Graphimetrie - Ruhr-Universität Bochum
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Graphimetrie - Ruhr-Universität Bochum
Aus der Neurologischen Klinik des St. Josef-Hospitals - Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Direktor: Prof. Dr. med. R. Gold - GRAPHIMETRIE Eine neue computerunterstützte Methode zur Quantifizierung von Hyperkinesien bei der Huntington-Krankheit Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Sharmilan Thanendrarajan aus Tellippalai 2009 Dekan: Prof. Dr. med. G. Muhr Referent: PD Dr. med. P. H. Kraus Korreferent: Prof. Dr. med. M. Brüne Tag der mündlichen Prüfung: 1. Dezember 2009 „Die Schwierigkeiten, Rückschläge und Kümmernisse des Lebens als Herausforderung anzusehen, deren Überwindung uns stärkt, anstatt sie als ungerechte Strafe zu betrachten, die wir nicht verdient haben, das erfordert Glauben und Mut.“ - Erich Fromm - In dem Sinne, danke an meine Eltern, die als srilankische Tamilen auf der Suche nach einer besseren Zukunft nach Deutschland gekommen sind, und sich hier als Asylbewerber unter schwierigen Bedingungen in einem fremden Land durchgeschlagen und ihre Kinder auf den richtigen Weg gebracht haben. - NANDRI - INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG 1. 1. Huntington-Krankheit 1. 1 .1. Grundlagen und Epidemiologie 4 1. 1. 2. Ätiologie und Pathogenese 5 1. 1. 3. Klinik 6 1. 1. 4. Diagnostik und Staging 8 1. 1. 5. Therapie 8 1. 2. Problematik und Zielsetzung 10 1. 3. Fragestellungen 11 2. PROBANDEN, MATERIALIEN UND METHODEN 2. 1. Probanden 2. 1. 1. Huntington-Patienten 12 2. 1. 2. Kontrollpersonen 13 2. 2. Materialien 13 2. 3. Methoden 2.3.1. UHDRS 14 2.3.2. Graphimetrische Untersuchung 17 2.3.3. Computerunterstützte Auswertung 20 2.3.4. Statistik 21 3. ERGEBNISSE 22 1 4. DISKUSSION 32 5. ZUSAMMENFASSUNG 39 6. LITERATURVERZEICHNIS 40 7. DANKSAGUNG 8. LEBENSLAUF 2 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb. Abbildung BMP Bitmap CAG Cytosin-Adenin-Guanin DIN Deutsche Industrienorm DNS Desoxyribonukleinsäure dpi dots per inch engl. englisch et al. et alii HD Huntington Disease M Männliche MATLAB Matrix Laboratory max. Maximum min. Minimum mm Millimeter MW Mittelwert PC Personal Computer SD Standard Deviation SPSS Statistical Package for the Social Sciences SSRI Selective Serotonin Reuptake Inhibitors Tab. Tabelle UHDRS Unified Huntington´s Disease Rating Scale W Weibliche 3 1. EINLEITUNG 1. 1. Huntington-Krankheit 1. 1. 1. Grundlagen und Epidemiologie Die Huntington-Krankheit, auch bekannt als Chorea Huntington oder Morbus Huntington (engl. Huntington Disease), ist eine autosomal-dominant vererbbare, progrediente Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zumeist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr beginnt. Die Bezeichnung dieser Erkrankung ist auf den amerikanischen Arzt George Huntington zurückzuführen, der 1872 diese Erkrankung erstmals beschrieb (Neylan, 2003). Die Prävalenz liegt, abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit, bei 4 bis 8 Huntington-Patienten auf 100.000 Einwohner (Harper, 1992). Männer und Frauen sind aufgrund des autosomalen Vererbungsmodus gleichermaßen betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, die Erkrankung an seine Kinder weiterzugeben, liegt somit bei fünfzig Prozent. In der Kindheit oder Jugendzeit tritt die Erkrankung selten auf und wird als juvenile Form oder Westphal-Variante bezeichnet (Vargas et al., 2003; Geppert et al., 2007). Vereinzelt kann diese Erkrankung auch im fortgeschrittenen Alter auftreten. Die Huntington-Krankheit ist eine lebensverkürzende Erkrankung. Die durchschnittliche Dauer dieser Erkrankung beträgt zehn bis fünfzehn Jahre. 4 Abb. 1: George Huntington (1850-1916) als junger Mann und im fortgeschrittenem Alter (Harper, 1996) 1. 1. 2. Ätiologie und Pathogenese Die Ursache der Huntington-Krankheit liegt in einer Mutation im HuntingtinGen auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4 (4p16.3). Bei dieser Mutation handelt es sich um eine Verlängerung einer DNS-Sequenz aus Wiederholungen eines Nukleotid-Tripletts, bestehend aus den Basen Cytosin, Adenin und Guanin (CAG), weshalb man die Huntington-Krankheit auch zu den Trinukleotid-Expansionskrankheiten zählt. Die Wiederholungen dieser Nukleotid-Tripletts werden aus dem Englischen übersetzt als CAGRepeats bezeichnet. Da das Nukleotid-Triplett die Aminosäure Glutamin kodiert, resultiert aus der abnormen Verlängerung der CAG-Repeats die Bildung von Polyglutaminen, welche zu einer Strukturveränderung des Huntingtin-Proteins führen. Diese Aggregation von mutiertem HuntingtinProtein führt zur Zerstörung von Neuronen, insbesondere in den Arealen des Gehirns, die modulierend und kontrollierend in Bewegungsabläufe eingreifen. Dazu zählen u. a. die Basalganglien und der Cortex. Der genaue zelluläre Mechanismus der Zerstörung von Neuronen ist bislang ungeklärt. Bedingt durch das veränderte Huntingtin-Protein werden folgende Fehlsteuerungen vermutet: Veränderung der Transkription bei der Genexpression in Neuronen mit Fehlregulation des neurozellulären Energiestoffwechsels, Exzitotoxizität 5 durch Überstimulation von Rezeptoren durch Neurotransmitter, Beeinträchtigung des neuroaxonalen Transports und veränderte synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen (Roze et al., 2008). Bei einem gesunden Menschen ist die CAG-Repeat Zahl kleiner als 26. Ab einer CAG-Repeat Verlängerung von 40 kommt es zur klinischen Manifestation der Huntington Krankheit. Zwischen 27 und 35 Repeats kommt es zu keiner Ausprägung der Erkrankung. Dennoch kann sich die Huntington-Krankheit bei väterlicher Übertragung durch Antizipation in der Nachkommenschaft klinisch manifestieren. Zwischen 36 und 39 CAGRepeats liegt eine Grauzone, in der die Krankheit marginal ausgeprägt sein kann oder klinisch unauffällig verläuft (Myers, 2004). Zum einen gibt es eine eindeutige Beziehung zwischen der Anzahl der CAG-Repeats und der Ausprägung der Erkrankung (Ravina et al., 2008), zum anderen gibt es einen nicht-linearen Zusammenhang zwischen der CAG-Repeat Zahl und dem Manifestationssalter der Erkrankung: Je länger die CAG-Repeats, desto jünger das Manifestationsalter und desto schwerer der Verlauf (Andresen et al., 2007). 