20110706b Kompetenzen für den Umgang mit Moden
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20110706b Kompetenzen für den Umgang mit Moden
INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Kompetenzen für den Umgang mit Moden und Trends: Vorschläge für die universitäre Ausbildung zukünftiger IT-Beraterinnen und -Berater Paul Drews, Ingrid Schirmer Fachbereich Informatik Universität Hamburg Vogt-Kölln-Str. 30 22527 Hamburg [email protected] [email protected] Abstract: Informationstechnische Moden und Trends sind wesentliche Einflussfaktoren für die IT-Beratung. Die IT-Beraterinnen und -Berater von morgen werden in den kommenden Jahren auch an den Universitäten ausgebildet. Dieser Artikel geht der Frage nach, wie die Ausbildung zukünftiger ITBeraterinnen und -Berater gestaltet sein sollte, damit ihre Fähigkeit verbessert werden kann, die Potenziale und Risiken von informationstechnischen Moden und Trends besser erkennen und einschätzen zu können. In diesem Artikel werden aus den Anforderungen, mit denen sich IT-Beraterinnen und -Berater konfrontiert sehen, Ziele für die universitäre Ausbildung abgeleitet. Anschließend werden neun Kompetenzen in drei Kompetenzfeldern vorgestellt, die ein Curriculum umfassen sollte, welches sich an diesen Zielen orientiert. 1 Einleitung In den vergangenen Jahrzenten sind Unternehmen fortlaufend mit informationstechnischen Innovationen konfrontiert worden. Client-Server-Architektur, Business Process Reengineering in Zusammenhang mit dem Customizing und der Einführung von Standardsystemen, World-Wide-Web, Serviceorientierte Architekturen (SOA), Web 2.0 und Cloud-Computing sind nur einige Beispiele aus dem kaum überschaubaren Kanon. Da aus den meisten Unternehmen die IT heute nicht mehr wegzudenken ist, stellt sich für sie jeweils die Frage nach der Bedeutung dieser ITInnovationen für das eigene Geschäft. Viele Unternehmen ziehen IT-Beraterinnen und Berater hinzu, um von diesen eine strategische, eine konzeptionelle oder eine praktische Unterstützung für den Umgang mit einer neuen Technologie zu erhalten. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, welche Kompetenzen Studierende während ihres Studiums an einer Universität erwerben sollten, um auf die Herausforderungen, die sich ihnen später als IT-Beraterinnen und -Berater stellen, vorbereitet zu sein. Zunächst werden der Kompetenzbegriff und die Kompetenzentwicklung im Hochschulstudium als theoretischer Rahmen eingeführt (2). Anschließend werden die Diskussion über Moden und Trends in der Wirtschaftsinformatik, Alleinstellungsmerkmale der IT-Berater und - erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Beraterinnen sowie die kritische Diskussion über Unternehmensberater in der Öffentlichkeit aufgegriffen, um Ziele für die Ausbildung zukünftiger IT-Beraterinnen und -Berater abzuleiten (3). Im Hauptteil dieses Artikels werden neun Kompetenzen in drei Kompetenzfeldern vorgestellt, die geeignet sind, die Studierenden auf die späteren Herausforderungen vorzubereiten (4). Im letzten Teil folgen eine Zusammenfassung und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsarbeiten (5). 2 Kompetenzbegriff und Kompetenzentwicklung im Hochschulstudium Der Kompetenzbegriff bezeichnet gemäß dem europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) „die nachgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen“ [ebd., S. 11]. Die Ausbildung an Hochschulen und die Anforderungen der Unternehmensberatung sind in den höheren Niveaustufen der Lernergebnisse (7 und 8) zu verorten [EU08, S. 12]. Neben Kenntnissen und Fertigkeiten nennt der EQR Kompetenzen als dritte Kategorie dieser Lernergebnisse. Konkret wird hier in den oben genannten Niveaustufen gefordert, dass die Personen über „hoch spezialisiertes Wissen“, „kritisches Bewusstsein für Wissensfragen“, „spezialisierte Problemlösungsfähigkeit“ sowie die „Kompetenz zur Leitung und Gestaltung, komplexer, unvorhersehbarer Arbeits- oder Lernkontexte, die neue strategische Ansätze erfordern“, verfügen [ebd., S. 12-13]. Ferner wird erwartet, dass sie „Beiträge zum Fachwissen und zur Berufspraxis und/oder für die Überprüfung der strategischen Leistung von Teams“ leisten können [ebd., S. 13]. Übertragen auf die akademische Lehre ist das Ziel kompetenzorientierter Lehre die „Unterstützung der individuellen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche und thematische Ressourcen sowie die Entwicklung von Ressourcen für zu erwartende möglichst fachlich und niveauadäquate Handlungsfelder“ [Wi11, S. 4]. Eine systematische Unterstützung der Kompetenzentwicklung von Studierenden erfordert mindestens Konzepte und Umsetzungen zu „definierten Zielkonzeptionen der angebotenen Studiengänge“, „kompetenzhaltige und -orientierte Curricula“ sowie „kompetenzförderlichen Lehr- und Lehrangeboten“ und „systematischer kompetenzbezogener Evaluation“ [ebd., S. 6]. In diesem Artikel beschränken wir uns auf die beiden ersten Anforderungen: Wir gehen also von einem Studiengang aus, der darauf abzielt, zukünftige IT-Beraterinnen und Berater auf ihre zukünftige berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Diese Tätigkeit ist von dem Umgang mit Moden und Trends geprägt. Ausgehend von den Zielen eines solchen Studiengangs stellen wir die Frage nach