziegel- und Steinmauerwerk
usw., und ihre stereotomischen Formen wie Mauerscheibe, Bogen, Gewölbe und Kuppel - so umfasst das
filigrane «Dachwerk» alle stab- und rutenförmigen
Strukturen - gewebeartige Flechtwerke, welche als
Raumüberspannungen, als «Decken» (Bedeckungen
also) und als «Dach» den Raum vertikal begrenzen.
Dazu gehört der Holzbau mit seinen geschichteten und
gestrickten Fügungen genauso wie seit etwa 1800 der
industrielle Stahlbau.
Die Prinzipien der Strukturbildung im Filigranbau
waren nicht neu. Man kannte sie vom anonymen und
traditionellen Holzbau her: Kegel- und Sphärenkuppeln
aus geraden und gebogenen Stäben, vertikale Stabschichtungen (Strickbau), zwei- und drei-dimensionale
Rahmenwerke (Riegel-, Fachwerk-, Ständerbau), horizontale Balkenlagen für Deckenkonstruktionen, sowie
Dachkonstruktionen (Pfetten-, Sparrendächer und
Sprengwerke) gehörten zum täglichen Handwerk des
Zimmermanns. Sie fanden vor allem Anwendung, wo die
Ressource Holz verfügbar und leichtes Baumaterial bei
mittleren Spannweiten gefragt war. Im Gegenzug nahm
man in Kauf, dass der Werkstoff Holz im Unterschied
zum Massivbau organisch und somit vergänglich ist
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(Pilzbefall, Fäulnis, Brand). Aus diesen Gründen hat der
Holzbau nie den stereotomischen Massivbau ernsthaft
konkurrenziert oder gar verdrängt.
Erst mit der Durchsetzung der industriellen Stahlbautechnologie werden die bis dahin unangezweifelten
tektonischen Grundlagen der abendländischen Architektur in Frage gestellt: während im Fall des Massivbaus
die Massenschwere des Erdmaterials seinen architektonischen Ausdruck im Archaischen, bisweilen Monumentalen der Stereotomie findet, so wird im andern
durch fast vollständige Auflösung von Masse und Massivität (sog. Sublimation) das gerade noch fassbare
Gerüst oder Gitterwerk eines luftigen Phantomvolumens,
das abstrakte cartesianische Raster eines Filigranbaus
in den Luftraum gezeichnet (z.B. Bauten von Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, wie der Crystal Palace in
London oder der Eiffelturm in Paris. Zu letzterem siehe
auch die gleichnamige Publikation von Roland Barthes).
Aufklärung
Die Sache lag zu der Zeit in der Luft: Das der Erde
zugeschriebene mythische Geheimnis, das in der Tiefe
des ungestalteten, amorphen Erdbreis dräuende Unterbewusstsein stand gegen die plötzliche, rationale Klarheit einer beherrschbaren, wissenschaftlich dekodierbaren Struktur – (etwa zu der Zeit, als die Freud’sche Psychoanalytik die Unzugänglichkeit der menschlichen Psyche mittels wissenschaftlicher Methodik unvermittelt in
ihre klarste Auslegeordnung zergliederte. Von da an
wurde die Existenz eines «Unterbewusstseins» bewusst.)
Den Schritt vom Stahlbau zum Stahlbetonbau um
etwa 1900 könnte man als nur folgerichtig in der Kette
der Entwicklung wissenschaftlicher Technologien bezeichnen, wären da nicht einige äusserst merkwürdige
Eigenheiten, die dem seit etwa 1900 überall verfügbaren Werkstoff Stahlbeton anhaften.
Um es zu bemerken, müssen wir uns von der heute
üblichen pragmatischen Sichtweise distanzieren. Nur
schon die Bezeichnung «Sichtbeton» lässt aufmerken:
Sofern es den unsichtbaren Beton nicht gibt - was wird
dann am Beton sichtbar? Und wenn der Stahlbeton
nicht sichtbar, sondern als «konstruktives Zweckmaterial» eingesetzt wird – wie wirkt er sich auf die
Entwicklung und Gestaltung von «Form» aus?
Tadao Ando
Koshino House, Ashiya, 1980
Oberfläche
Am Sichtbeton wird sichtbar - die Betonoberfläche.
Diese scheinbar lapidare Feststellung wird bedenkenswert im Vergleich zum Sichtmauerwerk: Das Sichtmauerwerk zeigt die Ordnung und Logik des Gefüges
der Mauersteine, der Verfugung und die Präzision und
Abfolge des Arbeitsprozesses. Der Mauerverband ist
demnach mehr als die Summe seiner Teile, sein Gefüge
wird als aesthetisches Ornament wahrgenommen, das
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einen «wahren Sachverhalt» festhält oder abbildet. Louis
Kahn argumentierte, das Ornament habe sich, im
Gegensatz zur Dekoration, die eine Applikation ist, eine
«fremde» Hinzufügung also, immer aus tektonischen
Schnittstellen entwickelt bis zu seiner Verselbständigung
oder Eigenständigkeit (durch Transformation von Materialien und Emanzipation von ursprünglich konstruktiven
Funktionen). Vor dem Hintergrund einer solchen kulturellen Auffassung bedeutet Aesthetik: Schönheit ist der
Glanz des Wahren. (Mies van der Rohes’ Interpretation
von Augustinus, auf die moderne Baukultur angewandt)
Im Gegensatz dazu verhüllt der Sichtbeton - oder
besser: die zwei bis drei Millimeter dünne Betonzementhaut - seine innere konglomeratische Beschaffenheit.
Der Sichtbeton legt sein Innenleben nicht frei, sondern
verbirgt seine Tiefenstruktur unter einer äusserst dünnen Oberfläche. Sie abstrahiert und entzieht, was für die
Sinne nachvollziehbar wäre: das Verständnis, wie der
Beton zusammengemischt ist und «wie er wirkt». Und
so wird er nicht als natürlicher Baustoff wahrgenommen, der er tatsächlich ist, sondern als «künstliches,
kontaminiertes Aggregat».
Schalung
Während also aus dem Inneren des Betonkonglomerats
keine sichtbaren «Gestaltungskräfte» an die dünnhäutige Oberfläche dringen, so zeigt sie trotzdem Textur Spuren eines Bauwerks, das nicht mehr vorhanden ist:
die Schalung. Alles, was am Sichtbeton noch feststellbar
ist, sind «Fingerabdrücke». Der Begriff Textur gehört
zum selben Wortstamm wie Text oder Textil, Gewebe
also, und verweist somit auf das, was im voraus mit
Filigranbau bezeichnet wurde. Die Schalung aus Holz
oder Stahl gehört in diese Kategorie der Tektonik. Sie ist
gerade in den Anfängen der Stahlbeton-Technologie
eine selbständige, meist kunstvolle Zimmermannsleistung auf Zeit (z.B. Richard Corays Lehrgerüstbauten für
Brücken). Schalung und Beton bilden ein scheinbar
unauflösbares Junktim.
Da der Beton, um geformt zu werden, in eine Schalung gegossen werden muss, stellen sich drei Fragen:
Ist nicht jeder Beton am Schluss Sichtbeton? (wie klassifizieren wir die Qualität der Betonoberfläche?) Nach
welchen Kriterien entwickelt sich die Form der Schalung? (wie wirkt sich Material und Technik des
Schalungsbaus auf die Gussform des Betons aus?) Ist
es nicht sonderbar, ein ephemeres Bauwerk (Filigranbau) zu erstellen, um daraus ein anderes (Massivbau) zu
generieren? (durch welche Eigenschaften ist der Beton
an seine Schalung gebunden?)
Inkrustation
Die römischen Baumeister versuchten, dieser metamorphischen Unfassbarkeit dadurch entgegenzuwirken,
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dass sie das Wesen des Betons «offenlegten», indem
sie seine pragmatische Komponente, das lapidare
Gemisch aus Kies, Sand und Zement, kaschierten: das
opus caementitium ist ein Verbundwerk aus «verlorenen» Mauerschalen in Stein oder Ziegel und innerem
Kern aus Schüttgut von Beton. Beton ist ja nichts anderes als das Material der Mauerschalen in verschiedenen
Korngrössen, versehen mit geeigneten Bindemitteln wie
gelöschtem Kalk oder Zement, das mit Wasser zu einem
formlosen Brei vermengt wird. Es ist offensichtlich, dass
wir es wie beim Lehmbau mit einer der ursprünglichsten Schöpfungen des Erdwerks zu tun haben: Der
formlose Erdbrei wird im aufgeschichteten Steinbau
ausgewiesen. Diese Form des Sichtbetonbaus hat sich
z.B. mit den Viadukten der Rhätischen Bahn bis in
unsere Zeit erhalten. Es ist die Verleihung sichtbarer
Form und Ausdruck für ein Materialgemisch, das keine
eigene Formqualität besitzt, im Sinne einer «Interpretation» des Betonsediments durch die Technik der
Inkrustation: eine Art «verlorene, steinerne Schalung»
aus Naturstein- oder Ziegelmauerwerk, die gleichzeitig
als sichtbare Oberfläche eine gestaltprägende Kruste
bildet.
Rudolf Olgiati
Haus Dr. Allemann, Wildhaus, 1968
Transformation
Der andere, bereits angesprochene Weg einer «Strategie des Schalungsbaus» führt über den Holzbau und
die Zimmermannskunst, also über die Tektonik, die ihre
eigenen konstruktiven Gesetzmässigkeiten kennt und
von daher bereits den Formfindungsprozess des
Betongusses beeinflusst. Dem Holz ist zudem ein vergänglicher, provisorischer Charakter eigen, der die Verwendung von Holzschalungen zu präjudizieren scheint.
Es gehört in unserem Weltbild offenbar zum ethischen
und religiösen Verständnis von Natur und Leben, dass
Dauerhaftigkeit nur über Vergänglichkeit und laufende
Erneuerung (Optimierung) zu erreichen sei.
Damit wird, bewusst oder nicht, ein Transformationsprozess ausgelöst, denn die Übertragung des Holzbaus auf den Steinbau ist ein weiteres grundlegendes
Thema der morphologischen Entwicklung in der abendländischen Architektur. Obwohl wie beim Beispiel antiker
Tempel die Gesetzmässigkeiten des Steinbaus angewendet werden, bleiben die Formen ursprünglicher
Holzbautechnik als ornamentale Stilelemente sichtbar,
oder anders ausgedrückt: der technologischen Immanenz, die drängend voranschreitet, steht die kulturelle
Permanenz widerspenstig entgegen.
Nicht anders beim Sichtbeton, wo im simplen Vorgang des Ausgiessens der Schalung der Abdruck eines
Holzbauwerks manifest wird, obwohl der in seiner
Schale erstarrte und erhärtete Betonbrei nichts mit Holz
zu tun hat und alles andere als ephemer ist. Ein glatter
Widerspruch zur plastisch-kubischen Form eines
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«Beton-Räumlings», der überdies wie aus Stein gegossen scheint?
Monolith
Die monolithische Wirkung von Sichtbeton lässt ein
Bauwerk wie ein bearbeiteter Rohling oder eine Plastik
erscheinen, ein Werkstück also, das durch Subtraktion
von Materie aus einem Block gewonnen wird. Dies
gelingt besonders dann sehr gut, wenn die Arbeitsspuren des Betoniervorgangs, die Betonetappen, unterdrückt werden oder in der dichten Textur der Schalungsspuren untergehen. Diesem Charakter steht in Tat
und Wahrheit eine Vielzahl additiver Arbeitsprozesse
entgegen!
Die Qualität der Schalung bzw. ihre Beschaffenheit
kann den Charakter des ganzen Bauwerks entscheidend
mitprägen: Mal ist sie rauhfaserig, ungehobelt, mit
undichten Stossfugen und der Beton grob mit Kiesnestern versetzt, sodass mitunter doch das Konglomeratartige eines Sedimentgesteins und die Metapher
eines archaischen Findlings spürbar wird, wie beim
«Haus Allemann» in prekärer Topografie von Rudolf
Olgiati. Mal ist sie hautartig glatt, sodass die Schalungsstösse wie Zeltnähte erscheinen und dem Sichtbeton
jede «Schwere» entziehen wie im «Koshino House» von
Tadao Ando, wo die kaum wahrnehmbare Unebenheit
der Schalung und die «Überzähne» des Betons der
Wand im Streiflicht textile Stofflichkeit oder sogar «keramische Zerbrechlichkeit» verleihen.
Hybrid
Wir gingen von einer pragmatischen Arbeitstechnik aus
und finden ein unerwartet komplexes Resultat: Das
Bauwerk als schwerer Monolith stellt den einen dialektischen Pol unserer Betrachtungen dar, indem es die
wesentlichen Eigenschaften der Erdwerk-Komponente
des Sichtbetons festhält: Masse, Schwere, Plastizität,
Körper, Dichte, Druck. Folglich, so vermuten wir, müsste
die andere dem «Filigranwerk» entstammen, und dementsprechend liessen sich daraus neue Formfindungskriterien ableiten. Die Kombination von Beton und Stahl
führt im Grunde zu einem einzigartigen Hybridstoff, bei
dem der Beton für Druckfestigkeit, der Stahl aber in
Form eines Armierungsnetzes, eines tensilen Geflechts
mit einem Minimum an Materialaufwand, für Zugfestigkeit sorgt. Stahlbeton weist als einziger Werkstoff
diese materielle und ideelle Bipolarität auf, wobei die
Zuweisung «hybrid» zu korrigieren ist: Die beiden morphologischen Komponenten existieren, sich gegenseitig
ergänzend, auf unterschiedlichen «BewusstseinsEbenen», sozusagen in ständiger Wechselwirkung oder
Transposition von einem System ins andere, vom
bewusst Wahrnehmbaren ins Unterbewusste, und
umgekehrt. (Im Gegensatz zum Beispiel zum reinen
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Stahlbau, der im selben Tragelement Druck und Zug
aufnehmen kann). Die Aussenform des erstarrten
Betons ist sinnlich erfahrbar (Optik, Haptik, Akustik
usw.) und hat jede dumpfe Metaphysik, die ihm im
embryonischen Zustand als Erdbrei anhaftete, abgestreift. In ihn eingebettet schlummert jedoch das cartesianische Netzwerk der Armierung, dem Auge vollständig entzogen. Seine Anwesenheit manifestiert sich in
der Aussenform nur mittelbar. Es ist lediglich erahnbar
und «spürbar», indem gerade die filigransten Tragwerke
in Sichtbeton die Gesetze der Physik ausser Kraft zu
setzen scheinen: Der ehemals schwere, massige Monolith verliert seine Erdverbundenheit und verwandelt sich
in sein pures Gegenteil, in ein stabförmiges Raumgitter
z.B., eine blattartige Schale, eine vertikale Stapelung
von dünnen Platten und Tragstäben usw..
In der Architekturtheorie von Carl Bötticher wurden
diese beiden «Bewusstseinszustände» definiert als
«Kunstform» (aussen, kulturell konnotiert, Tektonik) und
«Kernform» (innen, Funktion, Newton’sche Physik). Als
gestalterische Bemessungsregel wurde die möglichst
schlüssige Übereinstimmung der beiden Formen
moniert, wobei der «Kern» als „wahrer Sachverhalt“, von
innen nach aussen reflektierend, mit seiner kunstvoll
gefertigten Hülle oder Oberfläche verschmelze und sich
darin verpuppe und somit sichtbare Gestalt annehme
(Ikonographie).
Diese Theorie und der Umstand, dass der Beton von
der rationellen Verfügbarkeit der Schalung abhängig ist,
kommt der wissenschaftlichen, ingenieurmässigen Betrachtungsweise des Kräfteflusses tief unter der Oberfläche entgegen. Es handelt sich nämlich - technologisch bedingt! - um die Verinnerlichung vormals sichtbarer tektonischer Formkriterien (z.B. die Veranschaulichung von Last und Stützung im Formenkanon des
antiken Tempelbaus), um eine Inversion von Form und
Kern, sodass die Form aussen bereinigt und dadurch
abstrahiert wird (Beispiel: Morphologie der Säule). Der
vormals sichtbare Ausdruck des tektonischen Kräftegleichgewichts an der Form wird wie ein umgestülpter
Handschuh nach innen gekehrt und rationalisiert im
Modell dreidimensionaler Spannungstrajektorien, dem
die Verdichtung und Bündelung der Armierung möglichst folgt und zu entsprechen sucht.
Erich Mendelsohn
Einsteinturm, Potsdam, 1914
Knochenbauten
Hier liegt die Quelle eines Konsens, den Ingenieure zur
äusseren Formfindung von Tragwerken wie z. B. bei
Brücken oder Tunnelgewölben gerne vortragen, wenn
sie die komplexe Logik des Kräfteflusses als «Motor für
die Form» behaupten. Tatsächlich entwickelt sich die
Form jedoch viel öfter z. B. nach dem massgebenden
kritischen Querschnitt eines statischen Bauteils und
nach der ökonomisch einfachsten Verfügbarkeit des
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Schalungsmaterials. Dieses ist mittlerweile vom «verlorenen» zum «wieder-verwendbaren» mutiert und prägt
dem Bauprozess einen geordneten Ablauf (Schalungsetappen) und dem Bauwerk die Spuren der Modularität
von Schaltafeln und Grossflächenschalungen in Stahlblech auf. Der Kräftefluss wird jedoch entsprechend der
auftretenden Kräftekonzentrationen durch Verdichtung
und Verteilung der Armierung tief im Beton drin organisiert, was sich höchst selten in der äusseren Form ausprägt.
