Emanzipation im Strafrecht Vortrag von Karin Seyfried
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Emanzipation im Strafrecht Vortrag von Karin Seyfried
Emanzipation im Strafrecht Vortrag von Karin Seyfried, Universitätsassistentin am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie in Innsbruck 1. Einleitung In Bezug auf Frauenkriminalität gibt es das stereotype Bild vor, dass Frauen weniger oft straffällig werden und weibliche Täterinnen eher leichtere Delikte verwirklichen. In den letzten Jahren zeigt die Kriminalitätsstatistik in Österreich aber eine steigende Kriminalität von jugendlichen Frauen, dies wird gerne von Medienberichterstattungen aufgegriffen und als Problem der Emanzipation diskutiert (Schmölzer, 2003). So titelte etwa Der Spiegel „Irgendwas ist schiefgegangen im Prozeß der Emanzipation“ (Spiegel, 1998) oder schrieb die Berliner Zeitung „Die Täter werden immer jünger und brutaler – und sie sind Mädchen.“ (Berliner Zeitung, 3.4.2003). Seit Beginn der Neunziger rückten Mädchen als Gewalttäterinnen in den Fokus der Öffentlichkeit (Linke, 2000). In meinem Vortrag möchte ich die stereotype Berichterstattung der steigenden Gewaltbereitschaft von Mädchen hinterfragen und anhand der Begrifflichkeiten kritisch untersuchen. Ausgehend vom Begriff der Emanzipation werden zuerst kriminologische Theorien zu Frauenkriminalität angesprochen, um so die Herkunft der Stereotypen zu beleuchten, die Kriminalstatistik genau nach einzelnen Delikten für die letzten 20 Jahre analysiert und schlussendlich hinterfragt, ob es nicht schon Mechanismen gibt, die während der Strafverfolgung wirken und die Geschlechter unterschiedlich behandeln. Schlussendlich möchte ich den Bogen noch einmal zur Emanzipation spannen und die Frage stellen, ob Emanzipation in diesem Kontext auch die Zunahme von Kriminalität – also etwas Negatives – meinen kann. Kann also nicht nur eine Abnahme der Kriminalität der Männer, sondern auch eine Zunahme der Kriminalität von Frauen als Emanzipation verstanden werden? Was bedeutet also Emanzipation im Strafrecht? 1 2. Begriffsbestimmung Emanzipation Emanzipation kann im allgemeinen Sinne die Aufhebung von Fremdbestimmung hin zu gesellschaftlicher und politischer Selbstbefreiung (Mündigkeit) definiert werden. Sie konstituiert sich in einem Zugewinn an Gleichheit einhergehend mit Kritik an Diskriminierung, hegemonialer Strukturen oder Abhängigkeiten (Kritisches Wörterbuch der Erziehungswissenschaft). 3. Kriminologische Theorien zu Frauen- und Männerkriminalität Die Kriminologie der letzten 100 Jahre versuchte, die Kriminalität von Frauen im Gegensatz zur als Norm angesehenen Kriminalität des Mannes zu erklären (Schmölzer, 2003). Theorien zur Frauenkriminalität reichen von der „Emanzipationsthese“ von Lombroso, nach der höhere Bildung bei Frauen zu Kriminalität führt, weil sie sich nicht entsprechend ihrer Bildung gesellschaftlich betätigen dürfen, der entgegengesetzten „Emanzipationsthese“ von Adler und Simon nach der verstärkte Berufstätigkeit zu erweitertem Kriminalitätspotential von Frauen führt, der „Prostitutionsthese“ von Lombroso, nach der weibliche Prostitution ein Äquivalent zu männlicher Kriminalität ist und Frauen aufgrund ihrer im Gegensatz zum Mann gegebenen Schwäche nicht delinquieren zur Theorie von Herz, nach der Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Kriminalität ihre Wurzel in sozialen Umständen. In der „Ritterlichkeitsthese“ von Pollak (1950) wird beispielsweise davon ausgegangen, dass sich männliche Entscheidungsträger im Kriminaljustizsystem väterlich und beschützend gegenüber weiblichen Angeklagten verhalten und sie vor einem zu harten Urteil bewahren wollen (Raab, 1993). Im Gegensatz dazu gibt es allerdings auch die „Böse-Frau-These“, die straffällige Frauen als eine Art Hexe und widernatürlich beurteilen (Möller, 1996). Somit erscheinen sie des Schutzes nicht mehr würdig, die Männer normalerweise einer Frau vor Gericht entgegenbringen, wodurch sie umso härter beurteilt werden, weil sie Geschlechtsrollenstereotype verletzt hätten (Schneider, 2007). Des Weiteren wird häufig vermutet, dass Frauen unter emotionalen Problemen oder psychischen Störungen leiden, was als Ursache von kriminellen Taten angenommen wird (Raab, 1993). Des Weiteren ging Pollak (1950) vom „masked character of female crime“ aus, was bedeutet, dass Frauen ihre Taten besser verschleiern könnten und dass dies oftmals 2 Delikte seien, die sich mehr im Dunkelfeld abspielen und den Strafverfolgungsbehörden deshalb erst gar nicht zur Kenntnis gebracht würden. Anhand der vorgestellten Theorien ist sehr gut ersichtlich, woher die Stereotypen zur Frauenkriminalität ihren Ursprung nehmen. Seit Beginn der 70er Jahre wird der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Rolle und abweichendem Verhalten der Frau in den Mittelpunkt der kriminologischen Betrachtung gestellt und von rein biologisch und psychologisch orientierten Erklärungsversuchen Abstand genommen (Seus, 2000). 4. Kriminalstatistik Betrachtet man pauschal die gerichtliche Kriminalstatistik der letzten 10 Jahre, ist die Zahl der Verurteilten Frauen (ca. 5.000 bis 6.000) deutlich niedriger als die der Männer (zwischen 30.000 und 39.000). Speziell bei jungen Frauen ist aber ein Zuwachs zu verzeichnen. Vergleicht man die Haftzahlen, so steigt die Zahl weiblicher Gefängnisinsassen seit 1989 stark an, variiert zwischen 3,9 und 6,6 Prozent und ist momentan in absoluten Zahlen markant höher als in der Vergangenheit. Im Vergleich zur Gruppe der Männer machen die Frauen aber auch hier einen geringen Anteil aus. Im nächsten Schritt sollen die Zahlen der Kriminalstatistik vergleichend zwischen Frauen und Männern bezüglich einzelner plakativer Delikte, die der Gewaltkriminalität zugeordnet werden können, verglichen werden. Gewalt ist strafrechtlich jede erhebliche Einwirkung auf den Körper eines anderen (Bertel/Schwaighofer, 2012). Als Pendant zur Einwirkung auf den Körper von Opfern werden die Sachbeschädigung und die Brandstiftung als Delikte, die Sachgewalt pönalisieren, herausgegriffen. 4.1.Vorsätzliche Tötungsdelikte Frauen Mord Versuchter Mord Totschlag 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2 2 2 6 3 1 7 2 2 1 1 0 2 3 0 1 2 1 4 6 0 1 1 1 5 3 0 4 2 1 3 Versuchter Totschlag Mord Versuchter Mord Totschlag Versuchter Totschlag 1 0 2 0 2004 2005 2006 3 2 0 1 0 0 0 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 6 1 2 0 7 3 1 0 1 0 1 0 3 1 0 0 4 0 0 0 4 2 0 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 41 18 2 1 22 20 1 1 23 16 1 2 27 16 2 4 20 16 2 2 31 16 2 3 29 26 3 3 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 21 10 1 1 27 14 3 1 27 17 3 0 15 21 1 2 28 12 5 0 29 22 1 1 24 19 0 0 4 3 0 0 0 3 2 2 0 2 1 0 0 0 Männer Mord Versuchter Mord Totschlag Versuchter Totschlag Mord Versuchter Mord Totschlag Versuchter Totschlag 30 17 1 1 24 18 0 3 28 16 1 3 15 16 1 1 24 13 2 1 23 36 0 0 Es zeigt sich durchgängig das Bild, dass Männer ein Vielfaches der von Frauen verwirklichten Tötungsdelikte begehen. Bei den versuchten Tötungsdelikten sind die Zahlen ähnlich, bei Männern aber immer noch leicht höher. Von einem Anstieg kann hier nicht die Rede sein, die Zahlen bleiben bei Frauen etwa gleich, bei Männern gibt es sogar 2013 weitaus weniger Tötungsdelikte als Mitte der Neunziger. 