Kompetenzen, die Studierende dafür in dem Curriculum eines Hochschulstudiums erwerben sollten. Die Ebenen der Lehr- und Lernangebote sowie der Evaluation müssen hier zunächst weitgehend unberücksichtigt bleiben. erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de 3 Ziele für die universitäre Ausbildung zukünftiger IT-Beraterinnen und -Berater unter Berücksichtigung von Moden und Trends Da bisher eine substanzielle Analyse über das Berufsbild der IT-Berater und Beraterinnen fehlt, greifen wir behelfsweise drei relevante Bereiche aus der Literatur und den Diskussionen auf, um diesem näher zu kommen: Erstens greifen wir die Diskussion von Peter Mertens zur Wirtschaftsinformatik aus dem Jahr 1995 [Me95] auf, um einige der Ursachen für das Auftreten von Moden und den Unterschied zwischen Moden und Trends aufzuzeigen. Zweitens gehen wir auf Alleinstellungsmerkmale der IT-Beratung ein. Und drittens greifen wir die kritische Diskussion über Unternehmensberater auf, in der häufig die besondere Rolle der Unternehmensberatungen bei der Nutzung von Moden im Sinne des eigenen Geschäfts betont wird. Aus diesen drei Diskussionen leiten wir Ziele für die universitäre Ausbildung ab. 3.1 Diskussion um Moden und Trends in der Wirtschaftsinformatik Eine Diskussion über Moden und Trends wurde bereits 1995 durch eine Publikation von Peter Mertens angestoßen. In seinem Artikel “Wirtschaftsinformatik – Von den Moden zum Trend” beschäftigt er sich mit dem Fortschrittspfad der Disziplin Wirtschaftsinformatik, die in seiner Darstellung sowohl die Wissenschaft als auch die Praxis umfasst [Me95, S. 26]. Den Unternehmensberatungen bescheinigt er, die Verdichtung und Wiederholung von „In-Words” zu betreiben und „unverhohlen für Schleichwerbung zu nutzen” [ebd., S. 34]. Ähnliche Vorwürfe äußert Kieser in seinem Artikel „Moden & Mythen des Organisierens“ für die Moden in der Managementberatung [Ki96]. Als eine Ursache für diese modischen Übertreibungen nennt Mertens den sinnstiftenden Beitrag von Schlagworten als eine drastische Vereinfachung und Komplexitätsreduktion. Als weitere Ursache führt er die Nutzung und Verstärkung von Modebewegungen durch Schulungsveranstalter, Autoren und Verlage sowie die staatliche Forschungspolitik an. Ferner würden neue Innovationswellen genutzt, um alte zu verdrängen. Mertens stellt die Frage, wie man “von ineffizienten Modeschwankungen weg und zu mittel- und langfristig stabilen Trends, die echten Erkenntnisgewinn bedeuten” [ebd., S. 46] gelangen kann. Mit dieser Aussage nimmt Mertens auch eine klare Unterscheidung der Begriffe Mode und Trend vor. Moden unterliegen starken Schwankungen und sind nach einer kurzen Phase der Sichtbarkeit wieder obsolet bzw. sie werden von neuen Moden abgelöst. Die überhöhten Darstellungen der Erfolge könnte man mit Kieser auch als Mythen bezeichnen [Ki96]. Moden verzichten häufig darauf, Bezüge zu vorhandenen Ansätzen aufzuzeigen, die bereits ähnliche Probleme adressiert haben. Trends hingegen sind bei Mertens positiv besetzt: Sie sind mittel- und langfristig ausgerichtet und führen zu einem nachhaltigen Erkenntnisgewinn und leisten einen substanziellen Beitrag zum Fortschritt. erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de 3.2 Alleinstellungsmerkmale im Berufsbild der IT-Beraterinnen und IT-Berater Im Spannungsfeld zwischen Unternehmensanforderungen und IT-Innovationen nehmen IT-Beraterinnen und -Berater eine wichtige Position ein. Sie verfügen über Alleinstellungsmerkmale, die von anderen Akteuren nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand imitiert werden können. Die Ziele für eine Ausbildung von IT-Beratern sollten diese spezifischen Aufgaben berücksichtigen. Erstens verfügen Sie – jeweils für spezifische Domänen – über einen guten zweiseitigen Marktüberblick. Sie kennen sowohl verschiedene Hersteller und deren Produkte als auch die Anforderungen unterschiedlicher Kunden, die diese Produkte einsetzen. Damit können sie den Kunden in Abgrenzung zu Beratungsleistungen der Hersteller eine vergleichsweise neutrale Beratung anbieten. Dies ist beispielsweise immer dann von Bedeutung, wenn eine Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern von Standardsoftwaresystemen zu treffen ist. Zweitens sind IT-Berater immer dann gefordert, wenn es darum geht, aktuelle Entwicklungen und IT-Innovationen aufzudecken, einzuordnen und für den jeweiligen Kontext bei einem Kunden zu bewerten („IT-Transferleister“, [ITMC11]). Die Kompetenz von Beratungshäusern liegt häufig auch darin, die Informationen von verschiedenen Analysten und aus unterschiedlichsten Quellen zu aggregieren und aufzubereiten. Wenn IT-Berater den Nutzen und die Risiken einer Entwicklung – Ist es eine Mode oder schon ein Trend? – für ein Unternehmen bewerten und später die Einführung planen und begleiten sollen, ist es unerlässlich, sich den Anwendungskontext mit all seiner Komplexität und seinen Widersprüchen zu erschließen [Ro98, Ro08]. Ein dritter Aufgabenbereich ergibt sich aus der, die mit der Einführung von ITInnovationen einhergehenden Veränderungsprozesse zu gestalten. Die Transformation von Unternehmen ist mit externer Unterstützung leichter herbeizuführen [Ro08]. Die Zeit für diese Transformationen ist begrenzt, die Beratungsunternehmen können die dafür erforderlichen Personalressourcen bereitstellen. Die zunehmende Verzahnung von IT und Organisation führt dazu, dass diese Transformationsprozesse, an denen ITBerater beteiligt sind, nicht nur technischer Natur sind (also eine Veränderung und Migration der IT-Landschaft), sondern auch organisatorischer Natur. Beide Transformationsprozesse müssen synchronisiert und abgestimmt werden. IT-Berater sind also auch gefordert, Organisationen analysieren, verstehen und umgestalten zu können. 