Die auf diese Weise entstandenen filigranen Strukturen scheinen der reinsten Wissenschaft zu entspringen, getragen vom Geist des Rationalismus, der mit
Kalkül, Geometrie, Ordnung und Abstraktion operiert.
Folgerichtig versucht man, am Sichtbeton alle «irdischen» Spuren zu beseitigen, ihn aus seiner primitiven
Vergangenheit als «Erdwerk» zu einem glatten, nahtlosen, von keinem Arbeitsprozess verschmutzten Artefakt
zu transzendieren.
Aufschlussreich ist auch der Begriff «Knochenbauten», den ich von verschiedenen Ingenieuren zur
Charakterisierung ihrer Brückenbauwerke hörte. Während im einen Fall eine vollständige, elementare Versachlichung «von innen nach aussen» gemeint war, die
sich nur durch äusserste Abstraktion der Form und die
Reduktion auf das nackte Traggerüst in Form einfacher
geometrischer Elemente manifestiere, wird im anderen
eine biomorphe Analogie zum Skelett beschrieben. Der
Knochenbau der Natur entwickelt sich jedoch selbstorganisierend entlang einem Netzwerk aus Spannungstrajektorien. Seine Form ist das unmittelbare Resultat
daraus unter Berücksichtigung der Position seiner Teile
im statischen und dynamischen Gesamtsystem
«Skelett». Solche kongruente Übereinstimmungen von
Ursache und Wirkung, Kraft und Form, sind im
Sichtbetonbau aus bereits genannten Gründen nicht
durchsetzbar und auch selten sinnvoll.
Befreiter Beton
Eine weitere Eigenheit ist zu diskutieren: der Beton als
Gemisch (Amalgam) hat keine implizite – kann also jede
denkbare Form annehmen. Genauso besitzt das
Stahlgewebe der Armierung keine zum Voraus festgelegte Begrenzung, keinen «Rand». Dies impliziert die
Möglichkeit freier, biomorpher Formbarkeit von Stahlbeton, ähnlich, wie wenn man einen Klumpen Ton von
Hand modelliert. In Tat und Wahrheit muss im Fall des
Stahlbetons dazu aber die «Sperrigkeit» der Schalung
überwunden werden, die ihr eigenen Gesetzmässigkeiten eines tektonisch starren Gefüges. Das ist zwar
machbar mit den Mitteln der Verleimungstechnologie im
heutigen Holzbau (Formsperrholz) oder mit Kunstfasertechnik, aber unter dem Diktat der Ökonomie schwierig.
(Beispiel: Observatorium «Einsteinturm» von Erich Men-
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
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Mittwoch 28.11.01
delsohn, projektiert in Stahlbeton, ausgeführt schlussendlich als verputzter Backsteinbau).
Bleibt nur eine letzte Konsequenz: der Beton müsste
von seiner Schalung - diesem tektonischen, technologischen und ikonografischen Korsett - befreit werden!
Das flexibel biegbare, relativ stabile Armierungsnetz und
Spritzbeton (sog.«Gunnit») bieten die Mittel dazu. Allerdings hat der Einsatz dieser Technik als Sichtbeton bisher keine nennenswerten Spuren in der Architektur
hinterlassen - bis auf ein paar klägliche Ausstaffierungen provinzieller Landdiscotheken. Dort wird der befreite
Sichtbeton allerdings wieder in sein primitives
Ursprungsgebiet zurückgeführt - als Metapher der
dumpfen, platonischen Erdhöhle.
Fazit
1. Obwohl die Gestaltung und die Formentwicklung
des Sichtbetons mit rationalen und technischen Gründen belegt wird, finden laufend irrational anmutende
Bauprozesse statt.
2. Der Sichtbeton ist der Endzustand verschiedener
Transformationsprozesse und Metamorphosen, die
Spuren hinterlassen haben (Eine Art «Gedächtnis» oder
memoria vorheriger Aggregatszustände).
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Literatur
Carl Bötticher: «Die Tektonik der Hellenen», Potsdam
1852
Louis I. Kahn: «Die Architektur und die Stille. Gespräche
und Feststellungen», Basel 1993
Fritz Neumeyer: «Ludwig Mies van der Rohe. Das
Kunstlose Wort. Gedanken zur Baukunst», Berlin
1986
Werner Oechslin: «Stilhülse und Kern: Otto Wagner,
Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen
Architektur», Zürich 1994
Gottfried Semper: «Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten..., 1. Band, Frankfurt a.M. 1869,
2. Band, München 1863
Eugène Viollet-le-Duc: «Definitionen. Sieben Stichworte
aus dem Dictionaire raisonné de l’ architecture»,
Basel 1993
Urs Widmer: «5 Schweizer Brückenbauer: Othmar H.
Ammann, Richard Coray, Guillaume-Henri Dufour,
Hans Ulrich Grubenmann, Robert Maillart», Zürich
1985
Roland Barthes: «Der Eiffelturm», München 1970
3. Zwischen Aussenform und «Innenleben» herrscht
eine prekäre Kongruenz. Die dünne Oberfläche des
Sichtbetons spielt dabei selten die Rolle der ikonografischen Vermittlerin.
4. Die Qualität der Betonoberfläche charakterisiert
das Gesamtbauwerk im Rahmen seiner architektonischen Thematik. Sie tendiert entweder zur Archaik oder
zur Abstraktion.
5. Form ist per Definition die bereits erfolgte
Synthese verschiedener Einflussparameter, wobei die
technologische Immanenz der kulturellen Permanenz
selten entspricht.
6. Die Betonform ist relativ inert gegenüber dem
inneren Kräftefluss: Dieser wird entweder als konstruktiv-ideelles Gleichgewichtssystem interpretiert oder als
naturwissenschaftlich-reelles Spannungsmodell gelesen.
7. Jeder Beton zeigt eine Sicht.
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Beton
Der Baustoff
Normalbeton wird im allgemeinen durch Mischung
von Zement, Wasser und Zuschlagstoffen (Sand,
Kies) in folgendem Mischungsverhältnis hergestellt:
Kiessand 0 - 32 mm 2’000 kg/m3
Portlandzement PC 250 - 400 kg/m3
Wasser
150 kg/m3
Rohdichte Beton
2400-2550 kg/m3
Je nach gewünschten Eigenschaften bei der
Verarbeitung sowie nach der Verfestigung können
diese Gemische variieren.
Frischbeton soll folgende Eigenschaften haben:
• Ieichte Verarbeitbarkeit - gute
Verdichtungswilligkeit
• geschmeidige Konsistenz - leichte Verformbarkeit
•gutes Zusammenhaltevermögen - geringe
Entmischungsneigung
• gutes Wasserrückhaltevermögen - keine Neigung
zum Bluten
standteil, der wegen seiner Reaktionsfähigkeit mit
Wasser festigkeitsbildend wirkt.
sen Homogenisierungssilos bis zur weitgehenden
Gleichmässigkeit durchmischt wird.
Betonrezeptur
Bei der Festlegung der Zusammensetzung des
Betons, der sog. Betonrezeptur, geht es vor allem
um die Optimierung
• der Verarbeitbarkeit des Betons,
• seiner Festigkeit,
• seiner Dauerhafigkeit,
• der Kosten seiner Herstellung.
3. Brennen des Rohmehls zu Klinker
Der Brennprozess bei rund 1450 °C ist ein zentraler Schritt bei der Zementherstellung. Bevor das
Rohmehl in den Drehrohrofen eingeleitet wird,
durchströmt es den Wärmetauscherturm und wird
dabei auf fast 1000 °C vorgewärmt. Als glühender
Klinker verlässt das Brenngut den Ofen und wird
anschliessend rasch mit Luft abgekühlt. Als Brennstoff werden Kohle, Öl, Erdgas und vermehrt auch
Alternativbrennstoffe wie z.B. Altholz oder Trockenklärschlamm eingesetzt.
Zement
Zement ist ein hydraulisches Bindemittel. Darunter
versteht man einen Stoff, der nach dem Anmachen
mit Wasser sowohl unter Luft als auch unter Wasser
erhärtet.
Herstellung
Bei der Herstellung von Zement gilt es, das RohgeDie Anforderungen an den Festbeton sind folgende: stein bezüglich Korngrösse und Zusammensetzung
• gute Festigkeit
aufzubereiten, es bis zum Sintern zu brennen und
• homogenes, dichtes und gleichmäßiges Betongeschliesslich das gebrannte Produkt zum feinen,
füge
mischbaren und reaktionsfähigen Zementpulver zu
• geschlossene und einheitliche Oberflächenstruktur zerkleinern. Grundsätzlich können vier Produktions• Beständigkeit gegen Witterung und äussere Einstufen bei der Herstellung von Zement unterschieflüsse
den werden:
Die obengenannten Frischbetoneigenschaften stehen in engem Verhältnis zu den Mengenanteilen von
Zuschlägen, Mehlkorn, Zement, Wasser und
Zementleim. Bei Änderung einer dieser Einflussgrössen ändern sich auch die Frisch- und Festbetoneigenschaften.
1. Abbau und Brechen des Rohgesteins
Zu einer Tonne Portlandzement braucht es gut
anderthalb Tonnen Rohgestein in der Form von
Kalkstein und Mergel oder Ton, denn während des
Brennens wird Kohlendioxid und Wasser aus dem
Rohgestein ausgetrieben.
Im Steinbruch wird das Rohgestein im Brecher
auf Faustgrösse vorzerkleinert.
Zusammensetzung des Beton
Der Beton besteht sowohl hinsichtlich seiner Masse
als auch hinsichtlich seines Volumens hauptsächlich
aus Zuschlag. Etwas anders sieht es aus, wenn man
die sog. innere Oberfläche, d.h. die addierten
Oberflächen sämtlicher Teilchen des Betons, betrachtet. Hierbei überwiegt der Anteil des Zements
bei weitem. Der Zement ist auch der einzige Be-
2. Mischen und Mahlen des Rohgesteins zu
Rohmehl
Bei diesem Verfahrensschritt erfolgt das Zusammenfügen der verschiedenen Rohmaterialkomponenten, damit die richtige chemische Zusammensetzung erreicht wird. In Mühlen wird das Gestein
weiter zerkleinert und gleichzeitig getrocknet. Es
verlässt die Mühle als feines Rohmehl, das in gros-
4. Mahlen des Klinkers mit Gipsstein und
Zusatzstoffen zu Zement
Damit aus dem Klinker ein reaktionsfähiges
Produkt entsteht, wird er in einer Mahlanlage
zusammen mit wenig Gipsstein als Erstarrungsregler
gemahlen. Je nach Zementart wird beim Mahlen ein
Teil des Klinkers durch mineralische Zumahlstoffe
(Kalkstein, Silicastaub, Hüttensand [granulierte
Hochofenschlacke], Steinkohlen-FIugasche) ergänzt,
wobei sogenannte Portlandkompositzemente entstehen.
Unter Anmachwasser versteht man die gesamte im
Frischbeton enthaltene Wassermenge, die bei der
Ermittlung des Wasser/Zement-Wertes zu berücksichtigen ist. Das Anmachwasser setzt sich zusammen aus:
• dem Zugabewasser
• der Oberflächenfeuchte der Zuschläge, ggf. dem
Wasseranteil der Betonzusatzmittel und
Zusatzstoffe
Das Anmachwasser hat zwei betontechnologische
Aufgaben. Es wird einerseits für die Hydratation des
Zementes, andererseits für die Herstellung eines
plastischen, gut verdichtungswilligen Betons benötigt.
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
Unter Zuschlägen versteht man in der Regel ein
Gemisch aus Sand und Kies unterschiedlicher
Korngrösse. Das Gemisch aus Einzelkomponenten
bildet das Gerüst des Betons und sollte möglichst
hohlraumarm aufgebaut sein. Der Zuschlag beeinflusst die meisten Eigenschaften des Betons, allerdings im allgemeinen nicht so stark, wie nach seinem Volumenanteil angenommen werden könnte.
Ein qualitativ guter Zuschlag hat gegenüber dem
umgebenden, kittenden Zementstein verschiedene
Vorteile:
• Erstarrungsbeschleuniger: Sie bewirken durch
eine raschere Hydratation eine raschere Erhärtung,
sei es aus bauterminlichen Gründen (raschere
Weiterarbeit) oder für Spezialverwendungen wie z.B.
Spritzbeton.
• Luftporenbildner: Diese bewirken das Entstehen
von Mikroporen mit Luft (~0,3 mm). Diese unterbrechen die Kapillaren und können bei Frost ausgleichend wirken. Sie erhöhen also die Frostbeständigkeit.
Die wichtigsten Eigenschaften der Zuschläge sind:
• Rohdichte
• Schüttdichte (Raumgewicht)
• Feuchtigkeitsgehalt
• Gesteinsqualität, Kornform und
Oberflächenbeschaffenheit
• Sauberkeit
Korngrössenverteilung (Siebkurve) und
Kornfraktionen
Poröses und zu weiches Material beeinträchtigt die
Qualität des Betons. Die Kornform, in erster Linie,
aber auch die Kornabstufung und die Oberflächenbeschaffenheit bestimmen im wesentlichen die
Verdichtbarkeit und den Wasserbedarf.
Die Praxis hat gezeigt, dass Zuschlaggemische mit
ausschliesslich gebrochenen Kornfraktionen ge-
Der Einsatz von Zusatzmitteln erfordert eine sorgfältige Abklärung und Planung. Eine Überdosierung
kann Entmischung, verstärktes Schwinden, Festigkeitsverluste etc. zur Folge haben.
Siebkurve
Der Kornaufbau eines Zuschlaggemisches wird
durch das Mengenverhältnis der einzelnen Kornfraktionen bestimmt. Durch Aussieben des Gemisches
mit genormten Maschen- und Quadratlochsieben
verbleibt auf jedem Sieb ein bestimmter Rückstand.
Diese Rückstände werden einzeln gewogen und in
Massen-% des Gemisches bei den entsprechenden
Sieblochweiten kumulativ aufgetragen. Dies ergibt
die Siebkurve des Zuschlaggemisches. (siehe Grafik)
Gemäss Norm SIA 162, 5 14 24 muss die Korngrössenverteilung bei gerundetem Kiessandmaterial
innerhalb des gerasterten Siebkurvenbereiches liegen, sofern die Siebkurve nicht durch Vorversuche
anders festgelegt wird.
Anmachwasser
Zuschlagstoffe
Zusammensetzung des Betons
•normalerweise höhere Festigkeit
• bessere Beständigkeit
• keine Volumenveränderung infolge Feuchtigkeit,
somit Reduktion des Schwindmasses im Beton
• Aufnahme von Hydratationswärme und damit
dämpfende Wirkung auf den Abbindeprozess
natürliche/kugelige kubische Körner
gebrochene stengelige/plattige Körner
brauchstauglich sind. Gebrochene Zuschläge können
die Druck-, Zug- und Abriebfestigkeit des Betons
verbessern, beinträchtigen aber seine Verarbeitbarkeit. Aufgrund der in der Schweiz nur noch beschränkt abbaubaren Kiesablagerungen (Ausscheidung von Kiesgewinnungszonen) müssen künftig
vermehrt gebrochene und rezyklierte Zuschläge eingesetzt werden.
Die Korngrössenverteilung ist zusammen mit der
Oberflächenbeschaffenheit, der spezifischen Oberfläche und der Kornform der Einzelkörner massgebend für den Wasserbedarf und deshalb eine der
wichtigsten Zuschlagseigenschaften. Der Kornaufbau
muss ein hohlraumarmes Korngemisch und eine
optimale Verdichtbarkeit (hohe Dichte = gute Qualitätseigenschaften) gewährleisten.
Zusatzmittel werden in den relevanten SlA-Normen
meist nur nebenbei erwähnt. In diesen wird in der
Regel nicht zwischen Zusatzmitteln und Zusatzstoffen unterschieden; es wird nur von Zusätzen
gesprochen.
Betonzusatzstoffe
gebrochene kugelige/kubische Körner
Betonzusatzmittel
natürliche stengelige/plattige Körner
Für den Einsatz von Betonzusatzmitteln gibt es wirtschaftliche und technische Gründe. Sie können es
ermöglichen, die Lohn- und Materialkosten zu senken. Durch ihren Einsatz lässt sich Energie einsparen und das Betonieren erleichtern. Bestimmte
Eigenschaften des Frisch- und Festbetons können
nur durch Verwendung von Betonzusatzmitteln
erreicht werden.
Definition und Klassierung:
Betonzusatzmittel sind in Wasser gelöste oder aufgeschlämmte Stoffe, die dem Beton beigemischt
werden, um durch chemische und/oder physikalische Wirkung die Eigenschaften des Frisch- oder
Festbetons, wie z.B. Verarbeitbarkeit, Abbinden
Erhärten oder Frostwiderstand, zu verändern.
Die moderne Bauchemie hat eine ganze Reihe von
Zusatzmitteln entwickelt, welche es gestatten, die
Eigenschaften des Betons zu beeinflussen:
• Verflüssiger, Fliessmittel: Diese erreichen, dass der
Beton bei gleichem Wasser/Zement-(W/Z)-Wert besser verarbeitbar wird, leichter streichbar etc. Sie
erlauben also das Arbeiten mit niedrigen W/Z Zahlen, was der Festigkeit zugute kommt.
• Stabilisierer: Sie verhindem eine vorzeitige Entmischung und erhöhen die Gleichmässigkeit.
Besonders erwünscht bei Sichtbeton.
