Der Agit-Rapper

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Der Agit-Rapper
24 M E N S C H E N
VER.DI PUBLIK 04 APRIL 2007
HOLGER BURNER
Der Agit-Rapper
Rap ist Pose. Und die ist
oft sexistisch, autoritär
und aufgeblasen.
Dass es anders geht,
zeigt Holger Burner.
Der Hamburger setzt
sich mit seiner Musik
für sozialistische
Alternativen und
Gewerkschaften ein
VON MAIK SÖHLER
Es gibt Rapper, die mit ihrer Musik für
Reichtum, Protz und die Erniedrigung
von Frauen oder Schwulen und Lesben
stehen. Frauen sind „Bitches“, wer nicht
heterosexuell ist, wird diffamiert. Fragt
man nach, was das soll, dann heißt
es entweder, das sei nicht so gemeint
oder es sei authentisch – auf der Straße spreche man so.
Die Stars der deutschen HipHopSzene mal eben vergessen – es gibt
einen Rapper, der solche autoritären
Posen nicht braucht: Holger Burner
(28). Wenn man ihn abwägend und differenziert vorstellen soll, müsste man
von einem Sozial-Rapper sprechen, von
engagierten Songs und von Texten, die
für Chancengleichheit und Gerechtigkeit Stellung beziehen. Nachzuhören sind sie auf seiner vor kurzem erschienenen ersten CD Cypher-Propaganda. Aber auch das mal kurz vergessen. Warum nicht so direkt und ehrlich sein, wie Burner es selbst ist. Dann
muss man ihn als einen linksradikalen
Klassenkampf-Rapper vorstellen, der
mit seiner Musik Propaganda macht
– für den Sozialismus, für Gewerkschaften, für politische Aktivität, gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Resignation. So einfach ist das.
Burner statt Börner
Holger Burner, der beim Diskutieren
und Agitieren offenbar nie müde wird,
heißt eigentlich David Schultz. Warum dieses Pseudonym? Der Rapper erklärt es gern: „Ich komme aus Kassel,
genauso wie der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer und hessische Ministerpräsident Holger Börner, Börner
mit ö. Er war reaktionär, wollte mal
eigenhändig mit einer Dachlatte Demonstranten verprügeln. Im HipHop
bedeutet Burner, dass man was richtig gut drauf hat. Der Name war viel
zu gut, um ihn dem Börner mit ö zu
überlassen. Wenn Leute den Namen
Holger Burner/Börner aus Kassel hören, dann sollen sie an mich denken,
und nicht an ihn. Bei einem Teil der jüngeren Generation ist es nun so.“
„Etwas Besseres, als Kämpfe mit meiner Musik zu unterstützen, kann es nicht geben.“
Zum Rap und HipHop ist er früh gekommen, „so mit elf, zwölf Jahren,
als gerade Schluss war mit Asterix-Hörspielkassetten“, sagt Burner. Er fuhr
mit einem Freund seines Bruders nach
Berlin, im Auto lief was von den USHipHoppern Gang Starr. „Ich habe die
Texte anfangs gar nicht verstanden und
einfach nur alles mitgenommen, was
gut klingt“: Public Enemy, KRS-One, ab
Mitte der Neunziger auch deutschsprachige Bands. Geblieben ist die Leidenschaft für The Coup – kommunistische Ami-Rapper, die mit ihm das Verständnis teilen, Rap sei ein musikalisches „Verarbeiten von dem, was man
erlebt”.
Nicht jeder, der Rap hört, wird selbst
Musiker. Solche Einwände bügelt der
Marxist Burner, der Lenin als Vorbild
nennt, kurz ab: „In Kassel war ich schon
als Kiddie unter den Aktiven in der Kultur, und da stellt sich die Frage gar nicht,
ob man selbst nichts macht.“ Das ist
ein typischer Satz für ihn, denn er enthält die Wendungen, die Burner im Gespräch am häufigsten gebraucht: aktiv sein, die Frage stellt sich nicht.