4.2.Vorsätzliche Körperverletzungsdelikte Frauen Körperverletzung 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 609 625 475 480 262*1 233 530 394 2001 2002 2003 243 295 1 2000*: Einführung der Diversion (darf nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fallen). 4 Schwere KV KV mit schweren Dauerfolgen KV mit tödlichem Ausgang Absichtliche schwere KV Raufhandel Körperverletzung Schwere KV KV mit schweren Dauerfolgen KV mit tödlichem Ausgang Absichtliche schwere KV Raufhandel 64 0 73 0 56 1 71 2 54 1 39 1 50* 0* 24 1 52 1 58 1 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 8 10 7 7 9 13 8* 5 7 14 3 4 4 4 10 12 4* 4 7 9 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 327 64 0 341 56 2 374 38 0 357 57 0 372 58 3 358 47 0 372 43 0 390 53 0 376 63 1 327 49 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 7 13 10 14 15 18 15 10 18 14 7 20 13 8 16 17 14 9 6 7 Männer Körperverletzung Schwere KV KV mit schweren Dauerfolgen KV mit tödlichem Ausgang Absichtliche schwere KV Raufhandel Körperverletzung Schwere KV KV mit schweren Dauerfolgen KV mit tödlichem Ausgang Absichtliche schwere KV Raufhandel 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 7959 7762 1468 1469 18 8 7175 1382 23 6628 6107 1280 1328 10 12 5485 1147 10 3800* 3602 1020* 899 15* 14 3695 1137 8 3891 1155 11 7 3 1 8 9 7 6 6 9 7 79 84 75 79 80* 76 79 91 77 106 69 86 105 112 247* 314 171 166 170 242 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 4261 4152 1236 1156 10 13 4208 1045 13 4538 4590 1043 1132 11 14 4393 1113 16 4341 4070 1026 933 16 16 3820 1000 14 3547 946 11 9 3 7 7 5 2 2 3 5 4 97 116 125 152 160 157 199 162 232 214 284 299 284 283 310 286 332 248 216 179 Betrachtet man die unqualifizierte Körperverletzung, haben sich die Häufigkeiten seit Mitte der Neunziger halbiert, was aber auch mit der Einführung der Diversion im Jahr 2000 stark zusammenhängen wird. Bei Männern zeigt sich das gleiche Bild. Bei den Qualifikationen der Körperverletzung zeigt sich zum Teil ein leichter Anstieg, großteils sind die Zahlen aber konstant. 5 Betrachtet man die prozentuale Entwicklung der ausschlagkräftigsten Delikte, zeigt sich folgendes Bild: 1994 – 2013 F M + 50,00 - 41,46 - 46,31 - 55,43 - 23,44 - 35,56 + 100,00 - 42,85 Mord Körperverletzung Schwere Körperverletzung KV mit tödlichem Ausgang 2012 – 2013 F M + 17,24 + 13,03 + 7,15 - 22,22 + 54,00 + 20,00 In der Gesamtentwicklung seit 1994 steigt bei Frauen die Zahl bei Mord und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang stark an, im Vergleich mit 2012 bei der Körpververletzung. 