3.3 IT-Beraterinnen und IT-Berater in der öffentlichen Kritik Trotz dieser wichtigen Aufgaben, die IT-Beraterinnen und -Berater wahrnehmen, stehen sie in der öffentlichen Diskussion durch ihre Zugehörigkeit zur „Kaste der Unternehmensberater“ gemeinsam mit diesen in der Kritik [Le06, Do08]. Wir gehen hier nicht der Frage der Qualität und der Begründung dieser Kritik nach, dies wäre an anderer Stelle zu diskutieren. Es geht vielmehr darum, aus der Reflexion dieser Kritik positive Ziele für die Ausbildung von IT-Beraterinnen und -Beratern zu formulieren. Die Universitäten können dann gut begründet darlegen, dass die durch sie hervorgebrachten Absolventen gegen diese Kritik gefeit sind. erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Unternehmensberater stehen unter dem Verdacht, standardisierte Methoden und Tools unreflektiert in verschiedenen Kontexten anzuwenden [Le06, Do08]. Sie würden ihre Werkzeuge als universelle Lösung anpreisen. In einem von Moden geprägten Umfeld führt dies dazu, dass die Kunden mit immer neuen „Lösungen“ beglückt werden. Es sich um ein wiederkehrendes Phänomen. Als positive Ziele könnte man daraus ableiten, dass IT-Berater in Lage sein sollten, sich Kontexte individuell erschließen zu können und dass sie fähig sein sollten, zwischen verschiedenen Methoden (ggf. auch solchen, die gerade keine Mode sind) eine geeignete Auswahl zu treffen. Sie sollten den Kunden über den Neuheitsgrad, die Grenzen und die Unsicherheit, die mit IT-Innovationen, Methoden und Tools verbunden ist, aufrichtig informieren. Die Beratungsbranche steht unter dem Verdacht, ihre Leistungen lediglich an dem Beitrag zur Steigerung des Shareholder Values der Kunden auszurichten [Le06]. Weitere Stakeholder, die Nebenfolgen ihres Handelns und den gesellschaftlichen Kontext würden sie vernachlässigen [Le06]. Die Folgen der Beratung von Unternehmen bei umfassenden Umstrukturierungsprozessen, wie beispielsweise einer Personalfreisetzung im großen Stil, werden dann als „kalte“ und „skrupellose“ Entscheidungen ausgelegt. Die Ausbildung von IT-Beraterinnen und -Beratern sollte daher darauf vorbereiten, das eigene Handeln in den gesellschaftlichen Kontext einordnen und verschiedene Akteursgruppen mit ihren Interessen berücksichtigen zu können [Do08]. IT-Berater sollten in die Lage versetzt werden, Nebenfolgen ihres Handelns abzuschätzen, und darauf vorbereitet sein, ethische Maßstäbe in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Dass sich die Ausbildung derzeit zumindest in der Betriebswirtschaftslehre häufig noch nicht diesen Zielen genügt, kritisiert Alfred Kieser [Ki11]. Er bemängelt, dass Studenten opportunistisches Verhalten beigebracht werde und die Studierenden stromlinienförmig durch das Studium befördert würden. Früher sei mehr Raum für kritische Auseinandersetzungen gewesen. 3.4 Ziele für die universitäre Ausbildung von IT-Beraterinnen und -Beratern Aus der Diskussion von Peter Mertens über Moden und Trends in der Wirtschaftsinformatik, der kritischen Diskussion und den Alleinstellungsmerkmalen leiten wir die folgenden Ziele für die universitäre Ausbildung ab: 1. Der anhaltende Fortschritt der IT-Potenziale fordert von den zukünftigen ITBeraterinnen und -Beratern, dass sie „up-to-date“ sind und sich auf dem Laufenden halten können. 2. Absolventen sollten in der Lage sein, sich an permanent verändernde „volksund betriebswirtschaftliche“ Umgebungsbedingungen anpassen zu können. Der Kontext ihrer Arbeit ist ständig in Bewegung, daher sollten sie sich schnell in neue Kontexte einarbeiten können. 3. Zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater sollten in ihrem Berufsleben nicht stur und ohne Berücksichtigung des Kontextes erlernte Methoden und Werkzeuge anwenden. Sie sollten befähigt werden, aus einem sich ständig erweiternden Methoden- und Werkzeugschatz die individuell für ein Projekt geeignete erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Auswahl zu treffen, diese gegebenenfalls zu kombinieren und anzupassen zu können und eigenständig neue zu entwickeln. Dies gilt sowohl für Beratungsmethoden als auch für IT-Methoden und -Werkzeuge. 4. Sie sollten verstehen, dass ihr Handeln in einen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext eingebettet ist und es Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung und Aneignung von IT und dem Kontext gibt. Es sind Nebenfolgen zu bedenken, das eigene Handeln ist kritisch zu reflektieren und in seiner ethischen Dimension zu erfassen. 5. Übernimmt man die Unterscheidung in Moden und Trends von Mertens, stellt sich die Frage, welches Wissen angehenden IT-Beratern vermittelt werden sollte, damit diese „modische Überhöhungen“ und „substanzielle Trends“ unterscheiden können. Sie sollten lernen, mit der inhärenten Unsicherheit der Einordnung in diese Kategorien umzugehen. Erstrebenswert wäre es, wenn sie in die Lage versetzt werden, Muster aufzubauen, die ihnen die Einschätzung erleichtern. 