Die modernsten Behandlungen bei Schulterverletzungen

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Die modernsten Behandlungen bei Schulterverletzungen
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Die modernsten Behandlungen
bei Schulterverletzungen
Eigentlich ist Rudern ein
sehr gesunder Sport –
auch für die Schultern.
Doch je höher der
Leistungsanspruch,
desto eher kann es zu
Überlastungsschäden der
Schultern kommen. Die
gute Nachricht: Es gibt
inzwischen gute Behandlungsmethoden.
Patientengespräch.
R
udern gehört zu den wenigen
Sportarten, bei denen fast alle
Muskelgruppen
beansprucht werden. Ausdauer,
Koordination, Herz und Kreislauf
werden gleichzeitig trainiert. Kein
Wunder also, dass in jedem Fitnessstudio ein Rudergerät steht. Außerdem zählt Rudern zum Rehabilitations-Programm für Rollstuhlfahrer.
Schulterspezialisten wie Privatdozent
Dr. Jörn Kircher, Leiter der Schulterund Ellenbogenchirurgie der Klinik
Fleetinsel Hamburg, betonen: „Rudern ist eigentlich super für die Schultern.“ Eigentlich. Denn wie so oft, gilt
auch hier: Was zu viel ist, tut mitunter
nicht gut. „Typische Ruderprobleme
sind Überlastungsschäden der Schulter“, sagt Dr. Kircher. Untersuchungen zeigen: Ein Drittel der Probleme
bei Ruderern betreffen den Schultergürtel.
Die Schultern sind anfällig
Dass die Schultern so häufig von Verletzungen heimgesucht werden, liegt
vor allem an der speziellen Anatomie.
Kein anderes Gelenk bietet einen
solch großen Bewegungsspielraum:
Das Schultergelenk ermöglicht die Bewegung in einem Kreis von 360 Grad.
Denn es ist als Kugelgelenk etwas anders aufgebaut als andere Gelenke im
Körper: Die Gelenkpfanne des Schultergelenks ist deutlich größer (4:1) als
der Gelenkkopf. Dadurch besteht nur
eine geringe Kontaktfläche und es
kann leicht zu einer Instabilität kommen. Außerdem umgibt ein kräftiger
Muskelmantel das Gelenk. Da diese
vier Muskeln wie eine Manschette von
hinten nach vorne den ganzen Oberarmkopf umspannen, werden sie unter dem Begriff Rotatorenmanschette
zusammengefasst. Der Vorteil: Die
Muskeln können sich frei entfalten,
keine knöchernen Strukturen schränken die Bewegung ein. Der Nachteil:
Diese Muskeln sind beim Rudern großen Belastungen ausgesetzt.
Chronische Überlastung ist die
häufigste Ursache für Schulterverletzungen. Dr. Kircher: „Dies führt zu
Abnutzungserscheinungen an Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen.“ Durch eine falsche Technik oder
einseitiges Training kann dieser negative Prozess weiter beschleunigt werden. Die Veranlagung spielt ebenfalls
eine Rolle: So ist bei einigen Menschen von Natur aus die Schulterpfanne zu klein für die Kugel oder die
Kapsel zu elastisch. Hierdurch kann
Fotos: Klinik Fleetinsel
eine chronische Instabilität entstehen.
Auch eine Schulterenge kann angeboren sein. Ein Unfall beim Training,
wie ein Zusammenstoß mit einem anderen Ruderboot, führt mitunter
sogar zu einer Schulterausrenkung
oder einem Schulterbruch. Zum Glück
sind solche akuten Traumata beim
Rudersport sehr selten.
Schulterverletzungen bei Ruderern
Häufige Schulterverletzungen bei Ruderern sind:
Zerrung: Der Muskel wird übermäßig gedehnt, woraufhin er sich
schnell und stark zusammenzieht.
Mögliche Ursachen hierfür sind eine
zu ruckartige Bewegung, eine nicht
ausreichend erwärmte Muskulatur
oder ein Muskel, der durch dauerhafte oder übermäßige Belastung ermüdet ist.
Sehnenscheidenentzündung: Eine dauerhafte Überlastung führt zu
einer Reizung der Sehnen der Rotatorenmanschette. Vor allem die Subscapularsehne gilt als sehr anfällig. Sie
bildet den vorderen Anteil der Rotatorenmanschette, unterstützt die Innenrotation der Schulter und trägt wesentlich zur Schulterzentrierung bei.
Eine funktionstüchtige Subscapularis-
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sehne wird benötigt, wenn man das
Ruder von hinten nach vorne zieht.
Schleimbeutelentzündung (Bursitis): Schleimbeutel bilden eine Art
Dämpfer zwischen dem harten Knochen und weicheren Muskelgewebe.