• Erstarrungsverzögerer: Sie erreichen durch eine
Reaktionsverzögerung, dass der Frischbeton noch
viele Stunden nach dem Einbringenverdichtet werden kann und so Arbeitsfugen vermieden werden
können. Sie werden vor allem bei grossen massigen
und wasserdichten Betonbauteilen eingesetzt.
Betonzusatzstoffe sind sehr feinkörnige Zusätze, die
bestimmte Eigenschaften des Betons beeinflussen.
Dies sind vorrangig die Verarbeitbarkeit des Frischund die Festigkeit und Dichtigkeit des Festbetons.
Im Gegensatz zu Betonzusatzmitteln ist die Zugabemenge im allgemeinen so gross, dass ihr Anteil bei
der Stoffraumrechnung zu berücksichtigen ist.
In der Schweiz gebräuchliche Zusatzstoffarten sind:
• inerte Zusatzstoffe (reagieren nicht mit Zement
und Wasser):
Anorganische Pigmente, werden zum Einfärben von
Beton und Mörtel verwendet. Faserartige Stoffe
kommen insbesondere als Stahl-, Kunststoff- und
selten auch als Glasfasern zum Einsatz.
• puzzolanische Zusatzstoffe (reagieren mit bei der
Hydration entstehenden Stoffen):
tragen zur Festigkeitsbildung und auch zu höherer
Dichtigkeit des Zementsteins bei.
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Beton
Prozess
Bewehrung (Armierung)
Schalung
Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff aus Beton und
Stahl. Das Zusammenwirken dieser beiden
Baustoffe - Übernahme der Zugspannungen durch
die Bewehrung, Aufnahme der Druckkräfte durch
den Beton - erfolgt nicht additiv, sondern führt zu
einer neuen Tragqualität.
Beton bedarf, um die gewünschte Form zu erhalten,
einer Schalung.
Wird in auf der Baustelle gefertigte Schalung gegossen, entsteht „Ortbeton“; in Fabriken hergestellte
Betonteile werden als „vorfabrizierte Elemente“ bzw.
„Beton-Fertigteile“ bezeichnet.
Das Herstellen von Beton-Schalung ist mitunter
anspruchvollste Zimmermannsarbeit. Das Schalmaterial selbst muss eine ausreichende Stärke
haben. Die Schalung muss standfest verzimmert
und so abgestützt und ausgesteift sein, dass sich
beim Einbringen und Verdichten keine Massänderungen (Wölbungen und Verzerrungen) ergeben.
Profile von Bewehrungstäben
Die Stärke der Bewehrung wird auf Grund der statischen Berechnung durch Dimensionierung auf die
erhaltenen inneren Kräfte ermittelt. Zur Vereinfachung begnügt man sich damit, die Hauptarmierung
an den wichtigsten Punkten nach den grössten
Hauptzugspannungen zu richten.
Anordnung und Abstände von Armierungsstäben und
Armierungsnetzen erfolgen ausser nach statischen
Überlegungen auch mit Blick auf optimale
Ausschnitt Holzschalung mit Schalungsabstandhaltern
Verdichtungsmöglichkeiten, die Vibriernadel muss
zwischen den Eisen hindurch geführt werden könAlle Stoss- und Konstruktionsfugen sind mit geeignen.
neten Mitteln abzudichten. Die Schalung muss auf
beiden Seiten vollkommen dicht sein, damit beim
Grosse Sorgfalt gilt der Betonüberdeckung der
Verdichten ein Entweichen von Zementleim mit
Armierung. Fast alle Schäden an armierten KonSicherheit vermieden wird.
struktionen gehen auf mangelnde Eisenüberdeckung zurück, und nicht auf statische Schäden
oder Setzungsschäden. Stellen mit ungenügender
Überdeckung sind undicht und fördern die Korrosion
der Armierungsstäbe. Der Rost hat treibende
Wirkung, da die Oxydkristalle mehr Volumen benötigen als der Stahl. Die Sprengwirkung hat zur Folge,
dass die Betonüberdeckung rissig wird und den korrodierenden Einflüssen noch mehr Wege geöffnet
werden. Die Betonüberdeckung, d.h. der Abstand
zwischen dem obersten Armierungseisen und der
Schalungsoberfläche hängt von verschiedenen
Faktoren ab, sollte 2.5 cm aber nicht unterschreiten.
Eisenleger an der Arbeit
ca. 40 cm, maximale Länge ca. 500 bis 600 cm,
übliche Breite ca. 10 - 15 cm, übliche Länge bis ca.
300 cm.
Tafelschalung
Schaltafeln aus Holzwerkstoffplatten haben gegenüber den Holzbrettern erhebliche Vorteile. Sie sind
leichter und schneller zu verarbeiten (mit den Schaltafeln können gegenüber der reinen Bretterschalung
1/2 bis 2/3 der Montagekosten eingespart werden)
und haben eine längere Lebensdauer, da sich die
üblicherweise mit Kunstharzlack überzogenen
Platten beim Ausschalen leichter vom Beton lösen.
Format: Schaltafeln haben unterschiedlichste
Formate, die maximale Dimension richtet sich nach
der Verarbeitbarkeit auf der Baustelle. In der
Schweiz verbreitetes Format z.B. 50 x 200 cm bzw.
50 x 250 cm.
Modulschalung, Grossflächenschalung
Die Industrie bietet heute verschiedenste Schalsysteme an, die schnelles, grossflächiges Ein- und
Ausschalen erlauben: Modulare Elementraster für
Trägerplatten-Wandschalungen, Deckenschalungen
mit passenden Gerüstungen, selbsttragende Gleitund Kletterschalungen usw.
Um die wirtschaftlichen Vorteile von Modulschalungen mit den ästhetsichen Eigenschaften
anderer Schalungsarten zu kombinieren, werden
Modulschalungen heutzutage oft als Träger von
Bretterschalungen und ähnlichem verwendet.
Stahlschalung
Sichtbetonflächen werden im allgemeinen mit Holz,
Holzwerkstoffplatten oder Stahl eingeschalt. Auch
Faserzement (Eternit), Wellblech, Glas, Gummi oder
Kunststoffeinlagen finden Verwendung.
Stampfen:
rütteln die Schalung von
aussen
früher allgemein gebräuchliche Verdichtungsmethode
Vibrieren
Vibratoren sollen bis zur erforderlichen Tiefe schnell
Schalungsoberflächen
Durch das Schalungsmaterial (Holz, Holztafeln,
Sperrholz, Hartfaser, Faserzement, Stahl, Kunststoff)
und dessen Oberfläche (aufgerauht, sandgestrahlt,
gehobelt, geschliffen, kunststoffbeschichtet) wird die
Oberflächenstruktur bestimmt.
Durch die Glätte oder den Rauhigkeitsgrad der
SchaIung kann das gewünschte Hell oder Dunkel
der Sichtbetonfläche beeinflusst werden. So wird mit
einer völlig glatten Schalung ein hellerer Sichtbeton
erzielt, als mit einer rauhen Schalung.
Schalungshilfen
Schalungshilfen (Schalungstrennmittel,
Entschalungsmittel) sind Produkte wie Schalöl,
Wachs, Paste und Emulsionen, die auf die
Berührungsflächen zwischen Schalmaterial und
Beton aufgebracht werden, um beim Ausschalen ein
möglichst leichtes und beschädigungsloses Trennen
von Schalung und Sichtbetonfläche zu erreichen.
Zudem tragen sie zur Erzielung einer gleichmässigen Beschaffenheit der Betonoberfläche bei, schützen das Schalungsmaterial und erhalten seine
Einsatzbereitschaft.
Die Brauchbarkeit einer Schalungshilfe wird auch
von der Stoffart des Schalmaterials (Holz, Sperrholz,
Hartfaser, Asbestzement, Stahl, Kunststoff, Beton)
beeinflusst.
Saubere Sichtflächen verlangen völlige Homogenität
und dichte Struktur des Betons.
Der Frischbeton muss unverändert, d.h. ohne
Entmischung in die Schalung eingebracht und dort
gleichmässig verdichtet werden.
Bretterschalung
Bei Bretterschalungen werden vorwiegend heimische Hölzer, wie Fichte, Kiefer oder Föhre verwendet. Die Auswahl und Zusammenstellung der Schalbretter setzt einige Kenntnisse und Erfahrungen voraus. Gleichaltrige Schalbretter mit gleicher Holzdichte und Harzgehalt werden ein ähnliches Saugverhalten haben, harzreiche und harzarme Bretter
verhalten sich bereits beim Aufbringen von Schalhilfen (Schalöl, Schalwachs, Paste) unterschiedlich.
Mit neuen, stark saugenden Brettern eingeschalte
Sichtflächen werden einen anderen Helligkeitswert
bekommen, als Flächen, die mit alten oder bereits
mehrfach verwendeten Schalbrettern eingeschalt
werden.
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
Aussenvibratoren:
Verdichten
Ziel und Zweck der Verdichtung ist nicht nur das
satte Ausfüllen der Schalung, sondern auch die
beim Einbringen eingeschlossenen Luftblasen zum
Entweichen zu bringen, den Zementleim gut zu verteilen und durch dichte Lagerung der Zuschläge
eine möglichst hohlraumfreie Masse herzustellen.
Die Verdichtung gewährleistet zudem, dass der
Beton dicht an der Schalungsoberfläche anliegt und
somit die Bewehrung satt umschliesst.
Grossflächenschalungen
Verdichtungsmethoden:
Stochern:
mit Latten oder Stäben
Klopfen an Schalung: bei geringer Schalungshöhe
Vibrieren:
Standardmethode auf
Baustellen
Innenvibratoren:
werden in den Frischbeton
eingetaucht
Wird an vorhandene Betonflächen anbetoniert (sogenannte Arbeitsfugen), so sind die Kontaktflächen
gründlich aufzurauhen und zu reinigen; vor dem
Einbringen des frischen Betons sind diese Flächen
zu nässen. Insbesondere wenn die Arbeitsfuge wasserdicht sein soll, ist es zweckmässig, die anschliessende neue Betonschicht in fetterer Dosierung einzubringen oder mit Zementmörtel vorzulegen. Es
besteht auch die Möglichkeit, dem Beton der letzten
Schicht vor der Arbeitsfuge einen Abbindeverzögerer
beizugeben, der den Beton bis nach dem
Arbeitsunterbruch frisch erhält, so dass frisch auf
frisch weiterbetoniert werden.
Nachbehandlung
Verdichtung mit Latte (links) und
Vibriernadel (rechts)
eingetaucht und so langsam herausgezogen werde,
dass der Beton hinter der Vibriernadel wieder
zusammenfliesst.
Es ist unbedingt darauf zu achten, dass die
Vibratoren nicht mit der Schalungsoberfläche in
Berührung kommen.
Die Vibratoren sollen nicht zum Verteilen des Betons
verwendet werden, da damit die Gefahr einer
Entmischung verbunden ist. Entmischt sich ein
Beton unter dem Einfluss der Verdichtung, entstehen
deutlich erkennbare Strukturunterschiede, die möglicherweise auch als Kiesnester an der
Betonoberfläche sichtbar werden.
Der Beton darf nicht in zu grossen Schichthöhen
Einbringen und Verdichten des Betons
Holzschalung
Format: Die Dimensionen halten sich an das in
Massivholz mögliche. Zudem sollten sich die Bretter
unter der Feuchtigkeit nicht werfen. Maximale Breite
Stahlblechschalungen kommen bei Ortbetonausführungen seltener zur Anwendung, dagegen um so
mehr bei der Herstellung von Beton-Fertigteilen.
Durch ihre wiederholte Verwendbarkeit bei Serienfertigungen können die höheren Anschaffungskosten
zumeist wieder ausgeglichen werden.
Verdichtungsvorgang
eingebracht wird. Die Auflast zu hoher
Betonschichten könnte den frei werdenden
Luftblasen den Weg ins Freie versperren.
Arbeitsfugen
Eine der Grenzen, die der Anwendung von Ortbeton
gesetzt ist, besteht in der Unmöglichkeit, keine Fuge
zwischen erhärtetem und frischem Beton herzustellen. Zudem ist der wirtschaftlichen Maximalmenge
des Betons, die in einer Einbauschicht geschüttet
werden kann, durch den Betondruck eine Grenze
gesetzt. Der Betoniervorgang muss in Etappen
geplant werden, die durch Fugen begrenzt werden.
Lage und Form dieser Arbeitsfugen werden vom
Architekten zusammen mit dem Ingenieur bestimmt.
Im Hinblick auf die Unmöglichkeit, solche Fugen zu
verbergen, ist es ratsam, sie sorgfältig zu planen.
Das Erhärten des Betons ist nicht die Folge des
Austrocknens: Lässt man zu, dass ein Beton zu früh
austrocknet, so ist geringe Festigkeit das Ergebnis.
Ausblühungen sind mit Sicherheit zu erwarten, wenn
man den Beton mit Wasser besprengt. Dem Beton
muss seine eigene Feuchtigkeit erhalten bleiben,
das wird am besten durch Bedecken mit wasserundurchlässigen Planen erreicht. Diese müssen so
nahe wie möglich am Beton liegen, ohne ihn zu
berühren, wegen der dann gegebenen Gefahr der
Fleckenbildung.
Diese Verfahren sind aufwendig, guter Sichtbeton
verlangt jedoch eine sorgfältige Nachbehandlung.
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Beton
Sichtbeton Oberflächen
Oberflächenbeschaffenheit geschalter Betonflächen
Typ 1: Normale Betonfläche
Flächen ohne besondere Anforderungen:
- mit beliebiger Flächenstruktur
- ohne Nachbearbeitung von Graten und Überzähnen
Typ 2: Betonfläche mit einheitlicher Struktur
Flächen mit folgenden Anforderungen:
- einheitliche Flächenstruktur
- Brett- bzw. Tafelgrösse nicht vorgeschrieben
- mit Nachbearbeitung von Graten und Uberzähnen
Typ 3: Sichtbeton-Fläche mit Brettstruktur
Sichtbar bleibende Flächen mit folgenden Anforderungen:
- einheitliche Flächenstruktur ohne Uberzähne, Grate und
poröse Stellen
- durch Lufteinschlüsse verursachte Poren (Lunker) in
mässiger Anzahl sind zulässig
- möglichst gleichmässige Farbtönung
- Brettbreite konstant; Brettstösse nicht vorgeschrieben
- Brettrichtung einheitlich und parallel zur grösseren Ab
messung der Schalungsfläche
- glatte Schalbretter
Oberflächenbeschaffenheit nicht geschalter Betonflächen
3. Brettrichtung einheitlich und senkrecht zur grös
seren Abmessung der Schalungsfläche
4. Strukturbild gemäss Detailplan der geschalten Fläche
5. Verwendung von sägerohen Brettern
Typ 4: Sichtbeton-Fläche mit Tafelstruktur
Sichtbar bleibende Flächen mit folgenden Anforderungen:
- einheitliche Flächenstruktur ohne Uberzähne, Grate und
poröse Stellen
- durch Lufteinschlüsse verursachte Poren (Lunker) in
mässiger Anzahl sind zulässig
- möglichst gleichmässige Farbtönung
- Tafelgrösse konstant; Tafelstösse nicht vorgeschrieben
- Tafelrichtung einheitlich und parallel zur grösseren
Abmessung der Schalungsfläche
de rigorose Kontrolle der Arbeiten auf der Baustelle
oder eine tolerante Einstellung bezüglich der definitiven Qualität der Betonoberflächen.
Auf den Ausdruck des ausgeschalten Betons haben
neben der Oberflächenstruktur des Schalmaterials
vor allem die Schalungsfugen sowie die Schalungsabstandhalter massgebenden Einfluss. Diese Tatsache verlangt entweder minutiöse Planung aller
Fugen und Abstandhalterlöcher sowie anschliessen-
Sichtbeton
Grundsätzlich werden zwei Arten von Sichtbeton
unterschieden. Die Zementhaut, also die dünne
„Zementdeckschicht“ direkt unter der Schalungsoberfläche, wird entweder beibehalten oder entfernt.
Zementhaut bleibt erhalten:
Das Schalungsbild sowie die Schalungsabstandhalterlöcher bestimmen den Ausdruck. Für die Ausbildung der Schalungs-Stossfugen gibt es diverse
Möglichkeiten von „stumpf gestossen“ über „offene
Fuge“ bis zu Abdeckung der Fugen mit verschiedensten Leisten.
Die Abstandhalterlöcher werden nachträglich entweder mit Beton aufgefüllt, offen gelassen oder mit
Zapfen bzw. Deckeln verdeckt.
Zementhaut wird entfernt:
Mit handwerklicher steinmetzmässiger Behandlung
oder technischer Bearbeitung kann die Zementhaut
verändert oder vollständig entfernt werden. Die
Zementhaut wird abgebürstet oder abgespritzt, so
dass die Zuschlagstoffe freigelegt werden.
Hofmauer aus Ortbeton, mit Schaltafeln in der Grösse von TatamiMatten (91x182 cm) hergestellt.