6. Aktuelle Entwicklungen sind nicht zu verstehen und einzuordnen, wenn sie nicht im historischen Kontext betrachtet werden. Erkenntnisse zu vorigen Modewellen und Trends sind zu berücksichtigen, um neuen Schlagworten nicht gutgläubig zu erliegen. 7. Wie Mertens schreibt, stellen Modebegriffe eine notwendige Komplexitätsreduktion dar. Dass eine Komplexitätsreduktion erforderlich ist, um Probleme geeignet adressieren zu können, ist unstrittig. Die Verwendung von Modebegriffen ist jedoch nur begrenzt geeignet, wie aus der Kritik deutlich wird. Zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater sollten über andere Mittel verfügen, mit dieser Komplexität in geeigneter Weise umgehen zu können. 4 Kompetenzen für den Umgang mit Moden und Trends für zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater In diesem Abschnitt greifen wir die zuvor formulierten Ziele auf, um Kompetenzen aus ihnen abzuleiten. Diese sollte die universitäre Ausbildung vermitteln, damit zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater gut auf die Herausforderungen in dem von Moden und Trends geprägten Umfeld der IT-Innovationen vorbereitet sind. Wir gliedern diese Kompetenzen in drei Kompetenzfelder: Erforderliches Kontextwissen (4.1), spezifische Methodenkompetenz (4.2) und Befähigung zu eigenständiger Urteilskraft, Selbstreflexion, Komplexitätsreduktion und transdisziplinärer Arbeit (4.3). erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de 4.1 Erforderliches Kontextwissen 4.1.1 Grundwissen und Handwerkszeug: IT-Beratungsmarkt und -Beratungsmethoden Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Beratungsindustrie und auch der ITBeratung steht noch relativ am Anfang. Gleichzeitig ist die Bereitschaft der Unternehmen, ihre Methoden offenzulegen, begrenzt [Ni07]. Dies führt dazu, dass viele Studierende detaillierte Kenntnisse über den Beratungsmarkt und die für den Beratungsalltag relevanten Methoden erst während ihres Berufseinstiegs „on-the-job“ erlernen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass nur die für die aktuellen Moden erforderlichen Methoden antrainiert werden. Es fehlt dann an einem Überblick über unterschiedliche Ansätze und über Kategorien zur Einordnung und Bewertung der Methoden. Zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater sollten daher die Möglichkeit haben, bereits während ihres Studiums einen umfassenden Überblick über den ITBeratungsmarkt, die Bedeutung von IT-Innovationen für diesen Markt und die Verzahnung mit anderen transformierenden Bereichen der Beratung kennen lernen [De07]. Um diese Kompetenzen unter den derzeitigen Gegebenheiten erwerben zu können, halten wir zwei Maßnahmen für erforderlich: Erstens ist die Integration von erfahrenen Beratern aus der Praxis neben der begrenzt verfügbaren Literatur [wie z. B. Ni08, Ni10] der einzige Weg, bei dem vorherrschenden Theorie- und Literaturmangel ein geeignetes Lehrangebot zur Verfügung stellen zu können. Zweitens sollte der Einblick in den Beratungsmarkt und die Beratungsmethoden nicht nur aus der Beraterperspektive, sondern auch aus der Kundenperspektive gewährt werden, damit die Studierenden beide Perspektiven kennenlernen. Ferner sollte Studierenden die Differenz zwischen der Beratungspraxis und ihren Methoden einerseits und wissenschaftlichen Methoden andererseits vermittelt werden [Ba97]. 4.1.2 Orientierungswissen und Vorausschau: globale Entwicklung, gesellschaftlicher Kontext und Verantwortung Die Entwicklung und Aneignung von neuer Informationstechnik und die ITBeraterinnen und -Berater im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Arenen sind in einen Makrokontext eingebettet [Kr06, Ro08]. Studierende sollten in der Lage sein, zu verstehen, dass der IT-Einsatz im Kleinen von Triebkräften wie der Globalisierung (auch in der IT-Industrie), gesellschaftlichen Entwicklungen (beispielsweise der demographischen Entwicklung in Deutschland) und Krisen (Beispiel: Finanzkrise 2008) geprägt wird und auch auf diese zurückwirkt. Dabei geht es auch um die Frage, wie das durch den IT-Einsatz erzielte Produktivitätswachstum verteilt wird und welche Zusammenhänge es mit der Lohnpolitik gibt [Ro08]. Studierende können anhand von aktuellen Entwicklungen die Wechselwirkungen zwischen lokalem Handeln in ITBeratungsprojekten und großen Entwicklungslinien aufgezeigt werden. Studierende sollten nicht nur das nötige informationstechnische und betriebswirtschaftliche Fachwissen erwerben, sie sollten auch in der Lage sein, sich in der Gesellschaft und der Welt jenseits aktueller Moden orientieren zu können (Orientierungswissen) [ebd.]. Beides darf nicht im Sinne einer allgemeinen Gesellschaftskunde losgelöst voneinander erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de stattfinden. Mit dem Erwerb dieser Kompetenz geht einher, dass sich zukünftige ITBeraterinnen und -Berater der Verantwortung und der ethischen Dimension ihres Handelns bewusst sein sollten. 