Sie befinden sich vor allem an den besonders beanspruchten Körperstellen
– so auch an der Schulter. Bei ständiger Überlastung oder einem Schlag
auf die Schulter kann es zu einer Entzündung
eines
oder
mehrerer
Schleimbeutel kommen. Die Region
um den Schleimbeutel herum ist geschwollen und reagiert schmerzhaft
auf Druck.
Knorpelschaden an der Schulter
(Schulterarthrose): Mit zunehmendem Alter nutzt sich der Knorpel ab,
der den Knochen des Schultergelenkes wie ein schützendes Polster bedeckt. Auch Ruderunfälle oder chronische Überlastung können zu einem
Knorpelschaden führen. Im Endstadium reiben die Gelenkflächen direkt
aufeinander. Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sind typische
Symptome.
Erkrankungen der Bizepssehne
(SLAP-Läsion): SLAP ist eine englische Abkürzung und bedeutet „superior labrum anterior posterior“. Einfacher gesagt: Der Bizepsmuskel ist über
zwei Sehnen mit der Schulter verbunden. Die kurze Bizepssehne setzt außerhalb des Schultergelenks an. Sie ist
für die Kraftentwicklung zuständig.
Die lange Bizepssehne ist deutlich dünner. Sie verläuft durch das Schultergelenk hindurch und setzt über dem
Oberarmkopf am oberen Anteil der Gelenkpfanne an. Durch wiederholte
Überlastung kann es zu einem Einreißen der langen Bizepssehne an ihrem
Ansatzpunkt am Oberrand der Schultergelenkpfanne kommen. Man spricht
von einer Verletzung des Bizepssehnenankers oder eben auch von einer
SLAP-Läsion. Schulterschmerzen sind
das typische Symptom.
Impingement-Syndrom: Das englische Wort „to impinge“ bedeutet auftreffen, zusammenstoßen. Von Natur
aus besteht bereits eine Enge zwischen
Oberarmkopf und dem Schulterdach.
Bei Überbelastung der Schulter kann
es zu einer Verdickung der Supraspinatus-Sehne kommen. Die Sehne wird
zunehmend eingeklemmt, eine Schulterenge (Impingement-Syndrom) entsteht. Entzündungen und schmerzhafte Reizungen sind die Folge. Da der
Muskulus Supraspinatus für das Abspreizen, Anheben und die Außenrotation des Oberarms verantwortlich ist,
verursacht jede Armbewegung nun
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Schmerzen. Die Beweglichkeit der
Schulter nimmt immer weiter ab.
Riss der Rotatorenmanschette:
Wird die Schulter chronisch überlastet, werden die Sehnenansätze
spröde. Dr. Kircher: „In solchen Fällen kann die Rotatorenmanschette
auch ohne Unfallereignis einreißen.
Mitunter reicht bei einer vorgeschädigten Sehne eine einfache Ruderbewegung. Teilrisse sind dabei häufiger
als Komplettrisse.“ Typische Symptome bei einem Sehnenriss sind starke
Schmerzen, auch in Ruhe. Die Schulter kann nicht mehr nach innen gedreht werden.
Schultergelenks-Verrenkung
(ACG-Sprengung): Das Schulter-Eckgelenk (AC-Gelenk) ist das Verbindungsgelenk zwischen Schlüsselbein
und Schulterblatt. Bei Unfällen, wie
ein Zusammenstoß mit einem anderen Boot, kann es zur Verletzung des
Schulter-Eckgelenks kommen. Dr. Kircher: „Die Schulter schmerzt sofort
sehr stark, die aktive Beweglichkeit
ist stark beeinträchtigt. Viele Patienten spüren das Zerreißen der Bänder
und hören ein lautes Krachen. Das
Workstation mit echten Sehnen.
nach oben hochstehende Schlüsselbein ist ein weiteres typisches Symptom. Die Verletzung der Bänder
kann auch mit einem Knochenbruch
des Schlüsselbeines einhergehen.“
Nur ein Orthopäde kann die genaue Ursache der Schulterschmerzen
ermitteln. Dann wird sofort die Behandlung eingeleitet.
Wenn möglich wird zunächst mit
konservativen Therapien versucht, eine Besserung zu erzielen. Dazu zählen schmerz- und entzündungshemmende Medikamente, Injektionen und
Krankengymnastik. Bei Knorpelschäden bietet sich auch die so genannte
Mikrofrakturierung an. Dr. Kircher:
„Dabei wird der Knochen im Bereich
des Knorpeldefektes etwas eröffnet –
bis es anfängt zu bluten. Es entsteht
ein Blutgerinnsel mit Knochenmarkstammzellen. Aus diesem entwickelt
sich Knorpelersatzgewebe.“
Neue Operationsmethoden
bei Sehnenrissen
Ein Riss oder Teilriss einer Sehne
muss in der Regel operiert werden.
Denn eine gerissene Sehne heilt nicht
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von selbst zusammen. Noch schlimmer: Unbehandelt können aus kleinen
Rissen große Risse werden.