Denn ihm, der in einem Stadtteil aufgewachsen ist, in dem viele Griechen
und Spanier leben, stellte sich die Frage eben einfach nicht, ob man Engagement gegen Rassismus und Neonazis zeigen sollte, als in den frühen
Neunzigern „die Faschos aufmarschier-
ten”. Für ihn war es selbstverständlich,
auch „erklären zu wollen, woher der
Rassismus kommt und wem er nützt“
und deswegen im Alter von 15 Jahren in der trotzkistischen Jugendorganisation „Sozialistische Alternative
Voran“ aktiv zu werden. Natürlich hat
er erst bei der Gewerkschaftsjugend
mitgemacht und ist dann 1998 ÖTVMitglied geworden – obwohl die ÖTVSekretärin damals gelacht und zu ihren Kollegen gesagt habe: „Jemand
kommt und will bei uns eintreten.“ Und,
klar: Auch ver.di ist er treu geblieben.
Keine Frage.
Ziel Heiligendamm
Waren es in seiner Kasseler Zeit bei RapEvents noch spontane Griffe zum Mikro, „wenn mich der Sexismus einiger HipHopper zu sehr ankotzte“, so
datiert sein „ehrlicher Rap-Anfang“ auf
2002 in Hamburg. Später kamen Auftritte bei so genannten Battles, Improvisations-Wettbewerben, hinzu. Der
erste eigene Text wurde im Sommer
2004 in Berlin beim Tag der offenen
Tür des Wirtschaftsministeriums vorgetragen – und gleich von der Polizei
konfisziert, weil Versammlungen vor
dem Ministerium verboten waren und
sein Auftritt als eine solche eingestuft
wurde. Adidas hat mal einen Track von
ihm, offensichtlich ohne ihn vorher
zu hören, auf die Unternehmensweb-
Holger Burner
1978 als David Schultz geboren. Wächst in Kassel zusammen mit seinem acht
Jahre älteren Bruder bei der allein erziehenden Mutter auf. Seinen Vater kennt
er nicht. Die Mutter ist überwiegend erwerbslos, die Lebensverhältnisse sind,
wie er sagt, „sehr arm“. Aber sie hatte das Ziel, die Kinder zu Bildungsaufsteigern zu machen, „und das hat geklappt”. Er zieht mit 17 von zu Hause aus,
neben der Schule ein bis zweimal pro Woche Fließbandarbeit im Druckhaus
Dierichs, schließlich Abitur. 13 Monate Zivi in einem Kasseler Sportkindergarten. Seit 2001 in Hamburg. Dort zuerst Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Abbruch, seither Studium der Sozialpädagogik. Burner jobbt
daneben 70 Stunden im Monat „als Mädchen für alles“ in einem Büro, das
Schüleraustausche organisiert. Wohnt in einer Dreier-WG in St. Pauli. Monatseinkommen „so um Hartz IV rum, manche Monate auch drunter“. Hofft auf
ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung, damit weniger Zeit für den Job
draufgeht und mehr für Studium und Musik bleibt.
www.holger-burner.de und www.myspace.com/holgerburner
site gestellt. Der Song handelt von Ausbeutungsmethoden in El Salvador und
China, Ausbeutung durch Adidas. „Das
ist Kommunikationsguerilla im besten Sinne“, meint Burner und freut sich
über die gelungene Subversion.
Er tritt regelmäßig für Gewerkschaften auf, mal am 1. Mai, mal bei Protestkundgebungen, mal bei Bildungsdemonstrationen. Den Arbeitskampf
der Beschäftigten der BSH (Bosch-Siemens-Hausgeräte) in Berlin hat er musikalisch unterstützt, Solidaritätsauftritte an Berufschulen gehören genauso zum Programm wie Konzerte für die
Hamburger Hafenstraße oder ein Gig
im Jugendzentrum Reinbek.
WIE SIEHT ARBEIT AUS, DIE SIE ZUFRIEDEN MACHT?