Hofboden mit vorfabrizierten Bodenplatten belegt.
roh abgezogen
aufgerauht
3
4
5
6
7
abtaloschiert
abtaloschiert
abgeglättet
gerillt
Besenstrich
8
vakuumiert
z. B. mit Latte abgezogen
Oberfläche mit Besen oder Rechen
aufgerauht
ohne Mörtelbeigabe
mit Mörtelbeigabe
glatte, ebene, geschlossene Oberfläche
parallele Rillen gleicher Breite und Tiefe
rauhe Oberfläche mit vertikaler,
horizontaler oder Fischgrat-Struktur
Reduktion des w/z-Faktors am einge
brachten Beton durch Wasserentzug mit
tels Vakuumverfahren
stocken
6
schleifen
7
polieren
8
versiegeln
behämmern der Betonflächen mit speziel
lem Werkzeug, von Hand oder maschi
nell, zur Erreichung einer bis zu 5 mm
dicken Körnung
Fläche möglichst porenlos von Hand
oder maschinell geschliffen und mit Fluat
nachbehandelt, samt Wässern
Fläche auf Hochglanz geschliffen, Poren
gefüllt und nachgeschliffen
abdichten der Fläche gegen das
Eindringen von Wasser (farblos)
1
Waschbeton
2
sandstrahlen
3
4
abgespritzt
säuren
auswaschen von Feinanteilen in oberster
Schicht, um die gröberen Körner freizulegen
mechanische Aufrauhung, eine matte
Fläche ergebend und die Farbe des
Grundmaterials zeigend
mit Druckluft-Wasserstrahl abgespritzt
chemisches Aufrauhen, Kalkanteile entfer
nend und die Farbe des Grundmaterials
zeigend
Schalungsqualitäten gemäss Norm SIA 220
Oberflächenbeschaffenheit geschalter
Betonflächen
Tadao Ando
Konferenzpavillon, Weil am Rhein, 1993
1
2
4
Am erhärteten Beton bearbeitet:
Erhöhte Anforderungen sind wie folgt anzugeben:
1. Fugen abgedichtet
2. Stösse versetzt
3. Tafelrichtung einheitlich und senkrecht zur grös
seren
Abmessung der Schalungsfläche
4. Strukturbild gemäss Detailplan der geschalten Fläche
Erhöhte Anforderungen sind wie folgt anzugeben:
1. Fugen abgedichtet
2. Stösse versetzt
Rudolf Olgiati
Haus Dr. G. Olgiati, Flims-Waldhaus 1964-65
Am noch nicht erhärteten Beton bearbeitet:
handwerkliche Bearbeitung
- bossieren
- spitzen
- stocken
- scharrieren
technische Bearbeitung
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’
(Freilegung des Zuschlagkorns)
- strahlen (Sand, Stahlkugeln, Korund,
Wasser-Sand-Gemisch
- flammstrahlen
- auswaschen (Waschbeton)
- absäuern
mechanische Bearbeitung (nur Oberfläche)
- schleifen
- polieren
Oberflächenbeschaffenheit nicht geschalter Betonflächen
Nicht geschalte Oberflächen (Bodenflächen und
Mauerkronen) lassen sich in erhärtetem Zustand
bearbeiten wie geschalter Beton. In nicht erhärtetem
Zustand werden sie mit unterschiedlichsten
Werkzeugen behandelt.
Bretterschalung horizontal
Schalung aus 3 cm dicken Douglastannen-Brettern;
gerade Kanten, Bretter stumpf gestossen.
Bretterschalung horizontal
Schalung aus 18 cm breiten und 3 cm dicken DouglastannenBrettern;
gefaste (abgeschrägte) Kanten, Bretter satt gestossen.
Es bilden sich ausgeprägte, vorstehende Betongrate.
Tafelschalung vertikal
Schalung aus Schaltafeln mit Kunstharzlack;
(Louis Kahn, Salk Institute, La Jolla, California, 1959-65)
Waschbeton
Zuschlagstoffe durch Abspritzen freigelegt
Sandgestrahlte Oberfläche
Zuschlagstoffe durch Strahlen freigelegt
Gespitzte Oberfläche
Mittelgrob gespitzte Betonoberfläche
Farbe
Die Farbe des Betons wird einerseits durch die
Qualität des Betongemisches (Kies- und Zementqualität sowie zugegebene Farbpigmente) sowie
durch die Schalung (neue oder gebrauchte Schalung
sowie Qualität und Menge des Schalungstrennmittels) bestimmt.
Allgemein
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Dienstag 27.11.01
Mittwoch 28.11.01
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Beton
Systeme - Strukturen
Balken
Platten
Scheiben
Schalen
Bogen
Vorspannung
Dreigelenk-Bogen
Balken
Zweigelenk-Bogen
Scheibe
Flachdecke
(pilzlose Decke)
Unterzüge (Plattenbalken)
Schalen
Eingespannter
Bogen
Überzug
Faltwerk
Pilzdecke
Durchlaufender Rahmen
lineare, richtungsorientierte Strukturen
Balken:
• Vorteil heutzutage nur bei grossen Spannweiten
und gleichmässiger Belastung
• Schalung für Ortbeton aufwändig, Vorfabrikation
sinnvoll
Rippendecke, Kassettendecke:
• Aussparungen zur Gewichtseinsparung
• Verhältnis Oberfläche-Masse bauphysikalisch günstig (Speicherkapazität)
• vorfabrizierte Schalung zwingend,
Schalungsaufwand an Ort unwirtschaftlich
• Spannweite Rippendecke: 4 - 12 m frei aufliegend, 5 - 20 m durchlaufend
• Konstruktionsstärke Rippendecke: Platte 5 - 8 cm,
Rippe 30 - 60 cm
flächenwirksame, richtungslose Struktur (kreuzweise
Armierung)
ideal: Annäherung an Quadrat
Flachdecke:
• wirtschaftliche Spannweite: ca. 5 m frei aufliegend, 7 - 8 m durchlaufend
• Konstruktionsstärke: d/L 1/30 bei Rechteckplatten,
d/L 1/35 bei Quadratplatten
• hoher Materialaufwand in Relation zur Spannweite,
grosse Baufeuchtigkeit
• hoher Schalungs- und Spriess- (=Abstützungs-)
aufwand, deshalb auch Stützen oft vorfabriziert
Pilzdecke:
• sehr hoher Arbeitsaufwand sowohl für Schalung
wie für Bewehrung), heutzutage unwirtschaftlich
Statisch gesehen, werden Platten von äusseren
Kräften rechtwinklig zu ihrer Ebene beansprucht, sie
erhalten also vorwiegend Biegespannugen, während
Scheiben Kräfte in ihrer Ebene aufnehmen und
dadurch Normalspannungen widerstehen müssen.
Ein Bauteil kann sowohl als Platte wie als Scheibe
wirken: eine konventionelle Geschossdecke trägt
unter Nutzlast als Platte, unter Wind- und
Erdbebenwirkungen dagegen als Scheibe.
räumlich wirkende Statik
Betonschalen:
nur Druckkräfte, keine Zugspannungen
sehr dünne Konstruktionsstärken möglich
hoher Schalungsaufwand
Der Bogen ist ein gekrümmtes Stabtragwerk. Bei
beliebiger Belastung wird der Bogen auf Druck und
Biegung beansprucht. Bögen lassen sich als statisch
bestimmte (Dreigelenkbogen) oder statisch unbestimmte (Zweigelenkbogen) Systeme ausbilden.
Während im normalen Stahlbeton die Bewehrung
spannungslos eingelegt wird, baut man sie im
Spannbeton in angespanntem Zustand, mit sogenannter Vorspannung ein. Mit der Grösse der
Vorspannkraft lassen sich die Zugspannungen im
Beton vermeiden.
Faltwerke:
Faltwerke sind zueinander geneigte, ebene Flächen.
Die Flächen sind in den Kanten (Falten) schubfest
verbunden. Die Kräfte werden vorrangig durch
Scheiben- und Plattenwirkung abgetragen.
Eduardo Torroja
Mercado de Algeciras, ca. 1930
Betonschale, Spannweite 47.60 m, Dicke 9 cm
Livio Vacchini
Casa Vacchini, Contra, 1993
Spannbetondach, Spannweite ca. 15.60 m
Robert Maillart
Salginatobel-Brücke bei Schiers, 1929-30
Dreigelenkbogenbrücke als Kastenträger ausgebildet
Rippendecke
Tiefgarage, ca. 1960
Robert Maillart
Lagerhaus S. A. Magazzini Generali, Chiasso, 1924-25
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Hans Hofmann
Kraftwerk Birsfelden, 1953/54
Schnitt und Armierungsplan
Schnitt
Schnitt
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Beton
10 Regeln für die Betonherstellung
5 Zusätze können dem Beton zugegeben werden, um seine Eigenschaften im frischen bzw. erhärteten Zustand zu verändern.
Die wichtigsten Zusätze sind:
- Verflüssiger (Plastifizierungsmittel): sie verbessern die Verarbeitbarkeit
des Betons bzw. ermöglichen die Reduktion des Wassergehaltes und
damit eine bessere Betonqualitat.
- Beschleuniger und Verzögerer: sie beeinflussen Beginn und Dauer des
Abbindevorganges.
- Luftporenbildner: Sie erhöhen die Frostbeständigkeit. Bei Frost-Tausalz-Beanspruchung ist ihre Anwendung zwingend nötig. Für sehr
steifen Frischbeton sind Mikrohohlkugeln oft vorteilhafter.
- Zusatzstoffe: Filler und Flugasche ersetzen das fehlende Mehlkorn,
nicht aber den Zement, und verbessern die Verarbeitbarkeit. Hydraulischer Kalk (HK) wird ebenfalls als Zusatzstoff verwendet. Pigmente
dienen der Einfärbung.
6 Vor dem Betonieren soll die Schalung gründlich gereinigt werden.
Wasserlachen in der Schalung, übermässige Verwendung von Schalungsöl, Holzreste und Verunreinigungen aller Art beeinträchtigen das
Aussehen des Betons. Die Schalung soll dicht sein. Der Abstand von
Armierung und Schalung muss genügend gross und konstruktiv gesichert sein.
1 Beton entsteht durch Vermischen von Zement mit den Zuschlagstoffen Kies und Sand unter Zugabe von Wasser. Normalerweise enthält
1 m3 Beton 300-350kg Zement, ungefähr 2000 kg Zuschlagstoffe und
130-200 l Wasser. Je nach Verwendungszweck können dem Beton noch
Zusätze beigegeben werden (Zusatzmittel: etwa 0,5- 1O kg/m3, Zusatzstoffe: etwa 5-50 kg/m3).
Nach dem Anmachen muss der Beton innert kurzer Zeit eingebracht und
verdichtet werden.
2 Zement bildet zusammen mit Wasser den Leim, der zu Zementstein
erhärtet und die Zuschlagstoffe zusammenhält. Er ist pulverförmig und
wird deshalb dem Kies-Sand-Gemisch nach Gewicht zugegeben.
Im Trockenen kann Zement während Monaten gelagert werden. Wenn er
feucht wird, bildet er Knollen und wird unbrauchbar.
3 Zuschlagstoffe müssen sauber gewaschen sein. Verunreinigte,
schmierige und verkrustete Zuschlagstoffe sind ungeeignet. Schiefrige
und mergelige Bestandteile oder Glimmer beeinträchtigen die Betonqualität.
Die Zuschlagstoffe müssen eine geeignete, möglichst gleichbleibende
Kornabstufung aufweisen. Die maximale Korngrösse beträgt üblicherweise 32 mm.
4 Mit dem Wassergehalt wird die Betonqualität entscheidend beeinflusst: Je weniger Wasser, desto weniger Poren und desto besser die
Festigkeit, Dichtigkeit und Beständigkeit des erhärteten Betons.
Der Wassergehalt wird durch den Wasserzementwert (W/Z) charakterisiert. Dieser Wert errechnet sich aus dem Wassergewicht (Eigenfeuchtigkeit des Zuschlages plus Zugabewasser) geteilt durch das Zementgewicht.
Bei einem guten Beton liegt der W/Z-Wert zwischen 0,45 und 0,55.
Wasserzementwerte über 0,60 sind zu vermeiden. Sandreicher Beton
benötigt mehr Wasser als grobkörniger. Ein guter Beton enthält daher
mehr Kies als Sand.
7 Das Mischen des Betons ist wichtig für Qualität und Verarbeitbarkeit. Die optimale Mischdauer liegt über einer Minute. Eine Verlängerung
verbessert die Verarbeitbarkeit des Betons und wirkt günstig auf die
Sichtflächen. Zu kurzes Mischen wirkt ungünstig auf die Frisch- und
Festbetoneigenschaften.
8 Beim Transportbeton ist dafür zu sorgen, dass der Wasserverlust
während des Transports möglichst klein ist. Wird der Beton auf offenen
Lastwagen transportiert, so ist er abzudecken. Bei heisser Witterung
kann die auf der Baustelle verfügbare Verarbeitungszeit durch Wärmeeinwirkungen während des Transports stark reduziert werden. Eine
«Verdünnung» des Betons durch Wasserzugabe auf der Baustelle schadet dem Beton.
Transportbeton ist rechtzeitig und mit vollständigen Angaben zu bestellen.
9 Das Einbringen von Beton soll in gleichmässigen, horizontalen
Schichten erfolgen. Der Beton darf nicht zu Haufen geschüttet und dann
mit der Vibriernadei verteilt werden, sonst besteht Entmischungsgefahr
(Bildung von Kiesnestern).
Jede Schicht ist unmittelbar nach dem Einbringen zu verdichten, bis die
eingeschlossene Luft entwichen ist. Der Abstand der Eintauchstellen
richtet sich nach dem Nadeldurchmesser und beträgt 25 bis 70 cm.
Zu langes Vibrieren entmischt den Beton, indem grobe Bestandteile
nach unten sinken und Zementschlämme sowie Wasser aufsteigen. Bei
Sichtflächen führt diese Entmischung zu bleibenden Flecken. Bei
Verwendung von steifplastischem Beton ist die Entmischungsgefahr
geringer.
10 Die Nachbehandlung ist ein wesentlicher Teil der Betonierarbeiten.
Sie verhindert das frühzeitige Austrocknen des Betons. Ungeschützte
Betonoberflächen sind während mindestens vier Tagen abzudecken oder
dauernd zu berieseln, besonders bei Zugluft oder Sonneneinstrahlung.
Bei Frostgefahr muss frischer Beton durch Abdecken und Warmhalten
vor dem Einfrieren geschützt werden.
Quelle: ”Cementbulletin”, April 1987
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Heizkraftwerk Aubrugg
Wallisellen
Heizkraftwerk Aubrugg, Wallisellen, 1978
Arbeitsgemeinschaft: Basler & Hofmann / Pierre
Zoelly
Architekt: Pierre Zoelly
Mitarbeiter: Michel Waeber, Firmo Tomas (Koordination und Projektleitung), Peter Brogle, Jean-Rolf
Wacker, Karl Holenstein, René Böck (Planbearbeitung und Bauleitung)
Ingenieure: Basler & Hofmann, Ernst Glauser, Reto
Lang (Koordination und Projektleitung)
Mitarbeiter: Peter Schlegel (Baugrube), Urs Pfister
(Tragkonstruktion), Paul Schneider (Bauleitung)
Bauträgerschaft: Kanton Zürich
Die Bedeutung, welche dem Entwurf des Heizkraftwerkes Aubrugg innerhalb des urbanistischen Wandels der
letzten Jahrzehnte zukommt, lässt sich schärfer erfassen, wenn wir zuerst einen Blick werfen auf das 1935
errichtete Fernheizkraftwerk der ETH Zürich von Otto
Rudolf Salvisberg. Beide Gebäude sind Energieaufbereitungsanlagen desselben Fernwärmenetzes und versorgen vor allem das Spital- und Hochschulquartier. Das
aus dern massiven Sockel aufragende Kamin und das
Kesselhaus des konstruktiv kühnen Salvisbergbaus werden Teil der innerstädtischen Hochschul-Silhouette. Die
technische Form fügt sich fast nahtlos in die Welt der
Kirchtürme, der Helme und Kuppeln der Hochschulbauten ein. Aus etwas zeitlicher Distanz betrachtet bildete
das Heizkraftwerk der ETH Teil eines umfassenderen
Versuches, die Modernisierung der Stadt im Rahmen
eines abwägenden Konsenses zwischen Architektur und
Städtebau zu lösen, welcher spätestens in den 50erJahren sein Ende gefunden hat.
Verdrängung unliebsamer Einrichtungen
Planung und Entwurf von Heizkraftwerken, Kehrichtverbrennungsanlagen und Kläranlagen sind seither nicht
nur in ein Korsett von zunehmend komplexer werdenden technischen Bedingungen eingebunden, sondern
unterliegen auch der allgemeinen Entmischung des
städtischen Lebens. Die technologischen Diskurse und
ihre politischen Zuständigkeiten werden voneinander
getrennt; dazwischen verlaufen seltsame Trennungslinien. Bauten der Energiegewinnung und Abfallbeseitigung
als Teile eines umfassenden Materie-Energie-Kreislaufes
sehen oft aus wie Resultate eines unliebsamen und
möglichst unsichtbar zu machenden Prozesses. Abseits
von Strassen und ausserhalb von Bebauungen, möglichst vergraben und versteckt, sind sie in die Grauzone
der unkontrollierten urbanen Entwicklung verdrängt worden: eine kriminelle Architektur.
Eingesetzt zwischen ein Autobahndreieck
Wenn wir im Folgenden den Standort des Heizkraftwerkes in Aubrugg-Wallisellen näher betrachten, so finden
wir ein zusätzliches Element vor, welches alle weiteren
Überlegungen dominiert. Der Entwurf für das Heizkraftwerk war überlagert durch das schon vorhandene
Projekt für das Autobahndreieck Zürich-Nord, das dann
gleichzeitig mit dem Heizkraftwerk gebaut worden ist.
Überregionale Verkehrsplanungen sind wahrscheinlich
die einzigen noch griffigen Instrumentarien der gegenwärtigen Planungen, bei denen die gebaute Realität das
sichtbare Resultat eines «Idealplanes» ist. Ihrer Bedeutung für das Heizkraftwerk Aubrugg soll im Folgen-den
nachgegangen werden.