1. 1. 3. Klinik Die Symptome, unter denen Huntington-Patienten leiden, sind unterschiedlich und individuell ausgeprägt. Zunächst zeigen nahezu alle Patienten psychische Auffälligkeiten, die häufig viele Jahre vor den körperlichen Symptomen auftreten. Hierzu zählen u. a.: vermehrte Reizbarkeit, Nervosität, Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit, Enthemmtheit, Wahnvorstellungen und Psychosen. Auch kognitive Defizite, wie z. B. Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen oder ein Verlust des Aufnahmeund Lernvermögens sind typische Merkmale der Huntington-Krankheit. Bei den neurologischen Symptomen handelt es sich im Frühstadium in erster Linie um Hyperkinesien, d. h. unwillkürliche, überschießende Bewegungen, welche zumeist an den distalen Extremitäten beginnen, und auf Gesicht und Kopf Rumpf, übergreifen. Anfangs versuchen die Patienten, diese 6 überschießenden Bewegungen in Zweckbewegungen einfließen zu lassen. Die Augen-, Zungen- und Gesichtsmuskeln sind ebenfalls von dieser Überbewegung betroffen, sodass die Patienten im Verlauf an Dysarthrie, Okulomotorikstörungen und orofacialen Dyskinesien leiden. Gleichzeitig tritt aber auch aufgrund der fortschreitenden Degeneration des indirekten Pathways die akinetische Komponente immer mehr in den Vordergrund, so dass in späteren Erkrankungsstadien eher das Bild einer Unterbeweglichkeit mit Dystonie, Akinesie und Rigidität resultiert (Berardelli et al., 1999). Im Spätstadium entwickeln nahezu alle Patienten eine schwere Demenz, sodass eine vollständige Pflegebedürftigkeit der Patienten entsteht. Da die Patienten häufig selbst den schweren, progredienten Krankheitsverlauf eines Elternteils oder nahen Verwandten miterlebt haben, entwickeln viele im Verlauf eine schwere Depression. Sie ist verantwortlich für die hohe Suizidrate bei Huntington-Patienten (Larsson et al., 2006). 7 1. 1. 4. Diagnostik und Staging Im Frühstadium erweist sich die Diagnose der Huntington-Krankheit als schwierig. Die Bewegungsstörungen, die im Anfangsstadium nur leicht ausgeprägt sein können, und die psychischen Veränderungen können auch auf andere neurologische und psychiatrische Krankheiten hinweisen. Der Weg zur richtigen Diagnose führt über folgende Merkmale: 1. sorgfältige Anamnese und gründliche neurologische Untersuchung, ggf. mit Hilfe der UHDRS (Unified Huntinton´s Disease Rating Scale); 2. positive Familienanamnese (Verwandte 1. Grades); 3. molekulargenetischer Test mit Nachweis der Huntingtin-Gen Mutation (CAG-Repeats). Anhand bildgebender Verfahren, wie beispielsweise Computer- und Magnetresonanztomographie, lassen sich bereits im Frühstadium der Erkrankung Veränderungen am Gehirn, insbesondere Degenerationen des Cortex und der Basalganglien, optisch darstellen (Kassubek et al., 2004). In der Positronen-Emissions-Tomographie lassen sich bereits in einem sehr frühen Stadium Glucosestoffwechselstörungen in den betreffenden Arealen des Gehirns beobachten (Andrews and Brooks, 1998). Elektrophysiologische Untersuchungen, wie beispielsweise evozierte Potentiale, können Defizite in den verschiedenen Sinnessystemen bei Huntington-Patienten aufzeigen. Um die kognitiven Defizite zu quantifizieren, eignen sich neuropsychologische Tests. 1. 1. 5. Therapie Obwohl die Ursache der Huntington-Krankheit seit längerer Zeit bekannt ist, gibt es keine Möglichkeit diese Erkrankung ursächlich bzw. neuroprotektiv zu behandeln. Somit liegt der Schwerpunkt auf der symptomatischen 8 Behandlung der Patienten, die darin besteht, die Bewegungsstörungen und psychischen Symptome zu lindern (Adam and Jankovic, 2008). Die wirkungsvollste Medikation gegen hyperkinetische Bewegungsstörungen sind Antihyperkinetika, wie z. B. antidopaminerge Substanzen (Neuroleptika), wodurch diese im Anfangsstadium der Erkrankung gut kontrolliert werden können (Bonelli et al., 2004). Als klassische Medikamente sind Tiaprid, als Dopaminrezeptor-Blocker, und Tetrabenazin, welches die Verfügbarkeit des Neurotransmitters Dopamin im synaptischen Spalt reduziert, zu erwähnen. Sie zeigen in Studien eine gute Wirksamkeit gegen Hyperkinesien (Fasano et al., 2008; Dose and Lange, 2000). Bei Unruhe, Angstzuständen und Schlaflosigkeit helfen Medikamente aus der Gruppe der Benzodiazepine. Bei Depressionen kann man auf Antidepressiva, insbesondere aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Mirtazapin zurückgreifen. Huntington-Patienten mit Psychosen und Verhaltensauffälligkeiten wird eine Medikation mit atypischen Neuroleptika empfohlen. Riluzol, als Glutamat-Antagonist, zeigte in einer groß angelegten Studie im Jahre 2007 keine neuroprotektiven Effekte (Landwehrmeyer et al., 2007). Erste Studien mit dem Antibiotikum Minocyclin, dem antiapoptotische Eigenschaften zugeschrieben werden, zeigen neuroprotektive Eigenschaften bei der Huntington-Krankheit (Bonelli et al., 2004). Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Resultate Langzeitstudien ergeben. Bislang gibt es keinen eindeutig langfristigen Nachweis über neuroprotektive Wirkung von Medikamenten bei der Huntington-Krankheit. Neben der medikamentösen Therapie spielen supportive Maßnahmen wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie eine wichtige Rolle. Auch die hochkalorische Ernährung und die Anlage einer Magensonde im fortgeschrittenen Stadium zählen zu den allgemeinen therapeutischen Vorgehensweisen. Ferner gehört die begleitende psychologische Betreuung der Patienten und deren Angehörige mit zum Standbein bei der Versorgung von Huntington-Erkrankten. 