Dr. Jörn Kircher von der Klinik
Fleetinsel Hamburg hat zwei neue OPMethoden entwickelt, um einen Riss
oder Teilriss einer Sehne zu behandeln. Der Anlass: Bisher wurden die
Risse einfach zusammengenäht. Das
Problem war dann, dass die Sehne
dann oft nicht sehr stabil war und in
vielen Fällen nach einiger Zeit erneut
riss.
1. Das SCP-Interlocking: SCP
steht für Subscapularsehne. Interlocking beschreibt die neue Art, wie
der Faden an der Schulter vernäht
wird. Bei dem SCP-Interlocking handelt es sich um ein alternatives Nahtverfahren. Dr. Kircher: „Bisher war es
üblich, die Subscapularsehne mit einer einfachen Naht am Knochen wieder zu befestigen. Diese einfache Naht
hielt der Belastung leider oft nicht
stand.“ Bei dem SCP-Interlocking
wird zunächst ein Fadenanker an
oberster Stelle der Schulter angebracht. Von diesem Anker gehen Fäden aus und mit diesen Fäden wird
der gerissene obere Sehnenrand wieder befestigt. Dabei wird kein einfacher Stich gemacht wie man es vom
Zusammennähen eines Stück Stoffes
kennt, sondern nach jedem Stich wird
der Faden in eine Schlaufe gelegt. Der
Faden wird dann durch diese Schlaufe gezogen. Zieht man vorsichtig am
freien zweiten Faden, wird die Sehne
in Richtung Nahtanker positioniert. Es
folgen weitere Stiche mit weiteren
Schlaufen. Die Fäden verblocken sich
im jeweils liegenden Nahtmaterial.“
Als Resultat liegt eine verblockende
(interlocking) Nahtkonfiguration vor.
Sehnenersatz-Technik.
Die Vorteile des neuen Verfahrens:
Die entstandene Naht ist viel stabiler.
Der Patient kann seine Schulter maximal belasten, ohne Folgeverletzungen
zu befürchten.
2. Ein spezieller Patch: Mit einem
einzigartigen Patch kann jetzt die gerissene Sehne „repariert“ werden.
Dieser Patch - eine Art Flicken - wird
aus körpereigenen Sehnen des Patienten hergestellt. Dr. Kircher erklärt:
„Der Patch ist extrem reißfest, da er
nach einem besonderen Prinzip hergestellt wird. Ich entnehme eine kleine Sehne aus dem Bein des Patienten
und flechte daraus einen winzigen
Teppich. Untersuchungen zeigen, dass
dieser Flicken quasi nicht kaputt gehen kann, denn er hält Kräfte von
über 140 Kilo aus – mehr als der Patient jemals seiner Schulter zumuten
wird. Da der Patch aus körpereignen
Sehnen hergestellt wird, sind außerdem keine Unverträglichkeiten oder
Abstoßungsreaktionen zu befürchten.“ Die Gefahr eines erneuten Sehnenrisses ist mit dieser neuen Methode fast ausgeschlossen. Außerdem bilden sich auf dem Patch nach und
nach Gewebezellen, sodass dieser im
Laufe der Zeit noch stabiler wird.
Das SCP-Interlocking empfiehlt
sich bei kleineren bis mittleren Sehnenrissen, der Patch bei großen Sehnenschäden. Dr. Kircher: „Ein Sehnenersatz mit einem Patch ist oft die letzte
Therapieoption, die als gelenkerhaltender Eingriff in Frage kommt“.
Der Patient braucht Geduld
Wichtig bei Schulterverletzungen: Der
Patient braucht etwas Geduld, denn
die Heilung erfordert meistens einige
Zeit. Der Grund: Das Sehnengewebe
ist stoffwechselträge und die Einheilung geht nur sehr langsam vor sich.
Ebenfalls zu beachten: Trotz der
Erkrankung muss die Schulter weiter
bewegt werden, sonst wird sie steif.
Ruhe und Bewegung müssen bei der
Behandlung also optimal aufeinander
abgestimmt sein. Daher wird der Arzt
immer sofort, auch nach einer Schulter-OP, eine begleitende Physiotherapie verschreiben. In der fortgeschrittenen Heilungsphase sind dann in das
Nachbehandlungsprogramm auch regelmäßig Übungen mit Gummibändern und Seilzügen integriert, die Bestandteil der Ruderbewegung sind.
Dr. Kircher: „Nach vollständiger Einheilung ist dann aktives Rudertraining
auf dem Wasser möglich.“
Vorbeugen ist möglich: Achten Sie
auf die richtige Technik beim
Rudern. Und trainieren Sie Ihren
Oberkörper ausgewogen. Eine ständige Überlastung und ein einseitiges
Training sollten ebenfalls vermieden
werden. Regelmäßige Pausen sind
wichtig, damit sich der Körper erholen kann.
GABRIELE HELLWIG
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