Wenn ich etwas bewegen kann. Neulich schob mir eine
Mitreisende im Zug einen Zettel zu. Darauf stand: Vielen
Dank für das, was sie für den Ökolandbau erreicht haben.
WAS WAR IHR TRAUMBERUF?
BÄRBEL HÖHN
räte in großen und einzelne Mitarbeiter in kleinen Betrieben brauchen die Unterstützung einer starken Gewerkschaft. Im Übrigen würde ich mir wünschen, dass sie ordentlich Druck für einen gerechten Mindestlohn machen.
Mensch muss von einer Vollzeitstelle leben können.
WO HÖRT IHRE SOLIDARITÄT AUF?
UND WAS HABEN SIE IN IHREM LEBEN NOCH VOR?
WAS FANGEN SIE MIT UNERWARTETEN 15 MINUTEN
Ich lasse die Sachen gerne auf mich zu kommen. Vieles
kann und will ich einfach nicht planen.
FREIZEIT AN?
Eine beruhigende Auswirkung des Geldes will ich nicht
ausschließen. Ein freier Tag mit meinem Mann oder meinem Enkel bewegen mich aber mehr.
WOFÜR GEBEN SIE GERNE GELD AUS?
Die Mathematikerin (54), politisiert durch die Proteste gegen die Atomenergie, zog 1990 für die Grünen in den Landtag von Nordrhein-Westfalen, wurde
Fraktionssprecherin, dann Umwelt- und Landwirtschaftsministerin des Landes.
Die heutige Bundestagsabgeordnete steht für ein engagiertes Eintreten für einen vorsorgenden Verbraucherschutz, Stichwort BSE, für die Förderung von
erneuerbaren Energien und der ökologischen Landwirtschaft.
FOTO: VISUM
„Immer rein ins Getümmel, da sind die
Leute. Regeneration brauche ich nur im
Sinne von Schlaf. Wenn ich irgendwo
hingehen kann, mache ich das lieber,
als zu Hause rumzuhängen.“ Am glücklichsten wäre Burner, wenn er bei den
Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm auf eine der Bühnen kommen könnte. „Ich würde aber auch gerne mal in einer besetzten Fabrik rappen. Etwas Besseres, als Kämpfe mit
meiner Musik zu unterstützen, kann
es nicht geben“, sagt er und lacht.
Unternehmungsgeist pur. Sein nächstes Album, das im Sommer erscheinen soll, hat einen konsequenten Titel: Klassenkampf-Rap.
Also Lokomotivführerin oder Olympiasiegerin wollte ich
nicht werden. Mich haben immer die Menschen und die
Natur interessiert, das kann ich heute gut verbinden.
MACHT GELD SIE GLÜCKLICH?
FRAGEN AN
FOTO: CHRISTIAN DITSCH
Momentan „stecken“ wir unser Geld in die Zukunft unserer Kinder. Sie können es jetzt gut gebrauchen, weil sie
selber Familien gründen und Kinder bekommen.
WAS KÖNNTE EINE GEWERKSCHAFT FÜR SIE TUN?
Gewerkschaften sind wichtig, damit die Mitarbeiter den
Arbeitgebern auf Augenhöhe begegnen. Auch Betriebs-
Wenn sich ältere Herren in der Schlange an der Kasse
vordrängeln!
Ich beobachte gerne die Vögel in unserem Garten, und
manchmal löse ich ein Sudoku-Rätsel
IST ARBEIT IHR HALBES LEBEN?
Zeitmäßig erheblich mehr als die Hälfte. Aber das Schöne an meinem Beruf ist, dass er zwar anstrengend ist,
aber so spannend und interessant, dass ich ihn nicht als
Belastung empfinde.
WIE SIEHT DIE ANDERE HÄLFTE AUS?
Am Wochenende kommen oft meine Söhne mit ihren Familien oder ihrer Freundin vorbei. Im Mai werden mein
Mann und ich zum zweiten Mal Großeltern. Ein kleines
Kind aufwachsen zu sehen, ist etwas ganz Besonderes.
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