9 Neue chirurgisch-interventionelle, therapeutische Ansätze sind lediglich experimentell an kleinen Patientenkollektiven mit mäßigem Erfolg durchgeführt worden. Hierzu zählen: Pallidotomie, Transplantation von fetalen Zellen, Tiefenhirn-Stimulation (Adam and Jankovic, 2008). 1. 2. Problematik und Zielsetzung Zu den Hauptbeschwerden der Huntington-Krankheit zählt zu Beginn die Beeinträchtigung durch Hyperkinesen. Diese nehmen im Verlauf der Erkrankung zunächst zu und beeinträchtigen die Fein- und Grobmotorik sowie die posturale motorische Koordination. Abgesehen von der Unified Huntington´s Disease Rating Scale (UHDRS), die eine subjektive Bewertung des klinischen Zustandes eines Patienten wiedergibt, gibt es bislang keine Methode, die sich im klinischen Alltag zur Erfassung von Bewegungsstörungen bei Huntington-Patienten durchgesetzt hat. Das Ziel und die Hauptmotivation dieser Arbeit bestanden darin, einen einfachen, standardisierten und objektiven Test zur Quantifizierung von Bewegungsstörungen bei Patienten mit Huntington-Krankheit zu entwickeln. Als Methodik wurde die neu entwickelte computerunterstützte Analyse von Hyperkinesien mit Hilfe der Graphimetrie eingesetzt. Mit Hilfe dieser TestMethode möchten wir eine Grundlage für einfache, alltagstaugliche Verlaufskontrollen bei Huntington-Patienten schaffen. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, einen Beitrag zur Frühdiagnostik bei präsymptomatischen Genträgern zu schaffen. Bislang ist der Krankheitsbeginn bei HuntingtonPatienten wenig untersucht. 10 1. 3. Fragestellungen Hauptfragestellungen: 1. Lassen sich graphimetrisch Huntington-Patienten von Kontrollpersonen unterscheiden? 2. Lässt sich mit Hilfe der Graphimetrie eine Kreuzvalidierung zur bewährten Unified Huntington´s Disease Rating Scale (UHDRS) herstellen und eine Stadieneinteilung der Huntington-Krankheit vornehmen, bspw. in leicht-, mittel- und schwergradige Erkrankung? Nebenfragestellungen: 3. Welche Figur ist für die graphimetrische Analyse von Hyperkinesien besser geeignet, und welcher Zusammenhang besteht zwischen dominanter und nichtdominanter Hand bei der graphimetrischen Analyse. 4. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den graphimetrischen Untersuchungsergebnissen und dem Alter bzw. Erkrankungsdauer der Patienten? 11 2. PROBANDEN, MATERIALIEN UND METHODEN 2. 1. PROBANDEN 2. 1. 1. Huntington-Patienten Insgesamt wurden 54 Patienten mit genetisch gesicherter HuntingtonKrankheit, die sich in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung befanden in diese Arbeit eingeschlossen, darunter 29 Frauen und 25 Männer. Das mittlere Alter der Patienten betrug 48 Jahre (min. 24 bis max. 73 Jahre). Die Erkrankungsdauer der Patienten lag im Durchschnitt bei 7,3 Jahren (min. 0 bis max. 18). Die pathologischen CAG-Repeat-Zahlen lagen zwischen 38 und 56, im Durchschnitt bei 44,6. Bei 8 Huntington-Patienten war es nicht möglich, trotz bekannter Genmutation, die pathologischen CAG-Repeats herauszufinden. Auf der anderen Seite konnte bei 4 Patienten, trotz abnormer CAG-Repeat Verlängerung, keine positive Familienanamnese erhoben werden, da der entsprechende Elterteil schon in jungen Jahren verstorben war. Insgesamt waren unter den 54 Patienten 49 Rechts- und 5 Linkshänder (9%) vorzufinden. Tab. 1: Angaben zu den Huntington-Patienten Kriterien Patientenkollektiv MW (min. – max.) Geschlecht 25 M Alter (in Jahre) 48,0 (min. 24 - max. 73) CAG-Repeats 44,6 (min. 38 - max. 56) Erkrankungsdauer (in Jahre) 7,3 (min. 0 - max. 18) 29 W 12 2. 1. 2. Kontrollpersonen Insgesamt wurden 32 Kontrollpersonen in dieser Arbeit untersucht, darunter jeweils 16 Frauen und 16 Männer. Das Durchschnittsalter der Kontrollgruppe betrug 39,8 Jahre (min. 18 bis max. 73 Jahre). Unter den Kontrollpersonen gab es 29 Rechts- und 3 Linkshänder (9 %). Bei der Auswahl der Kontrollgruppe wurde streng darauf geachtet, dass bei den Personen weder neurologische, noch psychiatrische Erkrankungen vorlagen. Eine orientierend neurologische Untersuchung wurde zum Ausschluss von neurologischen Einschränkungen durchgeführt. Die Einnahme von neurologischen und psychiatrischen Medikamenten war ein Ausschlusskriterium. 2. 2. Materialien Unified Huntington´s Disease Rating Scale (UHDRS) - Motor Assessment - (Abb. 2 und 3) Klemmbrett (DIN A4) schwarzer Kugelschreiber DIN A4 Graphimetrie-Vordrucke (120 g/qm) mit Spiralfigur (ø 15,5 cm); (Abb. 4) DIN A4 Graphimetrie-Vordrucke (120 g/qm) mit Kreisfigur (ø 13 cm); (Abb. 5) handelsüblicher PC Scanner mit automatischem Stapeleinzug (Hewlett-Packard, Typ: HP Scanjet 7400C) Software: Visual Basic 6.0, MATLAB 6, SPSS (Version 11.51) 13 2. 3. Methoden 2. 3. 1. UHDRS Die Unified Huntington´s Disease Rating Scale ist das Routineinstrument bei der klinischen Beurteilung von Huntington-Patienten. Die UHDRS hat sich zur Staging- und zur Verlaufskontrolle bei Huntington-Patienten bewährt (Huntington Study Group, 1996). In 6 unterschiedlichen Subscores werden die Patienten auf unterschiedlichen Teilbereichen analysiert (s. Tab. 2). Tab. 2: Subscores der Unified Huntington´s Disease Rating Scale Motor Assessment Cognitive Assessment Behavioral Assessment Independence Scale Functional Assessment Total Functional Capacity Im Motor Assessment werden nahezu alle motorischen Phänomene untersucht (s. Abb. 2 und 3). Als erstes wurden die Patienten mit Hilfe des Motor Assessments der UHDRS klinisch-neurologisch eingestuft. Hierbei wurden alle wichtigen motorischen Defizite der Patienten mit Hilfe eines Punktescores zugeordnet. Bei jeder Merkmalsuntersuchung können die Patienten bei 5 Stufen mindestens 0 und maximal 4 Punkte erreichen. So können die Patienten theoretisch bei 31 Items einen Punktewert zwischen 0 und 124 erreichen. Je höher dieser Wert, desto schlechter ist der Bewegungsstatus des einzelnen Patienten. Es gibt einen eigenen Satz aus 7 Fragen zur Chorea, bei dem die Hyperkinesien an unterschiedlichen Körperstellen und Extremitäten getrennt analysiert werden. Interessant für die vorliegende Arbeit sind in erster Linie die Hyperkinesien an den oberen Extremitäten (s. Abb. 3: rot-markiert). 