4.1.3 Rückblick: Techniknutzungs- und Technikentwicklungspfade Aktuelle Entwicklungen – Moden und Trends – kann man, bei aller Innovativität, Zerstörungskraft [Sc97] und Andersartigkeit, mit der Kenntnis zurückliegender Ereignisse besser einordnen und einschätzen. Während Berater mit fortschreitender Berufserfahrung zunehmend auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen können, bleibt für Studierende nur der Rückgriff auf die Literatur, auf Fallstudien und auf Erfahrungsberichte von Praktikern. Dabei sollten nicht nur Erfolgsgeschichten vorgetragen werden, sondern auch Fehlschläge und Irrwege, also gescheiterte Innovationen analysiert und diskutiert werden [Ba06]. Doch in einem von Moden und Trends geprägten Umfeld ist die tiefgehende historische Reflektion von Entwicklungen Mangelware. Einzelne Fallstudien sind zwar ein Mittel, welches auch für die Lehre geeignet ist. Eine Verknüpfung der Ereignisse und Zusammenhänge, wie sie Techniknutzungs- und Technikentwicklungspfade [Ro08, Mü11] vorsehen, darf jedoch nicht fehlen. Wer über dieses Wissen verfügt, wird befähigt, „alten Wein in neuen Schläuchen“ und Parallelen zu bereits Geschehenem zu erkennen. 4.2 Spezifische Methodenkompetenz 4.2.1 Anwendungskontexte erschließen und Charakteristika erkennen Das Projektgeschäft in der Beratungswirtschaft erfordert, dass die Mitarbeiter sich nach wenigen Wochen wieder auf ein neues Umfeld einstellen müssen. Berücksichtigt man jedoch die oben formulierte Anforderung, dass Berater sich den jeweiligen Kontext eines Projektes erschließen müssen, so stellt sich die Frage, welche methodischen Kompetenzen für diese Aufgabe erforderlich sind. Neben einer systematischen Recherchetätigkeit über unterschiedliche Materialquellen (Zeitschriften, Internet, interne Knowledge Base, Software, Quellcode, Modelle und Diagramme etc.) hinweg, die man eher zu den allgemeinen methodischen Kompetenzen zählen kann, sollten Studierende über geeignete Mittel verfügen, um selbständig Daten erheben und diese einordnen zu können. In einem zweiten Schritt gilt es, die erforderlichen Daten auszuwerten. Eine besondere Herausforderung besteht für IT-Beraterinnen und -Berater darin, dass die unterschiedlichen Materialquellen für die Analyse und für spätere Aktionen übergreifend zusammengeführt werden müssen. Für diesen Analyseprozess sollten aber auch die theoretisch-inhaltlichen Grundlagen erlernt werden, um die gefunden Daten sinnvoll strukturieren zu können. Hilfreich sind hier Kenntnisse über grundlegende Charakteristika von Branchen, Prozessen, Dienstleistungen (z. B. [GaHo98]) und Organisationen (z. B. Organisationskonfigurationen nach Mintzberg [Mi79]) und mikropolitischen Konstellationen. Da die Einarbeitung in neue Anwendungskontexte jeweils einen erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de erheblichen Aufwand darstellen kann, arbeiten viele Berater auch mit einem Schwerpunkt in bestimmten Branchen. So sind nicht nur die Kenntnisse über den jeweiligen Markt des Unternehmens übertragbar, sondern auch das Wissen über Organisations- und Dienstleistungsvarianten innerhalb dieser Branche. Abschließend sei hier erwähnt, dass die notwendigen Theorien, um sich Anwendungskontexte besser erschließen zu können, möglicherweise aus den Fachgebieten anderer Disziplinen – wie beispielsweise der Organisationstheorie oder Organisationspsychologie – stammen. 4.2.2 Fähigkeit zur Aneignung neuer Technologien Um aktuellen Moden auf den Zahn zu fühlen, müssen sich IT-Beraterinnen und -Berater häufig neue Technologien aneignen. Erste Informationen erhält man vielleicht auf einer Messe oder einem Kongress, später folgen Berichte aus den Medien, von Kolleginnen und Kollegen oder von einem erfahrenen Innovator. Doch dies alles ersetzt nicht die eigene Auseinandersetzung mit neuen Technologien. Dass Studierende während ihres Studiums mit den jeweils aktuellen Technologien in Berührung kommen, sollte sich bei einer guten Lehre eigentlich von selbst verstehen. Aktuelle Programmiersprachen und Entwicklungsumgebungen, moderne Endgeräte (derzeit z. B. Smartphones oder Tabletcomputer) und eine aktuelle SAP-Installation ermöglichen es, mit dem jeweiligen Stand der Technik in Berührung zu kommen. Da dieses Wissen jedoch schnell veraltet, sollte es nicht nur darum gehen, sich neue Technologien praktisch erschließen zu können. Es sollte auch die Technologieaneignung an sich erlernt und reflektiert werden. Erneut steht zunächst das Sammeln von Informationen aus verschiedenen Quellen im Vordergrund. Sie können einen Hinweis darauf geben, ob eine neue Entwicklung für das eigene Aufgabenfeld überhaupt relevant ist. Ab einem bestimmten Punkt hilft dann aber nur der konkrete Selbstversuch. Man muss die neue Technologie „in den Händen“ bzw. „vor den Augen“ haben. Installieren, explorieren, ausprobieren, Funktionen testen und sich dabei eine eigene Bewertung erarbeiten. Dieser Prozess kann von der Frage geleitet sei, welche Chancen und welche Risiken sich für einen bestimmten Kunden oder eine Branche aus dieser Technologie ergeben könnten. Dies ist nur dann möglich, wenn man sich zuvor den jeweiligen Kontext erarbeitet hat (siehe oben). Man kann dann an einem Problem exemplarisch testen, ob die neue Technologie dort ihren vermuteten Mehrwert entfalten kann. Ist der Kunde an diesem „Ausprobieren“ beteiligt, sollte dies offen kommuniziert werden: Es handelt sich um ein Innovationsprojekt [Ba97]. 