4.3.Sachgewalt Frauen Sachbeschädigung Brandstiftung Sachbeschädigung Brandstiftung 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 185 6 184 5 140 0 127 2 71* 7 81 7 100 5 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 95 9 92 0 101 0 100 2 109 4 76 0 98 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2100 2010 60 56 1871 57 1698 1456 50 43 1332 41 944* 968 29 49 916 40 1030 35 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 1023 1079 42 33 1188 34 1101 1122 33 24 1146 29 1076 1176 34 33 1050 0 1084 0 196 9 106 9 157 6 73 0 68 1 94 2 Männer Sachbeschädigung Brandstiftung Sachbeschädigung Brandstiftung Bei der Sachbeschädigung zeigt sich das Bild, dass die Delinquenz von Männern wieder ein Vielfaches der von Frauen ausmacht, wobei insgesamt ein Rückgang verzeichnet werden kann. Bei der Brandstiftung nimmt die Delinquenz bei beiden Geschlechtern deutlich ab. 6 4.4.Jugendliche und junge Erwachsene Jugendliche (14 – 17 Jahre) Delikt 2010 F Mord 1 Körperverletzung 51 Schwere KV 10 KV mit tödlichem 0 Ausgang Raufhandel 7 2 Sachbeschädigung , 21 schwere SB Brandstiftung 1 M 3 443 145 1 2011 F 0 59 12 0 M 7 338 804 0 2012 F 0 59 12 0 96 197 6 M 5 556 159 1 2013 F 1 37 12 0 M 3 442 129 1 46 15 6 201 1 26 52 361 0 27 39 353 0 9 0 8 1 5 Auch hier zeigt sich durchgängig das Bild, dass die Delinquenz bei den jugendlichen Männern weitaus höher ist – sie beträgt oft ein Zehnfaches der Delinquenz der Frauen. Betrachtet man die prozentuale Entwicklung, zeigt sich bei den Delikten gegen Leib und Leben folgendes Bild: 2010 – 2013 F M - 27,45 - 0,23 + 16,67 - 11,03 - Mord Körperverletzung Schwere Körperverletzung KV mit tödlichem Ausgang 2012 – 2013 F M + 100,00 + 40,00 - 37,29 - 20,50 -18,87 - Bei Frauen zeigt sich ein hoher Anstieg beim Mord im Vergleich 2012 – 2013 und bei der schweren Körperverletzung im Vergleich 2010 – 2013. Junge Erwachsene (18 – 20 Jahre) Delikt 2010 F Mord 1 Körperverletzung 53 Schwere KV 4 KV mit tödlichem 0 Ausgang Raufhandel 4 Sachbeschädigung, 12 schwere SB Brandstiftung 0 M 2 775 259 1 2011 F 0 63 16 0 M 9 761 218 0 2012 F 0 83 8 0 2013 M F 5 0 1043 88 299 19 1 0 M 3 904 303 1 123 278 1 22 104 310 1 34 101 519 2 29 78 464 5 0 4 0 12 1 8 2 Inklusive Diebstahl. 7 Mord Körperverletzung Schwere Körperverletzung KV mit tödlichem Ausgang 2010 – 2013 F M - 100,00 + 33,33 + 39,77 + 16,65 + 78,95 + 16,99 - 2012 – 2013 F M - 40,00 + 5,68 - 13,33 +57,89 + 1,32 - Bei den jungen Erwachsenen kann man das erste Mal einen durchgängigeren Anstieg der Kriminalität bei Frauen nachweisen - bei der Körperverletzung und der schweren Körperverletzung. Die Zahlen der Kriminalstatistik unterstützen das medial gezeichnete Bild eines Anstiegs der Frauenkriminalität also keinesfalls pauschal. Es ist sogar großteils von einer Abnahme der Delinquenz auszugehen. Nur im Bereich der jungen Erwachsenen kann von einem Anstieg der Gewaltkriminalität in Bezug auf einzelne Delikte ausgegangen werden. Der Anstieg bei den Frauen kann aber auch als statistisches Artefakt kleiner Zahlen gesehen werden, da hier bei Veränderungen der Anstieg zahlenmäßig dramatischer erscheint (Oberwittler, 2010). Die Frauenkriminalität liegt auch bei den Gruppen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen weit unter der Kriminalität der Männer. 5. Geschlecht und Strafverfolgung Aus der Kriminalstatistik kann also nicht entnommen werden, dass sich die Delinquenz im Hellfeld beider Geschlechter annähert. Es stellt sich zusätzlich die Frage, ob es nicht bereits im Vorfeld Prozesse gibt, die die Verurteilung beeinflussen. Beeinflussen etwaige Geschlechterstereotypen die richterliche Urteilsfindung, die dann in die Kriminalstatistik eingehen? 