14 Unified Huntington´s Disease Rating Scale (1999) Motor Assessment ….. Abb. 1: UHDRS (Motor Assessment), Seite 1/2 Abb. 2: UHDRS - Motor Assessment - (Seite1/2) 15 Abb. 3: UHDRS - Motor Assessment - (Seite2/2) BOL: bucco-oro-lingual, RUE: right-upper extremity, LUE: left-upper extremity, LLE: left-lower extremity, RLE: right-lower extremity 16 2. 3. 2. Graphimetrische Untersuchung Als nächstes wurden die Patienten gebeten zügig ohne abzusetzen zwei verschiedene Graphimetrie-Vordrucke einer abgebildeten Figur (Farbe: hellblau) im Uhrzeigersinn mit einem schwarzen Kugelschreiber nachzufahren. Zuerst wurde die dominante Hand und direkt im Anschluss die nichtdominante Hand getestet. Es handelte sich bei den Figuren um einen Kreis (ø 13 cm; s. Abb. 4) und eine Spirale mit fünf Windungen (ø 15,5 cm; Abb. 5) auf einem DIN A 4-Bogen. Da die Linienführung bei einem Kreis wie auch bei einer Spirale kontinuierlich und ohne Wendepunkte ist, eignen sich diese beiden Figuren besonders gut um unwillkürliche Anteile in den Zeichnungen der Probanden zu erkennen. Die Spirale musste einmal nachgefahren werden, der Kreis zehnmal. Die genaue Instruktion der Patienten war sehr wichtig, da sich die Verständigung mit Ihnen nicht immer einfach gestaltete. Es wurde ebenso darauf geachtet, dass die Patienten bei der Durchführung nicht abgelenkt waren, weshalb ein ruhiger Ort ausgesucht wurde. Die graphimetrische Untersuchung wurde in sitzender Position an einem ebenen Tisch mit guter Beleuchtung durchgeführt. Auch ist es wichtig, die Graphimetrie-Vordrucke vorher in ein Klemmbrett einzuspannen, damit sich das Blatt nicht während der Durchführung faltet. Patienten mit Sehhilfe wurde gebeten vor der Durchführung diese aufzusetzen. 17 Abb. 4: Graphimetrie-Vorlage: Spirale – Originalgröße:ø 15,5 cm Einmal im Uhrzeigersinn zu zeichnen 18 Abb. 5 : Graphimetrie-Vorlage: Kreis – Originalgröße ø 13 cm Zehnmal hintereinander im Uhrzeigersinn zu umfahren 19 2. 3. 3. Computerunterstützte Auswertung Die von den Huntington-Patienten bzw. Kontrollpersonen erstellten Graphimetrie-Zeichnungen wurden im Anschluss mit einem Scanner (HP SCANJET 7400C) eingelesen (Auflösung: 200 dpi – schwarz/weiß) und als Bitmap (BMP) – Dateien digitalisiert. Die so angefertigten Bilddateien wurden mit einem speziell entwickelten Auswertungsprogramm auf Basis von Visual Basic 6.0 und MATLAB 6 im Computer ausgewertet. Als Maß für die Überbeweglichkeit wurden bei den Spiralen die Abweichungen von der kontinuierlichen Spiralzeichnung ermittelt. Bei den Kreisen wurde als Maß für die Überbeweglichkeit die mittlere Spurbreite der zehn übereinander gezeichneten Einzellinien innerhalb einer Zeichnung bestimmt. Ein gleichbleibender Versatz der Zeichnung von der Vorlage geht weder bei der Spirale noch beim Kreis in das Ergebnis ein. Die Maßeinheit für die gefundenen Abweichungen sind jeweils Millimeter. 20 Abb. 6 : Vergrößerung eines Abschnitts aus der graphimetrischen Untersuchung einer Kreiszeichnung mit Darstellung der Spurbreite 2. 3. 4. Statistik Zur statistischen Auswertung wurden folgende Methoden eingesetzt: Für alle Vergleiche zwischen Kontrollen und Patienten wurde als prüfende Statistik der Mann-Whitney-Test Diskriminanzanalyse, verwendet. (einseitig-exakt), Zusammenhänge explorativ zwischen die zwei Parametern wurden durchwegs aufgrund der Verteilung der Daten und der Anzahl der Patienten mittels nichtparametrischer Korrelation (SpearmanRho) analysiert. Korrelative Zusammenhänge zwischen Parametern (z. B. Graphimetrie mit Alter) wurden mittels eines linearen Regressionsmodells ausgewertet. Die Auflösung der Graphimetrie-Ergebnisse zwischen den Ratings aus der UHDRS wurde mittels Kruskal-Wallis-Test ermittelt. Die gesamte Analyse erfolgte mit SPSS 11.51. 21 3. ERGEBNISSE Die graphimetrischen Abweichungen für die Kreis- und Spiralzeichnungen bei Kontrollpersonen und Huntington-Patienten, jeweils für dominante und nichtdominante Hand, sind in Tabelle 3 wiedergegeben. Für alle Parameter fanden sich signifikante Unterschiede zwischen Kontrollen und HD-Patienten (p<0.0005) und innerhalb der beiden Gruppen signifikante Unterschiede zwischen dominanter und nicht-dominanter Hand. In Zusammenschau der beiden Figuren sind die Abweichungen der Amplituden bei der Kreiszeichnung numerisch sehr viel höher als bei der Spiralzeichnung. Tab. 3: Darstellung der graphimetrischen Untersuchungsergebnisse bei Kontrollpersonen und Huntington-Patienten für die Kreis- und Spiralzeichnung, jeweils für beide Hände (alle Angaben in mm) Figure Controls (n=32) HD-Patients (n=54) mean SD mean SD Spiral, non-dominant 1.88 0.37 4.54 1.76 Spiral, dominant 1.45 0.32 3.52 2.08 Circle, non-dominant 3.25 1.14 10.93 7.40 Circle, dominant 2.56 0.82 8.55 6.16 22 Weiterhin ergab sich eine signifikante Korrelation zwischen den Werten für das klinische Rating mittels Motor Assessment der UHDRS (Bewertung der Hyperkinesien der oberen Extremitäten) mit den jeweiligen Messwerten für Spirale und Kreis, jeweils für dominante und nicht-dominante Hand (s. Tab. 4). Tab. 4: Korrelation zwischen graphimetrischen Untersuchungsergebnissen und dem Rating der Hyperkinesien der oberen Extremitäten mittels Motor Assessment der UHDRS (für Spirale und Kreis nach Händigkeit gepaart) HD-Patients (n = 54) Chorea dominant hand (UHDRS) Chorea non-dominant hand (UHDRS) Spiral dominant hand correlation