4.2.3 Auswahl und Erweiterung von Methoden und Werkzeugen Viele Studiengänge, die heute von zukünftigen IT-Beraterinnen und -Beratern belegt werden, vermitteln eine Vielzahl an Methoden (beispielsweise zur Prozessmodellierung) und Werkzeugen (beispielsweise Entwicklungsumgebungen und Frameworks). Was häufig nicht vermittelt wird, ist die Frage, wie ich für einen individuellen Anwendungskontext eine geeignete Auswahl treffen kann. Studierende sollten lernen, unterschiedliche Methoden und Werkzeuge auf ähnliche Fragestellungen anzuwenden, um dabei herauszufinden, worin die Unterschiede zwischen den Methoden liegen und wie eine geeignete Auswahl getroffen werden kann. Welche Methoden sind erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de beispielsweise für kleine und flexible Kontexte ungeeignet aber für große und komplexe Kontexte gut geeignet? Die Ausbildung sollte hier auf einer Meta-Ebene ansetzen, und den Studierenden die Fähigkeit vermitteln, je nach Charakteristika eines Kontextes eine Methode oder ein Werkzeug auszuwählen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn bei einer aktuellen Mode zu entscheiden ist, ob man diese früh mitmachen, lieber abwarten oder möglicherweise sogar bewusst überspringen möchte. Gerade die universitäre Ausbildung sollte jedoch noch einen Schritt weiter gehen: Da aufgrund der großen Heterogenität der Anwendungskontexte Methoden nur selten unmittelbar angewendet werden können, sollten zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater auch erlernen, wie sie Methoden so modifizieren können, dass sie in einer „abgespeckten“ Variante verwendbar sind. Darüber hinaus sollte auch der Weg zur Weiterentwicklung bestehender Methoden bzw. zur Entwicklung neuer Methoden aufgezeigt werden. Will man als IT-Berater oder -Beraterin nicht nur im Markt bestehen, sondern auch eine Vorreiterrolle einnehmen, können diese Schritte zu einer substanziellen Verbesserung der eigenen Position führen. 4.3 Befähigung zu eigenständiger Urteilskraft und Selbstreflexion, Komplexitätsreduktion und Transdisziplinarität 4.3.1 Reflexion über die eigene Rolle: Mit Unsicherheit umgehen können Die Nutzung von IT-Innovationen bedeutet in besonderem Maße Umgang mit Unschärfe und Unsicherheit. Sowohl die Durchsetzungskraft der Innovation ist ungewiss als auch das Gelingen der durch ihre Nutzung in einer je individuellen Unternehmenssituation angestrebten Transformation und Erneuerung von bestehenden (produktions- oder dienstleistungsbezogenen) innerbetrieblichen Abläufen, Geschäftsbeziehungen oder Kundenbindungen. Das hierbei erforderliche Co-Design auf verschiedenen Ebenen (fachlich, technisch und in Kooperation mit dem Innovationsmarkt) ist hoch komplex, offen und dynamisch und erfordert kommunikative Fähigkeiten in Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen mit unterschiedlichen Stakeholdern. Schon D. Schön [Sc83, Sc87] weist darauf hin, dass die veränderten Rahmenbedingungen, in denen Projekte in der Praxis durchzuführen sind, zu Konsequenzen in der Ausbildung führen sollten. Er argumentiert: „... the complexity, uncertainty, instability, uniqueness, and value conflicts are increasingly perceived as central to the world of professional practice“ [Sc83, S. 14]. Entsprechend stellt sein Ansatz die Reflexion-in-Aktion in den Vordergrund, durch die der bzw. die Professionelle nach Schön zur Forscherin bzw. zum Forscher im Praxiskontext wird. Unabhängig etablierter Theorien und Techniken entwickeln sie eine neue Theorie des einzigartigen Falles. In diesem Prozess der Problembestimmung (s. auch insbesondere [Ch99]) werden Ziele und Mittel, dies zu erreichen, organisiert und geklärt. Hierin unterscheiden sich reflexive Praktikerinnen und Praktiker von anderen Praktikern und Praktikerinnen, die Ungewissheit als eine Bedrohung und als ein Zeichen von Schwäche ansehen. Dabei können sich auch die reflexiven Praktikerinnen und Praktiker unwohl fühlen, da sich ihr Vorgehen und ihre Ergebnisse dem Nachweis an Qualität und Strenge erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de entziehen. Dies nimmt Schön zum Anlass, eine Epistemologie von Praxis zu entwickeln, “which places technical problem solving within a broader context of reflective inquiry, shows how reflection-in-action may be rigorous in its own right, and links the art of practice in uncertainty and uniqueness to the scientist’s art of research” [ebd., S. 69]. In diesem Sinne kann gerade die Nichtleugnung und Akzeptanz von Unsicherheit gepaart mit dem bewussten Umgang damit zu eigener Stärke im Umfeld von Moden und Trends beitragen. Aber selbst wenn IT-Expertinnen und Experten den Umgang mit Unsicherheit und Problembestimmung als zentral ansähen und die strikte Anwendung „rationaler“ Methoden durch Reflexion und einer Öffnung hin zum verstärkten Eingehen auf Kunden/Anwender ersetzten, müssten sie nach Schön darauf vorbereitet werden, das ihnen ein ablehnendes Fremdverständnis entgegentreten könne, das ihre Autorität untergräbt. Westrup geht hierbei noch einen Schritt weiter, indem er Gründe für die beharrliche Vorherrschaft und den Erfolg zweckrationaler Methoden aufzeigt [We96]. Das Management wünsche sich „a rational mirror“ der Organisation. Allerdings sollte auch das Management u. E. durch jahrelange