Die Absicht dieser Doppelnutzung des Grundstückes
ist wohl eher eine Folge der schwierigen Standortsuche
für ein Heizkraftwerk als das planerische Resultat einer
angestrebten Nutzungsüberlagerung. Der Architekt hatte
seinen Entwurf in die bereits bis auf einen Meter genau
festgelegte Geometrie der Autopisten und Strassenniveaulinien einzufügen.
Mit dem Projekt von Pierre Zoelly ist ein Bau realisiert worden, welcher unter mehreren Betrachtungswinkeln den Rahmen bisheriger entwerferischer Untersu-
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chungen des Strassenraums von Autobahnen und der
Typologie von technischen Bauten sprengt. Zwei Gebäudeteile durchbrechen die schnellen horizontalen Bewegungen der Strasse: eine Reihung von fünf achteckigen
Kesselhäusern und das alles überragende Bündel der
vier, gut 100 Meter hohen Kaminschlote.
Die Reinheit der technischen Form
Die geometrische Form der aus homogenem Material
gegossenen Körper verweist auf die Ästhetik der
Ingenieurbauten und ihrer guten Gestaltung. Beim
Entwerfen konzentrierte sich alles auf die Suche nach
einer klaren inneren Organisation und deren logischen
Weiterführung während des Entwurfprozesses, bis
schliesslich die Form «aus den Dingen selbst» herauszutreten scheint. Diese Art der Formung, namentlich die
Verwendung des Materials als Spannungsträger und
Widerstandskörper, bedingt allerdings auch eine Ethik,
welche die Reinheit der technischen Form fordert und
keinen Unterschied zwischen Sein und Schein zulässt.
Unzweifelhaft ist es aber gerade diese ethische Grundhaltung gegenüber der Material- und Formbehandlung,
welche den Baukörper zu den Autobahnbrücken in Beziehung treten lässt. Kontrapunktisch ist dabei nicht nur
die Beziehung der Horizontalen zur Vertikalen, sondern
gleichzeitig jene von Bewegung und Stillstand. Die
Baukörper werden in einen anderen räumlich-geometrischen Zusammenhang gestellt, einen, der der «klassischen Schule» fremd ist. Es handelt sich um eine Geometrie, die freigesetzt ist von der direkten Konditionierung der Ausdehnungsqualität nach Koordinaten und
Massverhältnissen, welche die Bewegung im homogenen Raum regelt. Das Heizkraftwerk Aubrugg konstituiert den Raum eher, als dass es ihn beschreibt - ähnlich
der Geometrie des Raumes im Expressionismus. Die
Methode besteht nicht im Vermessen, sondern in der
Ausweitung im Raum sowie einer Konzentration der
Masse.
Das Eingraben wird zur künstlichen Landschaft
Der Wunsch der Bauherrschaft, die Anlage vollständig
zu verstecken, konnte trotz der massiven Eingrabung
kaum befriedigend gelöst werden. Vielmehr provozierte
diese Vergrabungsmentalität eine präzisere Auseinandersetzung mit der räumlichen Situation unter den
Brücken. Eine zweite Ebene des Verkehrs verläuft unter
Schnittaxonometrie
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den Hochbauten der Autobahn. Von dieser vollkommen
getrennt, dient sie der eigentlichen Erschliessung des
Heizkraftwerkes und liegt auf dem Niveau der eingegrabenen Maschinenhalle. Die in den Anlieferungshöfen
sichtbar werdenden Fassaden lassen die gewaltigen
Erdbewegungen erahnen, welche für dieses Bauwerk
notwendig waren (Aushub 172'000 m3 sowie Aufschüttung im Strassendreieck 120'000 m3). Die Grasnarbenflächen (2'900 m3) auf dem begrünten Dach der Halle
werden – im Kontrast zu den mehrgeschossigen Einschnitten – eher zum Zeichen ihres Gegenteils: Sie wirken wie eine über das Gebäude gezogene Haut, die
mehr aussagt über die Künstlichkeit der Landschaft, als
dass sie den Anschein einer Renaturalisierung des Terrainverlaufes erwecken.
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Zoellys Architektur hat sich zur Behandlung von Grenzsituationen entwickelt, die bis zu menschenleeren Landschaften und entleerten Räumen vordringt, von denen
man sagen kann, sie hätten die Figuren und Handlungen in sich absorbiert, um nur noch eine geophysikalische Beschreibung übrigzulassen. Die Kamine signalisieren nicht Anfang oder Ende einer Stadt, sind auch
nicht Teil einer von einem privilegierten Standpunkt aus
betrachteten Silhouette. Sie sind eher Markierung innerhalb der Bahnen einer in Bewegung geratenen Lebensweise.
Markus Peter
«Heizkraftwerk Aubrugg» in: Irma Noseda: «Bauen an Zürich», Zürich 1992
Grundriss / Scnitte
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Kernkraftwerk Leibstadt
Kühlturm
Kernkraftwerk Leibstadt
Projektierungsbeginn 1964
Bauzeit 1974-82
Projektierung: Elektrowatt AG
Ausführung Marti Bauunternehmungen AG
Projektierung und Ausführung des Kühlturms durch
die HAMON Ingeneering
Bauträgerschaft: Kernkraftwerk Leibstadt AG
Das Kernkraftwerk Leibstadt steht am Schweizer Ufer
des Hochrheins, unweit der Aare-Mündung. Es ist das
grösste Schweizer Kernkraftwerk, das seinen Betrieb
1984 aufnahm.
Der Prägnanteste und von Weitem sichtbare Bauteil
ist der 140 m hohe Kühlturm. Die Silhouette des
Hyperboloids steht – in Verbindung mit der Kalotte des
Reaktorgebäudes – zeichenhaft für den Begriff des
Atomkraftwerks schlechthin. Die schiere Grösse dieses
Bauwerks lässt die ungeheure elektrische Leistung der
Anlage von 1145 Megawatt erahnen.
Die Energiegewinnung im Kernkraftwerk verläuft wie
in jedem thermischen Kraftwerk über die Erhitzung von
Wasser zu Dampf, welcher eine Turbine antreibt. Da in
einem thermischen Kraftwerk nicht alle Wärme in elektrische Energie umgewandelt werden kann, muss ein
Teil an die Umgebung abgegeben werden. Dies
geschieht bei einem Kernkraftwerk entweder über die
Kühlung durch natürlich vorkommendes Wasser oder
über einen Kühlturm. 1971 wurde im Laufe des
Bewilligungsverfahrens die Flusswasserkühlung verboten, weshalb in der Folge das Kraftwerk mit einem
Naturzugkühlturm geplant wurde. Bei einem Kernkraftwerk sind die Kühlkreisläufe aus Sicherheitsgründen
getrennt, wobei der Austausch der Wärmeenergie über
einen Kondensator erfolgt. Dabei wird die Wärmeenergie
durch die Kondensation an den nächsten Kreislauf weitergegeben.
In Leibstadt wird im Maschinenhaus der Dampf aus
der Turbine zu Wasser kondensiert. Dieses wird anschliessend vorgewärmt und als Speisewasser zurück
zum Dampferzeuger geleitet. Die bei der Kondensation
frei werdende Wärmeenergie wird an einen getrennten
Kühlwasserkreislauf abgegeben. Das Kühlwasser, das im
Kondensator um etwa 14 Grad Celsius erwärmt wird,
gelangt über ein Kanalsystem auf die Rieselplatten des
Kühlturms und wird versprüht. Die herunterfallenden
Wassertropfen geben ihre Wärme an den aufsteigenden
Luftstrom ab. Bei diesem Vorgang verdunsten ca. 2%
des Kühlwassers und bilden die charakteristische
Dampffahne, die je nach Luftfeuchtigkeit, Temperatur
und Windstärke mehr oder weniger gut sichtbar ist.
Es sind verschiedene Bauformen für Kühltürme
bekannt, wobei sich aber das Hyperboloid am besten für
Betonkühltürme in dieser Grösse eignet. Die sattelähnliche Form gibt selbst dünnsten Flächentragwerken eine
relativ hohe Stabilität. Ein weiterer praktischer Grund,
der zur Verwendung hyperbolischer Flächen für technische Gebäude führte, ist, dass sich die Sattelflächen
aus geraden, linearen Elementen herstellen lassen
(Schalung!). Beim Kühlturm Leibstadt variiert die Dicke
der Schale zwischen 16 cm und 19 cm. Im untersten,
drei Meter hohen Abschnitt ist sie auf 90 cm verstärkt.
Im Sockelbereich lagert die Schale auf 72
Schrägstützen mit einer Länge von je 10 m und einer
Stärke von 85 cm. Die innere Tragkonstruktion zur
Aufnahme der Lasten des kühltechnischen Bereichs
besteht aus vorfabrizierten Trägern und Stützen aus
Stahlbeton von ca. 12 m Höhe.
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Quellen:
Fladt, K: Geschichte und Theorie der Kegelschnitte
und der Flächen zweiten Grades, Stuttgart 1965.
Kernkraftwerk Leibstadt
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Talsperren
Bauwerke im Vergleich
Talsperren gehören nicht nur zu den grössten von
Menschenhand geschaffenen Bauwerken, sondern auch
zu den ersten, die der Mensch zur Sicherung seiner
Existenz erstellte. Spuren von Talsperren, die im 4. bis
3. Jahrtausend v. Chr. für die Bewässerung und die
Trinkwasserversorgung entstanden, sind uns aus
Aserbaidschan und Jordanien erhalten geblieben. Zu
Beginn der Pyramidenzeit um 2600 v.Chr. entstand
auch in Ägypten eine heute noch an ihren Resten
erkennbare Sperre von 14 m Höhe.
Die Grösse allein sagt noch nichts aus über die
Qualität des Bauwerks. Ein Höhenvergleich der von der
ganzen Welt bewunderten Bauten zeigt uns aber die
Bedeutung unserer Talsperren. In der Schweiz zählen
wir 154 solcher Bauwerke, deren Höhe 15 m überschreiten. Von den 10 höchsten Sperren in Europa
befinden sich deren 7 in der Schweiz und von den 10
höchsten der Welt immerhin noch deren 3.
In der Schweiz dient die Grosszahl der Sperren der
Erzeugung von Wasserkraft, der bis heute einzigen, wirtschaftlich bedeutenden Form erneuerbarer Energie. Die
Speicherseen sind aber auch in der Lage, die unterhalb
liegenden Talschaften vor Hochwasserschäden und
extremem Geschiebeanfall zu schützen.
Aus den Anfängen
1869-1872 entstand die erste Betonstaumauer in
Europa an der Saane bei Freiburg. Der Baustoff Beton
war für die damalige Zeit ein Novum und der Bau der
Mauer eine Pioniertat. Die Kraftwerk-Zentrale befand
sich ursprünglich am Fusse der Mauer, und die
Wasserkraft wurde mittels Stahlkabeln über weite
Distanzen übertragen.
1905-1908 wurde im Klöntal der erste Schweiz
grössere Erddamm der Schweiz mit einer Höhe von 30
m gebaut. Dadurch entstand das erste beachtliche
Akkumulierwerk in unserem Land. Durch die Verbindung
mit dem Laufwerk Beznau an der Aare entstand zudem
1914 erstmals ein für damalige Zeit bedeutender
Verbundbetrieb.
Auszüge aus: «Wasserkraft in der Schweiz»,
Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, Zürich
1998
Staumauer Maigrauge bei Freiburg
Baustelle der Staumauer im Jahre 1871:
Die Saane fliesst durch einen Umleitstollen, während die Arbeiter den auf
Pferdekarren antransportierten Beton von Hand stampfen
Staumauer Maigrauge heute
Mit 1909 wenig erhöhter Krone, erfüllt nach wie vor ihren Dienst
Damm Rhodannenberg im Klöntal
Klassischer Aufbau mit dichtendem Lehmkern und angrenzender Filterzone
Damm Rhodannenberg
Das Bild der Bauzeit zeigt den Handaushub für den Graben zum Einbinden des
Dammkerns in den Untergrund
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Gewichts- und Pfeilerstaumauern
Gewichtsmauern werden so gebaut, dass sie mit ihrem
Gewicht allein dem Druck des gestauten Wassers
standhalten, sämtliche auftretende Kräfte sicher in den
Untergrund ableiten und die Sperrstelle praktisch wasserdicht abschliessen.
Beton ist, bei sorgfältiger Wahl von Kies, Sand,
Zement und Wasser, ein idealer Baustoff für Staumauern, und seine Qualität wird in der Regel mit zunehmendem Alter immer besser. Die Form der Mauern wird
zudem so gewählt, dass der Beton hauptsächlich auf
Druck beansprucht wird und somit keiner Armierung
bedarf.
Gewichtsmauer Panix der Kraftwerke Ilanz
Heute...
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Schnitt durch die Gewichtsmauer Panix
...und während des Baus im Jahre 1988
Pfeilermauer Lucendro TI im Baujahr 1946
Bei diesem relativ seltenen Mauertyp wird die Betonmasse durch Aussparungen in
der zentralen Partie reduziert. Um Stabilität gleichwohl zu garantieren, muss sowohl
die Luftseite wie auch die Wasserseite geneigt werden.
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Die höchste Gewichtsmauer der Welt
Ein 350 km2 umfassendes Einzugsgebiet mit 35
Gletschern erlaubt dem Schmelzwasser des Sommers
den 400 Mio. m3 messenden Stausee zu füllen, um im
Winter und bei Spitzenbedarf Wärme und elektrische
Energie zu produzieren.
Dieser See beinhaltet 20% sämtlicher hydroelektrischer Speicherenergie der Schweiz. Ein neuer Druckstollen (15,85 km) mit Druckschacht (4,23 km) erlaubt
seit dem Winter 1998-99, das Wasser über eine einzige
Gefällsstufe in der neuen Kraftwerk-Zentrale Bieudron
zu nutzen. Das Bruttogefälle von 1883 m ist ein neuer
Weltrekord.
Die Bauarbeiten dauerten von 1953 bis 1961, jeweils von Mai bis Oktober wurden insgesamt 6 Mio. m3
Beton eingebaut. Am 6. Oktober 1954 erreichte die
Belegschaft mit 1576 Mann den absoluten Spitzenwert,
davon waren 60% Walliser, 20% übrige Schweizer und
20% Italiener. Ihr beispielloser Einsatz während 10 Std.
Arbeit in der Nacht und während 11 Std. am Tag
erbrachte einige Jahre Vorsprung auf das Bauprogramm.
Der Stausee der Grande Dixence im Wallis
Gewichtsmauer Grande Dixence, Höhe 285 m
Baustelle (1953-1961), hinter der zum Tag erhellten Baustelle ist schwach die alte, 1935 errichtete viel kleinere Mauer der Dixence sichtbar
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Allgemein
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Mittwoch 28.11.01
Bogenmauern
Bogenmauern werden in einzelnen schlanken und sehr
hohen Mauerelementen aus unarmiertem Beton erstellt.
Erst durch die nachträgliche Verpressung der entstandenen vertikalen Fugen durch ein Wasser-ZementGemisch entsteht eine räumlich wirkende Schale, welche die Kräfte auf den Felsuntergrund und die
Talflanken überträgt.
Der Bau von Bogenmauern ist eine anspruchsvolle
unternehmerische Aufgabe und erfordert, trotz gewaltiger Materialmengen, äusserste Sorgfalt und grosses
handwerkliches Können. Die früher zeitaufwendigen Berechnungen werden heute mit den modernsten elektronischen Rechnern anhand numerischer Modelle durchgeführt. Diese erlauben sowohl komplexe Untergrundverhältnisse, wie auch ausserordentliche Lastfälle und
deren Auswirkung auf die Bogenmauer zu analysieren.
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Numerisches Modell einer Bogenmauer mitsamt Untergrund
Bogenmauer Punt da Gall der
Engadinerkraftwerke GR
Ansicht der Wasserseite der im Bau befindlichen
Mauer. Bauzeit 1965-1969, maximale Höhe 130 m
Bogenmauer Punt da Gall
Die die vertikalen Mauerelemente bildenden Blöcke
werden abwechslungsweise betoniert. Die beim
Erhärten des Betons entstehende Wärme kann
somit besser entweichen, muss aber trotzdem
zusätzlich durch Wasserzirkulation in einbetonierten
Rohrleitungen abgeführt werden.
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Staudämme
Die Dämme, nur aus Lockergestein oder Steinbruchmaterial ohne Zusatz von Bindemitteln gebaut, widersetzen sich dem Wasserdruck allein durch ihr Eigengewicht. Da die Dammböschungen in allen Lastfällen stabil bleiben müssen, ergibt sich eine Dammbreite an der
Basis, die um ein Vielfaches grösser ist als die Dammhöhe.
Erst die Entwicklung grosser Erdbaumaschinen und
Transportfahrzeuge erlaubten den wirtschaftlichen Bau
der Dämme mit ihren gewaltigen Schüttvolumen.
Dämme verlangen eine sorgfältige Auswahl der natürlichen Lockergesteine. Gelegentlich müssen Materialien durch Sieben oder Mischen aufbereitet werden, da
bei der Abstufung zwischen den einzelnen Zonen strenge Kriterien der Kornverteilung einzuhalten sind. Im
Innern des Dammes sorgt in der Regel ein feinkörniges,
wenig durchlässiges Material für die Abdichtung. Letztere wird gelegentlich als Dichtungsbelag aus Beton
oder Asphalt an der wasserseitigen Oberfläche erstellt.