coefficient 0.47 significance Spiral non-dominant hand < 0.0005 correlation coefficient 0.48 significance Circle dominant hand < 0.0005 correlation coefficient 0.41 significance Circle non-dominant hand 0.002 correlation coefficient 0.43 significance 0.001 Abb. 7 und 8 zeigen, dass es eine gute Korrelation zwischen dem klinischen Rating der oberen Extremitäten mit Hilfe des Motor-Assessment der UHDRS und den graphimetrischen Untersuchungsergebnissen gibt. HuntingtonPatienten, die im klinischen Rating keine hyperkinetische Aktivität (Punktescore = 0) hatten, lagen bei der graphimetrischen Analyse zwischen 23 den Ergebnissen der Kontrollgruppe und den Huntington-Patienten mit niedrigen bis mittleren Rating-Werten. Das Ergebnis der Auswertungen zeigt zudem für alle GraphimetrieParameter einen identischen, deutlichen Ceiling-Effekt (s. Abb. 7 und 8). Abb. 7: Darstellung der graphimetrisch untersuchten Hyperkinesien bei der Spiralzeichnung, gemäß Motor-Assessment der UHDRS der oberen Extremitäten (Punktescore 0-4) Abb. 8: Darstellung der graphimetrisch untersuchten Hyperkinesien bei der Kreiszeichnung, gemäß Motor-Assessment der UHDRS der oberen Extremitäten (Punktescore 0-4) 24 Tabelle 5 veranschaulicht die Unterschiede zwischen den beiden Figuren Spirale und Kreis in Bezug auf das Motor Assessment der UHDRS (Chorea der oberen Extremität; Punktescore: 0-4). Tab. 5: Vergleich zwischen Graphimetrie-Ergebnissen und Motor- Assesssment der UHDRS (Chorea der oberen Extremität, Punktescore: 0-4) der entsprechenden Handseite (Kruskal-Wallis Test, p-Werte) Chorea left-upper extremity Chorea right-upper extremity Spiral left Circle left 0.004 0.024 Spiral right Circle right 0.026 0.110 In der Diskriminanz-Analyse auf Basis aller 4 Messwerte wurden 90.7 % aller Personen richtig zugeordnet (alle Kontrollpersonen und 46 von 54 HDPatienten). 25 Abbildung 9 veranschaulicht die gute Korrelation zwischen beiden Händen bei den graphimetrischen Untersuchungen für Spirale und Kreis. Hierbei wird die relative Lage der graphimetrischen Amplituden für Huntington-Patienten und Kontrollpersonen hervorgehoben. Abb. 9: Korrelation der graphimetrischen Amplituden zwischen rechter und linker Hand, jeweils für Spiral- und Kreiszeichnung bei Kontrollpersonen und Huntington-Patienten 26 In der graphimetrischen Analyse zeigte sich eine signifikante Korrelation zwischen der dominanten und nicht-dominanten Hand für die jeweilige Figur. Bei dem Vergleich zwischen dominanter Hand und nichtdominanter Hand für die Spiralzeichnung konnten wir einen Korrelationskoeffizienten von 0.68 (p < 0.0005) nachweisen. nichtdominanter Bei dem Vergleich zwischen dominanter und Hand für die Kreiszeichnung zeigte sich ein Korrelationskoeffizient von 0.93 (p < 0.0005). Ferner veranschaulicht die graphimetrische Untersuchung eine signifikante Korrelation zwischen beiden Figuren an sich. Bei dem Vergleich zwischen der Spiral- und Kreiszeichnung für die dominante Hand ergab sich ein Korrelationskoeffizient von 0.61 (p < 0.0005). Bei dem Vergleich zwischen der Spiral- und Kreiszeichnung für die nichtdominante Hand betrug der Korrelationskoeffizient 0.63 (p < 0.0005). Für die gemessenen Graphimetrie-Werte der Spiralzeichnung fand sich keine Altersabhängigkeit bei den Kontrollen. Für die Huntington-Patienten ergab sich eine signifikante Altersabhängigkeit und ein Zusammenhang mit der Erkrankungsdauer (s. Tab. 6). Tab. 6: Abhängigkeit von Alter bzw. Erkrankungsdauer bzgl. Graphimetrie bei der Spiralzeichnung (lineare Regression). Die Zahlen bedeuten die jeweilige erklärte Varianz in Prozent und dem zugehörigen p-Wert in Klammern Age Duration of Age at onset symptoms Controls 0 (0.69) HD-Patients 8 % (0.022) 15 % (0.0025) 3 % (0.11) 27 Abb. 10: Beispiel für graphimetrische Untersuchung bei einer Kontrollperson; Zeichnungen rechts: dominante Hand, Zeichnungen links: nichtdominante Hand 28 Abb. 11: Beispiel für graphimetrische Untersuchungen bei einem Patienten mit leichter Hyperkinesie der oberen Extremitäten; Zeichnungen rechts: dominante Hand, Zeichnungen links: nichtdominante Hand 29 Abb. 12: Beispiel für graphimetrische Untersuchungen bei einem Patienten mit mittelgradiger Hyperkinesie der oberen Extremitäten; Zeichnungen rechts: dominante Hand, Zeichnungen links: nichtdominante Hand 30 Abb. 13: Beispiel für graphimetrische Untersuchungen bei einem Patienten mit schwerer Hyperkinesie der oberen Extremitäten; Zeichnungen rechts: dominante Hand, Zeichnungen links: nichtdominante Hand 31 4. DISKUSSION Hyperkinesien sind unwillkürliche, unkontrollierte Überbewegungen, die zu Beginn der Huntington-Krankheit eines der Hauptsymptome darstellen. Insbesondere die Extremitäten sind von diesen überschießenden Bewegungsstörungen betroffen. Die von der Huntington Study Group im Jahre 1996 entwickelte und mehrfach überarbeitete Unified Huntington´s Disease Rating Scale gilt bis heute als das Routineinstrument bei der klinischen Beurteilung von Huntington-Patienten. Im Motor-Assessment der UHDRS werden die Patienten im Hinblick auf ihre motorischen Eigenschaften analysiert. Es gibt einen eigenen Punkt unter Chorea, der die Hyperkinesien an Extremitäten, Rumpf, Kopf, Gesichts-, Mund- und Zungenpartien bewertet. Insbesondere zur Verlaufskontrolle von Huntington-Patienten ist die UHDRS eine sinnvolle Methode (Siesling et al., 1998). Dennoch zeigt die UHDRS einige Schwächen: Klempir et al. untersuchten konkret den klinischen Nutzen der UHDRS. Diese Studie zeigte u. a., dass die UHDRS freiwillige, absichtliche motorische Aktivitäten bei Huntington-Patienten nicht berücksichtigt (Klempir et al., 2006). Die Anwendung der UHDRS ist zeitaufwendig und erfordert einen erfahrenen Untersucher, der die klinischen Merkmale richtig zuordnet. Bei ungenauer Einschätzung der Patienten können falsch hohe