Erfahrung mit IT-Projekten bereits geschult sein, dass weder Modelle und Repräsentationen diesen „objective state of grace“ [ebd., S. 162] noch den Weg dazu hervorbringen könnten, was evident würde, wenn man diese Systeme in das Durcheinander einer Organisation einführt [ebd., S. 162]. Robey und Markus sprechen in diesem Zusammenhang von Ritualen, die dazu dienen, den Mythos von Organisationen als rationale Organisationen aufrechtzuerhalten [RoMa84, S. 12]. Sie ermöglichten es, verborgene politische Motive in einem akzeptablen Cover zu präsentieren. IT-Expertinnen und Experten sollten sich dieser Rituale und ihrer Funktionen bewusst sein. Ist sich ein naiver Akteur dessen nicht bewusst, wird er als Prozessteilnehmer weniger effektiv sein [ebd., S. 13]. Für eine universitäre Ausbildung zukünftiger IT-Beraterinnen und -Berater ist auf Basis dieser Ausführungen Folgendes festzuhalten: Es ist die Rolle der Beraterinnen und Berater, ihr Selbst- und Fremdverständnis zu thematisieren und es sind Wege aufzuzeigen, die die individuelle Eigenständigkeit unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Praxissituationen stärken. Ansätze wie der von D. Schön fordern dazu auf, Mustern zu bilden, die Experten durch Reflexion ihrer Projekterfahrungen machen und die so ihr Erfahrungswissen für zukünftige Aufgaben explizit machen. 4.3.2 Grundlegende Fähigkeit zum Umgang mit Komplexität Beyer und Holtzblatt stellen als ein Hauptmerkmal bei der Entwicklung neuer Anwendungssysteme oder IT-Produkte den Umgang mit einer außerordentlich großen Detailtiefe heraus [BeHo98]. Da im Zusammenhang mit der Entwicklung, Nutzung und Einführung von IT-Innovationen nicht die Unterstützung bestehender Arbeitspraxis sondern deren Neugestaltung zu konzipieren ist, erweitern sich die zu berücksichtigenden Aspekte und Abstraktionsebenen. Insbesondere das Changemanagement überfordert üblicherweise in der Praxis durch parallele Berücksichtigung einer Vielzahl vielschichtiger planerischer, organisatorischer und technischer Faktoren. Betrachten wir Aufgaben im Rahmen der IT-Governance wie erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Unternehmensarchitekturmanagement und IT-Landschaften, so ist ein Scope erreicht, der geeignete Methoden zum Umgang mit Komplexität erst recht unumgänglich macht. Zunächst sind in der universitären Ausbildung diese Kontexte und Aspekte anhand ausgewählter Fallbeispiele zu demonstrieren. Gleichzeitig sind theoretische Ansätze zu vermitteln, die grundlegende Methoden der Komplexitätsreduktion aufzeigen und motivieren. Ihr Wert, das heißt ein schnelleres, treffgenaueres und geschärftes Verständnis der Situation ist anhand der Beispiele zu verdeutlichen und einzuüben. Hierbei sollte ebenfalls deutlich werden, dass Komplexität neben dem Befolgen vorgegebener und bewährter Ansätze durch eigenständige, auf die Spezifika der Situation bezogene Analyse hin zu reduzieren ist und kein „Kochrezept“ übergestülpt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch auf z. T. eingeschränkte Perspektiven (einseitiger) Moden hinzuweisen, wenn sie nicht zu bestehenden Ansätzen in Beziehung gesetzt werden, sondern völlige Neuorientierung für sich beanspruchen. Beispiele für Komplexitätsreduktion reichen von dem Bilden geeigneter Kategorien über das Wechseln von Perspektiven (Arbeitsplatz-, Prozess-, Business-Sicht [We01] bis zur Nutzung von Dualitäten wie z. B. die Produkt- und Prozesssicht in der Softwareentwicklung [Fl94]. Angewendet auf die IT-Berater/innen, verstanden als Forscher in der Praxis (s.o., [Sc83]), ermöglicht dies z. B., die Ausrichtung von Produktund Prozesssicht [Fl94] daraufhin zu untersuchen, inwieweit beispielsweise die Projektstrukturen (Teambildung inklusive Personalressourcen) mit entsprechenden Produktstrukturen (Architekturen) zusammenpassen. Als Beispiele für theoretische Ansätze sind Actor Network Theory (ANT) [HAB04, La07] oder der verwandte Ansatz „The Mangle of Practice“ [Pi95] zu nennen. 4.3.3 Kompetenz zur Leitung transdisziplinärer Teams Durch IT-Innovationen, Moden oder Trends ausgelöste Transformationen werden gemeinhin in Projekten umgesetzt. Diese sind in der Regel keine reinen IT-Projekte, sondern organisationsverändernde Projekte mit einer mehr oder weniger ausgeprägten IT-Komponente [Op09]. Diese Transformationsprojekte (wie z. B. die Einführung von Standardsystemen oder die Einführung einer SOA) erstrecken sich z. T. über Jahre und erfordern diffiziles Multiprojektmanagement und aufwändige hierarchische, hoch kooperationsintensive und z. T. multinationale Projektstrukturen und Prozesse, die Verantwortliche aus den verschiedenen involvierten Organisationsbereichen und standorten geeignet einbinden. Aber auch die durch die erweiterte Rolle der IT als Business-Treiber erforderlichen neue IT-Governancestrukturen mit den erweiterten Querschnittsaufgaben wie Unternehmensarchitekturmanagement und Risikomanagement benötigen permanente transdisziplinäre Zusammensetzung und kommunikationsintensive Prozesse [ZMBS11], von deren Einrichtung und Funktionieren nicht zuletzt der Unternehmenserfolg abhängt. Hierzu sind in der Lehre sowohl die fachlichen Anforderungsspektren dieser Projekte als auch die Herausforderungen aufzuzeigen, transdisziplinäre Projekte durchzuführen