Dämme können sich den Verformungen des Talbodens anpassen und benötigen nicht zwingend eine
Fundation auf Fels. In jedem Fall aber ist die Abdichtung
des Untergrunds für die Sicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Speicheranlage von ausschlaggebender Bedeutung. Die meisten mit Zement ausgeführten Injektionen von speziellen Stollen oder von der Oberfläche aus
ist die am häufigsten angewendete Technik.
Donnerstag 29.11.01
Freitag 30.11.01
Schnitt und Ansicht des Staudammes Göscheneralp
Göscheneralp
Der höchste Staudamm der Schweiz der mit 155 m Höhe und 9.3 Mio. m3,
gebaut von 1955-60
Staudamm Marmorera
Dammhöhe 91 m
Staudamm Marmorera
1 Dammkern
2 Staudamm
3 Injektionsschirm
4 Herdmauer aus Beton
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Staumauer Lucendro
Airolo
Kraftwerk Lucendro
Das Kraftwerk Lucendro ist ein reines Winterkraftwerk,
d. h. der Jahresabfluss des erfassten Gebieten wird in
den beiden Becken Lucendro und Sella so weit aufgespeichert, dass die Ausnützung in der Hauptsache auf
die Wintermonate November bis und mit April konzentriert werden kann. In wasserreichen Jahren fällt im
August, September und Oktober noch Spätsommerenergie an. Das Maschinenhaus wird bei Airolo erstellt. Alles
Wasser, also auch das von Natur aus nach Hospental
fliessende, arbeitet daher mit dem am Südhang des
Gotthard vorhandenen Gefälle von nahezu 1000 m. Da
sich der Betrieb im allgemeinen auf die Zeiten beschränkt, in denen die natürliche Wasserführung des
Tessin die Schluckfähigkeit der Anlagen Plottino und
Biaschina nicht erreicht, ergibt sich weiter die Möglichkeit, das Abwasser der Lucendro-Zentrale auch noch in
diesen beiden bereits bestehenden Werken auszunützen, die zusammen über ein Gefälle von etwa 600 m
verfügen. Das Speicherwasser des Lucendrowerkes
wird somit mit einem Bruttogefälle von rund 1600 m
arbeiten, und wenn einmal das zwischen Airolo und
Rodi zur Zeit noch freie Gefälle von 194 m ausgenützt
sein wird, mit einem Bruttogefälle von gegen 18W m.
Nur diesem hohen Ausnützungsgrad ist es zu verdanken, dass die hohen Kosten der zwei grossen
Staumauern Lucendro und Sella wirtschaftlich noch verantwortbar sind.
Die Lucendromauer erfordert bei rund 60 m maximaler Höhe eine Kubatur von rund 116 000 m3. Beide
Mauern sind in Rüttelbeton vorgesehen, ohne Natursteinverkleidung.
(aus: «Schweizerische Bauzeitung» vom 9.12.1944)
1942-46
Ingenieure: Motor-Columbus A.-G., Baden
Architekt: Rino Tami (Zentrale Airolo)
Bauträgerschaft: Aare-Tessin AG, Olten («Atel»)
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Lucendromauer-Baustelle im April 1944
In der Tiefe vorn eine der Botonbühnen, hinten die
Schalbühnen
Diverse Schnitte (Projektpläne)
Querschnitt (heutiger Zustand)
Mit nachträglich eingebauten Strebebalken (1) und
Konsolen (2)
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Kraftwerkanlagen Wägital
Zentrale Siebnen
In den Jahren 1920 bis 1930 entstehen so unterschiedliche Bauten wie das Maschinenhaus Siebnen
des Kraftwerks Wägital und das Grenzkraftwerk RyburgSchwörstadt am Rhein. Während Siebnen als architektonisches Kuriosum stattliche neugotische Formen zelebriert, steht Schwörstadt mit seiner schmucklosen
Rechtwinkligkeit durchaus im Fahrtwind der zeitgenössischen Baukunst.
Die Zentralen Rempen/Wägital und Piottino bei
Lavorgo TI variieren das Thema in bescheideneren
Dimensionen.
Zentrale Siebnen (Kraftwerk Wägital SZ),
Siebnen, 1926
Maschinenhaus 1925
Schalthaus 1925
Wohnkolonie 1921/22
Architekten: Gebrüder Bräm, Zürich
Aus: «Wasserkraft in der Schweiz», Gesellschaft für Ingenieurbaukunst, Zürich 1998
Die Maschinenzentrale Siebnen
Der Besucher, der die vom Dorf Siebnen herführende
Zufahrtsstrasse benutzt, nimmt die Maschinenzentrale
am Eingang des Wägital als erste, unübersehbare
Manifestation der ausgedehnten Kraftwerkanlagen wahr.
Dieser prominenten Situation des Gebäudes trägt die
Architektur der Gebrüder Bräm aus Zürich durch die
ausgeprägte Betonung seines repräsentativen Charakters Rechnung. Stilistisch lässt sich die Zentrale in
der Nähe des Expressionismus der 10er- und frühen
20er-Jahre ansiedeln, welcher sich in der Spätphase
durch seine Vorliebe für spitze Winkel und die Betonung
der Vertikalen auszeichnet. Die Maschinenzentrale ist
ein Paradebeispiel für die sakrale Überhöhung des
Themas Elektrizität durch die Wahl des Bautyps
«Kirche». Der schmale und lange Baukörper mit der
steilen Dachneigung, die ausgeprägte Betonung der
Vertikalen im Kubus und in der Fassadengliederung mit
Fenstern und Pilastern sowie die durchgehende
Verwendung stilisierter Spitzbogenfenster berechtigt zur
Präzisierung auf den spezielleren Typus der «gothischen
Kathedrale». Sogar der typische Dachreiter auf dem
Dachfirst ist vorhanden in Form des kleinen
Ausführungsturms. Statt von Bischof- und Heiligenfiguren ist das Portal am nördlich vorgelagerten
Treppenhaus-Turm von allegorischen Statuen flankiert,
welche das Zusammenwirken von menschlichem
Erfindungsgeist mit den Naturkräften anhand des
«Ingenieurs» (links) und der «Aa» (rechts) darstellen.
Gestaltet wurden die Statuen von Karl Bodmer, welcher
auch die künstlerische Ausschmückung der Kirche NeuInnerthal schuf. Die Analogie zum Kirchenbau kann
noch weitergeführt werden, indem man die Kommandozentrale im Maschinenhauskopf als Altar interpretiert.
Die Volumetrie des Gebäudes war im übrigen weitgehend funktional vorgegeben: Da die Zentrale lediglich
eine Maschinenreihe aufzunehmen hatte, konnte sie
Maschinenhaus Siebnen
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Situationsplan
Schnitt und Grundriss, Maschinenhaus
derart schmal gehalten werden. Die grosse Bauhöhe
ergab sich aus der Bedingung, das Ausheben der langen vertikalen Maschinenwellen mittels des Laufkrans
zu ermöglichen. Im Gegensatz zur feingliedrigen Ausgestaltung der übrigen Fassaden steht das provisorisch
wirkende Südende des Maschinenhauses, wo der
abrupte Schnitt der fast fensterlosen Abschlussmauer
vom Boden bis durchs Dach Erinnerungen an Brandmauern von städtischen Blockrandbebauungen hervorruft. Die gewählte Lösung sollte eine spätere Erweiterung des Maschinenhauses eventuell vereinfachen.
Das Schalthaus in Siebnen
Im Gegensatz zur Zentrale Rempen entschied man sich
in Siebnen zur Errichtung eines separaten Gebäudes für
die Transformatoren und Schaltanlagen. Das östlich des
Maschinenhauses parallel erstellte Schalthaus ist ebenfalls ein Werk der Gebrüder Bräm. Gegen die Hofseite
ordnet sich der langgezogene Walmdachbau mit seinen
niedrigen Flachdachvorbauten klar der monumentalen
Dominanz der Zentrale unter. Die symmetrisch aufgebaute Längsfassade gegen die unverbauten Wiesenflächen im Osten bildet dagegen die eigentliche
Schalthaus
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Schalthaus, Galerie für Leitungsausführung
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Schaufassade des Gebäudes. Der Mittelbau mit dem
halbrund hervortretenden Treppenhaus-Turm übernimmt
als Referenz ans Zentralengebäude dessen stilisierte
Spitzbogen als Fensterform. Die beidseitig an den Turm
anschliessenden Gebäudeflügel werden von Eckrisaliten
abgeschlossen. Die klare, symmetrische und gut proportionierte Konzeption von Kubatur und Fassadengliederung, wie sie vor allem an der Ostfassade zum
Ausdruck kommt, weist das Schalthaus als herausragendes Beispiel der «Palast»-Architektur im Kraftwerkbau aus.
Deutlicher noch als die Zentrale widerspiegelt hier
die Gliederung der Bauvolumina die funktionalen
Vorgaben, welche sowohl in technischen Abläufen als
auch in der Tatsache der aufgeteilten Bauherrschaft
begründet liegt: Der Nordflügel gehört der NOK, der
Südflügel dem EWZ, während der Mittelbau der
Donnerstag 29.11.01
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gemeinsamen Tochter AKW zur Verfügung steht; die 50kV-Anlagen der beiden Gesellschaften sind jeweils in
den an den Mittelbau angrenzenden Gebäudeflügeln
untergebracht, die 150-kV-Anlagen in den abschliesenden Eckrisaliten. Ein markantes Element der
Fassadengestaltung bilden die unter der Dachkante
zurückgezogenen, gegen die Innenräume verglasten
Galerien für die Leitungsausführung an beiden
Längsseiten des Schalthauses.
Aus: «75 Jahre Kraftwerke Wägital», in: Marchring, Gesellschaft für Volks- und
Heimatkunde der Landschaft March, 37/1997, Lachen 1997
Rohbauphase des Schalthauses
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Salginatobelbrücke
Schiers
Salginatobelbrücke
Schiers, 1929-30
Architekt: Robert Maillart
Konstrukteur des Lehrgerüsts: R. Coray
Bauunternehmer: Florian Prader
Bauträgerschaft: Kanton Graubünden
Die Salginatobelbrücke, Abkehr vom Naturstein
Für eine wirtschaftliche Ausbildung des Fahrbahnträgers
in den 18 Meter langen Öffnungen der Salginatobelbrücke waren Zwischenabstützungen erforderlich, was
bei der viel kürzeren Tavanasabrücke noch nicht nötig
war. Maillart unterteilte die 18 Meter in drei sechsmetrige Felder und behielt diese Unterteilung über die lange,
sechsfeldrige Brückenzufahrt auf der Schierser Seite
bei. Die Veränderungen gegenüber der Tavanasabrücke
sind verblüffend. Im Salginatobel sind die schweren
Natursteinwiderlager vollständig verschwunden, und die
Fahrbahn löst sich, von Schiers her kommend, einfach
vom Terrain, führt über die Querbalken des Zufahrtsviaduktes, das sich mit dem Hohlkastenprofil der Hauptspannweite vereinigt, erscheint über der zweiten Bogenhälfte wieder und landet schliesslich sanft auf der
gegenüber liegenden Felskante, den Weg nach Schuders fortsetzend. Der Effekt ist atemberaubend, denn es
gibt keine falsche Umrahmung durch Natursteinwiderlager mehr, keine falschen Formen des Viaduktes, welche an Steinbogen erinnert hätten, und keine falschen
Fassaden-, die das weisse, in der Holzschalung geformte Betontragwerk verborgen hätten. Gleichermassen
wichtig ist das Fehlen jeglicher Steinfundation bei den
Bogenkämpfern. Der Bogen verschwindet beinahe bei
den Kämpfergelenken, wo er leichtfüssig und behutsam
die Brücke gegen die hohen Felswände der Schlucht
abstützt.
Der 3,8 Meter breite Bogen hat aber weit mehr
Eigenheiten, als in der Ansicht beinahe zu verschwin-
den. Er verbreitert sich zu den Auflagern hin auf 6
Meter, was dem sonst ausserordentlich schmalen
Tragwerk optisch eine gewisse Stabilität verleiht. (Bei
der Salginatobelbrücke beträgt das Verhältnis der
Stützweite der Gewölbeplatte zu ihrer Breite 90/3,8 =
23,6; bei der Tavanasabrücke lediglich 51/2,8 = 18,2.)
Diese Aufweitung des Bogens wird zusätzlich akzentuiert durch die Verbreiterung der Stützen über den
Kämpfergelenken, wo die beiden vertikalen Seitenwände
in ihrem Abstieg von der Fahrbahn gestoppt werden.
Dieses Spiel mit den Formen in der Brückenquerrichtung ist nur auf der Schierser Seite, wenn man seitlich unterhalb der Brücke steht, gut sichtbar. Von da aus
erkennt man auch, dass die vertikalen Stützen eigentlich Querwände sind, deren Ränder in der Längsrichtung der Brücke erheblich verbreitert wurden (von
0,12 Metern auf 0,6 Meter). In der Brückenansicht wird
klar, dass Maillart diese vertikalen Querwände verbreitert hat, um sie, verglichen mit den hohen
Längswänden und der massiven horizontalen Brüstung,
optisch stärker erscheinen zu lassen.
Die horizontale Brüstung, die über die gesamte
Brückenlänge durchläuft, ist 1,4 Meter hoch. Max Bill
kritisierte diese Brüstung aufgrund ihrer optisch schweren Wirkung, welche die «Harmonie störend beeinflusse». Mit der Meinung, die Brüstungen seien statisch
nicht unbedingt nötig, liegt er gefühlsmässig richtig; ich
denke jedoch, dass sie psychologisch sehr nützlich sind,
indem sie den Fussgängern, welche die spektakulär
tiefe Schlucht überqueren, ein Gefühl von Sicherheit
Salignatobelbrücke
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geben. Aus der Ferne sind die Brüstungen optisch nicht
störend, denn das Tragwerk als solches ist genügend
ausdrucksvoll, um sich nicht durch diese starke horizontale Linie stören zu lassen. Zudem liess Maillart die
Fahrbahnplatte über die Längswände des Hohlkastens
auskragen, so dass eine Schattenlinie die Brüstung
leichter erscheinen lässt. Von den Brückenenden aus
gesehen wirken die Brüstungen aber trotzdem schwer
und schmälern die Wirkung der ansonsten eleganten
Struktur.
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Der Gebrauch des Wortes Harmonie bringt schliesslich die zentrale Frage auf, wie all die einzelnen Teile
einer Struktur optisch zu einer Einheit verschmelzen. Wir
haben bereits festgestellt, dass das Bild aus einer
bestimmten Blickrichtung harmonischer sein kann
(Ansicht der Salginatobelbrücke aus der Ferne) als aus
einer anderen (Blick von den Brückenenden, nahe der
Brücke, auf der Fahrbahn stehend). Abstrakte Begriffe
wie Harmonie, Symmetrie, Proportionen und Ordnung
sind, obwohl sie für die Architekturgeschichte eminent
Schnitt und Grundriss
Armierungsplan von Wand und Gewölbe
Schnitte
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wichtig sind, oftmals doch verwirrend, wenn sie auf die
Baukunst angewendet werden. Daher vermeidet man
sie am besten, wenn man Maillarts Ideen über Formen
genauer studiert.
Die Salginatobelbrücke und ihre künstlerischen
Details
Die Salginatobelbrücke verfügt über verschiedene
Details, die optisch von Bedeutung sind: die sanften
Vouten oder vertikalen Verstärkungen der Fahrbahnträger über den Querwänden, der optische Bruch in der
Brüstungswand zur Betonung des Scheitelgelenkes und
die Anordnung von je einer Querwand direkt über den
Kämpfergelenken.
Die sanften Vouten zwischen den vertikalen
Querwänden und der horizontalen Fahrbahn, kaum
sichtbar aus der Ferne, sind technisch vernünftig, da sie
die scharfen Ecken, in denen bei Betontragwerken oft
Risse auftreten, eliminieren. Sie drücken zwar eine
Einheit dieser beiden Elemente aus, könnten aber, da
sie sehr klein sind, vom technischen Standpunkt aus
gesehen, weggelassen werden. Die Querwände der
Salginatobelbrücke fallen nicht speziell auf, so dass die
Vouten zwischen dem Fahrbahnträger und den verbreiterten Wandenden die optische Wirkung interessanter
machen. Die Vouten unterbrechen zudem die horizontale Linie der Stege des Fahrbahnträgers, welche zwischen den Querwänden als separate Elemente wirken;
mit diesen Unterbrüchen wird diese Separation auch
optisch verdeutlicht.
Das Scheitelgelenk der Salginatobelbrücke wird
durch zwei massive Betonblöcke gebildet, welche gleich
breit sind wie die darunterliegende Gewölbeplatte und
die darüberliegende Fahrbahn. Daher verschwindet die
Schattenlinie der auskragenden Fahrbahn in der
Brückenmitte auf einer Länge von 2,4 Metern und veranschaulicht so die Diskontinuität, die durch das Gelenk
baulich entsteht. Die Gelenkblöcke der Tavanasabrücke
sind bloss halb so lang (insgesamt 1,2 Meter) und liegen mit der 3,6 Meter breiten Fahrbahnplatte ebenfalls
in einer Ebene, ragen hingegen über die 2,8 Meter breite Gewölbeplatte hinaus. Die Gewölbeplatte weitet sich
jedoch auf die Breite des Gelenkblockes auf. Die
dadurch entstehende Ausbuchtung wirkt unruhig, was
der Grund dafür war, dass Maillart sie bei der
Salginatobelbrücke zu vermeiden suchte.