oder falsch niedrige Punktwerte entstehen, die das klinische Bild des Patienten verzerren. Mit 31 Merkmalen werden nahezu alle motorischen Eigenschaften bei den Patienten analysiert. Dennoch ist das Auflösungsvermögen mit nur 5 Stufen (0-4) grob, sodass die klinische Abbildung der Patienten ungenau ist. Einen historischen Überblick zur instrumentellen Analyse von Bewegungsstörungen liefern Lanska et al.: Bereits in 19. Jahrhundert erfolgte die Untersuchung von Bewegungsstörungen mit Hilfe von Dynamometern, Dynamographen und unterschiedlichen Tremor-Aufzeichnungsgeräten (Lanska et al., 2001). Seit vielen Jahren wird mit verschiedenen Methoden versucht, die motorischen Probleme speziell von Huntington-Patienten 32 objektiv zu quantifizieren. Den Schwerpunkt auf instrumentelle Therapiekontrollen bei Huntington-Patienten legten bspw. Dixon et al. bereits im Jahre 1952 (Dixon et al., 1952). Um die Bewegungsstörungen bei Huntington-Patienten genauer zu analysieren und zu beurteilen, forschen Wissenschaftler und Ärzte weiter an instrumentellen Test-Methoden, wie beispielsweise Ultraschalluntersuchungen (Rott, 1986) oder Video- metrietechniken (Reynolds et al., 1999). Andere Ansätze und Methoden analysieren die konkreten Fähigkeiten von Huntington-Patienten. Es gibt einige Studien, die als Schwerpunkt die Greifbewegungen bei Huntington-Patienten analysieren. Bonfiglioli et al. zeigen in ihrer Studie, dass bei Huntington-Patienten die Ausstreck- und Greifbewegung der Hand beeinträchtigt ist. Huntington-Patienten benötigen deutlich mehr Zeit als eine vergleichbare Kontrollgruppe (Bonfiglioli et al., 1998). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Quinn et al. in ihrer Studie. Huntington-Patienten wurden aufgefordert, Objekte mit unterschiedlichem Gewicht zwischen Daumen und Zeigefinger zu greifen und in einem bestimmten Abstand abzulegen. Huntington-Patienten haben im Vergleich zu Kontrollpersonen eine stärker gekrümmte Greifbewegung, wobei unterschiedliche Griffstärken in Abhängigkeit von dem Gewicht zur Anwendung kommen (Quinn et al., 2001). Reilmann et al. konnten in einer dreijährigen Verlaufstudie zeigen, dass bei Huntington-Patienten die Schwankungen der Greifkraft im Verlauf zunehmen (Reilmann et al., 2001). Nach Schwarz et al. beruhen Schwächen beim Greifen von Gegenständen mit unterschiedlichem Gewicht am ehesten auf sensomotorische Defizite bei Huntington-Patienten (Schwarz et al., 2001). Um die motorische Überbewegung bei Huntington-Patienten zu quantifizieren, entwickelten australische Wissenschaftler einen Finger-Beuge Test, wobei ein vorgegebenes Ziel mit einer bestimmten Kraft erfasst werden sollte. Huntington-Patienten zeigten eine deutlich höhere Überbewegung mit Schwierigkeiten bei der Ziel-Erfassung als die vergleichbare Kontrollgruppe (Georgiou-Karistianis et al., 2004). Bei der instrumentellen Beurteilung von Huntington-Patienten untersuchten Michell et al. das Klopfen der Handfläche auf einem ebenen Untergrund. Bei Huntington-Patienten sind die Pausen 33 zwischen den einzelnen Anschlägen länger. Sie erreichten ferner in einer vorgegebenen Zeit von 30 Sekunden weniger Anschläge als ihre Kontrollgruppe (Michell et al., 2008). Auch die Okulometrie, d. h. die Analyse der Augenbewegungen, kann bei der klinischen Beurteilung von HuntingtonPatienten eine wichtige Rolle spielen. Ali et al. untersuchten mit einem Infrarot-Okulometer bei Huntington-Patienten die Augenfolgebewegungen. Heraus kam, dass bei Huntington-Patienten Früh-Sakkaden häufiger auftreten. Zudem sind die Sakkaden länger andauernd und die Schwankungen der Sakkaden signifikant häufiger (Ali et al., 2006). Die beschriebenen instrumentellen Methoden erfolgten weitgehend unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten mit kleinen Gruppen und wurden bislang nicht zu einem routinemäßigen Test für den klinischen Alltag weiterentwickelt. Die meisten Methoden sind apparativ aufwendig und teuer, und daher für einen Routineeinsatz nicht geeignet. Viele der bisher eingesetzten Untersuchungen beschäftigten sich mit der Untersuchung des einfachen Zusammenhangs der Messparameter mit der klinischen Einschätzung (vorwiegend Korrelation, ohne weitere Anforderungen an das Verständnis.) Trotz der gefundenen signifikanten Korrelationen, basiert in vielen Fällen die Annahme, dass die Korrelation zwischen der Leistung des Patienten und dem Ausmaß der Hyperkinesien einen eindeutigen Zusammenhang erfasst. Viele der Tests sind nicht symptom-, sondern leistungsorientiert. Laut Literatur gibt es bislang keine einzige Studie zur graphimetrischen Analyse von Hyperkinesien bei Huntington-Patienten. Selbst der Begriff Graphimetrie ist in der Literatur bislang weitgehend unbekannt. Dennoch gibt es in der Literatur Ansätze zur graphimetrischen Analyse von Bewegungsstörungen. Die Spiralzeichnung ist ein bekanntes Verfahren zur quantitativen Erfassung von Bewegungsstörungen: Rudzinska et al. konnten zeigen, dass das Zeichnen einer archimedischen Spirale auf einer graphischen Digitaltafel mit anschließender automatischer computerunterstützter Auswertung bei 34 Patienten mit essentiellem Tremor und idiopathischem Parkinson-Syndrom eine sinnvolle Methode zur quantitativen Erfassung bei der Tremoranalyse darstellt (Rudzinska et al., 2007). Auch Pullmann beschreibt in seiner Arbeit die Spiralanalyse als effektive Methode zur Tremormessung. Das Zeichnen einer Spirale auf eine Digitaltafel kann zur Erfassung von subtilen motorischen Bewegungsstörungen sowie in der Frühdiagnostik und zur Therapiekontrolle eingesetzt werden (Pullman, 1998). Auch bei der quantitativen Evaluation des Intentionstremors bei Patienten mit Multipler Sklerose ist das Zeichnen einer Spirale bzw. eines Kreises auf einer Digitaltafel mit anschließender Auswertung ein nützliches Werkzeug (Feys et al., 2007). Im Gegensatz zu der vorliegenden Arbeit, bei der die Spiral- und Kreiszeichnungen auf einem Blatt Papier durchgeführt und im Anschluss eingescannt wurden, ist in den bislang oben beschriebenen Arbeiten eine aufwendige Apparatur notwendig. Die Zeichnungen werden auf einer Digitaltafel angefertigt, die Daten direkt an einen Computer weitergegeben und automatisch ausgewertet. Bei dieser Anwendung muss immer eine Digital-Tafel und ein PC mit dem benötigten Auswertungsprogramm vorhanden sein. Man ist somit unflexibler bei der Anwendung dieser Methode. Vorteilhaft erscheint hingegen die schnellere und direkte Eingabe der Daten zur Auswertung im Computer. Ansätze zur graphimetrischen Analyse von Hyperkinesien bei der Huntington-Krankheit lieferten Phillips et al. mit ihren Studien. Phillips et al. untersuchten die Handschrift von Huntington-Patienten. Hierbei konnte veranschaulicht werden, dass Hyperkinesien geschmeidige Bewegungsabläufe bei Huntington-Patienten während des Schreibvorgangs beeinträchtigen. Ingesamt kommt es zusätzlich zu einer Makrographie, d. h. einer unwillkürlichen Vergrößerung der Handschrift (Phillips et al., 1994). Um aufeinanderfolgende Bewegungsabläufe bei Huntington-Patienten zu untersuchen, führten ebenfalls Phillips et al. ein einfaches Experiment durch, in dem sie Huntington-Patienten Buchstaben hintereinander schreiben ließen. Dabei konnte veranschaulicht werden, dass es zu einer Verlängerung 35 der Dauer von Bewegungsabläufen kommt (Phillips et al., 1995). Carella et al. untersuchten die Fähigkeit von Huntington-Patienten sowohl mit geöffneten als auch mit verschlossenen Augen eine quadratische Figur zu zeichnen. Huntington-Patienten benötigten im Allgemeinen mehr Zeit zur Fertigstellung der Zeichnungen als eine vergleichbare Kontrollgruppe. Die Figuren waren insgesamt größer und ungenauer als die Vorlage. Mit verschlossenen Augen waren die Schwankungen der Bewegungen bei den Patienten sehr viel größer. Die visuelle Kontrolle spielt bei HuntingtonPatienten eine größere Rolle als bei Kontrollpersonen (Carella et al., 2003). Ein wichtiges Ziel dieser Doktorarbeit war es zu klären, ob die Graphimetrie bei der Frühdiagnostik der Huntington-Krankheit im präsymptomatischen Stadium bei Trägern mit der Huntingtin-Genmutation eingesetzt werden kann. Bislang konnte man mit Hilfe der Magnetresonanztomographie beweisen, dass das Gehirn bereits bei präsymptomatischen Genträgern Veränderungen aufweist: Das Volumen des Striatums und die weiße Substanz sind vermindert, die Hirnrinde ist ausgeweitet (Paulsen et al., 2006). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Aylward et al. in ihren Untersuchungen: Die Atrophie des Striatums beginnt viele Jahre, bevor sich die Krankheit klinisch manifestiert (Aylward et al., 2004). Bislang ist jedoch die Detektion des Krankheitsbeginns von präsymptomatischen Genträgern schwierig. De Boo et al. fordern weitere Tests für die Frühdiagnostik bei Genträgern. In ihrer Studie konnten drei erfahrene Neurologen anhand von vorgespielten Videos nicht adäquat zwischen präsymptomatischen Genträgern und Kontrollpersonen unterscheiden (de Boo et al., 1998). Auch Leblhuber erläutert in seiner Arbeit, dass es bislang keinen zuverlässigen, alltagstauglichen Test zur Bestimmung von präsymptomatischen Genträgern gibt (Leblhuber, 1993). Mit dem entwickelten Zeichentest liegt eine sehr alltagsnahe Aufgabe vor, die unter ganz gewöhnlichen Bedingungen nach Augenschein Hyperkinesien erfasst. Die graphimetrische Analyse unterscheidet hochsignifikant zwischen Kontrollpersonen und Huntington-Patienten. Insgesamt zeigt sich eine gute Korrelation zur bewährten UHDRS bzgl. Bewertung der Hyperkinesien an 36 den oberen Extremitäten. Eine graphimetrische Stadieneinteilung in leicht-, mittel-, und schwergradige Hyperkinesien ist möglich. Huntington-Patienten, die im klinischen Rating keine hyperkinetische Aktivität der oberen Extremitäten hatten, lagen bei der Graphimetrie zwischen den Ergebnissen der Kontrollgruppe und den Huntington-Patienten mit niedrigen bis mittleren Rating-Werten. Kritisch anzumerken ist, dass dies zum Teil auch auf RumpfHyperkinesien oder hyperkinetische Aktivität im sonstigen Körper zurückzuführen sein könnte. Daher wurde zur Kontrolle die Auswertung noch einmal für Patienten durchgeführt, die im Gesamt-Rating für Hyperkinesen in allen Items den Wert 0 hatten. Auch für diese kleine Gruppe (n = 3) bestätigte sich die Zuordnung: Auch sie lagen zwischen den Kontrollpersonen und Patienten mit klinisch erfasster hyperkinetischer Aktivität. Aufgrund der geringen Gruppengröße dieser Subgruppe ist eine statistische Auswertung nicht möglich. Das Resultat der GraphimetrieAuswertungen zeigt zudem für alle Graphimetrie-Parameter einen identischen, deutlichen Ceiling-Effekt, der dafür spricht, dass die beiden Tests (Kreis, Spirale) für die Auflösung im Bereich Frühdiagnostik äquivalent einsetzbar sind. Im Prinzip können beide Zeichnungen für die graphimetrische Analyse von Hyperkinesien gleichwertig eingesetzt werden. Insgesamt zeigt jedoch die Spiralzeichnung eine bessere Auflösung der Hyperkinesien als die Kreiszeichnung. Beide Handseiten bilden die Hyperkinesien gut ab. Für die gemessenen Graphimetrie-Werte bei der Spiralzeichnung fand sich für Huntington-Patienten eine signifikante Altersabhängigkeit und ein Zusammenhang mit der Erkrankungsdauer: Je höher das Alter und je länger die Erkrankungsdauer der Patienten, desto höher die Amplituden bei den graphimetrischen Untersuchungsergebnissen bei der Spirale. Bei der Graphimetrie handelt es sich um eine praktisch bedeutsame und interpretierbare Untersuchung nahe an den tatsächlichen motorischen Symptomen der Huntington-Krankheit. Die Graphimetrie ist zudem ein kostengünstiges und einfach zu handhabendes