5.1.Geschlechterstereotype Geschlechterstereotype sind „kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten“ (Eckes, 2004, S. 165; Ashmore & Del Boca, 1979, S. 222). Sie bilden zentrale Komponente impliziter Geschlechtertheorien (gender belief system), die Systeme von Alltagsannahmen über Geschlechter und ihre wechselseitigen Beziehungen enthalten (Deaux & LaFrance, 8 1998). Ein eng verwandtes Konzept ist das der Geschlechtsrollen, welches normative Erwartungen bestimmter Eigenschaften und Handlungsweisen des sozial zugeschriebenen Geschlechts betont, die in einer bestimmten Kultur als akzeptabel gelten (Alfermann, 1996). Des Weiteren beinhalten Geschlechterstereotype deskriptive und präskriptive Komponenten (Eckes, 1997, 2004). 5.2.Richterliche Urteilsfindung Die Kerntätigkeit eines jedes Richters besteht darin, eine unabhängige Entscheidung zu treffen. Der richterliche Urteilsprozess folgt trotz deliktspezifischer Kenntnisse den gleichen Attributionsprozessen wie die alltagspsychologische Eindrucksbildung und unterliegt somit auch vergleichbaren Verzerrungen (Haisch & John, 1990). Auch erfahrene Entscheidungsträger lassen sich demnach von Stereotypen und Vorurteilen leiten, besonders wenn nur mangelnde Informationen über die betroffene Person vorliegen. 5.3.Studien zum Einfluss von Geschlechtsrollenstereotypen auf Urteilsprozesse Zur Frage, ob geschlechtsrollenstereotype Unterschiede eine Rolle bei Verurteilungen bei strafrechtlichen Delikten führen, fehlen in Österreich großangelegte Untersuchungen. Verschiedene (wenige) Studien aus Deutschland und insbesondere dem angloamerikanischen Raum3 können aber die Hypothese belegen, dass weibliche Beschuldigte mildere Strafen und weniger (lange) Freiheitsstrafen erhalten. Von Stereotypen abweichendes Verhalten wird aber strenger geahndet, so etwa Gewaltdelikte. Die verschiedenen Studien zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede bei der richterlichen Beurteilung von Gewalt, sexuellem Missbrauch, der Strafzumessung und Verhängung von Haftstrafen und auch zwischen männlichen und weiblichen juristischen Entscheidungsträgern. Es kristallisiert sich anhand der einbezogenen Studien heraus, dass die Befundlage relativ einheitlich ist: 3 Im Literaturverzeichnis mit * gekennzeichnet. 9 • Weibliche Angeklagte werden tendenziell milder verurteilt und erhalten weniger schwere gerichtliche Sanktionen. Demnach können Straftäterinnen von ihrem Geschlecht als Frau profitieren, wenn sie kleinere Verbrechen begehen, welche nicht mit großer Gefährlichkeit assoziiert werden, wie z.B. Ladendiebstähle, Betrugsdelikte oder Prostitution. • Besonders wenn angeklagte Frauen die Rolle einer Ehefrau oder Mutter einnehmen und in herkömmlichen Familienmodellen leben, erfahren sie eine bevorzugte Behandlung. • Weibliche Angeklagte, die Minderheiten angehören oder unkonventionellere Lebensmodelle vertreten, werden von juristischen Entscheidungsträgern strenger bestraft. Dennoch sollte nicht ausschließlich von einem generellen Vorzug für weibliche Straftäterinnen ausgegangen werden. Die Unterschiede des anglo-amerikanischen zum kontinentaleuropäischen Rechtsraum erschweren die vollständige Übertragbarkeit der Studien auf die österreichische Rechtsordnung, jedoch sollte von einer generellen Übereinstimmung in Bezug auf den Forschungsschwerpunkt – die Prozesse der richterlichen Urteilsfällung – ausgegangen werden. 