In der Ansicht wird erkennbar, dass die letzten
Querwände unmittelbar neben den Kämpfergelenken
aufstehen; die Wände stehen somit noch auf dem
Bogen und nicht auf der Auflagerfundation. In Tavanasa
gab es in jeder Brückenhälfte nur eine Querwand, und
auch da stand diese direkt neben dem Kämpfergelenk.
In dieser Beziehung widerspiegelt die Salginatobelbrücke immer noch die Ideen, die Maillart 1904 für die
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Tavanasabrücke erarbeitet hatte. Die bedeutsamste
Ähnlichkeit mit der Tavanasabrücke entsteht jedoch
durch Maillarts Festhalten an der glatt gekrümmten
Bogenform, wie er sie auch bei den Wägitalbrücken und
der Tschielbachbrücke verwendet hatte.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die
Salginatobelbrücke im Jahre 1928 die wohl fortschrittlichste Bogenbrücke darstellte, und dass sich ihr
Erscheinungsbild direkt aus der von Maillart 1904
erbauten Tavanasabrücke ableiten lässt. Der Entwurf
von 1928 nimmt Bezug zu seiner Umgebung, indem
das Verhältnis der Spannweite zur Pfeilerhöhe kleiner,
die Spannweite selbst aber länger ist und beide Seiten
des Hohlkastens sowie die Zufahrt auf der Schierser
Seite mit Gebälkrahmen abgestützt sind. Andererseits
kann man die grundsätzliche Struktur, den Dreigelenkbogen mit einem Hohlkastenprofil, auf verschiedene von
Maillarts Entwürfen zurückführen – die Stauffacherbrücke sowie die Brücken in Zuoz und in Tavanasa –
und nicht auf die Umgebung der Salginatobelbrücke.
Zudem geht Maillarts Entwurf nicht auf das Gelände
ein; er widerspiegelt weder die Gesteinsformen noch
irgendwelche visuellen Aspekte der Bäume, Felder oder
Berge. Der kahle weisse Beton steht in lebhaftem
Kontrast zu der Landschaft, und das Bauwerk ist offensichtlich eine Ingenieurleistung des 20. Jahrhunderts,
das sich klar von der Natur abhebt und nicht durch rein
dekorative Natursteinwiderlager eingerahmt oder abgeschnitten wird.
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Tavanasa und Salginatobel
Vierundzwanzig Jahre verstrichen zwischen dem
Entwurfswettbewerb für die Tavanasabrücke und jenem
für die Salginatobelbrücke. Maillarts Entwurf von 1904
war zu radikal für das Kunstverständnis des frühen 20.
Jahrhunderts, denn er widersetzte sich der zweitausendjährigen Tradition des Naturstein-Brückenbaus in
Europa. Die lange währende Dominanz des Bruchsteins
bestimmte um 1920 noch immer die Ideale der
Brückenbauer, die sich bemühten, für die rasch zunehmende Anzahl Brücken des Automobilzeitalters geeignete Formen zu finden.
Die Zerstörung der Tavanasabrücke durch eine
Lawine im September 1927 war für Maillart das unmittelbar auslösende Moment. Dieses Ereignis und der
daran anschliessende, aber gescheiterte Versuch, den
Auftrag für die neu zu erbauende Tavanasabrücke zu
erhalten, brachten ihn zurück zu der Form des
Hohlkastenbogens. Im Sommer 1928 meldete er sich
für den Entwurfswettbewerb der Brücke über das
Salginatobel, das wie Tavanasa ebenfalls im Kanton
Graubünden liegt. Sein Entwurf, eingereicht mit Florian
Prader als Bauunternehmer, war der kostengünstigste
und wurde bezüglich der Qualität und des Erscheinungsbildes als bestes Projekt ausgezeichnet. In den
Jahren 1929/30 wurde dieser Entwurf ausgeführt.
Das steile, dicht bewaldete und von Lawinenniedergängen gezeichnete Gelände wirkt selbst schon so dramatisch, dass es einer besonderen Anstrengung bedarf,
diese Brücke zu analysieren. Sie überspannt die 75
Meter tiefe Schlucht (Tobel) der Salgina und verbindet
die einspurige, unbefestigte Strasse, die sich von
Schiers zu dem kleinen 80-Seelen-Bergdorf Schuders
den Berg emporwindet.
Um die Brücke zu verstehen, bedarf es vorerst einer
Betrachtung der Struktur alleine, wie wenn sie an
irgendeinem anderen Ort stehen würde. Erst dann sollte
man auf ihre Umgebung zurückkommen, wobei man
überraschenderweise realisiert, dass ihre Kunst nicht
das Resultat einer Anstrengung ist, die Brücke in das
Gelände «einzupassen». Die Form der Salginatobel-
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brücke wurde direkt von derjenigen der 51 Meter
gespannten Tavanasabrücke abgeleitet, wurde aber der
viel grösseren Stützweite von 90 Meter und dem tieferen Tal, welches durch steile Felswände begrenzt ist,
angepasst.
Wie schon in Tavanasa fällt als erstes der grosse
Kontrast auf zwischen der Konstruktionshöhe in den
Bogenvierteln und den dünnen Auflagerpunkten einerseits sowie dem schlanken Scheitelbereich andererseits.
Von den Auflagern her erkennt man auch hier das
Hohlkastenprofil mit der Gewölbeplatte, den dünnen
Seitenwänden und der horizontalen Fahrbahnplatte. Die
grössere Spannweite hat zur Folge, dass die Distanz
zwischen den Viertelspunkten und den Widerlagern von
12,75 Meter bei der Tavanasabrücke auf 22,5 Meter
bei der Salginatobelbrücke anwächst. Die dreieckigen
Öffnungen der Tavanasabrücke ragten lediglich 7,5
Meter von den Widerlagern in die Spannweite hinein, da
die Brücke sehr flach war und somit eine Vergrösserung
der Öffnungen sehr kostspielig gewesen wäre. Zudem
wäre aber auch der Kontrast zwischen der Höhe in den
Viertelspunkten und den dünnen Gelenkbereichen vermindert gewesen.
Im Unterschied dazu ist der Bogen der
Salginatobelbrücke viel weniger flach. Das Verhältnis
der Spannweite zur Pfeilerhöhe beträgt weniger als 7,
wo hingegen es in Tavanasa über 9 betrug. Maillart
konnte deshalb in seinem Projekt von 1928 die dreiecksförmigen Öffnungen viel weiter in die Spannweite
hineinführen (18 Meter oder 80 Prozent der Distanz zu
den Viertelspunkten von 22,5 Metern; bei der Tavanasabrücke waren es nur 60 Prozent dieser Distanz). Bei der
Salginatobelbrücke stand unterhalb der Fahrbahn viel
Raum zur Verfügung, und die anstehenden Felswinde
erlaubten eine weniger flache Ausbildung des Bogens.
Bei der Tavanasabrücke hingegen hätte eine grössere
Pfeilerhöhe eine höher liegende Fahrbahn und somit
längere und kostspieligere Zufahrtsbereiche auf beiden
Brückenseiten erfordert.
Aus: David P. Billington: «Robert Maillart und die Kunst des Stahlbetonbaus», Zürich und München 1990
Tavanasabrücke
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Sunnibergbrücke
Umfahrung Klosters
Sunnibergbrücke
Umfahrung Klosters, 1996-98
Entwurf: Tiefbauamt Graubünden
Berater: Andrea Deplazes
Konzept: Christian Menn
Gesamtprojektleitung: E. Toscano AG, Chur
Projektverfasser / Technische Bauleitung:
Bänziger+Köppel+Brändli+Partner AG, Chur
Bauherrschaft: Kanton Graubünden
Die im Juni 1996 begonnene, 526 m lange Sunnibergbrücke überquert das Tal bei Serneus in einer Höhe von
etwa 62 m über der Landquart. Ihre Achse verläuft im
Grundriss kreisförmig mit einem Radius von 503 m. Das
als Schrägkabelbrücke konzipierte Bauwerk besticht
durch sein transparentes Erscheinungsbild und seine
kohärenten Querschnittsformen. Der im Freivorbauverfahren erstellte Brückenträger besteht aus einem
12.4 m breiten Plattenquerschnitt mit zwei durchgehenden Randträgern. Die dünne, schwungvoll leicht
erscheinende Fahrbahnplatte ist mittels Schrägkabeln
an den vier Pylonen aufgehängt. Die Kabel sind ausserhalb der Brüstungen im Abstand von 6 m in strenger
Harfenkonfiguration
angeordnet.
Die
als
Abspannscheiben dienenden Pylonflügel sind infolge der
Krümmung des Überbaus und der sich daraus ergebenden Seilgeometrie leicht nach aussen geneigt. Die
schlanke Rahmenkonstruktion der Pfeiler ist möglich,
weil die horizontale Bogenwirkung des mit den
Widerlagern monolithisch verbundenen Brückenträgers
die Stabilität des Tragsystems in Querrichtung gewährleistet. In Längsrichtung sind die Pylone sehr biegesteif.
Der massive Querträger unterhalb der Fahrbahn bewirkt
die Umwandlung der grossen Querbiegemomente der
Pylonscheiben in Normalkraftbeanspruchung der
Pfeilerstiele.
Aus: Thomas Vogel und Peter Marti (Hrsg.): «Christian Menn Brückenbauer», Basel Boston Berlin 1997
Statik und Konstruktion
Die Sunnibergbrücke ist Bestandteil der Umfahrung
Klosters, die voraussichtlich im Jahre 2007 eröffnet
werden kann. Das als fünffeldrige Schrägseilbrücke
ausgebildete Tragwerk mit einer Gesamtlänge von
526m stellt das markanteste Bauwerk der gesamten
Umfahrungsstrecke dar. Es werden deshalb höchste
Anforderungen an die Gestaltung, die Einpassung in die
Landschaft, eine hohe Dauerhaftigkeit im rauhen
Gebirgsklima und eine möglichst umweltschonende
Bauausführung gestellt. Nach wettbewerbsartigen
Studienaufträgen an drei erfahrene Ingenieurbüros hatte
die Jury als Variante einen Konzeptvorschlag von
Christian Menn im Wettbewerb untersuchen lassen, der
sich in der statischen und konstruktiven Bearbeitung als
realisierbar erwies.
Konzept und Hauptabmessungen
Die Brücke weist mit vier Pylonen drei grosse
Hauptfelder von 128, 140 und 134 m und zwei kleinere
Randfelder von 59 und 65 m Spannweiten auf. Wegen
der starken Krümmung im Grundriss kann der
Brückenträger an beiden Enden ohne Dilatationsfugen
fest mit den Widerlagern verbunden werden. Dadurch
werden die aufgelösten Brückenpfeiler auf Fahrbahnhöhe längs und quer fast unverschiebbar gehalten, und
die Pfeilermomente infolge feldweiser Trägerbelastung
nehmen deshalb nach unten linear ab. Die Pfeilerform
reflektiert diesen Kräfteverlauf. Die Pylone über der
Längsschnitt
Statisches System für elektronische
Berechnungen
Grundriss
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Fahrbahn sind mit 14 bis 16 m Höhe relativ kurz; sie
sind wegen der Lichtraumverhältnisse in der Kurve
leicht nach aussen geneigt und bilden mit den Pfeilern
eine statische und formale Einheit. Die Längenänderungen des Überbaus werden durch horizontale
Radiusveränderungen aufgenommen.
Geologie, Fundationen, Widerlager
Die geologischen Sondierungen zeigten, dass der Fels
sehr tief liegt. Rechts der Landquart befindet sich eine
mächtige Bergsturzmasse mit Bachablagerungen. Im
Bereich der Landquart stehen die Alluvionen an. Links
der Landquart liegt die jetzt stabile CasannaRutschmasse, überlagert von Bachablagerungen des
Drosbachs. Diese geologischen Verhältnisse führten
zusammen mit der Topographie zu folgendem
Fundationskonzept: Die Widerlager bestehen im wesentlichen aus erdgefüllten Körpern mit einer Bodenplatte.
Sie sind mit dem Brückenträger monolithisch verbunden
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und bilden die Abstützpunkte für die horizontale
Stabilisierung des Brückensystems. Der Pfeiler P1 auf
der Geländeterrasse vor dem Steilabfall der rechten
Talflanke ist mit zwei Kleinschächten, die Pfeiler P2, P3
und P4 sind auf je sechs Bohrpfählen fundiert. Das
massive Pfählkopfbankett ist im Grundriss um 0,75 m
gegen die Kurveninnenseite versetzt, weil die inneren
Pfeilerstiele aus der Trägerkrümmung wesentlich mehr
Vertikallast erhalten.
Pfeiler und Pylone
Die Pfeiler weisen in Brückenlängsrichtung einen parabolischen Anzug und eine Breitenvariation auf. In Querrichtung wachsen die Pfeiler von 8,80 der Basis zu
13,40 m Breite bei oberkant Fahrbahnplatte. Es entsteht auf diese Weise ein kelchförmige räumliche
Struktur. Die Pylone überragen den Brückenträger als
Abspannscheiben, deren Querschnitt die Biegebeanspruchung aus einseitiger Verkehrslast in Längs-
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richtung übernimmt. In Querrichtung sind sie in der
Lage, die grossen Querbiegemomente aus Seilablenkungen aufzunehmen.
Die festen Verankerungen der Schrägseile sind im
zentralen Teil der Pylonscheibe in einer Stahlkassette
angeordnet. Die sehr massiven und vorgespannten
Querträger wandeln die hohen Querbiegemomente der
beiden Pylonscheiben in unterschiedliche Normalkräfte
der beiden Pfeilerstiele um (Kurveninnenseite 60%,
Kurvenaussenseite 40%).
Brückenträger
Der Brückenträger besteht aus einem in Querrichtung
schlaff bewehrten Plattenquerschnitt mit zwei Randträgern. Die Abspannstellen der Schrägseile befinden
sich ausserhalb der Randträger. In Längsrichtung wird
der Querschnitt in Pfeilernähe aus statischen Gründen
verstärkt. Im mittleren Feldbereich wird die Platte durch
Zusatzkabel längs vorgespannt. Alle übrigen Bereiche
sind durch die Horizontalkraft der Schrägseile vorgespannt.
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Schrägseilkabel
Die Schrägseile der Brücke bestehen aus
Paralleldrahtbündeln in Polyätylenrohren. Die Kabel sind
einzeln verankert und können jederzeit aus- und eingebaut werden. Die Verankerung ist speziell zur Aufnahme
grosser Wechsellasten konzipiert. Die Schrägseile werden bei der unteren beweglichen Verankerung
gespannt. Wegen der flachen Neigung der Seile wird
am Brückenrand bei den Trompetenrohren der Kabel
viel Platz benötigt, so dass keine Quervorspannung in
der Platte angeordnet werden konnte.
Aus: «Schweizer Ingenieur und Architekt», 29.10.1998
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Kraftwerk Ova Spin
Spölschlucht
Kraftwerk Ova Spin
Spölschlucht, 1970
Architekt: Konrad Metzger
Bauträgerschaft: Kanton Graubünden
Stausee Punt dal Gall
Der Stausee Punt dal Gall ist der Hauptspeicher und der
oberste Anlageteil der Engadiner Kraftwerke. Er liegt fast
ganz auf italienischem Territorium. Dies bedingte vorausgehend umfangreiche Verhandlungen und Verträge
mit dem Nachbarstaat. Die grosse Staumauer steht mit
ihrem rechten Teil in der Schweiz, mit dem linken in
Italien. Der verhältnismässig schmale See reicht mit
einem Arm 9,5 km weit ins Livignotal und mit dem
anderen 4,5 km weit ins Gallotal hinein. Wo die beiden
Täler zusammenkommen und das Spöltal beginnt,
sperrt die 540 m lange und 130 m hohe Betonbogenmauer das Tal ab und staut einen See mit 164 Mio. m3
auf. Ein anderer Sperrentyp hätte bei der gegebenen
Höhe weit in den oberen Teil der Spölschlucht hinuntergereicht und wäre auch teurer zu stehen gekommen.
Nur durch die Wahl einer solchen kubaturarmen Sperre
war es möglich, alle Anlageteile ausserhalb des Nationalparks zu plazieren und diesen territorial unberührt zu
lassen. Die Zufahrtsstrasse führt von der Ofenpassstrasse her durch einen 3,4 km langen, den Nationalpark
unterfahrenden Tunnel zur Mauer und über diese hinweg weiter ins Livignotal nach Italien.
Vom Stausee Punt dal Gall gelangt das Wasser durch
den 7,6 km langen Druckstollen zum unterirdischen
Wasserschloss Ova Spin. Von dort aus dringt es durch
den Druckschacht zu den 200 m tiefer liegenden
Turbinen der Zentrale Ova Spin und in das Ausgleichsbecken.
Zentrale Ova Spin 1970
Das Werk Ova Spin liegt versteckt in der engen Spölschlucht. Die Anlage besteht aus der Staumauer, dem
Maschinenhaus und dem Stausee des Spöls. Der Stausee reicht am Rande des Nationalparks etwa 4 km weit
in die schmale, unwegsame Schlucht hinein.
Ursprünglich hatte man, um auch hier den Nationalpark
möglichst unberührt zu lassen, die Anlage Ova Spin, als
Kavernenzentrale geplant. Durch die neuartige Entwicklung von reversiblen Pumpenturbinen konnte aber die
benötigte Fläche für die Maschinengruppen minimalisiert werden, so dass das Maschinenhaus vor der Staumauer in der engen Schlucht doch Platz fand. Gestaut
wird der Spöl durch eine 73 m hohe Bogenmauer. Die
Maschinenzentrale Ova Spin steht unmittelbar davor am
Fusse der Mauer, eingeklemmt zwischen schroffen, steilen Felswänden. Über das flache Dach des Maschinenhauses hinaus ragt der riesige Hochwasserüberlauf.