Werkzeug. Sie hat darüber hinaus den Vorteil, dass es zum einen von Patienten zu Hause durchgeführt 37 werden kann und telemedizinisch via Fax oder Postversand auswertbar ist. Dies stellt einen sehr wesentlichen Unterschied zu den bisher nur im Labor entwickelten aufwendigen und teuren Methoden dar. Unter anderem wird die Akzeptanz für die Anwendung im klinischen Alltag, z. B. in Arztpraxen und klinischen Ambulanzen erhöht, da der Zeitaufwand und Personaleinsatz in klaren Grenzen bleiben. Zum anderen entsteht eine völlig neue MessPhilosophie: Es stehen nun auch Messwerte aus dem Alltag des Patienten zur Verfügung, die häufigen Wiederholungen geben Einblicke in Tagesschwankungen und zeitliche Verläufe. Entsprechend stehen bei dem Einsatz der Methode in Therapiestudien mehr Daten und damit stabilere Ergebnisse zur Verfügung. Durch Veränderung der Auswertungsparameter bei den Bitmap-Bilddateien lässt sich das Auflösungsvermögen in den Bereich verschieben, der von größtem Interesse ist. In der vorliegenden Version haben wir unser Augenmerk vorwiegend auf den Bereich gerichtet, der sowohl den Übergang vom Zustand der Risikoperson zum symptomatischen Patienten (Phänokonversion) auflöst, als auch eine Verlaufs- und Therapiekontrolle bis hin zur mittleren Symptomausprägung ermöglicht. Es ist zu erwarten, dass der prospektive Einsatz bei Risikopersonen neue Informationen über den Beginn der Symptomatik liefern kann. Hierzu gehört nicht nur eine genauere Festsetzung des Age-at-Onset, sondern auch die Information, ob sich die Erkrankung eher stufenförmig, schleichendkontinuierlich oder sogar zunächst reversibel entwickelt. 38 5. ZUSAMMENFASSUNG Bei Patienten mit der Huntington-Krankheit stellen Hyperkinesien eines der Hauptsymptome in der Frühphase der Erkrankung dar. Bislang hat sich noch keine objektive, einfache Methode zur Frühdiagnose und Verlaufskontrolle der Erkrankung durchgesetzt. Mit unserer Graphimetrie-Methode möchten wir einen alltagstauglichen, einfach zu handhabenden Test vorstellen, der die Hyperkinesien erfasst. Mit Hilfe der Graphimetrie und der anschließenden automatischen computerunterstützten Auswertung untersuchten wir 54 Huntington-Patienten und 32 Kontrollpersonen. Die Probanden wurden aufgefordert mit der dominanten und nichtdominanten Hand eine Spiral- und Kreiszeichnung auf einer Vorlage nachzuzeichnen. Nach Anfertigung der Zeichnungen wurde diese eingescannt und mit Hilfe eines Auswertungsprogramms am Computer analysiert. Es zeigten sich hochsignifikante Unterschiede zwischen den GraphimetrieZeichnungen von Huntington-Patienten und Kontrollpersonen. Zudem zeigte sich eine gute Korrelation zwischen dem klinischen Rating mit Hilfe des Motor Assessment der Unified Huntington´s Disease Rating Scale und den Messwerten für die Spiral- und Kreiszeichnung. Die Graphimetrie stellt im Vergleich zu den bislang bekannten instrumentellen Verfahren eine einfache und objektive Methode zur Erfassung von Hyperkinesien bei der Huntington-Krankheit dar. Insbesondere zur Frühdiagnose und Verlaufskontrolle bei HuntingtonPatienten steuert unsere neue Messmethode einen entscheidenden Beitrag bei. 39 6. LITERATURVERZEICHNIS Adam, O. R., Jankovic, J. (2008). Symptomatic treatment of Huntington disease. Neurotherapeutics. 5 (2), 181-97 Ali, F. R., Michell, A. W., Barker, R. A., Carpenter R. H. ( 2006). The use of quantitative oculometry in the assessment of Huntington´s disease. Exp Brain Res. 169 (2), 237-45 Andresen, J. M., Gayán, J., Djoussé, L., Roberts, S., Brocklebank, D., Cherny, S. S., US-Venezuela Collaborative Group, HD MAPS Collaborative Research Group, Cardon, L. R., Gusella, J. F., MacDonald, M. E., Myers, R. H., Housman, D. E. , Wexler N. S. (2007). 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J Child Neurol. 18 (6), 429-32 46 7. DANKSAGUNG Als erstes möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Privatdozenten Dr. med. Peter H. Kraus, Oberarzt der neurologischen Universitätsklinik des St. Josef-Hospital Bochum, für die Überlassung des Themas und die freundliche Unterstützung während der gesamten Phase der Doktorarbeit bedanken. Trotz des Zeitmangels hat er sich stets bemüht mit seiner hilfsbereiten und sympathischen Art mich in den schwierigen Phasen der Doktorarbeit zu unterstützen. Ein besonderer Dank gilt Herrn Dipl.-Ing. Arndt Hoffmann, der mir mit seiner hilfsbereiten Art bei allen technischen Fragen zur Seite stand. Bei Herrn Prof. Dr. med. R. Gold möchte ich mich bedanken, dass ich die Arbeit in der von ihm geleiteten neurologischen Universitätsklinik durchführen konnte. Dem Team der Station NR5: Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit! Vielen Dank an meine Frau Bincy, meine Familie und „Del Pedro“, die mich in den kritischen Phasen meiner Doktorarbeit unterstützt und mir stets den Rücken freigehalten haben. Nicht zuletzt: Allen Patienten und Probanden, vielen Dank für die Teilnahme an dieser Studie. Ohne deren Mitarbeit wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. 8. LEBENSLAUF Persönliche Daten Name: Sharmilan Thanendrarajan Geburtsdatum: 27.10.1979 Geburtsort: Tellippalai (Sri Lanka) Familienstand: verheiratet mit Bincy Thanendrarajan, geb. Thankachan Eltern: Vater: Kandiah Thanendrarajan Mutter: Chandravathana Thanendrarajan Schulausbildung 1986-1989: Hunsrück-Grundschule, West-Berlin 1989: Hindu-Primary School, Jaffna (Sri Lanka) 1989-1990: Oesterholz-Grundschule, Dortmund 1990-1999: Helmholtz-Gymnasium, Dortmund Abitur Zivildienst 1999-2000: Städtische Kliniken Dortmund, Neurologische Klinik Studium 2000-2006: Studium der Humanmedizin, Ruhr-Universität Bochum Beruflicher Werdegang Basisweiterbildung Innere Medizin 12/2006 - 01/2008: Allgemeines Krankenhaus Hagen, Medizinische Klinik seit 03/2008: Universitätsklinik Bonn, Med. Klinik und Poliklinik III