6. Fazit Legt man den Begriff der Emanzipation zu Grunde, so bedeutet die Aufhebung jeglicher Fremdbestimmtheit wohl auch, dass es keinen statistischen Unterschied zwischen der Delinquenz von Frauen und Männern geben sollte. Diese Angleichung kann aber nicht nur durch eine Abnahme der Männerkriminalität, sondern auch durch eine Zunahme der Frauenkriminalität erreicht werden. Die reine Betrachtung der Kriminalstatistik zeigt hier aber ein anderes Bild: Frauen begehen im Hellfeld deutlich weniger Gewaltdelikte als Männer. Die Medienberichterstattungen, die sich großteils nur auf sehr pauschale Zahlen der Statistik beziehen, verzerren das Gesamtbild der statistischen Werte. Gewaltkriminalität ist natürlich nicht erwünschtes Verhalten, in einem gewissen Rahmen kann sie aber auch Ausdruck von Vitalität und Durchsetzungsvermögen sein. 10 Befasst man sich genauer mit den Mechanismen der richterlichen Urteilsbildung, kann man allerdings davon ausgehen, dass Frauen teilweise von Strafverfolgungsbehörden milder behandelt werden – insbesondere wenn sie althergebrachten Stereotypen entsprechen. Diese Befunde nivellieren die Daten der Kriminalstatistik, es ist von einem weitaus größeren Dunkelfeld auszugehen. Es ist zu überlegen, ob es sich bei dieser geringeren Verurteilungszahl wirklich um einen Verzicht auf die Verurteilung handelt, oder ob die betroffenen Frauen vom Richter nur der patriarchalen Gewalt innerhalb der Familie überantwortet werden. Großangelegte Kohortenstudien im anglo-amerikanischen Raum kamen zum Ergebnis, dass es keine wesentlichen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in Bezug auf die Kriminalität gibt, sondern dass die beobachteten Niveauunterschiede auf Risikofaktoren im sozialen Umfeld zurückgeführt werden können. Gleiche biographische Belastungsfaktoren führen bei beiden Geschlechtern zu Kriminalität (Oberwittler, 2010). Zusammen mit der Annahme eines großen Dunkelfelds bei Gewaltkriminalität mit weiblichen Täterinnen – es ist anzunehmen, dass gerade Männer als Opfer solche Taten weniger anzeigen – könnte so die Hypothese gestützt werden, dass Frauenkriminalität in Bezug auf Gewalt weitaus höher ist als angenommen und doch von einer Angleichung an die Kriminalität der Männer ausgegangen werden kann. Es zeigt sich also, dass gerade stereotype Mechanismen und paternalistische Strukturen im Strafrecht noch eine große Rolle spielen, die sich auf die Zahlen der Statistik auswirken. Aufgrund der vorliegenden Zahlen kann nur durch Einbeziehung verschiedener Studien und Theorien von einer Angleichung der Delinquenz von Frauen und Männern ausgegangen werden. Dass in diesem Bereich weiterer Forschungsbedarf besteht, ist evident. Im Bereich des Strafrechts ist aufgrund der beschriebenen Mechanismen zuerst eine Emanzipation der Rechtsanwender zu fordern. 11 Literaturverzeichnis Abele, A.E. & Gendolla, G. (1997). Soziale Informationsverarbeitung. In J. Straub, W. Kempf & H. Werbik (Hrsg.): Psychologie. Eine Einführung. Grundlagen, Methoden, Perspektiven. München: DTV. Alfermann, D. (1996). Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart: Kohlhammer. Allport, G. (1971). Die Natur des Vorurteils. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Aronson, E., Wilson, T.D. & Akert, R.M. (2004). Sozialpsychologie (4. Aufl.). München: Pearson Studium. Asch, S.E. (1946). Forming Impressions of Personality. Journal of Abnormal and Social Psychology, 41, 258-290. Asendorpf, J. 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