Steigt der Wasserspiegel zu hoch, fällt das Wasser über
die Zentrale hinweg tosend in die Tiefe. Wie eine mächtige Nase stülpt sich der Überlauf aus der Mauer heraus. Die Fenster der Zentrale sind zwischen Betonstützen und Betonträger in die enge Schlucht hinunter gerichtet.
Das Konzept der Anlage ist derjenigen der Zentrale
Bärenburg der Kraftwerke Hinterrhein ähnlich. Auch
dort sind Zentrale und Staumauer als ein einziges Bauwerk ausgelegt. Bei der Anlage Bärenburg allerdings
sind Staumauer und Maschinenhaus auch konstruktiv
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ein einziges System, im Gegensatz zu Ova Spin, wo
Staumauer und Zentrale zwei voneinander unabhängige
Konstruktionen sind. Die Mauer ist eine zweifach
gekrümmte Bogenstaumauer, die auch unabhängig von
der Zentrale allein stehen könnte. Die Tragkonstruktion
der Maschinenhalle besteht aus acht Betonscheiben von
70-80 cm Wandstärke Mauer und Zentrale ruhen auf
einem gemeinsamen, 15 m hohen, in den Schluchtgrund gepfropften Fundamentblock. Durch die Verbindung von Bogenstaumauer, Maschinenhaus und Hochwasserüberlauf zu einem Bauwerk entstand ein kompliziertes technisches Gebilde. Es ist zum grössten Teil in
Ortsbeton konstruiert. Die Tektonik ist auf die grossen,
geschwungenen, kahlen, und glatten Betonflächen minimalisiert. Alle Sichtbetonwände sind gleich gestaltet und
verschmelzen zu einer organischen Einheit, so, dass das
Bauwerk als einzige monolithische Form aus Beton
wirkt. Mit expressivem Ausdruck, plastisch und fast tierhaft sitzt es zuunterst in der- Schlucht. Dabei waren die
Form, Lage, Dimension und das Baumaterial der
Staumauer, des Fundamentes und des Maschinenhauses aus rein technischen, funktionellen und wirtschaftlichen Bedingungen heraus gegeben. Der Hochwasserüberlauf, die Staumauerkrone und die Maschinenhausfassade wurden von Konrad Metzger, dem Architekten
in der Motor-Columbus AG, so gestaltet, dass sich die
drei Bauteile zu einer Einheit verbinden.
Das Gebäude erscheint unantastbar und in sich abgeschlossen und weist keine gesellschaftliche oder
sonst im Kraftwerkbau übliche baulichen Repräsentationen auf. Es gibt keine Ankunftsfassade, keinen klar ersichtlichen Eingang, keine teuren Materiallen. Das
Gebäude ist nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Ein
direkter Zugang zur Halle von aussen ist unmöglich. Der
Eingang befindet sich in einem von der Mauer und vom
Maschinenhaus losgelösten, unscheinbaren Nebengebäude. Von hier aus gelangt man mit einem Lift 43 m
tiefer in einen 75 m langen, weit geschwungenen
Zugangstunnel zum Maschinensaal. Dort befinden sich
mit den zwei Erregergruppen der Motorgeneratoren nur
die Spitzen der Maschinengruppen, Motorgeneratoren
und Pumpturbinen befinden sich in den unteren Geschossen. Verloren stehen die zwei verkleideten, im
Gegensatz zum ganzen Generator kleinen Maschinenteile in der grossen Halle. Waren in früheren Werken die
dröhnenden Maschinen in der Halle ausgestellt und
überblickbar, sind sie nun in den Untergeschossen verborgen. Die Maschinen werden von Pradella aus ferngesteuert. Die grossen Fenster zwischen den massiven
Betonstützen bestehen aus bläulichem, undurchsichtigem Industriesicherheitsglas und reichten ursprünglich
ohne Brüstung von der Decke bis auf den Böden. Nur
durch kleine Fenster auf Augenhöhe werden Ausblicke
in die felsige Schlucht frei. Wegen der knappen
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Ansicht
Schnitt
Grundriss
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Platzverhältnisse in der engen Schlucht mussten die
vielen Nebenräume auf sechs Stockwerke verteilt werden. Jeder Maschinenteil hat seinen eigenen abgeschlossenen Raum, um Eigenschwingungen zu verhindern.
Durch die Konzeption von Zentrale rnit Überlauf, und
Mauer als zwei voneinander unabhängigen Konstruktionen entstehen im Gebäude aussergewöhnliche Zwischenräume. Die «Fugen» zwischen der konkaven
Bogenmauer, dem Kubus des Zentralengebäudes und
dem geschwungenen Hochwasserüberlauf zeigen die
drei Teile als konstruktiv voneinander getrennt ausgebildete Elemente. Zwischen den nach zwei Seiten gekrümmten Bogenmauer und der geradlinigen Hinterseite des
Zentralengebäudes entsteht ein sehr hoher, schmaler
Raum. Der Hochwasserüberlauf wird von grossen, massiven Betonträgern gestützt, die als Rahmenkonstruktion
frei sichtbar sind. Es entsteht so, als Negativ der
«Speiernase», ein zweiter grosser Innenraum. Diese
Zwischenräume sind reine Resträume der Ingenieurskonstruktion, funktionslos, unheimlich und faszinierend
zugleich.
Aus: C. Clavot und J. Ragettli, «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», Chur 1991
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Albignawerk Löbbia
Albigna
Albignawerk Löbbia
Albigna, 1956
Architekt: Gebrüder Pfister
Ingenieur: Ingenieurbüro für bauliche Anlagen
Bauträgerschaft: Stadt Zürich
Albignawerk Löbbia
Die Gewichtsstaumauer auf dem Hochtalboden Albigna
stellt das Hauptbauwerk der oberen Ausbaustufe des
Bergells dar. Bis zu 400 Arbeiter wurden allein für diese
eine Baustelle eingestellt. An den steilen Bergflanken
wurden die für den Bau notwendigen Installationen wie
Kräne, Steinbruchanlagen, Silos, Transportbahnen,
Unterkünfte für die Arbeiter, Strassen, etc. errichtet. Eine
riesige Baustelle veränderte, 750 m über dem Talboden,
den Horizont zwischen dem Piz Balzetto und dem
Spazzacaldera. Grosse Mengen Zement mussten von
weit her transportiert werden, zum Beispiel von
Unterterzen am Walensee oder aus Fabriken im Kanton
Aargau. Der Antransport erfolgte in Behälterwagen der
SBB bis Landquart, wo der Zement auf Wagen der RhB
umgeladen wurde. Zwischen Landquart und St.Moritz
verkehrten, täglich mehrere, nur mit Zement beladene
Extrazüge. Der Strassentransport von St.Moritz über den
Malojapass zu den im Mittel etwa 30 km entfernten
Verbrauchs- oder Umladestellen im Bergell erfolgte mit
Lastwagen und Anhängern. Wegen der schwierigen
topographischen Verhältnisse war es unmöglich, eine
Zufahrtstrasse zur Baustelle hinauf zu errichten. So wurden in Pranzaira zwei Seilbahnen für den Personen-,
Bauteile- und Zementtransport und bei Vicosoprano eine
Schwerseilbahn für die vollbeladenen Lastzüge hinauf
nach Sasc Prümavaira erstellt.
Die Stelle für die Errichtung einer grösseren Staumauer auf der Alp Albigna war durch topographische
und geologische Verhältnisse vorgezeichnet. Da die
Talflanken an der Abschlussstelle relativ flach ansteigen,
kam nur der Typ einer Schwergewichtsmauer in Frage.
Dies bedeutet eine im Querschnitt im Prinzip dreieckige
Mauer, deren Eigengewicht ausreicht, um das aufgestaute Wasser zurückzuhalten. Im Vergleich zur maximalen Mauerhöhe von 115 m ergab sich eine sehr weite
Kronenlänge von 750 m. Die topographische Ausbildung
der beiden Talflanken bedingte eine dreimalige Brechung der Mauerachse im Grundriss; die beiden Mauerflügel sind gegen Süden abgeschwenkt. Die Mauer ist
durch rechtwinklig zur Mauerachse angeordnete Fugen
in insgesamt 43 Betonblöcke von 20 oder 15 m Breite
und am Fusse bis zu 80 m Tiefe und bis 110 m Höhe
unterteilt. Im mittleren hohen Mauerteil sind die Blockfugen im Mauerinnern zu 5 m breiten Hohlräumen ausgeweitet. Dies erlaubte eine bessere Ableitung der
Abbindewärme des Betons während des Baus und verminderte die Betonkubatur wesentlich.
Das Innere der Mauer betritt man zwischen Block 11
und 12 durch einen kleinen Eingang am Fusse der
Mauer und kommt, durch einen kurzen, engen Stollen,
in den ersten dieser unglaublich grossen Hohlräume.
Diese sind im Querschnitt dreiecksförrnig, bis 70 m tief,
bis 80 m hoch und nur 5 m breit. Im Grundriss an den
Extremen und in der Schräge spitzen sich die Hohlräume zu. Ungefähr alle 18 m übereinander sind horizontale Kontrollgänge angelegt. Diese durchkreuzen in
der seeseitigen Spitze der Blockfugen die Hohlräume
Staumauer Albigna
Querschnitte, Ansicht und Grundriss
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und bilden in diesen mit Gitterrosten kleine Balkone.
Man schreitet über endlose Treppen durch enge Stollen
im Mauerinnern, und alle 15-20 m betritt man einen
der dunkeln und unheimlichen Zwischenhohlräume. Die
gigantischen, bergkathedralenähnlichen Innenräume
sind nur durch das spärliche und fahle Licht von wenigen Glühbirnen beleuchtet. Wassertropfen gleiten in feinen Streifen an den glatten, dunklen Seitenwänden
hinab, und die feuchten Mauern glänzen schwarz. In
Rinnen gefasst, fliessen sie als kleine Bächlein einem
unsichtbaren Abfluss zu, den man von Weitem her
durch die endlosen Gänge rauschen hört. Wenn man die
Mauer durchschreitet, ändern sich die Dimensionen der
Hohlräume im Mauerinnern. Sie werden immer kleiner,
je weiter man hinaufsteigt. Die Beziehung zwischen
Bauwerk, und Landschaft, der Aufbau der Mauer, ihre
Logik, die Form und die Abmessungen sind so auch im
Innern eindrücklich erlebbar. Man steigt immer weiter
hinauf, bis man schliesslich die Tür des Wärterhauses
auf der Mauerkrone öffnet und sich im blendenden
Sonnenlicht, am Rande eines weiten Sees, umgeben
von mächtigen, vergletscherten Bergen, wiederfindet.
Das Gletscherwasser gelangt durch einen am Fusse
der Staumauer beginnenden Druckschacht zum
Wasserschloss nach Murtaira, oberhalb Löbbia, und von
dort, parallel zu demjenigen von der Fassung der
Orlegna im Val Forno, sehr steil hinunter zur Zentrale
Löbbia. Diese wurde zuunterst im langgestreckten
Talboden von Casaccia erstellt. Hier befand sich ein
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geeigneter Standort, um das Wasser auf die rechte,
nördliche Talseite zu überführen. In einer Ausgleichskammer im dort zusätzlich errichteten Stauwehr vermischt sich das Wasser aus der Turbinenauslaufkammer
mit demjenigen der Maira, die dort zusätzlich gefasst
wird, und wird dann in einem Druckstollen Richtung
Zentrale Castasegna weggeleitet. Die Halle steht längs
des südlichen Ufers der Maira. Der betonierte Sockel
des Gebäudes und das Stauwehr, sind rechtwinklig
zusammengebaut. Ein Steg führt entlang der Maschinenhalle über das Wasser. Durch eine riesige Glasfront
öffnet sich die Maschinenhalle auf den See. Die grossen
Felder zwischen der Betonrahmenkonstruktion sind mit
bleichen, grünlichen Glasbausteinen ausgefüllt. Die
rasterartige Fassade wirkt sehr rational und, weil die
Glasbausteinfenster bündig von den Betonpfeilern und
Eisenrahmen eingefasst sind, sehr flächig. Ein Industriegebäude, das sich im selbst erschaffenen Weiher spiegelt.
Wenn die Turbinen in Betrieb gesetzt werden, spritzt
eine riesige Wasserfontäne, die durch einen momentanen Überdruck erzeugt wird, aus dunkeln, im Betonsockel eingelassenen Öffnungen über den bis anhin
friedlichen See hin. Dann beginnt das ganze Gebäude
zu dröhnen und zu vibrieren, bis im Maschinensaal eine
Maschine nach der andern ihre Arbeit aufnimmt. Man
kann erahnen, welche riesigen Kräfte hier mobilisiert
werden.
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Die grosszügige Wirkung der Seeseite wird durch
die geschlossene Ausbildung der Rückseite und Querseite unterstützt, wo die weiss verputzten Wände nur
mit schmalen Lüftungsöffnungen versehen sind. Die Gebäudekontur der Querfassade widerspiegelt die Form
des Querschnittprofils und drückt die Orientierung des
Gebäudes auf den Fluss hin aus. Die niedrigeren
Nebengebäude, in denen sich die Schieberkammern,
die 11-kV-Schaltanlage, die Werkstatt und der Kommandoraum befinden, sind der dominierenden Maschinenhalle längs und quer angeordnet. Es entsteht eine
Gesamtform, die die funktionelle Zweiteilung und die
Hierarchie Halle-Nebengebäude sichtbar werden lässt.
Die Gebäudekontur, das alles überdeckende Dach und
die Einheitlichkeit in den Materialien bilden das Volumen, die Gerichtetheit und den Zusammenhalt der verschiedenen Funktionsteile. Nur auf der nördlichen Querseite löst sich das Nebengebäude von der einheitlichen
Gesamtform, indem es aus dem Volumen hervortritt und
zum Zugang hin wie ein separates Haus mit eigenem,
flachem Satteldach und Fensterbändern erscheint.
Dieser Gebäudeteil ist architektonisch vom sonstigen
maschinellen und industriellen Gewand der Zentrale
eigenartigerweise losgelöst.
Im Innern dominiert ebenso die Maschinenhalle das
ganze Gebäude. Die Dimensionen der Maschinen ergeben die Gliederung des Innern von den Stützen der
Konstruktion bis zur feinsten Profilierung der Decke.
Ähnliche Lösungen dazu finden sich bei den Zentralen
in Grono (1965), Bärenburg (1963) oder Ova Spin
(1970). Die Maschinen sind mitten im Saal auf dem
glänzenden Tonklinkerplatten-Boden aufgestelllt. Durch
die tiefliegenden, niedrigen Fenster erreicht nur wenig
direktes Sonnenlicht das Innere der Halle. Der grösste
Anteil des Lichtes wird durch die riesigen Glasbausteinflächen gebrochen, und die ganze Halle wird durch ein
gleichmässiges, grünlich schimmerndes Licht erhellt.
Der ingenieurtechnische Aufbau der Zentrale wurde vom
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«Ingenieurbüro für bauliche Anlagen» der Industriellen Betriebe der Stadt Zürich konzipiert. Die
architektonische Gestaltung lag in den Händen der
Architekten Gebrüder Pfister in Zürich.
Für die Unterbringung des Betriebspersonals
wurde ungefähr fünf Kilometer weiter talauswärts,
am Rande des Dorfes Vicosoprano, 1955 eine
Wohnsiedlung erstellt. Diesen Standort zog man
wegen des rauhen Klimas, der Schulverhältnisse und
des Dorflebens dem einsamen Ort am unteren Ende
der windigen Ebene von Casaccia vor. Die zwei
Reiheneinfamilienhäuser à fünf Einheiten stehen,
kaskadierend versetzt, parallel zum Berghang nahe
am Ufer der Maira. Die zwei Reihen folgen durch die
Staffelung in Höhe und Gebäudetiefe den Geländelinien und betten sich so ins bestehende Terrain. Den
architektonischen und räumlichen Zusammenhalt
und Abschluss der Siedlung sowie der Quartierstrasse bildet das 1956/1963 erbaute Schulhaus.
Die ganze Anlage wurde von Architekt Bruno
Giacometti gebaut. Wie bei allen Wohnsiedlungen des
Elektrizitätswerks der Stadt Zürich dominiert der
Ausdruck der Gemeinschaft und des Zusamrnenarbeitens der Bewohner: die Wohnsiedlung bildet im
Dorf eine abgeschlossene Einheit. Sie löst sich vom
Dorf durch Situierung, Grösse und Typologie der
Gebäude, durch eine andere Formensprache und
Motivwahl und wird rundherum durch einen alles
einschliessenden Zaun ganzheitlich umgeben und
zusammengehalten. Die Häuser erscheinen durch
ihre zurückhaltende, schlichte Gestaltung und durch
die geordnete Aneinanderreihung der einzelnen
Elemente neben den grossen, majestätischen Palazzi
in unmittelbarer Umgebung als barackenartige
Arbeitersiedlung.
Aus: C. Clavuot und J. Ragettli, «Die Kraftwerkbauten im Kanton
Graubünden», Chur 1991
ETH Zürich, Departement Architektur, Professur Andrea Deplazes / Gastdozent Christian Kerez, Seminarwoche WS 01 ‘Metaphysik des Betons’

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