und zu leiten. Eine universitäre Ausbildung sollte hierbei auf die Probleme der Transdisziplinärität in Praxis und Forschung hinweisen [Dr09]. So hat beispielsweise Funken [Fu01] neben der erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de Verdeutlichung der stärkeren sozialen Bezüge der Informatik als in klassischen Ingenieurswissenschaften das Hinzuziehen humanwissenschaftlicher Fragestellungen und Methoden gefordert (siehe auch [Co92, Ro92, Vo92, Fl95]). Gleichzeitig hat er deutlich gemacht, dass leichtfertige Lösungen, mit den unterschiedlichen Hintergrundordnungen von Verstehen und Konstruieren umzugehen, bedenklich sind. Rolf thematisiert in diesem Zusammenhang folgerichtig: „‘Verstehen und Herstellen, Interpretieren und Konstruieren, sind zwei so gegensätzliche Tätigkeiten, daß wir entsprechende Menschentypen unterscheiden: die Denker und die Macher – wie eben in den Wissenschaften die Konstrukteure und die Interpreten‘ [Si92, S. 112]. Dennoch ist dieses Dilemma nicht auflösbar, es ist Ausdruck der klassischen Arbeitsteilung der Wissenschaften. In der Überwindung dieser strengen Arbeitsteilung liegt die eigentliche Herausforderung für die Informatik und die Informatiker“ [Ro92, S. 37]. Eine universitäre Ausbildung hat daher auf wissenschaftstheoretischem Niveau auf die Unterschiede, Stärken und Grenzen naturwissenschaftlicher Forschungsgrundsätze und die Paradigmenvielfalt geisteswissenschaftlicher Forschung hinzuweisen [Ch99, S. 51]. Die Paradigmeninkommensurabiltät [Ki99], die sich in der Dichotomie und Unvereinbarkeit harter und weicher Ansätze (s. z. B. [FrHo98]) widerspiegelt, ist zu verdeutlichen sowie Ansätze zu deren Überwindung (z. B. [Gi84]) vorzustellen. Dies erleichtert nicht zuletzt die Einordnung unterschiedlicher Methoden [BuMo79, WiHe07] und das Verständnis für einen z. B. breiten Forschungsmethodenkanon der Wirtschaftsinformatik [WiHe07]. 5 Fazit und Ausblick Ausgehend von der Fragstellung, wie zukünftige IT-Beraterinnen und -Berater auf ein von Moden und Trends geprägtes Arbeitsfeld in der universitären Ausbildung vorbereitet werden können, haben wir aus den Herausforderungen Ziele für die Lehre abgeleitet. Im vorigen Abschnitt haben wir insgesamt neun Kompetenzen vorgeschlagen, über die zukünftige IT-Beraterinnen und -Beratern verfügen sollten. Diese Kompetenzen haben wir in drei Kompetenzfeldern zusammengefasst. Dieses Ausbildungsprofil zielt darauf ab, im Studium Kompetenzen zu vermitteln, die Absolventen auf einer übergeordneten Ebene dazu befähigen, sich immer wieder an neue Umgebungsvariablen – Technik, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Anwendungskontexte – einzustellen. Dies ist sicherlich eine anspruchsvolle Forderung, sie wird aber der steigenden Verantwortung der IT-Beratung gerecht. Dieser Artikel verdeutlicht, dass die Diskussion über Ausbildungsziele und die dafür erforderlichen Kompetenzen zukünftiger IT-Beraterinnen und -Berater noch am Anfang stehen. Weitere Schritte sind erforderlich, um die Qualität der universitären Ausbildung in diesem Bereich voranzubringen. Als notwenige Vorstufe sollte eine Abfrage von Anforderungen in unterschiedlichen Unternehmen der Branche durchgeführt werden. Dabei sollte auch die Arbeitsteilung zwischen Universität und Unternehmen diskutiert werden, die eine Grundlage für einen lebenslangen Lernprozess sein kann. Ferner könnten heutige Berater danach befragt werden, welche der in ihrer Ausbildung vermittelten Kompetenzen sich als besonders hilfreich erwiesen haben. Ziel sollte es erschienen im Tagungsband der INFORMATIK 2011 Lecture Notes in Informatics, Band P192 ISBN 978-3-88579-286-4 weitere Artikel online: http://informatik2011.de/519.html INFORMATIK 2011 - Informatik schafft Communities 41. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik , 4.-7.10.2011, Berlin www.informatik2011.de sein, Empfehlungen für die Ausbildung von zukünftigen IT-Beraterinnen und -Beratern zu erarbeiten. Die heute an Universitäten stattfindende Ausbildung sollte daraufhin überprüft werden, welche der hier aufgeführten Kompetenzen bereits vermittelt werden, welche nicht vermittelt werden und welche weiteren Kompetenzen angestrebt werden, die hier keine Erwähnung finden. Anschließend sollte auch – beispielsweise in Workshops – eine Diskussion über die didaktische Ausgestaltung und die Einbeziehung der Praxis geführt werden. Literaturverzeichnis [Ba06] Bauer, R.: Gescheiterte Innovationen – Fehlschläge und technologischer Wandel. Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2006. [Ba97] Baskerville, R. L.: Distinguishing Action Research From Participative Case Studies. Journal of Systems and Information Technology, 1(1), 1997, S. 25-45. [BeHo98] Beyer, H.; Holzblatt, K.: Contextual Design. Defining Customer-Centered Systems. Morgan Kaufmann, San Francisco, 1998. [BuMo79] Burell, G.; Morgen, G.: Sociological Paradigms and Organisational Analysis. Ashgate, Aldershot, Reprint, 2001. [Ch99] Checkland, P.: Systems Thinking, Systems Practice. Wiley, Chichester, 1999. [Co92] Coy, W. et. al.: Sichtweisen der Informatik. Vieweg, Braunschweig, 1992. [De07] Deelmann, T.: Beratung, Wissenschaft und Gesellschaft – Interdependenzen und Gegenläufigkeiten. 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